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Der geräumige und helle Platz, welcher jetzt nach dem Schlosse den Namen führt, war zur Zeit unserer Geschichte weder geräumig noch hell, noch hieß er Schloßplatz; aus dem Grunde, weil es noch kein Schloß gab. Wenn man aus Berlin über die lange Brücke nach Köln ging, trat man auf einen großen ungepflasterten Platz; nur auf der linken Seite war er von hölzernen Häusern begrenzt, welche ihre Rücken nach der Breiten- und Brüderstraße zu, ihre Giebel aber dahin wandten, wo jetzt das Schloß ihnen die Aussicht nimmt. Diese war damals frei und weit, denn von da ab, wo die Stechbahn nächst der Brüderstraße anfängt, zog sich nur eine mäßig hohe Mauer von gebrannten Ziegelsteinen halbkreisförmig bis an die Spree. War es eine Klostermauer; denn sie umschloß das ursprünglich dem Kloster der schwarzen Brüder in der Brüderstraße zugehörige Gebiet. Aber sie schloß sich an die Festungsmauer der Stadt Köln an, so gegen die Spree-Werder zu am Wasser stand, und war sie mit fortlaufenden Gängen, Schießscharten, Leitertreppen und einer hölzernen Überdachung versehen. Dergleichen Mauern sind in alten Städten selten von freundlichem Ansehen. Unrat und Unkraut häufen sich darum; die darunter aufbewahrten Feuergerätschaften, und was man sonst aus der Hand stellt, weil man es selten braucht und niemand fortnimmt, mögen sie das, was sie heut malerisch nennen, aber nimmermehr freundlich machen. Der ganze große Raum dazwischen war wüst. Denn die paar, unregelmäßig zwischen Gestrüpp, Gras und Unkraut und zwischen Morast und Sandmüll, je nachdem die Witterung war, aufgerichteten Buden oder Holzhäuser dienten in ihrer Zerstreutheit und Kleinheit nur dazu, die Leere des großen Platzes noch mehr ins Licht zu stellen.
Die Mauer war in Verfall; wenigstens nicht so unterhalten, als wie gut verwaltete Städte in jenen Zeiten für ihre Festungswerke folgten. Die dazu bestimmten Einnahmen mochten bei der Uneinigkeit der Städte verschleudert sein, oder zu anderen Zwecken verbraucht. Die Ufer der Spree nach der Kölner Seite waren noch durch keine Mauern abgegrenzt. Das Pfahlwerk war morsch, eingestürzt; das Erdreich, mit Weiden, Gestrüpp und Gras überwachsen, senkte sich ins Wasser. Doch fehlte es um deshalb, weil wir den Platz wüst nennen, hier nicht an Leben. Durch Kot, Sand und Gras schlängelten sich vielfache, stark betretene Wege. Nur hatte kein Wegemeister sie angelegt, und allein das Bedürfnis sie gebahnt. In der Mitte des heutigen, – nicht des damaligen Platzes, denn sie war näher der Häuserreihe als der Mauer – stand die Kirche der schwarzen Brüder, deren Kloster in der Brüderstraße gelegen war, die zweite Kirche der reichen Stadt Köln. Wo aber eine Kirche stand, fehlte niemals Handel und Verkehr. Ein Markt darum machte sich von selbst. Anfangs nur von den Gegenständen, so zum Gottesdienst näher oder entfernter gehörten, als Wachskerzen, Rosenkränzen, Heiligenbildern. Jeder lebhafte Handel mit einem bestimmten Gegenstande weckt aber zehn andere Gewerbszweige auf; und Buden mancherlei Art fanden sich auch hier aufgeschlagen, meist mit Dingen, die nicht unmittelbar die Zünfte angingen, noch dem Zunftzwange unterworfen waren.
Hier hatte ein erster Apotheker seine Bude, ehe die Stadt seine Hantierung als eine nützliche und notwendige anerkannte, und ihm deshalb ein Privilegium im Innern der Stadt selbst erteilte. Krämer von auswärts, fremde Juden, legten, minder beaufsichtigt als auf den Märkten, ihre fremde Ware aus. Auch Marktschreier und Gaukler zimmerten ihre Holzgerüste und spannten ihre Seile; die Kirche drückt ein Auge zu. War's nicht ihre Art im fünfzehnten Jahrhundert, Zeter zu schreien und Verdammung zu rufen, so eine Narrenjacke einer Kutte an den Ärmel stieß. Auch ließen sich die Narren auf dem Seil Kutten anziehen, wenn nur die in der Kirche den Scherf in den Kasten fallen ließen.
