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In Sorrento hatten zu Anfang des Mai zwei verschiedene deutsche Familien sich angesiedelt. Beide hatten eine Wohnung gewählt mit der Aussicht nach dem Golf; womöglich nahe am Felsgestade. Beide athmeten und lebten, um so zu sagen, von Luft und Licht, vom Meeresglanze und vom Duft der magischen Scenerie. Innerhalb der vier Mauern hätte man sie selten gefunden, was indeß nichts Auffälliges ist, denn außer der brennendsten Tageshitze pflegt das überhaupt selten Jemand zu begegnen. Am wenigsten einem Forestiero, da die für sie hergestellten Wohnungen gewöhnlich nicht zum Verweilen einladen. Entweder sind sie so roh, nackt und leer, wie der Südländer es, und nichts mehr, verlangt, oder vom importirten Luxus aus Paris und London ohne Geschmack so überladen, daß, wenigstens nach dem Maaßstab einer deutschen Familie, entweder die Reinlichkeit, oder Wärme und Behaglichkeit, oder gar beides ihnen fehlen.

Beide Familien halten absichtlich Wohnungen vermieden, wo die prachtvollen Teppiche und Gardinen den gesprungenen und fettigen Estrich verbergen sollen, und hatten in bescheidenen Häusern bescheidene Räume gemiethet. Sie waren also, wird man mit Recht vermuthen, weder wie Mylords noch russische Fürsten, sondern wahrscheinlich, meinten die Leute, so etwas wie Artisten, worin die Leute auch wohl Recht hatten.

Die guten Sorrentiner verwunderten sich aber über etwas. Wer ist nicht, der in die Fremde verschlagen wird, hoch erfreut, wenn er einen Landsmann trifft, der mit ihm dieselbe Sprache führt, mit ihm über dieselben Bekannten plaudern kann, und weiß, wie die Häuser und Straßen, und wo der Mond und wo die Sterne daheim stehen. Anfang Mai's ergießen sich die Fremdenschwärme noch nicht nach den reizenden Ortschaften des Golf, sie waren also ziemlich allein, und doch hatten sie sich in den krummen und engen Sarazenerstraßen, wo keiner dem andern ausweicht, noch nie begegnet, und, was noch seltsamer, gar kein Verlangen gezeigt, sich zu sehen. Signora Ellena und ihre Mutter Signora Susanna sagten: »sie seien der Natur, und nicht der Menschen wegen hergekommen!« und als es von Mund zu Munde durch Osterien und Werkstätte gelaufen, und man an Signor Eginardo dieselbe Frage gestellt hatte, äußerte er etwas ähnliches: »er sei nicht hier, um Landsleute zu sehen, sondern Land und Leute.« – Von Engländern wußte man das; aber daß auch Deutsche närrisch würden, war ihnen neu und befremdlich; indeß sie bezahlten, was man mit Billigkeit von ihnen forderte, und wenn es über diese Billigkeit war, so wetterten und zankten sie noch nicht über die Maaßen, weshalb man beide Excellenzen titulirte.

Wir sagten: beide Familien; das ist eigentlich unrichtig. Es war eine einzelne Person, und hatte, wie man zufällig erfahren hat, nicht mehr Vater und Mutter, und, mit seiner andern Familie über den Fuß gespannt, erhielt er nur spärliche Briefe aus der Heimath. Seine Wirthsleute machten sogar ausfindig, daß er ein Menschenhasser sei, was seinem Rufe indeß nichts schadete, denn er bezahlte ohne zu handeln, und wenn auch ein Menschenfeind, war er doch ein Kinderfreund.

Die andern waren wirklich eine Familie, nämlich eine Wittwe und deren Tochter. Ein alter verdrießlicher Diener zählte nicht mit, denn von ihm erfuhr man nichts, und gegen die Neugierigen blieb er wie der Fels am Meere. Man wußte nur, daß die Dame kränklich war, hier der Luft wegen lebte, der Gesandte in Neapel ihr Geld regelmäßig schickte und sie mit einiger Aufmerksamkeit behandelte. Die Familie lebte sonst still, schrieb und erhielt aber von der Post so viele Briefe als die andere Familie wenige, und die Wirthsleute begriffen nicht, wie man so viel schreiben könne, wenn man nichts zu denken hat. Als aber einmal eine Post verlautete, ihre Verwandte dächten nachzukommen, hatten Mutter und Tochter nichts weniger als erfreut ausgesehen. Signora Ellena hatte sogar gerufen: »Wollen sie auch unser Paradies zerstören!« Signora Susanna aber geantwortet: »Sie werden auch nicht gleich kommen; so weit reisen ist ihnen viel zu unbequem.« Die Wirthsleute hielten sie nun auch für eine Art Menschenhasserinnen.

Weil die Mutter meinte, die Tochter strenge sich bei ihrer Pflege zu sehr an, und könne selbst krank werden, drang sie darauf, daß Ellena sich mehr Bewegung mache. Wenn nicht den alten Diener, möchte sie doch die Wirthstochter mitnehmen, welche mit Vergnügen sie begleiten werde; die Halbinsel war ja damals sicher, und wenn nicht um ihrer selbst, möge sie es der Mutier wegen thun, denn wer soll die Mutter pflegen, wenn die Tochter auch danieder liege? Dagegen ließ sich nichts Vernünftiges einwenden. Um keinem Lauscherauge aufzufallen, trug sie bei ihren Morgenspaziergängen einen Bauernrock, wo es sich leichter machte, auf den Klippenstegen zu klettern, während der breite neapolitanische Strohhut sie so gut gegen die Sonne schützte. – Das waren entzückende Morgen. Was eilte sie oft vorauf, daß Annunciata kaum folgen konnte, wohl aus schlauer Speculation, damit sie oben auf dem grünen Pic eine Weile allein stehen konnte. Dann stand sie wie eine Trunkene, mit den Augen und mit den Lippen schlürfend, die Hände gekreuzt vor der Brust, um das Klopfen des Herzens ruhig zu halten. »Was trinkst Du, Ellena?« fragte die Begleiterin. Zuweilen antwortete sie: »Die Luft!« ein andermal: »Ich trinke Meer.« Darüber lachte sie einmal, ein andermal erschrak sie, daß die Signorina wirklich närrisch würde, wenn sie auf luftiger Höhe sich niederlegte, die Wange mit einem Male an den Rasen drückte und weinte. »Warum trauerst Du, Ellena?« – »Aus purer Freudigkeit!« sagte sie und zitterte. Aber wenn sie nach Hause kam, ward sie wieder ganz vernünftig, als hätte sie nichts zu sorgen, als für die Leidende. Da kochte sie selbst in der Küche, um eine Speise so zu bereiten, wie der Arzt es befohlen hatte, und las Bücher, so rasch, daß sie gar nicht vorher zu buchstabiren nöthig hatte. Daß sie an jedem Tage mit dem Pinsel vor der Pallette saß, nahm Annunciata nicht so besonders Wunder, denn das Malen ist Brodarbeit und nicht Zauberei.

Mit der andern Familie, nämlich Signor Eginardo, wußten ihre Wirthsleute noch weniger, was sie mit ihm anfangen sollten. Lesen und schreiben konnte er auch, als wäre es Zauberei; ebendesgleichen malte er. Das war indeß auch nicht Zauberei, denn Maler hatten schon öfters bei ihnen gewohnt; aber Niemand kam, um Eginard's Bilder zu kaufen, und er zeichnete und pinselte doch immer fort, als kümmere es ihn gar nicht! Das war ihnen sonderbar. Als ihm sein Wirth, der Tischler, ein Zeitungsblatt aus Neapel mitgebracht, was hier etwas seltenes war, und sie nicht anders glaubten, er würde sich darüber so freuen, wie über einen seltenen Fisch, warf er es mit einem Pah auf die Erde: »Die Zeitungen enthielten nichts als Lüge.« Auf der Zeitung stand doch »mit dem Privilegium des Königs«, und der Tischler hatte ehedem gehört, daß nichts darin steht, als was der König selbst erlaubt und befohlen hat. Da erschraken sie, ob er nicht ein Mißvergnügter sei, oder gar ein Carbonaro?

Aber er sang und ritt, er angelte und badete, und schwamm im Meere, trotz Einem, und lachte, wenn man ihn vor den Hayfischen warnte. So mag ein Engländer thun, aber nicht ein Carbonaro. Jetzt fing er Ball wie ein Jongleur mit zwei Orangen in der Luft zum Jauchzen der Kinder, und ging, wenns ihn langweilte, zur Staffelei, um, wenn es ihm heiß ward, das wieder fortzulassen und in die Berge zu stürmen. Wer ihn da unter der mächtigen Platane oder unter den schattigen Lorbeerbüschen gelagert sah, konnte freilich an einen Hirten denken oder an einen Räuber, mit seinen braunledernen Gamaschen, knapp bis vom Knie zugeknöpft, der schwarzsammetnen offenen Jacke mit ihren Silberknöpfen und Stickereien und dem verwegenen Calabreser-Hute! Und wie nett das rothseidene Halstüchlein, wenn der Wind in den leicht geschlungenen Schleifen über das weiße Hemde spielte! Aber wer das weiße, feine Hemde und die brillante Tuchnadel drauf stecken sah, konnte wissen, daß er kein Räuber und kein Hirte war. Wer kann einem Hirten eine Brillantnadel schenken, und wer einem Räuber das weiße Hemde waschen, als wär's heut Morgen erst geplättet und gekräuselt?

Bis zu dem Bergkamm, von welchem man die Galli, oder die Scylla und die Charybdis erblickt, ist ein mühsamer Weg. Wer aber denkt an Müdigkeit, wenn die smaragdenen Felseneilande unter uns schwimmen im krystallenen Meeresspiegel. Wer ließe sich nicht gern, ein anderer Odysseus, in Meer und Luft sinken und verschlingen, nur um mitzuathmen die Wollust der Natur! – Aber nun mußten die beiden Mädchen sich losreißen. Die brauner gefärbte stand schon bereit, ihr Kranz von Rosen und Myrthen war längst fertig, aber die blondere sah noch einmal mit einem Seufzer zurück, als solle es das letzte Mal sein. »Wer soll ihn heut bekommen? fragte Annunciata. Es muß aber ein hübscher Heiliger sein, denn die Rosen sind weit schöner als die gestern, und Du hast ihn fast allein gewunden. Darum mußt auch Du ihm heut den Kranz aufsetzen.« Und sie drückte ihr den Kranz auf den Arm. – Ob das eigentlich recht sei, weil sie nicht katholisch war? dachte Ellena beim Rückweg. Nämlich Annunciata hatte das Spiel ausgesonnen, den Kranz bei der Rückkehr von jedem Spaziergange am ersten Schrein eines Heiligen, der ihnen am Wege stand, aufzuhängen. Heilige, von Holz oder Stein, stehen hier an jeder Ecke. Annunciata wollte aber nicht glauben, daß Ellena keinen Heiligen hätte: »Wenigstens einen doch, lachte sie, wenn auch nur einen ganz kleinen, und Du wirst ihn schon im Herzen versteckt haben. Warte nur, heute werde ich ihn gewiß ausfindig machen.«

Plötzlich fuhren sie zurück. Auf dem Rasen lag ein Schläfer – wie er aussah überlaß ich dem Leser – aber der Schläfer oder Räuber schlief wie der heilige Siebenschläfer; der Hut war ihm vom Kopf gefallen. »Wie hübsch er ist!« sagte die Eine. »Er ist – unterdrückte die andere den Gedanken – zum Malen.« Annunciata hatte Ellena mit dem Arm festgehalten: »Du kannst einen Kiesel werfen, flüsterte sie, und er wacht doch nicht auf. Wir können ihn ganz dreist ansehen.« – »Laß uns lieber fortgehen, Annunciata!« – »Du zitterst? Gleich, gleich! Ach, wie Du purpurroth bist! Sieh den Funkelstein, 's ist kein Räuber!« – »Annunciata! Keinen Spaß! Fort!« – »Ein Heiliger oder keiner, was er sich wundern wird, wenn er aufwacht. – Nur zum Spaß, Ellena!«

Nur zum Spaß. Ellena hatte es gewiß nicht gethan, aber ob sie es nicht besser hätte verhindern können? Vielleicht hatte Annunciata ihrer Hand einen schelmischen Stoß versetzt; kurz der Kranz war fort vom Arm. Im nächsten Augenblick, als er auf seiner Stirn ruhte, hatte der Schläfer sich aufgerichtet, und im selben hatten die Mädchen die Flucht ergriffen. Wie Gazellen über den Hügel; aber der Mann ihnen nach. Seine Tritte rauschten durch das Gestrüpp; jede Secunde kam er näher, und Ellena schoß es wie Blei in die Füße. Sie fürchtete zu sinken; da stand sie einen Moment unterm Lorbeerbaum, um Athem zu schöpfen, oder wie das Wild in letzter Angst den Jäger ansieht. Er trug den Kranz noch auf der Stirn, und stutzte, als sie ihn ansah. Wahrscheinlich erbarmte ihn des armen Wildes, er blieb unwillkürlich stille stehen. Hätte er den Blick der Bitte verstanden: sie nicht weiter zu verfolgen? Wenn er ihr doch hätte nachfolgen wollen, wäre es zu spät gewesen. Die Gazellen waren verschwunden.

*

Von nun an trug Ellena nicht mehr den Bauernrock und den neapolitanischen Strohhut, und entfernte sich nicht mehr so weit aus dem Hause. Zum Glück fand auch die Mutter sich jetzt so erholt, um selbst mit ihr nähere Spaziergänge zu unternehmen. Was geschehen, war übrigens zwischen ihnen kein Geheimniß geblieben, denn es herrschte zwischen ihnen ein fast schwesterliches Vertrauen. Frau Susanna brauchte nur wenig zu beobachten, um sich in Verhältnissen schneller zurecht zu finden als Andere durch viele Fragen erforscht haben würden. Sie war bald zu dem Schluß gekommen, daß der Fremde weder ein Räuber noch ein gefährlicher Abenteurer gewesen, sondern ein verirrter Jäger, welcher durch die Aventure vielleicht ebenso überrascht gewesen als die Mädchen selbst. Da er es damals nicht gethan, habe er auch wohl überhaupt keine Lust und Neigung, ihnen nachzuspüren, und wahrscheinlich das Abenteuer schon vergessen, »wie ihre vernünftige Ellena selbst,« setzte sie hinzu.

»Und wie sollte ich Dir einen Vorwurf machen! setzte sie hinzu. Im Gegentheil, ich muß froh sein, wenn Du heiter wirst, ja wenn Du einmal aus Muthwillen wirklich eine Kinderposse triebst. Wenn wir zurück nach Hause kommen, ist ohnedem alles vorüber. Werden ja die Leute immer fürchterlich ernsthafter; und leider so früh schon, daß man möchte die jüngeren jetzt nach Italien reisen lassen, nicht um Kunst und Natur, sondern damit sie wieder lernen Kinder zu sein.«

Aber deutscher Ernst und deutsche Kritik waren beiden nach Hesperien gefolgt. – Der Vorfall war nicht unbekannt geblieben, und wie sollte Annunciata nicht leicht erfahren haben, wer der Siebenschläfer gewesen, der einen großen, funkelnden Edelstein an der Brust gehabt! Und was Annunciata gewußt, wie sollten Ellena und ihre Mutter es nicht auch erfahren!

»Wie soll Dich das erschrecken, sagte die letztere, weil er kein Einheimischer gewesen, was ich eigentlich von Anfang an vermuthete. Warum deshalb Sorrent plötzlich verlassen wollen! Wenn die Familie uns nun wirklich überfällt! Aus welchem Grunde sollen wir ihnen sagen, daß wir unser stilles Plätzchen vertauscht haben, nachdem sie über unsern Enthusiasmus hier nicht genug spötteln konnten? Wenn wir es auch der Mühe werth hielten, ihnen die Wahrheit zu verbergen, würden sie es doch erfahren. – Und weil er ein Deutscher, und ein deutscher Maler ist! Hast Du nie einen gesehen? Wird er uns jetzt auf den Straßen begegnen? Und wenn es einmal geschähe, was Gefährliches wäre es denn! Da er damals so bescheiden war, als er gewissermaßen im Recht war unbescheiden zu sein, warum soll er jetzt aus heiler Haut uns belästigen wollen! Und wenn wir endlich uns doch einmal sehen sollten, wird er uns wahrscheinlich nicht erkennen oder aus Artigkeit nicht kennen wollen; denn Ihr hattet ja Beide nur Komödie wider Willen gespielt, und seit Ihr die Garderobe abgeworfen habt, seid Ihr andere Menschen geworden.«

Die Tochter schwieg ohne überführt zu sein, und die Mutter hatte nur zur Hälfte Recht. Der Maler und die Familie begegneten sich wirklich und erkannten sich, aber ohne sich erkennen zu wollen. In der einzigen etwas breiten Hauptstraße, römischen oder wahrscheinlich schon griechischen Ursprungs, wo es geschah, können Paare wohl vorübergehen, ohne daß der eine den andern mit dem Ellenbogen zu stoßen braucht; aber beim zweiten Male würde es absichtlich scheinen. Beide mußten heut denselben Weg zurück, und diesmal lüftete er den Hut, und die Damen wiederholten leicht den Gruß.

Die Mutter bemerkte beim Nachhausekommen: »Der Fremde schien ein Gespräch mit uns anknüpfen zu wollen; wohl natürlich unter Landsleuten. Wenn es wieder so käme, thätest Du doch besser, ihn offen anzusehen, als wie so absichtlich das Gesicht abzuwenden.«

Am nächsten Tage begegneten sie sich nicht, aber am drittfolgenden. Wieder in der Hauptstraße, und an jenem antiken Brunnen, dessen Quell, aus einer mosaikumlegten Nische sprudelnd, in einer Marmorschaale sich fängt. Eine Göttin oder Najade, mit einem Korallen- oder Muschelhalsband, liegt unter der Wölbung, den Arm auf der Wasserröhre ruhend. Ob die Nische und die Figur römischen Ursprungs sei, hatte Mutter und Tochter zu einer Art Wortwechsel angeregt, ohne zu bemerken, daß auch ein Dritter es hörte. Aber dieser Dritte, durch breit gespannte Ochsenjoche von der Hauptstraße gedrängt, hatte sich ihnen zugesellt. Es machte sich wie von selbst, und natürlich, daß der Deutsche in das lautgeführte deutsche Gespräch sich einmischte. »Römisch oder griechisch! sagte er, es ist wohl schwer zu entscheiden, da die Najade nur aus einer Fabrik nach der Schablone herzustammen scheint.«

»Ah, ein Kenner!« sagte die Mutter mit der verbindlichen Verbeugung, um das Gespräch damit abzuschließen. »Wir sind nur Dilettantinnen.«

»Gleichviel, setzte er es aber fort. Interessanter für uns sollte das sein, daß dies Bild sich durch die verschiedenen Epochen der Barbarei, ja selbst unter der Herrschaft der bilderstürmerischen Saracenen, erhalten hat. Es steht noch heut, nicht zertrümmert und nicht fortgeworfen, auf seinem alten Brunnen.« – »Ob das wohl so sei?« fiel Frau Susanna dazwischen, vielleicht jetzt nur, um ihrer Tochter die Verlegenheit einer Entgegnung zu ersparen. »Die Göttin möchte auch, irgendwo im Schutt versteckt und gefunden, erst in späterer Zeit wieder an die gegenwärtige Stelle gesetzt sein.«

Damit war eine Kunstunterhaltung angeknüpft wie sie in Italien unter den Ruinen sich von selbst macht. Frau Susannen waren solche antiquarische Untersuchungen eigentlich unerquicklich; wie oft greift aber das Gespräch nach einem gleichgültigen Gegenstande, nur um einem andern, der peinlich werden kann, auszuweichen. Helene aber – sagen wir endlich ihren wahren Namen, da die Italienische Garderobe längst abgefallen war – Helene erfaßte plötzlich den Faden: Was komme darauf an, ob von Römern oder Griechen, und ob nach der Schablone oder von einem Meister, wenn das Werk sich selbst lobt? – »Lobt es sich denn?« fragte Eginhard verwundert. Das verstümmelte Bild, eines wie tausende in den Museen und Säulengängen, hatte nie seine Aufmerksamkeit beansprucht. Aber die Bemerkung der jungen Dame frappirte ihn, und die zweite Frage, über die er im selben Augenblicke erröthete, platzte vor: »Halten Sie es wirklich für ein Kunstwerk?« – Auch Helene hätte jetzt erröthen können, denn es war eben nicht viel mehr als eine menschliche Figur; die Ecken, Züge, Linien waren verwischt, vielleicht weniger gemißhandelt durch Wetter, Zeit und Barbarenhände als durch die letzte Feile des Steinmetzers. Aber sie fand sich schneller zurecht. Mit Lebhaftigkeit vertheidigte sie das Recht der ersten Idee, das in den schlechtesten Nachahmungen, durch Jahrhunderte oder Jahrtausende, doch lebt und noch lebendig bleibt. Ob es denn einen Bildhauer nicht erfreuen müsse, wenn ein Fremder und Laie noch in dem abgestumpften Gipsabguß seines Jupiter, die Erfindung, die Züge seines Genius wieder erkennt? Ob nicht ein Lied, von Land zu Lande, von Meer zu Meeren, durch die Lüfte getragen, wenn der Dichter, Componist, an fernen Gestaden, von rohen Matrosen, von Lastträgern oder wilden Barbaren sein Lied singen hört, zu Jubel oder zu Trauer anregend, ob ihn das nicht mehr erfreue, als wenn dieses selbe Lied von berühmten Virtuosen vor dem gebildetsten Publikum auf die kunstreichste Weise vorgetragen wird? Und sei es nicht ebenso mit dieser verstümmelten Figur! Wenn der alte Bildhauer aus seinem Schattenreich diesen Brunnendeckel wieder sehen könnte, ob er die Stirn runzeln oder die Lippen lächeln würde: »Es ist doch das Kind meines Gedankens.«

Eginhard hatte artig darauf entgegnet: Er glaube jetzt eines der alten Lieder zu hören, die durch die Lüfte wie Aeolsharfen tönen.

