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Die Braut im Sarge.

Ein junger Mann aus S—n – er mag hier Arnold heißen – lebte nach beendigten Studien im Hause des mehr als wohlhabenden Kammerraths * zu **, einer bedeutenden sch—sischen Stadt. Er hatte die wissenschaftliche und moralische Bildung von des Kammerraths einzigem Sohne zu besorgen, und erfreute sich eines recht angenehmen Verhältnisses mit der so geachteten, als achtungswerthen Familie.

Ueber der sorgenlosen Gegenwart vergaß er indessen auch seine Zukunft nicht, und diese war es hauptsächlich, was ihm eine Reise in seine Vaterstadt Dr—n wünschenswerth machte. Als Theolog, hoffte er nämlich mit der Zeit auf eine Predigerstelle in S—n, und fand es rathsam, sich nach zweijähriger Abwesenheit seinen Gönnern im Konsistorium wieder einmal persönlich zu zeigen.

Der Kammerrath, dem er diesen Wunsch äußerte, gewährte ihn sogleich. Arnold reisete und kehrte in drei Wochen nach ** zurück, wo man indessen seine fast immer gleiche Heiterkeit und einen Humor, der manchen einförmigen Abend glücklich umzugestalten und zu beleben pflegte, außerordentlich vermißt hatte. Seine Rückkehr war ein häusliches Fest. Die Kammerräthin hatte einen kleinen Zirkel Bekannter zusammen gebeten, und die jugendliche Ungeduld hatte Fritz, ihren Sohn, einmal über das andere nach dem Thore geschickt, um seinem Lehrer das erste Willkommen entgegen zu bringen.

Dieser traf jedoch, durch allerlei zufällige Verhinderungen unterwegs aufgehalten, viel später ein, als er erwartet worden war. Die deshalb unwillkührlich entstandene Verstimmung wurde auch durch seine Ankunft nicht gehoben, weil man sich schon auf eine Menge angenehmer Reiseabentheuer gefaßt gemacht hatte, der Angekommene aber grade diesmal so einsilbig erschien, wie noch niemand sich erinnerte, ihn gesehen zu haben. Wenn indessen auch das Zusammentreffen mehrerer unbefriedigter Erwartungen ein stilles Mißbehagen veranlaßte, so war doch niemand unbillig genug, um solches auf Arnolds Rechnung zu setzen, am wenigsten die Familie, welche die tausend Hindernisse, wodurch Reisende oft aufgehalten werden, aus Erfahrung kannte, und übrigens die Wortkargheit des jungen Mannes aus seiner Müdigkeit, über welche er obendrein klagte, sich recht natürlich zu erklären wußte.

Allein nach acht Tagen reichte diese Erklärung freilich nicht weiter hin. Gleichwohl vermißte man Arnolds vormals so glücklichen Humor noch immer. Der sonst ohne eigentliche Bekümmerniß um die Zukunft der Gegenwart genießende Jüngling beschwerte sich jetzt zuweilen darüber, daß es in S—n eine Ewigkeit daure, ehe der Kandidat eine leidliche Predigerstelle erlange. Er gerieth durch diese Klagen um so mehr in Widerspruch mit sich selbst, da er, vor seiner letzten Reise, zufrieden gewesen war, in vier bis fünf Jahren eine solche Stelle zu erhalten, und er jetzt aus Dr—n die ziemlich gewisse Versichrung mitbrachte, schon in zwei Jahren dazu zu gelangen.

