Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Erstes Buch

Erste Geschichte
Die Hochzeit auf dem Turme

Der Bürgermeister von Waiblingen, Herr Steller, und der Vogt des Grafen von Wirtemberg, Herr Brix, führten einander in der Neujahrsnacht mit ungewissen Schritten durch die glatten Gassen, nachdem sie einander beim Schlage der zwölften Stunde vor dem Ratskeller den flockig fallenden Schnee vom Barte geküßt und alles gute Glück angewünscht hatten. Der Wein erweicht des Menschen Herz, dachte der Bürgermeister, ich hätte nimmermehr geglaubt, daß ich den Vogt so lieb hätte; dann fuhr er fort: »Schade, daß es so dunkel am Himmel und so weiß an der Erde ist, kein Sternlein ist zu sehen, das uns ein Zeichen gäbe vom neuen Jahre.« – »Kein Stern«, fragte der Vogt mit schwerer Zunge, »was sind denn das für ein Paar rote Sterne am Himmelsrande?« – »Das sind die Fenster des Wachtturmes«, antwortete Herr Steller lachend, »kennt Ihr die nicht, aber sie leuchten heute wohl heller als sonst, denn da ist Bettelmanns Hochzeit, der neue Turmwächter, der Martin, hat heute die Witwe des vorigen geheuratet, weil sie oben zu stark geworden, um die enge Windeltreppe herunter zu steigen. Wir konnten doch wahrhaftig der Frau wegen nicht den Turm abbrechen lassen und so mußte sie sich dazu bequemen, sonst hätte sie lieber unsern Schreiber, den Berthold, geheuratet. Der Pfarrer hat sie oben müssen zusammengeben.« – »Aber um Gottes willen«, fragte der Vogt, »wie soll die Frau hinunterkommen, wenn sie erst tot ist, da wird ein Mensch doch noch ungeschickter, als er bei lebendigem Leibe war.« – »Das würde sich finden, wie's Sterben, meinte sie«, sprach Steller, »solch armes Volk lebt in die Zeit hinein, wie's liebe Vieh, wenn es nur Futter hat. Gute Nacht Gevatter, viel Glück zum neuen Jahre; Ihr werdet doch allein fortkommen?« So taumelten sie aus einander, der Vogt ging den beiden roten Sternen nach und der Bürgermeister gab Achtung, daß sie ihm im Rücken blieben und so führte das Glück der Armen die beiden Reichen wie eine Vorbedeutung in ihre Häuser heim.

Auf dem Turme saß der alte, trockene Martin, der neue Turmwächter im verschossenen, roten Wams, den er noch aus dem italienischen Kriege mitgebracht hatte, zwischen Frau Hildegard, mit der er heute vermählt war, und Berthold, dem Ratsschreiber, wie auf dem Felde des Schachbretts zwischen Schwarz und Weiß, denn jene war reinlich in weißem, selbstgewebten Leinen, dieser sehr anständig in schwarzem Tuch gekleidet. Martin sprach davon, wie er sonst auf Schlachtfeldern zwischen Tod und Teufel und jetzt wie im Schachspiel fröhlich zwischen Freund und Frau sitze und habe sich das nicht träumen lassen voraus, dabei umfaßte er beide und drückte beiden die Köpfe an einander, daß sie sich küssen mußten und trank dann seinen Wein auf die Erinnerung einer Neujahrsnacht, wo er und Berthold auf den Turm stiegen und Frau Hildegard belauschten, wie sie mit ihrer Base Zinn gegossen. – BERTHOLD: »Das war eine schöne Nacht, klar und warm, die Witterung wird immer rauher in Waiblingen und die Welt geht endlich gewiß in Eis unter.« – MARTIN: »Kalt oder warm, untergehn muß sie doch bald, wenn nur Hildegard so lange lebt, um den Lärm mit uns zu beschauen. Ja in der Nacht ging mir das Herz auf gegen dich und es zuckte mir in dem Arme, was hilft's verhehlen, Gott weiß es doch und schreibt sich alles auf.« BERTHOLD: »Du wolltest der guten Frau um den Hals fallen, die Sünde vergibt der Küster.