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Viertes Kapitel

Die Stadt Austin. Die Abgeordneten. Die wilden Reiter. Der Scorbut. Das Kräutersammeln. Die Klapperschlange. Die Kranke. Die Genesung. Die Ziege.

 

Ungestört verstrich die Nacht, und ebenso unbehelligt setzten die Reiter am folgenden Tage ihre Reise fort, deren Ende sie Abends erreichten, indem sie der Stadt Austin gegenüber an dem Coloradoflusse anlangten. Das Wasser war sehr niedrig, so daß die Pferde es durchschreiten konnten, und noch vor Einbruch der Nacht befand sich der Director mit allen seinen Gefährten in dem Washingtonhotel.

Er begab sich nun bald nach seiner Ankunft zu mehreren Kaufleuten, theilte ihnen sein Vorhaben mit, den bezeichneten Weg für den directen Transport von Lebensmitteln nach Friedrichsburg zu benutzen, und gab Aufträge darauf für fünf bis sechs Wagenladungen, so daß die Fuhrleute sich gegenseitig auf dem Wege unterstützen könnten. Außerdem aber trug er ihnen auf, dem Wagenzug noch ein Dutzend Männer zur Bedeckung, und wo es nöthig sein würde, zum Fahrbarmachen des Weges mitzugeben.

Das Gasthaus war überfüllt mit Gästen, denn der gesetzgebende Körper von Texas hatte seine Sitzungen begonnen, und es befanden sich aus allen Gegenden des Staates Fremde in der Stadt.

Der Director und die beiden Wildhorsts erhielten noch ein Zimmer mit Betten, ihren Gefährten aber wurden im Eßsaale Schlafstellen auf dem Fußboden hergerichtet.

Um sieben Uhr am folgenden Morgen rief das Tam Tam schon zum Frühstück, und der Tisch, an welchem gegen achtzig Personen Raum hatten, war nach wenigen Minuten ganz besetzt. Man aß und trank aber mit solcher Hast, daß schon nach einer Viertelstunde diejenigen Gäste, welche im ersten Anlaufe nicht zu einem Stuhle gekommen waren, Platz an dem Tische erhielten.

Der Director und dessen Begleiter befanden sich unter diesen Verspäteten, und nahmen sich nun mit deutscher Gemüthlichkeit die Zeit, ihr Morgenbrod zu verzehren und sich dasselbe durch heitere Unterhaltung zu würzen.

Nach dem Frühstück verließ Schubbert mit den beiden Wildhorsts das Haus, um die Stadt in Augenschein zu nehmen und zugleich noch mit einigen der Kaufleute Verabredungen wegen der beabsichtigten Versendungen zu treffen.

Es war gegen eilf Uhr, als sie aus dem Laden eines Kaufmanns traten, während zu gleicher Zeit aus dem Capitolium die Abgeordneten des Staates Texas und die Zuhörer hervorkamen, um sich für kurze Zeit von ihrer gethanen Arbeit zu erholen, und sich durch einen kräftigen Trunk Branntwein und Wasser für die noch bevorstehende zu stärken. Zu diesem Ende wanderte eine große Zahl von Männern nach den verschiedenen, in der Nähe befindlichen Trinklocalen, wo es denn auch bald recht laut wurde.

Schubbert und die beiden Wildhorsts waren auf dem Platze vor dem Congreßhause stehen geblieben, und betrachteten dasselbe, als plötzlich von einer der Schenken her wilde zornige Stimmen erschallten, und aus der Menge der davor versammelten Menschen zwei Männer hervorgestürzt kamen, der eine, mit den Händen abwehrend und zurückweichend, der andere, ihn verfolgend und mit einem Stock auf ihn losschlagend.

Der Zurückweichende war ein Advocat, Namens Marsdon, ein berüchtigter, allgemein gefürchteter Raufbold, während der andere, welcher ihn so ungestüm angriff, gleichfalls ein Advocat, aber ein weit und breit geachteter und geehrter alter Herr Namens Franklin war.

Du bist ein infamer Schurke, sagte Marsdon, nur für seinen Gegner hörbar, und fing dessen Hiebe mit der Hand auf, ein Lügner, – ein Dieb, – ein Schwindler, – ein Gauner, bei welchen abgebrochenen Schimpfreden er immer schneller zurück und einer Mauer zusprang, während er die Wuth des alten Herrn mit jedem Worte steigerte, und dieser immer kräftiger auf ihn einschlug.