Etwas gar sehr Wichtiges aber war zu jener Zeit eine Barbierstube. Die Barbierstuben waren die Kaffees, die Restaurationen, die Estaminets und Lesekabinetts des Mittelalters. Gedrucktes lag daselbst zwar nicht aus; aber das schadet nicht, sie logen damals so viel als wir. Auch weiß man nicht, welche Art Erfrischungen gereicht wurden; aber dort ward der Geist der Neugier durch alle Nachrichten, so es in einer mittelalterlichen Stadt geben konnte, genährt und erfrischt. Die Barbiere jener Tage, immer zugleich außer anderem auch Wundärzte, hatten gut erzählen. Es gab 1442 noch keine Kritik, aber dafür desto mehr Glauben. In allen Schätzen des Wunderbaren konnten sie wühlen, und wie den Schaum um das Kinn, die Blüten ihrer Phantasie den Kunden anschmieren. Je anmutiger ein Barbier verstand vorzutragen, je unglaublicher seine Nachrichten lauteten, um so mehr Zuspruch hatte seine Stube. Aus jenen alten Zeiten schreibt sich der deutsche Ruf der Barbiere, die, als wir sie heut kennen, gar nicht mehr durch die Bank Schwätzer sind. Ich kenne ihrer, die den Mund kaum aufthun.
Ungefähr da, wo jetzt das alte Schloß zunächst der Brücke an die Spree stößt, war eine Barbierstube aufgeschlagen, und damit zugleich eine Badestube. Sie gehörte dem Rat zu Köln, der sie verpachtete. Ihre Lage war günstig inmitten beider Städte, und dazu der weit verbreitete Ruf des Hans Ferbitz, der sie in Pacht hatte, das mußte ihr wohl aus Berlin und Köln Zuspruch schaffen. Die feine Welt, so es um 1442 dergleichen in den märkischen Hauptstädten gab, wo es sonst wenig Feines gab, die versammelte sich hier, und hörte gern zu der geschwätzigen und beißenden Zunge des rührigen Hans Ferbitz, welcher die Geschicklichkeit haben sollte, jedermann etwas zu sagen, was ihm die Ohren kitzelte. Seltener war es etwas Süßes und Angenehmes für die Person, die ihn anhörte, aber gemeinhin etwas Bitteres und Anzügliches gegen andere. Und das haben die Feinen in Berlin immer am liebsten gehört. Dabei fiel zwar auch einzelnes gegen den Gast selbst ab; man merkte das aber damals schwerer, oder nahm es leichter hin; denn was ein Narr spricht, ritzt nicht die Haut. Und was ist ein Barbier anders als ein Narr, dachten die Leute. Wer, der so wie er täglich verkehrte mit den Hauptleuten beider Städte, sollte nicht alles riechen, was stinkt, und sein Aug hatte er an allen Ritzen, und sein Ohr an allen Wänden. Er wußte längst Vergessenes aus alten Zeiten und sagte voraus, was kommen würde. Es traf gemeinhin beides, und alles verwunderte sich darüber, denn wer konnte dem Fuchs nachkriechen und spüren, wo er es her hatte? Wäre er damit zu Markt kommen, nicht als Narr und Barbier, hätt's ihm wohl schlimm gehen mögen. Denn einen Hexenmeister verbrennt man, und kluge Weiber ersäuft man. Ein Narr aber kann alles sagen.
Seine Stube war fast immer voll. Noch waren Überdachungen, wie man's in der Zeit liebte, auf Pfeilern hinausgebaut, zum Schutze derer, so auch bei ungünstigem Wetter sich lieber im Freien, als unter der niedrigen Decke barbieren ließen. Wie man, als schon gesagt ist, ehedem am liebsten Gericht hielt unter Gottes freiem Himmel, so ließ man sich auch gern darunter barbieren und die Haare stutzen. Nur weil der Himmel nicht immer blau war, und es damals in der Mark noch öfter regnete als jetzt, zog man sich in die Lauben, Hallen, endlich in verschlossene Stuben zurück.
