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Unüberwindlich

Von Carlo Dadone

Im Kabinett des Untersuchungsrichters Sir Lovelace waren mit diesem der Gefängnisdirektor Herr Bochmayr, der Polizeiinspektor Edward Bloomfield, ein Kanzlist und zwei Polizisten zur Beratung versammelt. Die beiden letzteren, wie auch der Kanzlist, waren erprobte und verläßliche Leute und lauschten stumm, aber mit gespannter Aufmerksamkeit der merkwürdigen Unterhaltung ihrer Vorgesetzten.

»Sagen Sie uns kurz und bündig Ihre Gedanken ganz offen, lieber Bochmayr, und berichten Sie uns Ihre Erfahrungen,« sagte der Untersuchungsrichter Lovelace, als er sich im Verlaufe seiner Rede an den Gefängnisdirektor wandte. »Wir müssen nicht allein auf diese wunderbare Begebenheit vollständiges Licht werfen, sondern es ist auch unumgänglich notwendig so zu handeln, daß wir unser Ziel mit aller Vorsicht erreichen, wie es die schwerwiegende Bedeutung eines so unglaublichen Falles verlangt.«

Der alte Direktor strich seinen weißen Bart und nickte. »Sie haben recht! Denn schauen Sie, ich bin überzeugt, daß wir nichts erreichen werden? Es dürfte daher gut sein, wenn alles, was etwa aus dieser Sache sich ergeben oder ans Licht kommen sollte, unter uns bleibt! Nichts, gar nichts darf aus diesen vier Wänden hinausdringen!«

»Entschuldigen Sie,« bemerkte der Polizeiinspektor Edward Bloomfield, ein schöner, lebhafter Mann mit braunem Haar und hoher Statur, der aufrecht stand und sich mit seinen Händen auf den Tisch stützte, an dem der Richter und der Direktor saßen. »Entschuldigen Sie, Herr Direktor, aber wenn es uns gelingt, alles zu entdecken, ein Ergebnis, an dem ich nicht zweifle, wie kommen Sie zu der Ansicht, an der Erreichung unsers Ziels zu zweifeln?«

»Das ist höchst einfach! – Ich wiederhole Ihnen, daß sich mir die Überzeugung gebildet hat, daß dieser O'Connel kein Mensch von Fleisch und Blut ist, daß er vielmehr ein übernatürliches Wesen, ein Zauberer, ein Teufel ist, oder ich weiß nicht mit welchen Titeln Sie vorziehen wollen, ihn zu belegen! Lachen Sie um Gottes willen nicht und halten Sie mich nicht etwa für närrisch oder Halluzinationen unterworfen! Ich bin im Vollbesitze meiner Vernunft, und ich bin in meinem Alter und nach allem, was ich in meiner Stellung erlebt habe, nicht besonders dazu geneigt, mich von abergläubischen Schrecken oder von vorübergehenden Erscheinungen beeinflussen zu lassen!

Die Sachlage ist die: hier im Gefängnis wird mir dieser O'Connel abgeliefert, den man tags zuvor als den wahrscheinlichen Täter eines entsetzlichen Verbrechens arretiert hat. Sobald die üblichen Formalitäten der Gefängnisinspektion in betreff seiner erledigt waren, gehe ich mit zwei Wärtern und suche ihn in seiner Zelle auf. Ich erwarte entweder eine gewöhnliche Verbrechergestalt oder in Voraussetzung seiner Unschuld einen Menschen zu finden, der unter der Anschuldigung eines furchtbaren Verbrechens verzweifelt und außer sich ist. Statt dessen sehe ich einen durchaus feinen Herrn mit ruhigem Lächeln und in einfach eleganter Kleidung vor mir, der den Bleistift, den er in der Hand hat, auf das Blatt Papier niederlegt und mir eine kleine, weiße und zarte Hand wie die eines Mädchens entgegenstreckt. Er schaut mir fest in die Augen und sein lebhafter, durchdringender Blick verwirrt mich und nimmt mich dergestalt gefangen, daß ich mir Gewalt antun muß, um Herr meiner selbst zu bleiben. Ich fasse mich wohl, aber ich gestehe Ihnen, daß ich nicht anders zu beginnen weiß, als mit der üblichen, verbrauchten Redensart: »Wissen Sie, welches Verbrechens Sie angeklagt sind?« –

Und dieser unheimliche Mensch lacht, verrät nicht die geringste Erregung in seinem gleichmäßig bleichen Gesicht und antwortet mir mit vieler Vertraulichkeit:

›Ach, bester Herr Direktor, sprechen wir doch nicht davon, es verlohnt nicht der Mühe! Ich weiß es und weiß es auch wieder nicht! Ich sage, was ich will und tue, was mir behagt und gut dünkt! Glauben Sie mir, wenn ich hier bin, so ist es nur darum der Fall, weil ich der Neugier nachgegeben habe, zu sehen, wie die Gefängnisse beschaffen sind, wie man in ihnen lebt, und wie sich die Prozesse einleiten und entwickeln! Das ist alles, andernfalls würde ich mich nicht haben festnehmen lassen!‹

›Sie wären geflüchtet?‹

›Oh, nicht im Traum! Ich sagte, ich hätte mich nicht arretieren lassen! Spreche ich nicht klar genug? Wäre das nicht der Fall, so würde ich fortgehen. Glauben Sie vielleicht, daß ich fortfahren würde, hier Ihr Gefangener zu bleiben, um Ihnen Vergnügen zu machen!‹ –

Mit dieser Frage endete er seine Worte unter spöttischem Lachen.

Ich ärgerte mich, in der Annahme, es mit einem Narren, oder schlimmer, mit einem verschlagenen Possenreißer von jener widerwärtigen Gattung zu tun zu haben, die niemals Ruhe gibt, und die ernstesten Sachen ins Lächerliche zu drehen sucht. Schon lachten die beiden Wärter, die mich begleiteten. Ich nahm daher eine äußerst strenge Miene an und tadelte ihn scharf, jedoch ohne zu wagen, dem Gefangenen ins Gesicht zu sehen.

›Nehmen Sie Rücksicht, mein Herr! Verschlimmern Sie Ihre schon an sich furchtbare Lage nicht noch mehr! Hier ist nicht der Ort für Ihre Späße! Wollen Sie ernsthaft und ausführlich auf meine erste Frage antworten? Wenn ja, so beeilen Sie sich, wenn nicht, so habe ich meine Pflicht getan und verlasse Sie, aber es wird dann für Sie um so schlimmer sein!‹

Auch das machte auf den Befragten nicht den geringsten Eindruck. Er schaute mich mit seinen durchdringenden und verwirrenden Augen, die aufzuflammen und sich zeitweise erstaunlich zu vergrößern schienen, starr an und antwortete nur mit scharfer und gebieterischer Stimme, aber immer lächelnd:

›Als Sie eintraten, Herr Direktor, war ich im Begriff, eine hochinteressante Berechnung zu machen und genaue Formeln von hohem Wert für die endgültige Lösung eines Problems aufzustellen, das mich geistig mehr beschäftigt und in Anspruch nimmt, als Ihre bedeutungslosen Geschichten von Gerechtigkeit, Verbrechen und Strafen. Ich bitte Sie drum, lassen Sie mich in Ruhe bei meiner Arbeit!‹

›Es ist wahr,‹ sagte ich, ›ich dachte nicht mehr daran, ich überraschte Sie bei meinem Eintritt im Schreiben.‹ Ich drehte mich nach den Gefängniswärtern um. ›Was macht denn die Inspektion eigentlich? Ist denn der Beschuldigte nicht genau untersucht worden? Bemächtigen Sie sich sogleich des Papiers und des Bleistifts und untersuchen Sie hier in meiner Anwesenheit diesen Menschen auf das eingehendste?‹

Die Wärter gehorchten und durchsuchten den Gefangenen vom Kopf bis zum Fuß, und dieser ließ es mit großer Herablassung geschehen. Er beschränkte sich darauf, zu lachen und mir Blicke zuzuwerfen, die nicht verwirrender sein konnten.

