Willibald Alexis
Der Werwolf. Zweiter Band
Willibald Alexis

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Elftes Kapitel

Wunder und Wahrheit

Die Predigt des Mönchs in der Marienkirche hatte die Zuhörer empört; einige Ratsherren und ihre Frauen waren schon unter der Kirche hinausgegangen; als der Gottesdienst zu Ende, umstand das Volk die Ausgänge, mit lauten Drohungen gegen den Fanatiker. An fürchterliche Verwünschungen, an greuliche Zerrbilder, womit die Anhänger der alten Kirche die Neuerer belegten, waren die Berliner gewöhnt; die lutherischen Prädikanten, wo man sie reden ließ, gaben es den papistischen redlich wieder. Der Landsberger Mönch sollte aber dem Faß den Boden ausgestoßen haben, indem er nicht allein eine gefährliche und ansteckende Krankheit, die unter dem Namen des englischen Schweißes damals in den Marken wütete und viele Opfer mit sich riß, als Gottes unmittelbare Heimsuchung wegen der Ketzerei dargestellt, sondern er hatte auch in empörender Art von der Kanzel herab alle anstößigen Klatschgeschichten erzählt, die man sich seit Jahr und Tag in der guten Stadt Berlin zuflüsterte. Natürlich betraf es immer nur Personen, welche als der neuen Lehre zugetan bekannt waren, und es wurden daraus Heimsuchungen des Teufels und gerechte Strafgerichte Gottes, hatte er doch auch jene Historie vorgebracht, die nachmals in alle Chroniken aufgenommen ward, von der reichen Bürgersfrau, die dem Sammler für das Spital einen Kalbsbraten abschlug, weil sie denselben für einen lutherischen Prädikanten aufheben wollte, den sie nächsten Sonntag zur heimlichen Predigt erwartete, aber als die Köchin am Sonnabend Abend den Braten vom Nagel nahm, um ihn zu wässern und klopfen, war er – versteinert. Der versteinerte Braten ward noch viele Jahrzehnte später in Berlin gezeigt: Hastiz selbst hat in gesehen, man gab der Geschichte aber eine andere Deutung.

Das Volk war ergrimmt, und es wäre dem Mönch schlimm ergangen, wenn er nicht plötzlich an derselben Stelle, wo zweihundert Jahre früher der Bernauer Abt von den Berlinern erschlagen ward, von den Dienern des Propstes ergriffen wäre, die ihn nach der Vogtei brachten. Anfangs meinte das Volk, der Propst wolle ihn nur in Schutz bringen lassen; aber verständige Leute unterrichteten sie besser. Einige Ratsherren waren unter der Predigt zum Propste gegangen und hatten ihm hinterbracht, wie der Mönch predige, und daß sie für nichts ständen, wenn die geistliche Obrigkeit nicht einschreite; dermaßen wären selbst die guten Bürger aufgebracht; denn sie legten es aus, daß der wüste Gesell nicht um nichts aus Spandow nach Berlin gekommen sei, und gerade zum Tage, wo die Stände wieder zusammenberufen worden, über so wichtige Dinge zu beraten; und man wisse, daß der Kurfürst ihn begünstige. Man wolle Feuer anschüren, so deuteten's einige, und die man nicht belehre durch des Mönches Worte, wolle man zu hellem Aufstand reizen, um mit Gewalt einschreiten zu können. Der Propst hatte, als er's gehört, eine Träne des Unwillens aus dem Auge gewischt, und die Arme vor Entrüstung zusammengeschlagen. Nein, hatte er gesagt, das sollten sie von ihm nicht denken; wenn er auch nicht in allen Ansichten mit ihnen harmoniere, dessen könnten sie von ihm gewärtig sein, daß er die Hand nicht bei solchem Spiel habe. Wenn der Kurfürst diesen hergelaufenen Menschen wirklich begünstige, was er noch bezweifle, so müßten schlechte Ratgeber ihm die Sache falsch vorgestellt haben, und so lange er Propst von Berlin sei, werde er den Unfug nicht dulden, und den Mönch wegen der schreienden Ungebühr zur Rechenschaft und Pönitenz ziehen.