Auf das Dach des Bretterhauses war ein kleiner Söller mit Geländer gebaut, darauf diejenigen, so der Dienste des Meisters oder seiner Gesellen warteten, sich der Aussicht freuen mochten. Denke man jedoch nicht, daß damals schon flache Dächer in Köln an der Spree Sitte gewesen; im Gegenteil schossen Dächer die wie steile Mauern in die Höhe. Aber die Kolonisten aus Holland und den Niederlanden hatten manches von ihrem Treiben und Wesen nach den Marken mitgebracht, und an schiffreichen Strömen und deren Ausladeplätzen baut der Niederländer sich gern ein hinausschauend Erkerstübchen oder einen Altan, um den Verkehr zu überschauen, und mit ausgesteckten Flaggen die ankommenden Fahrzeuge zu begrüßen. Die Schiffahrt auf der Spree war aber um jene Zeit nicht unbedeutend; der Fluß war eine große Handelsstraße und Berlin ein bedeutender Stapelplatz der vielen Waren, so aus dem Norden kamen und dahin gingen. Die Aussicht vom Bretterdache des Meister Ferbitz war aber nicht allein um der Spreekähne wegen damals angenehm, auch nicht, weil man weit über die Stadtmauer hinaus die Spreewiesen und Wälder überschauen konnte, sondern vornehmlich darum: man hatte das Rathaus auf der langen Brücke mit den Gerichtslauben davor und allen, die ein und aus gingen, im Auge.
Auch heute war es lebhaft dort, und viel Gäste warteten in den Lauben des Vergnügens, von Meister Hans selbst bedient zu werden. Dieser hatte eben einen Ratsherrn unter dem Messer. War noch in seinen besten Jahren, aber sah man seine Mienen, da hätte er wohl gern für noch jünger gegolten, als er war. Seine roten, eng anschließenden Hosen mit den großen seidenen Schlitzen, die aufgerissenen Schuhe, die scheinbar kunstlos übereinander gelegten Beine, die Falten der Halskrause, die Puffe und Schleifen der Ärmel und des Brustwamses und der sorgsam gekräuselte Bart, die verrieten den Stutzer. Denn deren hat's zu jeder Zeit gegeben. Meister Hansens Gesicht, beweglich als es war, pflegte sich bei jedem Kunden, wenn er ihn bediente, in besondere Falten zu legen. Diesmal war es sehr ernsthaft, wie es der Würde eines Ratsherrn entsprach, obschon der Ratsherr selber nicht würdig sein wollte, sondern jung und hübsch.
»Meister, Du machst verflucht lange.« sagte der Ratsherr, als der Barbier das Moschusbüchslein öffnete, um das gekräuselte Haar mit Wohlgeruch zu würzen.
»Weisheit, ich weiß, wen ich zu bedienen habe. Denken, ich gebe mir ebenso viel Mühe bei solchen struppigen und ruppigen Köpfen, die nicht bis nach Magdeburg gerochen haben! Weisheit, sollten mal sehen, wie ich die Kölner einseife. Rucks geht das, und dann zickzack, links, rechts mit dem Messer, und es ist vorbei. Denken, ein Tröpflein von meinem kostbaren Moschus kommt auf solchen Borstenkopf! Sehn die Weibsen auch gar nicht danach, wie so einer geschoren ist und gekämmt, der nicht vom Bierfaß kommt. Kaiser Karl von Böheim, als der über die Mark regierte, wollte feine Leute aus den Märkern machen. Zu früh angefangen! sagte ihm sein Hofbarbier. Hopfen und Malz verloren. In Berlin muß es anfangen, aber nicht in Tangermünde. In Berlin wachsen junge Leute auf, in Berlin werden sie einmal fein werden, besonders unter den Jungen vom Rate. Aber das wird noch Zeit haben. Wissen Weisheit, was Kaiser Karl da träumte, nämlich in Tangermünde, das war Anno – doch darauf kommt's nicht an. Er träumte: Einen jungen Berliner sah er, so zugeschneidert und zugewachsen, und so hielt er sich und schlenkerte mit den Beinen und faßte manierlich den Hut vor den Frauen, daß man geschworen, es wäre kein Berliner, sondern ein Franzos' – Kaiser Karl hatte nämlich in Paris studiert und verstand es. Wer ist der junge Edelmann? ruft der Kaiser. Ein Ratsherr von Berlin, antwortet der Oberhofmarschall. Unmöglich! ruft der Kaiser, nämlich im Traume, meine Berliner Ratsherren sind alle Bären – Nichtsdestoweniger antwortet der Marschall, selbiger ist doch ein Ratsherr von Berlin. – Wer denn? ruft der Kaiser, und nennt alle Namen der Ratsgeschlechter, nämlich im Traum, bis er an den rechten kommt. Da wachte er auf. Schade, daß es der gute Kaiser nicht mehr erlebt hat. War ein tüchtiger Mann, dieser Kaiser.«
