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Excurs, die Schlacht bei Ravenna betreffend (1–9). Heerschau der Saracenen (10–27). Der Tartarenkönig Mandricard und seine Eifersucht, da er von Rolands Thaten hört (28–37). Er entführt Doraliß, die Königstochter von Granada (38–64). Entschluß Agramants Paris zu stürmen (65–67). Gebete der Christen, namentlich Karls (68–74). Sendung des Erzengels Michael, um den Christen zu helfen und unter den Heiden Zwietracht zu entzünden (68–97). Der Sturm der Saracenen auf Paris (98–112). Rodomonts furchtbare Thaten bei diesem Sturme und Untergang seines Heeres in den Flammen (113–134).
1 | Gefallen war in manchem blut'gen Strauß, Im Kriege Frankreichs wider die Barbaren Unzählig Volk und lag im Feld ein Schmaus Den Wölfen, Raben und den Räuberaaren. Die Franken standen zwar noch schlimmres aus, Die aus dem Felde ganz vertrieben waren, Doch klagten mehr die Heiden, weil so viel Der Fürsten und Baron' im Kampfe fiel. |
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2 | Daß Alfons von Ferrara die Schlacht bei Ravenna (1512) zu Gunsten der Franzosen entschieden habe, hat Ariost schon im 3. Gesange gerühmt. Bekanntlich standen die Truppen des Papstes Julius II und die Spanier auf der andern Seite. Die in Str. 4 erwähnten Eicheln sind das Familienwappen des Hauses Della Róvere, welchem Julius II angehörte; gelb und rot sind die spanischen Farben. Der französische Feldherr Gaston de Foix fiel bei Ravenna, und dieser Verlust wurde als eine schwere Niederlage von den Siegern empfunden, zumal der Tag ohnehin große Opfer gekostet hatte. | Sie kauften ihren blut'gen Sieg zu theuer Und hatten selbst nur wenig Freude dran. Wofern man jene alte Zeit mit neuer, Ruhmwürdigster Alfons, vergleichen kann, So, glaub' ich, mag der große Sieg, den euer Glorreicher Arm den Feinden abgewann, Um den Ravenna's Wimpern stets zu weinen Ursache haben, jenem ähnlich scheinen. 399 |
3 | Die Morinen waren eine gallische Völkerschaft; der klassische Name steht hier für die Anwohner des Meeres von Calais und Boulogne. | Gewichen waren der Picarden Reih'n, Normannen, Aquitanier und Morinen, Da fuhrt ihr mitten in die Banner ein Der Spanier, die beinahe Sieger schienen, Die heldenmüt'gen Knaben hinterdrein, Mit tapfrer Hand den Lohn sich zu verdienen, Den Ehrenpreis nach blut'gem Siegeslauf, Die goldnen Sporen und den goldnen Knauf. |
4 | Der päpstliche Feldherr Fabrizio Colonna fiel in die Gefangenschaft; Alfons schützte ihn gegen die Rache der Franzosen und schickte ihn nach Rom zurück. Dadurch, sagt der Dichter, verdiente der Herzog sich einen Kranz »von andrem Laub« als Lorberen, anspielend auf den Eichenkranz, den im alten Rom erhielt, wer das Leben eines Bürgers gerettet hatte. »Die große Säule römischer Herrlichkeit« heißt Colonna mit Beziehung auf die Bedeutung des Familiennamens. Die»Sichelwagen« in der 6. Zeile erinnern daran, daß die Spanier bei Ravenna derartige Kriegsmaschinen verwendeten. | Mit jenen kühnen, die zum wilden Tanze Euch folgten, schütteltet so kräftig ihr Die goldnen Eicheln von der stolzen Pflanze, Brach't so das gelb und scharlachne Panier, Daß wohl mit Recht ihr prangt im Lorberkranze, Weil unverwüstet blieb der Lilien Zier. Euch schmückt noch andres Laub, weil ihr dem alten Rom seinen Sohn Fabricius habt erhalten. |
5 | Die große Säule römischer Herrlichkeit, Die ihr ergrifft und ließt sie ferner ragen, Sie ehrt euch mehr, als hättet ihr im Streit Allein die grimmige Miliz erschlagen, Die jetzt Ravenna's Äckern Dung verleiht Und sie, die ohne Fahn' und Sichelwagen Nach Aragon, Navarra und Castilien Heimkehrten, satt des Kampfes mit den Lilien. 400 |
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6 | Ein Sieg des Trostes war, den Gott uns schickte, Doch nicht der Freude; den Triumph verbot Die Trauer, als man umschaut' und erblickte Den Feldherrn Frankreichs und des Krieges todt Und viele von demselben Sturm geknickte Erlauchte Fürsten, die um unsere Not Und auch um ihre Grenzen zu verwahren, Über den Alpenschnee gekommen waren. |
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7 | Wir sehn, daß unser Leben, unser Heil Neu ward erweckt an jenem Siegestage, Der uns beschirmt hat vor dem Donnerkeil Des zorn'gen Jovis und dem Hagelschlage; Wer aber nähm' an Fest und Jubel Theil, Wenn er den Jammer hört, die laute Klage, Womit, in Thränen, ganz in Schwarz gehüllt, Die Schar der Witwen Frankreich rings erfüllt? |
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8 | Der König Ludwig muß zur Truppenschau Uns einen neuen Feldhauptmann entsenden, Daß er zum Ruhm der Lilien streng und rauh Die Frevler strafe, die mit Räuberhänden Die Mönch' und Nonnen, schwarz und weiß und grau, Und Tochter, Braut und Mutter ruchlos schänden Und Christi Leib hinschleudern in den Staub, Wegschleppend die Monstranz mit schnödem Raub. 401 |
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9 | Brescia und Ravenna hatten den Franzosen Widerstand geleistet und waren deshalb von ihnen grausam gezüchtigt worden. Der Dichter sagt, Ravenna hätte an Brescia's Schicksal sich ein Beispiel nehmen und die Thore öffnen sollen, statt nun seinerseits anderen klügeren Städten zur Warnung zu dienen. – Trivulzio war ein strenger Marschall von Frankreich, der Mannszucht zu halten wußte. | Weh dir Ravenna! besser frommt' es dir, Dem Sieger nicht den Eintritt zu verwehren, Von Brescia selbst zu lernen, statt mit ihr Rimino und Faënza zu belehren! O wär' Trivulz, der gute Alte, hier! Schick', Ludwig, den, die deinen zu bekehren, Ihnen zu sagen, wie viel Franken schon Starben in unserm Land für solchen Hohn. |
10 | Ganz so wie König Ludwig unser Land Mit neuen Feldhauptleuten muß versehen, So wollen dort Marsil und Agramant, Um ihrem Schwarm gehörig vorzustehen, Aus allen Orten, wo es Winters stand, Das Heer im freien Feld versammelt sehen Und jeder Schar, wo Lücken man erkennt, Anführer geben, Zucht und Regiment. |
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11 | Erst läßt Marsil, dann Agramant die Fahnen Der seinigen vorbeiziehn, Zug um Zug. Vorn an der Spitze gehn die Catalanen Mit dem Panier, das Dorifebo trug, Dann, ohne Herrn, Navarra's Unterthanen; Denn ihren König Fulvirant erschlug Rinald im Zweikampf, und Marsil hat eben Zum Hauptmann ihnen Isolier gegeben. 402 |
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12 | Bätis, der klassische Name des Guadalquivir. | Fürst Balugant führt Mannschaft aus Leon, Grandon erscheint mit dem Algarbierheere; Dem Bruder des Marsil, dem Falsiron Folgt Klein-Castilien mit dem Schwert und Speere. Die Leute Madarasso's kommen von Sevilla und von Malaga am Meere, Vom blüh'nden Cordova, von Gades Strand, Soweit der Bätis fließt durchs grüne Land. |
13 | Tesira, Baricund und Stordilan Folgen der Reihe nach mit ihren Scharen; Dem dritten ist Granada unterthan, Den andern Lissabon und Balearen. Tesira herscht' in Lissabon, sein Ahn Larbin war todt bereits in diesen Jahren. Galizien folgt; es war dem Serpentin An Maricoldo's Stelle jetzt verliehn. |