Doch kaum hatte Marsdon die Mauer erreicht, als er aus voller Kehle um Hülfe schrie, im selbigen Augenblick aber eine Pistole aus dem Busen zog, und sie auf den Alten mit den nur für diesen hörbaren Worten abfeuerte:

Sieh, alter Spitzbube, nun mußt Du sterben.

Im Schuß wankte Franklin, die Hand auf die Brust drückend, zurück, und sank schwer getroffen zu Boden, und im Augenblick sammelten sich Hunderte von Leuten um ihn und seinen Gegner, denn Marsdon blieb ruhig bei ihm stehen, und erklärte der bestürzten aufgeregten Menge, daß alle seine guten Worte, die er Franklin gegeben habe, fruchtlos gewesen wären, und daß er endlich, als er ihm an der Mauer nicht weiter hätte ausweichen können, nothgedrungen sein Leben vertheidigt und von seiner Waffe Gebrauch gemacht habe.

Franklin freilich gab, nachdem er in ein Haus gebracht und dort der Sorge eines Arztes übergeben worden war, einen andern Bericht über den Hergang, er war aber und blieb das unvorsichtige Opfer wohlüberlegter Ruchlosigkeit, denn er verschied nach wenigen Stunden, und sein Mörder wurde später vor Gericht freigesprochen.

Das traurige Ereigniß setzte die Bevölkerung von Austin in große Aufregung, es bildeten sich sofort zwei Parteien für und gegen den Mörder, und während des Tages wurde der Vorfall allenthalben lebhaft besprochen.

Auch Abends, als die Sonne sank, die Geschäftszeit vorüber war, und die Gasthausglocken noch nicht zum Abendessen riefen, waren die Straßen belebt, und die Leute standen in Gruppen zusammen, und unterhielten sich über den Trauerfall am Morgen.

Da ertönte plötzlich in der sandigen Straße vom Flusse herauf lautes Angst- und Zetergeschrei, eine wirbelnde Staubwolke kam fliegend in ihr herangerollt, Links und Rechts stoben die Menschen den Häusern zu, und in dem Staube wurden drei in Carrière heransprengende Indianer sichtbar, die mit ihren langen Lanzen Jeden niederstießen, den sie erreichten.

In wildem Entsetzen floh Alles zur Seite und suchte eine Thür zu erreichen, doch die Jagd der Wilden zog mit solcher Schnelligkeit vorüber, daß jede Flucht unnöthig war. Auf dem Platz vor dem Congreßhause beschrieben sie in Verfolgung der Fliehenden mehrere weite Kreise, mit Blitzes Schnelle ergriff einer der Indianer ein zwölfjähriges Mädchen, hob es vor sich auf sein Roß, und mit gellendem Siegesgeschrei stürmten sie in der nächsten Straße wieder nach dem Flusse hinunter, und waren dann nach wenigen Minuten mit ihrer Beute an dessen anderer Seite in den Bergen verschwunden.

Der Schreck, die Bestürzung der Einwohner war grenzenlos, und der Tod und die Verwundungen von einigen zwanzig Menschen versetzte sie in Wuth und Verzweiflung; die Gegenstände ihrer Rache aber befanden sich weit außer dem Bereiche ihrer Macht, und sie konnten Nichts thun, als sich für einen künftigen ähnlichen Fall besser vorsehen. Am folgenden Morgen erschien Niemand ohne Waffen in der Straße, und Alles schwur den Indianern blutige Rache.

Gleich nach dem Frühstück bestiegen die Friedrichsburger wieder ihre Pferde, sagten Austin Lebewohl und traten ihre Heimreise an. Obgleich sie nun auf dem Rückmarsch die Wegzeichen noch vermehrten, so langten sie doch schon am dritten Tage zur Mittagszeit in Friedrichsburg wohlbehalten an, und wurden dort mit Jubel empfangen.

Es hatte sich während ihrer Abwesenheit nichts Ungewöhnliches ereignet, und die Nachricht, daß die Straße nach Austin erstehen und eine direkte Verbindung mit den Niederlassungen am Coloradofluß ins Leben treten werde, wurde mit allgemeiner Freude begrüßt.