Dann sagte er: ›Sie haben also durchaus nichts bei mir gefunden, weil mir tatsächlich bei der Untersuchung auf der Inspektion nichts gelassen worden war. Trotzdem wird es mir, solange es mir gefallen wird, hier als Gefangener zu bleiben, niemals an Papier oder Bleistift fehlen? Um aber zu etwas anderem überzugehen, sagen Sie mir doch, werter Herr Direktor, sind Sie in Ihrem Hause, das Sie als Gefängnisdirektor gewiß hier in der Nachbarschaft haben, vielleicht heut abend genau um elf Uhr frei?‹ –

›Warum?‹ – Die Ernsthaftigkeit, die ich mir auferlegt hatte, verminderte sich unwillkürlich mit meiner Neugier und ich vermochte sie kaum noch zu bewahren.

›Weil ich Ihnen einen Besuch zu machen gedenke!‹

›Gut, gut, mein Herr! Ich habe keine Zeit zu verschwenden!‹ Und ich machte den Wärtern ein Zeichen, daß es Zeit sei, fortzugehen, als mir O'Connel mit seinem offenherzigsten Lächeln heiter sagte:

›Gestehen Sie, Sie haben Angst, Herr Direktor! Ist es etwa nicht wahr, daß Sie meinem Blick nicht zu begegnen wagen? – Diesen Abend, pünktlich um elf Uhr werde ich bei Ihnen sein. Erwarten Sie mich noch in wachem Zustande, damit ich Ihnen nicht zu viel Störung verursache?‹ –

Er machte mir eine leichte Verbeugung und setzte sich an den Tisch – – einen Bleistift in der Hand und ein weißes Blatt Papier vor sich.

Ich wandte mich wütend an die Wärter:

›Er hat ja noch Bleistift und Papier! Aber haben Sie ihm denn das nicht fortgenommen?!‹

Die Wärter zeigten mir ängstlich das andere Papier und die andere Bleifeder. Dann entrissen sie dem Gefangenen auf ein gebieterisches Zeichen von mir auch das zweite Papier und den zweiten Bleistift, um sogleich darauf in seinen Händen neues Schreibgerät, anderes Papier und einen anderen Stift zu erblicken.

Ich sah es, ich versichere Ihnen, mit diesen meinen Augen, den beiden angestellten Durchsuchungen zum Trotz, bei denen man den Gefangenen beinahe nackt ausgezogen und seine Kleider selbst bis auf die Nähte besichtigt und durchforscht hatte.

Ich war bestürzt, ein Gefühl von Schreck überkam mich und nur, indem ich mir Gewalt antat, vermochte ich den Wärtern abermals zu befehlen, auch diesmal ihre Pflicht zu tun und dem Gefangenen Papier und Blei wieder fortzunehmen. Indessen, sie gehorchen und der Gefangene händigt ihnen mit großer Gleichgültigkeit die Gegenstände ein. Er nimmt sich sogar heraus, mir wohlwollend auf die Schulter zu klopfen und versetzt: ›Ich vergaß, verehrter Herr: wenn Sie wünschen, daß ich heute abend Punkt elf Uhr Ihnen einen kleinen Besuch mache, so geben Sie mir wohl gütigst wenigstens die Straße an, in der ich zu Ihrer Wohnung komme!‹

Aufgebracht von solcher Keckheit und von der unbegreiflichen Vervielfachung von Papier und Stift und mehr noch, weil ich mich zum erstenmal von einem Menschen geschlagen sah, den ich nicht verstehen konnte, und der mich aus meiner gewohnten Ruhe brachte, entgegnete ich ihm, wie um ihn herauszufordern, in einem Zug:

›Nun ja, kommen Sie Punkt elf Uhr zu mir, dringen Sie durch diese massive und eisenbeschlagene Tür, in diesen Korridor über die Leiber von vier Schildwachen und durch die Riegel von drei Gattern, steigen Sie in den Hof, klettern Sie über eine Umfassungsmauer von sechs Meter Höhe, springen Sie in den Garten, brechen Sie fünf Ausgänge auf, und kommen Sie zu mir, Narr, der Sie sind und nichts anderes!‹ –

Damit ging ich samt den Wärtern aus der Zelle heraus. Als ich mich aber, ehe noch einer von ihnen die Tür geschlossen, umschaute, sah ich mit Schaudern, daß dieser unheimliche Mensch ein neues Stück Papier und einen Bleistift in der Hand hatte. – Ich sagte nichts mehr, ich hatte nicht den Mut dazu, und ich weiß nicht, ob auch die Wärter die gleiche Beobachtung gemacht hatten.

Ich machte dann noch zum Schein ein paar weitere Besuche in wenigen Zellen und kehrte in mein Bureau zurück, das, wie Sie wissen, im westlichen Gefängnisflügel mit der Aussicht auf den Garten liegt und an meine Wohnung anschließt.

Ich weiß nicht, wie ich diesen halben Tag verbrachte. Ich spürte immer jene unheimlichen Augen auf die meinen gerichtet, immer summte mir der volle und doch scharfe Ton jener Stimme deutlich in den Ohren.

Ich telephonierte hierhin und dorthin, an die Präfektur, an die Polizeidirektion, an den Richter. Ich fragte diesen und jenen und erhielt bezüglich meines Gefangenen nur widersprechende Auskünfte, die einen immer unheimlicher, verrückter oder wunderbarer als die andern. Schließlich verstand ich weniger denn vorher. Ich bin sonst äußerst regelmäßig und nicht leicht außer Gewohnheit gebracht, aber an diesem Tage war ich nicht imstande zu essen und erwartete nur jene Stunde – elf Uhr – für die der Gefangene mir seinen Besuch angekündigt hatte. Allerdings hatte ich Augenblicke, in denen ich gegen meine Furcht und meine entsetzliche Aufregung ankämpfte, aber inzwischen ordnete ich an, daß der Gefangene auf das schärfste seitens meiner verläßlichsten Leute überwacht und nicht aus den Augen gelassen werden sollte. Aber ich legte mich nicht, wie ich gewohnt war, um elf Uhr nieder.

Es hatte auf der Pendeluhr in meinem Zimmer noch nicht aufgehört, elf zu schlagen, als ich unwillkürlich aufschaute und mich auf einmal, ich weiß nicht wie, stark und sicher fühlte, wie wenn ich meine Aufregung überwunden hätte. Da – hefteten sich jene Augen aufs neue in die meinen, wie es mir schon mehrere Male kurz zuvor geschehen war. Aber jetzt waren sie lebendig, waren wirklich da und wurden groß und größer und funkelten und zusammen mit den Augen erschien ganz allmählich auch das Lächeln, das eigenartige Lächeln und das bleiche Antlitz, die Gestalt, seine ganze Persönlichkeit, kurz er selbst vor mir in Fleisch und Blut! –

Nach einer Verneigung zum Zeichen der Begrüßung sagte er mit vieler Höflichkeit:

›Sehen Sie, da bin ich! Ich habe das Vergnügen, Ihnen guten Abend zu wünschen!‹

In meinen Lehnstuhl zurückgelehnt, in vollständiger Kraftlosigkeit, blickte ich mit entsetzten Augen auf diese Erscheinung und war wie vernichtet. Dann erhob ich mich mit äußerster Kraftanstrengung, um wo möglich die Erscheinung, das Gespenst, zu verjagen. Aber er, Gaston O'Connel, schlug mir auf die Schulter, nannte mich lachend seinen Freund und versicherte mir, daß er lediglich mit seinem eigenen Willen im Gefängnis bleibe.