Den meisten Aufschluß hierüber glaubte der Kammerrath und dessen Gattin noch in den Briefen zu finden, welche jetzt fast posttäglich gingen und kamen. Die Liebe schien im Spiele zu seyn. Arnolds Freude über die ankommenden Briefe, die Hast, mit der er danach fragte und auf die Post schickte, alles dies verstärkte das Gewicht dieser Muthmaßung. Wenn auch die Briefe, welche er absendete, jederzeit an einen Mann addressirt wurden, so war dies doch allem Anscheine nach nur eine Vermäntelung der Sache, auch überdies die weibliche Hand auf denen, welche an ihn eingingen, unverkennbar. Da er sich indessen nicht im mindesten über die so plötzlich eingetretene starke Korrespondenz äußerte, so erwähnte auch derselben im Hause niemand. Selbst der sonst in solchen Fällen so gewöhnlichen Neckereien enthielt man sich, eines Theils, weil die Sache auf Arnolds Stimmung einen zu verdrüßlichen Einfluß gehabt hätte, andern Theils, weil sein Prinzipal sowohl, als dessen Gattin, sich zu einem größern Vertrauen des jungen Mannes, selbst in einer solchen Angelegenheit, für berechtigt hielten, und sie zu stolz waren, diese Rechte, die ihnen sonach verweigert wurden, auch nur mit einem Laute zu berühren. Diese Resignation kostete ihnen um so mehr Ueberwindung, da sie fast auf eine unwürdige Neigung schließen mußten. Allein sie freuten sich ihres zeitherigen Schweigens gar bald recht sehr, als sie gewahr wurden, daß die Korrespondenz allmählig immer mehr an Eifer und Stärke zu verliern schien, und schon ein Monat verstrichen war, ohne daß Briefe ankamen oder abgingen. Die Heftigkeit der Leidenschaft schien vorüber, und man hoffte, daß Arnolds alte Heiterkeit nach und nach wieder erwachen werde.

Allein auch diese Hoffnung starb gleich mancher andern in ihrer Blüte.

An einem ungewöhnlich warmen und schönen Herbstabende, als er mit seinem Zöglinge vom Spaziergang nach Hause kam, hörte er, daß Kammerraths und einige ihrer Freunde das Abendessen in der Gartenlaube einnehmen wollten, und daß er und Fritz ebenfalls dort erwartet würden. Als er den Zirkel in der Laube in einer recht frohen Stimmung fand, war es ihm grade, als ob er weinen solle, ein Zustand, worein ihn neuerlich die Fröhlichkeit Anderer gar oft versetzte. Bald strömten ihm die Thränen wirklich aus den Augen.

Er wünschte sich der Beobachtung der Anwesenden einen Augenblick zu entziehen und unbemerkt die Augen zu trocknen, daher trat er mit seinem Hut aus der Laube, um diesen draußen an einen hervorstehenden dürren Ast derselben zu hängen. Als aber der Hut wieder herunter gefallen war, wiederholte er es, doch er blieb eben so wenig. Verdrüßlich, daß der Ast, den er oft zu demselben Zwecke benutzt hatte, diesmal so widerspenstig erschien, wollte er schon den dritten Versuch machen. Da stürzte er plötzlich mit einem Tone des Entsetzens zur Erde. Wer in der Laube war, eilte erschrocken heraus. Aber die gänzliche Erstarrung, in der er lag, war nicht zu heben, so daß er hinweg auf sein Bette getragen werden mußte.

Hier entdeckte der herbeigerufene Arzt erst nach Anwendung eines heftigen Reizmittels wieder einige Regung in dem jungen Manne. Auch schlug dieser endlich die Augen, jedoch nur langsam auf, und als ob er eine sehr gewagte Probe damit versuche, indem er beide Hände so vor sich hinstreckte, wie einer, der etwas Furchtbares abhalten will.

Der Ort und die Umgebung schienen ihn wenigstens in etwas zu beruhigen. Er richtete sich im Bette auf. Nachdem er alle Ecken des Zimmers mit Blicken durchsucht hatte, grüßte er den Arzt und bestrebte sich aufzustehn. Jedoch so weit reichten seine Kräfte noch nicht. Der verwunderte Arzt wünschte zu wissen was ihm wiederfahren sei. Arnold ergriff seine Hand, drückte sie, und bat mit den Augen um Vergebung, daß er die Antwort zurückhalten müsse. Zugleich äußerte er seine Zweifel gegen die Wirkung aller ärztlichen Mittel auf seinen Zustand.

Schon diese Zweifel, erwiederte der Arzt freundlich, können vielleicht mit zu Ihrer Krankheit gehören.

Arnold zuckte die Achseln. Der Doktor sagte hierauf, daß er für diesmal nicht weiter in ihn dringen wolle, verschrieb indessen einige Beruhigungsmittel und bat, daß der Kranke seine Zweifel wenigstens soweit bei Seite setzen möchte, um diese Mittel, nach denen sogleich geschickt wurde, nicht unbenutzt zu lassen. Arnold versprach es.

Von der Gesellschaft in der Laube kamen indessen ebenfalls Besuche. Mitleid und Neugier, oder vielmehr beide zugleich, veranlaßten jedermann zu Fragen. Aber Arnold befriedigte keine davon. Nur dem Hausherrn, sagte er, könne er das Geheimniß unter vier Augen entdecken.