Leider hatte sich aber in dieser kurzen Zwischenzeit der Scorbut in vielen neuen Erkrankungen gezeigt, und die ältern Fälle selber einen entschieden ernstern Charakter angenommen. Doctor Schubbert war der Grund zum Auftreten der Krankheit wohl bekannt, derselbe lag in der mangelhaften Nahrung der Leute, und ohne dieselbe zu ändern, zu verbessern, konnten Arzeneien hier wenig nutzen. Der Mais, so wie das Maismehl, bis es hinauf gebracht wurde, hatte theilweise gelitten, aber auch die beste Qualität davon konnte mit trocknen Bohnen und Erbsen als alleinige Speise keine gesunde Ernährung geben, wenn auch frisches Fleisch in spärlichen Quantitäten dazu genossen wurde. Es waren frische Gemüse, frisches Obst und Milch, welche mangelten, um den Gesundheitszustand wieder zu heben. Wie aber sollte man diese Gegenstände für so viele Menschen anschaffen? Guter Fruchtessig war aber auch ein Mittel gegen den Scorbut, und davon befanden sich einige große Fässer auf dem Lager, wenn man nur Salat hätte, um ihn mit Essig den Leuten genießen zu lassen, dachte der Director, und dabei fiel ihm ein, daß eine Menge verschiedener Kräuter an den Bächen und in den Grasländern um Friedrichsburg wuchs, die man zu Salat verwenden könne.

Noch am Abend nach seiner Rückkehr ließ er eine Aufforderung durch die Stadt ergehen, daß sich am folgenden Morgen eine Anzahl Mädchen mit Körben, oder Säcken in dem Vereinslocale einfinden möchte, mit denen er selbst hinausgehen wolle, um Salatkräuter zu sammeln.

Die Aufforderung fand williges Gehör, denn es meldeten sich zur bestimmten Zeit einige dreißig Frauen und Mädchen bei dem Director, und an ihrer Spitze stand Ludwina Nimanski, die sie sämmtlich ausgesucht und gebeten hatte, mitzugehen.

Ludwina und Rudolph, ihr Verlobter, gehörten zu den beliebtesten Persönlichkeiten in der Stadt, Jedermann war ihnen herzlich zugethan und gab ihnen gern seine Zuneigung zu erkennen. Man hatte aber auch alle Ursache dazu, denn Beide ließen nie eine Gelegenheit unbenutzt vorüber gehen, um zu rathen, zu helfen und Gutes zu fördern. Wo die Noth einkehrte, da war auch Ludwina, um sie zu verscheuchen, wo Schmerz und Kummer erschien, zeigte sich Ludwina, um sie zu mildern, und wo Freude herrschte, da fehlte Ludwina auch nicht, und mehrte und steigerte sie durch ihre Gegenwart.

Ebenso verhielt es sich mit Rudolph, er war der Liebling, der Freund, der Rathgeber der ganzen Stadt, Jedermann richtete gern eine Bitte an ihn, weil man wußte, wie freudig er sie erfüllte, und man achtete und ehrte ihn hoch wegen seiner strengen Rechtlichkeit und seiner außerordentlichen Thätigkeit, zumal wenn gemeinnützige Ausgaben zu lösen waren.

Darum sah man aber auch mit Verlangen der ehelichen Verbindung des Brautpaares entgegen, die allerdings erst im kommenden Jahre vollzogen werden sollte; denn Beide waren noch sehr jung, und ihre Väter beabsichtigten, im nächsten Winter ein großes Haus zu bauen, in welchem sie alle zusammen wohnen könnten.

Also wirklich, Fräulein Nimanski, Sie wollen selbst mitgehen und Kräuter suchen helfen? sagte der Director zu Ludwina, indem er sie freundlichst begrüßte.

Selbst, Herr Director – wer soll denn statt meiner kommen? Ich bin Herrin und Dienerin in einer Person, und wenn Leidenden zu helfen ist, dann ist es wohl an der Herrin, stets zuerst zu erscheinen, entgegnete das liebliche Mädchen halb ernst, fuhr aber in heiterstem Tone fort: Aber ehrlich herausgesagt, es macht mir eine große Freude, so zu Fuß in dem hohen Gras zwischen den prächtigen Blumen einmal nach Herzenslust ohne Weg und Steg umherspringen zu können; doch daß ich dabei auch fleißig sein will, zeigt Ihnen mein großer Korb.

