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Die Erzählung von einer Ohrfeige

 

I.

Eine große, runde Mondscheibe guckte hinter dem schwarzen, zerzausten Scheunendach hervor, besah sich etwas den Hof und kroch, nachdem sie sich überzeugte, daß nichts Schreckliches zu befürchten war, immer rundlicher werdend, auf das Dach, setzte sich oben auf den First, rund, gelb, lachend.

Alles auf dem Hofe wurde plötzlich weiß, und an den Zäunen und an den Scheunen legten sich schwarze, geheimnisvolle Schatten hin. Es wurde kühl, leicht und frisch. Endlich hatte der heiße, ermüdende Tag ein Ende, und zum erstenmal konnte man mit voller Brust aufatmen.

Im Gemüsegarten, der sich zum Fluß hinzog, wurden die Kohlköpfe silbern, und kleine, runde Schatten duckten sich unter die Köpfe; im Wasser aber, hinter dem Garten, glänzte jetzt eine breite Mondsäule auf, und mit Tausenden von Stimmen erklang der Chor der Frösche, als ob sie Gott weiß was für eine Freude erlebt hätten.

Von der Straße herüber klangen die pfeifenden Töne einer Harmonika, Stimmen und das Lachen der Dorfmädel.

Auf unserem Tisch, der mitten im Hofe stand, sprühten die Gläser jetzt blaue Funken, und die Teemaschine versuchte mit ihrer eingedrückten Seite das runde Mondgesicht widerzuspiegeln; es gelang ihr übrigens ziemlich schlecht, und statt der runden, leuchtenden Visage zeigte sich etwas wie eine lange, gelbe Zitrone.

Die von dem nicht enden wollenden Umherirren in den Sümpfen müden Beine lang ausgestreckt, saßen wir – ich, Doktor Saizew und der Lehrer Milin, an diesem Tisch, und unser Jäger – wie ihn der Doktor stolz betitelte – ein verarmter Kleinbürger mit dem Spitznamen Kürbis – in einem langen, schwarzen, fettigglänzenden Rock, selbst lang und mager, stand bescheiden abseits und hielt sein Glas Tee mit beiden Händen.

Alle Jagdeindrücke des Tages waren schon längst erschöpft, die Erinnerungen ebenfalls und immer noch hatten wir keine Lust, auf dem Heuboden, wo wir gewöhnlich übernachteten, zu klettern: zu schön war die Nacht, und auch der Mond gespensterte in unserer Seele und stöberte mancherlei auf.

Unser Wirt war nicht zu Hause – er war schon abends aufs Feld gefahren. Seine Frau – ein großes, mageres Weib, mit schönen schwarzen und bösen Augen und mit verbundener Wange – bediente uns.

»Nun, Malascha, hast wohl Zahnweh?« fragte ausnahmsweise gutgelaunt der Doktor.

Die schöne Malanja funkelte ihn wütend an, nahm mit einem Ruck die Teemaschine vom Tisch und verschwand im dunklen Vorhaus.

Der Kürbis kicherte ehrerbietig, aber nicht ohne Boshaftigkeit in sich hinein.

»Zahnweh!« murmelte er.

»Ein wütiges Weibsbild!« teilte uns der Doktor mit und zwinkerte uns bedeutungsvoll zu, als ob diese Erklärung etwas Pikantes enthielte. »Sagen Sie mir, bitte, warum ist das Weib um so bösartiger, je schöner es ist ... Die guten Weiber sind immer stumpfsinnig, schwammig, farblos ... und in so einem Schelm sitzen immer tausend Teufel!«

Der Doktor schüttelte halb wehmütig, halb tiefsinnig den Kopf und seufzte.

Unwillkürlich fiel mir seine schöne Frau ein, aber ich schwieg.

»Das ist richtig, in jedem Weib sitzt ein Teufel,« machte sich jetzt der lange Kürbis bemerkbar, die Aeußerung des Doktors auf seine Weise kommentierend.

Malanja huschte an uns vorüber und verschwand durch das Tor.

»Der Mann hat sie verprügelt!« sagte ganz unerwartet der Kürbis und lachte vor Vergnügen.

»Schlägt er sie wirklich?« fragte staunend der stille Milin.

»Warum nicht?« wunderte sich seinerseits der Kürbis. »Wenn man das Weib nicht schlägt ...«

Er stieß einen ausdrucksvollen Pfiff aus und lachte.

»Ein Frauenzimmer muß man schlagen,« fügte er nach kurzem Schweigen belehrend und mit unerschütterlicher Ueberzeugung hinzu.

»Warum schlägt er sie denn, die Malanja ... die so schön ist?« fragte leise Milin.

»Schön! ...« schnaubte entrüstet der Kürbis. »Gerade weil sie schön ist, schlägt er sie!«

Nach dieser rätselhaften Erklärung schwiegen wir alle.

Der Mond drängte sich auf den Tisch und ließ uns keine Ruhe. Die schwarzen bösen Augen der schönen Bauernfrau, die von ihrem Manne geschlagen wird, weil sie schön ist, spukte beunruhigend in unseren Köpfen. Schwermut schlich sich in unsere Gedanken und irgend etwas erregte unser Mitleid.

Der schwarze Setter des Doktors, Dill, kroch unerwartet unter dem Tisch hervor, reckte sich auf seinen vier Beinen, wedelte, ohne sich an irgend jemanden zu wenden, etwas mit dem Schweife und blickte, mit hochgehobenem schmalem Kopfe, aus großen, glänzenden Augen lange den Mond an. Dann seufzte er tief, rollte sich gerade im Staube zu einem Knäuel zusammen, versteckte seine Schnauze unter den Pfoten und beruhigte sich.

»Sie sagen da, daß man ein Weib nicht schlagen darf ...« begann plötzlich der Doktor; »und warum nicht?«

»Selbstredend, warum denn nicht?« fügte entrüstet der Kürbis hinzu.

Milin bewegte mild die Schultern.

»Was ist das für eine Frage, Nikolai Fjodorytsch! ... Eine Frau schlagen ... das wäre, meiner Ansicht nach ...«

»Was wäre es Ihrer Ansicht nach?«

»Nein, das ist doch wirklich ... ich bitte Sie! ...« sagte leise, fast beleidigt, Milin. »Erstens ist das Weib schwächer als Sie, und zweitens ... ach was. Sie wissen ja selbst ...«

»Nichts weiß ich! ... Ich sage ja nicht, daß man die Weiber unbedingt schlagen muß,« unterbrach ihn ungeduldig der Doktor. »So mir nichts – dir nichts schlägt man ja nicht. Aber es gibt ja Fälle, wo man nicht anders kann ... Wenn Sie ein Straßenräuber überfällt – werden Sie ihm da Komplimente machen?«

»Das ist ja auch ein Straßenräuber.«

»Und wenn auch kein Straßenräuber, sondern einfach irgendeiner Ihnen über die Physiognomie drüberfährt, werden Sie sich dann etwa erst erkundigen, ob er auch nicht schwächer ist als Sie?«

»Das ist ganz etwas anderes.«

»Sonderbar!« sprach, ohne auf ihn zu hören, der Doktor weiter, »kann ein Straßendieb nicht zehnmal schwächer sein als Sie? ... Manches Weibsbild kann so einen Kerl um ihren Finger wickeln! ... Folglich wird man also, Ihrer Theorie nach, die Hände in den Schoß legen: hau zu, soviel es dir Vergnügen macht, du bist ja schwächer als ich! ...«

»Um's Himmels willen, Doktor! Da – ein Räuber, hier – ein Weib ... Sie wissen das ebenso gut wie ich und widersprechen nur, um sich und andere zu ärgern! ...« empörte sich Milin, und beim Licht des Mondes sah man deutlich sein krankhaft erstauntes Gesicht.

