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Pròdromos

Sehnsucht ist der Maßstab aller menschlichen Beziehungen zwischen einem Mann und einem Weibe.

»Ich sehne mich nach dir«, »du fehlst mir« ist alles!

Jeder kann seine Liebe daher auf Echtheit erproben!

»Du fehlst mir.« »Ich sehne mich nach dir.«

Eine geliebte Frau ist ein Teil meines Organismus! Mein Magen, meine Leber, meine Niere, meine Frau!

 

Den Gipfel ihres erreichbar möglichen Nerven-Tonus, ihrer Lebens-Energien, ihrer Emotions-Fähigkeit, erreichen die meisten Menschen nur in seltenen Augenblicken ihres Lebens. Beim Anziehen zum ersten Balle; beim ersten Berühren einer geliebten Hand; Fahrt zum Theater; wir verreisen morgen früh; er kommt, er kommt; Verlobung; unerwartetes Geld; der Tod geliebter Menschen. Da werden sie momentan zu inneren Künstlern, zu jauchzenden, jammernden, erbebenden in Freud und Leid, zu verzehrt werdenden! Aber die Künstler sind immer auf diesen Gipfeln. Alles macht sie erbeben, jauchzen und jammern. Das Schicksal der Welt tönt in ihnen nach, und wer in die Donau geht, ist ihr gemordetes Kind! Fünfzigmal höchstens während deines Daseins, schlapper unbewegter Mensch, wirst du zum empfindsamen Künstler-Menschen!

Aber dieser ist es ewig, bis zu seiner Sterbestunde, jauchzend, jammernd! Verzehrt werdend und wieder auferstehend!

 

Ich spielte mit einem Mädchen schweigend Domino. Ich sah, daß sie erbleichte, wenn sie gewann; daß sie jedoch rosig wurde, wenn sie verlor und ich hingegen im Gewinne war. Wir spielten um nichts.

»Mizi hat Sie mit Herrn v. T. betrogen – – –«, sagte später einmal ein Schwarzalberich zu mir frohlockend.

»Nein«, sagte ich. »Erbleicht sie beim Domino, wenn er verliert, wird sie rosig, wenn er gewinnt?! Nun also!«

 

Alkohol ist ein Rasiermesser in den Händen eines Kindes, eine Toledanerklinge, Waffe des Lebens, in den Händen des reifen Wissenden!

Der Atem einer Frau muß dich seelisch beglücken können, der Duft ihrer Bluse und jedes Kleidungsstückes überhaupt. Alles an ihr muß märchenhaft wirken, wirklich etwas Zauberhaftes. In einem Meer von Sehnsucht mußt du zu ertrinken wähnen, Tag und Nacht. Die Sehnsucht muß dich krank machen, noch kränker und noch kränker; und dann fast irrsinnig. Dann, dann erst öffne die Schleusen, erlöse und begatte dich! Dann erst! Vor den schrecklichen Toren des Irrsinns mußt du stehen können und warten! Früher hast du kein Anrecht auf Seligkeit!

Wehe denen, die Glück haben! Der Weg, der Weg, diese langsame Akkumulation von ungeheuren Lebens-Energien ist ihnen erspart, ist ihnen versagt! Sie sind betrogen um das einzig Wertvolle! Armselige Besitzende! Welten-Gerechtigkeit! Don Juan um sich selbst betrogen!

 

»Ich liebe dich«, jauchzt die Naturkraft in uns und wird dann elend enttäuscht um dieses Jauchzens willen.

»Ich erkenne dich als die mir Zugehörige«, sagt bedächtig der Geist in uns, und lebt dahin in unzerstörbarem Glücke.

 

Wenn ein jeder wüßte, was er zu wissen hätte, wäre die Welt erlöst!

 

Zart denken, zart empfinden wollen, aber unzart fressen wollen, das gibt es nicht!

 

Mit einem Wort: mens sana in corpore sano.

Nein, eben nicht mit einem Wort.

Sondern mit Millionen Wörtern, mit Wort-Schrapnells, mit einem Regen von Wort-Ekrasitbomben in diesen Feind Stupidität hineinkartätscht!

 

»I möcht' so gern heut' mit dir schlafen gehn, Maxi; aber i kann's dem Menschen dort net antun. Er frißt mir dann morgen wieder nix zu Mittag – – –.«

Als ich kam, errötete sie. Als ich ging, erbleichte sie. So war sie bereits dadurch meine geliebteste Geliebte geworden.

 

»Wenn Sie die Bohnenschalen ausspucken, ekelt es mich«, sagte eine junge Dame zu mir.

»Und mich, wenn Sie dieses Unverdauliche hinunterschlucken!«

 

Luft und Haut sind Liebesleute. Sie wollen sich vermählen, trotz aller Fährlichkeiten!

 

»Ihre Schuh-Nummer ist 40«, sagte der Schuster zu mir.

»Dann geben Sie mir 41!«

»Gnädiger Herr werden aber darin schwimmen können – – –.«

»Eben das beabsichtige ich darin zu tun!«

 

Die Wahrheiten, die Erkenntnisse liegen schlapp, fast leblos in uns, ohne elastische Kraft und Spannung. Sie müssen erst zur Macht von » fixen Ideen« auswachsen, um in uns zu wirken! Wir müssen irrsinnig an ihnen werden können.

Der Fanatismus von Dreh-Derwischen ist da gerade noch genügend! Was nicht zur Tiefe einer Religion auswächst, erhält nicht Wurzel, Blüte und Frucht in unseren Herzen! Es bleibt ein Jour-Gespräch!

 

Von der Zufälligkeit, ob der Knabe zum ersten Male im Leben eine geliebte oder eine ungeliebte Hand in Zärtlichkeit berührt, hängt das Schicksal seines ganzen Daseins ab!

In dem einen Falle wird er ein Milliardär an Lebens-Energien, in dem anderen ein Bankrotteur!

 

Eine Speise zu sich nehmen, die nicht eine unbedingte Notwendigkeit ist für den Organismus und nicht zugleich leichtest verdaulich ist, wird einmal als ein Vergehen gegen die Sittlichkeit beurteilt werden!

 

Die Schönheiten des Apollo-Falters (weiß-durchschimmernd mit schwarzen und orangefarbigen Ringen), des Tagpfauenauges (zimtbraun mit lila Flecken), des Alpenbock-Käfers (schwarzsamtartig und hellgrau) waren meine ersten tiefen Leidenschaften. Wiesen an Berg-Lehnen, im Sonnenbrande, von dörrenden Erdbeeren duftend, bevölkert mit märchenhaft schönen Geschöpfen und dazu die Gefahr der Kreuzotter unter weißen Steinen! Man erschauerte vor Glück und Erregung.