Ein klein wenig hast Du wohl doch dabei an meine Hülfe gedacht, fiel Rudolph lächelnd ihr in das Wort, denn allein sollte es Dir sauer werden, den Henkelkorb zu füllen; Nüßchen und Rapunzeln sind nur kleine Pflänzchen. Ich will Dir aber treulich beistehen.

Nun, wir finden auch noch eine andere größere Pflanze, welche in Massen zusammen steht, und auf deren Nutzen als Nahrungsmittel und Arzenei zugleich ich vielen Werth lege. Es ist Portulak, den man in Deutschland so sorgfältig in Mistbeeten zieht, und welcher hier den schlechtesten Boden als Unkraut überwuchert. Er giebt ein köstliches Gemüse, und wenn wir ihn antreffen, so wird Ihr Korb sehr leicht gefüllt werden, sagte der Director, und fügte noch besorgt hinzu:

Es liegen schon gegen vierzig Kranke darnieder, von denen mehrere in großer Gefahr sind, hoffentlich aber ist es noch Zeit, ihnen zu helfen; wir wollen wenigstens unser Möglichstes dafür thun.

Und ich verspreche Ihnen meinen thätigsten Beistand, sagte Ludwina freudig, ich werde jeden Morgen mit hinausgehen.

Darum erklärte sich der Director bereit, die Wanderung anzutreten. Rudolph nahm seiner Braut den Korb ab, Jener begab sich an ihre andere Seite, und von den übrigen Frauenzimmern gefolgt, schritten sie aus der Stadt hinaus, nach der Vereinigung der beiden Bäche, welche dieselbe einschließen, und folgten dann dem Wasser wohl eine Meile weit, bis wo dessen Ufer mit noch nicht sehr hohem, aber frischem, saftigem Gras bedeckt war.; Hier zeigte der Director nun seinen Begleiterinnen die Pflanzen, welche sie sammeln sollten, und bald hatten sie sich, weit auf dem Ufer vertheilt, in das Gras niedergebückt, und begaben sich eifrig an ihre Arbeit. Ludwina hatte einen thätigen Gehülfen an Rudolph, dennoch ging es langsam mit dem Sammeln, denn die Pflanzen standen nur einzeln umher.

Der Director war weiter vom Ufer ab nach der Höhe gegangen, um nach Portulak zu suchen, und kam auch nach einiger Zeit mit der frohen Kunde zurück, daß er solchen gefunden habe. Ludwina und noch einige Mädchen mit großen Körben begleiteten ihn nun nach dem entdeckten Platze, wo die Pflanze in großer Menge stand, und nach Verlauf von einer halben Stunde hatten sie ihre Körbe schwer gefüllt. Sie kehrten dann zu den Gefährtinnen zurück, um denselben noch zu helfen, und gegen eilf Uhr langten sie mit reichen Ladungen wieder in der Stadt an.

Die Salatkräuter, so wie das Gemüse wurde nun vertheilt, und namentlich den Kranken zugeschickt, und zugleich wurde reichlich Essig ausgegeben, um ihn zur Zubereitung zu verwenden.

Am folgenden Morgen wanderte schon die doppelte Zahl von Frauen und Mädchen hinaus, um namentlich Portulak zum Kochen zu holen, doch wurden auch wieder Massen von Salatkräutern gesammelt, so daß die Kranken reichlich damit versorgt werden konnten.

Ludwina fehlte an keinem Morgen, trotzdem, daß das Gras häufig noch schwer mit Thau bedeckt war, und ihr Korb war immer durch Rudolphs Hülfe der am schwersten gefüllte.

Die Mühe sollte auch nicht unbelohnt bleiben, denn die Kranken erholten sich schnell, und der Gesundheitszustand im Allgemeinen besserte sich auffallend.

Eines Morgens hatte sich Ludwina auch mit ihren Gefährtinnen vor dem Vereinsgebäude eingefunden, um Salat zu suchen, und der Director gab ihnen das Geleit bis vor die Stadt, wo er sich von ihnen abwandte, um nach dem Maisfeld zu gehen, gab ihnen jedoch das Versprechen, bald nachzukommen.