»Nein, ich weiß es nicht! ... Denken Sie sich nur, ich weiß es nicht! ... Haben Sie denn noch niemals zanksüchtige, blöde, bösartige Weiber gesehen, die sich Ihnen am liebsten auf den Kopf setzen möchten, die danach trachten, Ihr Leben zu vergiften, Ihre Nerven und Ihre Gesundheit zu vernichten? Ein Weib! Wenn du ein Weib bist und von mir eine besondere, ritterliche Einstellung forderst, so benimm dich auch wie eine Dame. Sei ein Weib, aber so, daß ich mit dir ritterlich verkehren kann! Schwächer! ... Dann mußt du's eben wissen, daß du schwächer bist und nicht darauf spekulieren, daß man ein Weib nicht schlagen wird ... Du mußt wissen, daß man zu dir nachsichtig ist, eben deiner Schwäche wegen, aus der Großmut des Stärkeren heraus und nicht ...«

»Das ist eine andere Frage,« unterbrach Milin, jetzt ärgerlich werdend, »aber eine Frau schlagen, ein Wesen schlagen, das viel schwächer ist und nicht zurückhauen kann, ist geradezu scheußlich. Und ich bin überzeugt, daß Sie, trotzdem Sie anderer Ansicht zu sein vorgeben, es nicht über sich bringen würden, eine Frau zu schlagen ... Pfui, Teufel! ... können Sie denn den Mann achten, der sein Weib prügelt?«

Der Doktor lachte höhnisch.

»Achten Sie mich?«

Milin starrte ihn an.

»Was ist das für eine Frage?«

Der Doktor verzog seinen Mund noch höhnischer.

»Nein, antworten Sie mir.«

»Nun, natürlich ... Ich bin überzeugt, daß Sie ...«

»Ihre Ueberzeugung ist ganz unbegründet,« erwiderte schief lächelnd der Doktor. »Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als weiterhin auf Ihre Achtung zu verzichten! ...«

»Haben Sie denn? ...« begann unsicher Milin.

»Ja, das habe ich ... Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich einen Menschen geschlagen und dieser Mensch war ein Weib!«

Milin saß wie versteinert da, wollte etwas sagen, aber nur ein unbestimmter, piepsender Laut kam von seinen Lippen.

Alle waren verlegen.

Der Mond stand schon höher. Jetzt war er klein und weiß. Von der Straße tönten immer noch die Töne einer Harmonika, Stimmen und Lachen. Ganz am Rande des Dorfes schrie jemand durchdringend laut, wahrscheinlich ein Betrunkener. Der schwarze Dill bewegte sich unruhig und nieste, entweder vom Staub oder vom Mondlicht, das ihm gerade in die Nase kroch.

 

II.

»Sie genieren sich anscheinend meinetwegen,« begann der Doktor wieder, »und ich sage Ihnen, das einzige, was ich bei der Erinnerung an diesen Fall empfinde, ist – tiefe, volle Befriedigung ... Und gerade deshalb, weil es nicht irgend so eine symbolische Ohrfeige, sondern eine richtige, wirkliche Maulschelle war, die wie hingeschmissen saß.«

Der Kürbis kicherte.

Milin bewegte verständnislos die Schultern.

»Ich verstehe Sie nicht!« er zog die Worte verächtlich in die Länge und beugte sich tief über den völlig kalten Tee.

Der Doktor schwieg einige Minuten lang.

»Ich habe dennoch keine Lust, auf Ihre Achtung gänzlich zu verzichten, deshalb erzähle ich Ihnen lieber, wie das alles kam ...«

Milin sah ihn erwartungsvoll an.

»Sehen Sie, ich möchte zunächst vorausschicken, daß es schon lange geschehen ist, noch zu den Zeiten, als ich studierte und das verfluchte Leben mich noch nicht blasiert gemacht hatte. Natürlich, jetzt wird mir etwas Aehnliches nicht mehr passieren, aber ich glaube nicht, daß dieser Zustand mir Ehre macht.«

Der Doktor seufzte tief und schien einen Augenblick nachzudenken.

Beim Anblick seines dicken, verfallenen Gesichts dachte ich unwillkürlich:

– Allerdings, jetzt gibt es wohl kaum etwas, das dich aus der Ruhe bringen könnte!

»Nun, also ... Es war den Sommer vor dem dritten Semester. Auf die Empfehlung so einer wohltätigen Dame wurde ich als Hauslehrer bei Professor N. engagiert; ich sollte seiner kleinen Tochter Stunden geben ...«

»N.?« fragte Milin rasch. »Ist es derselbe, der ...«

»Ja, der nämliche ist es ... ›derselbe, welcher‹ ...« wiederholte betonend der Doktor.

»Ja, der war es ... Nun, die Tätigkeit war in jeder Hinsicht beneidenswert: die Gage glänzend, die Lage des Gutes, auf dem der Professor wohnte, war landschaftlich wundervoll, überdies war der Professor eine Autorität und nicht nur für uns, Studenten ... Sein Name war allbekannt, auch im Auslande, und ihn umgab, obgleich er aus bestimmten Gründen schon lange nicht mehr dozierte, oder gerade deshalb, in den Augen der damaligen Jugend eine gewisse Glorie. Die ganze Intelligenz Rußlands begegnete ihm mit der größten Achtung, und er verdiente sie wirklich; denn ganz abgesehen davon, daß er wissenschaftlich Hervorragendes leistete, hatte er einen ehrlichen Mut bewiesen, und das galt damals sehr viel! ...

Alle Kameraden beneideten mich und, ich gestehe, ich war gewissermaßen stolz darauf, als ob ich nicht ein zufällig hinzugezogener Korrepetitor, sondern ihm, dem großen Menschen, wirklich ganz nahe gewesen wäre. Sie können sich ungefähr denken, mit welchem Herzklopfen ich hinreiste und darüber nachdachte, wie ich ihm zeigen würde, daß ich seiner Wahl würdig bin, obgleich man hier von einer Wahl, im Grunde genommen, überhaupt nicht reden konnte ...

Spät abends kam ich an. Der Professor selbst kam mir entgegen, führte mich in einen Seitenflügel des Hauses, in ein für mich bestimmtes, sehr schön eingerichtetes Zimmer, sorgte für Abendessen und Tee, sprach mit mir etwas über die Universität – alles mit so einfachen, gütigen Worten, daß er mich verwirrte: fühlte ich doch, mußte ich doch fühlen, daß ich, verglichen mit ihm, – ein Schuljunge, einfach ein Nichts war ... Und ich schämte mich meiner Absicht, ihn mit glänzenden Fähigkeiten und Qualitäten, die ich nicht hatte, verblüffen zu wollen! ... Jetzt bin ich natürlich kalt und plump geworden, aber damals hatte ich noch den reinen Enthusiasmus und konnte mich für ein menschliches Ingenium wirklich begeistern.«

Milin nickte ihm erfreut und bedeutungsvoll zu.

»Kurz, nachdem er, mir gute Nacht wünschend, gegangen war, befand ich mich in einem Zustande größter Erregung, Begeisterung und sogar Rührung und dachte, daß ein wirklich Großer unter den Menschen gerade so sein und aussehen müsse wie er: einfach, taktvoll, gleichmäßig mit allen, weil er weder etwas zu befürchten, noch jemanden um etwas zu beneiden hat. Und es ging von ihm wirklich etwas Bezauberndes aus, das einen gleich im ersten Augenblick gefangennahm: ein großer, kräftiger, grauhaariger Greis, mit noch ganz jungen, leuchtenden Augen und einem so lieben, gütigen, etwas spöttischen Lächeln, daß man nicht recht wußte, sieht er einen wirklich als erwachsenen Menschen an, oder nur als ein Kind ... Und dieses Lächeln kränkte nicht im geringsten, im Gegenteil, es rührte, wie ein großer, guter und kluger Hund einen rührt, wenn er, mit so einer ernsthaften Miene, nicht wahr? ... sich von einem langohrigen, leichtsinnigen jungen Köter in die Ohren beißen läßt ... Vielleicht ist dieser Vergleich etwas unpassend, aber ...«

Der Doktor war etwas verwirrt, aber Milin half ihm heraus, indem er ihm wieder sympathisierend zunickte.

»Ich war damals, müssen Sie wissen, immer etwas schüchtern, wie überhaupt alle ehrgeizigen jungen Leute, aber mit dem Professor fühlte ich mich von Anfang an so einfach und leicht, daß es mir geradezu seltsam vorkam: Besinne dich, ist es auch wirklich er? ... Nicht die Spur erhaben, ohne jede schulmeisterliche Ueberlegenheit, nichts, außer der großen, milden, allen zugänglichen Seele! ...