Die Familien waren, obgleich die Ochsen längst vorüber gegangen, noch wie unabsichtlich im Weitergehn zusammen geblieben.

Helene hatte das Compliment beantwortet: Ginge nicht eine Harmonie des Schönheitsgefühls ursprünglich durch alle Völker?

Er seufzte: In der Wirklichkeit kämen oft schrillende Töne dazwischen. Er war in Griechenland, auch durch Klein-Asien gereist; ach aber in allen diesen Ländern der blühenden Cultur und ewigen Schönheit sah er nur Torsos und Ruinen. Ob denn die großen Geister, wenn ihnen Blicke aus dem Schattenreich vergönnt wären, sich freuen würden, oder in dumpfe Klagetöne ausstoßen! »Versteht, würdigt, genießt sie das Volk? Stumpf, gleichgültig, ließ es die erhabensten Momente, die schönsten Erinnerungen zerfallen oder selbst sie muthwillig zerstörend, und erst Fremde, Gelehrte, Liebhaber, entdeckten und säuberten diese Ruinen. Ja, sie erst rüttelten die Eigenthümer auf, zu ahnen, welcher alten Herrlichkeit Erben sie waren. Und wie würden diese schaffenden Genien der Unsterblichkeit knirschen, wenn sie neben ihrer Erbärmlichkeit den Schacher ihrer Nachkommen zu betrachten verdammt wären; wie sie die Reste ihrer Ahnenschätze den Barbaren so theuer als möglich an den Mann bringen. Und verloren diese Epigonen der Epigonen nur das, wanderten nicht ihre ewigen ordnenden Gedanken in Staat, Kunst, Wissenschaft zu einer andern Welt über – bis über das atlantische Meer, und die Enkel auf der Scholle bleiben – was für Fremdlinge!«

»Schade, daß wir um die Fortsetzung des ästhetischen Gespräches so früh gekommen sind!« hatte die Mutter gesagt, als sie mit Helenen durch eine Schwenkung in die krumme Seitengasse trat. Dieselben Thiere, wenn auch nicht dieselben Paare, welche sie zueinander getrieben hatten, schreckten, wenigstens die Damen, jetzt auseinander. Ihren mächtigen Hörnern, die aus dem Büffelgeschlecht der Maremmen stammen, sucht man gern auszuweichen, und Eginhard hatte umsonst der Mutter seinen ritterlichen Arm geboten. Die enge Gasse schien ihr ein sicherer Schutz, und mit einem kurzen und verbindlichen: »Auf die Hoffnung uns nicht zum letzten Male in Sorrent gesehen zu haben!« hatte sie dem Ritter den Rücken gewandt.

Helenens Blick schien zu fragen: Warum ihn nicht mit? Ist er nicht in Gefahr? »Er wird sich doch nicht vor Ochsen fürchten,« lautete die Antwort der Mutter, und darauf trat ein langes Schweigen ein, bis Helene es kurz vor dem Hause unterbrach. »Und wozu das? – Er gefiel Dir nicht; weshalb nun doch, was ihm für eine Einladung gelten mußte?«

»Damit die Komödie zum Schluß kommt. Ihr hattet Euch Beide mit solchem Eifer in den Gegenstand verfangen, daß Ihr nicht merktet, wie es Euch Beide gar nicht mehr interessirte. Das ist meiner Meinung nach, das Schlimmste, was bei einer Unterhaltung Beider geschehen kann, wenn sie nicht mehr aus und ein wissen, und jeder auf's Blaue hinein behauptet, um nur etwas zu behaupten. Oder ist es nicht noch schlimmer, wenn man widerspricht, was man eben vorhin vertheidigt hatte. – Gingen wir darum nach Italien? Dahin, um die alte Kette der Conventionen und Unwahrheiten um ein Glied fortzusetzen!«

Eginhard dachte vielleicht etwas Aehnliches, als er langsam nach Hause ging: »Wie konnte das plumpe Bild sie begeistern! Und dieser ästhetische Eifer, nur um auszudrücken, daß sie wirklich denke und empfinde! Dieser verdammte Kitzel, geistreich sein zu müssen, wenn man natürlich sein kann! Und weshalb absolut grade schön denken wollen, wenn die Natur uns geschenkt hat schön zu sein! – Und schön zu sprechen, setzte er hinzu. Es war Musik, auch in Italien –!«

Er hielt inne, denn er stand wieder an dem Brunnen, um die Najade noch einmal anzusehn. Täuschte er sich jetzt, oder hatte er sich vorhin getäuscht? Er bemerkte vieles, was er früher nicht bemerkt hatte. Die ursprüngliche Haltung des Körpers war edel; so die Beugung des Kopfes, auch das Spiel der Finger. Nur die Kniee waren abgerieben, vielleicht auch dies und das, aber das Ganze – ja das Ganze stammte aus einer bessern Epoche – wenigstens vor der Trajanischen. – Eginhard sann lange darüber nach, wie ihm das so lange konnte unentdeckt geblieben sein.

Frau Susanne hatte übrigens Recht, es war nicht das letzte Mal, daß sie sich in Sorrent sahen. Die Familien fanden sich wieder, ganz zufällig; außerhalb der engen Straßen, und wo weder Najaden noch Ochsen das Gespräch der Spaziergänger unterbrachen. Ueber ihnen der wolkenlose Himmel, unter ihnen das blaue Meer mit seinen violetten Inseln, geriethen die drei, oder wenigstens die zwei, in eine Unterhaltung; es war wie ein harmonischer Fluß, der keinen Anfang und kein Ende hat; wie das Meer selbst, das zu ihren Füßen ringelte. Wenn die Eine geendet, fing der Andere an, und als sie nach Hause kamen, erschraken sie, daß sie ein Paar Stunden gesprochen hatten, und keiner wußte wie es kam, und worüber. »Wenigstens nicht über Politik, Grundsteuer, Lupinendünger und restaurirte Monumente! seufzte die Mutter, als sie sehr ermüdet auf ihr Ruhebett sank. Und das ist, meine ich, das beste, wenn es zu keinem Streit kommt.«

Helene erschrak, und verschluckte ein Wort; sie hatten ja wieder beim Heimkehren zu streiten angefangen? Hatte Helene nicht, als sie am Brunnen standen, geäußert: Recht betrachtet, fände sie die Najade doch nicht mehr so schön als das erste Mal. Eginhard hatte sie aber rasch um Gottes Willen gebeten, es nicht auszusprechen; was man einmal schön gefunden, müsse man wie ein Gottesgeschenk behüten und bewahren, und die Kritik, welche nimmer fehle, um das Mangelhafte und Häßliche uns zu verrathen, solle man doch den Männern allein lassen. Wer selbst schön sei, habe ein Vorrecht der Natur, alles schön zu finden, wie die Sonne alle Körper um sich her hell sieht, weil ihr Licht sie anscheint.

Es sei ein eignes Spiel der Sympathie, bemerkte die Mutter, als die Familien fast jeden Tag beim Spazierengehen sich zusammen fanden. »Nur merkwürdig, daß Ihr jedesmal in einer Dissonanz auseinandergeht.« – Auch neulich war das wieder geschehen.

Italiens Natur, Kunst, Schönheit und Alterthum waren immer die Accorde, und das Concert fand sich dann bald. Was ist natürlicher; nur waren es trübe Accorde, wenn sie die Gegenwart berührten. Helene hatte den Satz hingestellt: »Was so schön und groß gewesen, kann nicht untergehen.« Eginhard hatte dies noch bedingt eingeräumt, aber wenn sie von Italiens Zukunft sprach, zuckte er die Achseln. Das Gespräch, also auch die Anwesenheit unserer Bekannten in Italien, fand statt lange vor der heutigen Bewegung, ja es ward auch zu Papier gebracht ehe die Italienische Frage in's Leben trat, was wir beiläufig erwähnen, damit keine Leserin besorge, wir wollten sie in die politischen Händel der Halbinsel hinterlistig verstricken. »Wenn ein Zauberer dem unglücklichen Volke die Gesundheit wieder schaffen könnte!« seufzte er. – »Sie zweifeln? rief Helene. Ist der Arzt nicht da, wenn die Freiheit ihr zurückkommt, wenn sie die Ketten der Fremdherrschaft zerreißt, die Tyrannei ihrer kleinen eigenen Despoten fortschüttelt, dann –« »Dann würde ihr Zustand erst recht schlimmer werden,« war seine Antwort, mit einem sehr scharfen Accent ausgesprochen und der Disput ward ernst, lang und fast heftig. Er wollte zugeben, daß einmal der Arzt, den sie citiren wolle, erscheine, und vielleicht wirklich helfen wolle, aber das unglückliche Volk könne und wolle nicht die allein nöthigen Arzeneien. Sie hub dagegen: ob es menschlich, christlich sei, an die Wiedergeburt einer Nation, an ihre Sittlichkeit und Menschenwürde zu zweifeln? Wenn ein gesunkenes Volk auf immer verzweifeln müsse, dann wäre ja die Erbschaft großer Ahnen kein Segen mehr, sondern ein Fluch der Nationen! – Er mußte wieder seufzend die Achseln zucken: »Nur das Loos der Generationen und Nationen, das Blühen und Welken der ganzen Menschheitsgeschichte, die, heut über lächelnde Reiche wetternd, Steppen hinterläßt, um dort aus wüstem Boden stolze Städte hervorzurufen und neue Staaten! Vor der ewigen Sonne ist nichts ewig in dieser alten Erde!«

»Die arme Schwärmerin!« hatte er gedacht; sie dachte: »So jung und so grau schon an Hoffnung!« – Eine Sympathie mit einem harmonischen Abschluß war das allerdings nicht, aber die Mutter forderte Eginhard bei der Trennung auf: »doch im Vorübergehen auch einmal in ihrer Wohnung anzusprechen.«

»Aber wie konntest Du?« fuhr nachher Helene auf.

»Weil ein Gespräch, das mit Dissonanzen endet, immer für mich eine sehr peinliche Stimmung hinterläßt. Wenn er aus gewöhnlicher Artigkeit zu uns kommt, wird er hoffentlich, aus dieser selben Artigkeit, den Disput auf einen leidlichen Schluß hinleiten. Das ist für mich, und Dich, für uns alle am besten. Mehr verlangen, heißt aus einem Traumbilde eine Wahrheit citiren wollen.«

Zum ersten Male war eine kleine Unwahrheit zwischen Mutter und Tochter. Jene wünschte den Besuch, aber nicht damit er zu einer Harmonie führe; sie war in der stillen Erwartung, daß das Aussprechen eine wirkliche Dissonanz hervorbringen werde, also in der Erwartung einer homöopathischen Kur. Helene dagegen las der Mutter verborgene Gedanken, und wünschte darum nicht das Zusammenkommen. Es war möglich, daß sie und der interessante Landsmann als entschiedene Feinde auseinander gingen; aber seine Wahrhaftigkeit mußte sie doch achten, und um deshalb wünschte sie nicht, daß sie wie Stahl und Feuerstein aneinander geriethen. Der Gedanke von neulich war wieder aufgeblitzt: »es sei doch besser, wenn sie schleunigst, am besten morgen schon, aus Sorrent fortreisten,« aber ebenso schnell hatte sie ihn widerlegt und unterdrückt.

Am folgenden Tage kam er nicht. Helene athmete auf mit einem »Gott sei Dank!« Zum nächstfolgenden versprach der Abend einen schönen Morgen, und die Mutter brachte die längst besprochene Wasserpartie nach Capri in Vorschlag. Helene stimmte mit einer Art Hastigkeit ein: »da er wahrscheinlich morgen kommen werde, sei man dann der Visite mit Anstand überhoben.« Die Mutter war anderer Meinung: »daß er heut nicht gekommen, verrathe, daß es ihm überhaupt nicht so eilig mit der Sache sei; er schiebe nur den Besuch auf.« – »Gleichviel!« war Helenens Antwort; aber so gleichgültig konnte ihnen der unbekannte Landsmann doch nicht sein, denn immerfort lenkte sich ihr Gespräch auf ihn, als sie am Abende über die morgende Partie verhandelten. Der »unbekannte« sagen wir, denn sie kannten weder seinen eigentlichen Namen, noch sein näheres Vaterland. Eginhard konnte ein Tauf- und ein Familienname sein. Wesen und Sprache nach, hatten beide ausgemacht, daß er ein Norddeutscher sein müsse; die Mutter meinte, nach der Wahl der Ausdrücke deute die Sprache auf Berlin, oder nach dem Dialect vielleicht auf's Hannöversche. – »Warum nicht gar nach Meißen oder Schwaben!« rief Helene. »Er hat gar keinen Dialect.« – »Du hast Recht, er spricht wie Einer der allgemein Gebildeten in den großen Residenzen, welche vor zu großer Bildung alles Eigenthümliche abgeschliffen und alles Eigene verloren haben; er spricht ohne Accent, Färbung, Wärme–« »Nicht Wärme! fuhr sie dazwischen. Mein Gott!« – und sie citirte einige seiner Phrasen, mit einem Ton und einer Empfindung, daß die Nachahmung emphatischer geklungen haben mag als das Original.

Frau Susanna kam dagegen nicht auf; aber es hub bald darauf ein neuer Wortwechsel an, welcher Malerschule er gehören müsse, denn ein Maler war er; das war ausgemacht. Helene meinte: die Art wie er ein Gemälde mit Worten fast in der Luft gliedere und verkörpere, daß der Zuschauer es nicht hört, sondern sieht, verrathe einen nicht unbedeutenden Künstler, und es sei wohl nur seine Bescheidenheit, wenn er so leichthin, wie über seine Versuche, hingehe. – Die Mutter dagegen meinte: »grade deshalb möchte sie glauben, daß es mit seiner Kunst nicht weit her sei; wäre es ja Art unserer ästhetisirenden Künstler, vor der Fülle und dem Scharfsinn von Intentionen zu keiner Conception zu kommen. Hätten Raphael und Correggio so viel Zeit gehabt, immer geistreich zu denken und noch geistreicher zu sprechen, dann hätten sie gewiß nicht Zeit gehabt, so viele wundervolle Bilder zu malen.«

Das hinderte nicht die Einigkeit zwischen Mutter und Tochter, ebenso wenig die Seefahrt. Das Meer ging wie ein Spiegel am andern Morgen. »O, die Santissima!« riefen die Marinari. »Sie hat den Tag für die Excellenzen ausgewählt; der Wind geht wie Lämmerschwänze. O Santissima! bitten wir um ihre besondere Gunst für die Excellenzen!« Da sie, ihre Mütze über der Brust, zur Gebenedeiten für die Spazierfahrer beteten, verstand sich auch ein buon mano von selbst. Man fordert es am zweckmäßigsten im voraus ein, und verweigert es selten der Billigkeit und der Jungfrau Maria wegen. Nur der alte Diener der Damen war unzufrieden. Einmal weil er das Meer überhaupt nicht vertragen konnte, dann, weil er sich schon vorhin mit den Schiffern wegen ihrer Forderungen zanken müssen, und nun mußte er gar ein Trinkgeld im voraus zahlen für einen abscheulichen Aberglauben!

Die Lämmerschweife wurden länger, das Wasser unruhiger. Wer aus Sorrent nach Capri segelt, weiß, daß dies immer geschieht, wenn der Kahn sich dem Ende des Golfes nähert. Das Sorrentiner Vorgebirge schützt die Fahrstraße nicht mehr und die Wellen rauschen lebendiger; nur die frische Thätigkeit der ewigen Meereskraft. Die Schiffer, welche die Spazierfahrten betreiben, beiläufig keine Seehelden, wissen aber auch davon Vortheil zu ziehen. Sie unterhielten sich bald, in ihrer unverständlichen Mundart, aber mit desto lebhafterem Mienenspiel. Der stierte in die Ferne, der ballte die Faust, und ließ einen Fluch über die Lippen. »Tempesta!– Tempesta!« fiel das rein verständliche Italienisch. Ein Sturm legt sich oft, wenn man ihn nicht beachtet; durch ängstliche Fragen wird er oft beschworen. »O, Excellenzen! wenn uns das Unwetter vor der Insel ereilte, Santissima!« Frau Susanna that ihm die Gefälligkeit zu fragen: ob der Sturm sie schon vor Capri erreichen könne? – Sie schienen zu streiten, wurden heftig und heftiger, die Augenäpfel rollten, ihre weißen Zähne blitzten, die Arme vibrirten, die Hände spielten, bis der Eine die ganze Hand dreimal an die Brust schlagend, schwur: »Ja, Excellenzen, sein Fratello, der andre, wolle nicht, aber, und wenn der Iddio seine Blitze über sie schicke, und wenn er und sein Fratello, und die Poverini, seine armen Kinder, ihn niemals wieder sehen sollten, im tiefen Meeresgrunde, unter den Haifischen, er wisse, was ein Contract sei, ein Versprechen, das Versprechen eines Ehrenmannes, und einen Mann von Vico bis Amalfi solle man suchen, der so Wort halte, wie er; aber – für seine Kinder, seine armen Kinder, würden sie nun doch einige Ducaten zusetzen, fünf – drei nur, um Gottes Barmherzigkeit, und ein Paar Bottiglien und viel, viel Maccaroni, damit sie stark und kräftig rudern könnten.

Eine gewöhnliche Prellerei, und das Ziel ein neues Trinkgeld! dachte Helene. »Wir sind Frauen! Wäre ein Mann unter uns!« sagte die Mutter, nach dem alten Diener blickend. Aber die Seekrankheit würgte sichtlich so unter seinem todtenblassen Gesichte, daß er sich selbst nicht mehr, was geschweige seine Herrschaft vertheidigen konnte. Helene hatte nur den Blick nach dem Strande gerichtet. Ob's wirklich der Gedanke war, den Susanna in ihrer Seele zu lesen glaubte: »Jetzt kommt er zu uns, und wir sind nicht da!« – Frau Susanna fragte plötzlich: »Liebes Kind, ob es nicht am besten wäre, wenn wir die Fahrt diesmal unterließen und umkehrten? – Wenn Dir nicht sehr darum zu thun ist,« setzte sie hinzu. Helene versicherte rasch: »Alles, was ihre Mutter beföhle!« und im selben Augenblicke hieß sie den Fischern, nach dem Strande umzuwenden. Sie waren verwundert und gar nicht zufrieden. Der Fratello blickte nach dem Fratello, und Einer betheuerte nach dem andern: der Wind habe sich jetzt wieder geändert, ganz wie man ihn wünschen könnte; wie eine Nußschaale auf das Pusten von den Lippen, würden sie bis nach Capri fliegen; aber Helene wies mit dem Finger nach dem Sorrentiner Ufer, es war ein strenger, fast gebieterischer Blick: »Dahin! Wenn uns nach Capri gefällig ist, ein andermal!«

Die Schiffer wagten keinen Widerstand, aber die Strömung übte einen, der den Damen sehr unangenehm schien; sie mußten weit abwärts von ihrem Hause landen. Auch hier die Uferfelsen, auch hier Felsenstufen, die man mühsam erklimmen mußte, aber der Vorgarten an der Klippe hatte keine Orangen; es sah überhaupt wüster und ärmlicher aus. Um nach der Straße zu gelangen, mußte man über den Hof, auch durch den Hausflur treten, und die Thüren nach dem Innern standen offen. Die freundlichen Besitzer führten selbst die Fremden, und machten sie auf Staffeleien und Bilder an der Wand aufmerksam; denn der deutsche Maler Signor Eginardo wohne bei ihnen. Sie standen schon auf der Schwelle, und als sie auf den Namen, wie vor Scheu, zurückwollten, bat man sie: er sei ja nicht zu Hause, und wenn auch, würde er sich gewiß freuen: »Und vielleicht kaufen auch die Signorinen ihm was ab! Ach, er würde es schon recht billig lassen,« fügte die Hausfrau hinzu, und bemühte sich, die Gegenstände in's rechte Licht zu stellen. Die Damen blieben stille Beobachter; doch war es ein verschiedenes Schweigen. Die Mutter bückte sich wie eine Kennerin, und versuchte hier und da ein approdirendes »hm!« zu äußern, während Helene gleich stumm und starr auf alle sah. Zuweilen wandte sie die Augen von der Leinwand ab, nach der Wand. Sie war leer, oder nur dürftig bekleidet. Der schwarze Sammetrock, der am Nagel hing, war allerdings fadenscheinig; sah aber Helene nie, wie die Toilette in einem Maleratelier aussieht?