Ich wußte kaum, was ich tat; ich berührte den elektrischen Knopf, um einen Bediensteten und sodann Wachen und Wärter zu rufen. In diesem Augenblick brachte auch schon das Alarmsignal der Gefängnisglocke und der Trommelwirbel der Wache die Kunde von der Flucht eines Gefangenen. Und dieser Flüchtige, – bedarf es der Bemerkung? – war dieser unheimliche O'Connel, den ich da ewig vor mir hatte mit seinem ruhigen Lächeln, ja, ich möchte fast sagen als Herrn meines Willens und Geistes?

Er folgte jedoch sogleich nachgiebig den Wachen und Wärtern, die auf meinen Ruf herzugekommen, und ließ sich in seine alte Zelle zurückführen. Und doch hatte er sie verlassen, ohne daß eine Tür geöffnet oder ein Riegel zurückgeschoben worden wäre, unmittelbar unter den Augen der Wachen, die mir schaudernd einstimmig schworen, daß sie sein Verschwinden erst wahrgenommen hätten, als er schon verschwunden gewesen sei!

Sehen Sie, das ist es, warum ich Ihnen, Herr Lovelace, und Ihnen, Inspektor Bloomfield, sage, daß alles, was auf diese unheimlichen Vorkommnisse und auf das Verbrechen, dessen Urheber wir zu entdecken suchen, Bezug hat, wenigstens für jetzt, in tiefster Verschwiegenheit unter uns bleiben muß, weil wir nichts herausbringen werden. Dieser Mensch wird niemals in unserer Gewalt sein und wir werden ihn niemals überwinden! Ja, wenn ich es allein gewesen wäre, der das gesehen und gehört hätte, ich würde sagen, ich hätte Halluzinationen gehabt, oder ich sei im Begriff, verrückt zu werden! Aber da sind Wachen und Schließer, die es ebenfalls gesehen haben und sie haben mir Verschwiegenheit gelobt.

Und jetzt, was Sie angeht, Herr Lovelace, ich wünsche Ihnen den Sieg, aber ich kann in keiner Weise mehr daran glauben.« –

*

Der alte Gefängnisdirektor schwieg, indes der Richter und der Inspektor den Kopf schüttelten, der Kanzlist wie geistesabwesend ins Leere starrte und die beiden Wächter mit einem starken Anfall inneren Grauens zu kämpfen schienen, das sie erbeben ließ.

»Im ersten Augenblick, verehrter Herr Direktor, erscheint, was Sie uns erzählt haben, außerordentlich, ich will es nicht leugnen,« begann schließlich der Untersuchungsrichter Sir Lovelace. »Ich kann mir zwar die Tatsache noch nicht erklären, aber ich möchte sie zunächst als eine merkwürdige Erscheinung von Autosuggestion betrachten. Aber wir werden schon zum Ziel kommen und den Betrüger entlarven! Übrigens sagen Sie doch, lieber Bochmayr: und der andere Angeschuldigte, der des gleichen Verbrechens Angeklagte, der Ehemann des Opfers, der Mann namens Peter Makulay?« – –

»Oh, das ist ein ganz gewöhnlicher Mensch!« erwiderte sofort der Gefängnisdirektor und hob die Hand beinahe mit einer Bewegung der Erleichterung darüber, daß er wenigstens für einen Augenblick an den andern Gefangenen nicht mehr zu denken hatte.

Makulays Stimmung wechselt zwischen vollständiger Verzweiflung und wahnsinnigen Empörungsausbrüchen, von denen er wieder zur kläglichsten Niedergeschlagenheit übergeht. Es ist ein wahrer Jammer! Aber mir und allen gegenüber hat er sich seit seiner Einbringung ins Gefängnis in hartnäckiges Schweigen gehüllt. Erst gestern hat er erklärt, daß er dem Untersuchungsrichter ein vollständiges Bekenntnis ablegen würde, wobei er aber seine eigene Unschuld an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen beteuert. Wenn wir ihn befragt haben werden, könnten wir ja wohl zu seiner Konfrontierung mit O'Connel übergehen! Aber ich muß sagen, ich habe Furcht, es könnte Unheil daraus entstehen. Vielleicht sollte man die Konfrontierung besser auf eine spätere Zeit abschieben. – –

»Aber dies«, bemerkte respektvoll der Inspektor Bloomfield, »dürfte doch wohl, wie mir scheint, von dem Ausfall der Geständnisse Makulays abhängen!« –

»Das ist richtig!« versetzte Sir Lovelace, »inzwischen sind unsere beiden seltsamen Angeklagten hier in wohlgetrennter Bewachung und warten. Sind Sie sicher, daß der eine nichts von dem andern weiß?«

»Vollkommen sicher hinsichtlich Makulays, der in der Tat keine Ahnung hat, O'Connel so nahe zu sein. Was aber diesen anbetrifft, so möchte ich für nichts gut sagen!« –

Der Richter lächelte spöttisch und entgegnete:

»Aber ich erkenne Sie gar nicht wieder! Doch besprechen wir das später! Jetzt ist es besser, keine Zeit zu vergeuden! Kanzlist, merken Sie auf, damit Sie nicht ein einziges Wort verlieren! Und Sie, Simpson und Favart, holen Sie geschwind den Mann namens Makulay und führen Sie ihn hierher!« –

Bald darauf erschien vor dem Untersuchungsrichter der Angeschuldigte Peter Makulay. –

*

Es war ein gut aussehender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, allem Anschein nach ein stiller und friedlicher Mensch, der noch niemals etwas mit dem Gericht zu tun gehabt hatte. Er war vom Kopf bis zum Fuß schwarz gekleidet und diese Trauerfarbe ließ sein blasses und mageres Gesicht noch bleicher erscheinen, in dem zwei lebhafte Augen glänzten, die aber jetzt furchtsam umherwanderten, wie wenn sie einen Ruhepunkt suchten, den zu finden ihnen versagt blieb. Er war gefesselt, und die mehr seelischen als körperlichen Leiden weniger Tage im Untersuchungsgefängnis hatten ihn so mitgenommen, daß er sich, wie im Fieber, nur mühsam auf den Füßen hielt.

»Lassen Sie ihn niedersetzen und nehmen Sie ihm die Handschellen ab,« gebot der Untersuchungsrichter. Dann wandte er sich an den Angeklagten:

»Ihr Nationale?«

»Peter Makulay, vierundvierzig Jahre – – und Witwer«; er sprach das letzte Wort mit zitternder Stimme aus, während sein Blick in die Ferne zu schauen schien und seine Augen sich mit Tränen füllten.

»Wissen Sie, wessen Sie angeklagt sind?«

Der Angeschuldigte öffnete den Mund, aber er konnte nicht sprechen und fing an mit gesenktem Kopf still zu weinen.

»Vorwärts, fassen Sie Mut!« fuhr der Richter fort, ohne Mitgefühl zu verraten. »Sie sind angeklagt, Ihre Gattin, Kate Merival, mittels Erdrosselung getötet zu haben!«

»Nein! nein, das ist nicht wahr, ist nicht wahr!« rief Makulay. Er erhob den Kopf und wischte heftig seine Tränen ab. »Ich bin unschuldig, Herr Richter, unschuldig!« Und er sank in seine Niedergeschlagenheit zurück, wie wenn der unvorhergesehene Schlag ihn erschöpft und in seine stumme Verzweiflung zurückgeschleudert hätte.