Die Nacht schlief ich ausgezeichnet, wie zu Hause, trotz der Nachtigallen, die etwas störten: gerade unter meinem Fenster sangen die Schufte so leidenschaftlich, als ob sie es darauf abgesehen hätten, niemanden in dieser hellen, warmen Nacht schlafen zu lassen. Am anderen Morgen stand ich früh auf, ging in einer wundervoll frischen und lebensfrohen Stimmung zum Fluß, badete und kehrte in das Haus zurück. Es zeigte sich aber, daß ich dennoch etwas zu spät kam: der Professor arbeitete schon in seinem Arbeitszimmer. Seine Frau kam mir entgegen.

Ich dachte, offen gesagt, daß die Frau eines Professors unbedingt eine volle, wohlwollende Dame von etwa vierzig Jahren sein müßte, und war daher sehr verwirrt, als ich auf der Terrasse eine junge, schöne Frau erblickte, mit sehr großen dunkel beschatteten Augen, hellem Haar, in einem duftigen, hellblauen Spitzen-Deshabillé, das Arme und Brust weit offen ließ.

Ich versichere Ihnen, meine Achtung zum Professor war so groß und aufrichtig, daß es mir gar nicht in den Sinn kam, seine Frau so anzusehen, wie man ein Weib ansieht. Fast mit Andacht verbeugte ich mich vor ihr, weil ich in der Einfachheit und Unerfahrenheit meines jungen Herzens annahm, daß eine Frau, die die Frau eines so außergewöhnlichen Menschen ist, ebenso ungewöhnlich, schön und erstaunlich sein müsse! ... Wie sollte es auch anders sein? ... Er war ja ihr der Nächste, mit ihr teilte er alle Freuden und Leiden, den ganzen Ruhm seines großen, von der ganzen Welt geschätzten Lebens.

Es ist wahr, ich zählte erst dreiundzwanzig Jahre, jedes schöne Weib mußte mir Herzklopfen verursachen und anziehend auf mich wirken, aber ich erinnere mich noch, wie ich verwirrt wegsah, wenn ich mich beim Anblick ihrer nackten, wundervollen Arme auf dunklen, unbewußten Empfindungen ertappt hatte; ich hatte ein Gefühl, wie wenn ich eine Blasphemie begangen hätte. Ich kannte damals das Leben noch nicht, wissen Sie,« fügte seufzend der Doktor hinzu.

»Ja, Lidia Michailowna begrüßte mich so heiter und freundlich, als hätten wir uns erst gestern getrennt und seit Jahren gekannt. Meine Verwirrung verflog sehr bald.

Sie schenkte uns beiden – mir und dem Mädchen – den Tee ein, plauderte mit mir über alles mögliche, fragte mich, ob ich etwas brauchte, ob ich eine Braut hätte, führte mich dann ins Schulzimmer, lachte, ließ uns dann allein und ging mit ihrem Sonnenschirm in den Garten.

Ich muß Ihnen gestehen, daß ich sie ganz unwillkürlich mit den Blicken begleitete, und es schien, als ob die junge, lebenslustige Frau in dem frühlingsblühenden Garten das Schönste wäre, das ich in meinem Leben gesehen hätte. Und mein ganzer Aufenthalt bei dem Professor wurde für mich doppelt angenehm, gerade deshalb, weil sie nicht eine volle, wohlwollende Dame von vierzig Jahren war! ... Uebrigens dachte ich damals nicht daran, sondern machte mich eifrig an den Unterricht.

Das Mädchen erwies sich als ungewöhnlich begabt, sanft und gehorsam. Und um uns herum war es erstaunlich schön. Durch die offenen Fenster flutete das Sonnenlicht, die Sperlinge zwitscherten im Garten, auch einen blauen Himmel und grüne Bäume konnte man sehen ... Das Zimmer hatte etwas Besonderes an sich: einfach, bequem, sauber, mit jenem undefinierbaren, nur der tieferen Bildung eigenen Ausdruck, an dem man sofort erkennt, daß hier wirkliche, kluge, gütige und reine Menschen wohnen.

Nur Ninotschka, so hieß meine Schülerin, erschien mir ernster und stiller, als es ihren Jahren entsprach. Sie hatte dieselben großen Augen wie die Mutter, nur etwas dunkler, magere Aermchen und nackte, leicht von der Sonne gebräunte Waden. Obgleich sie ihrer Mutter sehr ähnlich war, erinnerte etwas an ihr doch ganz seltsam stark an den Vater. Ich weiß nicht warum, aber sie erweckte in mir gleich vom ersten Augenblick an ein zärtliches Mitleid. Sie erschien so zerbrechlich und kostbar, daß man fortwährend Angst hatte, ihr irgendwie weh zu tun.

An jenem Morgen habe ich es nicht beachtet – erst später erinnerte ich mich daran: wenn im Garten die laute Stimme Lidia Michailownas erklang, zuckte sie auf, erbleichte und horchte hinaus, mit zum Fenster vorgestrecktem Hals, wie es die kleinen Vögel vor dem Gewitter tun. Nur wenn sie sich überzeugte, daß Lidia Michailowna lachte, beruhigte sie sich wieder und die blassen Wangen durchfärbten sich mit einem schwachen Rot. Schrecklich zerbrechlich war das Mädchen! ... Wo mag sie jetzt sein? ... Ob das Leben wirklich auch sie verunstaltet hat? ... Wahrscheinlich! ...«

Doktor Saizew verstummte und aus irgendeinem Grunde wollte keiner von uns sein Schweigen brechen. Sonderbar, sogar der Kürbis schien betrübt zu sein und seufzte. Flüchtig erwähnt, schwebte über uns die reine Gestalt einer seit ihrer Kindheit gebrochenen Seele. Vielleicht hat es niemand von uns bemerkt, niemand sein eigenes Gefühl verstanden, sich nicht entwirren können in ihm: warum und welche trübklingende Seite er in uns berührt hatte, aber alle waren jetzt schwermütig und alle trauerten um etwas Schönes, das uns Gott gibt und das wir nicht erhalten können, nicht wollen.

 

III.

»Ja–a,« fuhr der Doktor, anscheinend ohne rechte Lust, zu sprechen fort, »viel habe ich während meines Aufenthalts bei dem Professor erleben und erfahren müssen, die ersten Tage aber gingen an mir vorüber in der friedlichsten und angenehmsten Weise. Ich arbeitete mit Ninotschka, plauderte mit Lidia Michailowna, machte Spaziergänge, badete; zuweilen unterhielt ich mich mit dem Professor über die Wissenschaft, über die Literatur und das Leben, aß viel und schlief gut. Und ich sah mir das Leben dieser Menschen an, und glaubte, es müsse ein schönes, weises, ein wirklich menschenwürdiges Leben sein.

Jeder junge Mann erlebt Augenblicke der Enttäuschung und des Zweifels über sich selbst, auch bei mir gab es solche Augenblicke: gewöhnlich begann ich damit, mir mein zukünftiges Leben auszumalen und zwar gerade so, wie es auch geworden ist – das Leben eines Arztes in der Provinz, in einem verlorenen Städtchen, mit Kartenspiel, Klatsch, Schnapsgeruch und schmutzigen, kranken Weibern, und eine solche Schwermut ergriff mich gewöhnlich bei dieser Vorstellung, daß ich mich auf dem ersten besten Ast hätte aufhängen können! ... In diesen scheußlichen Augenblicken fühlte ich immer Haß und Neid gegen diese Menschen aufsteigen: da lebt doch einer, der eine große wundervolle Tätigkeit hat, die ihn berühmt macht, den eine schöne Frau und ein reizendes Kind mit Zärtlichkeiten überhäufen, der auf einem herrlichen Landsitze in einer durchgeistigten Sphäre großen Gedanken lebt ... Warum müssen denn wir, gewöhnlich Alltagsmenschen, uns mit der Perspektive auf eine graue, unmerkliche Existenz, auf eine grenzenlose Langeweile, Trivialität und auf ein spurlos entschwindendes, in das Nichts des Todes gipfelndes Leben begnügen? ... Warum haben die einen alles und die anderen nichts? … Zufall? … Kränkend und ungerecht erschien mir damals dieser Zufall, hol' ihn der Teufel! … Ja …

Bald fühlte ich mich dort wie zu Hause.