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14 | Toledo's Mannen, Calatrava's Recken, Deren Panier einst Sinagon geschwenkt, Und alles Volk, das sich im Wasserbecken Des Guadiana badet oder tränkt, Stehn unter Matalista heut, dem kecken. In einer Schar, vom Blanzardin gelenkt,. Kommen Astorga, Avila, Plagenza, Zamorra, Salamanca und Palenza. 403 |
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15 | Und Ferragu führt Saragossa's Bande Und auch den Hof Marsils, des Oberherrn, Stattliche Leute, stark und gut im Stande. Dabei sind Malgarin und Balinvern Morgant und Malzaris; vom Heimatlande Hielt alle vier ein gleiches Schicksal fern; Sie hatte, da sie um ihr Reich gekommen, Der Hof Marsils gastfreundlich aufgenommen. |
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16 | Mit ihnen kömmt, die im Exil sich trafen, Marsils gewalt'ger Bastard Follicon; Dann Archidant, den Saguntiner Grafen, Erkennt man, Analard und Largafon Und Lamirant und Langiran, die braven, Und Malagur, den listigen Baron, Und viele, viele, deren Streich' im Felde Ich euch hernach, sobald es Zeit ist, melde. |
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17 | Als Spaniens Heer vorüber war, erschien Mit stolzer Musterung vor Agramanten Orans Gebieter, um vorbeizuziehn, An Größe fast vergleichbar den Giganten. Die nächste Schar wehklagt um Martassin, Der jüngst erschlagen war von Bradamanten; Sie trauern, weil ein Weib sich rühmen darf, Daß sie den Garamanter-König warf. 404 |
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18 | Als dritte kommt Marmonda's Schar geschritten; Argost ihr Herzog lag im Felde todt, Und wie der zweiten fehlt' auch dieser dritten Und auch der vierten einer, der gebot. Obwohl die Heiden Not an Führern litten, Half dennoch Agramant, der in der Not Burald, Ormida und Argan erwählte Und sie ins Amt einsetzte, wo es fehlte. |
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19 | Argan erhielt das Heer von Libycanien, Das um den schwarzen Dudrinasso klagt. Brunel führt seine Leut' aus Tingitanien, Er finstrer Stirn, schelblickend und verzagt, Denn seit er im Gebirg, nicht weit von Spanien, Wo einst das Schloß des Atlas hat geragt, Den Ring sich nehmen ließ von Bradamanten, Hatt' er die Gunst verscherzt bei Agramanten. |
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20 | Hätt' Isolier, der Bruder Ferragu's, Ihn nicht in Fesseln an dem Baum gefunden, Er nickte längst vom Galgen seinen Gruß; Doch konnt' er seine Unschuld so bekunden. Der König setzt' ihn zwar auf freien Fuß, Nachdem der Strick ihm schon den Hals umwunden, Jedoch den Strick verwahrt' er sich und schwor, Das nächste Mal verschließ' er ihm das Ohr. 405 |
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21 | So hatte denn Brunel wohl Grund genug Den Kopf zu senken mit betrübter Miene. Ihm folgte Farurant mit langem Zug, Fußvolk und Reiterei aus der Maurine. Liban, der seine neue Krone trug, Kam hinter ihm mit Volk von Constantine; Er war's, dem Agramant den goldnen Stab Des Pinador und dessen Krone gab. |
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22 | Mit Volk Hesperiens kömmt Soridan Und Dorilon mit Setta's Legionen, Und Agricalt treibt die Ammonier an, Und Pulian kömmt mit den Nasamonen, Malabuferz mit denen von Fizan. Dem Finadur gehorchen die Schwadronen Canariens und die Reisigen Marocco's; Balastro führt das Volk weiland Tardocco's. |
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23 | Ein Heer von Mulga folgt, eins von Arzill; Das zweite hat den alten Herrn behalten; Das erste blieb verwaist: der König will, Sein treuer Freund Corineus soll's verwalten. So läßt er über die von Almansill Statt Tanfirons Kaïk als König schalten. Gätuliens Heer giebt er dem Rimedont. Mit dem von Cosca dann kömmt Balinfront. 406 |
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24 | Die nächste Schar von Bolga führt Clorind, Der König ward, als Mirabald gefallen. Kömmt Baliverz; im ganzen Heergesind Ist er der größeste Halunk von allen. Kein Banner, glaub' ich, flattert hier im Wind Vor einem Haufen besserer Vasallen Als das Panier des Königes Sobrin, Und keinen klügern Heiden giebt's als ihn. |
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25 | Das Thier mit dem grimmigen Gehörn ist der Steinbock, in dessen Zeichen die Sonne im December tritt. | Bellamarina's Volk, das dem Panier Galschotto's sonst gefolgt war, leitet heute Fürst Rodomont von Sarza und Algier, Und mit ihm kamen frischgeworbne Leute; Denn als die Sonne wolkig jenem Thier Sich nahte, deß Gehörn sie grimm bedräute, Schickt' Agramant ihn heim nach Afrika, Und seit drei Tagen war er wieder da. |
26 | Im ganzen Heere war kein Saracene Verwegner und gewaltiger als der; Ihn fürchtete die Hauptstadt an der Seine Und fürchtete mit gutem Grund ihn mehr Als Agramant, Marsil und alle jene, Die mitgekommen waren übers Meer, Und mehr als einer im gesamten Heere War er ein Todfeind unsrer heil'gen Lehre. 407 |
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27 | Nach ihm kömmt Prusion der Alvarache, Dann Dardinel, Zumara's Königssohn. Hat ihnen wohl vom Baumast oder Dache Rab' oder Käuzlein oder sonst ein Ton Von Unheilsvögeln, die uns Mord und Rache Vorher verkündigen, geweissagt schon, Daß Tag und Stunde naht nach den Beschlüssen Des Himmels, wo sie beide sterben müssen? |
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28 | Jetzt sollte nichts mehr kommen als die Leute Vom Reich Norizia und von Tremisen; Doch zeigte weder ihr Panier sich heute, Noch ließ ein Bote sich von ihnen sehn. Der König wußte nicht, was es bedeute, So arge Säumniß konnt' er nicht verstehn; Da endlich kam ein Knappe, der Gefährte König Alzirds, der alles ihm erklärte. |
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29 | Der Knapp' erzählt' ihm, todt im Felde lägen Alzird und Manilart und viele mehr. »Herr, (sprach er) jener Held der so verwegen Sie schlug, erschlagen hätt' er euer Heer, Wenn's minder schnell entflohn wär' vor dem Degen Als ich; auch so ward mir die Rettung schwer. Der geht mit Fußvolk um, mit Herrn zu Pferde Just wie der Wolf mit einer Hammelherde.« 408 |
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30 | Ein Herr befand sich bei des Königs Gästen, Als diese Dinge vor Paris geschahn, Dem hätte keiner es in Ost und Westen An Stärk' und Heldenmut zuvorgethan. Der König ehrt' ihn hoch und gleich den besten Als Sohn und Erben Königs Agrican, Beherscher der tartarischen Gefilde. Sein Name lautet Mandricard der wilde. |
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31 | Viel hohe Thaten hatt' er schon vollbracht, Und durch die Welt hin war sein Ruhm gefahren; Doch am berühmtesten hatt' ihn gemacht, Daß er von jener Fee den wunderbaren Brustharnisch sich erfocht, den in der Schlacht Hector von Troja trug vor hundert Jahren, Durch so entsetzlich unerhörte Fehde, Daß mir schon graut, bloß wenn ich davon rede. |