»Beweisen Sie uns nur Ihre Unschuld!« entgegnete Sir Lovelace mit sehr wohlwollender Stimme. »Wir verlangen nichts Besseres. Der Anschein, um nicht zu sagen, die Beweise, sind vollständig gegen Sie – und bisher blieben Sie stumm, mit einer Hartnäckigkeit, die in Wahrheit nicht allzusehr zu Ihren Gunsten spricht! – Aber der Herr Gefängnisdirektor hier hat uns soeben mitgeteilt, daß Sie bereit sind, zu sprechen, zu gestehen!« –

»Das ist wahr – –, ich konnte nicht früher, nein, ich hätte nicht können! Mein furchtbares Unglück hatte mich beinahe wahnsinnig gemacht! – Und dann, es sind so außerordentliche, in ihrer teuflischen Verkettung so unglaubliche Vorfälle, daß ich nicht allein fürchtete, man werde mir nicht glauben, wenn ich sie erzählte, sondern, daß ich auch Angst hatte, man könnte mich für wahnsinnig halten und mich für immer in ein Irrenhaus einsperren! Ich wäre überzeugt, daß ich dort wirklich wahnsinnig werden müßte. Jetzt habe ich diese Furcht nicht mehr, mein Körper ist noch schwach, aber mein Geist hat sich in der Stille der Zelle gekräftigt und ich glaube, daß mich einzig und allein die Wahrheit retten kann!«

Er schwieg einen Augenblick und preßte die Hände gegen die Stirn. Jeder blickte ihn mit Neugier an und der Kanzlist neigte sich über sein Papier und wartete mit großen Augen.

Dann fuhr Makulay mit deutlicher und ruhiger Stimme fort: »Mein Unglück nahm an jenem Tage seinen Anfang, da ich das Verhängnis hatte, den außerordentlichsten, unheimlichsten Menschen auf Gottes Erdboden kennen zu lernen. Dieser Mensch ist entschieden ein übernatürliches Wesen, und die bloße Erinnerung an ihn macht mich vor Schauder und Entsetzen zittern. Ich weiß nicht wie, aber ich fürchte immer, ihn im nächsten Augenblick zu meinem endgültigen Untergang vor mir erscheinen zu sehen!

Dieser Mensch nennt sich Gaston O'Connel. Ich machte seine Bekanntschaft in einem Restaurant, wohin ich mich mit meiner Frau zum Essen begeben hatte – mit meiner Frau!«

Als er sie aufs neue nannte, geriet der Angeklagte in tiefe Erregung. – »Oh, sie war schön, so schön! – ein blondes Schönheitswunder von vollkommener Gestalt. Alle Grazien, alle Tugenden waren in ihr vereinigt, und sie liebte mich, wie ich sie. Ich war überaus eifersüchtig auf sie, denn sie war mein Glück, mein Leben!« –

»In jenem Gasthause nun, wo wir saßen und ruhig speisten, nahm an einem nahen Nebentisch ein junger eleganter Herr Platz. Er war ungemein bleich, hatte braune Haare und schwarze Augen, die mit ihren Blitzen jedermann in Verwirrung zu setzen vermochten. Ich bemerkte auf der Stelle die Unruhe, in die meine Gattin durch einen lange andauernden Blick dieses Menschen versetzt war. Auch ich selbst unterlag unwillkürlich dem Zauber: ich hatte weder die Kraft noch den Mut, mich des seltsamen Einflusses sofort zu erwehren. Ja, noch mehr, obwohl ich instinktiv einen Feind in ihm ahnte, schloß ich mit diesem Unheilsmenschen Freundschaft, durch Beantwortung einiger gleichgültiger Fragen, die er in unglaublich verbindlicher Art an mich zu richten wußte. Er enthüllte sich uns bald als hochgebildet, gab sich für einen Irländer und Fremden in London aus und wußte sich so gut in unser Vertrauen einzuschmeicheln, daß wir trotz der unwillkürlichen Abneigung, die er uns im ersten Augenblick eingeflößt hatte, beim Verlassen der Wirtschaft miteinander hinausgingen und uns nach Hause, nach meinem Hause, begaben.

Hier verbrachten wir herrliche Stunden, denn die Unterhaltung dieses Menschen war bezaubernd, eine lebendige Quelle von Geist und Wissen. Beim Abschied versprach ich ihm, ihn in William Park, in dem kleinen Hause, das er gemietet hatte, aufzusuchen.

Gleich nach seinem Fortgehen sagte mir meine Gattin, sie glaube, diesen Herrn schon öfter gesehen zu haben, und sie habe stets vor ihm einen unüberwindlichen Schauder empfunden, aber sie lasse sich trotzdem nicht im geringsten durch seinen außerordentlich lebhaften und durchdringenden Blick einschüchtern. Wie ich zeigte auch sie sich von seinem Geist entzückt, zugleich aber bat sie mich, ihn nicht wieder zu empfangen und ihn überhaupt nicht wiederzusehen, denn sie habe die Überzeugung, ich sei ihm nicht gewachsen!

Ach, daß ich den Ratschlägen meiner geliebten Frau gefolgt wäre, aber ich tat es nicht, vielmehr war es schon am nächsten Tage, wie wenn eine heimliche Kraft mich zwänge, diesen Menschen wiederzusehen. Es geschah mit wahrer Angst, es war mir, als gelte es ein verbotenes und doch heißersehntes Liebesbeisammensein, als ich ihn aufsuchte. Schon aber war ich gehorsam und unterwürfig ihm gegenüber, denn er war bereits mein unumschränkter Herr geworden.

Was ich in jenem einfachen und doch von so merkwürdigen Geheimnissen erfüllten Häuschen gesehen habe, könnte ich nicht wiedergeben. Es enthielt ein chemisches Laboratorium von reichster Ausstattung, ein Museum von seltenen, seltsamen und kostbarsten Gegenständen und eine Werkstätte mit kleinen Maschinen und Geräten, deren Verwendung ich schlechterdings nicht zu erraten vermochte. Sich selbst bezeichnete der geheimnisvolle Mensch als Irländer, aber er konnte keine Person von dieser Welt sein oder irgendein Vaterland haben. Mir gegenüber benahm er sich sonst, wie ich nicht anders sagen kann, durchaus tadellos. Ich verstand zwar nichts vom Spiritismus und war ein ungläubiger Materialist, aber er erschien mir als wunderbarer Spiritist und als ein Medium von außergewöhnlicher Stärke.

Vor meinen Augen und im vollen Tageslicht, ohne alle Apparate, ohne redende oder schreibende Tische, enthüllte er mir Wunder, an die ich nicht denken kann, ohne daß ich noch jetzt vor Staunen und Bewunderung zittere. So nahm er mich nach und nach vollständig für sich ein und machte aus mir, dem vorher Ungläubigen, einen überzeugten Spiritisten. Ich wurde ein bloßes Werkzeug in seiner Hand, und zwar in einem solchen Grade, daß ich die Empfindung hatte, als besäße ich keinen eigenen Willen mehr, als sei seine Seele in mich übergegangen und als denke und wolle mein Gehirn nur noch in der Abhängigkeit von ihm und in seinem Willen!

