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»Herminchen,« sagte eine korpulente, ältere Dame, nachdem sie sich im Besuchzimmer auf das Sofa hatte niederfallen lassen, »Herminchen, das muß ich wohl sagen, so traurig auch der Anlaß ist, solche Kleider tragen zu müssen, aber du siehst darin so interessant aus, – so reizend, – rein zum Anbeten!«
Jede dieser Beteuerungen wurde mit einer Umarmung bekräftigt, welche die junge Witwe etwas ängstlich, aber vergebens abzuwehren versuchte; jetzt musterte sie sich im Spiegel gegenüber und glättete das Kleid.
Mit einem breiten Lächeln auf dem fleischigen Gesichte faßte die Korpulente die kleine Dame an der Rechten, welche mit ausgespreiteten Fingern über dem Knie lag und drückte auf dasselbe. »Und es hat sich schon einer gefunden, der anbetet.« Sie schrie das mehr, als sie es sagte, denn das war so ihre Art, wenn sie den Leuten zeigen wollte, sie sei besonders guter Laune. »Nun ja, wo schon unsereins ganz entzückt ist, da müßten doch die Männer geradezu blind sein, und das kann man ihnen just nicht nachsagen. Neulich, als du mir meinen Besuch zurückgabst, hat dich unser Nachbar kommen sehen und hat sich's nicht verdrießen lassen, auch dein Gehen abzupassen; während wir uns verabschiedeten, ist er unter seine Tür getreten, ich weiß nicht, ob du darauf acht gegeben hast, aber kaum warst du fort, so ist das Fragen angegangen: Verehrte Frau Nachbarin, wer ist die Dame? – Ach, denk' ich, frage du! Eine Freundin von mir, sage ich. – Sie geht in Trauer? – Ja freilich, weil ihr Mann gestorben ist. Da hättest du ihn sehen sollen, was er dazu für ein Gesicht gemacht hat, wir haben noch viel hin und her geredet von dir, hast du nicht das Schlucken gehabt? Nun, es wäre zu weitläufig, alles nachzuerzählen. Er fragte auch, ob du Vermögen hättest. Gott sei Dank, sagte ich bei mir, das hat sie, aber ich hielt es ganz für überflüssig, ihm das auf die Nase zu binden. Ich stellte dich so arm hin, Herminchen, wie eine Kirchenmaus, und denke dir, was sagte der Mensch? – So eine Frau könne man schon um ihrer selbst willen nehmen, die brächte auch einen Taugenichts zurecht, denn sie ließe gar keinen Gedanken neben ihr aufkommen.«
Die junge Witwe schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ja, das sagte er,« fuhr die Besucherin fort. »Und nachdem wir so nahezu ein Stündchen verplaudert hatten, denn wir sprachen ja von dir, Goldherzchen, und du weißt, da komme ich in Zug, – nachdem wir also nach unsern Türklinken faßten, meinte er, ob es nicht möglich wäre, dich zu sprechen. Da sagte ich, Besuche empfingest du nicht, könntest auch nicht gut welche empfangen. Die Leute im Hause dächten gleich so böswillig. Aber wenn du ein nächstes Mal mich wieder besuchen würdest, so könne er in meine Wohnung herüberkommen und da würde ich ihn mit dir bekannt machen. Das kannst du dir ja gefallen lassen, Herzchen?«
Die kleine Dame nickte gedankenvoll.
»Er ist von Ansehen gar nicht übel, hat ein feines, artiges Benehmen und nach dem, wie er sich trägt und was er sich gönnt, muß er auch sein gutes Auskommen haben. Nun, ich bin keine, die dazu ratet, auf den ersten Blick hin einem Manne zu vertrauen, – davor bewahre mich der Himmel! – es gibt in dieser Beziehung gar zu viele warnende Beispiele, aber, wenn man gerade nicht abgeneigt ist, so kann man ja, wie der Dichter Schiller in seinen Werken sagt, prüfen, ob die Seelen zusammen passen, und dazu rate ich.«
»Aber Emilie,« die Trauernde errötete und erschien, wie sie so verlegen dasaß, noch kleiner als sie war.