Obwohl man denken sollen, daß Berlin an dem Tage nur Sinn gehabt für die Eröffnung des Landtages, von dem so viel abhing, hatte die Verhaftung des Mönches doch ein außerordentlich Aufsehen erregt. Sie ging wie ein Lauffeuer durch die Städte; als die Kutschen und Sänften und Reiter vorm Schlosse vorfuhren und ritten, war die Nachricht auch Joachim schon hinterbracht, und nach der Art, wie er sie aufnahm, hätte man schließen mögen, das Volk habe nicht so ganz unrecht, daß der Mönch nicht ohne Absicht an dem Tage »losgelassen« worden.

»Will man in Berlin keinen Prediger mehr dulden, der an Gott glaubt?« fuhr er den Propst an, welchen er auf der Stelle hatte rufen lassen. »Kam's so weit, daß man fromme Geistliche von der Kanzel reißt? Stehen auch meine Prälaten schon im Dienst der Mißvergnügten? Haben sie Gott aufgegeben und ihren Landesherrn, daß sie dem Verlangen des unverständigen Pöbels nachgeben? Ist das Kirchenzucht, ist das Würde, heißt das die Ehre des Standes aufrecht halten? Mutter Gottes und alle Heilige! Ihr unterstandet Euch, ihn von der Wache ins Gefängnis schleppen zu lassen?«

»Ich wußte nicht, daß mein Fürst an seinem Schicksal teilnimmt.«

»Darum! – Er ist ein rechtgläubiger Christ, etwas zu eifrig. Wer hat darüber zu rechten. Ich weiß, seine Jugend ist nicht ohne Fehl. Wer ist denn ohne Fehl hier unter Euch allen? Ihr etwa? – Und hätte ich ihn nie gesehen, er ist ein ordinierter Geistlicher, er kam im Eifer für die gute Sache aus Spandow. Er mag zu laut geschrieen, das schlummernde Gewissen bei manchem unbequem aufgeweckt haben; wer, frage ich, gab ein Recht, ihn darum zu verhaften? Rechenschaft! Propst!«

Der Propst gab sie in einem kurzen, gehaltenen Vortrage. Er schilderte den Mönch als einen sittenlosen Geistlichen, dessen übler Ruf weit verbreitet, der oft Pönitenzen ausgehalten, der die Gnade des Fürsten so schlecht belohnt, daß er auch in Spandow durch sein wüstes Leben, durch Trinken und Liederlichkeit, die Verachtung der Bürger erworben. Er ließ ihn nur aus einem Hange zur Untätigkeit nach Berlin laufen, wo er durch Fürsprache die Erlaubnis zum Predigen sich erschlichen, um sie in der Art zu mißbrauchen, welche es jeder Behörde unmöglich gemacht, es länger mit anzusehen.

Joachim schien von dem Gewicht der Gründe betroffen, wenigstens schien seine Heftigkeit gedämpft: »Seit wann siehst Du so genau auf den guten Wandel Deiner Geistlichen?«

»Seit die Zeit so schlimm ward, daß wir nicht für uns, auch für die andern wachen und beten müssen; seit jede unserer Handlungen auf die Goldwage gelegt wird. Ließen wir dies Aergernis zu, müßten wir Aergeres gewärtigen.«

»Genug. Deiner Autorität wegen, denn Du willst es auf Dich nehmen, habe es diesmal sein Bewenden dabei. Ich habe Mitleid mit der Schwäche. Lege ihm eine kleine Pönitenz auf, weil er den und die mit Namen genannt hat, aber nächsten Sonntag läßt Du ihn wieder predigen, wieder in der Marienkirche, und Ihr übrigen zieht Euch nicht zurück, wie diesmal unpassenderweise geschah. Ihr alle administriert dem Gottesdienst in Pontifikalibus, dnmit sie sehen, daß ich – Ich selbst werde mit dem Hof in die Kirche kommen.«

»Unmöglich, Herr!«

»Ich hab's gesagt.«

Der Kurfürst hatte es gesagt, es gab keine Widerrede. Der Propst entfernte sich mit der tiefsten Verbeugung, aber ohne ein Wort zu sprechen.