Ganz besonders gefiel mir die Art und Weise, wie der Professor mit seiner Frau umging: sie war die uneingeschränkte Herrscherin, nicht nur im Hause, sondern in seinem ganzen Leben; über alles hatte sie zu verfügen, alles gehorchte ihr wie einer Königin. Von ihrer Laune hing alles im Hause ab. Oft riß sie ihren Mann von der dringendsten Arbeit fort, ohne es einmal zu bemerken, und niemals gewahrte ich auf seinem Gesicht auch nur den Schatten einer Unzufriedenheit oder Ungeduld. Und die ganze Welt harrte auf die Resultate seiner Arbeit! … Es rührte mich geradezu, wie dieser große Kopf so freiwillig und ergeben das Joch einer kleinen weiblichen Hand ertrug. Ich war damals noch sehr jung und dachte über das Weib anders als heute …«

»Sehr bedauerlich, daß Ihre Anschauungen sich so verändert haben,« bemerkte Milin nicht ganz ohne Bosheit.

Der Doktor fuhr wie gestochen auf.

»Bedauerlich? … Ja, bedauerlich! … Und darf ich Sie vielleicht fragen, ob jemand anderes als die Frau selbst daran schuld ist? … Achtet sie, schätzt sie jene reine Verehrung, mit der sie von Jünglingen und Dichtern umgeben wird? … Achtet sie sich selbst auch nur so viel, um sich aus jenem reinen, zarten, überirdischen, sozusagen unwirklichen Geschöpf, wie es die Natur selbst erschaffen hatte, nicht in ein schmutziges, kleinliches, neidisches und zanksüchtiges Weib zu verwandeln? … Jedes junge Mädchen ist eine Prinzessin, wie kommt es dann, daß wir später statt der Königinnen nur dumme Weibchen finden? … Wir Männer verbringen unser Leben dumm und zwecklos, wir schlagen es tot am Kartentisch, beim Trinken, in sinnlosen Streitereien und in ewigen Abrechnungen, wir sind schmutzig und banal, verlangen aber auch nicht besonders dafür geschätzt und geachtet zu werden! … Wir wissen, daß wir so sind und drängen uns auch nicht zum Piedestal! … Das Weib aber, all das Gute, das die Natur in sie hineingelegt hat, in den Schmutz tretend, sich in ein bösartiges, verlogenes Weibchen verwandelnd, nicht allein sich, sondern auch den Mann, der die Dummheit gehabt hatte, sich mit ihr einzulassen, schändend, – fordert obendrein von uns angebetet zu werden, spielt sich als die personifizierte Reinheit und Unschuld auf … Ach was! … Statt zu ironisieren, hätten Sie lieber vorher nachdenken sollen, wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen! …«

»Nun, nun …« murmelte begütigend Milin.

»Was – nun, nun! … Statt zu ironisieren, sollte man lieber …«

»Na, hören Sie doch endlich damit auf!«

»Hören Sie auf, hören Sie auf!« kochte, ohne sich beruhigen zu können, der Doktor weiter. »Ich bin ein Mensch, den das Leben plump und banal gemacht hat, ich kann nicht mehr in Verzückung, nicht mehr in helle Begeisterung geraten, ich kann nicht mehr vor lauter Rührung weinen, aber wer hat den ersten Kotklumpen in meine Seele geworfen? Eben dieses selbe unirdische Geschöpf, für das Sie die andächtigste Verehrung beanspruchen.«

Der Doktor schwieg, empört schnaubend.

»Sie sind stehengeblieben …« bemerkte ich vorsichtig.

Der Doktor zuckte noch einmal empört die Achseln, bezwang seine Wut, anscheinend mit dem festen Entschluß, sich nicht weiter darüber zu ärgern.

»Nun, gut … Also … Die ersten Tage meines Aufenthaltes im Hause des Professors versetzten mich in einen Zustand fortdauernder Begeisterung … Die Frühlingslandschaft, der blühende Garten, der geniale Mensch, so einfach und gütig, die reizende, junge Frau, das graziöse Mädchen, alles das war so schön, daß es mir, da ich aus einer plumpen, kleinbürgerlichen Sphäre kam, in der sich die Menschen schimpften und prügelten, – schien, als ob ich in eine ganz ferne Welt, voll funkelnden Glückes, geraten wäre. So müßten alle Menschen sein! dachte ich mit Begeisterung, wenn ich abends in meinem Zimmer war und das heiße Schlagen der Nachtigallen in dem vom Mondlicht übergossenen Garten hörte. Die Nacht mit ihren Nachtigallen, dem Mondlicht, den Sternen und dem schwarz-blauen Himmel umgab mich von allen Seiten, und diese Schönheit der Nacht verschmolz in meiner unbewußten Vorstellung mit der Gestalt der jungen Frau, die mir vor einigen Augenblicken in die Dunkelheit der Nacht lachend nachrief: Gute Nacht!

Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, daß alle sozusagen sündigen Gedanken mir vollkommen fernlagen ... Wie sollte ich auch! Ich war tief davon überzeugt, daß ein Weib, das das Glück hat, von einem so außergewöhnlichen Menschen geliebt zu werden, mich, – den unbedeutenden, kleinen Studenten nicht einmal bemerken würde. Nur kurz vor dem Einschlafen träumte ich von der Möglichkeit, später einmal einer anderen, ähnlichen Frau würdig zu sein. Ich war ganz jung, und diese Träume schienen mir nicht unerfüllbar!

Und das Leben hat mir das auch bewiesen, aber wie! ... Nicht ich erhob mich zu ihr: sie ließ sich zu mir herab. Und wie häßlich, schmutzig, trivial! ... Und als ich das erreichte, wonach ich mich mit der ganzen Reinheit meiner Jugend sehnte, zeigte es sich, daß nichts da war, wonach man sich hätte sehnen, was man hätte anbeten können! ...«

 

IV.

Zwei Wochen waren schon seit meiner Ankunft vergangen.

Als ich einmal vom Spaziergang zum Mittagessen zurückgekehrt war, machte mich die am Tisch herrschende, merkwürdige Stimmung betroffen: der Professor schien ganz verwirrt, Ninotschka sah ängstlich, fast ohne aufzublicken, in ihren Teller und nur zuweilen warf sie einen schüchternen, flehenden Blick auf ihre Mutter. Das Gesicht Lidia Michailownas, das bisher unveränderlich heiter und reizend war, erschreckte mich: auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecke, das Haar war nachlässig und unordentlich, und ihr Blick – trocken, bösartig stechend, wie bei einem Iltis.

Der Professor begann eifrig über die Broschüre Kautskis zu sprechen, aber man sah ihm deutlich an, daß Kautski ihn in diesem Augenblicke nicht im geringsten interessierte, und daß meine Gegenwart ihm schmerzlich peinlich war.

Der Mittag verstrich langweilig und gedrückt. Lidia Michailowna schwieg die ganze Zeit, warf den Dienstboten kurze, abgerissene Worte hin und rückte die Teller nervös hin und her ... Als man die Suppe, die sie gewöhnlich selbst aufschöpfte, brachte, bemerkte ich, wie der Professor sie ängstlich anblickte, als ob er fürchtete, sie werde ihm in Gegenwart eines Fremden keine Suppe geben. Seine Angst war sehr charakteristisch und öffnete mir die Augen über vieles in ihrer wirklichen Beziehung. Mich erfüllten Scham und Schmerz für diese beiden Menschen, und ich schlug die Augen unwillkürlich nieder. Es war klar, daß sie sich gezankt hatten, wie sich ganz gewöhnliche, spießbürgerliche Ehegatten, wie sich irgendein kleiner Beamter und seine Gemahlin zanken, und das erschütterte mich so, daß mich das hoffnungslose Gefühl überkam, als wenn ich etwas unendlich Kostbares verloren hätte.

Einige Male versuchte der Professor sich mit seiner Frau zu unterhalten, aber sie schwieg hartnäckig, indem sie sich den Anschein gab, als ob sie seine Versuche nicht bemerkte. Er gab sich die größte Mühe, einige scherzhafte Bemerkungen zustande zu bringen, aber es gelang ihm zu schlecht, als daß ich darauf hätte eingehen können, und ich litt für ihn, für sie, für die arme Ninotschka und auch für mich, der ich mich plötzlich aus einer lichtvollen Höhe in einen Sumpf gestürzt sah! ...

Nach irgendeiner scherzhaften Bemerkung ihres Mannes stand Lidia Michailowna plötzlich auf, stieß den Teller zurück und verließ, die letzte Beherrschung verlierend, das Zimmer.