Frau Susanna kaufte und bestellte nichts. »Ich habe doch in Deinem Sinne gehandelt!« sagte sie draußen. »Wenn er nichts anderes zurückbringt, fürchte ich, daß er auch in Deutschland nicht viel Käufer finden wird.«

Helene nickte, aber sie blieb stumm; ein Zeichen wenn die Thränen nahe waren. Um endlich zu sprechen, mußte wohl die Mutter anfangen.

»Nun so gar zu schlecht war doch nicht alles. Die Madonna verspricht freilich weder einen Guido Reni, noch einen Carlo Dolce, und das Mädchengesicht, das hinter Lorbeerzweigen vorsieht, sollte Dich wohl darstellen. Ein Portraitmaler ist er nicht, das ist nicht von jedem nöthig, aber aus der Ferne könnte man in der Farbenskizze an einen Salvator Rosa denken.«

»Auch noch über ihn spotten! – Alles war stümperhaft.«

»Ich hatte es nicht anders erwartet, sagte Frau Susanna nach einer Weile. Warum aber deshalb ein Verdammungsurtheil über ihn aussprechen, was das halbe Menschengeschlecht jetzt trifft! Welcher junge Mann in Kunst, Poesie, Politik, begnügt sich denn noch, nur ein Eines, Tüchtiges lernen zu wollen; wer in der heutigen jungen Welt hält sich denn nicht berufen, Alles umfassen zu können und in Tausenderlei ein Meister zu werden Und warum ihn verurtheilen, weil er nicht den Heroismus hatte, sich aus der großen Gilde der geistreichen Pfuscher loszumachen! Uebrigens immer möglich, daß er zuletzt doch noch einen tüchtigen Meister findet. Man hat wenigstens Beispiele, daß mancher noch in spätern Jahren ein recht hübscher Maler ward.«

Helene sah sie mit unaussprechlicher Verwunderung an: »Ist das Dein Ernst?«

Der warme Ton zuckte auch in Frau Susanna: »Es ist wahrhaftiger Ernst, daß er mir leid thut. Mit solcher Bildung und solchen Studien eine Kunst ergriffen zu haben, und ohne zu ahnen, wie man sich vergriffen, und nicht den geringsten Beruf hat! Wenn er nun nach Deutschland zurück ist, und ihm die kalte, klare Wahrheit endlich aufgethan wird! O, wenn ich mir alles, was kommt, vorstelle: diese falschen Freunde, ehrlichen Feinde, den Spott und die Kritik! Wahrhaftig es wäre Mitleid, wirkliche Liebe für ihn, ihn je eher so besser aus seinem Traume zu erwecken.«

Nach einer langen Unterbrechung, erst vor der Schwelle ihres Hauses, sagte Helene: »Vielleicht bedarf er es nicht, vielleicht wird er selbst den Nebel zerreißen, den Spiegel sehen, und doch nicht vor seiner Wahrheit erschrecken.«

Beide waren zufrieden, daß sie ihm auf dem Rückwege nicht begegneten; um so zufriedener, als er während ihrer Abwesenheit wirklich seinen Besuch der Familie abgestattet hatte.

*

Eginhard hatte ein leeres Haus gefunden, auch die Wirthsleute waren fort in der Vigne. Die Thüren standen aber offen, wie um Luft einzulassen; war ja doch das Hausthor geschlossen, und man hatte nicht erwartet, daß Besuche von der See her durch die Felsentreppe herauf kommen würden. »Auch ist wohl hier nicht viel zu stehlen,« dachte er. Krankenbetten und Kissen standen umher, und unter den Orangen trocknete Wäsche; ein Blick in die Häuslichkeit, den er immer gern vermied. Er war schon im Begriff umzukehren, als in dem Balconzimmer nach dem Garten Bilder an der Wand hingen. Die Flügelthüren standen weit offen, um sie zu trocknen. Hier war ja also das Zuschauen erlaubt. Nach fünf Minuten stummen Zuschauens zuckte er die Achseln und stieß einen leichten Seufzer aus. Niemand kam, kein Geräusch in der Nähe; er warf sich auf den Armstuhl, auf welchem die Malerin gesessen hatte: »Also wirklich eine Malerin! – Die Arme!« – Was in dem Zimmer stand, stimmte zu dem Epitheton, aber draußen wehte eine warme, wunderbar schöne Luft; im kleinen Garten, eigentlich ohne Sträucher und Pflanzen, aber Wärme, Würze, Duft, zugleich Blumen und Früchte, glühten und schimmerten im dunkeln Laub der Bäume. Die Aeste schüttelten ihre Orangen ihm um die Schultern, als er auf die mit Lorbeern umwachsene Ballustrade sich über's Meer lehnte. Schien doch ein weicher, süßer Hauch an seine Wangen zu hauchen, wie ein Gruß aus der Nähe. »Die Arme, wiederholte er, einen Zweig zerpflückend, der Lorbeer ist ihr nicht vergönnt, aber – aber wer hat denn überhaupt Recht und Beruf nach Lorbeer«!«

»In die See!« – Wohin? – »So weit Du kannst,« lautete die Antwort an den Fischer. War er doch wie berauscht vom Orangenduft die Felsentreppe herabgetaumelt und in den Kahn gesprungen. Er entsann sich kaum, was er als Visitenkarte aufgeschrieben hatte. »In die See, die See!« Rückwärts der Länge lang, die Hände vor dem Gesicht, lag er, um nichts zu sehen; der Fischer war mit seiner Art bekannt. Er wollte auch nichts hören und hörte auch wirklich nichts als wenn das kleine Segel beim leichten Wehen des Windes die Stange umschlug. Zuweilen hatte er sonst plötzlich die Kleider abgeschleudert und war in's Wasser gesprungen, weit, weit fort, daß er im Mondenschein an eine Nix dachte und Antonio fast erschrak, wenn er endlich schäumend und sprudelnd durch die Wellen zurückkehrte. Heute das nicht; vielleicht schlief er? – Da riß er jetzt die Hände fort, und sah über sich das sternenhelle Firmament. Er erschrak nicht über die späte Stunde, denn die Sonne hatte noch hoch über dem Epomeo gestanden, als sie vom Ufer stießen; er schien mehr wie freudig überrascht, so richtete er sich auf und grüßte die Sterne, als hätten sie ihm eine geheime Sprache eröffnet, und als der Schiffer nach dem Lande winkte, nickte er freundlich.

Zuhaus warf er sich, ohne zu schlafen, auf sein Lager. Wenn er träumte, waren es nicht Phantasien von Abendroth, Lorbeern und Orangen, es war ein klares Rechenexempel seiner nüchternen Gedanken: Er liebte sie, er wollte sie besitzen, auf immer, er wollte sie heirathen. Er hatte sie geliebt, sprach er laut vor sich aus, vom ersten Augenblicke an. Warum? – Thorheit, sich darüber Rechenschaft zu fordern. – Aber er war über die ersten stürmischen Jugendjahre hinaus, er hatte am Altare der Vernunft ein Gelübde abgelegt, nicht mehr aus Wallungen der Empfindung gegen ihre Gesetze zu handeln; und eine Stimme der Pflicht hatte bis jetzt gegen die Stimmung des Herzens gewarnt. Nur gewarnt, nicht streng verboten. Es waren nur Verhältnisse, die der Wille des Mannes brechen kann, und heute Nacht, im Schaukeln der süßen Meeresfahrt, hatte er sie gebrochen. Es war für ihn abgethan.

Was er vorhin vermuthet, war ihm beim gestrigen Besuch zur Gewißheit geworden. Die Familie war nicht begütert. Vielleicht, dafür sprach ihre Bildung, hatten sie bessere Tage gekannt; sie wahrscheinlich als Wittwe eines Beamten oder Officiers. Wenn man in scheinbarem Glanze gelebt hat, fühlt man die Bedürfnisse doppelt, sie werden noch drückender, wenn die Hinterbliebenen krank sind. Die Mutter war es. Die Tochter hatte sich überreden lassen, daß sie Talent besitze, sie wollte es ausbeuten, um der Mutter zu helfen, Malerin werden – zur Existenz! – Schlimme Freunde, die aus Mitleid solche Täuschung ihr versprechen; mit welcher grausamen Enttäuschung mußte sie es büßen. Die Arme hatte keine Anwartschaft, eine Angelika Kaufmann zu werden, »sie hatte ja auch nicht das geringste Talent!« Vielleicht hatten sie die letzten Reste ihres Vermögens zur Reise nach Italien zusammengeworfen. Und wenn sie nun in die Heimath kam, der Kampf mit dem Mangel bei besseren Ansprüchen – dieses herrliche, geistvolle, blühende Wesen, wenn nicht der bittern Armuth, doch dem Almosen der Verwandten Preis gegeben! Nein, der beste Freund, welcher ihr die Augen öffnete, und wozu noch einen Augenblick Farbe und Leinwand vergeuden!

Sie sollte nicht darben, nicht malen, nicht um Almosen die Hand reichen, er wollte ihr bester Freund und Tröster werden. – Er wollte ihr seine Hand reichen, oder – um ihre Hand bitten! Ueber diesen Punkt war noch eine Unklarheit in seinem Rechenexempel. War er denn so sicher? Als er am Spiegel vorüberging, glänzte ihm ein Lächeln um seinen Mund entgegen. Es war eine Sympathie, eine heimlich wirkende Macht, für die es keine untersiegelte Schriften bedarf; sie ist da, und wir wissen es und sind beseeligt. In dem Gefühl wiegte sich Eginhard auf seinem Sessel, dem unaussprechlich schönen Gefühl, ein Retter und Wohlthäter zu sein, zu bitten, wo er schenkte, zu schenken, wo er bat – sie zu sehen, wie sie erschrak, hoch erröthete, zitterte –

Es gab aber auch noch Hindernisse; wo sind Rosen ohne Dornen!

Eginhard war aus einer alten Adelsfamilie seines Vaterlandes. Wie er mit dieser Familie lange in Zwietracht gelebt, wie er letzthin Präliminarien mit ihr angefangen, beschäftigt uns hier nicht. Er war ein unabhängiger Mann gewesen, auch als seine Vermögensumstände seinem Stande und den Ansprüchen desselben nicht gleich kamen. Er war nicht ohne Ehrgeiz; als er aber seine Ueberzeugungen mit den Strömungen der Zeit und der Parteien nicht vereinigen können, war er zurückgetreten, um als freier Mann durch die Welt zu fliegen, sei's als Liebhaber oder Künstler, als Forscher oder als Phantast und Träumer. Aber was er zu suchen gehofft, hatte er nirgend gefunden, eine vollkommnere Welt, nicht einmal bessere Zustände. Der Most der Phantasien und Hoffnungen hatte allmälig ausgegohren; da war er denn auch gegen andere milder geworden und in der Stimmung, mit den Verhältnissen sich zu verständigen. Sein Oheim hatte ihm wieder ehrenvolle Aussichten zum Staatsdienst eröffnet, und diesmal nicht unter der Bedingung, seine Ansichten zu verleugnen. Er war mit Allem zufrieden und forderte von seinem Neffen nur eine standesmäßige Heirath, und wo möglich eine, reiche Partie, um auf der Legationscarriere mit Erfolg zu den höchsten Staatsämtern sich zu bereiten, in welchen die Familie seit Jahrhunderten geglänzt, andere sagten, worauf sie seit Jahrhunderten ein Recht gehabt.

Und alles das sollte im Augenblicke wieder zerstört sein, um ein Liebesmärchen wie hunderttausende, um die hübsche Larve eines simplen Mädchens, aus einer Familie ohne Namen, oder, würde der Oheim sagen, aus einer ästhetischen Bettlerfamilie, diese längst und mühsam gekittete Realität im Nu zerstäubt und verschwunden, um eine Fata Morgana, um einen neuen Traum unter den Orangendüften von Sorrent. Aber es war ja kein Traum, es war eine Wahrheit! So wahr und warm als der Golf jetzt unter seinen Fenstern in tausend und aber tausend Lichtern und Wellen leuchtete und lebte, während die Sonne aufstieg über den Bergketten des Vesuv. Die Myrthensträuche und Pinien rauschten im lauen Morgenwinde, die Möven flatterten, die wenigen Segelkähne schwebten wie Lichtpunkte im weiten stahlblauen Meeresspiegel, und die ewigen Inseln, die Felsenburg Tibers und das kahle Horn des Epomeo rötheten sich im fernen Horizont. Dazu ein neapolitanischer Mai, ein Aroma der Zukunft und aus Gräbern uralter Vergangenheit, und eine Musik, die mit Sternensphären zu schweigen, und mit Syrenentönen zu locken scheint – wer das sieht, hört, fühlt, mit wachenden Sinnen, kann er zweifeln, daß er hier wahrhaftiger lebt, als in der Versöhnung mit alten Verwandten und Tanten, mit künftigen Erbschaften und Titeln, und der Hoffnung als Chargé d'Affaires in einem kleinen deutschen Hofe, und mit der Aussicht, wenn das Glück kommt, in einem noch größeren sich noch mehr zu langweilen!

*

In unsrer Geschichte ist eine Lücke. Wir haben von mehreren Tagen nur zu berichten, daß die Familien sich näher gerückt sind. Beiden schien bald etwas zu fehlen, wenn sie an einem Tage beim Spazierengehen sich nicht begegnet hatten.

Sie fuhren auch in's Meer, und im selben Kahne des bewußten Antonio, und Manchem wird auffällig sein, daß trotzdem Helene und Eginhard nichts von dem sprachen, was sie vorhin in Berührung gebracht hatte, ja daß sie es absichtlich vermieden. So ward jenes Abenteuers über der Scylla und Charybdis auch nicht mit einem Wort Erwähnung gethan. Auch über die Brunnennymphe sprachen sie nicht, und noch weniger über die Wiedergeburt Italiens, ob sie möglich sei oder nicht? Merkwürdiger wird andern dünken, daß sie auch jetzt nicht über Heimath und Verwandte sprachen. Welchen seltsamen Grund sie deshalb anführten, werden wir gleich weiter hören. Aber einige Leser wird noch mehr befremden: wovon die Leute denn überhaupt sprechen konnten, wenn sie alles bei Seite schoben, was sie natürlicherweise interessiren kann? Möglich, daß diese Kunst zu verschweigen, was sie dachten, grade das sympathische Geheimniß beider war; außerdem liegt aber in Italien ein Magnet. Wer Augen und Gefühl hat, sieht auch immer Gegenstände, die ihn anregen, und wenn Einer anfängt, fällt der Andere ihm in's Wort, wie in einem Zauberconcert, wo keiner die Instrumente vorher zu stimmen braucht; sie fallen und tönen und wirken in einander wie – wie sage ich's? – Wie die Strahlen und Tropfen in einem Wasserfall? Wie die Fäden in einem Weberschiff? Wie die Sonnenlichter, die durch einen Buchenwald in einander funkeln und stäuben, es hat kein Ende und keinen Anfang.

Daher können die Ernstesten heiter werden, ja die Schwermüthigsten sogar ausgelassen. Ich weiß Einen, der in der Campagna unter den Gräbern und Kaiserpallästen Rad schlug, blos aus Freude, daß er so ein Stückchen der alten Roma unter seinen Füßen fühlte. Was mehr sollten die Beiden nicht froh sein, wenn das Meer unter ihnen schaukelte zwischen Bajä und dem Cap Misenum, wo die Flotten rüsteten zur Weltschlacht von Actium, und die kostbaren Turbotte schwammen, für die mancher Senator und Kaiser Perlen und Goldstücke zahlten! Einen solchen Fisch, nicht so theuer wie ein Kaiser, aber theurer immer, als er werth war, hatte Eginhard auf einer Gondelfahrt kaufen müssen, weil Helene mitleidig auf den Fisch oder auf den Fischer geblickt hatte, welcher ihn der Gesellschaft über Bord geboten, und mit der Rabbia der Begeisterung, daß sie in der Welt kein schöneres Exemplar sehen, und so wohlfeilen Kaufes erhalten könnten. Die schöne Steinbutte zappelte nun in Eginhard's Hand, und ihre Silberflossen glänzten in der Abendsonne, aber man hatte kein Netz im Kahn, und Eginhard schien unerfahren in der Behandlung solches Seeungeheuers. – Was am besten sei damit anzufangen? – »In's Meer! rief Helene. Was besseres, als ihm die Freiheit schenken.« – »Wenn unsre Gebieterin befiehlt!« und er hielt es schon über Bord, als die Mutter Einsprach that: »Wenn Du in Deinem Muthwillen Don Eginardo zu einem Verschwender erklären willst, bitte ihn lieber, die zehn Carlin baar in's Meer zu werfen; denn der Fisch ist schon so todesmatt, daß er die Freiheit nicht mehr zu würdigen weiß; er ist nur noch zur Pfanne zu gebrauchen.« – Helene hatte sich der Steinbutte und ihres Trägers erbarmt, indem sie den Fisch ihm abgenommen, und ihm in den Rippen des Kahnes einen dürftigen Platz verschafft hatte. Alsdann war man unter Vermittelung der Mutter einig geworden, daß die Steinbutte heut Abend gebraten und verzehrt werden solle.

Damit war ein Schritt weiter gethan; wenn sie die Steinbutte essen, und zusammen essen wollten, mußte es an einem Orte geschehen, wo man sie zurichten konnte, auf einem Heerde, und an einem Tische, an dem, und Stühle, auf denen sie sitzen konnten. Wo? – Das war ganz natürlich in Susanna's Hause. Es war das nächste, und der Kahn segelte gerade darauf hin. Dann trat Eginhard zum ersten Male in's Haus selbst. Aber wie, in welcher Eigenschaft? – Eingeladen? und von wem? Sie sahen sich an, und fühlten, daß dieser Schritt entweder zu einer Brücke ward, oder – zu einem Risse.

Und wer sollte die Steinbutte zurichten? Die Hauswirthin hatte einmal das schönste Fischgericht halb verbrannt; den Fisch zum Garkoch zu schicken, nach dem Tasso, oder der Rosa Magra war viel zu umständlich, Helene und die Mutter getrauten sich nicht und Eginhard protestirte im voraus.

Darüber schien die arme Steinbutte mit dem Schweife ihre letzten Seufzer zu schlagen, aber ihre Schuppen waren jetzt pures Gold in der Abendsonne. Welcher Dämon stieg in Helenen auf! »Wenn Niemand braten, kann sie doch Jemand malen. Wie malerisch, seht doch! Don Eginardo ist ja wohl ein Schlachten-Maler?«

»Aber an Schlächtereien habe ich niemals Vergnügen gehabt, entgegnete er rasch. Sonst schiene mir auch das Stillleben passender für Dilettantinnen.«

Da zuckten wie zwei Blitze zwei schneidende Worte, die jeder im nächsten Augenblicke gern zurückgezogen hätte; so feuerroth sah jeder den andern werden. Hatte eine sympathische Magie jedem durch die Lüfte neulich die kaum von den Lippen gerungenen Gedanken zugesandt, wußte jeder, wie der andere über ihre Kunst kritisirte? Zum Glück unterbrach jetzt ein ängstlicher Ausruf der Mutter das verfängliche Gespräch. Ihr Schiffer fuhr ungeschickt durch die Steine, welche den kleinen Hafen bildeten, es konnte gefährlich werden, wenigstens scheinen, wenn der Kiel auf einen der unsichtbaren Riffe stieß. Frau Susanna schalt Helenen, nicht aufmerksamer gewesen zu sein, sie wisse ja, daß Antonio zuweilen eine Bottiglia zu viel trinke, und auch Eginhard erhielt die Weisung, daß er besser thue, mit der Stange selbst angreifen, als in die untergehende Sonne sehn. Die Wassergefahr war, wenn eine war, eben so rasch vorüber; und als sie auf festem Boden standen, auch die kleine moralische Wetterwolke, welche electrisch zu wetterleuchten geschienen. Sie stiegen durch die steile, öfters durch hoch gewölbte Grotten sich windende Felsentreppe, und Eginhard führte am Arm die Mutter. Helene blieb oft zurück, dann hörte man durch die tönenden Wölbungen ihre melodische Stimme; sie sang oder declamirte, ob italienisch oder deutsch, die Melodie war: Kennst du das Land? und der Sinn unzweifelhaft [Textstelle fraglich. Re.] Helene war wieder zufrieden.