»Kam es so weit schon!« sprach Joachim für sich. »Wagt dieser schon mir zu trotzen! – Auch der Propst von Berlin hält mich für abgetan und veraltet, auch er buhlt um Volksgunst!«

Die Türen wurden geöffnet, die Marschälle und Kammerherren traten ein. »Wer über Wetterfahnen herrscht, muß dem Winde zu gebieten wissen,« murmelte er und schritt in die Versammlung.

Nie haben die Stände ihn so sprechen gehört; es war das letzte Mal, daß er zu ihnen sprach. Sein Gesicht dünkte einigen geisterhaft, als wäre alles Blut daraus fort; die Lippen hatten ihre Röte verloren, sein Haar war grau, seine Haltung gebückt; und er war noch kein alter Mann. Er habe zu viel gelebt in den letzten Jahren, sagten die Aerzte; andere meinten, das hat andern Grund. Aber wenn er ins Feuer kam, hob sich der Körper, es strömte aus der Brust, die Augen glänzten wieder und die Stimme tönte, wie zu ihrer besten Zeit.

Er hub an gedrängt und doch in alles eingehend, wie ein ruhiger Mann, von der Lage des Landes; wie die Stürme von draußen nicht angegriffen hätten, so lange es von innen treu, einig und stark geblieben. – Nun war es nicht mehr so. Noch enthielt er sich der Klage, die seine Brust bewegte; er schüttete nur seinen Unwillen aus, wie lang sich schon die Minckwitzer Fehde hinziehe. In alten Zeiten, wo Adel und Städte gewetteifert, ihrer Pflicht zuvorzukommen, wäre die Unbill längst gerächt worden, die Ordnung wieder hergestellt. Warum nun jetzt die Saumseligkeit, warum Hader und Zwiespalt über Zahl der Reisigen, Zeugstücke, Heerfolge, darüber schon mehr als einmal der Winter ins Land gekommen, und es war nichts ausgerichtet. Er dringe darauf, er hoffe, daß die Stände in sich gehen, getreu sein würden sich selbst, ihrer alten Ehre, um die neue Schmach auszutilgen. Denn das wolle er nicht glauben, was im Dunkeln geflüstert werde, nein er halte es für schmachvolle Ausgeburt heimtückischer, gemeiner Seelen, die das schöne Band der Eintracht zu zerreißen trachteten zwischen Fürst und Ständen, – daß von seinem schloßgesessenen Adel nur einige, daß nur zehn, nur drei von seinen Städten, ja daß auch nur eine mutwillig und mit geheimer Lust der Verschleppung dieses trübseligen Krieges zusähen. Und weshalb? – Weil es die Rechte der Geistlichkeit herstellen gelte, der sie abhold wären. Nein, er halte es für eine schamlose, höllische Ausgeburt des Geistes der Lüge und der Verneinung, der sich freue, das Große, Schöne und Gute, wo er es finde, zu zerstören, ein Geist, der leider draußen in Deutschland mit seinen Fledermausflügeln schlage, und mit den Zähnen wie die Klapperschlange klappere. Dieser freche Geist würde freilich sich freuen, wenn er auch in dem treuen Brandenburg Anhänger werbe. Aber wehe ihm, wenn er sich getraue, hier sich einzuschleichen.

»Wehe ihm, denn ich kenne, ich durchschaue ihn,« rief er sich erhebend, »wehe ihm, denn er hat sich verrechnet, wenn er hier auf Boden hofft, seine Drachenzähne auszusäen. Der Geist beugt mich nicht, und wenn er wächst zum Riesen, wenn er schwillt zur Bergeshöh', wenn er fliegt mit Flügeln wie der Vogel Rock. Ich schwöre es laut vor diesen edlen Zeugen. Wäre hier ein fremdes Ohr eingeschlichen, wäre ein Sinn, der wankt, er höre es an: sie haben sich verrechnet, die meinen, ich gäbe nur einen Finger breit nach, dem Geist der Empörung und Widersetzlichkeit, der umwirft, was unsere Väter schufen und verehrten. Entsetzlich, ungeheuer ist der Fortschritt des Lügengeistes, ja wir dürfen es uns nicht leugnen, es wankt alles, was sonst fest stand; Jünglinge, Männer, Greise selbst lassen sich von dem Schwindel fortreißen; Gelehrte, Adel, Bürger, Geistliche selbst, wie in den Venusberg stürzen die Törigen, wie dem Rattenfänger nach und wissen nicht wohin. Wer Augen hat, der reiße sie auf, wer Ohren hat, der öffne sie, haltet Euch vor dem Sturmwind fest. Ich stehe fest, ich gebe nicht nach. Werde ich das größte Opfer scheuen, der solche Opfer schon gebracht hat? Meine Söhne ließ ich neulich schwören, daß sie nimmer von der alten Kirche abfallen und wanken, es war an meinem Krankenbett, das, ich fürchtete, mein Totenbett würde. Meiner Söhne Eidschwur, hier ist er, wer ist noch so törig, auf die Zukunft zu hoffen. Ich stehe für mich, für meine Söhne, für mein Land, für meine getreuen Märker ein, und wer ist, der seinen Fürsten im Stich ließe, wenn er sein heiligstes Wort für ihn eingesetzt hat!«