Er kam alle Tage in mein Haus oder ich begab mich in das seinige, und diese gegenseitigen Besuche hatten eine nur zu enge Vertraulichkeit zur Folge. So sehr ich aber auch mit Blindheit geschlagen war, so bemerkte ich doch sehr bald, daß O'Connel sich rettungslos in meine Gattin verliebt hatte. Diese aber ermutigte ihn nicht im geringsten, sein Zauber hatte bei ihr alle seine Macht verloren, und sie behandelte ihn stolz und abweisend und versuchte alle Mittel, um mich seiner geheimnisvollen Macht zu entziehen und mich aus dem Abgrund, in den ich gesunken war, zu retten. Aber alles war fruchtlos: ich schwur auf ihn, aber ich begann ihn gleichzeitig, von Eifersucht zerfleischt, in ohnmächtigem Grimm zu hassen. Und doch war es mir unmöglich, ihn zu verlassen; ich konnte nicht einen einzigen Tag fern von meinem Feinde leben; so vollkommen beherrschte er mich jetzt.

Meine Gattin hingegen blieb fest und entschlossen, und vor dieser unüberwindlichen Standhaftigkeit verzweifelte O'Connel und wurde fast wahnsinnig. Bei mir war jede Willenskraft dahin; zwischen den Wundern, die mir dieser außerordentliche Mensch jeden Tag enthüllte und zwischen der unendlichen Liebe zu meiner angebeteten Kate fühlte ich mich qualvoll hin- und hergerissen. Ich lebte ein übernatürliches Leben voll von Geheimnissen und Leidenschaften, das mir nicht mehr dieser Welt anzugehören schien. In den seltenen Augenblicken geistiger Klarheit, die mir noch beschieden waren, gewahrte ich, vor Verzweiflung wahnsinnig, den Abgrund, der sich zu meinen Füßen öffnete. Aber nur zu schnell sank ich wieder in meine jetzt beinahe schon gewohnheitsmäßige Verblendung zurück. –

Eines Tages – es waren drei Monate verflossen, seit ich O'Connel kennen gelernt hatte – waren wir miteinander unter vier Augen bei einer langen spiritistischen Sitzung gewesen. Er hatte hierbei Chemie, Physik und Spiritismus zu einer einzigen Kraft verbunden, um mir, wie er sagte, neue Wege zum Glücke, zur höchsten Seligkeit zu enthüllen, die wir allein zu erreichen imstande sein würden, wobei wir gleichzeitig die unbeschränkte Wahrheit erlangen sollten. Als ich berauscht und entzückt in dieser Traumwelt lebte, nahm er mich bei den Händen, blickte mir glühend in die Augen und sagte mir mit gebieterischem Ausdruck der Stimme, der mich erbeben ließ: ›Deine Frau muß die meine werden, verstehst du? Sie soll mein werden!‹ –

›Ja, sie soll dein werden! Meine Kate soll dein werden!‹, antwortete ich ihm unterjocht, während mir das Herz brechen wollte und jede Kraft mir versagte, in absoluter Vernichtung meines Bewußtseins und meines Willens. ›Meine Kate soll dein sein!‹ –

›Das ist recht! Du mußt sie veranlassen, mein zu sein! Ich will sie haben! Wenn du wüßtest, wie ich sie liebe?! – Aber meine Liebe ist gefährlich, begreifst du? – Ha, warum hat diese Frau mir bisher widerstehen wollen? Was für einen starken, eisernen Willen hat sie? Das ist ein Wille, wie ihn diejenigen besaßen, die die Märtyrerkrone gewannen! – Diesen Willen zu überwinden, wird für mich der höchste Ruhm sein. Durch übernatürliche Macht, durch Zauber hätte ich sie schon längst besiegen können! Nein, mein Selbstbewußtsein verlangt, daß ich sie kraft meines Willens überwinde! Du aber, mein lieber Makulay, stell dich, als ob du sie nicht mehr liebtest, behandle sie mit Härte, wirf sie in meine Arme und ich schwöre es dir, du wirst groß sein! – Ich werde euch alle beide glücklich machen, dich, wie deine Gattin: komm, komm und schaue!‹ –

Er ergriff mich wie ein Kind bei der Hand und führte mich in einen weiten Saal zu ebener Erde. Mitten darin stand ein Luxus-Automobil, das sich zunächst in meinen Augen von andern, die ich gesehen, nicht wesentlich unterschied.

›Siehst du diesen Motorwagen? Er ist nach einer wunderbaren Erfindung von mir mit einer neuen, mächtigen, unvergleichlich einfachen Kraft – neu für uns, sonst ebenso alt wie die Welt! – ausgestattet, die nichts kostet. Diese neue Kraft kann jede beliebige Gattung bewegender Kraft ersetzen. Sie hat kein Gewicht, keine Ausdehnung, verzehrt sich nicht und ist unsichtbar! Wer über sie gebietet, vermag die Welt umzuwälzen, willst du sie erproben? Nimm hier neben mir Platz! So – und nun fort!‹ –

Wir bestiegen das elegante Gefährt. Dieser Zauberer berührte nur einen Knopf, dann einen andern und noch einen dritten an dem Lenkrad, und das Automobil ging aus dem Saal, querte den Garten, erschien auf der breiten, sonnigen Straße und sauste in einem Zuge, wie vom Wind getragen, von dannen, ohne auch nur das geringste Geräusch der Räder oder Ketten zu verursachen, wie in einem Traum.

So flogen wir in einer schwindelerregenden zweitägigen Fahrt zu meinem Staunen und meiner Bewunderung von einer Gegend zur anderen. Auch nicht ein einziges Mal mußte mein seltsamer Gefährte die bewegende Kraft unseres Fahrzeuges erneuern; niemals öffnete er den Mittelkasten, der hermetisch geschloffen war und wo nach meiner Vorstellung die unheimliche, gewaltige Energie aufgespeichert sein mußte.

Wahrlich, ich erlebte Augenblicke unaussprechlicher Entrücktheit und wieder andere unsagbaren Schauders. Zuzeiten dachte ich, es müsse in dem Motorwagen, der also im Fluge die einsamen Gefilde durchquerte, eine Macht eingeschlossen sein, die nicht von dieser Welt stammte. Ich saß neben diesem Menschen, der mir die Seele geraubt hatte und der mir auch noch die Gattin rauben wollte, meine Liebe, meine einzige Glückseligkeit, und ich war an seiner Seite von einem so lähmenden Entsetzen befallen, daß es Augenblicke gab, in denen ich mir als letzte Erlösung den Tod wünschte.

Es war in solchen Augenblicken, wo mir in meinen Gedanken die Idee auftauchte, meinen Feind niederzuschlagen, ihn plötzlich zu vernichten, auf der Stelle, indes das Automobil wie ein Höllendrache einem unbekannten Ziel zuraste. Ich wandte mich unwillkürlich, ihn zu beobachten, und es deuchte mir schaudernd, als läse ich in seinen scharfen Augen durch die Gläser seiner Automobilmaske, daß er meine Gedanken wisse. Es schien mir, als ob er meinen wilden Plan erriete, und ich senkte verwirrt die Augen und fiel in meinen kläglichen Zustand zurück. –

Seit jenem Augenblick kämpfte ich zu jeder Stunde, zu jeder Minute mit dem hartnäckigen Verlangen, O'Connel zu töten, dieses entsetzliche Ungeheuer, das ein Teil von mir geworden war, von dem ich mich anders nicht zu befreien wußte, umzubringen, und sollte ich auch die Gewißheit meines drohenden, unvermeidlichen Untergangs vor mir haben! –

