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Die Roßtrappe nennt man einen Felsen mit einer ovalen Vertiefung, die einige Ähnlichkeit mit dem Abdruck eines riesenhaften Pferdehufs hat. Dieser Fels liegt in dem hohen Vorgebirge des Harzes, hinter Thale, und viele Reisende pflegen ihn – besonders der schönen romantischen Aussicht wegen – zu besteigen. Über das Entstehen jener Vertiefung erzählt die Volkssage:
Vor tausend und mehr Jahren, lange bevor auf den umliegenden Bergen Raubritter die Hoymburg, die Lauenburg, die Stecklenburg und die Winzenburg erbauten, war das ganze Land rings um den Harz von Riesen bewohnt. Diese kannten keine Freude als Raub, Mord und Gewalttat. Fehlte es ihnen an Waffen, so rissen sie die nächste sechzigjährige Eiche aus und fochten damit. Was sich ihnen entgegenstellte, schlugen sie mit ihren Keulen nieder.
lin Böhmerwald hauste zu der Zeit ein Riese, Bodo genannt, ungeheuer groß und stark, des ganzen Landes Schrecken. Vor ihm beugten sich alle Riesen in Böhmen und Franken. Aber die Königstochter vom Gebirge der Riesen, Emma, vermochte er nicht zu seiner Liebe zu zwingen. Hier half nicht Stärke, nicht List.
Einst sah Bodo die Jungfrau jagend und sattelte sogleich seinen Zelter, der meilenweite Fluren in Minuten übersprang. Er schwur bei allen Geistern der Hölle, diesmal Emma zu fangen oder zu sterben. Schneller als ein Habicht fliegt, sprengte er heran. Und fast hätte er sie erreicht, bevor sie es merkte. Doch als sie ihn, zwei Meilen von sich entfernt, erblickte und ihn an den Torflügeln eines zerstörten StädtIeins, die ihm als Schild dienten, erkannte, da wendete sie schnell ihr Roß. Es flog, von ihren Sporen getrieben, vonBerg zuBerg, von Klippe zu Klippe, durch Täler und Moräste und Wälder, daß, von dem Hufschlag getroffen, die Buchen und Eichen wie Stoppeln umherstoben. So flog sie durch das Thüringer Land und kam in das Gebirge des Harzes. Oft hörte sie einige Meilen hinter sich das Schnauben von Bodes Roß und trieb dann den nimmermüden Zelter zu neuen Sprüngen an.
Jetzt stand ihr Roß, sich verschnaufend, auf dem furchtbaren Fels, der heute Hexentanzplatz heißt. Angstvoll blickte Emma, zitternd blickte ihr Roß in die Tiefe hinab. Denn mehr als tausend Fuß fiel senkrecht, wie ein Turm, die Felsmauer zum grausenden Abgrund ab. Tief unter sich hörte sie das dumpfe Rauschen des Stroms, der sich hier in einem furchtbaren Wirbel dreht. Der entgegenstehende Fels auf der anderen Seite des Abgrundes schien ihr noch weiter entfernt als der Strudel und kaum für einen Vorderfuß ihres Rosses Raum zu haben.
Da stand sie zweifelnd. Hinter sich wußte sie den Feind, den sie ärger haßte als den Tod. Vor sich sah sie den Abgrund, der seinen Rachen weit vor ihr auftat. – Jetzt hörte Emma von neuem das Schnauben von Bodos keuchendem Roß. In der Angst ihres Herzens rief sie die Geister ihrer Väter um Hilfe, und, ohne sich länger zu besinnen, drückte sie ihrem Zelter die langen Sporen in die Seiten!
Und das Roß sprang! Sprang über den tausend Fuß tiefen Abgrund hinweg, erreichte glücklich die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte Gestein, daß die stiebenden Funken wie Blitze das ganze Land umher erhellten. – Das ist jener Roßtrapp! Die Länge der Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwaschen.
Gerettet war Emma! Doch die schwere goldene Krone, der Königstochter fiel, während das Pferd sprang, von ihrem Kopf in die Tiefe hinab. Bodo, der nur Emma, und nicht den Abgrund sah, sprang der Fliehenden auf seinem Streitroß nach und stürzte in den Strudel des Stroms, dem er den Namen Bode gab. Hier soll er, in einen schwarzen Hund verwandelt, die goldene Krone der Prinzessin bewachen, damit kein Beutegieriger sie aus dem wirbelnden Schlund heraufhole.