Das Lebehoch, als er die Thronstufen herabstieg, hatte schwach geklungen; es war schon verhallt, als er den Saal verließ. »Was will er denn damit sagen?« – »Er weiß ja doch, wie wir's meinen.« – »Uns bange machen,« sagte ein Dritter. – »Hast Du Dich bange machen lassen, Quast?« – Aus dem Gemurmel in den Gruppen ward ein lautes Gerede. Die Marschälle mußten die Herren erinnern, daß an ihnen sei, ruhig auseinanderzugehen; was sie weiter darauf zu beraten, gehöre ins Ständehaus. Aber sie berieten beim Wein, in den Herbergen; sogar auf den Straßen, an den Ecken blieben sie stehen und steckten die Köpfe zusammen. Die Bürger wußten bald, daß viele der Junker zu Roß steigen wollten und auf der Stelle nach Haus reiten. Die von den Städten hatten alle Mühe aufgewandt, sie abzuhalten. »Wir wollen nicht Wache stehen vor der Pfaffen Läden und Kisten. Das fehlte noch zur Schmach des Adels, nachdem er uns zu seinen Kammerdienern machte, auch an der Schwelle der Glatzen schultern!« – »Wollen wir's denn, Ihr lieben Herren,« entgegneten die Vermittler. »Sind wir nicht alle eines Sinnes! Aber wir verderben alles, wenn wir jetzt auseinandergehen. Wohin soll es ausschlagen? Tut uns allen doch eine Verständigung not.« – »Es ist zum besten,« sagten andere, »wenn wir's nicht zum Aeußersten kommen lassen; vielmehr lassen wir's hingehen, wie es geht, schlägt's zu unserm Vorteil aus. Mit Jahr zu Jahr, mit Monat zu Monat greift die Lehre um sich, es kann gar nicht mehr die Rede davon sein, sie mit Stumpf und Stiel ausrotten; er schlüge ins eigene Blut, und er verwundete schon seine Hand. Auch wagt er es heut gewiß nicht mehr. Wagt er nur, die zahllosen Prädikanten, die in den Dörfern, Schlössern, Städten, auf den Kanzeln auftauchen, man weiß nicht woher sie kommen, noch wie sie da sind, zu fahnden, in den Kerker zu werfen? Oder die Kommunikanten, die nach dem Tische des Herrn schleichen, wagt er ihnen den Becher von den Lippen fortzureißen? Wagt er es nur die Nonnen, die Mönche, die überall entlaufen, in die leeren Klöster zurückzutreiben? Und wenn er's wollte, wo hat er Männer, Arme, wo kauft er den Willen seiner Diener, daß sie es tun? Und wenn Heerscharen dienstwilliger Geister ihm zu Gebote ständen, kann er uns zwingen, wieder zu opfern, Altäre zu stiften? Er fühlt, was er kann, und nicht kann, aber er verschweigt es vor sich und der Welt. Er stopft sich die Ohren zu vor den Chorälen und Psalmen, die aus den verschlossenen Türen summen, er schließt die Augen, wo er kann, und tröstet sich, indem er redet. Lassen wir ihm den Trost, stören ihm nicht die Luftbilder: wenn wir jetzt offenen Widerstand zeigen, der keinem Untertan ziemt, der nimmer zum Guten führt, verderben wir unsere gute Sache, die im stillen der Nacht wächst, um am Tage als ein mächtiger Baum dazustehen. Auch eine Einigung, ein Vertragen, ist jetzt vom Uebel. Im besten Fall, er gibt etwas nach und wir geben viel nach; keiner ist zufrieden, und wir verlieren das Gesetz, was wir durch die Tat schon in Händen haben.« –