Der Ratsherr war aufgestanden und besah seine Gestalt wohlgefällig im Spiegel, so weit das kleine, schlechte, in Blech eingefaßte Stückchen es zuließ. Der Barbier bürstete ihm den Staub von den glänzenden Beinkleidern und sagte noch einmal: »Schade!«
Der Ratsherr wandte sich lächelnd um: »Daß der alte Kaiser Karl von Böheim gestorben ist!«
»Auch das, Herr Dietrich. Meinte aber jetzt Herrn Dietrichs Bruder, den ehrenwerten Herrn Thomas Wyns.«
»Was hat's mit dem?«
»Ein Herr, Herr Dietrich Wyns, wie's wenige giebt? der meinte es gut mit der Mark, und mit den Städten vor allem. Die Scheibengürtel mit den Schnallen kamen unter ihm auf. Und war kein so strenger Griesgram als die von Nürnberg. Gott bewahre, er lebte und ließ leben. Schöne Junker und hübsche Frauen zusammenbringen, es gab kein größer Vergnügen für ihn.«
»Narr, laß den Kaiser Karl in seiner Gruft, und sprich, was ist's mit meinem Bruder?«
»Giebt heute abend ein großes Bankett. Das wird vollauf gehn. Vierundzwanzig starke Männer sind schon bestellt, je zwei mit einer Fackel und vier mit einer Trompete, sechzehn von Berlin und acht von Köln, um sie nach Hause zu führen.«
»Nun die Herren, Herr Dietrich Wyns. Pfui! würde sich nicht schicken, wenn die edlen Fräulein auch nicht wüßten, wo rechts und links ist. Hier bei mir werden die von Köln abgeladen, um nachzusehen, ob ein Blutlaß oder ein nasser Umschlag gut thut.«
»Hans, Deine Zunge geht mit dem Gedächtnis durch. Was hat mein Bruder Thomas zu klagen?«
»Nichts, Herr Dietrich, er sollte sich eigentlich freuen, solchen Bruder zu haben. Heut morgen sprach er: Was hilft mir das Fest! Und ob's auch mein Geburtstag ist, und die Gäste mir zu Ehren kommen; was gilt's, die schmucken Frauen haben doch nur meinen Bruder im Auge, denn so süße Worte, so dünne Beine und so glänzende Scharlachhosen hat doch keiner wie er. Ist unrecht von einem Bruder, nicht wahr? Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib. Warum seine Hosen und Beine. Verzeiht, Weisheit, spräche gern den halben Tag mit solchem Kunden; aber sie zerreißen mich ja vor Ungeduld barbiert zu sein.«
Er huschte fort, um andere Kunden zu bedienen. Hier wollte man Neuigkeiten von ihm und dort auch. Er konnte mit einer Schüssel viele Gaumen befriedigen. Unter allen Geschichten hatten Raub- und Mordgeschichten von je an einen Vorzug, sie werden von Gebildeten und Ungebildeten mit gleicher Gier gehört. Was an Haut und Haar geht, berührt die feinen wie die groben Sinne; und Kriminalgeschichten mußten in einer Zeit, wo sie in Natur auf jeder Gasse, vor jeder Thür zu Hause waren, noch anders ansprechen als heut, wo das Sicherheitsgefühl uns nächtlich auf dem Holzwege begleitet, und wir wissen, die Polizei ist bei uns, wenn wir unsern Schreibtisch öffnen. Hans Ferbitz war der Meinung, daß die Hauptsache sei, wenn es den Zuhörern an Mark und Bein geht, und wo es eine Wirkung gilt, hatten Zeit und Ort nicht mitzureden, und was die Klugen und Gelehrten in dieser Zeit die Gesetze der Wahrscheinlichkeit heißen, die waren noch nicht gegeben. Sein Gewissen war deshalb ganz ruhig, wenn er eine Mordthat, so zu Zeiten des Herkules sich in Griechenland ereignet, auf vorgestern