Und diese Stimmung blieb. Die Steinbutte ward wirklich und appetitlich bereitet; der alte Daniel und die Mutter thaten das beste daran aus ältern Erinnerungen, Helene pflückte die Citronen selbst vom Aste zur Würzung, und zur Ausschmückung des Schlüssels auch Lorbeerblätter: »wem danach gelüstet!« setzte sie wieder schelmisch hinzu. War es Zufall, daß sie in der Eil dabei über die Schwelle tretend eine Staffelei umwarf und das aufgespannte Gemälde riß. Eginhard hatte es liebenswürdig retten wollen, sie aber ihn auch liebenswürdig bei Seite gedrängt: »Lassen Sie das Spielzeug, wir geizen doch beide nicht mehr nach Lorbeern!«

Den Tisch setzten sie im Garten selbst zurecht, mit der Wichtigkeit wie erwachsene Kinder einen Weihnachtsbaum schmücken und anzünden; denn auch Lichter mußten schon brennen. Nur der Mutter schien plötzlich etwas einzufallen: »Nach guter deutscher Sitte müßte eigentlich jeder zuerst erfahren, wie sein Nachbar am Tische heißt.« – Seltsam, wieder dieselbe Sympathie! Beide protestirten in einem Athem dagegen: »Warum das? – Wir leben im Garten der Poesie.« – »Und Helene meint, entgegnete die Mutter, vor einem Worte könne die Sache schnell verschwinden, wie die gewissen Nebelbilder! Ach, wie schwach, liebes Kind, wäre dann Eure Poesie, wenn der Klang eines ehrlichen deutschen Namens solche Wirkungen hervorbrächte.« – Eginhard wollte es nicht gelten lassen: »Ein deutscher Name, klinge er noch so roh, rauh und gemein, dürfe und könne nie die Poesie zerstören, am wenigsten in Italien, wo die Luft den häßlichsten Ton mildere und verschöne. Aber Namen könnten doch Hindernisse hervorbringen, wie zum Exempel, wenn sie beide Montecchi und Capuletti hießen.«

Tochter und Mutter sahen sich an, nach einer Pause nahm Helene das Wort: »Nur nichts von Montagues und Capulets! Wenn auch der größeste und süßeste Dichter ihren Familienstreit in der Poesie verewigt hat, so ist und bleibt es doch ein politischer Familienhader, und wir wollen keinen Hader, und am wenigsten in der Familie. Und was genirt es uns! Die deutschen Capulets würden gewiß nicht Gift schicken, um einen Feind umzubringen, und die deutschen Apotheker, meine ich, sind viel zu reiche und ehrbare Staatsbürger, als daß sie armen, verzweifelten Liebhabern für Geld Arsenik verkauften.«

Die Mutter nickte dazu: wie sie überhaupt nicht glaube, daß Jemand noch in Deutschland aus Liebe einen Selbstmord begehe. Die Werther-Seuche wäre ja längst, durch viele andere ansteckende Krankheiten, und zuletzt durch die Politik völlig curirt. – Helene stimmte bei: aber neckische, launenhafte Wesen gäbe es noch in Deutschland und sonst in der Welt, die man auch nicht bei Namen nennen oder citiren dürfe; sonst verschwänden sie plötzlich: »Zum Exempel wäre ich eine Undine! Hören Sie nicht, wie die Wellen jetzt dicht unter der Höhle sprudeln. Wenn nun ein brummiger Oheim Kühleborn lauschte, warnte und jetzt winkte; weil man mich zwingen will, meinen Namen zu nennen, risse er mich plötzlich in's Meer, und es thäte mir wirklich sehr leid, diese delicate Steinbutte verlassen zu müssen.«

»Fouqué'sche Zauberringe haben ihre Bannkraft verloren, sagte Eginhard; »aber wie, wenn ich über eine geheime Macht zu gebieten hätte! Wir sind im Lande der Rinaldo Rinaldini. Wie wenn ich ein verkappter Räuberhauptmann wäre, der nur auf die Pfeife zu schrillen brauchte, um seine Spießgesellen zu rufen. Es ist daher nicht geheuer, Namen zu rufen; wenn auch nur Töne und Schatten der Wirklichkeit, können sie denn doch das Reich der Geister in Unruhe bringen.«

So schaukelten sie hin und her, und wehten Susannens nicht ernst gewordene Mahnung leise und leicht fort, wie der Abendwind unter den Orangenästen über ihren Köpfen und die beiden Windlichter in die Dunkelheit des Gartens spielten. Ob die Unterhaltung von Julien und Romeo, Undinen und Rinaldo Rinaldini zu andrer Poesie oder andern Wirklichkeiten überspielte, gleichviel, es war ein vollkommenes Concert, und beim Abschied gestanden alle, sie hätten wie große Kinder gespielt.

Als Eginhard nach Hause kam, warf er die Staffelei um, auf der sein letztes Gemälde stand; am andern Morgen fuhr er mit dickem Pinsel über die Mehrzahl seiner andern Bilder. Die Tischler schlossen daraus, er wolle nie mehr malen. Helene aber blieb nach Mitternacht am Balcon nach dem Meere, und folgte den Sternen im Wasser. Zuweilen gerieth es, daß ihre stillen Gedanken sich in Gesang verkörperten. Wenn sie es merkte, erschrak sie; die Mutter hatte einen so leisen Schlaf. Es waren aber alles frohe Gedanken, und wenn eines sie quälte, waren es die Montecchi und Capuletti und der – daß er doch erfahren hatte, daß sie eine Capulet war.

*

Eines Morgens fand Helene ihre Mutter am Balcon; sie blickte sehr ernsthaft nach dem Meere. Es war ein grauer Wiederschein von Wasser und Licht, denn die Purpurwärme, in welche die Maler ihre Pinsel tauchen, glüht nicht dort alle Tage. Auch über den Golf von Neapel weht zuweilen, wie in unserm rauhen Vaterlande, ein matter Schauer der Wehmuth. Frau Susanna war nicht kranker als je, auch war es kein Seelenleiden; ihre Gedanken flogen nur in die Tage der Vergangenheit, und was regt mehr dazu an, als ein graues Meer, nicht stürmisch und nicht spiegelruhig, und den Blick in die Ferne, wo das Firmament und das feuchte Element in einander zu verschwimmen scheinen.

Helene war auch nicht krank. Wie spotteten ihre Pfirsichwangen, ihr mehr als lebhaftes Auge der Krankheit! Wie elastisch war ihr Schritt, als sie halb zu den Füßen der Mutter sank, halb neben ihr saß, und, den Kopf im Schooß, den Arm um sie faßte: »Wie gut, wie unendlich gut Du bist, und wie Du den Seufzer so sanft und mild, ich möchte nur sagen, athmest, daß sie nur wie mütterliche Wünsche um die Lippen spielen.«

»Hat er gesprochen?« frug die Mutter.

»Nein! Wozu auch! Wir verstehen uns so vollkommen und deutlich, daß wir es gar nicht wünschen dürfen. Das ausgesprochene Wort gäbe vielleicht dem Sinne einen andern Ausdruck.«

»Endlich aber muß er sprechen.«

»Muß! – Es wird ihn einen schweren Kampf kosten. Er muß um unsern Stand wissen; gewiß kennt er auch unsern Namen

»Weil er der deutschen Namen erwähnte, die rauh, roh und gemein klingen? Es kann auch zufällig sein.«

»Gleichviel, vor dieser Schranke steht er und zweifelt.«

»Du denkst Dir das zu schwer, Helene,« entgegnete sie lächelnd. »Er verräth nichts von Unsicherheit, scheint vielmehr wohl bewußt, wie viel er werth ist. Wie die Mehrzahl der jungen Männer von heute; und man muß schon zufrieden sein, wenn sie bei Anspruch auf Bildung nicht von unerträglicher Selbstzufriedenheit dampfen. Er scheint wirklich solide Kenntnisse zu besitzen, und scheint nicht prahlerisch, noch will er Alles voraus und besser wissen als andere. Etwas Eitelkeit würde ich ihm schon verzeihen.«

Jetzt lächelte Helene: »Hast Du noch mehr rühmliche Eigenschaften gefunden?«

»Gewiß. Er ist weder roher Phantast, noch blasirt und ironisch, sondern liebenswürdig, sicherlich in der Tournure, ich will aber glauben auch dem Fonds nach. Das schätze ich alles, und daß ich ihn nicht für einen feinen Abenteurer hielt, versteht sich von selbst. Wie hätte ich sonst dem Spiele ruhig zugesehn!«

»Aber?«

»Nun, wenn er wirklich wüßte, was Du ahnest? Wenn er mehr als träumte, sondern im Stillen rechnete; nicht wahr, auch darum würdest Du ihn nicht verdammen? – Du nickst; aber es ist Dir nicht ganz lieb. Du wünschtest ihn plötzlich zu überraschen! Wenn der Vorhang fällt, wenn der Glanz Deines Reichthums, Deiner vornehmen Stellung, mit einem Male dem armen Maler, Herrn Eginhard, wie ein Schatz aus der Erde zufiele, an die er nie zu träumen wagte, müßte er erschrecken! Du hast vielleicht mit der Phantasie gespielt, daß er dann, wenigstens im Augenblick, beschämt über seine eigene bescheidene und dürftige Existenz, zurück zu treten denke. Ach, wo hat meine kluge Helene ihre Augen! Solche Bescheidenheit paßt nicht mehr zu unserer Generation.«

»Gott sei Dank, daß wir ein freieres Menschengeschlecht um uns haben!«

»Menschengeschlecht! rief sie seufzend. Nun ja, diesem räume ich diese Errungenschaft ein, und freue mich, wenn Du Dich an einer solchen Scene für Deinen Freund nicht erfreust. Aber die Situation steht ihm bevor. Siehst Du nicht, welche graue Wolken aufsteigen; wie viel Fragen, Sorgen, Zwist, Neid, Verredung? Es kostete einen ungewöhnlichen Charakter, um aus diesem Labyrinth den glücklichen Ausgang zu finden –«

Helene fiel ein: »Es soll und darf auch nicht das geringste Demüthigende auf den Mann treffen, den ich ehre und achte. Es kommt ja nur auf Einen, auf Einen allein an. Und den Einen, setzte sie rasch hinzu, diesen Einen zu gewinnen, kann nur Eine übernehmen, und diesmal ist es Deine Tochter.«

Frau Susanna ließ den Kopf sinken; dann schüttelte sie ihn: »Du übernimmst viel; Du kannst viel, sehr viel, möglich auch das, aber – aber Alles? – Und wenn Du ihn überstürmt, überlistet hättest – o verzeihe das häßliche Wort! Du brauchtest nur Deinen weißen Arm um seinen Kopf zu schlingen, die süße Melodie zu stimmen hinter seinem linken Ohr, ihn mit den blauen ehrlichen Schelmenaugen, wie er sie nennt, anzusehn, – aber ist damit Alles abgethan? Meinst Du mit dem Freunde unter den Orangen von Sorrent auf immer wandeln und leben zu können, oder Dich in ein Eiland der Poesie verschließen? Würde der Geheime Ober-Amtsrath verstehen, was Du willst, würde er seine Truhen, Geldkisten und Hypotheken öffnen, damit sein Enkel- und Goldkind mit dem fliegenden Holländer nach einer Fata Morgana segle? Ach, liebes Kind, hoffe nicht, daß alle Macht Deiner Poesie diese ledernen zähen Kreise durchbricht. Wie liebenswürdig, bezaubernd Du bist, wie viel Einfluß Du über den allmächtigen Großvater und Autokraten hast. Du bist und bleibst verstrickt im Spinnengewebe, im Netz und Bann Deiner Verwandten. Wo Du fliehen willst, wo Du ein Licht, einen Schlupfwinkel, eine Rettung siehst, die guten Verwandten haben alles belauscht, behorcht, berathen und verrathen, Dich – wie damals Deine Mutter.«

Nun wußte Helene, was die Mutter im grauen Meeresspiegel gesehen hatte. Wenn diese Gestalten aus dem Grunde der Vergangenheit ausstiegen, mußte man sie gewähren lassen!

*

»O, ich sehe wie heut wieder alles wie damals, goldne Tage der Freude, des Entzückens! Wie Dein Vater ein Heros mir erschien! Friede ihm! Was mußte er kämpfen, hierhin und dorthin, bis er müde ward! – Mein Vater, ein vielerfahrener, durchgebildeter Weltmann, war zuerst gewonnen. Die alten Edelleute von damals mußt Du Dir nicht wie die heutigen denken; in den Schulen der Intelligenz und auch der meisten Höfe, hatten sie gelernt, daß man vor den Stürmen, die androhten, sich bei Zeiten nach leidlichem Obdach umthue. Mein seliger Vater, der Reichsgraf, wenigstens kein Fanatiker und starrsinniger Zelot, überrechnete, daß um alte Standesrechte zu bewahren, es auch der alten Mittel bedürfe. Aber meine Mutter und die andre Familie schrieen Zeter und Wehe über die Mesalliance. Als es nicht mehr zu ändern war, betrachteten sie mich für den verdorrten Ast eines stolzen Baumes. Und doch hatten sie nicht den Muth, ihn abzuschneiden; sie wollten immer wenigstens noch etwas retten. Da sollte im Heirathscontract stehen, wie mein Gatte mich behandle, mich in Gesellschaft führe, wie unsre Leute mich nie anders als »Gnädigste Gräfin« anreden sollten. »Auch ich?« fragte Dein Vater und griff schon nach der Feder, als der Graf, mein Vater, den Artikel rasch, durchstrich. Ach Deines Vaters verächtlich stolzer Blick hatte mir wehe gethan, und doch wie ich ihn doppelt lieb hatte! – Aber nun, als wir abfuhren in der eleganten schwellenden Chaise, mit feurigen jungen Rossen, sie flog wie auf einem stolzen Segelschiff über das sanft bewegte Meer, da glaubte ich, von seinem Arm umfaßt, nun ginge ich, erlöst aus Vorurtheil und beschränkten Ansichten, dem Frieden des glücklichen, bürgerlichen Familienthums entgegen, ohne Sorge und ohne Gêne, dem Glück des geliebten Mannes und meinem Bewußtsein leben zu können. Wie rasch es anders ward!

»Dein Großvater sah mich auch gütig an, er nahm mich gnädig in seine Arme, wie ein gnädiger Sultan. Die Sonne thut's auch gegen die Creatur, aber sie fordert nicht, daß die Creatur immer verwundert sie anstaunen und danken soll, daß sie so schön und warm ist.

»Ihr wißt nicht mehr, wie die Verhältnisse damals, und ein welcher Gewaltiger Dein Großvater unter den Leuten und in der Gegend war, wie Verwandtschaft und Nachbarn sich vor ihm in Ehrfurcht und Furcht beugten. Generalpächter der ersten Domaine der Provinz, selbst Besitzer des reichsten Rittergutes, und weit umher als erster Landwirth berühmt, war sein Einfluß außerordentlich. Minister und Prinzen wohnten bei ihren Reisen durch die Provinz nur bei ihm, seine Empfehlungen nach der Hauptstadt waren gültige Wechsel, und wenn er selbst einmal nach der Residenz kam, schien es wirklich als wenn ein fürstlicher Gast incognito eintrat, und man suchte und antichambrirte ihn um seinen Rath oder seine Gönnerschaft. Wenn seine Brust nicht mit den höchsten Ehrenzeichen sich schmückte, wie man erwarten sollte, geschah es wohl nur, weil es damals nicht so Mode war, und wenn er nicht einen Adelstitel erhielt, nur weil sein patricischer Bauernstolz ihn es anzunehmen hinderte. Waren doch schon seit Menschenaltern viele Familien der Provinz, auch alte, mit der seinen verschwägert und verschwistert, daß er kaum mehr etwas zu bedürfen schien, um ihn höher und sicherer zu stellen, als er schon in der Meinung des Publikums und in seiner eigenen stand.

»Er verlangte nur nach dem Weihrauch und – nach einer Kleinigkeit. Er wollte ein Majorat stiften, und es seinem ältesten Sohne hinterlassen. Dieser Lieblingsgedanke hatte ihn leichter gestimmt, in die Heirath seines Lieblings mit einer Braut ohne Geld, aber vom reinsten Vollblut zu willigen.

»So sah er auf mich gnädig; wie aber die Andern! Vor ihnen galt nur Reichthum, Besitz, Familienverwandtschaft. Ich war eine Fremde, Eingedrungene, Eine, die durch List, oder welche Künste, in eine ehrbare Familie sich geschlichen, um sie zu berauben. Du kennst sie, oder nein Du kennst sie nicht; die Luftsäure, was sie Cultur nennen, hat doch manches Aetzende seitdem abgefeilt. Aber diese Physiognomien, welche mich zuerst angafften! Die Männer laß ich noch bei Seite, aber diese Tanten, Cousinen, Schwestern, an Ueberfülle von Gesundheit und Kraft strotzend, und einen Putz umgehängt, der mir vorkam, als ob aus allen Modegeschäften der theuerste und geschmackloseste zusammengerafft wäre! Dieses erste Diner, das Familienessen! Der Tisch brach, darauf war ich vorbereitet; aber ich hörte noch Tage lang die musikalischen Operationen des guten Appetits, und dazu die freundliche Ermahnung: »Sie essen nicht.« – »Freilich, Sie sind an Besseres und Feineres gewöhnt!« Und die andern Schmeicheleien, honigsüße Banalphrasen, die mir in's Gesicht geworfen wurden, deren eigentliche Meinung zu verbergen sie aber kaum für nöthig hielten. Ich, unglücklicher Weise, war so nervös erregt, daß ich alles sah und hörte: wie meine Gestalt, Haltung, Bewegung kritisirt ward, meine Tournure, Toilette, Schönheit: »wenn er absolut eine pauvre Gräfin in die Familie bringen wollen, hätte er sie ja nicht so weit zu holen gebraucht.« In der ersten Nacht schwirrte es mir, als wäre ich in eine andere Menschenrace, eine Horde von Canibalen gerathen. Ich vergaß, daß sie unter einer Sonne lebten, die ihnen allen Glanz und Licht war. Er hatte ja dem Lieblingssohn schon fast alles versprochen oder geschenkt, und auch das sollte eine Fremde an sich reißen! Wie manche Mutter, mancher Bruder, hatte für ihre Tochter, für seine Schwester gehofft. Ich vergaß auch, daß ich in eine neue Welt spießbürgerlicher Gewohnheit gerissen war, unter Menschen, die nie über den kleinstädtischen Kreis sich gehoben und neben der einen Sonne keine andern Gestirne gesehen hatten. Aus einer Scylla fühlte ich mich in eine Charybdis gestrandet. Dort war ich in einer Gesellschaftssphäre gewesen, welche doch freier, edler, menschlicher gelebt und nur aus Vorurtheil sich selbst Schranken aufgebaut hatte; der gefangene Gedanke konnte noch mit dem Kerkermeister streiten und unterhandeln, hier verstand man ihn nicht, es gab auch keine Sprache der Vereinigung. Schon im ersten Augenblicke war ausgesprochen, daß wir geschieden waren, und in den Wochen und Monaten ward alles so unheimlich, peinlich, was mich umgab, ja verächtlich, daß mir auf Augenblicke – ich bekenne meine Sünde – Dein Vater wie ein verkappter Feind erschien, der mich mit Hinterlist in sein feindliches Lager geraubt hatte, und ich träumte mich wie in dem Theaterstück die gefesselte Phantasie, welche immer flattert nach reinerer Luft, aber immer zurückfällt auf die dumpfe Erde.«

Sie hatte in den bittersten Erinnerungen geschwelgt. Als sie aber Helenens Augen feucht sah, strich sie über ihre Stirn: »Es ist mir zuweilen Erholung; heute schien es mir Pflicht. Es ward seitdem manches besser. Damals aber suchte ich Rettung, indem ich mich verschloß, nur mir selbst leben wollte. Das ist eine Irrung; Deinem Vater that ich zum zweiten Male weh und unrecht. Den Spalt, über den er Brücken zu bauen suchte, machte ich ja dadurch größer. Als ich meinen Irrthum einsah, meinen Widerwillen überwinden, die besseren Seiten der Familienglieder zu würdigen suchte, war es zu spät. Wenn ich nicht mehr stolz war, hieß ich doch präciös. Ich hätte meine Noten fortwerfen müssen, so viel als gar nichts lesen, und nur Musik machen, nun ja, was vom Leiermann gedreht wird. Das war nicht möglich, aber ich folgte und stürzte mich, wo's möglich, in das, was sie Vergnügen nannten. Es gelang auch eine Weile zum Betäuben, bis ich vor der entsetzlichen Leerheit in mir erschrak. Da rettete mich Dein Vater; er hatte alles still mit mir gefühlt, er sah, daß ich unterging, und forderte selbst jetzt, daß ich in meine Burg mich zurückziehe, zu meinen alten Liebhabereien, zu meiner Kunst, meinen Büchern, meinen alten Musikstücken; denn er fordre mich selbst mir wieder, sagte er, in meiner alten Liebenswürdigkeit, meiner Grazie und meinem Stolz. – Komme denn, was daraus wolle! – Da starb mein Vater, der Reichsgraf. – Der letzte Glanz meiner Familie hatte seine letzten Anstrengungen gekostet; beim Liquidationsprozeß erfuhr man, daß alles hingegeben war für einen Schein. Die Familie ist nun ausgestorben, nichts hinterlassend als ihre stolzen Grabsteine, und die einzige gute Speculation ihres letzten Sprossen – das mußte ich auch hören – war die: »sein Kind zu rechter Zeit, nämlich vor dem Bankrott, dem reichsten Domainenpächter an den Mann gebracht zu haben.« – Und meine Trauerkleider waren noch neu, als auch er mich verließ – Dein Vater! Und nun war ich allein in dieser Familie! – Wie ich da war, was ich da fühlte, auf welchem Grabeshügel mich werfen sollte, um Rath und Trost von den Schatten, welche Stimmen von Jenseits zu erbitten – wer weiß das alles! Es war ein wüster Traum! – Da erbarmte Gott sich meiner und sandte mir Dich. Auch Du, mein theures Kind, solltest mir nicht zum Trost sein. – Daß ich es sagen muß! ein neuer Unglücksstern schien am Tage Deiner Geburt zu leuchten. Wärst Du ein Sohn gewesen, der künftige Majoratsherr, ja dann war mir Alles verziehen, auch daß ich geboren bin. Es war nun anders, ein Tag der Enttäuschung und der Schadenfreude. Ach mußte Deine Mutter von ihrem Krankenbette aus der Ferne die stillen Freudenschüsse im Feindeslager hören! Der Alte war überwunden, hieß es, sein Stolz, seine Hoffnung gebrochen, und – jetzt konnten Andere hoffen!