Das fand vielen Widerspruch. Die Junker, welche schon heimliche lutherische Kaplane in ihren Schlössern hatten, meinten, es sei ein Vertrag mit Beelzebub; entweder oder, Christ oder dem Antichrist, beiden könne ein Land nicht zugehören, beiden ein Volk nicht dienen; wer bekenne, müsse es aussprechen; halb bekennen, sei den Strick um den Hals schlingen und dem Teufel das Ende in die Hand geben. – Es kam zu keinem Schluß, weder in den Herbergen, noch auf dem Landhause, was auch die Marschälle umherliefen, mit gütigen Worten, mit Händedrücken, mit besorgten Blicken, mit ängstlichen Warnungen: der Kurfürst sei in einer Aufregung, daß alles zu besorgen, wenn man nicht vermittelnde Worte fände.

Der Marschall von Krauchwitz hatte endlich eine kleine Partei gesammelt, ältere Junker, die gern ihre übrigen Lebenstage in Frieden zugebracht, ehemalige Diener des Fürsten; schwachsinnige Leute, sagten nachher die andern. Mit ihnen, oder für sie, hatte er eine Anrede entworfen, die etwa so lautete, und des Kurfürsten Zorn beschwichtigen sollte: »Liebe, Treue und Gehorsam gegen seinen Landesherrn sind dem Brandenburger mit der Muttermilch eingeimpft. Die Liebe zu Eltern, Weib, Kind und allem, was ihm teuer ist, steht diesem Gefühl nach. Woher sein Fürst komme, er empfängt ihn mit Freuden und fragt nicht, wohin er ihn führe, er folgt ihm und fragt nicht –«

Die übrige Rede hat niemand gehört, auch der Kurfürst nicht. Peter Melchior glaubte doch durch so lange Jahre seinen Herrn zu kennen, aber er hatte sich verrechnet. So ungnädig war noch keine Deputation angehört, so schmachvoll noch keine zur Tür hinausgewiesen. Denn bei den letzten Worten war Joachim aufgesprungen, er hatte mit dem Fuß gestampft, zweimal, und einen Zornblick auf den Sprecher geworfen, daß ihm das Wort im Munde stecken blieb:

»Auch wenn ich aus der Hölle käme, auch wenn ich Euch in die ewige Verdammnis führte!«

Dann hatte er mit der Faust gegen die Brust geschlagen, und einer will wieder den Schaum auf der Lippe bei ihm gesehen haben: »Steht Ihr noch da? – Ueber solches Volk muß ich regieren, und ich wähnte, ich wäre ein Fürst über freie Menschen.«

»Die bösen Geister sind über ihm,« hatten die Abgeordneten gesagt; »es ist heut nicht gut ihm in den Weg kommen.«

Die bösen Geister waren über dem Herrn, aber es kam ihm niemand über den Weg; es war ja niemand, der zu ihm verlangte. Auch des Kanzlers Vortrag war kurz; er hörte nur halb, und hastig hatte er die Schrift unterzeichnet, welche seine getreuen Stände entließ, »weil sie sich nicht im guten einigen können.«

Der Kanzler hatte noch gewagt, nach Joachims Beschluß in betreff des Landsberger Mönches zu fragen; er hatte gewagt vorzustellen, daß, wenn ihm erlaubt würde, die Kanzel in Berlin wieder zu betreten, ja, wenn er nur in der Stadt länger verweilen dürfe, könne niemand für die Aufregung, die es unter der Bürgerschaft veranlassen müsse, einstehen. Der Kurfürst war nicht aufgefahren, er war nur aufgestanden: »Morgen erfährst Du meinen Beschluß darüber,« hatte er ihn in Gnaden entlassen.