»Nun, nun, ich meine nur, Närrchen. Darüber brauchst du weder böse noch verlegen zu werden. Du hast ja, so jung du bist, deine Schule hinter dir und uns verheirateten Frauen darf man es nicht übel nehmen, wenn wir ein bißchen aus derselben schwatzen. Deinen Anblick und ein paar Worte kannst du ihm ja gönnen. Führt es auch zu nichts weiter, so zerstreut es einen doch, und ein wenig Zerstreuung muß dir gut tun in einer solchen Gemütsverfassung, wie ich mir vorstelle, daß du bist, wo dich das Kleid schon immerwährend an deinen Seligen erinnern muß.«
Herminens große Augen füllten sich mit Tränen.
Die Freundin umschlang sie mit den massiven Armen und drückte sie an sich, daß beiden darüber der Atem verging. »Herminchen, Goldkind,« rief sie, »laß gut sein, laß nur gut sein, – aber da siehst du selbst, wie dir Zerstreuung not tut, und nur die wollte ich dir geboten haben und die solltest du auch nicht zurückweisen. Im übrigen bist du ganz Freifrau, kannst tun und lassen, was dir beliebt, und im Ernste wollte ich alles andere auch nicht gesprochen haben, denn der Nachbar ist, abgesehen von allen guten Eigenschaften, unter uns gesagt, doch ein kleiner Taugenichts, und so mag er denn bleiben, wo er will, außer« – hier kreischte sie wieder in der höchsten Stimmlage auf, – »außer, du tust ein christliches Werk, rechtfertigst seine gute Meinung von dir und bringst ihn wieder zurecht.«
Sie drückte einen Schmatz auf die Wange ihrer jungen Freundin.
Nach etlichen Tagen machte Hermine ihren Gegenbesuch und wenige Minuten nach ihrem Eintritte fand sich auch der Herr Nachbar ein.
»Meine Freundin Hermine, von der wir neulich so viel gesprochen haben,« sagte die Frau des Hauses. »Unser Nachbar, der dich kennen zu lernen wünscht, Herr Fröhlich.«
»Ja,« sagte der Genannte, sich einen Stuhl herbeiziehend. »Ja, fröhlich bin ich und fröhlich bleib' ich und wär' ich's nicht, so müßte ich es werden in so anziehender Gesellschaft.«
Der umfangreiche Ellbogen der Freundin Herminens unterzog sich hier und auch in weiteren Fällen der undankbaren Mühe, auf derlei Galanterien aufmerksam zu machen.
»Kapital schönes Wetter heute, meine Damen,« sagte nach einer kleinen Pause Herr Fröhlich.
Die Damen beeilten sich, wie aus einem Munde, zu versichern, es wäre das schönste von der Welt.
»Erinnert mich gerade an einen der denkwürdigsten Tage meines Lebens. Wir, ich und einige Freunde, machten einen Ausflug ins Gebirge. – Lieben Sie Gebirgspartien, meine Damen?«
Hermine versicherte, nie eine solche gemacht zu haben, und Emilie beklagte lebhaft, daß sie nicht »hoch gehen« könne, um so mehr, da ja der Dichter Schiller in seinen Werken sagt, daß auf den Bergen die reinste Luft sei.
»Jene Gebirgspartie,« fuhr der Sprecher fort, »mir ewig unvergeßlich, fand gerade an einem so paradiesisch schönen Tage statt, wie der heutige; aber bald nachdem wir den Gipfel des Berges erstiegen hatten, merkten wir, daß das Wetter umschlage –«
»Begreiflich,« sagte Emilie, »von einem solche Berge muß man ja erschrecklich weit sehen.«
»Gewiß, verehrte Frau Nachbarin. Wir sahen also ringsum dräuende Wolken aufsteigen, mit Mühe gelang uns der Abstieg, denn ein rasender Föhn durchbrauste die Luft, und als wir endlich auf ebenem Boden anlangten, schäumte der kleine See am Fuße des Berges, als ob das Wasser kochte, und inmitten der Wellen bemerkten wir einen hilflos dahintreibenden Gegenstand. Alle ergehen sich in Vermutungen, was das sein könne, da plötzlich fällt mein Auge auf eine kaum hundert Schritte entfernte Gruppe zweier Menschen, Mann und Weib, die verzweifelnd die Hände rangen. Wie ein Blitz durchzuckte mich der Gedanke: das Kind dieser braven Leute liegt im See! Ich als guter Schwimmer, – schwimmen Sie, meine Damen?«
Sie taten es nicht.