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32 | Der war zugegen als die schlimme Kunde Eintraf; sein stolzes Antlitz fuhr empor, Und gleich nach jenes Kriegers Spur die Runde Zu machen nahm sich der verwegne vor. Doch barg er seinen Plan im Herzensgrunde, Sei's daß aus Hochmut er kein Wort verlor, Sei's weil er dachte, daß zu schweigen fromme, Damit kein andrer Mann zuvor ihm komme. 409 |
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33 | Er ließ zuerst den Tremisener fragen, Wie sah es mit des Ritters Farben aus? Der Knappe sprach: »Er hat nur Schwarz getragen, Schwarz war der Schild, der Helm war ohne Strauß.« Dies, gnäd'ger Herr, konnt' er in Wahrheit sagen, Denn Roland ließ den Wappenschild zu Haus; Wie Trauer drinnen war in seinem Herzen, So sollte sie die äußre Hülle schwärzen. |
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34 | Dem Mandricard war aus Marsils Gestüte Ein Pferd geschenkt, das war kastanienbraun, Schwarzmähnig, halb von friesischem Geblüte; Der Vater stammt' ans Andalusiens Gau'n. In voller Rüstung sprang hinauf der Scythe, Und im Galopp flog er durch Wald und Au'n Und schwor zum Heer nicht umzukehren, ehe Er nicht den Mann im schwarzen Harnisch sehe. |
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35 | Im Felde traf er viele noch, die zagend Vor Roland flohen, eine bange Schar, Der um den Sohn, der um den Bruder klagend, Der dicht an seiner Seit' erschlagen war, All' auf der bleichen Stirn den Stempel tragend Der Feigheit und der Angst vor der Gefahr. Sie kamen, von der Furcht, die sie erlitten, Blaß, stumm und wie betäubt, dahergeschritten. 410 |
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36 | Und bald darauf sollt' er den Ort erreichen, Wo er ein wild, unmenschlich Schauspiel fand, Das Zeugniß von den wunderbaren Streichen, Die er vernahm am Hof des Agramant. Wandelnd beschaut er hier und dort die Leichen Und will die Wunden messen mit der Hand, Erfüllt von wunderbarem Neide gegen Den Ritter, der sie schlug mit seinem Degen. |
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37 | Wie Bulldogg' oder Wolf, wenn er zuletzt Zum todten Ochsen kömmt, nachdem die Hunde Und Vögel schon am Fleische sich geletzt, Und nichts als Haut und Knochen sieht am Grunde, Den Schädel anschaut, der ihn schlecht ergetzt, So schaut der wilde König in die Runde; Er birst vor Neid, und Flüche stößt er aus, Daß er zu spät kam zu so reichem Schmaus. |
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38 | Er sucht und fragt, wo jener Ritter stecke, Der über so gewalt'ge Schar gesiegt. Da sieht er eine Wies' in schatt'ger Ecke, Um die ein tiefer Fluß so rund sich schmiegt, Daß nur ein Zugang bleibt auf kurzer Strecke,. Wo sich der Strom in andrer Richtung biegt. Unweit Ocricoli liegt eine Stelle Ganz ähnlich in des Tibers krummer Welle. 411 |
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39 | Die schmale Strecke, wo ihr Eingang fändet, Hielt Reiterei in voller Wehr bewacht. Der Heide fragt sie, wer sie hergesendet Und was sie hier vereint in solcher Macht. Die Antwort gab der Oberste, geblendet Von der Gebietermien' und von der Pracht Des gold- und perlenschimmernden Gewandes, Die einen Herrn verriet erlauchten Standes. |
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40 | Er sprach: »Granada's König, Herr, befahl Uns, seine Tochter nach Paris zu bringen. Er gab sie Rodomonten zum Gemal, Eh Fama Zeit gewann sich aufzuschwingen. Am Abend, wann die Grillen hier im Thal Zur Ruhe gehn, die jetzt allein noch singen, Reist sie zum Vater weiter ins Quartier Der Spanier; mittlerweile schläft sie hier.« |
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41 | Er nun, der nach der ganzen Welt nichts fragt, Beschließt alsbald die Probe zu bestehen, Ob diese Reiter tapfer, ob verzagt Für ihre junge Dam' ins Treffen gehen. Er sprach daher: »Sie ist, wie man mir sagt, Sehr schön, und darum wünsch' ich sie zu sehen. Auf, führt mich zu ihr oder holt sie mir; Denn ich bin eilig und muß fort von hier.« 412 |
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42 | »Du mußt ein auserlesner Narr sein,« sprach Der Grenadiner, und er sprach nicht weiter; Denn flugs mit der gesenkten Lanze stach Ihn durch die Brust der ungestüme Streiter. Der Panzer, von dem Stoß getroffen, brach, Und todt am Boden lag der arme Reiter. Der Sieger zog sodann zurück den Speer, Denn um zu fechten blieb ihm nichts als der. |
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43 | Er trug nicht Schwert noch Keule, müßt ihr wissen, Bei Hectors Rüstung fand er und erfuhr, Der Degen fehle; diesen sollt' er missen, Und damals schwor er, (und er hielt den Schwur,) Kein Schwert, bis er dem Roland seins entrissen, Zu führen, keins als Durindane nur. Dies Schwert, das einst Almont so hoch geschätzt, Trug Hector erst, und Roland trägt es jetzt. |
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44 | Der Mut des Ritters, wahrlich, ist verwegen, Sie anzugreifen mit so dürft'ger Wehr. Er ruft: »Wer will die Straße mir verlegen?« Und jagt in ihren Haufen mit dem Speer. Nun senken sie die Lanzen, ziehn die Degen, Von allen Seiten sind sie um ihn her. Bald hatt' er einen Haufen todtgestochen, Eh diese Lanze stumpf war und zerbrochen. 413 |
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45 | Die Lanze bricht, doch beide Hände packen Den dicken Stumpf, der nicht zu Schaden kam, Und so zerschlägt er vielen Kopf und Nacken; Nie war ein Kampf so wild und wundersam. Wie Simson die Philister mit dem Backen Des Esels, den er von der Erde nahm, Zermalmt er Schilde, haut er Helm' in Splitter Und fällt mit einem Schlag' oft Roß und Ritter. |
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46 | Die ärmsten scheinen in den Tod zu streben, Wenn einer fällt, so dringt der andre vor. Denn bittrer schien's, den Geist so aufzugeben, Als daß man überhaupt den Geist verlor. Sich durch ein Holzstück um das theure Leben Gebracht zu sehn, kam ihnen schmählich vor, Unleidlich, daß er sie zu Tode drosch, Wie man die Natter tödtet und den Frosch. |
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47 | Doch da auf eigne Kosten sie erfahren, Daß Sterben besten Falls vom Übel sei, (Nachdem zwei Drittel schon getödtet waren,) Ließ sich der Rest denn doch zu fliehn herbei. Ganz unerträglich dünkt es dem Tartaren, Wie eine Art Diebstahl und Prellerei, Daß auch nur einer von dem bangen Haufen Es wagt ihm mit dem Leben wegzulaufen. 414 |
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48 | Wie dürre Stoppel auf gemähtem Lande, Wie knisternd Rohr im trocknen Sumpf sich hält Vor Hauch des Nordwinds und dem Feuerbrande, Die klug der Landmann zum Geschäft gesellt, Wann erst die rasche Flamme sich am Rande Festsetzt und knatternd hinläuft übers Feld, So etwa mochten jene sich behüten Vor der entflammten Wut des wilden Scythen. |