Ich versuchte den Anschein zu erwecken, als ob ich es nicht bemerkt hätte, und hob den Blick nicht von meinem Teller. Der Professor war peinlich verwirrt, aber er bezwang sich und sagte:

›Lidia ist nicht ganz wohl ... Ihre Nerven sind sehr zerrüttet.‹

Während er dies sagte, war sein Gesicht ganz rot, und die Augen sahen mich so an, als wenn sie mich anflehten, ihm zu glauben.

In schwere Zweifel verstrickt, ging ich auf mein Zimmer, warf mich aufs Bett, rauchte, dachte nach und kam endlich zu dem Schluß, daß die Anwesenheit eines Dritten Lidia Michailowna hätte bewegen müssen, ihn nicht zum Zeugen ihrer Familienszenen zu machen. Ohne die Ursache ihres Streites zu wissen, fühlte ich doch instinktiv, daß die ganze Schuld auf ihrer Seite war, und in Gedanken an den letzten, flehenden Blick des Professors, sprach ich vor mich hin:

– Wie weich und feinfühlig dieser Mensch doch sein muß! Wie großherzig er zu lieben versteht.

Uebrigens schrieb ich diese erste Szene nur dem Zufall zu. Abends war Lidia Michailowna heiter und ausgelassen wie immer, und der Professor war, wie gewöhnlich, zärtlich und aufmerksam zu ihr.

Aber diese Szenen wiederholten sich immer öfter und öfter! ... Es war jetzt klar: Anfangs genierte Lidia Michailowna meine Gegenwart, aber nach und nach stumpfte sich das ab, und ihre Launen nahmen einen immer häßlicheren Ausdruck an.

Und endlich habe ich begriffen, daß sie einfach ein dummes, launisches und zänkisches Weib war, das außer ihrer eigenen Person nichts in der Welt anerkennen wollte. Sie war tief davon überzeugt, daß ihre Jugend und Schönheit ihr das Recht verleihe, über alles hinwegzusehen und die Wünsche anderer Leute zu ignorieren. Sie achtete niemanden, und ihren Mann, den Professor, noch weniger als irgendeinen anderen. Sie war unfähig, zu verstehen, daß ihr Mann ihr aus Liebe das verzeiht, was er ihr nicht verzeihen sollte. Sie konnte nicht begreifen, daß nur Liebe, Feingefühl und seelische Weichheit ihn daran hinderten, sie gewissermaßen aufzurütteln und dahin zu verweisen, wohin sie gehörte, sondern sie sah es als eine Feigheit seinerseits an, die sie in ihrem Rechtsgefühl bestärkte. Sie ging so weit, daß sie ihn in meiner Gegenwart einen Esel und Idioten schimpfte.

Als es zum erstenmal passierte, traute ich meinen Ohren nicht, und beim Hinausgehen hörte ich, wie sie mit veränderter, brutal-frecher Stimme, an der nichts mehr an die junge, reizende Frau erinnerte, schrie:

›Gut, ich pfeife auf ihn! ... Er kann mir gestohlen bleiben ...‹

Dieses Weib hatte einen entsetzlichen Charakter, sie war halsstarrig, wie es nur ein Frauenzimmer sein kann, und nichts, außer der Angst, konnte auf sie wirken. Sie dachte, daß sie besser, klüger und schöner als alle sei, und vergaß die Auftritte, die sie veranlaßte, mit einer unglaublich frechen Schamlosigkeit, ohne auch nur zu ahnen, daß sie einen Menschen erniedrigte und beleidigte, der millionenmal bester, reiner und höher war als sie.

Meine Gedanken befanden sich jetzt in einem geradezu chaotischen Zustand. Ich konnte absolut nicht kapieren, daß dieser kluge, starke und große Mensch sich vor einem dummen Weibsbild, auch wenn es schöner als ein Himmelsengel wäre, erniedrigte! ... Erst später ging mir ein Licht auf und ich begriff, daß dies der normale Lauf der Dinge auf dieser Welt sei, daß anmaßende, dumme und freche Nichtigkeiten immer über Feingefühl und seelische Differenziertheit siegen müssen, denn mit einer Brutalität kann man nur brutal kämpfen, muß demnach also eine ebenso brutale und freche Bestie sein.

Später erfuhr ich, daß der Professor namenlos litt und froh gewesen wäre, diese Frau zu verlassen, wenn ihn nicht das Mitleid, der Gedanke daran, daß Lidia Michailowna ohne ihn zugrunde gehen würde, daran gehindert hätte. Und er liebte sie! ... Entsetzliches hat ihm diese Liebe aufgebürdet! ... Ein großes, tiefes Gefühl läßt sich nicht wie ein Unkraut herausreißen ...

Ihr aber war alles einerlei. Die Trennung ängstigte sie nicht im geringsten, denn sie war sich ihrer ungewöhnlichen weiblichen Fähigkeiten tief bewußt und hätte keinen Augenblick gezögert, ihre Chancen zu verwerten.

Jeder Tag zeigte mir jetzt eine neue Kehrseite ihres Lebens, und ich fing an, dessen bewußt zu werden, daß von der früheren Achtung nicht die Spur mehr übriggeblieben war, und ich begann den Mann zu verachten, den ich noch vor ganz kurzer Zeit mit der größten Ehrfurcht verehrt hatte. Und das hat dieses Weib fertiggebracht.

Natürlich verschwand auch jene andächtige Verehrung, die mir Lidia Michailowna, die Frau dieses großen Mannes, für sich einflößte. Es ist wahr, sie gefiel mir zwar weniger, ich verachtete sie sogar, aber dafür fühlte ich, daß dies ein Weib sei, das ich, mochte ich sein, wer ich wollte, ganz offen mit meinen Blicken berühren konnte, selbst dann, wenn meine auf sie gerichteten Gedanken von der schmutzigsten Art wären. Ich näherte mich ihr jetzt mit scherzhaft vorgebrachten Zweideutigkeiten, und in der Abwesenheit des Professors steigerte ich sie sogar bis zur Frechheit.

Ich überzeugte mich leider sofort, daß es ihr gefiel. Zu allen ihren Vorzügen kam auch noch die Tendenz nach Ausschweifung hinzu. Sie war von jener kalten, neugierigen Art, wie sie angehende dumme, leichtfertige Kokotten haben, die nichts achten und nichts anerkennen.

Sie war auf ihre Schönheit sehr stolz, auf ihre schlanken Beine und Arme, auf ihre zarte Haut und kleidete sich deshalb in leichte, durchsichtige Gewänder und nahm zuweilen, beim Sitzen, recht kritische Stellungen ein. Der Professor litt offenbar darunter, und ich hörte ihn einmal zu ihr sagen:

›Lidotschka, das geht ja nicht ... du bist ja fast nackt!‹

Lidia Michailowna ertrug keinerlei Bemerkungen; alles, was sie tat, war schön, eigenartig und reizend. Ich glaube, daß sie sich ihrer Fehler sehr wohl bewußt war, aber in der Ueberzeugung lebte, daß selbst sie eigenartig reizvoll seien! ... So denken alle Frauen ... Deshalb empfand sie jede noch so zarte und vorsichtige Bemerkung wie eine Beleidigung.

›Schön, meinetwegen!‹ antwortete sie.

›Aber es ist doch nicht schön?‹ sagte leise mit dem Ausdruck qualvoller Ohnmacht der Professor.

›Alles ist schön!‹ antwortete sie herausfordernd und blöde. ›Ich will so.‹

Und fügte hinzu, offenbar auf eine Entgegnung seinerseits, die ich nicht hören konnte:

›Nun ja, ich werde mich auch ausziehen!‹

Ich ging eilig fort.

Damals stand ich schon anders zu ihr, und diese Worte – nackt, ausziehen – weckten in mir ein unsauberes Gefühl. Ich ging lange im Garten umher, sah zu den Sternen auf, sah die dunklen Bäume, und in der Dunkelheit vor mir schwebte ein nackter, weiblicher Körper – ihr Körper.

Der Professor rief jetzt meinen Namen. Wahrscheinlich wollte er sich überzeugen, daß ich dieses Gespräch nicht mitangehört hätte, oder er wollte wirklich im Garten sein, jedenfalls ging er jetzt neben mir. Ich weiß nicht mehr, worüber wir damals sprachen, aber ich weiß noch, wie ich mich beim Anhören seiner ernsten leisen Stimme über meine vorherigen Gedanken schämte und wie ich mich fürchtete, er könnte sie fühlen oder erraten.