»Ich als guter Schwimmer besinne mich nicht lange. Wie ich gehe und stehe, hinein. Komme mit einigen Tempis hart an meinen Gegenstand heran, aber wie ihn jetzt fassen und ans Ufer bringen? Ich trete Wasser, ich schwimme Rückenlage, schon verlassen mich meine Kräfte, da werfe ich mich auf eine Woge, die mich und das Kind an das Ufer schleudert. Die Freude der geängstigten Eltern können Sie sich vorstellen, – das läßt sich nicht beschreiben.«
»Das muß man fühlen,« sagte Frau Emilie und ein Ellbogenstoß bedeutete die Freundin: Was für ein Mann! Tat aber der Rührung derselben einigen Eintrag.
»Ja, das muß man fühlen –« sagte Fröhlich und schlug sich mit der Hand vor die Brust, daß der beinerne Manschettenknopf auf dem Binokle aufklatschte, welches in der Westentasche oder dem Uhrtäschchen verwahrt war, – »fühlen, beschreiben läßt sich so was nicht, auch meine Verfassung, wie ich patschnaß mit vollgesogenen Kleidern vor den beglückten Leuten stand, war einigermaßen unbeschreiblich, und als das schluchzende Weib mit Freudentränen meine Hand netzen wollte, sagte ich: Um Gottes willen, lassen Sie das, meine Gute, naß wär' ich zur Genüge!«
Frau Emilie lächelte gerührt und Hermine rückte ein klein wenig von der Freundin hinweg.
– – Es soll elende Spötter gegeben haben, welche behaupteten, allen romantischen Aufputzes entkleidet, reduziere sich das Abenteuer Fröhlichs einfach dahin, daß derselbe einmal in angeheitertem Zustande einen halbwüchsigen Bauernbengel in einen Dorfweiher gestoßen habe. Die Rettung sei bewerkstelligt worden, ohne daß er sich dabei einen Faden am Leibe naß machte, indem er an der Krücke seines Spazierstockes den Jungen an das Ufer lotste. Hätte er sich auf seine Beine verlassen können, sicher würde er sich durch die eiligste Flucht dem Danke der Eltern entzogen haben, aber so mußte er sich mit seiner ganzen Barschaft von demselben loskaufen. – –
»Das muß Sie mit einem erhebenden Bewußtsein erfüllen, mein Herr,« sagte Hermine.
»O, gewiß, gewiß, meine Gnädige. Allerdings darf man sich einer solchen Tat nicht rühmen, denn der Zufall wirft sie einem in den Schoß.«
»Ach, wie viele würden sich an Ihrer Stelle besonnen haben!«
»Zu gütig, gnädige Frau. Aber das ist wahr, für einen Menschen, wie ich einer bin, – ich gebe mich ganz offen, – den manche Torheit und Unbesonnenheit an sich zweifeln macht, ist eine solche Erinnerung eine wahre Wohltat; ohne sie wär' er verloren, sie hält ihn aufrecht, sie ist der Leitstern, der ihn an sein besseres Selbst mahnt. Ach ja, aber nur ein Stern, dem Piloten auf der stürmischen Meeresbahn leuchtend, aber nicht eine Sonne, vor deren Glanz alle Sterne erbleichen und welche in der Brust die im Verborgenen schlummernden Keime des Edlen und Guten weckt und reift. Wie beneidenswert ist derjenige, der ein solches Glück gefunden.«
»Die Herrschaften entschuldigen,« sagte Emilie, »aber meine Pflicht als Frau des Hauses ruft mich. Ich muß in die Küche. Herr Fröhlich, nehmen doch auch eine Schale Kaffee mit uns?« Herr Fröhlich verneigte sich stumm zum Zeichen seiner Bereitwilligkeit, aber er sah der Abgehenden mit einem leichten Kopfschütteln nach, wahrscheinlich hätte er es lieber gesehen, sie wäre früher gegangen, oder sie ginge später. Wo war er denn auch nur stehen geblieben?
»Ja, beneidenswert, wer ein solches Glück gefunden, selbst derjenige, der, nur träumen darf, ein solches Glück gefunden zu haben! Ich träume davon.«
»Was Sie sagen!« Die junge Witwe zupfte an dem Streifen der plissierten Ärmelkrause.