Er stand wieder bei Carrion in der Turmstube, der an den Glocken zirkelte und maß. Er schüttelte den Kopf: »Ueberall dieselbe Antwort: stier und schroff, Widder, Schütze – nirgends eine Kurve, eine Schlangenlinie.«

»Ich soll nicht nachgeben!«

»Dein Wille ist Dein; die Sterne nur sagen nein.«

»Wenn die Sterne nun eine Lüge wären!«

»Dann ist die ganze Welt eine Lüge. Wir leben darin. Ist sie Lüge, sind wir in Lüge geboren, zur Lüge geweiht. Im Grunde wär's dasselbe. Jedes Atom ist Untertan den Gesetzen des Elementes, in das es gesetzt ward.«

»Du stelltest mir sein Horoskop,« hub Joachim nach einer Pause an. »Da hast Du Dich geirrt? – Der Landsberger Mönch ist ein sittenloser, frevler Bube.«

Carrion griff gleichgültig nach seinen Tafeln: »Ob er fest in seinem Glauben, danach nur ließ mein Fürst mich suchen? Hier ist die Konjunktur. Sieh, lauter Stabilität, eine Probe hinter der andern. Gar kein Wanken, Zweifeln. – Seltsam, auch dieser mächtige Stern bleibt ohne Einfluß auf ihn.«

»Wie kann einer gläubig sein, fest in dem einen, und so zerlassen. – Aufmerksamer Carrion, ist er ein wahrhaft guter, katholischer Christ?«

Mit derselben Gleichgültigkeit verfolgte der Astrolog die aufgeschriebenen Chiffern; er addierte, subtrahierte und stellte die Probe: »Nein, Herr, er ist Hussit – ein Adamit, aber darin unerschütterlich fest –«

»In der greuelhaftesten, ruchlosesten, gottlosesten Glaubenstrunkenheit, vor der selbst die Ketzer sich entsetzen. Gepeitscht soll er werden über die Grenze. Und den konntest Du – mir empfehlen!«

»Ich – war Dein Instrument.«

»Du freutest Dich, als ich seiner mich annahm. Leugne es nicht, es zuckte etwas über Dein Gesicht, ein Strahl, den ich nie bemerkt. Du wolltest es verbergen. –«

»Ich! – Dann war's tellurisch, magnetische Einflüsse. Richtig, jetzt entsinne ich mich, ein mir damals unerklärlicher Einfluß verrückte meine Linien, ich hielt ihn für siderisch.«

»Du verrietest mehr für ihn – Liebe?«

»Ich liebe nichts, als meine Zirkel, Gläser und meine Algebra.«

»Auch nicht mich. Deinen Herrn?«

»Nein! – der mich schuf, setzte mich ohne Liebe aus auf dieser Welt, und hier habe ich sie nicht gelernt.«

»Der ist wenigstens wahr,« sprach Joachim.

Er wiederholte die Worte, als er zu Roß aus dem Tore sprengte. Es dunkelt schon und noch zur Jagd! dachten seine Begleiter. Die Tiere wurden aufgejagt, aber nicht verfolgt. Meilenweit trabten sie durch die Heide ohne Ziel, stumm, endlich ohne Licht. Am Tore bei der Rückkehr sprang Joachim vom Roß, er flüsterte dem Stallmeister einen Befehl zu, und mit einem stummen Lächeln verbeugte sich der Offizier. Der Zug ritt ohne den Fürsten nach dem Schloß.

Ob Joachim die engen, dunkeln Gassen, uneinladend in ihrem Winterkleide, von lauen Sommernächten her kannte? – Was suchte er heute – wenn er, in seinen Pelz gehüllt, an den Fenstern der Erdgeschosse stehen blieb, auf die Gespräche, auf Gesang und Zank drinnen horchend? Die Stimme der Wahrheit – Ruhe – Beschwichtigung? – Im Krögel, der nach der Spree sich senkt, wo die Badestuben lagen, und die Badestuben waren jener Zeit zugleich Häuser der Lust und des Lasters, schaute er durch die hellen Scheiben aufmerksam auf das lustige Bild der Geiger und Pfeifer und Tänzer. Er drückte das Gesicht fest an das Glas, bis er den Mann erkannt hatte, der so unverdrossen in jedem Rundtanz am Arm der Dirnen sich schwenkte. Mit welchem Hohn forderte er immer von neuem: Aufgespielt! wenn Lungen und Arme der Musikanten ermüdeten; wie oft ließ er die Kannen füllen und kredenzte die schäumenden Gläser den erhitzten Mädchen an seinem Arme.