Ich habe Gestern noch, ehe wir zur Stadt zurückgingen, einen Platz gefunden, wo der Salat so dicht steht, daß man ihn nur so zusammenfassen kann, sagte Ludwina in ihrer Heiterkeit zu Rudolph, sollst einmal sehen, wie schnell wir dort unsern Korb füllen.

Sie hatten bald die Grasfläche erreicht, wo sie sich in der Regel vertheilten, und Ludwina führte Rudolph noch etwas weiter, indem sie nach einem Fleck am Ufer zeigte, wo hohes Schilf stand.

Siehst Du dort das Schilf, sagte sie, ganz nahe dabei ist das Gras mit Salat übersäet.

Damit sprang sie fröhlich voran, und winkte, nahe bei dem Schilf stehen bleibend, Rudolph zu sich heran.

Hier, Rudolph, sieh nur her, welche Menge! rief sie und that noch einen Schritt vorwärts, sprang aber mit einem lauten Schrei wieder zurück, und vor ihr richtete sich eine ungeheure Klapperschlange mit ihrem furchtbaren Zischen aus dem Grase empor.

Um Gottes Willen, Ludwina, schrie Rudolph, auf die Schlange zustürzend, und schlug sie mit dem Korb, daß sie sich im Grase umherrollte und dann mit Blitzes Schnelle dem Schilf zuglitt.

Ludwina aber war todtenbleich geworden, und sagte mit bebender Stimme:

Ach, Rudolph, sie hat mich gebissen!

Herr Gott, wäre es möglich? rief dieser, zu Tode erschrocken, wo bist Du verwundet?

Hier in dem Fuß, antwortete Ludwina, noch mehr erbleichend, und. sank ohnmächtig in Rudolphs Arme.

Dieser schrie aus Leibeskräften um Hülfe, und ließ sich mit der Geliebten in das Gras nieder, er riß ihr Schuh und Strumpf von dem Fuß, und sah zu seinem Entsetzen die beiden blutigen Flecke, welche die Giftzähne der Schlange hinterlassen hatten.

Er hatte früher einmal gehört, daß man das Gift aus einem Schlangenbiß heraussaugen könne, warf sich bei Ludwina nieder, drückte seine Lippen auf die Wunden, und sog nun mit aller ihm möglichen Gewalt das Blut aus denselben hervor.

Mittlerweile hatten die herzueilenden Gefährtinnen sie erreicht, sie standen entsetzt und bestürzt um sie her, und wußten nicht, wie sie rathen und helfen sollten.

Rudolph aber faßte sich zuerst, bat eines der jüngsten Mädchen, so schnell sie ihre Füße tragen könnten, den Director aufzusuchen und ihn von dem Unglück in Kenntniß zu setzen, sprang dann an dem Ufer hin, wo in kurzer Entfernung viele junge Mispelbäume standen, und hieb mit seinem Jagdmesser die beiden stärksten von ihnen um. Die von den Aesten befreiten Stämme trug er zu Ludwina hin, band einige Zweige darüber, legte Reisig und Schilf darauf, und hatte in unglaublich kurzer Zeit eine Trage für die Braut hergestellt. Er selbst legte sie darauf nieder, erfaßte das eine Ende der Bahre, an das andere Ende traten vier Mädchen, und ohne weitern Aufenthalt schritten sie mit möglichster Eile der Stadt zu.

Ludwina war zwar vollständig zu sich gekommen, der Gedanke aber, daß sie dem Tode entgegengehe, hielt sie in starrem Entsetzen, so daß sie den Schmerz, den ihr die Wunde zu verursachen anfing, nicht achtete. Mein Rudolph, mein Vater, weiter sagte sie Nichts, und hielt ihre Hände auf ihrer Brust gefaltet, Rudolph aber suchte ihr Hoffnung einzureden, und trieb dabei fortwährend die Trägerinnen zur Eile an.

So naheten sie sich der Stadt, als der Director in fliegendem Laufe von dem Felde hergesprungen kam, und nach wenigen Minuten den Zug erreichte.