Nachts dachte ich mit jugendlichem Enthusiasmus angestrengt darüber nach, wie man diesem Menschen helfen, wie man ihm die Augen über seine Frau öffnen könnte. Ich glaubte immer, daß er sich über sie Illusionen machte und ihre Banalität und Leichtfertigkeit nicht sah. Ich war natürlich sehr naiv, aber die Gedanken, die mich erfüllten, waren gut und rein.

Und dennoch kam es ganz anders! ... Ich stürzte selbst in jenen Schmutz, aus dem ich den andern retten wollte, und nur dieses verfluchte Weib ist daran schuld! ... Es kam so: Eines Abends schlug mir Lidia Michailowna vor, zu rudern. Hinterm Garten war ein breiter und ruhiger Fluß ... Auch Wald gab es dort; auf dem einen Ufer – dunkle Eichen, auf dem andern – Schilf und Erlenhaine.

Ich saß an den Rudern, Lidia Michailowna am Steuer. Sie hatte einen langfließenden dünnen Mantel an, der über das Hemd, oder direkt über den bloßen Körper geworfen war. Unter diesem schlafrockähnlichen Gewand konnte man ihren Körper deutlich erkennen, stellenweise schimmerte sogar die Haut durch und das regte mich auf. Die Dämmerung stieg herab und ich hatte das Gefühl, als ob ihre dunkel beschatteten Augen mich die ganze Zeit ansehen. Ihren Ausdruck konnte ich nicht erkennen, und sie erschien mir rätselhaft, wie eine Nymphe.

Es fing damit an, daß Lidia Michailowna mich fragte, welche Frauen mir besonders gefielen. Sie interessierten überhaupt nur solche Themata! ... Dieses Gespräch regte mich noch mehr auf und instinktiv bemühte ich mich, sie nicht anzusehen.

›Nun, und ich, gefalle ich Ihnen?‹ fragte sie mich unerwartet und lachte. Das Lachen war nicht schön ...

Wahrscheinlich bin ich ordentlich rot geworden, denn ich fühlte plötzlich eine unerträgliche Hitze. Aber ich wollte tapfer und männlich sein und antwortete etwas plump:

›Sehr!‹

›Also doch!‹ Sie lachte laut und spritzte mir Wasser ins Gesicht.

Dann sprachen wir über einen Moderoman, dessen Held seine Angebetete zufällig im Badehaus sah. Ich will noch hinzufügen, daß wir in der letzten Zeit nur in Gegenwart des Professors und der kleinen Ninotschka über andere Dinge sprachen, sobald wir aber allein waren, lenkte Lidia Michailowna das Gespräch sofort auf Liebe, Flirt und Aehnliches. Darüber war ich mir schon klar: ich gefalle ihr, meine Jugend und Frische kitzeln ihre Nerven; ein scheußliches Gefühl, wie wenn ich im Begriff sei, die größte Gemeinheit zu begehen, gab mir keine Ruhe. Aber meine Jahre behielten die Oberhand und ich konnte nicht auf diese Gespräche verzichten.

Und als wir am Badehause, das am Ufer unter den Eichen weißlich schimmerte, vorbeiruderten, kam es plötzlich so, daß wir beide in seiner Richtung hinsehen mußten, und wahrscheinlich ging uns derselbe Gedanke durch den Kopf. Dieser Gedanke erschreckte mich, als ob ich in einen Abgrund gesehen hätte, ich fühlte, wie mir schwindelig wurde.

›Und würden Sie mich gerne sehen ... wie ich bade?‹ fragte plötzlich Lidia Michailowna und lachte wieder etwas unsicher.

›Ja!‹ antwortete ich mit Ueberwindung und ruderte aus aller Kraft weiter.

Ziemlich lange glitten wir schweigend dahin. Ich fühlte, wie meine Hände und Arme zitterten und wie sich in meinem ganzen Körper ein süßes Ermatten verbreitete. Lidia Michailowna saß unbeweglich, eine ihrer Hände tauchte ins Wasser. Sie schwieg. Sie dachte angestrengt nach ... Und ich fürchtete, ihre Gedanken zu erraten.

Der Fluß machte jetzt eine scharfe Biegung, weiterhin dehnten sich die Felder aus und ein großes Dorf.

›Fahren wir zurück,‹ sagte wie wach werdend Lidia Michailowna.

Gehorsam wendete ich das Boot, und wir schwammen wieder in den Wald hinein. Es war schon ziemlich dunkel. Als wir wieder an dem Badehaus vorbeifuhren, reckte sich Lidia Michailowna und sagte, seitwärts blickend:

›Wissen Sie, ich würde jetzt wirklich gern baden. Es ist sehr schön, am Abend zu baden. Man fühlt sich wie eine Nymphe und es scheint einem immer, als ob hinter den Büschen irgendein Faun lauerte.‹

Das Gefühl, das mich jetzt beherrschte, war einem Schrecken ähnlich. In diesem Augenblick wußte ich schon, was kommen würde, und verlor ganz den Kopf. Ich fand es schwül ...

›Rudern Sie doch endlich hin!‹ sagte sie ungeduldig, anscheinend darüber ärgerlich, daß ich so unsicher war.

Es war nichts zu machen, ich ruderte ans Ufer und erbebte, als das Boot auf dem Sand knirschend anstieß.

Sie verschwand im Badehause, ich blieb am Boot. Es war jetzt ganz finster, ringsherum ragten dunkle, gespenstische Bäume auf, das Wasser war auch so seltsam, und auf dessen Oberfläche schwankte die Spiegelung des ersten Sternes. Vom Badehause tönte ein Geräusch herüber, dann ein Plätschern, und mitten auf dem Fluß, von den schwarzen Ufern hell abstechend, zeigte sich der Kopf Lidia Michailownas.

Ich konnte meine Augen nicht von diesem Punkt wegwenden. Unterm Wasser erriet ich ihren Körper und mich schmerzte geradezu die entzündete, erregte Vorstellung.

Lidia Michailowna schwamm jetzt zurück und verschwand im Badehause. Das Plätschern hörte auf. Sie war aus dem Wasser gestiegen. Ich kann es Ihnen nicht beschreiben, was ich in jenen Augenblicken durchlebt habe; ich wußte, sie will, daß ich zu ihr komme, ich sagte mir, daß so ein Augenblick sich wahrscheinlich niemals wiederholen würde, daß man die gute Gelegenheit ausnützen müsse, und dennoch suchte ich mir gleichzeitig einzureden, ich sei einfach übergeschnappt, stünde unter dem Druck unsauberer Vorstellungen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätten ... Jetzt rief sie mich:

Ich erkannte ihre Stimme nicht, so seltsam erschien sie mir, und antwortete ebenfalls mit einer ganz fremden Stimme und einem mir nicht eigenen Tonfall.

›Warum hört man Sie gar nicht? Sind Sie hier? ... Ich habe Angst!‹ rief sie.

Dann stand ich auf und ging hin ... Sie stieß einen Schrei aus, als sie mich im Badehaus sah, und winkte abwehrend mit den Händen.

›Nicht, nicht, ich bin noch nicht angekleidet!‹

Aber ich konnte jetzt nicht mehr zurück, ich glaube, daß ich mich ihr, sie dumm anlächelnd, Schritt für Schritt langsam näherte. Lidia Michailowna hatte ihren Schlafrock schon umgeworfen, aber ich sah gleich, daß sie sonst nichts anhatte, daß das Kleid absichtlich nachlässig den nackten Körper einhüllte, und daß ihr Hemd auf der Bank lag. Ich stand jetzt schweigend vor ihr. Ebenso schweigend stieß sie mich zurück, ohne ihre dunklen, rätselhaften Augen von mir zu wenden, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war bösartig wie bei einem Tiere. Aber als ich ihre Schultern entblößt hatte, ließ sie das Kleid ganz ohne Widerstand fallen und es glitt fast zu schnell und leicht zu ihren Füßen.

Ich nahm sie gleich dort auf der schmalen, unbequemen und harten Bank, in einem Badehause, wo es nach Wasser roch, und als es zu Ende war, setzte ich mich auf eine andere Bank und zündete mir eine Zigarette an. Sprechen konnte ich nicht. Sie zog sich schnell in meiner Gegenwart an und ich fühlte eine brennende Lust, gemischt mit Ekel, weil ich jetzt das Recht hatte, so dazusitzen und zuzusehen, wie sie sich ankleidete.