»Ja, ich träume davon, seit ich eine gewisse Dame das erste Mal sah.«
»So?«
»Ach, gnädige Frau! Wozu Wortspiele und Andeutungen? Leider kann ich meinen Traum nicht in seliges Wachen verwandeln, das kann nur die, von der ich zu träumen gezwungen bin, und wenn es mich gleich wie mit einem Wetterstrahl hinschmettern würde, wenn ich mich gleich darüber selbst als einen Verlorenen aufgeben müßte, falls sie mich ablehnte, ich würde das doch der Marter der Ungewißheit vorziehen! Und darum, offen heraus, Sie sind es, gnädige Frau, welche das Los meines Lebens in der Hand hat!«
Er versuchte auch eine von Herminens Händen zu haschen, es schlug aber fehl, denn die Dame legte beide an die erglühenden Wangen.
»Sie sehen mich ja heute erst zum zweiten Male, mein Herr,« stammelte sie.
»Es bedurfte nur des einen, des ersten Males, um einen unauslöschlichen Eindruck auf mein Herz zu machen.«
Die großen Augen Herminens sahen erstaunt und fragend auf. »So mit einem Male?« sagte sie.
»Diese Frage! O, gnädige Frau,« – er machte wieder einen Versuch, sich einer der beiden kleinen Hände zu bemächtigen, doch der linke Arm hing lässig an der Stuhllehne herab, und diese Hand griff hinter sich und zupfte an einem Rohrendchen, das sich aus dem Geflechte gelöst, die andere aber flüchtete in die Tasche des Kleides, und man hörte es, wie sie dort mit dem Gummibande eines Geldtäschchens spielte. Er mußte es auf halbem Wege aufgeben und fügte jetzt die Hände, die er vorgestreckt hatte, mit unbeholfener Geste aneinander, wie ein Bär, der um ein Stück Zucker bettelt. – »Diese Frage beweist nur, daß Sie bisher die wahre Liebe ebensowenig kannten, wie ich sie kannte, dieses Gefühl, das beim ersten Anblicke in uns auflodert und uns zuruft: dieser Huldgöttin bist du mit deinem ganzen Selbst, mit all deiner Zukunft und deinem Sein anheimgegeben!«
Der kleinen linken Hand war das Rohrendchen entschlüpft und sie war so unvorsichtig, ihr Versteck zu verlassen und sich auf den Schoß zu wagen, wo sie jetzt von zwei Händen eingefangen und trotz ihres Widerstrebens festgehalten wurde, in der Verwirrung kaufte sie sich mit einem Gegendrucke los, um aber das Unheil, soweit an ihr lag, wieder gut zu machen, legte sie sich als kleiner Schirm vor die Augen der Herrin, damit in denen nichts zu lesen wäre.
Die Dame seufzte tief auf. »Könnte mein seliger Artur es mit anhören, wie da zu mir gesprochen wird, wie würde er lachen!«
»Lachen?!«
»Ganz gewiß. Denken Sie nur –,« da es eine vertrauliche Mitteilung galt, neigte sie sich lächelnd ihrem Gegenüber zu und legte beide Hände auf die seinen, – »denken Sie nur, er nahm mich für weiter nichts als für ein Spielzeug.«
»Oh! Oh!«
»Wahrhaftig und er warnte mich vor jedem, der mir sagen würde, er nähme mich für etwas Besseres!«
»Bei allem Respekt vor Ihrem seligen Herrn Gemahl, aber das ist – das ist denn doch unqualifizierbar! Indessen, ich merke die Absicht. Der Mann war schlimmer als ein Indier.«
»Als ein Indier?«
»Schlimmer als ein Indier. Ein solcher Wilder verlangt in barbarischer Selbstsucht, daß ihm seine Witwe durch den Feuertod in das Grab nachfolge, während es Ihr Herr Gemahl auf nassem Wege versuchte; er wollte Sie gegen jeden Trost ablehnend, gegen jede wahre Neigung mißtrauisch machen, damit Sie sich um sein Angedenken zu Tode weinen. Doch jeden Scherz beiseite gelassen, gnädige Frau, der Mann hat Sie nie geliebt, darum konnte er Sie auch nicht verstehen, darum wußte er Sie auch nicht zu schätzen, darum vermochte er es, Ihnen auch zu sagen, daß Sie ihm nichts oder nur sehr wenig galten, Sie, der man beim ersten Anblicke zurufen möchte: Mein alles!«
Die junge Witwe schüttelte ein wenig den Kopf. »Man,« sagte sie leise, sah zur Zimmerdecke empor und zog die Achseln an sich, bemühte sich überhaupt auszusehen wie der engbrüstigste Zweifel in Person.
Da wurden Schritte vor der Türe laut, Tassen und Kannen klapperten.
»Wir sprechen noch darüber, gnädige Frau,« flüsterte Fröhlich.