Ohne ein Wort zu sagen, ließ er die Träger die Verwundete niedersetzen, beschaute einige Augenblicke den verletzten Fuß, und rannte nun mit den Worten: »Vorwärts nach der Wohnung des Fräuleins« selbst voran. Als der Zug bei seinem Hause vorüberkam, erschien er wieder bei Ludwina, ätzte die Wunde mit Höllenstein, legte eilig ein mit Arzenei befeuchtetes Tuch auf dieselbe, und gab der Kranken ein Stück von einer Zwiebel in den Mund, mit der Bitte, dasselbe zu zerkauen und den Saft davon zu verschlucken.

Während dieser Zeit hatten mehrere der Vereinsschützen an Rudolphs und der Mädchen Stelle die Bahre ergriffen, und nun ging es eiligen Schrittes in der langen Straße hinauf.

Von allen Seiten kamen die Einwohner herzu gerannt, und vernahmen mit Schrecken und Entsetzen, was sich begeben hatte. Sie drängten sich um die Bahre, sie schauten mit Angst nach dem gefeierten Mädchen hin, und manches »Gott steh ihr bei!« und manches Wort des Mitleids, des Trostes wurde ihr im Vorwärtsgehen zugerufen.

Mit jedem Schritt mehrte sich die Zahl der Theilnehmenden, und als die vielen Menschen sich dem Hause des alten Wildhorst naheten, kam dieser bestürzt herangeschritten, denn hier war die Stadt zu Ende, und außer seiner Wohnung stand nur noch ein Haus weiter hin, und zwar das von Nimanski. Nur zu bald wurde ihm die Schreckenstunde mitgetheilt, und aufs Tiefste ergriffen, folgte er an des Directors Seite der Bahre.

Kaum aber hatten sie die Grasfläche vor Ludwinas Wohnung erreicht, als auch ihr Vater herangestürmt kam, und mit den Worten:

Großer Gott, mein Kind, meine Ludwina! in Angst und Verzweiflung ihre Hand ergriff.

Es wird mir Nichts thun, lieber Vater, sagte diese mit matter Stimme, und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, doch war es ein schmerzliches, und mit ihm füllten sich ihre Augen mit Thränen.

In stummem Entsetzen wankte der Alte neben seinem verwundeten Kinde bis zu seiner Wohnung, dann hob Rudolph die Kranke auf seine Arme, und trug sie eilig in das Haus, wo er sie auf ihrem Lager niederlegte.

Der Director besichtigte nun nochmals den Fuß, es war schon eine bedeutende Geschwulst eingetreten, dieselbe hatte sich blauroth gefärbt, und die Spannung und der Schmerz in ihr steigerte sich von Minute zu Minute.

Eine Freundin Ludwinas, die Frau eines frühern österreichischen Hauptmanns v. Rawitsch, war mit eingetreten, und erbot sich, die Pflege der Kranken zu übernehmen, worauf der Director ihr seine Anordnungen ertheilte.

Er stellte eine große Flasche auf den Tisch, mit deren Inhalt die Umschläge auf dem Fuß oft befeuchtet werden sollten, aus einem andern Glas bat er, der Kranken nach Vorschrift Tropfen einzugehen, und nahm schließlich abermals eine Zwiebel aus der Tasche hervor, welche er in zwei Theile zerschnitt, die eine Hälfte davon auf dem Tische zerquetschte und dann auf die Wunde legte, und die andere Hälfte dazu bestimmte, daß Ludwina von Zeit zu Zeit ein Stückchen davon zerkauen und den Saft verschlucken solle.

Dies ist das Mittel der Indianer gegen Schlangenbiß, welches jeder Grenzbewohner Americas unter dem Namen Rattlesnakemaster (Klapperschlangenmeister) kennt, sagte der Director. Die Zwiebel trägt ein lauchartiges fahlgrünes Blatt mit braunen Flecken, ganz ähnlich der Zeichnung und der Farbe der Schlange selbst. Sie wächst in feuchten Grasländern, und ich habe sie drei Meilen von hier aufgefunden. Zum Glück für unsre liebe Kranke befanden sich noch einige der Zwiebeln in meinem Jagdranzen, doch will ich jetzt schnell hinausreiten und noch eine Anzahl frische holen, denn mein Vorrath davon ist zu Ende.

Hiermit reichte er die Hälfte der Zwiebel an Frau v. Rawitsch, bat Ludwina, guten Muths zu sein, und verließ dann das Haus.