Den ganzen Weg schwiegen wir, nur als wir aus dem Boot ausstiegen, sagte Lidia Michailowna:

›Was haben wir nur angestellt? ...‹

Ich antwortete ganz blöde:

›Nichts! ...‹

Sie drohte mir kokett mit dem Finger, schüttelte den Kopf und ging auf das Haus zu.

Auf der Terrasse brannte die Lampe, der Professor und Ninotschka tranken Tee.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich ihnen in die Augen sehen würde, aber Lidia Michailowna rettete mich aus der Situation, indem sie rasch voranschritt und im harmlosesten Ton ausrief:

›Da sind wir!‹

›Habt ihr euch ausgetobt?‹ fragte freundlich der Professor.

Sie begann zu erzählen, wo wir waren. Ich sah sie währenddessen an und empfand etwas wie eine staunende Angst; wie kann sie nur so leicht und heiter sprechen, ihrem Mann und ihrer Tochter so zulächeln, wenn sie sich mir eben erst hingegeben hatte? ... Wissen Sie, oft kam ich später noch in die Lage, die Männer mit ihren Frauen zu betrügen, und jedesmal verblüffte mich jene Leichtigkeit, jene Virtuosität, mit der die Frauen zu lügen verstehen ... Nicht nur mit Worten allein logen sie, sie logen mit ihrer Stimme, mit ihren Bewegungen, mit ihrem Lachen, mit jedem Quadratmillimeter ihres Körpers ... Und wie logen sie! ... Mit welchem Genuß! ...

Ja, nach diesem ersten Anfang dauerte unsere Beziehung noch lange fort. Es war ein scheußliches, jeden Gefühls bares Verhältnis, einfach, weil ich ein Weib brauchte, und ihr meine Jugend und Frische gefielen. Und dennoch empfand ich mit meiner Unverdorbenheit und Knabenhaftigkeit diesen Zustand als Last und versuchte zu glauben, daß wir uns trotz allem liebten. Einst sagte ich ihr sogar, daß mich ein derartiges Verhältnis nicht befriedigt, und drückte mich dabei ziemlich grob aus: ›sie brauchte nur das eine!‹

Lidia Michailowna sah mich mit dem Ausdruck aufrichtigster Verachtung an und quälte mich dann drei Tage lang, indem sie mir die Zärtlichkeiten versagte. Als ich sie doch dazu zu bewegen suchte und ihr damit keine Ruhe ließ, wiederholte sie jedesmal hämisch:

›Wozu? Sie brauchen es ja nicht! Das ist ja Schmutz!‹

Und sie brachte mich wirklich so weit, daß ich bereit war, alle Ueberzeugungen aufzugeben, nur um sie wieder zu besitzen. Und sie gab mir nach, aber mit einem solchen Ausdruck, als ob ich ihrer Herablassung gar nicht würdig gewesen wäre.

Sonderbar, ich fühlte mich zu ihr unwiderstehlich hingezogen und verachtete sie gleichzeitig aus ganzer Seele. Jedesmal, wenn sie mich verließ, empfand ich geradezu einen Ekel und gab mir das Wort, die Beziehung zu ihr abzubrechen, trotzdem ich ganz deutlich sah, daß nichts daraus werden würde, und daß ich morgen dasselbe zu erreichen streben werde ...

Auch die Beziehungen zu Ninotschka und zu dem Professor quälten mich. Wenn ich mich dem Mädchen näherte, schien es mir, wie wenn ich es mit scheußlichem Schmutz besudeln würde, und wenn der Professor, wie früher, mild und freundlich aufmerksam mit mir sprach, stotterte ich, wurde blaß und rot und führte mich wahrscheinlich unverzeihlich dumm auf, so daß er sogar ein Staunen nicht unterdrücken konnte. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, verachtete mich und begann ihn deshalb sogar zu hassen. Zuweilen schmeichelte mir der Gedanke, daß ich ihn betrüge ... Du bist zwar ein großer Mann, ein berühmter Gelehrter, und ich – ein Nichts, ein kleiner Student, und dennoch gehört deine Frau mir! Es war mir ein Genuß, ihn in meinen Augen zu erniedrigen und mich auf diese Weise für meine eigene Gemeinheit zu rächen. Und er – sah nichts, war ebenso freundlich zu mir und betete seine Lidia Michailowna wie früher an.

Ach, dieses gemeine Weib ... Anfangs hatte sie etwas Angst, dann aber wurde sie so frech, daß sie fast unter seinen Augen die unglaublichsten Dinge machte. Wahrscheinlich bereitete ihr das Riskieren einen ganz besonderen Genuß.

Einmal, ich erinnere mich noch, trat der Professor auf einen Augenblick auf die Terrasse, und sie setzte sich zu mir mit der Absicht, mich zu küssen, ich erschrak und wehrte ihr ab, während sie, belustigt über meine Angst, mich absichtlich umständlich umarmte ... In diesem Augenblick trat der Professor so schnell in das Zimmer, daß sie kaum Zeit hatte, sich auf den Nebenstuhl zu werfen, wobei sie ihn fast verfehlt hätte ... Wahrscheinlich hatte er etwas bemerkt, denn er drehte sich kurz um und ging hinaus.

Einige Minuten saßen wir schweigend nebeneinander, ohne den Mut zu haben, uns anzusehen. Dann stand sie auf und ging ihm nach, wahrend mich keine Gewalt hätte vom Stuhl wegbringen können ... Ich saß, ohne mich zu rühren, und begann, ich weiß nicht warum, zu husten ... Wissen Sie, auch jetzt noch, wenn ich an dieses Husten denke, steigt mir das Blut zu Kopf! ...

Ich hörte, wie sie schnell und gereizt sprachen, und fühlte mich mit jeder Sekunde unerträglicher ... Dann trat sie in das Zimmer und rief mich, wie wenn nichts geschehen wäre, zum Tee.

Der Professor war erregt, aber zu mir, wie gewöhnlich, freundlich, nur schien es mir, als ob er schon etwas zu freundlich wäre.

Später erfuhr ich von ihr, daß sie ihm allein in allem die Schuld gegeben hatte; es zeigte sich, daß er unter unsauberen Vorstellungen leide, daß sie einfach erschrocken aufgefahren wäre, als er so plötzlich und unvermutet ins Zimmer getreten sei, und daß er das so unvermutet getan habe, sei geradezu dumm und widerwärtig, denn ich hätte wirklich denken können, daß er allen Ernstes auf mich eifersüchtig sei ... Kurz und gut, sie verwickelte ihn so, daß der arme Professor alles Besserwissen aufgeben mußte und sie um Verzeihung bat, zu mir aber doppelt freundlich und aufmerksam wurde.

Das spielte sich öfters ab, und immer drehte sie die Sache so, daß sie aus der heikelsten Situation reiner wie Bergschnee hervorging ... Und wissen Sie, sie glaubte tatsächlich selbst an ihre Reinheit! ... Sie lachen? Bei Gott, sie glaubte wirklich an ihre Unschuld ... Wissen Sie, ich kann es Ihnen beweisen, ich fragte sie einmal:

›Hegt Ihr Mann keinen Verdacht?‹

›Es fällt ihm nicht im Traum ein, dazu kennt er mich zu gut,‹ sagte sie mit einem großartigen Hochmut. Können Sie das begreifen, sie sagt mir, ihrem Liebhaber, daß ihr Mann sie zu gut kennt, um auf den Verdacht zu kommen, sie hätte einen Liebhaber! ...

Nun, auf diese Weise verging fast der ganze Sommer, bis endlich die Katastrophe eintrat.

Ich muß Ihnen sagen, daß ich diese Beziehung endlich satt hatte, sie wurde mir zu einer Last mit ihrer kalten Sinnlichkeit! ... Ekelhaft war das! ... Wir begannen uns zu zanken, tagelang sprachen wir nicht, und während dieser Zeiten wurde sie zu einer wahren Furie ... Geradezu furchtbar: Alle Konflikte mit ihrem Geliebten rächte sie an ihrem Manne. Er sah, wie sie nervös war, wendete von ihr kein Auge, und sie machte ihm Szenen, weil sie sie mir nicht machen durfte. Das Leben war nicht zum Aushalten. Ninotschka schrumpfte in ihrer fortwährenden Angst geradezu ein, der Professor büßte seine ganze harmonische Ruhe ein, sie wurde aber von Tag zu Tag unmöglicher und frecher und ging endlich so weit, daß sie sich mit mir in seiner Gegenwart offen herumzankte. Ich begreife es einfach nicht, daß er nicht auf den wahren Sachverhalt kam! ... Liebe! ... Zu entsetzlich war ihm wahrscheinlich diese Möglichkeit.