Von nun ab besuchte Hermine ihre Freundin oft und öfter und eines Tages, als die gute Frau Emilie wieder mit dem klappernden Kaffeegeschirre auf der großen Blechtasse eintrat, glaubte sie alle Ursache zu der Frage zu haben: »Darf man den Herrschaften gratulieren?«
Es wurde ihr gestattet, und nachdem Hermine auch »Grau mit Schwarz geputzt« abgelegt hatte, unterfertigte sie einen Heiratskontrakt mit Herrn Fröhlich, in welchem sie demselben ihr gesamtes Vermögen zur Verfügung stellte; ein Freund erlaubte sich, sie aufmerksam zu machen, daß diesem Punkte jede Gegenleistung, etwa auch die eines Wittums fehle, indem der Herr Bräutigam gar kein Vermögen auf- oder ausweise.
Hermine blickte erstaunt, aber keineswegs beunruhigt auf, es befremdete sie nur, daß sie da mit einem Male etwas anders hörte, als ihr bis nun gesagt worden war.
Fröhlich zog sie in eine Fensternische. »Süßes Herz,« sagte er und strich ihr über das wellige Haar, »zürne mir nicht! Es ist wahr, ich habe mir bisher nichts zurückzulegen vermocht und ich brachte es nicht über mich, dir das einzugestehen, weil ich fürchtete, die Ungleichheit des Vermögens könnte uns trennen. Wenn das ein Betrug ist, so mag ihn meine heiße Liebe zu dir entschuldigen. Geld hat uns nicht zusammengeführt, Geld soll uns auch nicht scheiden. Oder meinst du anders? Noch ist es Zeit.«
Sie antwortete mit einem Kusse. –
Es war am Abende des Hochzeitstages. Die Trinksprüche und Gläserklänge waren verhallt. Der letzte Gast hatte sich mit dem, bei diesem Anlasse üblichen, vieldeutigen Lächeln entfernt. Die jungen Eheleute waren allein.
Der Mann hatte seinen Arm um den Nacken der Frau gelegt, er fühlte ein Schnürchen unter seinen Fingern und zog spielend daran, bis ein Medaillon zum Vorschein kam, das unter Glas das Bild des ersten Gatten zeigte.
»Darinnen wirst du künftig mein Bild tragen,« sagte er. »Nimm das jetzt heraus und gib es mir.«
Sie löste es heraus und es fiel zur Erde.
Der Mann bückte sich darnach, hob es auf und schob es in die Westentasche.
Die kleine Frau würde sich selbst alle Empfindung abgesprochen haben, wenn sie da nicht einige Rührung angewandelt hätte. An den langen Wimpern zeigten sich Tränen.
»Was hast du?« sagte der Mann. »Sollte ich mit diesem Seligen noch eifern müssen? Das glaube ich nicht um dich verdient zu haben.«
»Armer Artur!« seufzte leise die Wiedervermählte. »Aber freilich, du hast immer so wenig von mir gehalten, daß du wohl gegen den zurück mußt, der mir unzählige Male beteuerte, daß ich sein alles sei!«
Beide Hände hatte sie auf die Schultern des Gatten gelegt und ihn an sich gezogen, er aber sagte nun emphatisch: »Und ich werde mein Versprechen auch halten!«
Ob und woran er dachte, als er das sagte? Gut, wenn es dabei nur mit der Logik schlecht bestellt war. III.
Es mochten etwa achtzehn Monate vergangen sein, um einige Tage mehr oder weniger soll nicht gestritten werden; ein Tag ist oft ein gar zu unbedeutendes Ding, und wenn es anginge, so striche wohl mancher gerne einen oder den anderen mit wohlgezählten vierundzwanzig Stunden aus seinem Leben, nicht weil er ihn wenig Gutes oder viel Übles, sondern weil er ihn gar nichts erleben ließ.
Es war ein solcher Tag, der schon in früher Morgenstunde sich merken ließ, er wolle die Begüterten zu tödlicher Langeweile und die Armen und Hilflosen zu dumpfem Hinbrüten verurteilen.
Aschfarben hing der Himmel über der Stadt. In unabsehbarer Weite wirbelten mit trostloser Einförmigkeit Schneeflocken hernieder und ein eisiger Wind fegte sie in wirrem Durcheinander vor sich her und dieses Spiel wird er treiben von der Zeit, wo die Menschen das Bett verlassen, bis zu der, wo sie es wieder aufsuchen. Wie klug tun daher diejenigen, die sich nicht auf den kommenden Tag verlassen und all das, woran er etwa ihrer Lebensfreudigkeit Abbruch tun könnte, in den Stunden der Nacht vorweg nehmen, wenn sie auch von der Welt dieser Klugheit wegen wenig gerühmt werden.