»Aber es ward anders, fuhr Frau Susanna nach einer Pause fort. Dein Großvater hat nur eine stille Thräne seiner enttäuschten Hoffnung geopfert. Es hatte seinen felsenfesten Sinn erschüttert. Er donnerte nicht, er verwünschte auch nicht; ein Paar Tage sprach er mit Niemand, dann ließ er mir melden: ich solle ruhig sein, und in Gottes Willen mich fügen; er werde auch für mich sorgen wie ein Vater, und meine Tochter solle sein eignes Kind sein. – Ward er's? – Wie es mit jedem Tage, mit jedem Jahre anders, schöner, vollkommener ward. Heißt Du nur ihr Goldkind, oder bist Du es nicht? Als kleines Mädchen brauchtest Du nur mit Deinen blauen Augen, Deinen goldenen Locken ihm auf den Schooß gesetzt zu werden, so war sein grämliches Gesicht verschwunden, und einige Augenblicke darauf lächelte der Greis, welcher auch als Jüngling, wie ich glaube, nie gelacht hatte, aus pflichtigem Respect vor seiner eignen Würde. Sie wollten Dich mißbrauchen, die Andern. Gleichviel, ich wenigstens habe es nie gethan. Ich war damit zufrieden, daß sie Dich nicht mehr hassen und beneiden konnten. Sie erkannten Dich als ein Wesen höherer Art; Du wardst eine Fee, welche den Regenbogen des Friedens zwischen den Verwandten spannte. Was Du Alles gezaubert hast! Wäre ich denn noch am Leben ohne Dich, wenn nicht Du mich getröstet, gepflegt hättest, wenn nicht Deine Hoffnung wie ein Stern aus dem grauen Meere vor mir aufgestiegen wäre. Und er ward täglich heller, freundlicher, glänzender – ich gewann die Ruhe wieder.«

»Und jetzt klagst Du an, ich will sie wieder stören, fiel Helene ein. Nein, Du klagst nicht, es ist nur ein stiller Vorwurf. Ja, wenn das wäre –«

»Wäre ich ungerecht, unterbrach sie mit bestimmtem Tone. Ich denke nicht an mich; ich bin, wenn Du das Wort Sterbende nicht hören willst, eine Pflanze, die nur noch an der milden Herbstsonne sich wärmt und athmet; im Winter ist sie starr und hin. Ich denke nur an Dich, an Deine Zukunft. Ach, mein liebes, liebstes Kind, wenn ich voraussähe dasselbe Loos, was mich getroffen, wenn auch Du dieselbe bangenvolle, jammervolle Zukunft zu erwarten hättest, die meiner Mutter das Herz zerriß, wenn auch Du solltest – Ich will Dich und mich nicht martern; aber das erwäge, ich folgte rasch, ohne viele Prüfung, den ersten vollen, glühenden Gefühlen. Du liebe Helene hast schon weit mehr gesehen, gelernt; mit welcher Umsicht hast Du schon die Welt beobachtet, wie vernünftig scheinbar glänzende Anträge zurück gewiesen, und nun solltest Du doch dem Impuls des Augenblicks Dich hingeben, und im Augenblicke aufgeben, was Du jahrelang besonnen, als Schatz gespart hattest!«

Das war nicht der Ton, um ihr Herz zu bewegen. Die Blume, die im Herbste welkt, um im Winter starr und kalt zu sein, hätte sie wehmüthig gestimmt, aber die Vernunftgründe gegen eine Mesalliance erweckten nur den Widerstand in Geist und Herz. Es war sogar ein harter Ton in ihrer Vertheidigung: ob sie denn je vormals, wenn Heirathsanträge kamen, an das Standesmäßige gedacht habe? So wenig als ob die Freier reich oder arm gewesen. Wenn diese Umstände damals, als sie mit völliger Unbefangenheit, Vernunft, oder wenn man will, ohne Leidenschaft, entschied und ablehnte, sie nicht berührt hatten, wie sollten sie jetzt, wo Neigung und Gefühl ihr Recht forderten, sich geltend machen? Wer verlange denn, daß sie einen reichen und vornehmen Gatten nehme? Ihre Mutter doch gewiß nicht. Die Verwandten? Seit wann sie auf die Wünsche der Familie Rücksichten genommen! Habe sie denn nicht ihre Freiheit bis jetzt vollkommen gegen dieselbe bewahrt? Oder hätte sie ihren Muth verloren? Im Gegentheil, sie fühle sich jetzt muthiger, fast muthwilliger, ihr freies Recht auszuüben gegen jeden, der es anfechte.

»Und Dein Großvater?«

»Er wünschte, daß ich zu einer Heirath mich entschlösse, durch welche der Traum seiner Jugendjahre erfüllt werde, setzte Helene in sanfterem Tone fort. Und ich störe diese Träume, wenn ich meine Hand einem armen, unbekannten Maler reiche. Freilich, der würde zu einem Majoratsherrn sich nicht recht schicken. Ist's aber das erste Mal, habe ich nicht schon mehrmals sein Traumbild gestört? Wie oft fürchtetet Ihr sein Gewitter, daß der Schlag mich treffen müsse; und die Blitze wurden immer ein sanftes Wetterleuchten, und der Himmel ward klarer als vorher. Der gute Großvater, sagte er nicht einmal: »Helene hat am Ende recht; der paßte für sie nicht!« Ein andermal: »Meine Helene hatte kein Herz für ihn, und es ist ein gutes Herz; da muß man es respectiren.« Und schlug er nicht das letzte Mal mit Lächeln mir in's Gesicht: »Das Schelmengesicht will etwas Apartes haben; muß man ihr wohl lassen was sie will, und sie wird schon den rechten finden.« – Der Großvater hat mein Recht erkannt, was kümmern mich die Andern! Wenn's auch gewittert, Mutter, der Himmel wird wieder blau. Glaubt es mir; mein kleiner Finger sagt es.«

Der kleine Finger mußte ein Magnet sein. Als sie den Arm hob, riß und senkte sich die graue Wolkenschicht über Bajä, es ward ein blauer Streif, der links weiter, weiter ward, über den Cap Misenum, Procida, immer heller: »Siehst Du!« sprach Helene, die mit dem kleinen Finger dem sonnigen Streifen folgte: »'s ist schon blauer Himmel über Capri.«

Eginhard war, als der Finger dahin zeigte, aus der Balconthür getreten. »Die Sonne auf Capri, und die See wie ein Spiegel,« sagte er sie begrüßend. Man hatte die Partie dahin seit Tagen besprochen. Antonio stand schon unten. Helene sagte nichts, sie hielt nur der Mutter die Hand, und Frau Susanne fühlte nur, wie lebhaft der Puls schlug.

*

Es war ein Tag, wie man ihn nur wünschen kann. Der Golf war ein Spiegel, und doch blähte der Wind den Segel. Weiße Vögel rauschten über ihnen, wie glückliche Boten und Genien voran der Insel zu, während die Delphine vor lauter Muthwillen Rad in den Wellen schlugen.

Es ist ein langer Weg zwischen Sorrent und Capri. Die Beiden rechneten nicht, sie wußten nichts von der Zeit. Antonio schwieg lächelnd und zufrieden, denn er war von Eginhard vorher mit Geld gewonnen, diesmal keinen Sturm und kein Unwetter zu beschwören. Frau Susanna blieb auch still, aufmerksam und nachdenkend, den Blick in die Wellen, wie die Kartenschlägerin in ihre Karten.

Doch blieb uns Einiges von dem, was der Wind verweht hat. Wie konnte er »das Spiel der Delphine dem Koboldschießen der Bajazzo vergleichen!« – »Arions geheiligte Trabanten! hatte sie gerufen. Auch die stumm gebornen Wesen athmen Bewunderung für seine Leier. Auch die Natur feiert die ewigen Mächte der Poesie.« – »Ja, die ewigen, hatte er geantwortet; wenn unsere aber nur Leiermänner geworden wären!« – »Ist er auch ein verdorbener Dichter!« hatte sie, aber glücklicher Weise nur gedacht; er indeß mochte den Sinn verstanden haben. Er war nicht verletzt. »Geist und Natur, sagte er, Dichtung und Natur, Phantasie, Offenbarung und Natur, das sind die großen Pole und Gegensätze, welche jetzt die Frage unsres Daseins beschäftigen. Im Grunde sind wir die besten Dichter, wenn wir nur eine leidliche Brücke zwischen beiden kleben. Wir nennen's Harmonie, wenn wir die tiefen Abgründe, vor uns und andern, verbergen, und bunte Blumen und schöne Phrasen um die disharmonischen Risse schmücken!« – »Das ist mir viel zu gelehrt,« hatte sie rasch gesprochen, und eben so rasch den Shawl um die Schulter wendend, auf's Meer gesehen.

Aber auch sie war nicht verletzt; sie scherzten wieder. Ein großer, fremder Vogel hatte sich auf die Segelstange gesetzt. Sie stritten, was es sei, und als er wieder aufflatterte, und seine Kreise schwenkte, ob es bedeute, daß sie heute in die blaue Grotte einfahren würden oder nicht? »Er segelt rechts,« sagte er. »Nein, links!« sagte sie. Der Wettstreit wurde ernst, es war beiden ja so ernster Wunsch, die grotta azurrea vor Sonnenuntergang zu besuchen. Eginhard lächelte: »Opfern Sie etwas, was Ihnen lieb ist; in die Wellen oder in die Lüfte einen Wunsch! Die Mächte hören gern auf fromme Vota aus den Lippen so schöner Bittenden.« Da war der Vogel, ein dunkler Punkt, in der hohen Luft verschwunden. »Die Fata Morgana wieder fort, seufzte sie. Das ist Ihre Schuld; was störten Sie durch eine fade Schmeichelei die heilige Morgenstunde?« – Er blickte, die Arme über der Brust kreuzend, stier in den Horizont, bis er sein Wort einsetzte: sie würden heut noch in die Grotte fahren! Er versicherte, nur vermöge seines scharfen Auges sei er durch die scharfe Luft dem Vogel gefolgt; aber Helene meinte, er hätte wie ein Magier ausgesehen, daß sie sich fürchten möchte. – »Geben Sie nichts auf Ahnungen?« sagte er. – »Ich bin nicht abergläubisch!« – Das that ihm leid. Sie verlangte eine Antwort: warum es ihm leid thue? »Wo der Nebel durch die Waldschluchten rieselt, unsere alten Schlösser feuchte Schatten werfen, und schauerliche Traditionen durch die Ammenstube spuken, umflüstern zuweilen auch mich die Unheimlichen, aber hier, wo krystallenes Licht vom Horizont bis in die Tiefe des Meeres dringt, ist's mir Versündigung.«– Eginhard entgegnete: »Wollen Sie dem Trost entsagen, wenn die brennend heiße Mittagssonne Sträucher und Pflanzen, Felder und Fluren versengt hat, und die Dämmerung und ihre geheimnißvollen Wesen uns erquicken und die Creatur wieder aufathmen lassen! Fühlten Sie denn nie in der Campagna, wenn das Auge schon übersättigt ward vom gelben Reflex, wenn die Lunge erhitzt war vom goldenen Staube, schlürften Sie dann nie am Abend das Clairobscure, welches die violetten Albanergebirge färbte? Und wo ist denn ein Licht in aller Welt, in der bürgerlichen Gesellschaft, in den Wissenschaften, in der Geschichte oder in der Kunst, was uns so vollkommen befriedigt, daß wir nicht endlich die Unbefriedigung, den Ueberdruß empfinden, und irgend nach einem dunkeln Winkel uns sehnen, wo es nicht klar ist, Zweifel, Ahnungen uns belauschen, wie ein Traumbild uns zum balsamischen Trost nach allzu großer Anstrengung?«

Sie wollte es nicht statuiren; ein gesund werdender müsse immer nach Klarheit verlangen, und ein wirklich gesunder sie zu jeder Zeit ertragen; wer nach dem Helldunkel schmachte, werde, wenn er recht zusteht, einen kranken Flecken in sich selbst fühlen. – »Wie in uns allen, sagte er. Im Menschengeschlecht und in der Natur.« – So sei es jedes Aufgabe, entgegnete sie, das bessern und curiren! – »Ach an der Cur laboriren wir seit die Menschheit erschaffen ist, und die Krankheit ist heut dieselbe, seit wir aus dem Paradiese verstoßen wurden; nur die Namen wechselten, die Doctoren und die Arzeneien.«

»Gott sei Dank, daß wir ohne Riß und Klippe losgekommen sind!« sagte die Mutter, als der Kahn mit einiger Heftigkeit auf den Ufersand stieß. Wenn es nicht geschehen, würden sie wohl bis ins Paradies gestiegen sein; auf dem Strande aber stieg die Hälfte der Marina, wie um die Ankömmlinge zu geschehen pflegt, um Hülfe, Dienste und Geschenke darzubieten. Die Damen mußten von den schenkel- und arm-entblößten, rothkäppigen Burschen, die jeder aus der Stummen von Portici kennt, mit drei kräftigen Griffen, erstens aus dem Kahne herausgerissen, dann über das Wasser getragen, und endlich in den feuchten Sand gestellt werden; ländlich, sittlich, und es fällt Niemanden auf. Und warum schrak doch Helene, ja wies ihn fast rügend zurück, als Eginhard, der doch nicht mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln und Hosen, sondern sogar behandschuht, zum selben Cavalierdienst sich darbot? – Und warum, setzen wir hinzu, bat sie ihn gleich nachher freiwillig um seinen Arm, als sie nach dem Wirthshaus auf dem Berge stiegen? Weil sie wieder gut machen wollte. Aber was hatte sie verbrochen, und warum wollte sie es wieder gut machen?

Aber sie haderten nicht mehr über Aberglaube und Aufklärung, noch über das Paradies, denn ein Stückchen des letzteren trat ihnen ja auf dem Wege selbst entgegen. Wie viele frische, hübsche Fischermädchen mit Blumen, Muscheln, Perlen, die sie zum Kauf anboten; dort tanzten andere die Tarentella, zu eigener Lust oder um schelmisch den Fremden die flache Hand entgegen zu halten. Helene war entzückt über die Schönheit des einen Mädchens, daß sie ihm einen Kuß gab; sie forderte Eginhard auf, ihr ein schweres Geldstück, das in seiner Börse noch schimmerte, zu schenken. Er hatte, anfänglich aus eigenem Antriebe, dann auf Helenens Bitte, fast seine ganze Summe an kleinem Gelde ausgetheilt, und die Börse eben im Einstecken, ohne sie wieder herauszunehmen sagte er: »Die ist viel zu schön für Geld.« Das Mädchen lachte und lief fort, Helene war unzufrieden, wenigstens einen Moment, dann schmollte sie: wie es möglich, daß er in das wunderschöne Mädchen nicht verliebt sei. »Und abergläubisch ist sie gewiß.«

Zum Glück stürzte grade jetzt der Wirth der Victoria herbei, um den Excellenzen zu gratuliren, daß sie nicht zu gelegener Stunde kommen können, um das excellenteste Pranzo, was je nur ein Mylordo gefunden, zu genießen. Alle, von der Seefahrt sehr hungrig, tauschten mit großem Vergnügen die reelle Tafelfreude mit dem luftigen Wortgefecht, und dieses Mal, was selten, schien das Programm des Wirthes eine Wahrheit.

Aber nach der blauen Grotte wollten sie auch jetzt nicht. Der Wind war contrair. Die Felsentreppe nach Anacapri hat auch unvergleichliche Aussichten, und man war zufrieden, weil man zufrieden sein mußte. Nur Eginhard nicht, denn er glaubte, der Wind werde bis Mittag umgehen; aber er behielt es für sich. Die Mutter ritt auf einem Maulthier, Helene wollte nur Freiheit athmen; sie sprang mehr als sie ging. Immer weiter, immer weiter! man werde immer schönere Aussichten finden! Eginhard warnte: der Weg sei weit, und sie werde vor Zeit müde werden. Sie war nicht in der Laune sich commandiren zu lassen. »Doch nicht, antwortete sie, wenn man einen so lebhaften Gesellschafter hat?« Ihr Gesellschafter war aber diesmal nicht Eginhard, sondern ein alter Schweizer mit Bardolfsnase, ein Corporal der Neapolitanischen Garnison, welcher aus vaterländischer Begeisterung sich den deutschen Familien als Führer angedrängt hatte. Weil er, was er betheuerte, in den Deutschen nicht Fremde sähe, sondern seine lieben, theuern Landsleute, und weil es ihm die Kehle drücke, wie die hiesigen Ciceroni betrügen und unrichtig führten, und unter seiner Brust schlage ein deutsches Herz! Eginhard meinte, unter seiner Brust schlage nur sein deutscher Durst, und in seiner Kehle drücke ihn nur der Wunsch nach einigen Flaschen Weins, welche die ehrenwerthe Gesellschaft gewiß in Anacapri auftischen werde. Helene schien, seiner Meinung nach, dem miles gloriosus viel zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, und er widmete seine deshalb allein der Mutter, indem er bei schwierigen Stellen selbst ihr Maulthier führte. Sonst blieb er still; Susanna sah einen Zug in seinem Gesicht, der ihr noch unbekannt war, als er plötzlich inne hielt: »Wohin sehen Sie?« – Sein Commando »Halt!« schütterte durch die Karavane; denn eine solche wird hier jede Spazierfahrt durch den Troß aller Neugierigen. Dem ersten folgte sogleich ein zweites Commando: »Rückwärts!« Eginhard hätte wohl höflicher und früher schon sagen können, warum er Stillstehn und Rückkehr befahl: daß er dem Winde und dem Meere längst aufmerksam gefolgt, und jetzt gewiß der günstige Augenblick wäre, den schon bestellten Kahn nach der Grotte zu besteigen. Helene, der Schweizer, Alle sahen sich an, und als die erstere geäußert: »Das wäre ja verdrießlich!« denn sie hatte sich auf die Aussicht von der nächsten Kuppe gefreut, erhob der Corporal seine Stimme: »Das Meer sei lange noch nicht ruhig genug, um die Einfahrt in die Grotte zu wagen, und Mancher glaube zu wissen, er aber müsse wissen, denn« – als Eginhard im selben Momente das Maulthier umgedreht hatte, vielleicht mit Frau Susannens stiller Zustimmung: »Nun keinen Augenblick mehr gezaudert!«

Das Wort: »Impertinent!« wollte eben Helenen entschlüpfen; zum Glück blieb es noch in den Lippen zurück, denn was hätte es hier geholfen! Troß, Maulthiere und Esel, den Schweizer mitgenommen, hatten schon kehrt gemacht, als parirten sie militairisch Ordre dem gebieterischen Feldherrn. Und so kam man noch zur rechten Zeit am Strande, wo das Boot bereit lag; nur der Corporal declamirte, in der Hoffnung, daß man ihn zur Wasserfahrt einlade: »Wie gefährlich der Eintritt in die Grotte zu jeder Zeit sei, wie man zu laviren habe, um im rechten Augenblicke durchzurutschen, die tückischen Tölpel von Neapolitanern aber überhaupt die Ruder nicht zu behandeln wüßten. Das verständen nur die Söhne Tells, denn der große Wilhelm Teil, wie den Herrschaften bekannt sein werde, habe im Vierwaldstädtersee« – Es ging noch weiter; der Schweizer hatte von Schiller, und sogar von Kotzebue gesprochen, als Eginhard im rechten Augenblick, nämlich als die Mutter selbst in den Kahn gestiegen und er der Tochter den Arm geboten, dem Corporal zwei volle Geldstücke so klingend hingeworfen hatte, daß es ein Zufall war, oder eine besondere Uebung des Empfängers verrieth, als sie nicht auf die Erde, sondern in seine Hand fielen: »Zum Durst vorher und nachher!« Auf das: »Erlauben Sie?« hatte Helene erlaubt, es war ja nur ein Schritt zum Kahn und nur weil der Ruderer einige Schwierigkeit fand, den Kiel vom Sande loszustoßen, hatte Eginhard dem freien Schweizer, etwas nachzustoßen zugerufen. Er hatte prompt gehorcht, so prompt, als Helenens Hand in Eginhards Arm geruht hatte.