Der alte Nimanski, Rudolph und dessen Vater standen mit Bangen und Hoffen um das Lager her, denn für alle Dreie war das ganze Lebensglück auf dem Spiele. Sie thaten sich Gewalt an, dem Liebling ihrer Seele die Angst, die Sorge, die sie folterte, nicht zu verrathen, und Ludwina wollte stark sein und ihnen nicht wissen lassen, daß ihr Zustand sich rasch verschlimmerte, denn die Schmerzen vom Fuße her durchzuckten sie wie Blitze, und ein Gefühl von Ohnmacht und Schwindel ergriff sie mehr und mehr. Dennoch sagte sie ihnen wiederholt, daß sie sich besser fühle, obgleich der heißere, machtlose Ton ihrer Stimme das Gegentheil bekundete.

Unter der Verandah vor dem Hause aber hatten sich alle Freundinnen und Bekannte Ludwinas versammelt, um sich zu erkundigen, wie es ihr ginge, und alle boten ihre Dienste an, wenn sie in irgend einer Weise etwas für sie thun könnten.

So war eine Stunde verstrichen, als der Director auf schäumendem Pferde zu dem Hause zurückkehrte, und mit größter Spannung in das Zimmer zu Ludwina eilte.

Er fand sie viel kränker, als er sie verlassen hatte. Die Geschwulst hatte sehr zugenommen, in derselben war Gefühllosigkeit eingetreten, die körperlichen und geistigen Kräfte der Kranken waren rasch im Abnehmen, und eine fieberhafte Unruhe und Beängstigung hatten sich ihrer bemeistert.

Ihr Anblick ergriff Schubbert tief und schmerzlich, dennoch zeigte er den Eindruck, den er empfing, den Umstehenden nicht, denn er fühlte, daß sein Bangen für die Rettung des Mädchens sie der trostlosesten Verzweiflung preisgeben würde.

Er machte von den mitgebrachten Zwiebeln schnell wieder einen frischen Aufschlag auf die Wunde, gab Ludwina abermals davon zu essen, und ließ das verletzte Glied durch Frau v. Rawitsch ganz mit Bärenöl einreiben.

Dabei sprach er seine Hoffnung auf baldige Besserung aus, an der er selbst mit aller Willenskraft fest hielt, und verließ dann das Zimmer, weil es ihm dennoch unmöglich war, seine Besorgniß bei längerm Zusammensein zu verbergen.

So ging und kam er von Stunde zu Stunde, doch so sehnlichst er auch jedesmal beim Eintreten auf eine Wendung zum Bessern hoffte, so deuteten doch alle Erscheinungen auf eine Verschlimmerung des Zustandes der Kranken, denn als der Abend kam, kannte sie Niemand mehr, alle Bewegung hatte sie verlassen, und ihr Puls war kaum noch fühlbar.

Dennoch meinte Schubbert, die Geschwulst habe seit einer Stunde sich nicht mehr vergrößert, ja, es wollte ihn dünken, sie habe abgenommen. Dann aber wieder warf er sich Selbsttäuschung vor, und gab der Wahrscheinlichkeit abermals mehr Raum, daß Rettung nicht möglich wäre.

Die Trostlosigkeit, die starre Verzweiflung des Vaters und des Geliebten der Kranken steigerte sich mit jeder Stunde; ohne Thränen, ohne Worte saßen sie an ihrem Lager und hielten ihre Blicke auf sie geheftet, als zählten sie an ihren Athemzügen die Secunden ihres eignen Lebens. Umsonst suchte Schubbert ihre Hoffnung wieder anzufachen, das Bild, welches sie vor Augen hielten, zeigte eine Sterbende.

Es war nach Mitternacht, da trat der Director wieder in das Zimmer, nahm die Lampe von dem Tische, und schritt zu Ludwina hin.

Kaum aber hatte er den Finger an ihren Puls gelegt, da schreckte er freudig zusammen, das war nicht mehr der Puls einer Sterbenden, es war wieder ein voller, ein kräftiger, schnell sah er nach der Wunde, die Geschwulst war augenscheinlich geringer und die Farbe natürlicher, und als er nun das Licht auf Ludwinas Antlitz fallen ließ, hatte die Todtenblässe sie verlassen, und ein tiefer Schlaf war über sie gekommen.