 

Ich kaufte einem wunderbaren 7jährigen Mäderl, von der ich hörte, daß sie eine ganz exzeptionelle und ausschließliche Liebe für Tiere habe (niemals spielte sie mit Puppen, sondern nur mit Tieren, aus Papier geschnitten), einen sehr schönen kleinen Elefanten, aus einer Masse modelliert.

Sie erhielt ihn mittags während der Suppe. Sie erbleichte vor Erregung. Sie sagte nur: »Aber essen tu ich jetzt nix mehr – – –.« Und ging in ihr Zimmerchen.

Was, was müßte man einer Erwachsenen schenken, damit sie sagte die heiligen Worte der Seele: »Aber essen tu ich jetzt nix mehr – – –«?!?

 

Ich sprach einmal in einer Winternacht eine zarte wunderschöne ganz junge Gefallene an, bewunderte ihr edles Gesichterl. Sie wurde grob, sagte: »Sie, halten Sie einen anderen zum Narren, nicht mich!« Ich ließ mich nicht abschrecken, sie zu bewundern wegen ihrer süßen Schönheit. Da sagte sie: »Nun, wenn es wirklich Ihr Ernst ist, so beweisen Sie es mir und kaufen Sie mir am Stephansplatz das schönste lebzeltene Herz, das es gibt, in einer Stand-Bude.« »Bitte sehr«, erwiderte ich. Sie erhielt das schönste Herz. Es kostete 2 Kronen. »Nun will ich Sie aber nicht länger aufhalten«, sagte ich.

»Nein, heute freut mich mein Geschäft nicht mehr, begleiten Sie mich bis zum Haustore, ich gehe mit meinem wunderschönen Lebzelt-Herzen nach Hause. Es ist meine glücklichste Nacht.«

»Nun, und wenn ich mit Ihnen schlafen ginge?!?«

»Das wäre dann wieder ganz etwas anderes. Nein, lassen Sie mich heute allein mit meinem Glück – – –.«

 

Der Fisch fürchtet sich nicht vor seinem Elemente »frisches Wasser«, aber der Mensch vor seinem Elemente »frische Luft«!

 

Edle englische Woll-Stutzeln (Puls-Wärmer) ersetzen den teuersten Pelz. Sie sind wie ein Ofen. In geschlossenem warmem Raume sogleich abzulegen! Man beneidet niemand mehr um seinen Seehund-Pelz für 500 Kronen. Man besitzt in der Tasche wunderschöne schwarze oder braune oder dunkellila Woll-Stutzeln für 2-3 Kronen! Pelz der Armen!

 

Erregungen in sich sich anhäufen lassen können, ohne der drängenden Erlösung nachzugeben, gehört zum Wesen der genialen Naturen. Sie repräsentieren Naturkraft-Speicher, riesige Etablissements, aus denen man dann unerhörte Symphonien, Dramen, Gemälde, Wahrheits-Bücher usw. beziehen kann!

Auf Reizungen unmittelbar reagieren müssen, ist ungenial! Es ist, sein immanentes Künstlertum im Keime ertöten!

Seelische Fruchtabtreibung!

 

Nur ein Künstler versteht eine Mama. Sie ist selbst ewig in einer »künstlerischen Ekstase«, in einer »genialen liebereichen Erkenntniskraft« in bezug auf diesen einzigen Organismus » ihr Kind«.

Wie beneidet der Künstler die Mutter! Was sie um einen einzigen durchzuerleben hat, erleidet er um alle!

 

Sehnsucht, Sehnsucht, die du aus den Herzen der Menschen und der Tiere ausströmst, ausströmst, ausströmst, und keine Seele findest, die dich liebevoll aufnimmt, wohin, wohin begibst du dich denn?!?

Zu einem Gedichte wertest du dich um, zu einer verschwiegenen Träne, zu einer ernsten philosophischen Stunde, zur Melancholie, die sanft und gerecht macht!

Nichts, nichts geht verloren von den Herzens-Kräften. Und das Winseln eines ausgesperrten Hundes kann an das Ohr eines Musikers dringen, der es in eine Symphonie umwandelt: Treue und Sehnsucht.

 

Eine jede Krankheit kann ausschließlich nur durch Ersparung an Lebensenergie- Ausgaben und Anhäufung von Lebensenergie- Einnahmen besiegt werden!

 

Gutmütig kann nur der Vollwertige sein!

Er hat innerlich niemanden zu beneiden!

Er ist, der er ist und überhaupt sein kann!

Er ist in gewisser Beziehung sein eigenes vollendetes Ideal! Sein restlos erfülltes eigenes Schicksal! Aber die anderen sind Rudimente ihrer eigenen Möglichkeiten! Das frißt an ihnen wie ein Krebs. Sie trauern um sich selbst! Sie sind verzweifelt über die, die wenigstens das sein können, was sie sind! Sie hassen die, die wenigstens das sind, was ihnen gnadenweise vom Schicksale beschieden wurde! Den lieb haben können, der mehr kann als man selbst, ist »Menschlichkeit«!

 

Pferde-Mißhandlung. Sie wird aufhören, bis die Passanten so irritabel-dekadent sein werden, daß sie, ihrer selbst nicht mächtig, in solchen Fällen tobsüchtig und verzweifelt Verbrechen begehen werden und den hündisch-feigen Kutscher niederschießen werden – – –. Pferde-Mißhandlung nicht mehr mit ansehen können, ist die Tat des dekadenten nervenschwachen Zukunfts-Menschen! Bisher haben sie eben noch die armselige Kraft gehabt, sich um solche fremde Angelegenheiten nicht zu kümmern – – –.

 

Melancholie ist, den Abstand seines Seins von seinen eigenen möglichen erreichbaren Idealen spüren! Wehe dem, der diese Melancholien nicht hätte! Vorzeitig seine Ruhe, seinen Frieden finden, heißt die Sedan-Kapitulation seiner selbst unterzeichnen! Melancholie ist die Stimme Gottes in uns, die uns unentwegt zu unserer Pflicht ruft, Gott-ähnlich zu werden! Diese dunkle unentwegte Stimme, die tönt und nicht zur Ruhe kommen läßt. Wehe denen, die beruhigt dahinleben. Nur auf erreichten Gipfeln ist endgültige Ruhe!

 

Es wird eine Zeit herankommen, da werden alle arbeitenden Menschen den Dienst versagen, wenn er nicht in einem durch erstklassige elektrische Ventilatoren mit sauerstoffreicher reiner Luft erfüllten Räume geschieht. Alles andere ist Kräfte-Meuchelmord!