« – MARTIN: »Nein Berthold, ihren Mann wollte ich zum Turm hinunterwerfen, er stand auf der Mauer und blies das neue Jahr an, er wollte sich recht hören lassen, da tratest du zwischen uns und so wurdest du mein guter Engel und bist es immer geblieben und hast bei Hildegard für mich geworben. Das kam alles vom Zinngießen.« – HILDEGARD: »Hab dich damals am Fenster nicht beachtet, aber den Zinnguß habe ich aufgehoben, wie ich alles aufhebe; seht da drei Kirchtürme im Zinn, was deutet mir das?« – MARTIN: »Der eine bedeutet deinen ersten Mann, der zweite deutet auf mich und der dritte, das ist dein dritter Mann Berthold.« – HILDEGARD: »Der Tod ist der dritte Mann.« – BERTHOLD: »Hör Martin, ich mag auf deinen Tod zu meiner Seligkeit nicht warten; dir schadet's doch nicht, wenn du ein paar Stunden mit offner Brust im Schneegestöber auf ein Wild lauerst, ich muß mir schon Kopf und Füße warm halten, am Schreibtische altert ein Mensch früher, als auf dem Rosse.« – MARTIN: »Mit dem Reiten und Fechten ist es jetzt aus, bin ärgerlichen Gemüts und das gedeiht nicht im Alter; kann ich die Armbrust nicht mehr spannen und keinen Vogel im Fluge sehen und treffen, dann stößt mir der Gram das Herz ab. Sieh Berthold, so gräm ich mich auch, daß wir von einander ziehen sollen und haben so lange mit einander Haus gehalten, ich sorgte fürs Wildbret und du für die Fische aus dem Ratsweiher. Es liegt wenig daran, ob einer in Seide oder nackt, wie auf dem Schlachtfelde begraben wird, aber daß wir nicht in alten Tagen einsam leben müssen, davor behüte der Himmel jeden. Hör Berthold, wir sind heute bei deinem Wein lustig, sei künftig auch vergnügt bei unserer alltäglichen Hausmannskost, zieh herauf zu uns, Hildegard wird dir mit keiner doppelten Kreide anschreiben.« – BERTHOLD: »Du kannst meine Gedanken lesen, dachte schon lange daran, ob ich mir nicht dort auf der wüsten Brandstelle ein Haus in eurer Nähe errichten könnte, wo wir zusammen aus einer Kasse lebten und mit einander teilten, was wir verdienen.« – MARTIN: »Damit alles gleich wird, teilen wir auch die Frau.« – HILDEGARD: »Sonst bin ich mit allem zufrieden, aber das ist gegen die zehn Gebote.« – MARTIN: »Und er soll dein Herr sein, hat der Pfarrer gesagt und dabei bleibt's, Berthold schläft hier, du nennst ihn Du wie mich, du sorgst für ihn wie für mich und schlägst ihm nichts ab, er wird nichts Ungebührliches von dir fordern. Und hier ist deine Schlafstelle auf der alten Wurfschleuder, die doch nimmermehr gebraucht wird, hier ziehen wir eine Wand von Latten und du überziehst sie mit Papier, so hast du dein Haus da drin und dein Fenster und deine Schreibereien liegen da ungestört und wenn wir Nachts nicht schlafen können, so können wir wie bisher mit einander reden; du sagst, was du Neues gelesen und ich, was ich in jungen Tagen bei dem Franzosen und Italiener erlebt habe.« – BERTHOLD: »Du sprichst wie aus himmlischer Eingebung, wie kann ich mich widersetzen. Seht, da kehre ich meine Tasche um in den Topf, das ist meine ganze Habe, so tut desgleichen und so lange der Topf nicht leer ist, greife ich dreist in eure Schüsseln.« – MARTIN: »Halt Bruder, du hast schon zuviel voraus, gleiche Brüder, gleiche Kappen, fort mit den Batzen, bis ich auch welche verdient habe und gleich einlegen kann.« – BERTHOLD: »Hör nur, da ruft's vor dem Tore, da kommt ein reiches Trinkgeld, das setzest du gegen meinen Sparpfennig, was der bringt, gehört uns auch zusammen.« – MARTIN: »Das wird nicht viel sein, aber du sollst deinen Willen haben; rückt nun den Tisch, hebt den Eimer über, nun laßt die Winde langsam ablaufen: das mußt du alles lernen, Bruder Berthold, wenn du mit uns im Adlerneste hausen willst, die Krähen werden dir oft genug den Käse vom Brot stehlen.«