Undeutlich erinnere ich mich an Gefahren, denen wir wie durch ein Wunder entgingen. Dann lenkten wir nach einer letzten, schwindelnden Fahrt nach Hause. Innerlich ganz von meinem quälenden, verbrecherischen Entschlusse in Anspruch genommen, hatte ich kein Wort mehr mit meinem Gefährten gesprochen. Ebensowenig hatte ich ihn angeschaut, aus Furcht, das Fünkchen Mut, das mir anzufachen gelungen, möchte wieder in mir erlöschen. Er stand über seinen Motorwagen geneigt mitten im Saal des Erdgeschosses, machte sich an dem Werk desselben zu schaffen und regulierte, ich weiß nicht, welche Schrauben und Schlüssel. Ich stand neben ihm und dachte bei der aufregenden Versuchung, mit meinem Feinde endgültig abzurechnen, an meine Frau, die ich seit zwei Tagen nicht einmal begrüßt hatte. Ich dachte, daß sie als Augenzeugin meiner Schmach und meiner Schwäche mir schon unbedingt ihre Liebe entzogen haben müsse, und daß sie dann unweigerlich diesem Menschen, diesem Unhold in die Hände fallen werde – –, dem ich sie zu allem noch zugesagt hatte –! Immer wilder erwuchs in mir die Versuchung und verblendete mich! Auch konnte ich nach der Tat der unbeschränkte Herr dieser geheimnisvollen, gewaltigen Kraft werden, die das Automobil bewegte – – ich konnte der Beherrscher der Welt werden! – –

Ich sah von meinem Feinde, der noch immer an seinem Automobil gebückt stand, den weißen Nacken und die elegante feine Gestalt. Aber unter dieser Eleganz verriet sich eine eiserne Muskulatur, eine vielleicht unbezwingliche, der meinigen sicher überlegene Körperkraft. Dennoch hielt ich meinen Atem an, sammelte alle meine Stärke für den Augenblick des Handelns, heftete meine glühenden Augen auf seinen weißen Nacken, schlich mich näher und hob schon die Hände, um meine Beute zu packen. – –

Aber mit einem Schlage drehte sich O'Connel um, kräuselte die Lippen zu einem spöttischen Lächeln und reckte sich in dem Bewußtsein seines geheimnisvollen Geistes zu seiner vollen Höhe auf. Er packte mich bei den Armen wie mit einer Zange, näherte mir sein bleiches Gesicht und schaute mir mit seinem tückischen, funkelnden Blick lange in die Augen. Wieder fühlte ich jeden Willen, jedes Selbstbewußtsein in mir hinschwinden. Hatte er meinen Vorsatz, ihn zu erwürgen, erraten oder nicht, ich weiß es nicht. Er sagte nur zu mir mit seiner gebieterischen, hellen Stimme:

›Und nun gehen wir zu deinem Hause, zu deiner Gattin, Freund! Erinnere dich deines Versprechens, ich werde des Lohnes gedenken!‹

Er hielt mir noch die Arme in seinen Händen fest und sah mir ständig in die Augen. Aber in diesem Augenblick vermochte ich durch eine gewaltige Kraftanstrengung mich seinem Zauber zu entziehen. Ich brüllte auf wie ein wildes Tier und packte ihn an der Kehle. Es gelang mir, ihn gegen den Motorwagen zu werfen, aber dann stürzten wir beide, grimmig miteinander verschlungen, auf den Boden.

Das war der Augenblick, da die fürchterliche, entsetzliche Tat vorfiel. Die Kehle meines Gegners wich in unerklärlicher Weise unter meinem Griff, wie wenn sie nach und nach verschwände. Seine Augen erweiterten und verdrehten sich in den letzten Krämpfen des Todeskampfs und – seltsam! – erschienen mir statt schwarz, wie sie ursprünglich waren, blau geworden zu sei! Dann trat in dem bereits bleifarbenen Angesicht plötzlich eine fürchterliche Veränderung ein, und unter meinem wahnsinnigen Blick erschien – – ihr Antlitz – – das geliebte Gesicht meiner Kate! Ja – es waren ihre blonden Haare, es war ihre von den letzten Zuckungen des Todeskampfs entstellte Schönheit! – –

Aufheulend ließ ich die Faust los, aber auch das Antlitz meiner Gattin verschwand. Ich hielt nichts mehr in meinen Händen, auch mein Feind war nicht mehr dort. Entsetzt und mit gesträubtem Haar schaute ich mich rings in der Einsamkeit jenes Saals, vor jenem verhängnisvollen Motorwagen um, dann fiel ich, ohne die Hände vorzustrecken, vornüber und verlor das Bewußtsein, wie wenn meine letzte Stunde geschlagen hätte.

Ich weiß nicht, ob das Minuten oder Stunden gewesen sind. Als ich schließlich dazu imstande war, erhob ich mich mit dem unwiderstehlichen Verlangen, sobald als möglich meine Gattin wiederzusehen, sofort zu ihr zu eilen. Ich flog nach Hause, öffnete die Türen, suchte meine Frau überall mit verzweifelter Angst, mit der Angst eines Mörders, der sein Opfer wieder auferweckt sehen möchte! – Ich fand sie im Salon, lang ausgestreckt auf dem Bodenteppich, tot – erdrosselt. Mit einem Aufschrei warf ich mich auf ihre Leiche und umarmte sie. Ich sah rot, das Blut schoß mir in das Hirn, wie mit einem singenden Sausen brauste es mir in den Ohren und ich ward ohnmächtig.

Als ich wieder zu mir kam, war ich schon in den Händen der Polizei: niemand anders konnte in das Haus gekommen sein, um meine Kate zu ermorden! Ich selbst mußte der Mörder sein, dessen Hand noch mit dem Blut meines Opfers gefärbt war! – Aber hatte ich denn nicht den schändlichen O'Connel umgebracht? Aber wie hatte ich denn meine Frau erwürgen können, während ich ihn erdrosselter – Nur ihr Gesicht – ihre blonden Haare – – Gott, o mein Gott! – – Warum wurde ich nicht wahnsinnig – – warum nicht? – –

Ich kann Ihnen nichts weiter sagen, meine Herren! Ich habe Ihnen alles, alles erzählt. Ich bin unschuldig, nicht wahr! – – Und doch ihr Gesicht – – ihr Todeskampf – –! Mein Gott, warum läßt du mich nicht sterben?!« –

Makulay hatte stehend seinen ganzen Bericht vorgebracht und mit lebhaftem Mienenspiel und Bewegungen alle Entwicklungen der Erzählung begleitet. Jetzt setzte er sich wieder und überließ sich von neuem seiner wortlosen Verzweiflung.

Der Richter, der Gefängnisdirektor, der Polizeiinspektor, der Kanzlist und die Wächter schienen plötzlich wie aus einem Traum zu erwachen. Es schien, als ob niemand zuerst zu sprechen wagte, und es folgte ein Augenblick der Stille, die nur von dem schweren Atemholen Makulays unterbrochen wurde.

Dann sprach Sir Lovelace mit langsamer Stimme, aus der er vergebens jedes Zeichen innerer Erregung zu verbannen suchte.

»Jetzt, da wir Sie gehört haben,« sagte er, »Sie Unglücklicher, der Sie sich von einem schmählichen Betrüger zum Verbrechen beeinflussen ließen, wollen wir auch diesen, den sogenannten O'Connel, und zwar sogleich in Ihrer Gegenwart vernehmen!«

»Wie?« rief Makulay und sprang von seinem Sitz auf; er preßte die Hände auf das Herz und zitterte am ganzen Körper: »Er – er – – immer noch er! Nein – nein! Nicht hier! Ich will ihn nicht sehen! – – Und Sie haben ihn festgenommen, Sie haben ihn festnehmen können? Oder ist er selbst hierher gekommen? – Aber habe ich ihn denn nicht erwürgt? – Aber ist es denn wirklich sie – meine Kate –, die ich – –« und er fiel in seinen Sessel zurück und streckte die Arme vor, wie um eine schreckliche Erscheinung abzuwehren.