 

»Sie sollten aber auch an sich selbst denken, Fräulein – – –!«

»Das tue ich ja. Eben deshalb denke ich nie an mich selbst – – –.«

 

In sich selbst versunken bleiben – – – einziges Verbrechen des Mannes! Aus sich herausgehen – – – einzige Pflicht! In die Welt! Goethisch werden! Rundum schauen und planen. Wie der Kondor über den höchsten Bergesgipfeln. Meine Frau, mein Kind, mein Geschäft – das heißt: meine Vorurteile, meine Leere, meine Un-Menschlichkeit.

Er ging in die Vorstadt hinaus, zu der Frau, die ihr Kindchen mißhandelt hatte. Er trat ein, gab der Bestie zwei fürchterliche Ohrfeigen, ließ sich verurteilen, fertig. Er hätte ruhig sagen können: »Nevermind, was geht es mich an, mein Knäbchen macht wirklich im Französischen bereits ganz prächtige Fortschritte – – –.«

 

»Auf mein' kleinen Spiegel verlaß i mi, nur auf den«, sagte eine wunderschöne Leichtsinnige zu mir. »I schau in der Früh hinein und weiß alles. Mit 14 Jahren hat mi einmal einer ang'schaut, ang'schaut, i hab' mein Herz nur so schlagen gehört. Da hab' i in den Spiegel geschaut, zufällig. Seitdem weiß i, wie i alleweil ausschau'n müßt', ausschau'n sollt', ausschau'n könnt' – – –. Auf den wart' i, der mir das verschafft – – –.«

 

Mein Buch: Ein erster Versuch einer physiologischen Romantik!

Beginnende Tragödie. Er sagte zu ihr: »Ich bin glücklich, daß dir der Spargel so schmeckt. Ich könnte dir stundenlange essen zuschauen – – –.«

Sie wurde bei dieser Bemerkung nicht rosiger, ihr Antlitz veränderte sich in nichts. Sie aß ruhig, wie wenn nichts Besonderes sich ereignet hätte, nichts Heiliges und Mysteriöses, nämlich die seltene Zärtlichkeit eines übervollen Herzens – – –.

Hetäre

Der Paradiesvogel ist wunderbar – – – nur darf man von ihm nicht erwarten, daß er Klavier spiele. Denn das tut er einmal nicht.

 

»Hättest du mich besser erzogen!«, sagt Lulu zu Dr. Schön.

Auf das Prokrustesbett seiner Bedürfnisse kann man jede Frau legen. Aber was hat man dann von dem verkrüppelten Rumpfe?!

 

»Nimm mich!«, sagt die hundertfache Männer-Mörderin. »Ich bin noch immer schön!«

 

Der Kenner sah ein Kieselsteinchen mit einem Schneeklümpchen behaftet den Tannwald-Abhang herunterrieseln.

»Eine Lawine!« schrie er und stürzte fort.

»Wo?« fragte der Spaziergänger und war bereits begraben.

Zur Männer-»Schönheits«-Konkurrenz

Nur das Skelett am Menschen ist schön. Das Fleisch ist das, was man sich schleunigst abgewöhnen muß!

Heilige Magerkeit, getreueste Beschützerin unserer Beweglichkeiten! Werde das Ziel kommender Generationen!

 

»Wadeln« sind fast ein moralischer Defekt.

 

Junge, edle Mädchen sollten die, denen sie ihr Schicksal anzuvertrauen beabsichtigen, fragen: »Wie oft können Sie die tiefe Kniebeuge machen, mein Herr?!?«

 

Die Parole des Jahrhunderts laute: Auf »Muschkeln« wird verzichtet!

 

»Ich habe meinen ›Bizeps‹ im Kopf«, sagte der Weise.

 

Alkohol

– – Alkohol füllt die schreckliche Kluft aus zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir sein möchten, sein sollten! Werden müßten! Als der Affe erkannte, daß er ein Mensch werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Affe-Seins hinwegzuschwemmen. Als der Mensch erkannte, daß er ein Göttlicher werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Mensch-Seins hinwegzuschwemmen. Gebt dem Menschen die ihm zugehörige Tätigkeit – geistige oder körperliche –, die ihm zugehörige Frau, die ihm zugehörige Nahrung, die ihm zugehörige Ruhe – – – und er wird es, ohne selbst es zu wissen, spüren: ριστον ὓδωρ.

Alkohol ist die Ausgleichung für unsere Unzulänglichkeiten! Je zulänglicher wir sind nach den idealen Plänen Gottes, desto weniger Alkohol brauchen wir. Alkohol ist der Maßstab für die Melancholie des Idealisten. Ich schwemme es hinweg, daß ich noch nicht göttlich sein kann!

Parabel

Im Affenreiche von einst erhob sich ein etwas heller gefärbter Affe an einem Krück-Aste aufrecht und sagte mit exaltierter Stimme: »Und es wird, es muß eine Zeit kommen, sie ist organisch unentrinnbar in der notwendigen Entwicklung von Ursache zu Wirkung, da werden die Affen auf Zweien gehen, aufrecht, und die Kletter-Hände werden verkümmern zu Geh-Füßen, und ihr werdet nicht mehr euch von Ast zu Ast behende schwingen können!«

»Elender Dekadent!«, brüllte ihn nun die Herde an. »Willst du unsere wertvollsten Kräfte verkümmern machen?!?«

»Jawohl«, erwiderte der heller gefärbte, an einem Baumaste aufrecht gelehnte Affe, » zu Gunsten wertvollerer Kräfte, die da kommen werden!«

Daraufhin schrieb der damalige Nerven-Pathologe Professor Schimpanse eine Broschüre: Die Dekadenz und ihre Gefahren.

Splitter

Naturalismus und Romantik. Man kommt eben allmählich darauf, daß die »blaue Blume« der Romantiker ganz einfach wirklich auf dem wirklichen Felde wächst – – – die Feld-Glockenblume, die Kornblume, das Vergißmeinnicht etc. etc. und zwar schöner, lieblicher, weltentrückter und sanft-mysteriöser als die Blumen auf dem lächerlichen Humus von Wolkenkuckucksheim – – –! Im »Realen« das »Ideale« noch aufspüren können – – – das allein heißt wirklich ein Romantiker sein!

 

»Das Herbstrot der Blätter rührt vom Erythrophyll-Farbstoffe her – – –«, fühlte der Dichter.

»Das Herbstrot der Blätter ist ein Mysterium der Weltenschönheit – – –«, fühlte der Dichter. Nüchtern und berauscht zugleich sein können! Synthese der Künstlernatur!