Auf diese Aeußerung stellte sich sogleich der überaus theilnehmende Kammerrath bei dem Kranken ein. Die Herzensgüte in seiner Anrede stärkte das Vertrauen des jungen Mannes zu ihm noch mehr.

Was Sie mir auch zu offenbaren haben, lieber Arnold, sprach er, sagen Sie es getrost und in der festen Zuversicht, daß Ihr Geheimniß nicht über meine Lippen kommen soll.

Nur bis zu meinem Tode wünschte ich wohl, daß Sie es bei sich behielten, erwiederte der Kranke, und der Kammerrath sagte: Wunderlicher Mann! Bis zu Ihrem Tode? Also glauben Sie wohl gar, daß mein hinfälliges Alter Ihre Jugend und Kraft überdauern werde? –

Gewiß! Ich fühle es zu lebhaft, daß der heutige Abend mich so ziemlich an die Grenze meines Lebens gebracht hat.

Der Kammerrath beschwor ihn, solchen finstern Vorstellungen keinen Raum zu geben. Ziehen Sie, sagte er, Ihre Vernunft zu Rathe, und vor allen Dingen entdecken Sie mir das Geheimniß, das Sie mir zugedacht haben. Vielleicht kann ich Ihnen dann mit einem bestimmten Worte des Trostes Beistand und Linderung verschaffen. –

Ich habe Ihnen – fing der Kranke an – blos den letzten Theil der Geschichte meines Lebens zu erzählen. Auch brauche ich nicht weit zurückzugehen, da Sie mich, wie ich glaube, in der Zeit, daß ich in Ihrem Hause bin, beinahe so gut kennen gelernt haben, als mich mich selbst.

Von der Reise in meine Vaterstadt muß ich anfangen. Der schönste Frühling begleitete mich, wie Sie wissen, dahin. Je näher ich ihr kam, desto inniger fühlte ich, daß die mir befreundete Gegend besondere Ansprüche auf mich hatte. Tausend holde Erinnerungen aus den harmlosen Tagen der Kindheit schossen gleichsam mit jedem Schritte, den der Wagen weiter vorrückte, vor mir aus dem grünen, heiligen Boden auf. Erst beim Eintritt in die Stadt selbst quälte mich der Gedanke, daß sie mir durch den Tod der geliebten Aeltern völlig verödet war. Je länger der Gedanke gezögert hatte, desto schmerzlicher verwundete er mich nun. Besonders traurig wirkte der Umstand auf mich, daß ich grade in der vormaligen Wohnung meiner Aeltern etwas zu verrichten hatte. Von allen Eigenheiten derselben fand ich nichts wieder als Gemäuer und Thüren. Das mir so wohl bekannte Hausgeräth war mit ihren Besitzern verschwunden, und die eisige Idee der Vergänglichkeit schüttelte mir ein paar Thränen aus den Augen, die ich, um sie nicht etwa gar dem Spotte Preis zu geben, einer Anwandlung vom Schnupfen zuschreiben mußte. Von meinen nähern Jugendbekannten fand ich auch niemanden mehr in Dr—n. Dieser war noch auf der Akademie, jener im Auslande; den liebsten von allen hatte der Tod erst acht Tage zuvor hinweggerafft. Daher beeilte ich mich meine Gönner zu besuchen, und brachte die Tage, an denen ich keine Einladungen von ihnen zu berücksichtigen hatte, gemeiniglich auf dem Lande zu. Ein akademischer Freund, den das Glück mir im Gasthofe zuführte, und der, weil die übrigen Zimmer alle besetzt waren, mit der Hälfte des meinigen vorlieb nahm, begleitete mich gemeiniglich auf meinen Streifzügen in die Gegend.

Eines Abends, wie ich einige Augenblicke vor ihm zurückkehre, kommt mir beim Eintreten ins Zimmer eine schöne, weibliche Gestalt entgegen, und sinkt entzückt in meine Arme. Ehe ich noch recht weiß, wie mir geschehen ist, macht sie sich aber auch schon wieder mit einem Schrei los. Die Umarmung hatte meinem Freunde, ihrem Bruder, gegolten, und sie hatte nicht gewußt, daß noch ein Anderer auf dem Zimmer wohnte, als er. Ihr Bruder Heinrich, der bald darauf hereintrat, mußte sie entschuldigen, da sie vor Schrecken ganz stumm geworden war. Als jedoch in Kurzem Heinrichs Geliebte dazu kam, und die Schwester nun eine so überflüssige Rolle zu spielen anfing, wie ich, so näherten wir uns unwillkührlich.