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49 | Er sieht den Weg, den sie so schlecht bewachten, Bald ungeschützt; der Eingang steht ihm frei, Und auf dem Pfad, den Spuren kenntlich machten, Folgt er dem Schall des Jammers, dem Geschrei, Um sich Granadas Tochter zu betrachten, Ob ihre Schönheit gleich dem Ruhme sei. Wegschreitend über die Erschlagnen findet Er dort den Eingang, wo der Fluß sich windet. |
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50 | Und auf dem Rasen sieht er Doralißen, (Denn diesen Namen führt die junge Braut;) Da wo die alten Eichenbäume sprießen, Lehnt sie an einem Stamm und jammert laut. Wie Quellen aus lebend'ger Ader fließen Die Thränen auf des Busens weiße Haut; Im schönen Antlitz liest man, daß sie klage Um andrer Schicksal und ums eigne zage. 415 |
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51 | Nun wächst die Furcht noch, als sie ihn erblickt, Bluttriefend, finstren Blicks, wild und verwegen. Bis an die Wolken tönt ihr Schrei; sie schrickt Zusammen, ihret- und der Leute wegen; Denn nicht bloß Reiter waren mitgeschickt; Sie hatt' auch Diener um sich, sie zu pflegen, Ehrbare Greise, Mädchen auch und Frauen, Die allerschönsten aus Granada's Gauen. |
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52 | Kaum sieht der Heid' ihr Antlitz hold und fein, Das seines gleichen nicht in Spanien findet, Das selbst im Schmerz – wie muß es lächelnd sein! – Ein unauflöslich Netz der Liebe windet, Dünkt' ihm, er tret' ins Paradies hinein, Und der Gewinn des ganzen Siegs verschwindet: Seine Gefangne nimmt ihn selbst gefangen, Und er begreift nicht, wie es zugegangen. |
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53 | Doch giebt er ihr sich nicht so ganz zu eigen, Daß er die Früchte seiner Müh ihr schenkt, Ob ihre Thränen schon so deutlich zeigen, Wie Frau'n es können, daß er schwer sie kränkt. Ihr Jammern, hofft er, bring' er bald zum Schweigen Durch hohe Freud', und mitzunehmen denkt Er sie auf jeden Fall, hebt sie sofort Auf ihr milchweißes Roß und reitet fort. 416 |
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54 | Die Weiber, Greis' und sonstiges Geleit, Das auszog, um sie nach Paris zu holen, Entließ er mit der größten Freundlichkeit Und sprach: »Jetzt ist sie meiner Hut empfohlen; Kämmrer und Amme werd' ich sein, bereit In allem ihr zu dienen. Gott befohlen!« Weil's nun dagegen keine Hilfe gab, So zogen weinend sie und seufzend ab. |
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55 | »Wenn er es hört, wie schmerzlich wird die Pein Des Vaters sein!« so hörte man sie sprechen; »Wie wird des Gatten Zorn und Kummer sein Und o wie fürchterlich wird er sich rächen! O träf' er jetzt in dieser Gegend ein, Sie wieder abzujagen jenem frechen, Eh er sie weiter schleppt in seiner Wut, Des Königs Stordilan erlauchtes Blut!« |
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56 | Zufrieden mit dem reichen Beutetheile, Den Glück und Tapferkeit ihm eingebracht, Hat der Tartar, so scheint's, nicht mehr die Eile Wie früher nach dem Mann in schwarzer Tracht. Erst ging's Galopp, jetzt hat es gute Weile. Er überlegt schon, wo er über Nacht An irgend einem Platz gemächlich bleibe Und sich die mächt'ge Liebesglut vertreibe. 417 |
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57 | Vorläufig tröstet' er mit sanftem Ton Die Spanierin, die nicht abließ zu klagen. Er prahlt und fabelt, wie er lange schon Ihr gut gewesen sei von Hörensagen, Und wie er Vaterland und Reich und Thron, Die alle Thron' und Reiche überragen, Verlassen habe, nicht um Frankreichs Gau'n, Sondern, um ihre Schönheit anzuschau'n. |
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58 | »Wenn Liebe Lieb' erwirbt, so hat dich keiner Wie ich verdient; denn längst schon lieb' ich dich; Wenn Herkunft, – wessen Blut ist besser, reiner? Denn Agrican, der mächt'ge, zeugte mich; Wenn Reichtum, – wessen Reichtum ist wie meiner? Denn Gott allein hat mehr Gebiet als ich; Wenn Heldenmut, so hab' ich mich durch diesen Noch heute, dünkt mich, deiner wert erwiesen.« |
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59 | Dergleichen Wort' und mancher holde Scherz, Den Amor selber leis' ins Ohr ihm sagte, Erquicken wie ein linder Trost das Herz Des armen Mädchens, das vorhin verzagte. Die Furcht vergeht, und bald vergeht der Schmerz, Der grausam erst an ihrer Seele nagte; Gelassner fängt sie an, geduldiger, Gehör zu leihn dem neuen Huldiger. 418 |
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60 | Auch freundlicher Bescheid ihm zu ertheilen Und höflich sich zu zeigen fängt sie an, Und sie versagt ihm nicht, den Blick bisweilen Huldvoll zu heften auf den fremden Mann, Woraus der häufig schon von Amors Pfeilen Getroffne Fürst die Sicherheit gewann, Geschweige Hoffnung, daß sein schöner Raub Nicht ewig spröde bleiben werd' und taub. |
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61 | In der Gesellschaft, die sein Herz erquickt, Reist er vergnügt und fröhlich, bis der Abend Herankömmt und die kühlen Stunden schickt, Alles lebendige mit Ruhe labend. Wie er die Sonn' am Horizont erblickt, Treibt er zur Eil' und rascher fürbaß trabend, Hört er Schalmeienklang, der fern erschallt, Und sieht, wie Rauch aus Hof und Hütte wallt. |
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62 | Sie fanden dort ein schäferlich Quartier, Bequem genug, nicht schön, doch sonst vom besten. Der Herden wackrer Hüter zeigte hier So aufmerksam sich seinen beiden Gästen, Daß er sich Dank erwarb von ihm und ihr. Denn nicht in Städten nur und in Palästen, Nein auch in Hütten und in niedrer Klause Trifft man die feinen Menschen oft zu Hause. 419 |
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63 | Was zwischen beiden dann sich zugetragen, Fräulein und Ritter, in der Nacht darauf, Getrau' ich mir nicht ganz genau zu sagen; Ein jeder denke selbst sich den Verlauf. Wahrscheinlich haben sie sich gut vertragen, Denn heitrer standen sie am Morgen auf, Und vielmals dankte Doraliß dem Hirten, Daß er so freundlich war sie zu bewirten. |
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64 | Von dort aus reisten sie umher im Lande, Und sieh ein schöner Fluß kam zu Gesicht, Der lautlos sich hinabzog nach dem Strande, Und ob er floß, ob stand, erriet man nicht, Dabei so spiegelklar, daß bis zum Sande Des Grundes drang das ungehemmte Licht. Am Ufer sahn sie dort im kühlen Schatten Zwei Ritter, die ein Fräulein bei sich hatten. |
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65 | Die hohe Phantasie, der es misfällt, Wenn ich mich stets auf einer Straße halte, Versetzt mich nun zurück auf jenes Feld, Wo Lärm der Mohren, Schrei'n und Fluchen hallte, Dort wo der Sohn Trojans im Kriegsgezelt Dem heil'gen Reich die Faust ins Antlitz ballte Und Rodomont sich rühmt', in Asche legen Woll' er Paris und Rom von hinnen fegen. 420 |