Zu diesen klugen und bescheidenen Leuten zählt wohl eine Schar Männer, welche soeben ein Kaffeehaus verlassen. Ein Gemengsel von Tabaksrauch, Kaffeedämpfen und Gerüchen von Spirituosen qualmt ihnen aus der offenen Türe nach; vom eisigen Winterfroste geschüttelt, fühlt es plötzlich jeder, daß er stundenlang in diesem Qualme geatmet, das Auge brennt, er schmeckt ihn bitter auf der Zunge und wird den Geruch nicht los, der sich selbst in den Kleidern festgesetzt hat, das alles kontrastiert in unsäglicher Widerlichkeit mit der prickelnden, aber reinen Luft, dazu das fahle Zwielicht und das trostlose Wetter, es ist zum Nüchternwerden!
Es behaupteten auch alle es zu sein, nur einer, der es am lärmendsten beteuerte, fand keinen Glauben, da er gerade dem übertriebenen Luxus frönte, sich von zwei Freunden führen zu lassen.
Von einem nahen Kirchturme schlug es drei. Der Trunkene stieß plötzlich seinen Führer linker Hand von sich und griff nach der Westentasche. »Wo ist meine Uhr?« lärmte er. »Wo ist meine Uhr?«
Der Zurückgestoßene bemächtigte sich wieder des Armes seines Schützlings. »Aber Fröhlich,« sagte er, »die hat ja der Markör als Pfand zurückbehalten.«
»Ach ja, weiß schon. Geld hab' ich auch keines mehr. Ihr siedet mich immer ab beim Spielen. Alles beim Teufel!«
»Vergiß nicht,« sagte sein Führer rechter Hand, »deine Spielschuld.«
»Spielschuld? Was für eine Spielschuld?«
»Besinn' dich doch, daß du noch weiter gespielt hast, wie du schon blank warst. Fünfundzwanzig Gulden bist du dem Kernreiter schuldig. Wenn du sie morgen nicht niederlegst, so geht er zu deiner Frau?«
»Zu der – « folgte ein Kraftwort. »Soll er hingehen. Ihm hilft das nichts und stiftet nur Unfrieden. Wenn er hingeht, das sag' ich, bekommt er gar nichts.« »Oho, Spielschulden!« lachten die Begleiter.
Sie waren vor einem Hause stehen geblieben, einer hatte die Glocke gezogen und als jetzt das Tor geöffnet wurde, schob man den Nachtschwärmer hinein.
»Ich küss' die Hand, gnä' Herr,« sagte der Hausbesorger, indem er den Sperrgroschen in Empfang nahm, dann sah er dem Manne nach, der mit wankenden Tritten über den Flur taumelte und unter leisen Flüchen »über die ungleichen Stufen« die Treppe hinanstieg.
Erst hielt der unterwürfige Zuschauer an sich, es schütterte ihm nur ein wenig, dann aber lachte er laut auf.
»Wird wieder eine Freud' haben, die Gnädige!«
Oben stand die Wohnungstüre offen, der Mann trat hinein, er suchte und fragte nach niemand, es war das seine Art, er sank auf das Lager und schlief ein.
Bei seinem Eintritte schreckte eine kleine abgehärmte Frau zusammen, die unweit des Bettes, in einem Schlafsessel zurückgelehnt saß; dann starrte sie regungslos auf den Schläfer, zwei volle Stunden, bis er erwachte.
Als er sich regte, mit den blöden, halbgeöffneten Augen um sich sah und, noch schlaftrunken, versuchte, sich das wirre Haar aus dem Gesichte zu streichen, – wie häßlich! – Das Weib beugte den Kopf und drückte die Hand vor die Stirne.