Goethe

»Sind wir weniger Weltenspiegel als du?!? Nur verhieltest du dich um ein weniges ruhiger. So konnte die Welt sich deutlicher spiegeln!«

Gott denkt in den Genies, träumt in den Dichtern und schläft in den übrigen Menschen.

 

Eindrücke in sich aufnehmen?!?

Nein, Eindrücke verdauen!

 

»Bringen Sie doch Ihre Erkenntnisse in ein System«, sagte ein Wohlwollender zu mir.

Erkenntnisse in ein System bringen ist, einige wenige lebensfähige Wahrheiten in einem toten Meer von Lüge ertränken wollen!

Obmann

Es war in einer ganz kleinen Provinzstadt, ich war Obmann der Geschworenen. Lauter Bauern. Eine » Madonna« von siebzehn Jahren war angeklagt. Sie hatte in einem Stall geboren. Sie lehnte in dem schmerzlichen Augenblicke an der Stallwand. Das Kind war direkt, wie sie sagte, auf die Steinfliesen heruntergefallen. Der Schädel eingedrückt. Niemand glaubte es ihr.

Der Verführer saß im Gerichtssaale.

Wie ein Verführer – – – schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?! Hätte sie sich nicht –!?

Meine Bauern-Kollegen sagten zu mir: »Na, na, Sie, dös kennen mir. Wenn mir nix kennen, dös kennen mir. Dös is a Luder! Sie sein alle so. Dös andere möcht' ihnen passen. So a Kanaille!«

Da sagte ich in meiner äußersten Not zu diesen Bauernklacheln: »Meine Herren, sie hat monatelang an Kindswäsche genäht. Sie hat Kindswäsche genäht, meine Herren, fleißig und emsig. Kindswäsche – – – bedenken Sie, seit Monaten – – –!«

Das Wort »Kindswäsche« ist bereits überhaupt wie ein Purgiermittel, es wirkt milde und auflösend bei Seelenverstopfung.

Die Bauernschädel dachten:

»Wann sie im vorhinein Kindswäsche genäht hat – – –?!?«

Sie bekam also nur zwei Jahre, wegen fahrlässiger Tötung.

Der Verführer saß da, schön und roh, gemein bis in die Knochen. Was ging es ihn an?!? Hätte sie sich nicht – – –.

Verzauberte Prinzessin

4 Uhr nachmittags. Sonne, Sonne, Sonne und Wasserspiegel. Er fuhr im Boote an der Schwimmschule vorbei. Da stand auf der letzten Stufe, die in den See führte, eine Fünfzehnjährige, aschblond, in einem weißen Trikot, das ganz naß war und rosig durchschimmerte. Er lud sie ein, sich an das Boot anzuhängen. Er fuhr in die wunderbare Bucht mit Haselstauden und Schilf. Ihre nackten Arme waren unbeschreiblich schön und das Antlitz mit den runden Augen und der breiten Stumpfnase das einer Wassernixe.

Wenn er sie auf dem Lande traf, war sie das armselige Bürgermädchen.

Da sagte er verlegen: »Wie geht's, Annerl?!?«

Um 4 Uhr nachmittags aber hing sich jeden Tag die süße Wassernixe in weißem Trikot mit nackten Armen an sein Boot an. Er sprach nie ein Wort mit ihr, berührte hie und da zärtlichst ihre süßen nassen kalten Hände an dem Bootrande.

Wenn er sie auf dem Lande traf, war sie das armselige Bürgermädchen.

Da sagte er verlegen: »Wie geht's, Annerl?!?«

Ballast

Du hängst an mir – – –
jawohl, du hängst an mir!
Und jeder Seelenschritt spürt dein Gewicht, Helene!
Wie ich mich nach der Freiheit sehne!
Du hängst an mir, und deine Augen blicken ängstlich wie ein Hund,
dem der Gebieter vorschnell die Eingangstüre schließen will – – –. Dein Mund,
längst dankt' er ab ob seiner Unzulänglichkeiten
zugunsten deines Auges stummer Sprache!
Du hängst an mir. Und einmal schriebst du mir:
»Wenn andre sprechen, hör' ich zu, wenn du sprichst, lausch' ich!«
Und einmal: »Daß du bist, ist gut
So spricht der Fisch zum Wasser: »Daß du bist, ist gut!«
Sieh', da verlor ich jedesmal, zu morden dich, den Mut!
Du hängst an mir, ich spüre deine Schwere, schlafloser Nächte tränenschwere Last!
Dennoch wird es enden. Denn endlich stirbt die Seele doch – – –.
Und eines Tages werde ich die leichten Seelenschritte des Befreiten schreiten – – –.
Siehe, dann aber ist auch schon die Stunde nahe,
da, wie im Jachtboot das Zentner-Eisen-Schwert zu unterst nötig ist für leichte Fahrt,
ich wieder, allzuleicht, labilen Gleichgewichts, Helene,
mich nach dem Bleigewichte deiner Tränen sehne!

Das Bangen

Mir bangt um dich – – –.
Weshalb mir bang ist, weiß ich nicht,
Ich weiß nur, daß mir bang ist.
Mir ist bang!
Wie einer Mutter bang ist ohne Grund,
Noch sind sie alle munter und gesund – – –!
Wie einem Schiffer bang ist, bange, bange,
Während die anderen noch lange
Den wolkenlosen Himmel blöd betrachten,
Und ihn ob seiner Weisheit nur verachten.
Mir bangt, wie einem bangt,
Der Kinder auf dem Meer-Sand-Hügel spielen sieht,
Und weiß, daß nun die Flut vom Land sie abtrennt – flieht!
Mir bangt, wie einem bangt,
Der weiß, er wird gehenkt um sieben Uhr früh.
So, so bangt mir um dich – – –
Du bist mein Leben, es bangt mir um mich!
Du aber, du gehst deinen Weg von mir,
Nicht bangt vor meinem bangen Bangen dir!
Dem neuen Schicksal treibst du jach entgegen – – –
Und perlt mein Todesschweiß auf deinen Pfad hernieder
Nimmst du's als Tau auf neuen Morgenwegen!

Lob der Mangelhaftigkeit

Er hatte die Dame innerlich ganz überwunden, war mit ihr, mit sich fertig geworden. Sein siedendes Rückenmark war durch die Nordpolarkälte seines Gehirnes besiegt worden. Aus einem Träumer war ein Erwachter, aus einem dunklen Romantiker ein heller Klarseher, ein Clairvoyanter geworden!

Und dennoch verdankte er diesen Sieg dem Zufall! Dem Zufall ihrer Unzulänglichkeiten!