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66 | Durch Boten weiß Trojans berühmter Sohn, Daß Englands Schiffe frische Truppen bringen; Drum möcht' er, daß mit ihm Marsil, Grandon Und andre Könige zu Rate gingen. Sie alle raten, daß man heute schon Sich rüsten soll Paris mit Sturm zu zwingen; Denn nimmt man es nicht jetzt, (das wissen sie) Bevor die Hilfe kömmt, so nimmt man's nie. |
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67 | Zahllose Leitern führten schon die Heiden Vorher aus aller Nachbarschaft heran, Und Balken, Bretter, Flechtwerk auch aus Weiden, Das man auf manche Art gebrauchen kann, Und Schiff' und Brücken, und die ersten beiden Schlachtordnungen stellt' er vor allem an Zum ersten Angriff, und er selber wollte Mit bei dem Haufen sein, der stürmen sollte. |
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68 | Am Tage vor der Schlacht ward auf Geheiß Des Kaisers in Paris an heil'gen Stätten Von frommen Pfaffen, schwarz und grau und weiß, Das Hochamt celebrirt und viele Metten. Zur Beichte gingen Jüngling, Mann und Greis, Um aus den Klauen Satans sich zu retten, Und alle nahmen das geweihte Brot, Als ging' es morgen sicher in den Tod. 421 |
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69 | Er selbst mit Paladinen und Baronen Fürsten und Pred'gern schritt zum Dome hin, Ein Vorbild für sein Volk, um beizuwohnen Der heil'gen Feier mit andächt'gem Sinn. Den Blick erhebend zu den ew'gen Thronen, Sprach er: »O Herr, wennschon ich sündig bin, Doch laß in deiner Gnad' um mein Verschulden Nicht dein getreues Volk die Straf' erdulden. |
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70 | »Und ist's dein Wille, muß es doch geschehn, Weil Strafen meiner Missethat gebüren, So laß mich wenigstens um Aufschub flehn, Laß nicht durch deinen Feind das Werk vollführen. Wenn durch den Heiden wir zu Grunde gehn, Die doch den Namen deiner Freunde führen, So wird er sagen, daß du machtlos seiest, Weil du die deinen dem Verderben weihest. |
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71 | »Und wo bisher dir einer abgesagt, Da werden's hundert thun mit einem Munde; Die lügnerische Lehre Babels jagt Und richtet deinen Glauben dann zu Grunde. Beschirm' dies Volk, das schon so viel gewagt, Dein Grab zu säubern von dem Schwarm der Hunde, Und deine Kirch' und heil'gen Stellvertreter Geschützt hat vor der Hand der Übelthäter. 422 |
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72 | »Von unsrer Schuld ein Gran nur abzutragen, Sind unsere Verdienste viel zu klein, Und aller Hoffnung müßten wir entsagen, Säh'n wir auf unser Leben ganz allein; Wird aber deine Gnade angeschlagen, Dann macht sie unsre Rechnung quitt und rein, Und nie kann die Verzweiflung Raum gewinnen, Wenn wir auf dein Erbarmen uns besinnen.« |
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73 | So sprach der Kaiser mit erhobnen Händen Demütig und zerknirscht am Hochaltar, Und noch gelobt' er angemessne Spenden, Würdig des eignen Rangs und der Gefahr. Auch sollt' er seine Worte nicht verschwenden: Sein Genius, der sein guter Engel war, Nahm das Gebet und breitete die Schwingen, Um es zu des Erlösers Ohr zu bringen. |
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74 | Und mit unzähl'gen andren Seufzern kam Ein Heer von Engeln jetzt, gen Himmel schwebend, Und als der Chor der Heil'gen die vernahm, Schaut' er, die mitleidvollen Blick' erhebend, Empor zu ihm, dem ew'gen Bräutigam, Ihm Kunde von der Sehnsucht aller gebend, Daß jetzt Erhörung find' in Gottes Rat Dies Flehn der Christen, das um Hilfe bat. 423 |
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75 | Und die erhabne Liebe, die noch nie Ihr Ohr verschlossen hat dem Flehn der Frommen, – Die milden Blick' erhebend, winkte sie Dem Engel Michael heranzukommen Und sprach zu ihm: »Geh nach der Picardie, Zum Christenheer, das übers Meer geschwommen, Und führ' es nach Paris bis an die Werke, So daß der Feinde Heer es nimmer merke. |
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76 | »Erst geh zur Schweigsamkeit; bei diesem Zuge Soll sie, das sag' ihr, dir zur Seite stehn; Mit allem, was du brauchst, wird diese kluge Begleiterin aufs beste dich versehn. Nachdem du das besorgt, mußt du im Fluge Zum Sitz und Aufenthalt der Zwietracht gehn! Sie nehme Lunt' und Feuerstein zur Hand Und zünd' ihr Feuer an beim Agramant, |
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77 | »Und hetze dort die tapfersten der Heiden Zu solchem Hader, solchem Zank und Zwist, Bis ihrer etliche den Tod erleiden, Mancher gefangen und verwundet ist Und andre grollend aus dem Lager scheiden Und so ihr Herr im Kampfe sie vermißt.« So sprach er, und kein Wörtchen sprach dawider Der heil'ge Vogel, sondern flog hernieder. 424 |
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78 | Wohin Sanct Michael die Flügel leitet, Da fliehn die Wolken und der Himmel lacht; Ein goldner Kreis ist um ihn ausgebreitet, Wie Wetterleuchten in der dunklen Nacht. Und wie der Himmelsbote niedergleitet, Erwägt er, wie er es am besten macht, Die Feindin aller Reden aufzuspüren Und seinen ersten Auftrag auszuführen. |
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79 | Er überlegt, wo sie verkehr' und hause, Bis er zuletzt zu diesem Schluß es bringt, Man finde sie in jeder Kirch' und Klause Der Mönche, die des Ordens Regel zwingt, Wo man nicht reden darf, wo rings im Hause, In dem Gemach, wo man den Psalter singt Und wo man schläft und wo man tafelt, immer Schweigen geschrieben steht in jedem Zimmer. |
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80 | Da glaubt' er sie zu treffen, und geschwinder Bewegt er nun sein goldnes Flügelpaar; Daß auch der Friede dort sei und nicht minder Die Ruh' und Nächstenliebe, deucht' ihm klar, Jedoch daß er geurteilt wie ein Blinder, Erkannt' er bald, als er im Kloster war. Die Schweigsamkeit sei fern, sie sei im Stift, So sagte man, jetzt höchstens noch als Schrift. 425 |
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81 | Auch Demut, Liebe, Ruhe, Frömmigkeit Und Friede wollten sich nicht finden lassen; Sie hatten hier gewohnt in alter Zeit, Doch sie vertrieb der Geiz, der Zorn, das Prassen, Hochmut und Faulheit, Schadenfreud' und Neid. Der Engel konnt' erstaunt sich gar nicht fassen, Und als er sich den wüsten Schwarm besah, Fand er wahrhaftig auch die Zwietracht da. |
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82 | Sie wollt' er suchen, nach des Ew'gen Wort, Wann er die Schweigsamkeit gefunden hätte, Und zum Avernus wollt' er gehn; denn dort Sei bei Verdammten, meint' er, ihre Stätte. Nun traf er sie an andrem Höllenort (Wer würd' es glauben?) bei Hochamt und Mette. Verwundert sah Sanct Michael sie hier, Da er geglaubt, er habe weit zu ihr. |