Eines Abends kam der Professor gelegentlich zu mir und zündete sich eine Zigarette an. Mild und vorsichtig begann er mich auszufragen über mein Leben und über meine Absichten. Ich log ihm, daß ich eine Braut hätte. Er lächelte traurig.

›Ach mein Lieber, mein Lieber! ... Auch Sie werden etwas durchmachen müssen, was jedem von uns bevorsteht ... Es ist nicht zu umgehen. Aber denken Sie nur an das eine: Die Liebe zu einem Weibe darf niemals der Hauptinhalt in dem Leben des Mannes werden. Das Weib ist ein Wesen einer anderen Welt. Sie versteht nicht, was das Leben eines Mannes ausfüllen kann und muß. Daher alles Leiden und Elend im Eheleben. Ein Weib vergiftet Ihnen die Seele, zerstört Ihr Herz, trivialisiert Ihre Vernunft, bricht Ihren Stolz und macht das alles so reizend und graziös, daß Sie's kaum bemerken. Fürchten Sie die Liebe, mein Lieber, sie stiehlt sich in Sie hinein und wächst sich zu etwas aus, das stärker ist, als Wille, Vernunft und Gewissen. Es gibt eine Parasitenpflanze; sie erscheint auf der Rinde eines großen Baumes in der Form eines unmerklichen, zarten Flaumes, der anfangs unglaublich schwach und hilflos scheint, aber sobald er sich festgesetzt hat, schlägt er seine Wurzeln rasch und tief in das lebendige Fleisch, frißt sich durch die dickste Rinde hindurch, durchsetzt den ganzen Baum, trocknet und zerstört ihn ... So auch das Weib: wenn sie sich einem Manne nähert, klingt sie wie eine Harfe, seine Gedanken begleitend, fühlt mit seinen Gefühlen, mit der Geschicklichkeit eines Chamäleons übernimmt sie alles, was ihm teuer und heilig ist, und wenn sie so weit ist, da wirft sie die Maske ab und entpuppt sich in ihrer ganzen Brutalität, Geschmacklosigkeit und Bosheit ... Und wenn die Wurzeln der Liebe schon in das Herz gedrungen sind, dann verunstaltet sie nicht nur das Leben eines Menschen, sondern ihn selbst; das, was er liebte, lehrt sie ihn hassen, das, was er achtete, zwingt sie ihn zu verachten, weckt in dem großzügigsten, männlichsten Herz Kleinlichkeit, Gier, Eigennutz und Alltäglichkeit ... Fürchten Sie die Liebe eines Weibes!‹

So oder fast so sprach der Professor, und seinem Gesichte konnte man es ansehen, daß er mit sich selber spricht, fast ohne mich zu bemerken, im schweren Augenblick eines seelischen Gebrochenseins.

Ich hörte wie geschlagen zu! ... Besonders peinigte mich der Satz:

›Zwingt zu verachten, was geachtet wurde!‹

Ich erinnerte mich meines früheren, reinen und schönen Verhältnisses zu ihm und jenes kleinen, widerlichen Gefühls, mit dem ich in meiner Seele die Befriedigung über den Betrug, seine Erniedrigung und meine Ueberlegenheit durch den Besitz seiner Frau zu kämmen pflegte.

Nachdem er wegging, fühlte ich mich wie sehend geworden. Ich sah mich in meiner ganzen Niedertracht und Gemeinheit, verfluchte Lidia Michailowna und schwor zum hundertstenmal, aber jetzt aus ganzer Seele, dieses Haus zu verlassen.

Nachts kletterte sie wie gewöhnlich aus dem Fenster ihres Schlafzimmers und kam zu mir, nackt, schamlos, triumphierend ... Lachend erzählte sie mir, wie sie ihrem Manne einen zufällig aufgetauchten Verdacht ausgetrieben hatte. Ich warf sie hinaus ...

Wir waren schon total auseinander, als sie einmal beim Mittagessen, kochend vor innerer Wut, an Ninotschka ihre schlechte Laune auszulassen begann, der Professor nahm das erschreckte, weinende Mädchen in Schutz, Lidia Michailowna begann zu schreien, ihn, wie eine Köchin, mit Schimpfworten überschüttend. Etwas geschah in dem Augenblick. Ich kann mich nicht entsinnen, was, aber ich weiß noch, daß der Mann ihr etwas sagte, worauf sie ihm einen Teller an den Kopf warf.

Sie saß neben mir, und in dem Moment, als sie den Teller warf, krampfte sich mir die Kehle zusammen, und vor Wut ganz ohne Besinnung schlug ich sie aus aller Kraft auf die Wange ...

Sie fiel hin, wild und häßlich schreiend ... Und ohne ihnen die Zeit zur Besinnung zu geben, schrie ich, selbst laut weinend:

›Sie ist meine Geliebte ... Verfluchtes Weib! ... Geschieht ihr recht! ...‹

Ich stürzte hinaus ... Packte meine Tasche und ging zu Fuß zur Eisenbahnstation.«

 

V.

Nach der Erzählung des Doktors kam die Unterhaltung nicht mehr in Fluß, und wir beschlossen, schlafen zu gehen.

Das Lager bereitete man uns auf dem Heuboden, auf frischem, duftendem Heu. Der Doktor schnarchte sehr bald, ich lag auf dem Rücken, betrachtete die schmalen Streifen des Mondlichts, die auf der gegenüberliegenden Wand lagen, und dachte über den Professor, über seine Frau, über die Männer und Frauen im allgemeinen, und wie das Leben doch absurd und sinnlos sei.

Wahrscheinlich konnte auch Milin nicht schlafen, denn er wälzte sich fortwährend von einer Seite auf die andere, als plagten ihn Flöhe.

Halb und halb schlief ich schon, als ich ein Geräusch hörte und anscheinend leise Stimmen. Ich öffnete die Augen und erblickte Milin, der die Türe des Schuppens behutsam öffnete.

»Wohin wollen Sie?« fragte ich schläfrig.

»Es ist schwül, ich gehe etwas auf den Hof,« antwortete er und trat hinaus.

Wahrscheinlich bin ich gleich wieder eingeschlafen und schlief lange. Ich erwachte von dem Knarren der Türe. Jemand sprang jetzt in den Schuppen. Es war Milin. Es war schon fast Morgen, und die Spalten im Schuppen waren ganz hell. Ich hatte den Eindruck, als ob die Gesichtszüge Milins ängstlich und bleich waren. Uebrigens mochte das auch das bläulich-weißliche Licht des Morgens verschuldet haben.

Milin tauchte eilig in das Stroh, deckte sich bis über den Kopf mit dem Mantel zu und wurde still, ich hatte das Gefühl, als ob er den Atem anhielte.

Auf dem Hofe erkannte ich das Knarren eines Wagens, Schnauben eines Pferdes und zwei Stimmen: eine grobe männliche und eine kreischende weibliche – die der schönen Malanja.

Wahrscheinlich ist der Bauer zurückgekehrt, – überlegte ich.

Die Stimmen schienen sich zu zanken. Die männliche summte drohend, die weibliche verteidigte sich, und man konnte hören, wie verlogen und ausweichend sie war.

Nach und nach wurde die männliche Stimme ruhiger, und die weibliche klang jetzt zärtlich und verschmolz endlich in einen schnurrenden Brustton. Dann wurde alles still.

Der Doktor hörte nichts. Milin rührte sich nicht unter seinem Mantel, und als auf dem Hofe wieder alles ganz still wurde, murmelte der Kürbis, der etwas abseits lag, mit einem schweren Seufzer:

»Das verdammte Weib! ...«

Milin bewegte sich unter seinem Mantel, aber sagte nichts.

Der Morgen leuchtete jetzt blendend durch die undichten Wände. Oben unter dem Giebel spektakelten die Spatzen. Irgendwo, ganz nahe, krähte betäubend ein Hahn.


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