Hätte sie die Hände der N. B. gehabt, das Adelsantlitz der Prinzessin R. in M., den Ambrateint der Frau Professor T., die Stirne der E. T., die tönende und dennoch sanft-mysteriöse Stimme der Ch. De V., die französische Grazie der R. L., die Lawn-tennis-Kunst der Schwestern P., die Naturliebe, die Rax- und Schneebergliebe der Gr. E., den englischen, über den Dingen sanftmütig schwebenden Humor der M. M., die süße Bohêmenatur der L. L., die sehnige Elastizität der Th. K., den Adel und die sanfte Würde der Fr. M. – – –, er hätte niemals die Krankheit seiner sehnsuchts-irrsinnigen Nerven heilen können durch diesen ernsten kalten Arzt »Erkenntnis«! Er wäre unterlegen seinem Herzen! Was ihn rettete, was ihn ewig retten wird, ist der glückliche Zufall der Unzulänglichkeiten der Angebeteten! Wehe, wenn er eine Zulängliche anträfe auf seinen Wegen! Da triebe er mit einem abgerissenen Säumchen ihres Kleides einen Kultus bis an sein Lebensende, der mehr dem Irrsinn gliche als der Liebe! Da ertränke er im Meere seiner eigenen Zärtlichkeiten!

Aber ein gütiges Schicksal spült nur Atome deiner Ideale dir an den Strand! Da kannst du »irrsinnig« werden auf Zeit, kannst deine vierzehn Tage machen, kündigen und gehn, geheilt entlassen.

Anerkennung

Man fragte mich einmal: »Sie, P. A., welche von allen Anerkennungen hat Ihnen am meisten Freude bereitet in Ihrem Leben?!?«

Ich erwiderte: »Einmal schrieb mir eine fremde Dame aus Berlin: »Mein Herr, seitdem ich Ihren Satz über die Heiligkeit des Schlafes gelesen habe, bin ich nicht mehr imstande, mein dreizehnjähriges süßes wunderschönes Töchterchen aus dem Morgenschlafe zu reißen! Sie weiß nichts davon und ist sehr erstaunt über diese glückliche Wendung ihres Geschickes!«

Diese Worte haben mir seit 1897 bis heute die größte Freude von allen bereitet!«

»Und weshalb gerade diese?!?«

»Ich habe einen jungen, mir ganz fremden schönen Organismus durch einen einzigen Satz aus der Ferne vor Anämie, vor Franzensbad, vor Entwicklungsstörungen, vor Melancholien und Depressionszuständen bewahrt, habe ihm Gesundheit, Lebensheiterkeit und Frieden gesichert – – –!«

Individualität

Als mein Buch herauskam, 1896, entspann sich bei den wenigen, die überhaupt daran Anteil nahmen, oft eine heftige Auseinandersetzung darüber, ob man zu betonen habe, ›Wie ich es sehe‹ oder ›Wie ich es sehe‹!?

Die letztere Betonung nun ist die einzig richtige:

Denn insofern eine Individualität nach irgend einer Richtung hin eine Berechtigung, ja auch nur den Schein einer Berechtigung hat, darf sie nichts anderes sein als ein Erster, ein Vorläufer in irgend einer organischen Entwicklung des Menschlichen überhaupt, die aber auf dem naturgemäßen Wege der möglichen Entwicklung für alle Menschen liegt!

Der » Einzige« sein ist wertlos, eine armselige Spielerei des Schicksals mit einem Individuum.

Der » Erste« sein ist alles! Denn er hat eine Mission, er ist ein Führer, er weiß, die ganze Menschheit kommt hinter ihm! Er ist nur von Gott vorausgeschickt!

In allen Menschen liegt ein zarter, trauriger, Ideale träumender Dichter tief verborgen. Alle Menschen werden einst ganz fein, ganz zart, ganz liebevoll sein, und die Natur, die Frau, das Kind mit allen Zärtlichkeiten lieb haben eines exaltierten Dichterherzens.

Der Dichter ist nie der » Einzige«. Dann wäre er wertlos, ein Seelen-Freak! Er ist der » Erste«. Er fühlt es, er weiß es, daß die anderen nachkommen, weil sie bereits in sich verborgen die Keime seiner eigenen Seele tragen!

Es darf nicht heißen ›Wie ich es sehe‹.

Es muß heißen ›Wie ich es sehe‹!

Wahre Individualität ist, das im voraus allein zu sein, was später alle, alle werden müssen! Falsche Individualität ist, ein zufälliges Spiel der Natur sein wie ein weißes Reh oder ein Kalb mit zwei Köpfen. Wem nützte es denn?!? Es gehörte in ein Kuriositäten-Kabinett der Menschheit!

Tür an Tür

Und ich gab mein Wort, nicht zu kommen.

Da ließest du, meinen Bitten nachgebend, deine Tür, die in mein Zimmer führte, unversperrt.

Draußen lag die vereiste Waldstraße im Mondlicht, und der Sturm sang vom Mürztal herauf in den schwarzen Föhrenwald hinein am Göstritz.

Ich lag und lauschte.

Ich lag und weinte.

Hie und da, in langen Zwischenräumen, hüsteltest du. So von der ungewohnten Berg-Nacht-Luft.

In namenloser Wehmut begrüßte ich diesen zarten Laut als das einzige Zeichen deiner Anwesenheit.

Der Sturm sang vom lichten Mürztale herauf in den dunklen Föhrenwald hinein.

Von Zeit zu Zeit hüsteltest du.

Ich lag und lauschte.

Ich lag und weinte.

Langsam – verging – die Nacht.

Am Morgen sagtest du: »Weshalb sind Sie nicht gekommen?!?«

»Wenn ich gekommen wäre, Sie hätten mich beschimpft, vertrieben – – –.«

»Was macht das?! Aber es wäre dann mächtiger gewesen in Ihnen als Ihr Eid!«

Die Maus

Ich zog in das ruhige Zimmerchen, fünften Stock, gutes, altes Stadthotel, ein, mit zwei Paar Socken und zwei riesigen Flaschen Slibowitz für unvorhergesehene Fälle.

»Bitte«, sagte der Zimmerkellner, »soll ich das Gepäck holen lassen?!?«

»Ich habe keines«, sagte ich einfach.

Dann sagte er: »Wünschen Sie elektrische Beleuchtung?!«

»Jawohl.«

»Es kostet fünfzig Heller per Nacht. Sie können aber auch bloß Kerze haben«, sagte er in Berücksichtigung der gegebenen Umstände.