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83 | Er kannt' ihr Kleid, das farbenübersäte, Das aus unzähl'gen Lappen nur bestand. Bald deckt' es sie, bald nicht, denn ohne Nähte Flog hin und her im Winde das Gewand. Das Haar, das vorne halb, halb hinten wehte, Theils aufgeflochten, theils vom Reif umspannt, Schien silbern hier, schien Gold auf jener Seite, Dort schwarz, dort grau, und mit sich selbst im Streite. 426 |
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84 | Von Ladungen und Klaglibellen hat Sie Händ' und Busen voll, von Protokollen, Vollmachten ganze Bündel, Blatt an Blatt, Gutachten, Glossen, pergamentne Rollen, Darob die armen Teufel in der Stadt Um Hab' und Gut noch häufig zittern sollen. Hinten und vorn und seitwärts führt sie Scharen Von Advokaten, Schreibern und Notaren. |
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85 | Der Engel winkt und sagt ihr den Bescheid, Wie Gott befohlen, daß sie flugs sich rüste, Die stärksten Mohren so in Haß und Streit Zu hetzen, daß Verderben folgen müßte. Dann fragt er sie: wo ist die Schweigsamkeit? Leicht könnt' es sein, daß jene darum wüßte, Weil sie, um ihre Feuer anzulegen, So weit umherkömmt auf verschiednen Wegen. |
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86 | Darauf versetzt die Zwietracht: »Glaub' es mir, Daß ich sie nie gesehn in meinen Tagen; Gehört dagegen hab' ich oft von ihr, Und immer rühmt man sie als sehr verschlagen. Jedoch der Trug, der unsern einer hier, Pflegt manchmal gut mit ihr sich zu vertragen; Der hat vielleicht sie irgendwo gesehn;« (Sie hob den Finger auf,) »ich meine den.« 427 |
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87 | Er hatt' ein freundlich Antlitz, würd'gen Gang, Demüt'gen Augenaufschlag, honigsüße Bescheidne Wort', und seine Stimme klang, Als ob Sanct Gabriel Marien grüße. Das übrige war garstig, aber lang Und faltig floß sein Kleid ihm auf die Füße Und barg die Häßlichkeit, und unterm Kleide Trug er das Messer mit der gift'gen Schneide. |
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88 | Elias und Benedict werden als Stifter von Mönchsorden genannt. Auf ersteren führen die Karmeliter ihren Ursprung zurück. | Der Engel sagt' ihm, Gott hab' ihn geschickt; Zur Schweigsamkeit möcht' er den Weg erfahren. Da sprach der Trug: »Man hat sie nie erblickt Als bei den Tugenden in frühern Jahren, Bei Sanct Elias und Sanct Benedict In den Abteien, als sie jung noch waren; Auch gab es Schulen, wo sie viel verkehrte, In Zeiten, da Pythagoras noch lehrte. |
89 | »Als keine Heilige und Weise mehr Dawaren, sie den rechten Pfad zu leiten, Begann sie von der Bahn der Zucht und Ehr Hinüber auf den schlechten Weg zu schreiten. Erst pflog sie Nachts mit Liebenden Verkehr, Mit Dieben dann, und trieb nur Schlechtigkeiten; Mit dem Verrat pflegt sie viel umzugehn, Und selbst beim Morde hab' ich sie gesehn. 428 |
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90 | »Auch sitzt sie gern mit denen, die uns heute Die Münze fälschen, tief im Kellerloch, Und immer wechselt sie Wohnsitz und Leute: Du fändest schwerlich, wo sie sich verkroch. Ich hoff' indeß, daß ich den Weg dir deute, Wenn ich dir rat', um Mitternacht sie noch Zu suchen, im Palast des Schlafs; ich wette, Da triffst du sie; denn dort geht sie zu Bette.« |
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91 | Obschon der Trug sich nichts aus Lügen machte, Maß doch Sanct Michael ihm Glauben bei, Denn alles klang wie Wahrheit. Er bedachte Sich nicht mehr lang' und flog aus der Abtei, Doch hemmt' er seine Flügel sanft und sachte, Damit er nicht zu früh am Ziele sei Und im Palast des Schlafes (dessen Lage Ihm wohlbekannt war) dann vergebens frage. |
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92 | Fern in Arabien liegt ein holdes Thal, Weitab von Städten und bewohnten Flecken, Im Schatten zweier Berge, tief und schmal, Das Tannenwald und Buchen rings bedecken. Vergebens sucht des Mittags heller Strahl Den Weg hinab zu diesen Waldverstecken; Das Laub versperrt den Blick dem Sonnengotte, Und unterirdisch liegt dort eine Grotte. 429 |
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93 | Unter dem schwarzen Wald führt eine Klause Tief ins Gestein, geräumig, breit und lang, Und zäher Epheu klettert seine krause Verschlungne Bahn die Vorderseit' entlang. Da drinnen ist der schwere Schlaf zu Hause, Und bei ihm sitzt der feiste Müßiggang; Am Boden sitzt die Faulheit, der das Stehen Zu sauer wird, geschweige denn das Gehen. |
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94 | Vergessenheit steht vorn am Grottenmunde, Die keinen kennt und keinen läßt herzu, Hört keine Botschaft, giebt von keiner Kunde, Treibt jeden fort mit immer gleicher Ruh. Die Schweigsamkeit als Wächter macht die Runde Im langen schwarzen Rock, Filz unterm Schuh, Und wen sie trifft, dem winkt sie mit den Händen Von weitem schon, er soll hinweg sich wenden. |
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95 | Der Engel sagt' ins Ohr ihr leis' und sacht: »Gott will, daß du Rinald jetzt zu den Werken Der Stadt Paris geleitest samt der Macht, Die mit ihm kam, den Kaiser zu verstärken. Und thu' es ganz im stillen, sei bedacht Daß nichts die Heiden vom Getümmel merken Und, ehe das Gerücht sie warnt und weckt, Im Rücken schon der Christen Sturm sie schreckt.« 430 |
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96 | Die Schweigsamkeit antwortete nicht weiter; Sie nickte mit dem Kopf, das schien genug. Dann folgte sie gehorsam dem Begleiter, Und nach der Picardie ging es im Flug. Der Engel setzt' in Marsch die kühnen Streiter Und kürzte so den Weg für ihren Zug, Daß man Paris erreicht' in zwanzig Stunden, Und keiner hatt' es wunderbar gefunden. |
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97 | Die Schweigsamkeit durchwandelte das Heer, Und tiefen Nebel ließ sie niedersinken Vor jeder Legion und auch umher, Doch Sonnenschein war rechts und war zur Linken. Durch solchen dicken Nebel dränge schwer Der Schall von den Trompeten und den Zinken. Dann fuhr sie zu den Heiden hin und brachte Ein Etwas mit, was blind und taub sie machte. |
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98 | Indeß die Christen so geschwinde nahten, Daß man des Engels Führung deutlich sah, Dabei so sacht, von keinem Lärm verraten, Daß keiner draußen ahnte, was geschah, Hatt' Agramant bereits die Fußsoldaten In die Pariser Vorstadt und ganz nah An Mauern und in Gräben vorgeschoben, Um heut sein höchstes Können zu erproben. 431 |
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99 | Wer's zählen kann, dies Heer, das Agramant In Gang setzt wider Karl, der kann auch sagen, Wie viel auf waldbedeckter Bergeswand Des schatt'gen Apennin Baumwipfel ragen, Wie viel beim Sturmwind Wellen an den Rand Des mauritanischen Atlas brandend schlagen, Mit wie viel Augen Nachts der Himmel schielt Auf das verstohlne Spiel, das Liebe spielt. |