verlegte, und was in Paphlagonien geschah, auf den Weg von Frankfurt nach Müncheberg; und er hatte immer selbst die noch rauchenden Glieder gesehen, wenn er wußte, daß seinen Zuhörern damit ein Gefallen geschah. Raubritter einfangen, gefesselt einbringen und in Ketten hängen zu sehen, war ein Vergnügen, wohl sehr natürlich für Bürger einer Stadt, welche so viel von ihnen zu dulden hatte. Es kam ihm nicht darauf an, einen schrecklichen Heckenreiter, nachdem er drei Tage auf dem Rade gelegen, noch die Augen verdrehen und den armen Beraubten Abbitte thun zu lassen. Nur daß er solche Hinrichtungen vorsichtig in entfernte Gegenden verlegte, als Thüringer und Böhmer Wald. Und das war klug und gut, denn was hätt's ihm geholfen, so er einen Ritter rädern ließ, der morgen den Bürgern ins Fenster gucken konnte. Außerdem war Meister Ferbitz der Meinung, daß man das Falsche mit etwas Wahrem vermischen muß; denn man muß auch etwas für sein Gewissen thun, und zudem ist's auch klug, denn wo etwas wahr ist, glauben die Leute noch mehr, und je mehr man Wahres zuthut, um so mehr kann man lügen. Das ist itzt so, und war's vor alters.
In der Laube, wo er jetzt sein Messer wetzte und schor, waren lauter ehrbare Bürger, die das sein wollten, und nicht mehr. Also kam alles Greuliche und Schreckhafte, was adlige Ritter, und alle Gewaltthaten, so Übermütige aus den Geschlechtern begangen, hier zurecht.
»Wißt Ihr denn, wo der Köpkin Zarnekow itzt steckt?« fragte er.
»Er ward in den grünen Bergen bei Rüdersdorf zuletzt gesehen,« sagte ein Bürger. »Die von Woltersdorf brachten's neulich auf den Markt.«
»Pah, grüne Berge!« lachte Meister Hans. »Zwischen roten Häusern sitzt er. In der Stadt ist er versteckt. Es haben ihn unterschiedliche, und keine schlechten Leute, gesehen. Wer kennt den Köpkin Zarnekow nicht wieder, der ihn einmal sah! Und ich könnte noch mehr sagen; aber wer verbrennt sich gern das Maul!«
Die Zuhörer waren sehr aufmerksam. Einige bestritten es, andere hatten auch davon gehört. Aber daß sich ein Raubritter in eine Stadt einschleicht und wochenlang drin haust, war nichts Unerhörtes. Der und jener erzählte wilde, verwegene Streiche des Räubers. »Was kann er wollen?«
Der Barbier pfiff über die Lippen und verdrehte lächelnd die Augen:
»Der Zarnekow! Vielleicht kriecht er zu Kreuze! Will Rat und Gemeinheit abbitten, was er that. Buße thun in Sack und Asche, barfuß an der Kirchthür stehn, wiedergeben, was er der Stadt nahm, Schafe, Hammel, Pferde, Knechte, Blut, Jungferschaften, Laden, Kisten, Schiffe, Säcke. Was weiß ich's! Er will ein Mönch werden, bei den schwarzen oder bei den grauen Brüdern. Unter der Kapuze versteckt sich vieles.«
Die wenigsten lachten über den Spott.
»Wenn's der Rat weiß, was läßt er nicht den Friedensstörer suchen und fangen?«
»Der weise Rat wartet vielleicht,« sagte Hans Ferbitz schlau, »bis er die Stadt an vier Ecken angesteckt hat, wie der Finkenauge zur Bayernzeit. Die Büttel können ihn dann besser sehen, und ihn fangen, wie die gelehrten Doktoren sagen, in flagranti. –Wenn er einen von der Allgemeinheit fangen will, da wartet er nicht lange, der hochlöbliche Rat. Nun, wer weiß, warum er den Köpkin sein Wesen treiben läßt. Man kann allerlei Leute brauchen, wenn man in Not ist. Für ein Stück Geld dient der Köpkin Zarnekow jedem. Um ein Stück Geld schlägt er sich für den Kurfürsten und den Großtürken, warum nicht auch für den Rat von Berlin und Köln. Auf wen er losschlägt, ihm ist's gleich, wenn's nur Geld trifft. Oder meint Ihr, daß er Eure Schädel lieber hat, als die der stolzen Herren!«
Köpkin von Zarnekow in Diensten des Rates, das schien vielen doch zu viel Glauben gefordert.