»Beruhigen Sie sich, um Gottes willen!« nahm der Richter mit festerer Stimme das Wort und befahl einem Wächter, dem Angeschuldigten etwas Stärkendes zu reichen. »Diese Gegenüberstellung ist unerläßlich, und Sie müssen diesen Mann wiedersehen, den wir festnehmen ließen und der hier in Untersuchungshaft ist. Dadurch hoffen wir, soll sich die volle Wahrheit ergeben und Ihre Unschuld klar werden können, wenn Sie unschuldig sind. Ich möchte es Ihnen wünschen, ganz abgesehen davon, daß es meine feste Überzeugung ist, daß Sie, mit oder ohne Bewußtsein und sonst mehr oder minder verantwortlich, der Mörder Ihrer Gattin gewesen sind! Allerdings, der wahre Schuldige ist sicherlich jener O'Connel, Ihr böser Geist! Aber jetzt soll er vergebens zu seinen verächtlichen Gaukelkünsten seine Zuflucht nehmen! Wohlan, verlieren wir keine Zeit, sondern gehen Sie, Simpson und Favart, und holen Sie diesen Menschen mit Namen O'Connel! Nehmen Sie ihm nicht die Handschellen ab und überwachen Sie ihn fortwährend auf das schärfste!«

Die beiden Wächter gehorchten, und einige Augenblicke später kehrten sie samt Gaston O'Connel zurück. Stolz und aufgerichtet, trotz seiner zusammengefesselten Hände von Kraft und Selbstbewusstsein erfüllt, schritt er bis zum Tisch des Untersuchungsrichters vor, grüßte ihn mit leichtem Kopfnicken und warf flüchtig einen Blick auf Makulay. Kein Schatten, keine Spur von Gefühl war auf seinem bleichen Antlitz zu bemerken, das nur den Ausdruck hochmütigen Spottes zu kennen schien.

Der Gefängnisdirektor fuhr trotz aller Selbstbeherrschung zusammen, und Sir Lovelace faltete die Brauen, um seine innere Erregung zu verbergen. Makulay saß indes stumpfsinnig, wie ein lebendes Bild des Entsetzens auf seinem Stuhl, und auch alle übrigen waren von der allgemeinen Furcht angesteckt. Augenscheinlich erwarteten sie die Enthüllung eines schrecklichen Geheimnisses.

O'Connel allein war vollkommen Herr seiner selbst, heiter und überlegen. Mit lebhafter Bewegung hob er die am Gelenke gefesselten Hände, wandte sich an den Untersuchungsrichter und sagte, bevor dieser noch den Mund geöffnet hatte:

»Nun wohl, was wollen Sie also von mir? – Mein Nationale in erster Linie, nicht wahr? – Das haben Sie bereits, wie es mir beliebte, Ihnen zu geben! – Habe ich vielleicht Vaterland, Namen oder Stellung irgend welcher Art, wie die andern Leute? – Vielleicht hatte ich das einst! – Aber schauen Sie mir in die Augen, Sir Lovelace! Sagten Sie mir nicht kürzlich, dass der Spiritismus eine Fabel sei? Sagten Sie mir nicht – –?«

Aber der Richter war über seine erste Anwandlung von Schwachheit ergrimmt. Er hatte sich schnell ermannt, schlug mit der Faust auf den Tisch und unterbrach den Angeklagten:

»Was da, bei mir ist jegliche Komödie nutzlos! Mir sollen Sie kein X für ein U vormachen und, um kurz zur Sache zu kommen, drehen Sie sich einmal um und schauen Sie sich jenen Mann da an!« Dabei wies er auf den unglücklichen Makulay. »Sagen Sie uns, kennen Sie ihn?«

»Nennen Sie den doch nicht einen ›Mann‹! Das ist ein ganz tiefstehendes, klägliches Geschöpf, das vielleicht Ihr Mitleid, aber ganz gewiß nicht meine Beachtung verdient! – Ja, ich kenne ihn, was weiter –?«

»Er hat soeben alles gestanden!« –

»Das weiß ich, das sehe ich! Er macht den Eindruck, als wolle er jeden Augenblick entseelt zusammensinken.– – Und hat sich meine Unschuld oder meine Schuld daraus ergeben?« fragte er mit spöttischem Lächeln und schaute dabei wiederum dem Richter in die Augen.

»Es hat sich ergeben, daß Sie durch Mißbrauch Ihrer Trugkünste das Gehirn dieses Bedauernswerten in Verwirrung gebracht und ihn zu einem gewöhnlichen Mörder gemacht haben!«

»Was Teufel? Sollte er bekannt haben, daß er der Mörder sei –? – Das wäre seltsam – –!«

»Ja, er hat das bekannt, aber in seiner Weise, versteht sich. Er war die Waffe in Ihren Händen und Sie haben ihn zum Mörder gemacht, dadurch, daß Sie ihn zwangen, seine Gattin zu töten! Das ist das Ergebnis des Abschlusses seiner Erzählung und Sie – –«

»Genug, genug, Herr Richter! Gehen Sie auf dieser infolge verkehrter Voraussetzungen eingeschlagenen falschen Straße nicht weiter! – Ich – –«

»Ich will nicht hoffen, daß Sie noch länger versuchen, vor uns groß zu tun! Genug dieses Komödienspiels! Sie werden nun auf jede Frage antworten, die ich Ihnen stelle! – Inzwischen, Kanzlist, lesen Sie das vollständige Bekenntnis des Peter Makulay vor!« –

»Aber ersparen Sie doch Ihrem Kanzlisten solche Mühe! – Ich weiß alles, was Makulay erzählt haben kann! – Ich sagte: genug, genug, weil ich wahrlich in diesen wenigen Tagen freiwilliger Gefangenschaft mir eine deutliche Vorstellung von dem erworben habe, was die armselige und blinde Gerechtigkeit der Menschen ist und wie kindisch die von ihr erdachten Mittel und Wege sind, die Wahrheiten zu entdecken, die ihr von Wert sind! Nun will ich Ihnen alles sagen, die vollständige Wahrheit, die Ihnen dieser Mensch zu sagen nicht imstande war: ich allein bin der Mörder von Kate Makulay, ich allein! Und warum ermordete ich sie? – Hätte ich sie niemals kennen gelernt!

Noch niemals in der Vergangenheit hatte mich menschliche Kraft besiegt, nie würde sie mich in Zukunft besiegt haben! Nicht mehr Sklave der göttlichen und menschlichen Gesetze, denen die übrigen Menschen unterworfen sind, sondern Herr der tiefsten Geheimnisse der Natur, die ich durch meine Begabung beherrsche, bin ich imstande, wann ich will, jene Wunder zu wirken, die der törichten Welt Fabeln bedeuten, als ob nicht der mit dem Wissen vereinte Wille Berge versetzen könnte! Und dennoch ließ ich mich in meiner Größe, Reinheit und Strenge von der lieblichen Schönheit eines Weibes überwinden und sank anbetend vor ihr nieder, weil ich die letzte Wurzel des bösen Adamssamens aus meinem Herzen nicht hatte ausrotten können. Ich wurde besiegt von einer ehernen Tugend, die mich verzweifelt, mitleidslos, frevelhaft machte. Zwei Seelen begannen in mir in unversöhnlichem Gegensatz zusammen zu hausen: die eine rein, groß und edel, die andere niedrig, gemein, die der gewöhnlichen Menschen – –, jene Seele, die das Weib liebt, die die Sinne entzündet, die den Körper verzehrt und die uns den Tieren ähnlich macht.