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100 | Die Glocken hört man hoch vom Thurm erschallen Mit schauerlichem Ton und raschem Schlag, Und Hände sieht man flehn und Lippen lallen, Wo nur ein Tempel offen stehen mag. Ja, fänd' an Reichtum Gott so viel Gefallen Wie unser Unverstand, heut war der Tag, Wo ihm die Kirch' an jeder heil'gen Stätte Gern Bilder ganz von Gold gestiftet hätte. |
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101 | Wehklage hört man von gerechten Greisen, Daß sie für solche Not sich aufgespart, Und die gesegneten Gerippe preisen Sie selig, die das Grab schon längst verwahrt. Die rüst'ge Jugend aber lacht der Weisen; Sie, die ihr nahes Unheil nicht gewahrt, Verachtet der Erfahrnen Sorg' und Trauer Und strömt von allen Seiten nach der Mauer. 432 |
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102 | Da sind die Paladin' und edlen Herrn, Herzög' und Könige mit ihren Rittern, Pariser Bürger, Krieger aus der Fern, Die Christi halber vor dem Tod nicht zittern. Und um den Feind zu schlagen, sähn sie gern, Daß man die Brücken senkte vor den Gittern. Gern sieht der Kaiser ihren hohen Mut, Obwohl er ihnen nicht den Willen thut. |
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103 | Er stellt sie hin, wo sie am meisten nützen, Daß nirgend Eingang finde der Barbar; Hier reicht ein Häuflein aus, den Wall zu schützen, Und dort genügt ihm kaum die stärkste Schar. Die einen thun den Dienst bei den Geschützen, Den bei den Feuern nehmen andre wahr; Karl ist bald hier bald drüben längs des Walles Und rastet nie und hilft und bessert alles. |
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104 | In weiter Ebne liegt Paris gebreitet. Der Nabel Frankreichs, Frankreichs Herz vielmehr. Der Fluß tritt in die Mauern ein und gleitet Jenseits hinaus, doch bildet er vorher Im Innern eine Insel und bereitet Dem besten Theil der Stadt dort sichre Wehr: Die andern zwei (denn drei sind ihrer) haben Den Fluß im Rücken, draußen nur den Graben. 433 |
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105 | Die Stadt, die manche Stunde Wegs umspannt, Läßt sich von vielen Seiten her berennen; Doch nur auf eine hatt' es Agramant Jetzt abgesehn, um nicht das Heer zu trennen. Jenseits des Flusses nimmt er seinen Stand, Im Westen; dort soll bald der Kampf entbrennen; Dort hat er hinter sich bis Spanien keine Provinzen, keine Festungen als seine. |
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106 | Der ganzen Mauer hatte Karl durchaus Mit starken Werken Festigkeit verliehen; Die Gräben stattet' er mit Dämmen aus, Quermauern baut' er drin und Galerien, Und wo der Fluß hereintritt und hinaus, Ließ er die allerdicksten Ketten ziehen; Am meisten aber ließ er schanzen da, Wo er am meisten Grund zum Fürchten sah. |
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107 | Mit Argusaugen sieht der Sohn Pipins, Wo Agramant vorhat ihn anzufallen, Und keinen Plan ersann der Mohr, so schien's, Den Karl nicht kreuzte, eh der Schlag gefallen. Mit Ferragu's, Grandons und Serpentins, Mit Isoliers und Balugants Vasallen, Mit allen Truppen, die ihm Spanien stellt, Zog schon Marsil gewaffnet in das Feld. 434 |
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108 | Sobrin und Pulian stehn an der Seine Mit König Dardinel, links von Marsil, Und Orans Fürst, der größte Saracene; Denn an sechs Ellen fehlte dem nicht viel. Ach, warum führ' ich nicht so flink, wie jene Die Waffen führten, meinen Gänsekiel? Der König Sarza's schreit, die Lippen schäumen Von Flüchen ihm; er will nicht länger säumen. |
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109 | Wie auf die Milchgefäß' im Hirtenhause, Wie auf die süßen Reste vom Gelag Der läst'gen Fliegen schwirrendes Gebrause Sich gierig stürzt am heißen Sommertag; Wie Staare nach dem Weinberg, wann zum Schmause Die Trauben locken, – so mit einem Schlag, Die Luft erfüllend mit Geschrei und Lärmen, Stürmen die Mohren an in dichten Schwärmen. |
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110 | Das Heer der Christen auf der Mauer ficht Mit Lanz' und Schwert und Axt und Stein und Feuer Und schirmt die Stadt und wankt und zittert nicht Und achtet kaum des Zorns der wilden Dräuer. Wenn mancher auch im Kampf zusammenbricht, Dem todten Krieger folgt alsbald ein neuer; Die Mohren müssen in den Graben weichen Vor wüt'gen Hieben und gewalt'gen Streichen. 435 |
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111 | Nicht Eisen bloß gebrauchen sie zur Wehr, Auch dicke Blöck' und Mauerkränz' und Zacken, Thurmdächer, halbe Erker, felsenschwer, Und Quadern, abgelöst mit Stang' und Hacken. Kochendes Wasser gießt von oben her Grausame Hitze über Köpf' und Nacken, Und schwer ist's solchen Regen zu bestehn, Der in die Helme dringt und raubt das Sehn. |
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112 | Der that mehr Schaden fast als Eisen thut. Nun aber gar, als über ihren Köpfen Sich das Gewölk furchtbaren Kalks entlud Und Schwefel, Pech und Oel aus Feuertöpfen. Die Kränze haben auch nicht lang geruht, Die ganz umgeben sind von Flammenzöpfen; Nach allen Seiten flogen sie im Winde, Für die Barbaren schlimme Festgewinde. |
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113 | Der Fürst von Sarza hat indeß die zweite Heerschar gejagt bis an die Mauerwand. Ihm folgt Ormida, folgt Burald zum Streite, (Der aus Marmonda, dieser Garamant); Clarind und Soridan sind ihm zur Seite, Auch Setta's König stutzt nicht vor dem Brand; Auch die von Cosca, von Marocco wollen, Daß ihren Wert die Freund' erkennen sollen. 436 |
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114 | Des Rodomont scharlachen Kriegspanier Führt einen Löwen in dem Wappenschilde, Der seinen Rachen wie ein zahmes Thier Aufzäumen läßt von einem Frauenbilde. Er selber ist der Löw', und unter ihr, Die so den Zaum anlegt dem stolzen Wilde, Denkt er sich jene schöne Doraliß, Die Stordilan, der König, ihm verhieß, |
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115 | Die nämliche, von der ich euch beschrieben, Wie Mandricard sie raubte, der Tartar. Die eben mußt' auch Rodomonte lieben, Mehr als sein Reich und als sein Augenpaar; Sie wollt' er ehren jetzt mit mächt'gen Hieben, Nicht ahnend, daß sie ihm entrissen war; Hätt' er's gewußt, so hätt' er gleich begonnen, Was er begann, eh noch der Tag verronnen. |
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116 | Im Nu sind tausend Leitern angeschoben, Und mindestens trägt jede Sprosse zween; Der zweite drängt den Vordermann nach oben, Der dritte den, – da hilft kein Stillestehn. Der wird vom Mut, der von der Furcht gehoben; Denn mit Gewalt muß jeder vorwärts gehn; Wenn einer säumt, den tödtet ohn' Erbarmen Der wilde König oder schlägt den armen. 437 |
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117 | Und so durch Trümmersturz und Flammenschauer Stürmt notgedrungen jeder in die Schlacht; Die andern aber liegen auf der Lauer Und spähn nach Punkten, die man schlecht bewacht. Nur Rodomont verschmäht es auf die Mauer Zu kommen, wo man's ihm nicht streitig macht; Wo andre in dem gräßlichen Gewimmel Gelübde thun, da flucht er Gott im Himmel. |