Das Schweigen dauerte fort, und der Kahn schaukelte auf den Wellen, als Helene plötzlich, auflachte, laut, als wäre es ein Krampf. – »Was ist Dir, Helene?«

»Ich weiß es nicht – ich weiß es wirklich nicht.« Nach einer Weile sagte sie: »Weil Alles so ist, wie es ist; daß mich nicht plötzlich eine Migraine überfiel, und die Partie nicht durch mich gestört ward. Wundert Ihr Euch nicht darüber? Oder findet unser gebietender Reisemarschall und Gouverneur es ganz natürlich, daß zwei Opferlämmer sich an seinen Arm fassen und über Bord führen ließen, ohne Frage und ohne Bitte – auf Ordre! Oder sind Evas Töchter von aller Empfindlichkeit frei!«

Eginhard bekannte sich als schuldig, aber mit der Vertheidigung, daß er nicht anders könne, als er gehandelt. »Ich hatte mein Wort verpfändet, die verehrte Gesellschaft heute noch an unser Ziel zu führen, und die Sonne wendet nicht, wenn sie über ihren Höhepunkt gleitet, auch nicht auf die Bitten der frömmsten oder der huldreichsten Bitterinnen. Also –«

»Mußten Sie uns tyrannisiren, kraft des Stärkeren. Aber das würde ich Ihnen gelten lassen, denn warum sind wir einmal von der Natur zu den Schwächeren bestimmt! Aber so auf den Unschuldigen, auf den einzigen Paladin und Ritter, der sich unsrer Freiheit erbarmen wollte, den armen Schweizer, Ihren Wermuth auszugießen!«

»Unschuldiger Schweizer! Paladin und Ritter der Freiheit, der für einen und einen halben Karlin täglich dem Könige von Neapel zum Büttel und Scharfrichter sich verdungen hat, und jeden seiner Unterthanen fängt, schließt und schießt, wer Seiner Sicilianischen Majestät mißliebig ist?«

»O Sie sind wirklich erzürnt, entgegnete Helene halb lächelnd, wie der Vesuv, wenn er grollt; der ist gefährlich, und man muß vorsichtig sein, damit er sich nicht entladet. – Aus Eifersucht auf einen Schweizer!«

»Ja, gewissermaßen, denn –« und es erhob sich ein Gespräch mit aller Lebhaftigkeit über Schweizer, schweizerische Freiheit und allgemeine, über Tyrannei, Despotismus und Rechte der Menschheit, bis Frau Susanna mit dem Finger auf das Meer wies: »Ihr thätet wirklich etwas Besseres als über des Kaisers Bart streiten!«

Es lag etwas Unwiderstehliches in der Weisung, wie barok sie auch klang. Die Sonne war über ihren Höhenpunkt gefunden, ihre Strahlen brannten nicht mehr, und das Meer, gleich von Licht und Sonnenwärme durchdrungen, schien ein Amalgam von Wohlbehagen; man schlürfte und athmete Wasser und Luft, Sinn und Geist. Die ferneren Ufer hoben sich in einer Luftspiegelung und am krystallhellen Horizont schossen nur wenige rothe Wolken als Segler, Pfeile, Boten des künftigen Abends gen Morgen. Die feierliche Stille der Scenerie zu erhöhen, erreichte das Auge kein Schiff, keinen Nachen.

Als Helene und Eginhard sich trafen, schienen beide erröthend den Blick zu senken. Es giebt Momente, wo man nicht mehr streiten kann, wo auch Worte zu äußern zu einem Verstoße wird.

Frau Susanna aber, die, wie in sich versinkend, an der Banklehne gesessen, wies mit der Hand wieder ins Meer; halblaut kam's von den Lippen: »Ach so versinken können, wenn es aus ist! Und vor dem Aussein das viele Streiten – warum?«

Sie langten an den Felsen, der die blaue Grotte verbirgt. Schroff schießt er ins Meer, und die Wellen spielen rauschend in die Mündung der Höhle, um, wenn sie sein Heiligthum geküßt, wieder heraus zu sprudeln. Den günstigen Augenblick, um hinein zu gehn, muß man erfassen; ebenso vorsichtig den Moment, um heraus zu eilen.

Doch was erzählen, was Tausende erzählten über die Wunder der Grotte Azurrea! Die Reisenden müssen sich in den Boden des Nachens niederlegen bis sich die majestätische Felsenhalle über ihnen hebt. Als die beiden sich niederlegten, berührten sich ihre Hände. War es zufällig, daß Einer nach dem Andern griff, um im Schaukeln nach einem Gegenstände sich fest zu halten; nicht zufällig aber war es, daß ihre verschlungenen Hände, als sie aus der Strömung waren, nicht wieder so schnell von einander sich los machten. Vielleicht das Siegel der stillen Aussöhnung nach dem lauten Streite, und der Händedruck ein electrischer Schlag der gleichen Empfindung. Mehr sagt man da überhaupt nicht: der unwillkührliche Schrei, ein Aufathmen des Wunderlichts, ein magischer Augenblick.

Aber in dem Augenblicke tönte noch ein anderer Schrei, ein ängstlich banger, unterdrückter, wie wenn Einem die Luft vergeht. Den ersten schrie Helene auf, im darauf folgenden war auch Eginhard schon über Bord gesprungen.

Die Mutter war während der ganzen Fahrt still gewesen. Später bekannte sie, auch schon beim Eintreten in den Kahn sich nicht ganz wohl gefühlt zu haben; Helene dachte an jene trüben Ahnungen, welche sie oft in den glücklichsten Augenblicken überraschten. Aber sie hatte Niemand stören wollen. Die Beklemmung ward stärker, als der Kahn durch die Oeffnung gleitete; das Gurgeln des Wellenspiels stärkte die Beängstigung. Mögen doch Phantasiereiche hier an Charons Nachen denken, als die Mutter bei der freieren Stelle sich aufgerichtet hatte, um Luft zu schöpfen. Dabei lehnte sie sich mit Arm und Hand rasch auf den Bord des Kahns, als das magische Licht mit seiner überwältigenden Macht ihr Gesicht zu übergießen schien. War es ein Wunder, daß die nähernde Ohnmacht zur wirklichen ward? Der Schrei, sie sinke; wie Helene, auch schreiend, ihr nachstürzte und die sinkende Mutter noch hielt, aber der Kahn das Gleichgewicht zu verlieren schien; wie Eginhard ohne Besinnen ins Wasser gestürzt war, – das war alles ein in Eins fallender Act, und der nächste: daß der Kahn nicht umschlug und die Mutter wirklich gerettet wurde. Ueber den Antheil der Rettung war nachher ein edler Streit.

Helene glaubte, als die Mutter besinnungslos über Bord sank, habe ihr Freund, der mit Geistesgegenwart gleich ins Wasser stürzte, durch sein Schwimmen sie vor dem Wellengrabe geschützt. Er aber glaubte, Susanna sei gar nicht ins Wasser gefallen, denn Helene selbst hatte sie schon im letzten Augenblicke gefaßt, mit nervöser Kraft zurückgezogen und gehalten bis es ihm gelungen, im Schwimmen sich nähern und die Besinnungslose unterstützen zu können. Als es ihm möglich geworden, den Kahn mit Schultern und Armen zu halten und heben, hatte der Schiffer Helenen geholfen. Antonio war auch dieser Meinung; er hatte in der ersten Gefahr mit der Ruderstange das Gleichgewicht zu halten gewußt, und erst als der Schwimmende das Fahrzeug aufrecht hielt, mit seinem kräftigen Arme die Sinkende fest gehalten.

Bestimmt ist nur, daß Alle den Kahn glücklich nach der kleinen Nebenhöhle, oder der Platte in der großen Grotte, brachten, wo Susanna sich rascher erholte, als man hoffen durfte. Aber sie wollte nicht, daß man, um sie zu wärmen, mit Reisig Feuer anmache – für Reisende läßt man es lodern zum Gegensatz des Flammenlichts mit dem blauen Grottenlicht – denn sie verlangte ängstlich nur nach Luft und Sonnenlicht. Und beide wirkten denn auch wunderbar auf ihre Lebenskräfte, als sie wieder auf dem offenen Meeresspiegel schwebten. Ihre Kleider waren kaum benetzt, und wenn Eginhard wirklich fröstelte, wollte er es nicht Recht haben. Die Sonne, meinte er, werde es bald trocknen, und still setzte er hinzu, die aus dem Innern – ein gewonnener seliger Tag – mehr wärmen als ein Italienischer Sommertag. – Es hätte doch ein schlimmer Abend werden können, meinte Helene, aber die Mutter hatte in ihrer Bewußtlosigkeit einen weit schlimmeren Ausgang geträumt: was sei ein kühler Wellentod im Vergleich mit der Vorstellung, dort im schönsten Meerespallast, vom Sturme belagert, allein dem Hungertode entgegen zu sehen!

Wer angelt im Meer der Möglichkeiten! Ob als jeder still ins Meer sah, die Gesellschaft auch das stille Gelöbniß ablegte, nicht wieder die Mysterien der Grotte Azurrea zu versuchen?– Was bei der Rückkehr nach der Marina und weiter geschah, weiß ich nicht. Nachher trieb sie ein leichter Abendwind schneller als je nach Sorrent. Eginhard hatte die Mutter, wie damals, durch die Grottentreppe geführt, und sie beim Abschiede ihm stumm die Hand gedrückt. Als Eginhard auch Helenens Hand berühren wollte, bog sie erschrocken zurück und wollte der Mutter nacheilen. Aber im nächsten Augenblick hatte sie plötzlich rasch sich umgewandt und hielt ihm die Hand entgegen. Als er sie an sein Herz drücken wollte, hauchten ihre Lippen auf seinen Mund. Es war ein erster Kuß; ohne ein Wort, ohne einen Laut, war sie verschwunden, wie eine nächtliche Erscheinung.

*

Die Mutter hatte ohne Krankheit den Unfall überstanden; wenn sie in den folgenden Tagen ernster aussah, war es wohl nur in Folge von Briefen, die aus Deutschland eingetroffen waren. Auch Helene theilte die Stimmung, doch ohne besonders dadurch berührt zu sein. Beide hatten aufregende Gespräche vermieden, wie man nach einem moralischen Erdbeben sich vor Gegenständen hütet, welche sie hervorrufen könnten. Eginhard hatte wie vorhin nur in der Form geselliger Höflichkeit seine Besuche abgestattet, die Unterhaltung blieb allgemein, fast über Gleichgültiges hinfließend, und wenn Helene mit ihm zu kleinen Spaziergängen fortging, hatte keiner nöthig davon Notiz zu nehmen. Heute aber brach Frau Susanna, als Helene allein zurück kam, das Schweigen: wenn die Verwandten kämen, würden sie doch zu einem ernsten Worte keine Ruhe mehr finden, und es wäre ihre Pflicht, dies Wort zu sprechen.

»Er hat ein Recht gewonnen, sagte sie; ein Recht, Helene, hast Du das bedacht? – Du schwelgst noch in Gedanken, daß Du ihm etwas schuldig bist; aber aus den Rosenkränzen der Dankbarkeit könnten Bande und Fesseln werden, und dann ist es zu spät. Angenommen daß er, und nur er allein, mich aus einer Lebensgefahr rettete, so ist der Schluß falsch, daß Du um deswillen Dich für schuldig hieltest, Dich ihm zu opfern. Du lächelst, aber ich sage das sehr ernst: Du hast auch Pflicht, Deine Rechte zu bewahren und meine Pflicht ist, Dich vor Deiner Phantasie zum letzten Male zu warnen.«

»Phantasie! rief Helene. Noch jetzt! Am Ende wärst Du nicht ohnmächtig geworden, er nicht in's Meer gesprungen, und ich hätte nur das ganze Gaukelspiel mir vorgespiegelt, um – ja warum? – Um mich vor mir selbst zu rechtfertigen! Vor wem? Vor mir, vor Dir? – Oder vor der Verwandtschaft! Du kennst mich doch besser.«

»Weil ich Dich kenne, darum appellire ich, in letzter Instanz, an Deinen eigenen Richter!«

»So furchtbar ernst?«

»Ernst, ja. Ich zweifle so wenig an seiner als an Deiner Liebe. Noch zweifle ich mehr im Geringsten an seinem Charakter; aber ich glaube tiefere Blicke in seine Seele geworfen zu haben. Wenn er nun mehr Charakter hätte, als Dir lieb ist, als Du vertragen könntest? Er weiß Vieles besser zu behandeln als den Malerpinsel. Er spielt wie ein Spieler, der auch mit schlechten Karten endlich doch gewinnen zu müssen weiß, nicht um zu betrügen, Gott bewahre! nur weil er immer mit schwächern Spielern zu thun hatte, und die Chancen des Spiels so oft in seine Hand kamen, daß er nicht mehr daran zweifelt, es müsse immer wieder so kommen. Er weiß sich zu beherrschen, aber auch zu herrschen. Er will für Dich nichts als Gutes, aber nur was er so für gut hält. Du hast es selbst empfunden. War Eure Unterhaltung nicht ein immerwährender Wortstreit? Der Zank der Liebe ging in Liebe über, wird er aber immer in Friede und Versöhnung ausgehn? Und nun frage Dich selbst: wirst Du Dich immer gern fügen, gern gehorsam sein? Oder nicht einmal gegen Etwas Dich empören, was Deinen Stolz – mit Recht oder Unrecht – stachelt? – Du schweigst und kämpfst mit Dir –«

»Ich habe schon gesiegt, Mutter! – Dem Willen meines Gatten zu gehorchen, auch wenn es nicht mein Wille wäre – soll mir eine Lust und ein Stolz sein.«

»Aber vorher, Helene? Wenn Du kaum das Ja gesprochen, und er wollte schon auf sein Recht pochen? Du baust zu fest auf den Standpunkt, auf dem Du stehst. Noch mehr, Du freust Dich darauf, wie ein erwachsenes Kind, welches zum ersten Male den Weihnachtsbaum für andre kleinere Geschwister putzt. Sie sollen überrascht werden, erstaunen, vor Entzücken und Dankgefühl stammeln, oder gar nicht sprechen. Wenn sie nun aber nicht entzückt sind über die hundert Wachslichter und goldenen Nüsse, nicht stammeln, staunen, verstummen! Wenn die zu reiche glänzende Bescheerung Deiner Geburt, Verhältnisse, Erbschaftsaussichten, gar nicht auf ihn imponirte, wenn im Gegentheil sein Eigensinn oder Stolz, wie Du es nennen willst, aufgestachelt würde! Und wenn er nun, nicht trotz, sondern vermöge seines unabhängigen Charakters, die Lust bekäme, den freien Künstler zu entfalten, wenn der unbekannte Maler so vor den Verwandten aufträte, in der Laune zu dominiren, den Herrn und Tyrannen zu spielen –«

Helene ließ sie nicht ausreden: »Um das zu verhindern, soll es nicht mehr möglich, es soll alles schon vorüber sein.« – Du willst in Neapel – ? »Ja, in Neapel. Sobald die Familie hier ist, stelle ich ihr meinen Verlobten vor. Dann ist's zu spät zu bessern und zu bereuen, und dann zum Schluß und zum Ende!«

»Ob zum Ende?« wiederholte Susanna, als der alte Daniel sie unterbrach, zu einem Geschäfte, welches keinen Aufschub litt. Er mußte nach Neapel, um die Verwandten im Auftrage der Familie zu empfangen. Daß sie daher in einem glänzendern Aufzuge als gewöhnlich erschienen, wird Niemand befremden.

»Ja in Neapel und zum Schluß und frohen Ende,« wiederholte nachher Frau Susanna, und Helene sprach es wie gedankenlos nach. Sie blieb nachdenklich, und immer nachdenklicher, bis die Verwandten wirklich ankamen, und früher als man sie erwartet hatte.

*

Mit besonderer Sorgfalt machte Eginhard heut seine Toilette. Das Räuberhabit war längst verschwunden; auch der Malerrock lag bestäubt an der Erde, als wäre er seit Wochen vom Nagel gefallen, und nicht wieder aufgehoben worden; aber die Wirthsleute bewunderten durch die Thürspalte, welche feine Kleider ihr Miether in seinem Koffer für Sonntags bewahrt hatte. Warum ist er nicht wenigstens an Feiertagen damit durch die Straßen gegangen? Es war so schön wie zum Ball beim Könige. – Und er selbst war auch zufrieden, als er am Spiegel stand. Der Frack, auch dem bestgebildeten Manne so selten kleidend, glättete sich schmiegsam von der Schulter bis zu den Hüften; alles, vom Wirbel bis zur Zeh war in feiner Ordnung, und an der linken Brust stand fest genäht auf das Tuch ein emaillirtes Kreuz mit funkelnden kleinen Spitzen oder Perlen, welche hinwiederum mit bunten Schleifen unterfüttert waren, während ein Band von derselben Farbe sich halb unter der Cravatte versteckte, halb mit der weißen Weste kokettirte. Es war kein eigentlicher Orden, nur das Wahrzeichen einer Commende oder eines Domcapitels, auf welches die Glieder seiner Familie ein Geburtsrecht haben. »Dummes Zeug! sagte Eginhard, der es wirklich seit Jahren nicht getragen hatte, und doch die Schleifen mit dem Finger falzte und bürstete. Dummes Zeug, aber es wird ihr gefallen.« Helene sah gern Blumen an seinem Knopfloch, und das Band hatte die Farbe ihrer Lieblingsblume.

Eginhard war fertig, um heut feierlich um Helenens Hand zu bitten.

Warum heute? Es hätte schon vor einer Woche geschehen können, und die Liebenden hätten auch nichts dagegen eingewendet. Sie waren ja einig, und warum mußte es feierlich werden? Und warum dazu »seinen Sonntagsrock?« parodirte Eginhard sich selbst.

Die Liebenden drängten nicht, aber andere.

Eginhard hatte gestern einen Brief seines Oheims erhalten, einen Brief voller Herzlichkeit, fast aufjauchzender Laune. Alles von sonst sollte vergessen sein; auch der Legation, wenn sie ihm absolut widerstehe, wolle er ihn entbinden. Nur eine einzige Bedingung, daß er aus Italien nicht verliebt zurückkehre, das heißt nicht wirklich ernsthaft, nach dem guten deutschen Ausdruck »nicht verplempert.« Sonst was Du willst, vergnüge, liebe, verliebe Dich, was Du willst, nur nicht verplempert sollst Du und bald nach Deutschland kommen.«

Er wollte sich aber »verplempern,« und darum zog er den »Sonntagsrock« an. Der Onkel hatte zu spät gewarnt und gemahnt.

Es kam noch ein anderer Umstand. Helene war neulich verlegen gewesen. Sie sprach von unangenehmen Ueberraschungen, drückenden Verhältnissen, von denen sie gern gewünscht, es wäre schon vorüber. Auf die Frage: ob sie auch ihm die Sorge nicht mittheilen könne: sagte sie: ja, und dann: nein! Sie war zerstreut, erröthete, und hatte ihn herzlicher als je gebeten, jetzt nicht in sie zu dringen. Das bis dahin immer klare und ruhige Mädchen, so bestimmt in ihren Ausdrücken, so witzig, zuweilen übermüthig, schien ihm ängstlich, zweifelhaft? – Vielleicht war ein Brief aus Deutschland angekommen, ihre Mittel waren erschöpft, es nöthigte sie zurückzukehren; vielleicht bald – bald in dem Augenblick, wo eine andre glückliche Entscheidung ihr so nahe schien. Aber sie durfte doch nicht! Vielleicht hatte sie einmal angefangen, da trieb ihr Zartgefühl, eine natürliche Scheu sie zurück – daher die Aengstlichkeit, das Erröthen.