Oh, ich kämpfte hartnäckig, einen entsetzlichen Kampf, aber schließlich, immer mehr überwunden, erschien ich bei jenem, – er wies auf Makulay – um ihm die Liebe seiner Frau, dieses wunderbaren Wesens, zu rauben, die ich geschworen hatte, für immer zu der meinen zu machen. Aber der Wille dieser Frau war fest und unbeugsam, wie ihre Tugend! Wohl empfand ich in meiner Größe und Macht mein Beginnen als eine törichte Verirrung, aber trotzdem fuhr ich fort, in meiner Verblendung sie mit aller Glut meiner zweiten, gewöhnlichen Natur zu lieben. Siegen wollte ich, es koste, was es wolle, aber nicht durch rohe Gewalt wollte ich sie, die meine Sinne gefangengenommen hatte, überwinden und liebeflehend zu meinen Füßen sehen! – In diesem Kampf siegte die gewöhnliche Natur über die edle und riß mich fort bis zum Verbrechen. – –

Als dies verächtliche Geschöpf da, – er zeigte von neuem auf Makulay – aus Wut über seine Ohnmacht für einen Augenblick wieder Mann und Herr seiner selbst geworden zu sein glaubte und mich zu erdrosseln suchte, da legte ich aus verborgener Macht meinem Willen die letzte Kraftprobe auf. Wie ich vor einigen Abenden bei verschlossenen Türen Herrn Bochmayr besuchte, so entzog ich mich ihm in einem Atemzug und war bei ihr, bei seiner Kate. – Sie erzürnte sich, wollte nichts von mir wissen und beleidigte mich tödlich. Da war es, als ich sie mit diesen Händen erwürgte, während im gleichen Augenblick Makulay mich, seinen unüberwindlichen Feind, zu erdrosseln glaubte.

Und nun, da Sie die Unschuld dieses Menschen kennen, glauben Sie immer noch nicht an meine Worte? Wirklich nicht! – Ich bin ein Betrüger, ein gewöhnlicher Schwindler? – O ihr Menschen geringen Glaubens, die ihr nicht einmal vor einem Wunder den Nacken beugen würdet! – Dazu bin ich bereit, alles, was ich gesagt habe, zu unterzeichnen! Aber freilich, was macht es mir aus, da nun für mich die Erlösung naht?

Glauben Sie etwa, mich in Ihrer Gewalt zu haben? Oh, meine Herren, die Sie in Ihrer kläglichen Unwissenheit, die alles leugnet, was sie nicht kennt, so verstockt sind! – Vergessen Sie, daß wir rings vom Unbekannten umgeben sind, und daß jeder Tag ein Fetzen Wahrheit mehr ist, der sich unsern Augen enthüllt? – Wohlan, reichen Sie mir das Protokoll, damit ich Ihnen zu Ihrem letzten Trost wenigstens meine Unterschrift zurücklassen kann!« –

Der Untersuchungsrichter schaute erst den Inspektor Bloomfield, dann den alten Direktor Bochmayr fragend an. War es geraten, diesem gefährlichen Menschen hier die Handschellen abnehmen zu lassen?

Der Gefängnisdirektor zuckte die Achsel, Bloomfield machte eine fast unmerkliche, verneinende Kopfbewegung.

In diesem Augenblick lautloser Stille vernahm man ein knackendes Geräusch, und ohne jede ersichtliche Bewegung O'Connels klirrten die stählernen Handschellen des seltsamen Verbrechers zu Boden.

Entsetzt sprangen Richter, Direktor, Inspektor, Kanzlist und Wächter auf ihre Füße und stürzten sich auf O'Connel, indes Makulay in jäher Ohnmacht dumpf von seinem Stuhl zur Erde gesunken war.

O'Connel schaute mit dem unbefangensten Lächeln in alle die entsetzten Gesichter, er hielt ihnen seine so unversehens befreiten Hände entgegen und fragte herablassend:

»Glauben Sie wirklich immer noch, daß ich in Ihrer Gewalt bin? – Ist Ihnen auch dies noch kein genügendes Zeichen meiner überlegenen Kraft?« –

Sir Lovelace war bleich vor innerer Erregung.

»Lassen Sie uns mit Ihren verdammten Taschenspielerstückchen zufrieden und unterzeichnen Sie das Protokoll! Das weitere wird sich bei der Hauptverhandlung schon finden!«–

O'Connel lächelte fast verbindlich:

»So viel Zeit werde ich Ihnen zu meinem Bedauern wohl schwerlich noch widmen können, Herr Untersuchungsrichter! – Ich habe hier schon zu viel Zeit vergeudet, denn was ich wissen wollte, habe ich schon längst in Erfahrung gebracht!«

Sir Lovelace schüttelte den Kopf:

»Wir werden für Ihren Größenwahn schon noch die richtige Kur ausfindig machen, glauben Sie mir! – Genug jetzt, unterzeichnen Sie!« –

O'Connel nahm mit höflichem Kopfnicken die Feder aus der Hand des Kanzlisten und setzte seinen Namenszug unter sein Bekenntnis. Er bot willfährig den Wächtern die Hände und ließ sich lächelnd die Handschellen wieder anlegen. Dann verneigte er sich mit einem spöttischen:

»Leben Sie wohl, meine Herren!« und verließ überlegen und aufrecht mit größter Seelenruhe in Gesellschaft von Simpson und Favart den Saal.

Da erwachte auch Makulay aus seiner Betäubung und schaute sich verstört rings um. Er stützte sich auf den Stuhl, um sich zu erheben, aber er sank kraftlos zurück. Als er seinen Todfeind nicht mehr sah, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann preßte er die Hand gegen seine Schläfe, blieb in dieser seltsamen Stellung liegen und starrte stumpf und geistesabwesend vor sich hin.

Die drei Herren standen indes noch beieinander.

»Sie sehen, lieber Bochmayr,« versetzte triumphierend der Untersuchungsrichter, »die Sache hat sich gar nicht so übel entwickelt, und Ihre Befürchtungen haben sich als vollkommen grundlos erwiesen!«

Der Gefängnisdirektor hob warnend den Finger:

»Frohlocken Sie nicht zu früh, Sir Lovelace, es ist noch nicht aller Tage Abend!«

Der Untersuchungsrichter schaute Inspektor Bloomfield an und blickte achselzuckend gen Himmel.

»Es ist nicht mehr mit Ihnen auszuhalten, bester Bochmayr! Sie sehen jetzt überall Gespenster!«

Der Gefängnisdirektor verzichtete auf eine Entgegnung. Er ließ den sich mühsam fortschleppenden Makulay wieder in Gewahrsam bringen und wandte sich sodann an den Inspektor:

»Senden Sie mir noch vier Ihrer erprobtesten Leute! Ich gedenke die Wachen im Gefängnis zu verstärken!« – –

*

Direktor Bochmayr sollte recht behalten. Als der Schließer am nächsten Morgen das Frühstück brachte, fand er die Zelle leer und nirgends war eine Spur von dem geheimnisvollen Gefangenen zu entdecken. –

Als der telephonisch berufene Untersuchungsrichter sich davon überzeugt hatte, daß kein Fenster beschädigt, kein Eisenstab gelöst, kein Schloß erbrochen war, daß keiner der zahlreichen Wächter, Posten und Patrouillen weder etwas gesehen noch gehört hatte während der Nacht, faßte er den alten Gefängnisdirektor beim Arm und stammelte mit erstickter Stimme:

»Sie hatten recht –! Daß man nur um Gottes willen! – nichts von diesem allem erfahre! – – Niemand würde uns Glauben schenken und wir wären ruiniert! – Ihre Vorahnung war nur allzusehr begründet! – Wir sind schmählich besiegt, aber freilich – – dieser entsetzliche Mensch – – dieses unheimliche, geheimnisvolle Wesen – – ist für uns – unüberwindlich!« – – –


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