»Nein, ich wünschte elektrische Beleuchtung.«

Um Mitternacht hörte ich Geräusche von zerrissenen und zerkratzten Papiertapeten. Dann kam eine Maus, stieg meinen Waschtisch hinan und betrat das Lavoir, machte überhaupt verschiedene artige Evolutionen, begab sich sodann wieder auf den Fußboden, da Porzellan nicht zweckentsprechend war, hatte überhaupt keine festen weitausgreifenden Pläne und hielt schließlich die Dunkelheit unter dem Kasten bei den gegebenen Umständen für ziemlich vorteilhaft.

Morgens sagte ich zu dem Dienstmädchen: »Sie, eine Maus war heute nacht in meinem Zimmer. Eine schöne Wirtschaft!«

»Bei uns gibt's keine Mäuse, das wäre nicht schlecht. Woher sollte denn bei uns eine Maus herkommen?! So was lassen wir uns überhaupt gar nicht nachsagen!«

Ich sagte infolgedessen zu dem Zimmerkellner:

»Ihr Stubenmädchen ist ein freches Geschöpf. Heute nacht war eine Maus im Zimmer.«

»Bei uns gibt's keine Mäuse. Woher sollte denn bei uns eine Maus herkommen?! So was lassen wir uns überhaupt gar nicht nachsagen!«

Als ich in das Hotelvorhaus trat, betrachteten mich der Herr Portier, der Herr Hausknecht, die beiden anderen Fräulein Stubenmädchen und der Herr Geschäftsführer, wie man einen betrachtet, der mit zwei Paar Socken, zwei Slibowitzflaschen einzieht und bereits Mäuse sieht, die nicht da sind.

Auch lag mein Buch »Was der Tag mir zuträgt« offen auf meinem Tische und ich überraschte einmal das Stubenmädchen bei der Lektüre desselben.

Unter diesen facheusen Umständen war meine Glaubwürdigkeit in bezug auf Mäuse ziemlich untergraben. Dafür hatte ich immerhin einen gewissen Nimbus eingeheimst und man rechtete nicht mehr mit mir, ließ mir sogar kleine Schwächen passieren, drückte ein Auge zu, benahm sich außerordentlich kulant wie mit einem Kranken oder anderweitig zu Berücksichtigenden.

Die Maus jedoch erschien jede Nacht, kratzte an der Papiertapete, bestieg häufig den Waschkasten.

Eines Abends kaufte ich eine Mausefalle samt Speck, ging mit dem Instrument ostentativ an dem Portier, dem Hausknecht, dem Geschäftsführer, dem Zimmerkellner und den drei Stubenmädchen vorbei, stellte die Falle im Zimmer auf. Am nächsten Morgen war die Maus drin.

Ich gedachte nun, ganz nonchalant die Mausefalle hinabzutragen. Die Sache sollte für sich selber sprechen!

Aber auf der Stiege fiel es mir ein, wie erbittert die Menschen werden, wenn man sie einer Sache überführt, zumal eine Maus sich nicht in einem Passagierzimmer eines Hotels befinden sollte, in dem es Mäuse einfach »gar nicht gibt«! Auch wäre mein Nimbus eines Menschen ohne Gepäck, mit zwei Paar Socken, zwei Flaschen Slibowitz, einem Buche »Was der Tag mir zuträgt« und der nachts bereits Mäuse sieht, dadurch beträchtlich erschüttert worden, und ich wäre sofort in die peinliche Kategorie eines sekkanten und höchst ordinären Passagiers herabgesunken. Infolge dieser Bedenken ließ ich die Maus in einem für diese Zwecke ziemlich geeigneten Orte verschwinden und stellte meine Mausefalle auf dem Fußboden meines Zimmerchens wieder leer auf.

Von nun an wurde ich mit noch zärtlicherer Rücksicht behandelt, man wünschte mich unter keinen Umständen zu erregen, gab nach wie einem kranken Kindchen. Als ich endlich abreiste, war bei allen freundschaftliches Mitgefühl und Attachement vorhanden, obzwar ich als Gepäck nur zwei Paar Socken, zwei leere Slibowitzflaschen und eine Mausefalle mitnahm!

Lift

Mir ist der Lift noch immer ein »Mysterium«.

Ich bin nicht so blöde, durch leichte Gewöhnung an die Segnungen moderner Kultur mir den Reiz derselben zu zerstören!

Ich fühle dieses geheimnisvolle Stiegenüberwinden, diese Kraftersparnis meiner Kniegelenke, meines Herzens, meiner ach! keineswegs kostbaren Zeit noch immer als etwas Wunderbares.

Die Türe meines Lifts schiebt sich von selbst langsam zu, was für Leute mit Paketen oder Körben direkt störend, für einen Schriftsteller jedoch ziemlich angenehm sich gestaltet.

Ich weiß nicht, an welcher Art von Maschinerie mein Lift hängt. Ich erfahre nur hie und da durch den Hausmeister, daß heute etwas nicht ganz in Ordnung sei oder daß der Installateur da sei. Ich verstehe jedoch weder, was für eine Katastrophe im Entstehen war, noch was ein Installateur ist. Beides jedoch scheint mit eventuellen Lebensgefahren vereinbarlich zu sein.

Gräßlich ist es, mit einem fremden Menschen hinaufzufahren. Man glaubt die Verpflichtung zu haben, ein Gespräch zu entrieren, und überlegt es sich krampfhaft von einem Stockwerke zum anderen. Es ist eine verlegene Spannung wie bei der Maturitätsprüfung. Das Gesicht nimmt einen starren, glotzenden Ausdruck an. Endlich sagt man: »Ich empfehle mich!«, mit einer Betonung wie wenn man eine Freundschaft fürs Leben geschlossen hätte.

Deshalb, um allen diesen Unannehmlichkeiten auszuweichen, komme ich immer erst um 6 Uhr morgens nach Hause. Da darf der Lift noch nicht funktionieren.

Splitter

Im Anfang des Lebens ist die »breiartige Nahrung«. Und zum Schlusse! Und dazwischen sind die Irrtümer. Die nennt man » Das Mannesalter«! Die Reife!

 

»Ich kann auch ›ohne Liebe‹ genießen«, sagte der Idiot.

Mit 60 bekam er ein schweres Magennervenleiden.

»Er hat zuviel gelebt – – –«, sagte man.

Ich glaube, zu wenig!

 

Mit einem schönen Weibe nicht rechten heißt Künstler sein!

Ihr einziges unzerstörbares Mysterium ist die Schönheit ihrer Form.

Wie sollte durch das, was sie tut oder unterläßt, ihr süßer märchenhaft wunderbarer Leib schlechter, minderwertiger werden?!? Er spendet ewig gleichmütig seinen Märchen-Zauber!