Darum war es natürlich seine Pflicht, selbst zu sprechen, kurz, bestimmt; und darum zog er das Kleid des Brautwerbers an, schicklichkeitshalber, wenigstens vor der Mutter. Um es den Gassen und deren Bewohnern nicht zu zeigen, oder, wenn man will, auch des Staubes wegen, hatte er einen dünnen Leinenkittel darüber geknüpft, hoch bis oben. Wie oft hatte er in demselben Kittel Mutter und Tochter bei den Spaziergängen begleitet. Alles ländlich, sittlich.

Und so feierlich sollte er vor ihr, und jetzt, erscheinen, wie Egmont vor seinem Clärchen! Würde Helene auch so erfreut sein, wie Clärchen vor dem Prinz von Gaure? – Erschrecken mußte sie, ja; aber vor Freude oder zürnend? Würden dunkle Wolken plötzlich vor ihr aufschießen, sie sich plötzlich weinend an seine Brust werfen: also wieder ein Traum! Welche böse Mächte von Eltern, Verwandten uns wieder auseinander treiben werden! – Nein, wird er antworten, fürchte nichts, vertraue und sei die Taube im Fittich des Adlers. Mein Wille ist mein Gesetz.

Oder – wenn sie andrer Art erzürnte: daß er sie mit einem Geheimniß bescheerte, statt mit einem vollen Vertrauen, daß er sie nicht einmal vorbereitet; ihre Liebe hätte doch das verdient gehabt. Mit der plumpen Enthüllung eines poetischen Märchen die zarte Poesie ihrer Liebe zu zerdrücken! – Allerdings, es konnte sie verletzen, aber – ein Deux ex machina, ein olympischer Zeus, der vor seiner Semele die Blitze und goldenen Strahlen des Reichthums und des Wohlbehagens schüttelt, gefällt unter allen Umständen zuletzt, und auch die Feinsten werden endlich über einen Verstoß gegen den ästhetischen Geschmack zufrieden. Sie brauchte ja nicht mehr für Geld zu malen, nicht mehr für die Mutter zu sorgen und für ihre eigene Zukunft; und glich ein vornehmer und wohlhabender Mann, den sie liebte und der sie liebte, nicht aus alle Regeln der Aesthetik und Sentimentalität unter diesem Monde!

Das etwa seine Gedanken auf dem Wege. Zuerst ging er rasch, dann als er dem Hause näher kam, immer langsamer, als fehle ihm der Athem. Entweder that's die Luft, es war heiß, oder die engen, krummen Mauern, wo die Orangen von beiden Seiten sich über dem Kopf des Fußgängers fast die Hände reichten. Einmal kam ihm der Gedanke – ob er nicht zurückkehre und es auf morgen verschiebe? Er stand ja aber schon am Thorweg und jetzt im Vorhofe.

Alles sah heut anders aus, oder schien wenigstens ihm anders auszusehen. Der alte Daniel blickte nach ihm verwundert, er aber ihn noch weit verwunderter an. Der alte Mensch, den er nur für einen Perückenstock, oder was für ein aus Gnade zurückbehaltenes Möbelstück aus bessern Tagen betrachtet hatte, stand in glänzender Livrei, und mit einer fast unverschämten Miene unter seiner gepuderten Frisur – Puder war wohl immer dagewesen, aber das Mehl seit langer Zeit nicht mehr abgeschüttelt worden – rief er ihm zu: »heut können Sie nicht rein.«

»Warum nicht?«

»Die Herrschaften sind da.«

»Welche Herrschaften?«

»Unsere gnädigen Herrschaften aus Deutschland.«

Hörte er denn nicht die Kanarienhecke, oder, wenn er nicht höflich sein wollte, den Lärmen, wie in einer Menagerie vor der Futterstunde?

Daniel wiederholte jetzt mit einem officiösen Tone: »Der Herr Obristwachtmeister sind eben auch nachgekommen.« – Eginhard hätte sich erinnern können, wenn er darauf Acht gehabt, daß der alte Diener nie mit vergnügtem Gesicht ihn eintreten sah.

In dem Augenblicke schielte ein kleines Mädchen neugierig aus der Nebenpforte nach dem Garten: »Warum jagst Du den Menschen fort, Daniel?«

Der Diener brummte etwas Unarticulirtes, was ungefähr bedeutete: »Schier Dich, um was Dich angeht.« Aber das Mädchen, welches Eginhard fixirt hatte, fuhr fort: »Das ist gewiß der arme Maler. Der kann ja immer rein kommen.«

Sie war mit zwei Sprüngen Eginhard entgegen getreten, und machte ihm eine Verbeugung, wie sie eben vom Tanzmeister erlernt zu haben schien. Man konnte sie nicht eben schön nennen, und ihr kluges Gesicht machte sie noch älter, als ihre jugendliche Figur verrieth: »Wir haben schon von Ihnen gesprochen, mein Herr, und Sie geniren uns gar nicht. Darum können Sie immer eintreten, und ich werde das Vergnügen haben, Sie einzuführen. Ich bin das Fräulein von Kriesewitz und heiße Valentine. Uebermorgen bin ich dreizehn Jahr alt, und meine Mutter ist die Baronin von Kriesewitz. Sie ist auch mit hier, und ich werde Ihnen alle die andern vorstellen. Darum brauchen Sie gar nicht bange zu sein; aber ich will Sie gleich in den Garten führen, denn die Andern kommen auch. Drinnen ist schrecklich heiß und sie serviren zum Dejeuner. Finden Sie nicht auch, daß es in Italien viel heißer ist als bei uns?«

Im selben Augenblicke hatte sie ihn schon an der Hand gefaßt; aber noch an der Gartenpforte ihn auch eine andre Hand an die Schulter gefaßt. Es war Daniel, der ihm mit einem Apropos ein versiegeltes Billet eindrückte: »Gnädiges Fräulein gaben es mir eigentlich schon gestern; wer aber hätte jetzt Zeit auf Alles!«

»Sie werden meine Cousine selbst sogleich treffen, sagte Valentine, und da will ich schon dafür sorgen, daß Sie so viel mit ihr sprechen können als Sie Lust haben.«

Auf dem sehr kurzen Wege wußte das dreizehnjährige Fräulein ihn so lange mit Anstand am Knopfe zu halten, daß er nicht weniger als folgendes erfuhr: Wie lange sie gereist wären, wo sie schlechtes und gutes Wetter gehabt, mit den Wirthen gezankt oder zufrieden waren. Durch die Bank wären aber alle Logis schlecht gewesen und schmutzig, und die Polizei hätte sich nie darum gekümmert. Ueberhaupt gefalle ihnen Italien wenig; das wären aber nur Zeitungsschreiber und solches Volk, die so viel Lärm darüber machten, und wenn vernünftige Leute hinkämen, fänden sie nur blauen Dunst. Und was habe nicht der Onkel und die Tante und der Cousin geklagt und gesagt, und wenn Eginhard nur einige Aufmerksamkeit gehabt, hätte er schon auf diesem kurzen Wege die Namen aller Verwandten, wo nicht gar deren Portraits und Charakteristik erfahren.

Die Mehrzahl war schon im Garten, fremde Gesichter, unaussprechlich fremd unter den Apfelsinen und Citronen, und dem blauen Himmel, der darüber sich wölbte. Und ihre Töne, Worte, Phrasen – ach es waren ihm alle nur zu wohl bekannte, aber seit Jahren hatte das Ohr sich daran nicht mehr gewöhnt. Daß man im Vaterlande so häßlich sprechen konnte, solche harsche und solche dehnende, solche Kehl- und solche schmalzige Laute – solche zischende Consonanten unter den lärmenden Vocalen des ewigen Italien! Und Redensarten: »Ne, Cousine, wie Sie ein Jahr lang in dem Loche leben konnten, das ist admirabel!« – »Cousine hatten immer was Apartes!« – »Und wären sie nur in Neapel geblieben! Da ist doch Oper und Ballet.«

Ein ästhetischer Freund kann sich nicht enthalten, immer wenn er in München Rubens berühmten »jüngsten Tag« sieht, an eine große Blutwurstmacherei zu denken. Vielleicht dachte Eginhard mit mehr Recht daran, als diese wohlbeleibten Gestalten sich über die Schwelle in den Garten rollten. Nichts von hysterisch blassen, unzufriedenen Gesichtern, nichts von der Krankheit des Zweifels, des Zerrissenseins angetastete; das Körnlein war überall auf fetten Boden gefallen, und aus den Keimen volle Saat und Erndte geschossen, Damen und Herren, mit wenigen Ausnahmen – kugelrund. – Wie konnten wir sagen: sie rollten? Wo sie standen, blieben sie wie auf Säulen getragene Häuser. Und ein ebenso conservatives Physiognomiespiel. Wer athmete, athmete für sich, wer sah, sah für sich; schien doch wirklich nicht viel Raum für Andre zu sein. Sie standen in dem glücklichen Zustande, mit sich selbst zufrieden zu sein, weshalb sie sich denn mit andrem, als Menschen oder Dingen, besonders zu befassen für überflüssig hielten, und wenn ihre kleinen runden Augen einen neuen Gegenstand wirklich fixirten, schien die aufgeworfene Lippensperre nur den unverkennbaren Ausdruck zu haben: Wie viel ist er werth?

Aber man irrt, wenn man in ihnen Börsenkönige erwartet. Wenn auch die Aepfel vom selben Stamme fielen, war doch der Stamm von etwas andrer Race. Vielleicht verscheuchen diese fremdartigen Personen unsre Leser, welche sich für die bisherigen Heldinnen interessirt haben. Da kann ich wirklich nicht helfen. Wenn auch wie aus einer Laterna Magica plötzlich auftretend, sind es doch wahrhaftige Gestalten einer wahrhaftigen Wirklichkeit; häßlich sind sie, ich gebe es zu, aber ich habe nicht das Recht, sie schöner zu malen als sie sind; abgesehen davon, daß das Verschönern wirklich häßlicher Gegenstände in der Regel ihren Typus noch markirter aufdringt. Einen Groschen mag man mit Silberschaum noch so viel plattiren, die Kupferbacken werden immer deutlicher zum Vorschein kommen; wer aber würde um deswillen die Scheidemünze heute bei Seite werfen, weil er gestern und ehegestern nur mit klingendem Silber spielte und es einnahm! Beiläufig hatten die Verwandten, obgleich erst zum Dejeuner servirt ward, wahrscheinlich schon ein Vorfrühstück eingenommen; Motiv zur Stärkung wegen der Bergluft, das Resultat die errötheten Physiognomien.

Dies wohl der Grund, weshalb Eginhard, obgleich schon mitten unter den Gästen, von ihnen nicht gesehen, wenigstens nicht bemerkt ward. Er schien kein Gegenstand, werth um ihn zu taxiren. Aber eine Stimme hinter ihm, es war Frau Susanna, flüsterte: »Sie konnten auch keinen unglücklichern Tag wählen!« Aus dem Geschwirr häßlicher Stimmen tönte da ein lauter Schrei. Obgleich es in ein ängstliches Schreien, ja in ein wirklich häßliches Gekreisch überging, konnte er keinen Augenblick zweifeln, daß Helene es ausstieß, und im nächsten mußte er sie selbst, die Ursach und ein Schauspiel sehen, worauf er am allerwenigsten in der Welt gefaßt war.

Wie ein erwachsener Mann ein kleines Mädchen plötzlich hebt und an der Brust schaukelt, trug ein Riese Helenen über die Schwelle. Vorhin wegen der Ueberraschung, schrie sie jetzt, weil er sein rohes Spiel bis mitten in den Garten fortsetzte. Ob nun ein Act brutalen, oder eines alten, berechtigten Spaßes unter Verwandten, es war auf keinen Fall für Helenen ein Vergnügen als Kind so behandelt zu werden, und noch weniger, als der Riese mit seinem gewaltigen Schnurrbart sie abküßte: »Will sich noch defendiren! Wie oft krabbelte und kletterte das Ding mir auf Knieen und Schulter, Du allerliebster Grasaffe! Wollen doch nun sehen, ob Du hübscher und größer bist!«

Ein Riese war es, sagten wir, über sechs Fuß, mit Schultern, der Höhe entsprechend, dazu ein Cavallerie-Officier, dessen Arme und Hände mit dem Zügel und dem Pallasch nur Kinderspiel treiben konnten. Es wird daher nicht auffällig gewesen sein, wenn er die verhältnißmäßig nicht kleine Helene wie eine Puppe an seinen Armen schaukeln lassen, bis er sie herabließ, und um so weniger, wenn man sogleich erfährt, daß der Riese ihr nächster Oheim war.

Die Gesellschaft lachte vor Entzücken: »Nein, wie putzig wieder der Onkel ist!« – »Wenn der Major nicht mit uns gereist wäre, hätten wir's doch vor Langerweile nicht ausgehalten!« Nur Helene lachte nicht. Außerdem daß Haarflechten und Toilette bei der gewaltsamen Umarmung in Unordnung gerathen waren, wie hätte denn eine junge Dame sich gern in solcher Situation einer Gesellschaft gegenüber, welche es sei, gezeigt und gefunden, noch weniger, wenn ein Beobachter zugegen war, den sie jetzt mit Schrecken erkannt haben mußte. Sie wandte sich erröthend um, und war verschwunden.

Am wenigsten hatte Eginhard gelacht. Beim ersten Augenblicke kochte es ihm durch die Adern; aber dies Gefühl war rasch vorüber. Der Riese war nicht gefährlich, ein Mann näher den fünfzig als den vierzig, mit grauweißem Haar und Bart, und einem zwar lüsternen Augenpaar, aber schon halb erloschenem Glanze. Ein Riese, der zu viel gehört, gesehen, gefühlt und genossen haben mußte, um als Rival noch gefährlich erscheinen zu können. Der röthliche Teint des schwammigten Gesichts, die etwas mit Purpur angesetzte Nase, zeugten für den Dienst des Bacchus, aber jener lüstern schielende Glanz der matten Augen nebst dem eigenthümlichen Auge und Zucken um die Lippen, noch deutlicher für den Opferdienst am Altar der Venus. Er war allerdings kein Jäger der Göttin mehr, welcher in der Morgensonne über Klippen und Firste mit Lebensgefahr der Gemse und dem schlanken Reh nachklettert, sondern wie ein alter Hegewärter oder Forstmeister, welcher Treibjagden arrangirt und die Netze zu stellen auf den Grund versteht, damit ja kein Wild verloren gehe. Als alter Kenner, welcher auch den haut gout zu schätzen weiß, war er für Ehemänner noch immer gefährlich durch den Ruf aus alten Campagnen, deren einige in der Residenz eine Celebrität erworben hatten.

Wer hätte das alles mit einem Blicke übersehen! Aber – Eginhard kannte ihn, er kannte den Major persönlich; sie hatten sich nahe gesehen und berührt; und – jetzt ihn wiederzusehen, in Italien, hier, an diesem Orte, in dieser Familie, eher hätte er erwartet, ganz Herculanum und Pompeji aus Schlacken und Asche frisch und neu aufsteigen zu sehen, als diesen Don Juan im Hause Helenens und deren Mutter.

Im ersten Impuls des Zornes hatte er eine annähernde Bewegung gemacht, welche er eben so schnell gern ungeschehen gemacht hätte, am liebsten wäre er ganz verschwunden. Er fürchtete ihn nicht, aber ein stiller Wunsch war ihm geblieben, dem Major nie im Leben wieder zu begegnen. Dieser hatte ihn jedoch bemerkt, auch so schnell erkannt, und unwillkürlich den freien Arm halb ihm entgegen gehalten.

»Blitz, Element! – Wahrhaftig! Welcher – Teufel hat Sie hergeführt?«

»Ich pflege mich immer selbst einzuführen,« war seine Antwort.

»Das habe ich erlebt, aber –«

»Wäre ich dem Herrn Major noch etwas schuldig, was ich allerdings nicht glaube, bin ich, wo es sei und jeden Augenblick, zur vollsten Zahlung bereit.«

»Liebster Herr! nicht echauffirt!« entgegnete er in einer Position, welche allerdings nichts friedliches, sondern eine vollkommene Ruhe ausdrückte. »Eine Affaire, die ohne Blut verlief, nur zum Todtlachen; so nämlich sah ich es an.« Wenn er dabei dem Maler einen Schritt näher trat, geschah es vielleicht in der Absicht, ihm einen Finger zur Hand zu reichen, aber weil Eginhard keine Neigung einzuklinken zeigte, begnügte er sich leicht an seine Brust zu drücken. »Im Uebrigen, mein geehrter Herr Rival, bedenken Sie, daß ich in besserer Position stehe als Sie. Ich habe doch wirklich nichts mehr zu verlieren; ob und was Sie in dem Punkte des Rufes prätendiren, darüber – Todtenstille diesseits und jenseits, nicht wahr? Sie sind zufrieden?«

Eginhard lehnte auch dies Compromiß ab: »Herr Major haben meinerseits die vollkommenste Freiheit, über mich auszusprechen, was ihm beliebt. Was vor drei Jahren zwischen uns geschehen –«

»War nur 'ne Tänzerin, meine Herren und Damen! wandte sich der Major zu den andern. Damit Sie nichts Aergeres denken; keine gedrehte Volte, keine Hochverrathsverschwörung, nur eine Tänzerin! Was eine Tänzerin ist, werden unsre geehrten Zuhörerinnen wissen. Eine wie alle, oder nicht wie alle, denn diese war allerdings etwas Apartes; aber der Jucks, mit Respect zu sagen, oder des Pudels Kern, nämlich die Moral, war, daß wir beide als höchst moralische Personen zur Thür hinausgingen. Wir haben uns auch beide nicht duellirt, sondern uns still verbeugt, Einer dem Andern, und wer geblieben war, nämlich nicht auf dem Grase, sondern auf Signora Tombosi's Sopha, und ob er ein Prinz war, der hinter uns in's Fäustchen gelacht hat, und wie die Prinzessin, nämlich von der Oper, ein Paar Wochen nachher wieder mit einem andern hinter dem Prinzen gelacht hat, das muß für uns das allertiefste Staatsgeheimniß bleiben, weil man uns in der That nichts davon verrathen hat. Nicht wahr, Herr von – habe wirklich in den Tod vergessen. – Sie heißen –«

»Wenn Herr Major von Bauerkoth meine unbedeutende Person in der unbedeutenden Angelegenheit vergessen haben, wäre es angemessen, auch den Namen in diesem Geheimniß verscharren und vergessen zu lassen.«

»Nein, nein; halten Sie mal – ich weiß schon –«

»Nein, nein, Onkel, jetzt muß ich reden,« rief das dreizehnjährige Fräulein, welche schwer bis da ihre geläufige Zunge zurückgehalten, aber den Fremden heimlich am Rockzipfel gehalten hatte, als könne er ihr im Gedränge verloren gehen. »Nein, Onkel, der Herr hat mich gebeten, daß ich ihn der Familie vorstellen sollte. Und nun werde ich ihn vorstellen, und dann werde ich Euch vorstellen. Das ist der Maler bei Tante Susannen und Cousine Helene. Seinen Namen weiß ich noch nicht, das schadet auch nichts, er ist nur ein Maler. Und nun kommt Ihr an die Reihe, daß ich Euch vorstelle, denn Euch kenne ich alle bei Namen.«

Man fand das charmant oder naseweis, und nahm keine besondere Notiz von der Präsentation eines Kindes, außer daß Einige aufmerksamer auf den Fremden blickten, als der Major den Namen fand.

Es wettere sich ja sein Name, sagte er. »Richtig, ein Wetter vom Stein, oder ein Stein vom Wetter!« – »Eine Branche aus der in verschiedene Aeste und Namen verzweigten Familie,« hatte Eginhard rasch eingeredet, um die Erörterung abzubrechen. Nur Valentinens Mutter, die Baronin Kriesewitz, bewunderte den schönen Namen der Steine vom Wetterstein. Sie hatte sich nach ihrer Heirath in der Heraldik umgeschaut. – Wenn's ein Geheimniß gewesen, was damit herausbrach, brachte es wenigstens keine Sensation vor. Nur der Geheime Commerzienrath Klingebeil klopfte grade die Asche seiner großen aber wirklichen Havanna-Cigarre an einem wirklichen Citronenbaum ab, indem er beiläufig sich verwunderte, daß ein Maler ein Edelmann wäre.

Darüber corrigirte oder orientirte ihn sein Schwager, der Major: Warum nicht ein Maler wie ein Poet! Geld braucht jeder.