Er hatte ihn erkannt, denn er kannte ihn seit zwanzig Jahren als einen Krüppel, der auf einem Rollstuhl von Kindern sich fahren ließ und alltäglich am Portal des Schlosses, fromme Sprüche murmelnd, die Hand nach Almosen ausstreckte. Sonntags, wenn nach der Kirche der Kurfürst seine Gaben unter die versammelten Bettler spendete, ging er wohl selbst zu dem Manne, der nicht bis zur Treppe konnte, hinunter und legte ein großes Silberstück in die Pelzmütze. Wie demutsvoll, mit welchen Worten der Ergebung dankte und antwortete der Mann, wenn er ihn über sein Unheil tröstete. Die Geschichte wird (vom Jahre 1529) etwas anders erzählt: Meister Hans, der Scharfrichter von Berlin, machte drei Krüppel, die seit langen Jahren beinlos an der Kirchentür gesessen und das allgemeine Mitleid besteuert hatten, mit seiner Knotenpeitsche gehend. Ja er peitschte sie, unter ungeheurem Jubel des Volks, »vom Kloster zu Köln (Brüderstraße) über die lange Brücke bis zum Georgenthor (Kolonaden),« daß der Kurfürst (Joachim I.) der's vom Schloß aus zugesehen, sich ausschütten wollte vor Lachen, und er sagte zu Meister Hans, den er vor sich kommen ließ: »Bist Du ein solcher Mann, daß Du die Krüppel kannst gehend machen, so muß ich Dich wohl besser zu Rate halten.«

Jetzt preßte Joachim krampfhaft den Stock, und halb hatte er ihn gehoben, als ein häßliches Gelächter aus seiner Brust sich Luft machte: »Ist er denn schlimmer als die andern, ist er der einzige, der dreißig Jahre mich betrog! Das ist das Geschlecht der Diener. Ein Tor der Herr, welcher mehr verlangt, als die Natur in das Geschlecht legte!«

In einer stattlichern Gasse stand der Fürst abermals vor einem Hause; der Gesang, der gedämpft, aber deutlich durch die Totenstille drang, hatte ihn vor die Wohnung des Bürgermeister Reiche gelockt. Durch die schlecht geschlossenen Fensterläden hatte er einen Blick in die erhellte Stube. Man hatte die Lichter vom Weihnachtsbaum noch einmal angezündet, die Familie stand darum und sang Luthers: »Ein' feste Burg ist unser Gott!« Die Kinder aber sangen dem Bürgermeister zu laut: »Wie oft habe ich's Euch gesagt, Ihr sollt Eure Stimmen mäßigen, wenn wir dies heilige Lied anstimmen. Wie leicht könnte einer vom Hofe vorbeigehen und es anzeigen!« Die Frau Reichin entschuldigte die Kinder: in der Schule sagte man ihnen, sie sollten so laut sie könnten singen, und zu Haus sollten sie die Töne ihrer kleinen Kehlen verschlucken: »Die Kinder wissen am Ende nicht, wie sie dran sind.« – »Aber wenn es nun raus kommt. Du bedenkst nicht, daß ich Bürgermeister bin.« – »Der Herr Bischof von Brandenburg,« erwiderte sie, »läßt es zu, daß es laut in den Kirchen gesungen wird!«

Mehr hörte der Fürst nicht. Diesmal war es ein stilles, inneres Hohngelächter, mit dem er am Schatten der Häuser nach der schwarzen Brüderkirche ging: »Ein' feste Burg ist unser Gott! aber Ihr dürft es nicht laut sagen! Bei dem Gott, der fester ist als alle Burgen und das Firmament des Himmels, das sind mir Bekenner! Vor deren Glaubensmut kein Ziegelstein einer alten Mauer sich rückt, wie soll da Sankt Peters Felsen einstürzen!«


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