Der Eindruck der vorhergegangenen Umarmung schien indessen auf uns beide stärker und dauernder zu seyn, als er sich aus der Sache selbst erklären ließ. Es kam durchaus nicht zum zusammenhängenden Gespräch. Ich hörte aber doch so viel, daß Mariane, so hieß Heinrichs Schwester, dessen Geliebte und deren Mutter nach Dr—n begleitet hatte, welche letztere ihren alten Vater besuchen wollte, auch daß sie die nächsten Tage in den lieblichen Gründen an der Elbe gemeinschaftlich zuzubringen gedachten.

Die ganze folgende Nacht kam das Mädchen nicht aus meinen Gedanken und Träumen. Auch wagte ich am andern Tage die Gunst eines meiner Gönner, dadurch, daß ich ein auf den Abend schon angenommenes Engagement wieder absagte, blos um die Gesellschaft in die schönen Elbgründe nicht zu verfehlen.

Zwei Tage und eine Nacht war ich hier, mit Marianen und den Uebrigen. Das schöne Herz des schönen Mädchens entfaltete sich bei jedem Anlasse, und der Frühling, der das Wort der Liebe über Himmel und Erde ausgesprochen hatte, wurde Zeuge auch unsers wechselseitigen Geständnisses. Ich kann wohl diese beiden Tage die schönsten meines Lebens nennen. Die Gegend theilte mit unsern Gefühlen und Ansichten die glücklichen Zauber des Paradieses. In einem Vergißmeinnichtstrauße – o Sie fühlen es gewiß, theurer Mann, daß das an sich Abgenutzte, Alltägliche gar oft durch eine schöne Stimmung bedeutend, ja unvergänglich werden kann! – in einem Strauße von Vergißmeinnicht empfing sie meinen Wunsch und das leuchtende Auge, worauf ihr Blick fiel, kam meinem Munde zu Hülfe, dem kein einziges Wort zu Gebote stand. Das sah ich wenigstens daraus, daß sie meine, vor dem klaren Verstande so ganz mangelhafte, Erklärung in ihrem ganzen tiefen Sinne genommen hatte. – Auf ewig? fragte ich nunmehr leise und sie antwortete eben so: auf ewig!

Jetzt erst löste sich gleichsam uns die Zunge. Wir sprachen hauptsächlich auch viel von dem seltsamen Momente der ersten Bekanntschaft. Ich hielt ihn für die sicherste Andeutung des Schicksals auf unsre Bestimmung für einander und für eine Gunst, welche es nur seinen Auserwählten zu Theil werden läßt. Ich äußerte, daß mir sogleich auf den ersten Blick alles an ihr theuer und werth gewesen sei und bat sie, das weiße Kleid, in dem sie mir damals eine himmlische Erscheinung gedünkt hatte, bis zu unserm Hochzeittage aufzubewahren.

Dieß alles fiel auf dem letzten Spaziergange am zweiten Tage vor. Das Abendgold erhöhte die Freuden des Himmels, in dem wir wandelten.

Aber schon der folgende Morgen warf mich grausam in die Prosa des Lebens zurück. Ich hatte wieder einige sogenannte Aufwartungen zu machen. Zwar wurde ich mit Hoffnungen entlassen, die meine frühern Wünsche noch weit übertrafen. Aber was war seit diesen Wünschen mit mir vorgegangen? Ich war plötzlich Bräutigam geworden – denn Heinrich verbürgte mir im Voraus die älterliche Einwilligung – und fand den doch um die Hälfte abgekürzten Termin bis zur künftigen Pfarre unter diesen Umständen unerträglich. Mariane, gegen die ich mich darüber herausließ, suchte mich mit dem um so schönern Augenblicke des künftigen Vereins und durch das Versprechen zu trösten, mich inzwischen in fleißigen Briefen von ihrem ganzen Thun und Treiben fortdauernd zu unterrichten.

Ich versprach ihr hierauf ein Gleiches, und bald gefielen wir uns sogar in dem Gedanken an den reingeistigen Umgang, der uns zwei ganze Jahre bevorstand.