»Eduard!«
»Was willst du?«
»Ich möchte dich um Geld bitten, auf ein Frühstück. Ich habe seit gestern mittags nichts gegessen.«
»Geld willst du?« Die Sache ging ihm nahe, er richtete sich empor und kam auf den Bettrand zu sitzen. »Wie kommst du dazu? Ich entsinne mich nicht mehr, wie lange es her ist, seit du mich das letztenmal um Geld angesprochen.«
»Du warst bei solchen Anlässen immer so roh gegen mich, daß ich mir zu helfen suchte, wie es anging. Ich habe meinen Schmuck verkauft.«
»Was für einen Schmuck? Du hattest doch keinen mehr.«
»Ich hatte noch den, den einst meine Mutter trug, er war mir ein teueres Vermächtnis und ich versuchte ihn zu retten; Gott weiß es, wie hart es mir geworden ist, mich davon zu trennen, aber um dir nicht kommen zu müssen, verkaufte ich ihn und von dem Erlös lebte ich bisher.«
»Du hattest ein Geheimnis vor mir?« Er erhob sich und ging auf die Frau zu. »Ein Geheimnis hattest du vor mir?« Plötzlich besann er sich und blieb überlegend stehen.
»Es hätte dir kein Geheimnis bleiben können, wenn du nachgefragt hättest, wovon ich eigentlich lebe, denn du wußtest am besten, du gabst mir nichts dazu.«
»Hermine,« sagte er, sich ihr nähernd. »Wir wollen nicht zanken. Ich sehe mein Unrecht ein. Es war nicht schön, daß du ein Geheimnis vor mir haben konntest, aber du warst ein kluges Weibchen, daß du für schlechte Zeiten etwas zur Seite gehamstert, wir können es jetzt mehr als je gebrauchen.«
»Jetzt,« – sie lächelte bitter, – »was willst du damit sagen?«
»Du rächst dich eben wie eine Frau, – edel! Du sammelst feurige Kohlen auf mein Haupt. Es ist eine ganz unverdiente Überraschung, durch welche du mich da beschämst.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Herzchen.« Er faßte sie am Kinne und hob ihr den Kopf empor. »Laß die Larve fallen. Gestehe es nur, du warst nicht so unklug, dich ganz auszugeben.«
Sie fuhr vom Sitze empor. »Eduard, es ist ganz unwürdig, wie du mit mir verfährst. Wüßte ich, wovon heute leben, so hätte ich dir kein Wort vor morgen gesagt, aber ich habe nichts, wahrhaftigen Gottes, gar nichts.«
»Du hast nichts?« Er wendete sich achselzuckend von ihr ab. »Das ist ein anderes. Ich habe auch nichts mehr. Schlimme Geschichte das! Du mußt eben zusehen, ist es bis heute ohne mich gegangen, wird es auch für weiter möglich sein.«
»Du kannst mich doch nicht hungern lassen?«
»Schatz, wozu das Gerede? Wenn du mich auf den Kopf stellst, so fällt kein Kreuzer aus der Tasche.«
»Pfui, schämst du dich nicht als Mann so zu deinem Weibe zu sprechen? Ich habe dir gegenüber mehr getan, als meine Pflicht war, ich habe dir alles geopfert, aber freilich, an jene Zeiten willst du nicht erinnert sein, wo du mir oft genug beteuert, daß uns nicht das Geld zusammenführt und ich dein alles sei!«
»Phrasen, die man am Ende zu einer jeden sagt und Klügere wissen auch, was sie davon zu halten haben.«
»Wenn du denkst, mich jetzt durch Gemeinheiten abzufinden, nachdem du mir alles, alles durchgebracht und ich nun auf dich angewiesen bin, da irrst du. O, ich kenne auch meine Rechte! Der Mann ist verpflichtet für das Weib zu sorgen – und das wollen wir doch sehen ...«
»Oho, in der Tonart? Nun, das muß ich dir doch sagen, daß mir die gar nicht gefällt, denn sie stimmt durchaus nicht zu meiner Laune. Also kein Wort weiter, das bitte ich mir aus.«
Eingeschüchtert stand die kleine Frau eine Weile über schweigend da, sie blickte hilf- und ratlos um sich, dann richtete sie ihre feuchten Augen auf den Mann, faltete die Hände und sagte: »Eduard, was hast du gegen mich?«
»Nichts. Aber was mich einmal für dich eingenommen hat, das kann ich dir sagen. Du warst eine vermögliche Witwe – weiter nichts.«
»Das heißt: jetzt, wo ich eine Bettlerin bin, willst du mich los sein? O, das kannst du auch noch erleben!«
»Ich werde mir darüber den Kopf nicht abreißen.«
»Also kann ich nun gehen? – Ich bin dir im Wege? – So sage es mir doch, damit ich weiß, woran ich bin. – Eduard! – Hörst du? – Ich will es wissen. – Sage mir nur, ob ich gehen soll? – Ich will Antwort haben,« sagte sie heftig.