Einer, den wir schon kennen, Baltzer Boytin, sagte: »Wenn der Rat den Wolf in den Schafstall setzt, wo bliebe ihm denn der Braten für sich? Sagt mir, die Herren wollen die Spree am Oberbaum abgraben, und das Wasser für sich behalten, damit wir verdursten, ich glaub's. Sagt, sie möchten uns wie Schöpse braten und verzehren, wenn sie ihren Bürgermeisterschmaus auf unsere Kosten geben, ich will's glauben, aber ich glaub's nicht, daß der Rat den Zarnekow gemietet hat. Der Rat weiß anders, wie er uns kirr kriegt. Mit schönen Worten, die nehmen wir für bare Münze.«
»Weshalb, Meister Baltzer, fängt man ihn aber nicht?«
»Weshalb fängt man den Fuchs nicht, wenn er im Bau steckt,« sagte der Barbier. »Weil er überall Löcher hat. Kennt Ihr alle die Löcher in Berlin? Herr Baltzer Boytin versteht's; aber ich weiß doch auch, wie der wohlweise Rat seiner Zeit in manches solche Loch die Nase steckte, und nicht um den Fuchs zu fangen. Wie ging es zu in den Tagen Tile Wardenbergs! Als der Bürgermeister war, aß er nicht anders bei sich zu Mittag, als daß zwei Trompeter vor der Thür bliesen, damit jeder es wissen konnte: jetzt ißt der Bürgermeister, jetzt trinkt er! Wenn einer vom Rat ihn sprechen wollte, ließ er ihn eine Stunde warten, und wenn der Rat zusammen war im Rathause, ließ er wohl hineinsagen, sie möchten nach Hause gehen, er wollte auf die Jagd reiten.«
Baltzer Boytin lachte: »Solche Bürgermeister lob ich mir, die's grad raus sagen, wie sie uns schuriegeln. Da weiß doch der Bürger, wie's mit dem Gemeinwohl steht.«
»Das ist ein Regieren gewesen,« fuhr der Barbier fort. »Die Wardenberge und Rathenow hielten zusammen wie Kletten, und durfte keiner was aufbringen wider sie. Wenn einer Klage führen wollte, ließen sie ihn die Treppe runterschmeißen vom Rathause. Und in der Stadt hatten sie ihre Gesellen, die staken vom Wirbel bis zur Zeh in Waffen, und soffen und lärmten und thaten, was sie Lust hatten. Wagte sich keiner an sie. So stolz waren die Herren; hatten sogar Adelige in Dienst, die hinter ihnen ritten. Und draußen auf dem Lande war erst das rechte Leben. Da lagen ihre Freunde in den Herbergen, wie die Ritter in den Heerstraßen, und wo ihnen was aufstieß, das des Weges zog, baten sie's, zu halten und sahen sich's an, ob's ihnen gefiel. Die hatten gut schreien und der Stadt Gerechtigkeit anrufen. Wenn der Rat hören wollte, sprachen die Wardenberge: »der Rat kann sich nicht um alles kümmern und nicht allerwegs seine Augen haben.« Ihre Freunde machten dann so viel Geschrei, daß die Sache nicht zur Sprache kam. Einstmals aber – nun, Ihr wißt alle die Geschichte von der schönen Pilgerin, die aus Rom zurückkam. Die schöne Pilgerin hatte gern geschwiegen; man kommt aus Rom klüger wieder, als man hinging! Aber die Gesellen selbst konnten's Maul nicht halten. Im Barnim drüben, in der Kieferhalde, hatten sie ihr aufgelauert. Die heißt nicht umsonst die Jungfernheide! Die schwatzten mal in den Schenken und Kellern, wie's nicht recht ist zu schwatzen, wenn man was gethan hat. Reich war sie überdem, und die Kerle hatten ihr alles genommen. Die Sache ließ sich nicht unterdrücken, denn die Hähne krähten auf den Mauern und die Sperlinge auf den Dächern davon. Als es nun vor den Rat kam, fing die Gevatterschaft ihr altes Lied an: »Man kann sich nicht um alles kümmern; man kann die Augen nicht überall haben,« Da fuhr's mal in die übrigen, sie kriegten Mut und tobten von Friedensbruch und Sakramentsschändung und bestanden darauf, die Leute sollten gefangen werden, und gerichtet um Frevel an Gott, Heilige, Stadt und reine Jungfrauen. Da wischte sich der Tile Wardenberg die Nas und meinte: »Rom sei weit von Berlin, und dazwischen hundert Wälder, und wer könnte wissen, ob nicht auch Jungfernheiden. Im Land Italien und im Reich nähmen sie von allen Waren vorweg das Beste und schickten den Märkern immer nur, was übrig blieb. Wer könne nun wissen, ob die Räuber in den hundert Wäldern nicht längst das genommen, was die Jungfrau hier verloren haben wollte? Zudem ginge man nicht nach Rom pilgern, wenn man rein sei, sondern wenn man schon die Sünden im Sack hätte.« Da stimmten die Gevattern solch Gelächter an, daß die andern schweigen mußten. Dem Tile Wardenberg und seiner Sippschaft hat's danach aber doch den Hals gebrochen.«