Er hätte in diesem Augenblick laut aufjauchzen und ihren verzweifelten Lieben Sieg zurufen mögen, doch leise trat er von dem Lager zurück, wandte das Licht von ihm ab, und sagte mit halblauter Stimme:

Gottlob, sie ist gerettet!

Als ob die Worte vom Himmel herab tönten, so wirkten sie auf die in Gram und Schmerz versunkenen Angehörigen Ludwinas, sie stierten einen Augenblick, als trauten sie ihren Ohren nicht, nach dem Director hin, dann aber schossen sie lautlos auf ihn zu, ergriffen bebend seine Hand, und fragten ihn unter Thränen, ob es wirklich so wäre, ob sie wieder hoffen dürften.

Ja, ja, sie ist gerettet, der Himmel hat ihr beigestanden, antwortete Schubbert in freudiger Bewegung, die Ruhe, in die sie versunken ist, thut ihr wohl, und geistig und körperlich gestärkt wird sie aus diesem Schlafe erwachen. Wir dürfen sie nicht darin stören.

Dann bat er Frau -v. Rawitsch leise, Nichts mehr für die Kranke zu thun, sondern sie ruhen zu lassen, und überredete nun den alten- Obristen, nach seinem Hause zu gehen und sich zur Ruhe zu begeben, da seine Gegenwart nicht mehr nöthig sei. Außer sich vor Glück und Freude schüttelten sich die beiden alten Krieger die Hände, und dann verließ der Obrist mit dem Director lautlos das Zimmer, um sich von diesem nach seiner Wohnung geleiten zu lassen.

Mit dem ersten Tageslicht aber fand sich der Director wieder bei der Kranken ein, und sah nun seine Hoffnung in Erfüllung gegangen; Ludwina war wieder bei vollem Bewußtsein, ihre Lebenskraft war zurückgekehrt, und wenn auch noch bedeutende Geschwulst und Steifigkeit vorhanden waren, so hatte sie doch das Fieber verlassen, und sie fühlte sich dem Leben wiedergegeben.

Wie ein Lauffeuer ging die Freudenkunde durch die Stadt, und die Verandah vor Nimanskis Haus wurde an diesem Morgen nicht menschenleer; denn Jedermann wollte dort selbst nach Ludwinas Befinden fragen, und seine Freude über ihre Rettung aussprechen.

Eine andere frohe Nachricht setzte die Einwohnerschaft von Friedrichsburg an diesem Morgen in Bewegung, nemlich die, daß einige Hundert Ziegen in der Nähe der Stadt angelangt seien, und bald eintreffen würden. Alt und Jung wanderte ihnen auf der Straße nach Braunfels entgegen, und kurz vor Mittag wurde die Herde unter großem Jubel in die Stadt geleitet.

Vor dem Vereinsgebäude vertheilte der Director die sehnlichst erwarteten Thiere selbst unter die Bewohner, und wie kostbare Schätze führten diese dieselben nach ihren Wohnungen.

Eine prächtige weiße Ziege aber, welche der Director zurück behielt, ließ er nach Tisch hinaus nach Nimanskis Haus führen. Er selbst war dorthin vorangegangen, und hatte Ludwina heiter und beglückt in Unterhaltung mit ihrem Vater und Rudolph angetroffen. Er setzte sich zu ihnen, und als das Thier vor der Wohnung anlangte, öffnete er die Thür, und sagte:

Ich will nun auch mein Wort lösen, Fräulein Ludwina, und Ihnen das versprochene Geschenk überreichen.

Dabei ließ er die große schöne Ziege in das Zimmer und vor Ludwinas Lager führen, so daß diese selbst deren seidenweiches langes Haar streicheln und sie lieblosen konnte.

Ihre Freude war außerordentlich, sie dankte dem Director mit inniger Herzlichkeit, und bedauerte nur, daß sie nicht gleich selbst die Sorge für das Thier übernehmen könne.

Nach wenigen Tagen aber schon war Ludwina so weit hergestellt, daß sie den häuslichen Arbeiten wieder vorstehen konnte, und nun schmückte sie die blendend weiße Ziege, der sie den Namen Lili gab, mit einem schönen rothen Halsband, band sie selbst an einem langen Seil in das beste Gras, empfing selbst von ihr die köstliche Milch und gewöhnte sie bald so an sich, daß sie ihr durch die ganze Stadt folgte.


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