Berthold hatte das alles schon gelernt und während Martin die Winde in Ordnung brachte, hatte er schon den wohlbeschlagnen Eimer auf die andere Rolle übergelegt. Frau Hildegard erinnerte Martin, seinen Schafpelz anzuziehen, er aber lachte und sprach: »Hab eher im Schnee geschlafen, als wären's Daunen, als ich noch bei den Kronenwächtern diente, doch halt, davon darf ich nicht schwatzen, ich hab's geschworen.« – Der Reiter unter dem Tore fluchte, daß es so lange daure, und Martin wollte ihm eben in alter Kriegsmanier antworten, da bat jener sorglich, er möchte den Eimer nicht anstoßen lassen, es sei zerbrechliche Ware darin und Martin verschluckte seine Antwort und sprach: »Zu meiner Hochzeit hättet Ihr wohl das Fluchen vergessen können.« – Der Reiter schrie herauf: »Nimm das, was im Eimer liegt, zum Hochzeitgeschenk, sei eingedenk deines Schwures, kein Turm ist zu hoch, kein Grab zu tief für Gottes Richterschwert und für unsern Pfeil.« – Martin trat ernst mit dem Kasten ins Zimmer, den er aus dem Eimer genommen, setzte ihn in der Zerstreuung auf den Apfelkuchen und brummte vor sich hin: »Wäre ich nur nie bei den alten Mördern gewesen!« Als Frau Hildegard wegen des Apfelkuchens schalt, sagte er: »Es ist auch ein Hochzeitgeschenk, mit dir Berthold wird es geteilt, vielleicht ist's ein feinerer Kuchen, macht es sorglich auf, es soll sehr zerbrechlich sein.« Frau Hildegard schob den durchlöcherten Deckel auf, hob eine Pelzdecke auf und sah mit großem Erstaunen einen kleinen Knaben, der auf einem Totenschädel, halb mit einem weichen Kissen bedeckt, ruhte und schlief. »Ha«, fuhr Martin bei dem Anblick auf, »es hat das Zeichen!« Bei dem Worte sprang er hinaus, sah aber nur noch in bedeutender Entfernung den Reiter auf seinem Schimmel, wie sein weißer Mantel im Winde gleich einem Segel aufbauchte und wie er sich bald gleich einer Schneewolke unter den stumpfen Weiden der Straße verlor. Er kam zurück, als Berthold mit überwundener Sorge sprach: »Es ist nicht tot, es schläft nur, tragt's ins Bette, Frau Hildegard, aber denkt nicht, daß dies liebe Kind euch allein gehört, mein ist die Hälfte, Martin hat's versprochen.« – MARTIN: »Du sprichst ja wie ein Versucher, dem ich des Kindes Seele verschrieben habe.« – BERTHOLD: »Ich brauche nicht seine Seele, ich brauche nur seine Hand, ich will's zum Schreiber aufziehen.« – MARTIN: »Versuch's nur; wenn .der Knabe älter wird, da merkt er schon in sich, daß er nicht zum Schreibtisch, sondern unter den Helm gehört; aber Hildegard, ist es dir denn lieb, ein Kind zu haben, bist ja so still emsig, es einzupacken, als ob du es im Federbett ersäufen wolltest.« – HILDEGARD: »Still, hab nie ein schöneres Kind gesehen, alle andern sind Holzklötze dagegen, ein feines Bild aus Elfenbein ist dies, das muß aus hohem Geschlechte stammen; wenn wir nur reich wären, um es fein ordentlich aufzuziehen!« – MARTIN: »Gott sorgt für die Gemslein auf den Felsenspitzen, sieh her Hildegard, sieh den Schatz, der bei dem Kinde im Kästchen liegt.« – BERTHOLD: »Fünf Goldgülden, alle mit dem Stempel unsres letzten Schwabenherzogs Konradin, die sollen wunderselten sein, die mögen in einer recht alten Sparbüchse gerostet haben, bis die grimme Not, die das liebe Kind verstoßen, sie in die Welt trieb. Der Schatz soll dem Kinde bleiben, ich sorge mit Abschreiben in den Abendstunden für das Kind.