Baltzer Boytin schüttelte den Kopf. »Weil's eine vornehme Jungfrau gewesen, weil sie ins Kloster ging und im Umsehn eine Heilige ward, und die Pfaffen schrieen und es vor Kaiser und Reich kam. Darum ging's ihnen an den Hals. Wenn's eine bloße Bürgerstochter gewesen, da hätte kein Hahn drum gekräht. Vermeint Ihr, daß es mit den Gevatterschaften im Rat deshalb aus ist, weil eine einmal in des Teufels Rachen fuhr? Pfiffiger sind sie worden, nicht besser.«
Dem Meister Ferbitz hatte inzwischen ein anderer, vornehmer Kunde in der nächsten Laube gewinkt. Der Barbier, eben noch, so Manier und Miene, ein guter Bürger, eckig und voll Schrot, schwebte itzt auf den Zehen, und begleitete mit süßer Miene und gespitztem Kinne die blitzenden Streiche seines Messers auf dem Leder. Vor ihm saß Pawel Strobant und würdigte, die starken Arme auf den noch stärkeren Lenden, den Bartscherer kaum eines Blickes. Aber auch ein Patrizier von Schrot und Korn muß eingeseift werden, will er ein glattes Kinn haben. Das trotzigste, stolzeste Gesicht verliert aber, mit Seifenschaum überschmiert, etwas von seiner Würde.
»Soll mich doch wundern,« hub Meister Hans an, als ihm das Werk seiner Hände auf dem Gesicht des Ratsherrn entgegenleuchtete und die dicke rote Nase, die wie eine Klippe aus dem Seife-Gletscher vorblickte, seine Lust noch mehr reizte, »soll mich wundern, was Kaiser und Reich dazu sagen werden!«
»Wozu?«
»Wenn wir einen Ochsen zum Bürgermeister kriegen.«
Herr Strobant blickte auf mit einem Gesichte, wohl vergleichbar dem des genannten Tieres, wenn es in Zorn ist.
»In der Nacht heut hat man's in allen Ställen vor Freude brüllen hören. Ist auch dem Vieh solche Ehre noch nicht fürgekommen. Und ist der Ochs erst Ältermann, kommen die Kühe und Kälber in den Rat. Das wird ein Brüllen geben.«
»Was soll der Bartscherwitz?«
»Nichts von Witz, Gestrenger! Wissen doch: die Knochenhauer und Wurstmacher haben heut Morgensprache. Der Knüppel ist rumgegangen. Rat und Bürgermeister gefallen ihnen nicht. Wollen klagen, einkommen und andere wählen.«
»Wen?«
»Aus ihren Nächsten einen, heißt's im Umlauf. Einen, der ihnen zum Verdienst hilft, und einen, des Stimme durchdringt. Wer ist den Fleischhauern nun näher als ein Ochs, wer giebt ihnen mehr Verdienst als ein Ochs, wes Stimme dringt lauter durch als die eines Ochsen? Ergo: können die Knochenhauer sich einen bessern Bürgermeister wählen als einen Ochsen?«
»Weißt Du noch mehr Gründe?«
»Warum hat die Stadt Berlin einen Bären im Wappen, Weisheit? Weil die Bären bis itzt drin regiert haben, sagen sie. Nun aber die Bären, Auerochsen, und was wild ist, im Lande ausgerottet sind, sagen sie, kann auch in der Stadt das zahme Vieh dran kommen. Ein Ochs brüllt stärker als ein Nachtwächter, und beinahe so stark wie ein hochweiser Rat, wenn die Meinheit gleiche Rechte fordert. Ein Ochs stößt grad aus. Paßt er drum nicht zum Bürgermeister? Und sagt man nicht, wenn ein Ochs vorbeigeht: da kommt der Ochs; und wenn der Bürgermeister vorbeigeht, sagt man auch: da kommt der Bürgermeister.«
Pawel Strobants Haut gehörte nicht zu den zarten. Dennoch drangen die Spitzen aus des Barbiers Rede bis dahin, wo ein Ratsherr jener Zeit keinen Spaß verstand.