Im Schmerze des Abschieds verschwand freilich dieses Wohlgefallen, doch empfahlen wir einander noch wechselsweise das Halten des gegebenen Versprechens, als das einzige Mittel, uns unsre Trennung erträglich zu machen.

Unser Briefwechsel kann Ihnen nicht entgangen seyn. Ich sah dieß. Gleichwohl scheute ich eine Erwähnung der Sache, weil meine Vernunft fast mit jedem Posttage lauter dagegen wurde. Marianens Briefe zeugten von der schönsten Ausbildung. Zudem konnte ich aus dem, was ich daraus nach und nach erfuhr, abnehmen, in wie glücklichen Verhältnissen und unter welchen prächtigen und bequemen Gewohnheiten sie aufgewachsen war.

Von dieser Seite erschien mir daher unser Bündniß äußerst tadelhaft. Wenn ich sie nun – nach zwei Jahren – in eine ärmliche Landpfarre einführte, in der, außer mir, nichts war, was sie erfreuen, was sie für die verlornen Familienfeste, Verbindungen und Bequemlichkeiten, auch nur einigermaßen schadlos halten konnte! Es schien mir unmöglich, daß nicht gar bald die bitterste Reue von Marianens Seite hätte eintreten sollen.

Ich konnte mich nicht enthalten, dieses selbst in meinen Briefen an sie zu äußern. Aber obschon sie mir alles mit der einnehmenden Beredsamkeit eines liebenden Herzens zu widerlegen wußte, so traute ich ihr doch keinesweges und gestand mir ein, daß bei dieser Liebe die Vernunft von meinem Herzen gar sehr überrascht und gemißbraucht worden sei.

Einer solchen Ueberzeugung glaubte ich einen Versuch gegen unsre Verbindung schuldig zu seyn, so sehr sich auch meine Gefühle auflehnen mochten. Ich fing nämlich an, unsern Briefwechsel mit geringerer Thätigkeit und kürzer als zuvor zu betreiben. Die gezwungene Zurückhaltung des Gefühls gab meinen Briefen eine Steifheit, worin die zärtliche Mariane eine Abnahme meiner Liebe zu finden glaubte. Ihre Vorwürfe erschwerten meiner Vernunft ihr grausames Alleinherrschen nur um so mehr. Aber mein Herz sollte – der Pflicht, wie ich glaubte – geopfert werden.

Schon war die Sache so weit, daß auch Marianens Briefe seltener wurden, und einigen Zwang verriethen. Ihr letzter Brief bestand nur aus wenigen Zeilen, und gestern sind es vier Wochen gewesen, daß sie mir Antwort schuldig ist.

Endlich habe ich diese, leider aber auf einem so ungewöhnlichen als fürchterlichen Wege erhalten, und fluche der Anmaßung meiner Vernunft, die in ihrem gottlosen Wahne der Unfehlbarkeit zwei glückliche Herzen zerrissen, ja gemordet hat!

Gemordet? rief der Kammerrath. Woher kommt Ihnen die schleunige Nachricht auch nur von dem einen? Wenigstens war vorhin, wie Sie in die Laube traten, Ihnen so etwas nicht anzumerken.

Ich dächte doch! erwiederte der Kranke. Meine Ohnmacht hat allzutraurig in Ihren Freudentag gegriffen, als daß Sie solche schon vergessen haben könnten.

Vergessen freilich nicht. Aber was war die Veranlassung zu dieser seltsamen Ohnmacht!

Sie wissen, Herr Kammerrath, daß ich aus der Laube hinausging, um meinen Hut aufzuhängen, oder daß ich vielmehr von Thränen hinausgenöthigt wurde, die sich sehr zur Unzeit einstellten. Daß mein Hut an dem verdorrten Aste nicht bleiben wollte, der sonst sein gewöhnlicher Nagel ist, wird erklärbar durch den gewaltsamen Zustand, der sich schon meines ganzen Wesens bemächtigt hatte und mich die rechte Stelle einigemal verfehlen machte.

Gleichwohl befremdete mich der Umstand ungemein, und wie ich eben zum drittenmal aufblicke, sehe ich meine Braut dicht vor mir mit offenen, betrübten Augen im Sarge liegen, angethan mit dem weißen Kleide des ersten Abends, das ihr Hochzeitkleid werden sollte. Dazu hatte sie die verwelkten Vergißmeinnicht vor ihrer Brust. Indem ich noch auf die Erscheinung hinstarre, schließen sich ihre Augen und der Sargdeckel fliegt zu. Das dumpfe Geräusch, womit es geschah, und mein Schrei, war die Sache eines einzigen Augenblicks.