 

Er sagte zu ihr: »Ich kenne die zehntausend Variationen auf deinem geliebten Antlitze. Ich kenne darauf die Schwächungen der Langweile und die Stärkungen anregender Stunde! Ich kenne die Totenmaske der Enttäuschung und das verklärte Künstler-Antlitz traumversunkener Minuten! So bin ich deiner nie sicher und du ersparst mir den schrecklichen Barbaren-Glauben, deiner sicher sein zu können!

Ewig kommen und versinken Welten auf deinem geliebtesten Antlitz, und ich stehe vor diesem brandenden Ozeane, ohnmächtig und dennoch in Andacht versunken!«

 

Perversitäten?!? Ein dilettantischer Ausdruck. Was dich rosig macht, mit frischen blinkenden Augen, was dein Herz höher schlagen macht, deinen Appetit fördert, deine Bedrücktheiten bannt, deine Beweglichkeiten steigert, deine Lebens-Frohheit weckt, ohne facheuse Reaktionen, das, das kann nicht »pervers« sein; was es auch sonst sei!

Es gibt nur eine Perversität – – – sein Lebens-Kapital schwächen, verringern!

 

Bordell. »Bevor ich mit Ihrem reichen Freunde mich auf mein Zimmer zurückziehe, Herr Dichter, werde ich Ihnen noch Ihren geliebten Cake-Walk vortanzen. Es ist mein Bestes, was ich zu bieten habe. Beneiden Sie Ihn nicht. Er bekommt nur den schäbigen Rest – – –.«

 

Die Dame kam aus der Oper und zankte dennoch mit ihrem Stubenmädchen – – –.

 

»Ich gehe zu ihm, in seine Arme, just und just – – –«, sagte Anna zu ihrem unglückseligen Geliebten.

»So gehe denn, Anna! Aber möge er mindestens so glücklich werden an dir wie ich bereits, wenn ich den Griff deines Schirmes an meine Lippen drücke – – –.«

Da sagte sie erbleichend: »Ich gehe nicht –.«

Das Sterben

Vor der Zeit wurde sie alt, wegen der Enttäuschungen, wie alle Menschen.

Es ist ein Krebs der Seele, unmerklich zernagend.

Sie wurde 60 Jahre alt, immer dicker, immer gelber, immer enttäuschter.

Ihr ältester Sohn hatte ihr schon vor Jahren gepredigt: Mama, Schlafen ist wichtiger als Essen und Trinken. Lasse doch wenigstens der Natur Zeit die Sünden unserer Unwissenheiten zu tilgen!«

Sie erwiderte: »Um 6 Uhr morgens muß aber das Speisezimmer gebürstet, geklopft werden, ferner, aber davon verstehst du ja nichts – – –«

Nein, davon verstand er nichts.

Die Lebens-Ordnung auf Kosten der Hausordnung!

Diese Hausordnung wurde ihr gräßlicher Henker.

Das Gesetz der leblosen Materie hatte das Gesetz der lebendigen Materie besiegt!

Die Hausordnung die Lebensordnung!

Eines Nachts wurde sie gehenkt, gehenkt, gehenkt – – – dann im letzten entsetzlichen Augenblicke befreit, losgemacht, abgeschnitten – – – aufgespart nämlich für einen späteren noch entsetzlicheren Anfall der Herzkrankheit und Atemnot! Die Augen, die Augen, erfüllt mit unsäglicher Angst! Diese Augen schrien: »Hilfe!«

Ihre Tochter, die sich selbst in Leid verzehrte, wegen der mannigfachen Enttäuschungen, Krebs der Seele, und ebenfalls ein bißchen dick und schwammig wurde infolgedessen, sagte nach diesem ersten Anfalle: »Heute habe ich mir einen Revolver gekauft. Wenn mir dasselbe passierte wie Mama, passiert es mir ein zweites Mal nicht mehr – – –.«

Der älteste Sohn sagte: »Gott führt Buch über unsere Einnahmen und Ausgaben während unseres ganzen Lebens. Er hofft, daß wir haushalten werden, segnet uns darum. Aber wir tun es nicht. Gott weint nicht über uns, lächelt nicht über uns. Er ist gerecht und wartet. Er will die Wahrheit unseres Lebens durch entsetzliche Strafen erzwingen. Er kontrolliert den allmählichen Konkurs des Lebenskraft-Kapitales und bestraft ihn mit ›chronischer Krankheit‹!«

Man erwiderte dem ältesten Sohne: »Philosophieren statt Mitleid haben, pfui, aus der Art Geschlagener!«

Ja, aus der Art war er geschlagen:

Er besaß das rechtzeitige, das vorzeitige Mitleid, das Präventiv-Mitleid, jenes allein wertvolle Gefühl, das sich bereits mit dem Denken vermählt hat, das Herz-Gehirn, das Gehirn-Herz!

Die alte Schwester der kranken Dame spielte mit ihr jeden Abend Bézigue, ließ sie gewinnen, damit sie noch ein bißchen sich freuen könne. Man schickte ihr aus Aufmerksamkeit Seefische, Austern, Champagner, beaf tea jellie ins Haus.

Sie dachte: »Für die Würmer mästet man mich.«

Aber sie sagte: »Ich danke euch von ganzem Herzen. Es hat mich so erfreut.«

Dem ältesten Sohne sagte sie: »Du, ich habe 45 Jahre hindurch meine armen Dienstboten morgens um 5 Uhr aus dem Schlafe getrieben, wegen der Hausordnung. Glaubst du, daß das nun die Strafe ist?!?«

»Ja. Ich glaube es. Ich weiß es!«

Die Verwandten kamen meistens nachmittags. Da war das Haus schon in Ordnung.

Die Sterbende sagte bei der Jause: »Willst du den Tee licht oder dunkler, bitte, du kannst beides haben, nein, es macht wirklich keine Mühe?!? Mit Milch oder mit Rum?!? Oder mit Zitrone?!? Bitte, bediene dich doch. Ja, was du mir da erzählst, ist wirklich sehr komisch. Nein, wer hätte das gedacht?! Marie, servieren Sie die Orangen-Creme. Bitte, nehmen Sie von den Südfrüchten. Auf meine Datteln und Malagatrauben bin ich wirklich sehr stolz. Ich verrate nicht die Quelle.«

»Dieses Geheimnis nehme ich ins Grab mit«, sagte sie lächelnd, worauf sie jemand vorwurfsvoll auf die Hand tippte. Abends war sie ganz erschöpft von der Jause und den Gesprächen.

Um 9 Uhr spielte ihre alte Schwester mit ihr Bézigue und ließ sie absichtlich gewinnen.

»Wie konntest du?! Wußtest du denn nicht, daß alle 8 Könige bereits draußen sind?!?«

Nein, sie wußte es angeblich nicht.