»Und was würde man sagen, Hans, wenn Dich der Bürgermeister auf drei Tage mit dem Hals an den Kaak schlösse, und Deinem Rücken den Staupbesen für Dein loses Maul zu kosten gäbe?«
»Man würde sagen: Ei der Tausend, haben's die Knochenhauer doch durchgesetzt!«
»Was?«
»Daß er Bürgermeister ward.«
»Wärst Du kein Schelm und Narr, ich ließe Dich greifen, daß Du was sprichst, was dem Gemeinwesen Schaden wirkt.«
»Kann das arme Wesen noch Schaden nehmen, seit es der Rat in seine Arche verschlossen hat!« sprach Hans Ferbitz mit kläglichem Tone. »Da liegt es drin so warm und ruhig wie in Abrahams Schoß. Die Zünfte und Bürger thäten wohl, es schlafen zu lassen, denn was würden sie erschrecken, wenn sie's aufweckten, wie es mager und klein wurde, und war vordem so stark und groß!«
»Daß der Vogt dazu schweigt, wie solche Schelmen die Zunge brauchen!« sprach ein anderer Mann von Ansehn.
»Als der Rat den Wettlauf hielt mit Sankt Gertraud, hat sie auch geschwiegen. Wenn unsere lieben Heiligen das Maul halten, thut der wohlweise Rat auch gut,« sprach der Barbier.
»Was hat's mit dem Wettlauf auf sich?«
»Das Geschichtlein wißt Ihr nicht und sitzt im Rat! Sankt Gertraud hatte mal in einer Stadt, just wie in Berlin, ein Spital. Fromme Hände hatten die Schreine und Laden gefüllt, wie in Berlin. Und die Lahmen und Brüchigen sollten drin Schemel und Schüssel finden, wie in Berlin. Aber der Vogt dachte bei sich: die Heilige hat zu viel, und die Rechnungen, die ich ihr ablegen muß, werden immer schwieriger. Die Zahlen könnten ihr Kopfbrechen machen und ihren Sinn auf weltliche Dinge ziehn. Das möchte ihrer Heiligkeit schaden. Drum wollt er ihr von abnehmen. Aber er war ein ehrlicher Mann, just wie die in Berlin. Also nahm er eines Nachts zwei volle Säckel aus dem Schrein, der unter ihrem Bilde stand, und setzte sie grad über am anderen Ende des Ganges auf die Erde. Als er nun wieder ans Bild gekommen, kniete er nieder und zog die Mütze: »Sankt Gertraud,« sprach er, »wenn Du nichts dagegen hast, wollen wir nun einen Wettlauf thun. Wer zuerst hinkommt, der hat's. Ist Dir's aber nicht gefällig, so spreche ein deutlich Nein.« – Sankt Gertraud schwieg mäuschenstill. Da stand der Vogt auf und lief. Aber als ein ehrlicher Mann besann er sich, daß Sankt Gertraud ja eine Frau war, und mit ihren weiten Röcken konnt sie nicht so schnell laufen. Also ging er sachtchen, daß sie ihn einholen könnte. Aber sie holte ihn nicht ein, und da nahm er die Säckel für sich und blieb ein ehrlicher Mann, als er es gewesen war.«
»Was hat darauf Sankt Gertraud gesagt?«
»Just was die Gemeinheit in Berlin sagt, wenn der Rat Rechnung legt.«
Ihr Gespräch wurde durch einen Lärm auf dem Platze unterbrochen, dessen Ursach und Hergang in ein nächstes Kapitel gehört.