Da sagte der Mann: »Ei so geh denn –«
Und das Weib schlug die Hände vor das Gesicht, ging aus der Wohnung und kauerte sich an der Türschwelle nieder und weinte still vor sich hin und – wartete. Er mußte ja kommen. Und er kam mit schwerfälligen Schritten, machte die Türe hinter ihr ein paar Spannen weit auf und sagte rauh: »Närrin, willst du uns bei der ganzen Nachbarschaft ins Gerede bringen? – Komme herein. – Nun, willst du wohl hereinkommen?«
»Ich wüßte nicht, was ich bei dir sollte.«
»Ei, so bleibe, wo du willst.« Er schlug die Türe hart zu. Das Weib schrie laut auf vor Schluchzen. Dann kroch sie ein paar Schritte weit, bis dahin, wo die Treppe begann, und stieg gebeugt und gebrochen hinab bis zu den letzten Stufen derselben. Das vergitterte Fenster einer Küche im unteren Stockwerke ging dort hinaus. Sie lehnte den Kopf an die kalten Eisenstäbe.
Die Leute da unten waren früh auf, eine Lampe brannte und das helllodernde Herdfeuer erleuchtete den Raum und knapp an den Scheiben stand das Gitterbettlein eines Kindes und das lag und schlief; eine große Puppe, mit der es offenbar den Abend zuvor schlafen gegangen, hielt es mit den kleinen runden Ärmchen an sich gepreßt.
Auf die Frau, die außen auf den Stufen saß, drückte ein ungeheures Weh und wie unter einer wirklichen Last taumelte sie auf, verließ das Haus und ging mit unsicheren Schritten die Straße entlang; sie wußte es wohl, wohin, wenn sie auch nicht viel auf den Weg vor ihr acht hatte.
Sie ging, an den Häusern dahin, stundenlang, und als diese ein Ende hatten, hinaus auf die offene Straße. Dort auf freiem Felde trieb der Wind sein Spiel, die Pappeln zu beiden Seiten schüttelten sich, wie vom Fieber befallen, ein Steig war rein und glatt gefegt und der gegenüber lag unter einer mannshohen Schneewehe.
Eine Mauer tauchte plötzlich rechter Hand auf. Kreuze und Urnen ragten darüber. Da lag auf weiter Halde das Leichenfeld der Stadt, unabsehbar ausgebreitet, trostlos, trübe; nicht traulich still, wie ein Dorfkirchhof, wo die Pflanzen, deren getreue Seinsgenossenschaft der Mensch so wenig achtet, alle Greuel des Todes und der Verwesung überwuchernd verdecken, nicht feierlich, nein, flach, übersäet von Zahlen, in alltäglicher Nüchternheit und darum so unendlich wehtuend.
Wie auf der Straße, so sah es auch auf dem Friedhofe aus. Die eine Hälfte lag fast unter Schnee begraben, während die andere bloß lag und die vertrockneten Halme auf den Grabhügeln unter den Stößen des Windes erzitterten.
Erst als das Weib durch das Gittertor trat, blickte es auf. Soweit das Auge reichte, war kein Mensch zu sehen. Sie drang durch den tiefen Schnee und ging dann auf glattem Boden weiter, immer näher und näher trachtete sie an ein verfallenes Grab heran und als sie endlich knapp vor dem eingesunkenen Hügel stand, da weinte sie bitterlich auf und warf sich darüber hin.
Artur, dein Spielzeug!
Sie hatte die Lippen nur krampfhaft bewegt, kein Wort war über dieselben gekommen.
Der Wind hatte sich gelegt, der Schneefall dauerte an und die Flocken lagerten sich in gleichmäßiger Schichte über der Erde. Es war hoch am Mittage, als ein Mann das Kanzleigebäude des Friedhofes verließ; er stand einen Augenblick kopfschüttelnd stille, als er, neben dem ausgeschaufelten Wege, in tiefem Schnee die undeutliche Spur von Tritten bemerkte, verfolgte mit den Augen die Richtung, welche sie nahmen, wandte sich dann ab und ging.
Es lag auch nahezu am anderen Ende des Friedhofes jenes Grab mit dem etwas vorgeneigten Gedenksteine und dem eingesunkenen Hügel, auf dem nun unter dichter, weißer Hülle eine unförmliche Masse lag, welche sich fast ansah wie eine große Puppe.