Hier hielt der junge Mann, den die Erzählung ganz erschöpft hatte, etwas inne. Sein Prinzipal bat, daß er sich diese Phantasie, die sich aus seiner Situation aufs Natürlichste herleiten lasse, ja aus dem Sinne schlagen und nur an das Unmögliche von dergleichen Erscheinungen denken möchte. Aber ganz vergebens.

Ich bin, sagte der Kranke, nicht nur von der Erscheinung selbst, wie von meiner eignen Existenz, sondern sogar davon überzeugt, daß dieser Augenblick auch der Augenblick ihres Todes gewesen ist. Merken Sie Sich's. Es hatte kurz zuvor 8 Uhr geschlagen. –

Welche unglückselige Träumereien! rief der Kammerrath, der bei solchen Behauptungen einigen Unwillen nie verbergen konnte. Wie nun wieder diese Ueberzeugung?

Arnold zuckte die Achseln und sein Prinzipal sagte zu ihm: Ruhen Sie hübsch und schlagen Sie Sich dergleichen aus dem Sinne. Nehmen Sie dazu die Schlaf befördernde Medizin, die hier eben ankommt, und morgen werden wir uns, denke ich, eher über die Geschichte vereinigen. Gute Nacht, lieber Arnold! –

Aber diese Vereinigung, an die der Kammerrath fest geglaubt hatte, fand am andern Morgen so wenig Statt, daß er böse zu werden anfing, und den Kranken, welcher, seiner Behauptung nach, die gesunde Vernunft, sehr zur Unzeit, bei Seite setze, der Behandlung des Arztes allein überließ. –

Noch fünf Tagen erschien Marianens Bruder vor dem noch immer Bettlägrigen.

Vergab sie mir, Herzensbruder? rief er Heinrichen entgegen.

Der Angekommene, der seiner Schwester hatte versprechen müssen, zu Arnold zu reisen, aber ja nicht ohne sehr behutsame Einleitung ihren Auftrag auszurichten, war sehr erstaunt über diese Anrede.

Was meinst du damit? fragte er.

Alb ob ich nicht wüßte, daß deine Schwester vorgestern Abend um 8 Uhr gestorben ist! –

Hm! – Nun, da du so viel weißt, so bleibt mir nicht übrig, als dir auch ihre letzten Zeilen einzuhändigen, wie ich ihr versprochen habe. Das Zittern ihrer Hand macht sie etwas undeutlich. – Ihre lange Krankheit! –

Lange wäre sie krank gewesen?

Zehn ganze Wochen. Dich zu schonen schrieb sie nichts davon.

Mich zu schonen! – Während ich mit Tigerklauen in ihrem Herzen wüthete! –

Beruhige dich, Bruder! das, was du mir über das Verhältniß und deine Ansicht desselben vor Kurzem schriftlich mitgetheilt hast, ist mir Bürge für die Rechtlichkeit deines Verfahrens. Auch Mariane hat es noch zuletzt anerkannt. Doch lies selber.

O gieb doch, gieb!

Der Kranke nahm hierauf den rief, riß ihn auf und las:

Lebe glücklich, Arnold. Ich gehe Dir voran, um Dich dort zu empfangen, wenn Du noch mein bist!

Dein, dein auf ewig! rief Arnold im höchsten Entzücken. Das Gefühl des baldigen Wiedervereins erhebt mich schon im Voraus hinauf zu den Sternen. – Jetzt erzähle mir, Bruder Heinrich, erzähle, und recht viel von ihren letzten Stunden.

Dies geschah. Unter andern hörte der Kranke, daß Mariane auf ihr Verlangen in dem weißen Kleide und mit dem welken Vergißmeinnichtstrauße in den Sarg gelegt worden war, und noch im letzten Augenblicke Arnolds Gegenwart sehnlich gewünscht hatte.

So haben die Engel selbst ihren Wunsch erfüllt und sie hiehergetragen! sprach Arnold.

Marianens Bruder kündigte ihm hierauf ein kleines Vermächtniß von der Verstorbenen an.

Wozu dies grade? rief der Kranke, und er hatte nicht Unrecht. Denn Heinrich, der acht Tage in ** verweilte, ist noch in dieser Zeit mit dem ruhig Entschlafenen zu Grabe gegangen.



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