»Ich getraue mich wirklich kaum, die 50 Heller von dir anzunehmen – – –«

»Mache doch keine Geschichten. Ich habe korrekt verloren.«

»Nun, auf Revanche.«

In derselben Nacht kam der letzte Anfall. Das Herz arbeitete sich zu Ende. Es wollte und konnte nicht. Entsetzlich!

Sie starb lautlos.

Die Tochter erwachte und sagte in die Dämmerung hinein: »Mama – – –«

Dann schrie sie: »Marie, Agnes – – –«

Die aus dem Tief-Schlafe aufgeschreckten Dienstboten erschienen fast taumelnd.

Am Vormittage erschien der älteste Sohn. Er sagte zu Marie und Agnes: »Ihr seid ja ganz gelb. Ihr habt zu wenig geschlafen. Legt euch nieder!«

Zu seiner Schwester sagte er: »Lege dich nieder und schlafe! Bist du nicht gewarnt genug? Ich werde sorgen, daß dich niemand wecke – – –.«

Sie fiel weinend in Kleidern aufs Bett.

So wurde es 1 Uhr nachts. Und nichts rührte sich im Hause.

Der älteste Sohn hielt Wache!

Er trat in das Zimmer zu der toten Mutter, stellte sich hin, küßte ihre Hand und sagte: »Zum ersten Male schläfst du dich aus, Irregeleitete! Ich hielt seit jeher den Schlafenden für einen Gestorbenen. Er ist unfähig für das Lebendigsein, noch nicht reif, noch nicht parat. Ich hatte immer tiefstes Mitgefühl, wenn das Leben ausrasten wollte vom Leben! Nun wirst du die Stunden einbringen, arme Mama, mit Zinsen und Zinseszinsen!«

Am Tage des Leichenbegängnisses sahen alle ganz unausgeschlafen aus, gelb, verwittert, schlaff, wie vorzeitig gealtert. Sogar der Hausmeister und die Hausmeisterin, die die Sache nichts anging, sahen verfallen aus.

Die Tote im Sarge hatte ein ganz friedevolles Antlitz.

Die Tochter ließ am nächsten Morgen das Speisezimmer usw. usw. bürsten, klopfen, reinigen, die Teppiche mit Kraut natürlich.

»Wenn Mama es noch sehen könnte – – –«, fühlte sie.

Über Testamente

Es ist Sache des Kulturmenschen, sobald er auch nur einen einzigen Gulden in seinem Eigentume hat, ein Testament zu machen!

Die Möglichkeit der Verfügung über irgend ein Eigentum über das Leben hinaus aus der Hand zu geben, ungenützt zu lassen, ist die Fahrlässigkeit eines Unkultivierten!

Das Testament und seine Art ist das Zeichen aller Kultur-Grade in einem testierenden Organismus! Dein Testament bist du!

Hier allein kannst du, losgelöst von Zwang und Leidenschaft der Stunde und des Tages, gleichsam träumerisch, versunken in eine Zeit, da das Irdische nichts mehr für dich bedeutet, deinen in freier Geistigkeit, in freier Seelenruhe geläuterten Willen wirken lassen!

Das bisher durch tausend Rücksichten geknebelte Menschentum in dir mag in dieser Stunde der Entrücktheit aus diesem verworrenen Getriebe »Leben« nun erblühen, sich dieses einzige Mal vielleicht entfalten, und, während du bisher als starrer Ich-Mensch leben mußtest im Kampf ums Dasein, erwachse in dieser kurzen Stunde der Testament-Abfassung deine bis dahin unterdrückte Menschenfreundschaft!

Gerechtigkeit und Sanftmut, Weisheit, Voraussicht, edle Menschenkenntnis, befeuert und gestärkt durch seinen lebhaften philosophischen Trieb, seine Dankbarkeit für das gütige Schicksal des Daseins, das einem Eigentum verlieh, zu beweisen, vereinigen sich nun in dem Organismus eines kultivierten Testators zu einer seine bisherigen Lebenskräfte in eins zusammenfassenden und das Gebäude seines Lebens krönenden geistig-seelischen Betätigung!

Wehe den konventionellen gleichgültigen Testamenten!

Der letzte Wille sei gleichsam ein Überfliegen über seine eigene Persönlichkeit hinaus, aus freierem, friedevollerem Lande kommend, mit verklärter Geisterhand geschrieben, einen Hauch von Gottes Gnädigkeit enthaltend!

Dein Testament bist du!

Es trage den Stempel einer abgeklärten Stunde, da ein bereits Verstorbener dennoch am Leben war! Es sei der Ausdruck der von düsterer Erdenschwere erlösten Menschenseele, die versäumten Idealismus nachholen möchte!

Aus dem Tagebuch eines süßen Mädels in Wien

Ich hab den Peter so gern, wenn er nicht da ist. Da hab ich ihn lieber wie alle anderen. Aber wie er da ist, mag ich ihn nicht mehr. Er ist so beschwerlich für uns, wie wenn ein Fisch in der Luft atmen müßte!

Ich weiß nicht, was das ist.

Man kennt sich nicht aus in ihm.

Hat er uns gern, hat er uns nicht gern?!?

In seinen Briefen, da ist er wirklich der einzige Peter, wie er leibt und lebt! Seine geschriebenen Worte glaubt man ihm aufs Wort, aber nicht seine gesprochenen – – –.

Er ist aber auch nur als Geschriebener der Peter! Da ist er so, daß man gerührt ist, wenn man an ihn denkt! Aber wenn er kommt, ist alles aus.

Er verlangt zum Beispiel in einem Briefe ein lila Strumpfband, das ich lange Zeit getragen habe.

Wenn man diese begeisterten Worte liest, möchte man sofort das Strumpfband ausliefern, in Freude und Glück.

Aber wenn er persönlich kommt, sagt man ihm sogleich: »Nein, ich gebe das Strumpfband nicht her. Wie komme ich dazu?! Und übrigens, was hast du davon?! Es ist ein Unsinn. Und überhaupt, es paßt mir nicht – – –.«

»Bitte sehr«, sagt er, »ich dachte, du könntest es entbehren. Ich hätte dir ein wunderschönes neues Paar gegeben – – –.«

»Ich brauche keine neuen. Ich behalte lieber meine alten – – –. Mach mich nicht nervös – – –.«

Kaum ist er draußen, möchte man ihn zurückrufen, ihm das Strumpfband mit tausend Freuden schenken.

Aber man ruft ihn nie zurück, schenkt ihm nie das Strumpfband. Sondern man fühlt: »Er wird traurige Stunden haben meinethalben – – –. Der arme Peter – – –.«


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