« – MARTIN: »Ich sorge für meine Hälfte, sonst hau ich sie mir von dem Kinde ab, hab wohl keine Kinder mehr zu erwarten, will mich auch von einem Kinde streicheln lassen: ob ich mir hier ein Kind, oder einen Hund futtre, das kostet gleich viel!« Das Kind war von dem Streite aufgewacht und forderte schreiend seine Nahrung, die Frau war in großer Sorge, was sie ihm geben sollte, sie hoffte, daß ein gläubiges Gebet zur heiligen Mutter, ihre Brust mit Milch füllen könnte, aber Martin schüttelte mit dem Kopfe und sprach: »In unsrer Zeit geschehen keine Wunder.« Frau Hildegard ließ sich aber nicht stören in ihrem Glauben, sondern betete an ihrem kleinen Altare und wie sie noch so betete, da hörte sie das Kind schlucken, das ganz allein lag, weil die beiden Männer an den Herd gegangen waren, um Feuer zu einem Brei anzuschüren. Sie sah sich um, und erblickte ihre große, schwarze Ziege, die sich aus dem Stall losgerissen und auf das Bette gesprungen war, und das Kindlein sog mit freudiger Begierde an der Ziege. Hildegard richtete sich mit gefalteten Händen auf und rief die Männer: »Seht, seht, dem Frommen geschehen alle Tage Wunder!« Berthold faltete gleichfalls verwundert die Hände, aber Martin sprach gleichgültig: »Es ist doch gut, daß wir heut das Zicklein zum Hochzeitbraten opferten, die Ziege wäre sonst mit keiner Gewalt zum Stillen des Kinds zu zwingen gewesen, jetzt drängt es sie dazu: es ist nicht alles Liebe, was die Menschen so nennen!« Dann nahm er Berthold bei der Hand und führte ihn an die andere Ecke des Zimmers, wo der Kasten stand und sprach wehmütig und leise: »Sieh da das weiße Kind unter dem gehörnten, schwarzen Tiere, das dem Teufel ähnlich sieht, so kommt die Unschuld zur Schuld und nährt sich von ihr, so soll auch ich das Kind ernähren und bin nicht wert solcher himmlischen Gnade. Ich halt's nicht aus! Habe so viele blühende Jünglinge in Feldschlacht und Fehden erschlagen und werde nun zum Narrn vor Freude, daß ich der Welt ein Kind zum Ersatz aufziehe, o ich wollte, daß ich bei meinem Vater am Webstuhl ausgeharrt, oder daß ich gar nicht gelebt hätte. Wer weiß, wem der Schädel gehört, der bei dem Kinde liegt, er trägt eine schwere Narbe, wie ein Fenster, durch welches der Geist zum Himmel geflogen, vielleicht habe ich ihm die geschlagen. Ich mußte meinen Herren folgen auf den Fehden und sie fragten mich nicht, ob sie ein Recht hätten zum Blutvergießen, es hieß nur: hier gilt's, hier mußt du vor, Martin. Es sind jetzt noch keine sechs Monat, da focht ich mit einem jungen Ritter, er wehrte sich entsetzlich, da fiel ihm der Helm ab, ich hatte ihm die Schienen durchhauen, und mein Schwert drang tief in sein Haupt, er war schön wie eine Jungfrau, meinen Hals hätte ich abschlagen lassen, um ihn zu heilen, aber der Tod läßt sich nicht wieder gut machen. Ich sagte den Kronenwächtern mit Abscheu meinen Dienst auf, sie ließen mich ziehen. Das Kind gleicht dem Ritter, sie haben's mir geschickt. Berthold, zieh es zum Frieden auf, es soll für mich beten.« Berthold sah verlegen nieder, es war ihm, als ob ein anderer, als Martin, mit ihm rede, so weich hatte er ihn nie gekannt, er sah nach dem Schädel und wies auf etwas Blinkendes, das darin steckte. – MARTIN: »Wird wohl ein Splitter von meinem schartigen Doppelschwerte sein, oder ein Helmring, laß es stecken, so etwas, das einem Menschen den Tod brachte, muß vergraben sein, ich werd's auch bald sein: Wenn einst andere Leute so in meinen Schädel hinein sehen, was werden sie darin lesen?«


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