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118 | Sein harter Brustharnisch und Panzerkragen Bestand aus eines Drachen schupp'ger Haut; Den hatt' um Brust und Rücken einst getragen Sein Ahnherr, – er der Babel hat gebaut Und Gott aus seinem goldnen Haus zu jagen, Von seinem Sternenthron, sich hat getraut; Auch ließ er Helm und Schild und einen Degen Vollkommen machen dieses Zweckes wegen. |
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119 | Und Rodomont, wie Nimrod wutentbrannt, Unbändig, über jede Scheu erhaben, Der auch mit Gott, hätt' er den Weg gekannt, Noch heut vor Nacht würd' angebunden haben, Sah nicht erst zu, wie fest die Mauer stand, Noch auch wie tief das Wasser war im Graben; Er schreitet durch, er rennt, er fliegt dahin, Im Wasser und im Schlamme bis ans Kinn. 438 |
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120 | Die Mallea ist eine von Schwarzwild bewohnte Sumpfgegend im Ferraresischen. | Vom Schlamm bedeckt und triefend dringt er vor Durch Speer' und Pfeil' und Stein' und Feuerregen. So kommt der Eber durch das dichte Rohr In der Mallea sumpfigen Gehegen Und weiß sich weite Bahn und offnes Thor Mit Brust und Schnauz' und Hauerzahn zu fegen. Den Schild hoch haltend kömmt der Mohr zum Sturm; Ihn schreckt kein Gott, geschweige Wall und Thurm. |
121 | Wie Rodomont erst trocknen Boden spürt, So ist er oben auch mit einem Satze Auf dem Gerüst, das an die Mauer rührt, Als Brücke für die Kämpfenden im Platze. Nun spaltet er die Schädel und vollführt Tonsuren, größer als der Pfaffen Glatze; Nun fliegen Arm' und Köpf', und von den Zinnen Zum Graben sieht man rote Bäche rinnen. |
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122 | Er wirft den Schild weg, faßt in beide Hände Sein grausam Schwert und trifft Herzog Arnolf; Der kam aus jenem Lande, wo das Ende Des Rheinstroms sich verliert im salz'gen Golf. Er wehrt sich, aber eher widerstände Schwefel dem Feuer und das Lamm dem Wolf. Hin stürzt er und verendet, von den Brauen Bis fußtief unterm Halse durchgehauen. 439 |
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123 | Der Mohr erschlug mit einem glatten Streich Prando, Anselmus, Spineloc, Oldraden; Denn das Gedräng' in seines Schwerts Bereich Bracht' ihm auf einen Schwung so vollen Schwaden. Die vier erschlug er, und es theilten gleich Die Normandie und Flandern diesen Schaden. Orgetto von den Mainzern traf er auch Und spaltet' ihn vom Kopfe bis zum Bauch. |
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124 | Dann warf er in den Graben Andropon, Den Priester; dem Mesquin erging's nicht besser; Der ehrte mehr den Wein als Kirch' und Thron Und trank in einem Zuge ganze Fässer. Das Gift der Nattern hatt' er zwar geflohn, Mehr aber floh er jegliches Gewässer. Nun starb er hier, und mehr als alles herbe War sein Gefühl, daß er im Wasser sterbe. |
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125 | Er köpft den Provenzalen Ludovis Und bohrt Arnald von Tours durch Bauch und Nieren, Und Hugo, Claudius, Hubert, Dionis Müssen ihr warmes Lebensblut verlieren. Auch Satallon und Walter aus Paris, Ambald und Odo, und nach diesen vieren Noch viele mehr, und wenn ich alle sie, Namen und Herkunft, nenne, endet's nie. 440 |
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126 | Dem Rodomonte folgt sein Heer behende Und legt die Leitern an und klimmt ans Ziel. Die Franken machen hier dem Kampf ein Ende, Denn an der ersten Schutzwehr lag nicht viel; Der Feind wird drinnen ja noch alle Hände Voll Arbeit haben und kein leichtes Spiel; Denn zwischen äußrem Wall und innrem haben Sie einen tiefen schauerlichen Graben. |
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127 | Der Vater Rodomonts heißt bei Bojardo Ulien. | Und nicht allein daß jetzt von unten her Die unsern fest dem Feinde widerstanden, Es kam hinzu, daß auf der hohen Wehr Der innren Seite frische Truppen standen, Und furchtbar litten nun von Pfeil und Speer Die Tausende, die draußen sich befanden; Sehr übel, glaub' ich, würd' es ihnen gehn, Wär' nicht der Sohn des Königs Ulien. |
128 | Der spornt sie an mit Zuruf und Geschrei Und jagt sie vorwärts, ob sie schon verzagen, Und schlägt die Rippen und die Köpf' entzwei, Wenn etliche zurückzuschielen wagen. Er schiebt sie, stößt sie, schleppt sie selbst herbei Und hält sie fest an Schopf und Arm und Kragen Und wirft kopfüber sie in wilder Hast, Daß kaum der Graben ihre Menge faßt. 441 |
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129 | Indeß die Heiden so hinunter dringen, Zum Theil auch taumeln, in die böse Schlucht Und jeder wieder sich emporzuringen Und auf den zweiten Damm zu klettern sucht, Hebt Rodomont im Nu, als hätt' er Schwingen An jedem Gliede, die gewalt'ge Wucht Des Leibes und die ganze Last der Rüstung Und schwingt sich jenseits auf die Grabenbrüstung. |
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130 | Wohl dreißig Schritt sprang er in einem Nu Gleich einem Windhund oder flücht'gen Bocke, Und lauter nicht im Fallen klang sein Schuh, Als wär' er eine filzbesohlte Socke. Und drüben stutzt' er nun die Leute zu, Als ob der Harnisch unter ihrem Rocke Nur weiches Zinn wär' oder gar nur Taft: So war dies Schwert und so des Mohren Kraft. |
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131 | Die unsern jetzt, die ein gar böses Spiel Dem Feind' in jener bösen Kluft bereiten, – (Denn Reisig hatten sie und Hürden viel Dort ausgestreut, nebst pechbestrichnen Scheiten, So aber, daß es nicht ins Auge fiel, Obwohl der Raum voll war auf beiden Seiten, Fast von der Sohle bis zum Grabenrand, Und Fässer lagen, ungezählt, im Sand, 442 |
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132 | Gefüllt mit Schwefel, mit Salpeter, Theer, Mit Oel und ähnlichen brennbaren Massen,) – Die unsern, um das Saracenenheer Im tollen Wagniß untergehn zu lassen, Als es im Graben war und rings umher Auf Leitern stieg, die Brustwehr zu erfassen, – Warten auf das Singnal und zünden dann Urplötzlich hier und dort das Feuer an. |
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133 | Das Feuer schlug in eine Glut zusammen, Und eine Lohe war's von Rand zu Rand, Die hoch empor stieg, daß beinah in Flammen Der Mondesgöttin feuchter Busen stand. In schwarzen Wolken, die gen Himmel schwammen, Erlosch die Sonn' und alles Blau verschwand. Man hört' ein Krachen mit beständ'gem Schalle, Als ob ein großer Donner furchtbar halle. |
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134 | Schrecklicher Chor, graunhafte Harmonie, Angstruf, Geheul, Gekreisch von Damm zu Damme Der armen Menge, die zum Himmel schrie, Daß sie zu solchem Tod ihr Fürst verdamme! Und seltsam tönt darein, so wild wie sie, Der grimm'ge Ton der mörderischen Flamme. Nicht weiter, gnäd'ger Herr, geschwind' ein Schluß! Ich bin so heiser, daß ich ruhen muß. |