»Mir egal!« sagte der Geheime Commerzienrath, der sich nicht gemüthlich fühlte, entweder weil er mehr sprechen mußte, als mit seiner Art und Constitution sich vertrug, oder weil die Cigarre ihm Verdruß machte. Der starke Hals und das doppelte Kinn verriethen schon, daß er nicht zum Redner geboren war, und wenn er aus Zorn oder Höflichkeit über sein Maaß sprechen müssen, Unbehaglichkeiten empfand und hüstelte. Wahrscheinlich aber hatte diesmal die Cigarre nicht Luft, denn er warf die kaum angerauchte ärgerlich auf die Erde, indem er den enormen Preis nicht grade aussprach, aber zwischen den Zähnen murmelte. Daß nur ein so reicher Mann das bezahlen könne, blieb also in der Luft, aber vernehmbar hörte man seine Verwünschung über die vertrackte Luft. Auch nicht mal anrauchen könne man ohne Mücken und Husten, während es in Neapel doch –

Dann aber hielt seine Ehehälfte mit ihrer weichen Hand den Mund ihm zu, und kitzelte ihm unter das Kinn, damit er es nicht bös nähme: »Nur nicht, Du Zuckerherz, von den Straßenjungen, nur nicht von denen in Neapel! Und nur jetzt nicht; der Herr ist ein Maler und Schwester Kriesewitz spricht mit ihm. Wenn sie sich von dem ein Portrait malen ließe!« – »Und ich mich beschwatzen, malen zu lassen,« war die stille Antwort des Ehemannes; denn er hielt es nicht für nöthig, den Gedanken, der ihm nicht convenirte, in Worte zu setzen. Es sprachen ja andre und dachten andre, und es war ein andrer Gegenstand, der die Gesellschaft beschäftigte.

Eginhard war ein Maler, der Maler, von welchem in der Familie offenbar schon gesprochen worden, und mit einem adlichen Namen, also genug, um einige Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, wenn überhaupt ein Theil Neugierde in den Mitgliedern der Familie existirte. Und wer wollte das bestreiten! Die Mehrzahl waren Damen. – Fragen daher, auf die er Rede stehen mußte, ohne nicht grob zu sein, wenn sie auch selbst nicht so fein und nicht passend waren. Empfindlich, daß man so wenig auf sie geachtet, hatte nur Valentine ihr Ceremonienamt einstweilen aufgegeben, und der Major, gewissermaßen in der Gesellschaft der bedeutendste, schien persönlich genug zur Unterhaltung gethan zu haben, und schaukelte sich auf einem Schemel, um gemüthlich, eine Cigarre aus des Schwager Klingebeil's Etui anzündend, den andern Damen es zu überlassen, wie sie mit dem Fremden sich zurechtfänden. Tante Klingebeil und Tante Kriesewitz hatten unter einander einen Wink gewechselt: ob es nicht schicklich wäre, bei dem jungen Maler ein Bild zu bestellen, aber in feiner Manier; der Geheime Commerzienrath hatte es indeß weder fein noch schicklich gefunden. Ueberhaupt hatte er dabei seine Ansicht über Malerei geäußert: »Von Opern und Viehstücke, aber nichts Romantisches.« In den Damen regten sich jedoch ästhetische Stimmungen, wenigstens um sich dem Fremden ebenbürtig zu zeigen. Zum Exempel glaubte Valentinens Mutter, daß ein Maler in Italien eigentlich von der Luft leben müsse. Ein wenig essen würde ihm doch zu rathsam sein! hatte Eginhard eingewandt. Baronin Kriesewitz fühlte auch menschlich mit einem hungernden Maler, aber er müsse ätherisch componiren, mit Luft und Wolken, mit Reflex von Mond und Abendroth; höchstens die Felsenspitzen auf die Leinwand, wie das Alpenglühen, daß man gar nicht mehr an etwas Irdisches erinnert werde. Der Maler bat wenigstens um einige Bäume und Menschen, und die Baronin verstand sich auch dazu. Weil es sonst langweilig wäre, meinte ihre Schwester: »vielleicht einsame Liebende im Mondenschein auf einsamer Klippe, aber keine Schäfer, und vor allem nur keine Viehstücke! Um Himmelswillen, Schwager Klingebeil, und Ihre Viehstücke! – Wenn die Menschen doch gar zu sehr materiell werden!« – Die Viehstücke hätten auch ihren Werth, meinte Eginhard, und der Major lachte: es komme alles auf die an, welche man vor sich hat. Was der Major lachte, mußte auch von den andern belacht werden.

Unter den andern war der Sohn des Geheimen Commerzien-Rath Klingebeil, der auch Luft athmete, auch Cigarren rauchte und auch lachte, weil die andern es so thaten, und sonst seiner Figur nach ein Mensch war, im Uebrigen aber seiner Physiognomie nach von einem Stempel, daß es einer Präsentation gar nicht bedurft hätte, als der Major ihn vorstellte: »Dies das Genie unsrer Familie!« – »Nämlich der Dümmste« übersetzte Valentine in Eginhard's Ohr. Er grinste und der Familienrath meinte, der Major wäre heut gar zu spaßhaft. Frau von Klingebeil aber, die Mutter, klopfte ihm zärtlich auf die Backen: »Herzensjunge, mein Eugen, Du weißt doch, was Du bist; wer am längsten, spottet am besten.« Der Vater stieß nicht einen Seufzer, sondern die Luft aus beiden groß geöffneten Lippen, das ist eine bedeutende Rauchsäule. Für die Bekannten hieß es: »Er wird doch mein Erbe!«

Eine andre Figur war noch nicht präsentirt, eine noch sehr junge Dame, und sogar Gräfin. Sie war nichts weniger als groß; aber daß sie sonst zur Familie gehörte, dafür sprach schon die Fülle der Taille und der Wangen. Höchst gutmüthig glotzten Comteß Aureliens Augen, groß genug, um, wenn sie auch sinnig und lebendig gewesen wären, auch für schön zu gelten, zur Cousine, und halblaut fragte sie zu dieser, als Valentine sie dem Fremden vorstellen wollte: »Aber kommen denn in Italien die Edelleute in Kitteln zur Gesellschaft?« Das, wie wir sagten, war nur halblaut gemeint, aber aus Zufall platzte es so voll heraus, daß fast Alle es hörten. In der Familie war nun chause convenue: daß Aurelie nur Sotisen sage, und die andern, weil sie klüger wären, darüber lachen müßten. »Habe ich denn wieder was dummes gemacht?« fragte die erschrockene Comteß.

»Nein! rief ihre Cousine, das ist eine sehr scharfsinnige Bemerkung von Dir. Incognito ist er, weil er nur Maler ist, und wenn er den Staubkittel fallen läßt, wird er ein vornehmer Herr. Weißt Du nicht, Aurelie, aus der Komödie, wie die Leute erstaunen, wenn so ein ordinairer Mann hinterm Rockzipfel den Stern zeigt?«

Die Schelmin hatte sich so lange um Eginhard beschäftigt, daß sie unter dem Staubhemde mehr gesehn, als er zu zeigen vermuthlich noch nicht für angemessen hielt. Jetzt hatte Valentine ihre Cousine rasch herbeigeführt, um auch sie dem Fremden vorzustellen, in der Wirklichkeit aber, um mit einem heimtückischen Ruck die Knöpfe des Ueberrockes jenem herabzuziehen, wobei verständlich Eginhards feine Toilette und das flimmernde Kreuz zu Tage kam.

»Hab ich Recht! jauchzte Valentine um ihre Hacken. Aurelie fuhr erschreckt zurück. » Ah, il est decoré!« rief Frau von Kriesewitz, aus wirklichem Wohlgefallen, während der Major der Comteß zuflüsterte: »Er ist ein Fürst!« – Im selben Augenblicke faltete die Zitternde ihre Hände: »Ach, um Gottes Willen, Herr, ich habe es nicht gewußt.« Wenn sie nicht wirklich auf die Füße gesunken, ward sie vom Major, oder einem Andern, noch rechtzeitig gehalten, aber ein Gelächter schütterte durch die Gesellschaft.

Mit Ausnahme zweier. Helene und Eginhard lachten nicht; es war ein besonderer, ernster, forschender Ausdruck, als sie sich wieder sahen. Helene, vielleicht vorhin nur verschwunden, um ihre Toilette in Ordnung zu setzen, hatte wahrscheinlich alles gehört, was vorgefallen war. Die Uebrigen sagten, daß sie munterer aussehe, als vorhin; Eginhard glaubte die Spuren von heftigem Weinen zu bemerken, nur daß sie plötzlich durch kaltes Waschen die Erhitzung zu verbergen gesucht. Ihr Auge hatte etwas strenges, während ihr Lächeln offenbar affectirt war. So klang auch ihre Stimme nicht weich melodisch wie sonst; es schien etwas schneidendes, indem sie den Gästen zurief, daß der Koch den Tisch servirt habe, und Mutter hoffe, daß ihre werthen Gäste mit der Sorrentiner Kost nicht gar unzufrieden sein würden.

Ein Gott sei Dank! entschlüpfte vielen Lippen als Helene an Eginhard vorüberging: »Meine Cousine ist ein unartiges Kind. Sie hatten gewiß eine bessere Gelegenheit uns zu überraschen aufgespart; da mußte Valentine den Spaß verderben, was mir für Sie aufrichtig leid thut.«

»Ich wollte Niemand überraschen, entgegnete er, denn ich suchte hier Niemand. Durch ein Mißverständniß ward ich in eine fremde Gesellschaft gedrängt; dies ist unser einziger Verstoß.«

»Und Sie werden ihn dem Kinde verzeihen«, sagte Frau Susanna, welche von einer wirthlichen Arbeit eben zurück kam. »So freundlich, wie ich hoffe, daß Sie, wie in unsrer italienischen, auch in unsrer deutschen Familie sich zuhaus finden werden.«

»Liebe Mutter«, rief Helene, »unser italienischer Bekannte sagte eben, daß er eine andre Gesellschaft zu besuchen im Begriffe war. Es war nur ein Irrthum, daß er zu uns kam, und von unsrer Seite wäre es unbescheiden, ihn einer andern und angenehmern Gesellschaft entziehen zu wollen.«

»Auf diese Unbescheidenheit wage ich es. Ich würde es übel nehmen, wenn er jetzt fortginge«, sagte die Mutter mit einem bestimmten Tone. »Da in der Gesellschaft schon so viel von Ihnen gesprochen worden, wäre Ihr plötzliches Verschwinden so ungalant, als es mich in eine unangenehme Verlegenheit setzte.«

»Bitte, bitte! nicht fortgehn wollen!« rief schmeichlerisch die Kleine, welche ihm jetzt auch den Hut fortriß. Eginhard hatte ernsthaft fortgehn wollen, aber die Protestation der Mutter war eben so ernsthaft. Er hatte nach Helenen einen fragenden Blick geworfen, fand aber für ihn keine Antwort. Sie umfing nur die eine Tante und zog die andere an sich: »Nur einen einzigen Blick auf unsre Aussicht; nur ein Mal auf's Meer vor dem Frühstück! Es soll ja den Appetit mehren.«

Wie ordinair sie das sprach! Wo war der Schmelz ihrer Stimme, der sonst ohne Worte sie fesselte? Wo die feine Würde ihres Tones? Aber ohne Hut hätte er doch nicht gehn können.

Man stand auf der Ballustrade. An der Scene lag es nicht, wenn das unaussprechliche Panorama heute den Zuschauern nicht so erschien als den Millionen vor ihm vor tausend Jahren, und, wahrscheinlich noch nach mehr tausenden erscheinen wird.

Tante Kriesewitz rief: »Allerliebst!« – Tante Klingebeil setzte hinzu: »Hier trinkt Cousinchen gewiß alle Morgen den Cafe.« – »Nein allerliebst,« verstärkte die Baronin ihr erstes allerliebst. »Helene wählt mit gutem Geschmack; das habe ich immer gesagt.« – Tante Klingebeil meinte nach einer Weile: wenn unten im Wasser Karpfen wären und man klingeln könnte! »Dann wäre es so hübsch wie in Charlottenburg,« seufzte eine Dritte, entweder Comteß Aurelie oder der Major. – Der junge Herr von Klingebeil amusirte sich auf die vorragenden Steine unten zu spucken; es wollte ihm nicht gelingen, was ihn verdroß. Darum warf er seine Cigarre selbst hinunter, die aber auch in der weiten Entfernung verschwand. Er gähnte. Das schien seinen Vater anzulocken, auch zu versuchen, was seinem Sprößling nicht gelungen war. Aber auch die zweite Cigarre war spurlos verloren gegangen. Die zweite, sage ich, und dick wie ein kleiner Baumast, so theuer, daß ich nicht wage den Preis, welchen er vorhin verrathen ließ, zu wiederholen, und auch kaum angeraucht! Ja wäre es in Neapel gewesen, dann wären hundert Lazzaroni in's Meer gestürzt, um den kostbaren Schatz aufzufangen. Ja in Neapel! Wie waren die Schutzlosen und Hosenlosen im Toledo vor seinem Gigg zu Füßen gestürzt, um den kleinen Stummel, den die Finger nicht mehr fassen konnten zu entreißen; wie jubelte, gestoßen, beneidet, der glückliche Finder und Besitzer, und wie viel andre, die nicht so glücklich gewesen, hatten mit ihrem: »Mehr, mehr! Noch ein Mal!« sich hinter dem Gigg gestürzt, auch auf die Gefahr hin, vom Huf und Rad getreten zu werden. Und als er in der breiteren Chiaja den zweiten Glimmstengel, jetzt allerdings ein Schatz, hoch aufgehoben und weithin in's dichteste Getümmel geschleudert hatte, war fast ein Aufruhr geworden, der die Polizei bedenklich machte. »Ein Mylordo!« – »Ein Duca!« – »Ein Principe!« eine verlorne Stimme rief sogar: »Ein König! ein Kaiser!« Da hatte Herr von Klingebeil eine Regung gefühlt, die fast eine Thräne in sein Auge drückte: ein liebenswürdiges, ein glückliches Volk! Und dieser Regung folgend hätte er entweder in die Tasche oder in das Cigarrenetui zu greifen sich gedrungen gefühlt, wenn nicht der Polizeisergeant, die Hand am Wagen: »Im Namen des Königs!« Einhalt gethan in die Verschwendung. Konnte es nicht auch das Symbol einer Carbonaroverschwörung sein! Aber höflich, mit bescheidenen Worten, flüsterte der Sergeant die andere Hand öffnend: »Excellenza! Mir lieber einen!«

Ja in Neapel! Aber hier standen keine Lazzaroni, und der Geheime Commerzien-Rath steckte das Etui zu, that es in die Tasche und gähnte auch: »Nun haben wir also die Rarität gesehn.« Im Vertrauen setzte er zum Schwager dazu: »Und dazu vergeuden sie theures vaterländisches Geld, ein Jahr und drüber!« – »Ich bin nur neugierig, sagte der Major im selben Vertrauen, ob die Frau Schwägerin uns Ziegen- oder Katzen-Cotelets vorsetzen wird?« Der Geheimerath flüsterte ihm aber eine vertröstliche Nachricht zu: Aus den piemontesischen Trüffeln, die er in Savona gekauft, hatte er dem Koch eine Partie zustecken lassen. »Im Uebrigen, denke ich, rutschen wir beide noch heut Abend nach Neapel. Im Hôtel de Rome finden wir noch offen.«

Comteß Aurelie bewunderte, als Eginhard im Winkel seinen Staubkittel abgeworfen hatte: »Nein, wie schön, Helene! So habe ich's in der Komödie nicht gesehn.« – »Ich hatte den Herrn auch noch nicht auf dem Theater gesehn,« war ihre zweifelhafte Antwort.

Vielleicht würde Helene es noch nicht abgelehnt haben, wenn Eginhard rasch seinen Arm ihr geboten hätte. Auch schien es so Frau Susanna's Absicht, aber Helene sprach gerade freundlicher, als nöthig war, mit dem albernen Cousin, welcher es seinerseits falsch verstand, und als sie sich umblickte, hatte Eginhard schon der kleinen Valentine den Arm gereicht. Valentine ward zum ersten Male von einem Herrn zu Tisch geführt! – Wer hätte seinen Arm aus dem ihren leicht losgemacht– so wenig als ein Vorhängeschloß, das auf den ersten Druck einschlug. Ach warum kamen lauter ordinaire Bilder und Metaphern dem seinen Mann entgegen? Vermutlich weil die Gesellschaft ihn ansteckte. So also führten sich zwei Paare zu Tisch, welche auch in dieser Gesellschaft Anlaß zu Spott und Neckereien gegeben hätten, wenn nicht – die Gäste hungrig gewesen wären. »Eine Venus mit einem Mondkalb!« dachte Eginhard; was Helene dachte, ist uns nicht verrathen, aber Tante Klingebeil flüsterte zum Major: »Am Ende, am Ende, besinnt sich Helenchen doch; und für die Familie wäre keine bessere Convenance.«

Der erste Gang muß nicht Katzen-Cotelets enthalten haben, denn man griff mit Appetit zu; auch dem öligsüßen, blutrothen Weine der Somma und dem perlenden Lacrymae Christi ward herzhaft zugetrunken, bis der Geheimerath Klingebeil seinem Schwager winkte und zum Kammerdiener leis commandirte: »Nu unsern!« Der »Unsere« kam in einem vollen, wohlgepackten Korbe mit gelb gesiegelten Medoc- und silbernfunkelnden Champagnerflaschen. Die französische Invasion siegte vollständig über die italienischen Truppen. Wenn die Wirthin erröthet hatte, als der Geheimerath seine mächtige Hand auf den Korb gesetzt: »Alles mitgebracht, Frau Schwägerin, bezahlt und versteuert!« beschwichtigte sie, etwas chevaleresk, der Major: »Im Gebiete der Weine weiß Frau Schwägerin, daß nach allen Verfassungen absolute Herrschaft der Männer ist.« – »Wenn uns das Privilegium gelassen wird, entgegnete sie, wenigstens unsere Burg gegen diese Contrebande zu schließen.«

Eginhard wollte dieses Privilegium auch für sich berufen, der Geheimerath ließ es nicht gelten: »Gern geschenkt, und so finden Sie es bald nicht wieder.«

Er hatte so viel nachgegeben, warum nicht auch das! Die Flaschen leerten sich, die Pfropfen flogen schon an die Decke, und Eginhard trank auch. Vielleicht um nicht mitzusprechen; was hatte er in der Unterhaltung mitzureden – wie über Italien judicirt ward, über Land und Leute? Wie scharf und scharfsinnig urtheilt die Familie Klingebeil, und über Dinge, die man im Fluge schwerlich faßt; Eginhard bewunderte, welche Mühe es sie gekostet haben müsse, vorher die Sprache zu lernen! – Man lachte: »gekostet hatte es allerdings!« Am eigenthümlichsten lachte der Kammerdiener, welcher ihm grade Champagner eingoß, aber nur Valentine gab den Schlüssel heraus: »Gott bewahre! daß Onkel und Tante sich drum in Ungelegenheit setzen lassen. Nein, Jean nur mußte sechs Monate lang Unterricht nehmen, Tag für Tag, und jeden Tag zwei Stunden.« – »Und nun weiß er auch für uns Alle Italienisch,« setzte Aurelie hinzu.

Der Wein löste die Zunge, auch unter den schweigsamen Verwandten, von denen wir vorhin bemerkt, daß sie die Ausgabe für unnöthig hielten. Jeder hatte, wenn nichts anderes, doch ein muthwilliges Wort für den andern; nur Helene keines für Eginhard, und Eginhard keines für Helene. Obgleich sie nicht zu fern von einander saßen und sich sehen mußten! Wenn Eginhard hinblickte, beschäftigte sich Helene in ihrer viel zu großen Güte mit dem albernen Cousin, und Helene fand, daß es unbegreiflich sei, wie aufmerksam er auf das Gespräch der naseweisen Valentine hören könne. Und unaufhörlich hören auf – die Schnattergans! Laut sagte sie es nicht, daß Jemand es gehört hatte, aber so laut, daß sie vor sich erschrak. Und das war auch nicht ihre Art; sie war etwas fieberhaft.

Uebrigens paßte das Prädicat auf Valentine. Das dreizehnjährige Fräulein hatte in Kürze nicht weniger als die ganze Familiengeschichte ihrem Nachbar hinterm Ohr mitgetheilt. Nicht hinter einander, sondern bei Gelegenheit; aber die Tafel dauerte lang und das Resultat ihrer Eröffnungen fügen wir zusammen:

Helenens Vater, der Amtsrath, wäre noch der Klügste gewesen, aber leider todt. Von den Todten wisse man immer nur Gutes. Ja, wer wisse das! – Von den andern Söhnen, nämlich Papa Großvaters, wäre der Major – nun ja in der Familie wäre er der gescheiteste, aber – aber zu früh, viel zu früh in schlimme Gesellschaft gerathen, und dann in die Residenz, und in die Garde! Was das heiße, weiß man ja. Was hat er dem Großpapa schweres Geld gekostet, Schulden und immer Schulden und wieder Schulden. Und fêtiren mußte er doch die Cameraden, Dejeuners und Soupers; das schickte sich nicht anders; natürlich, denn er war doch nicht von Stande, also mußte er doppelt auftischen. Und das hatte auch den Großpapa nicht so sehr verdrossen, aber die Opern, Liebschaften, Ballette und die Duelle. Nobilitirt mußte er schon werden, das war wegen der Garde, und Großpapa biß in den säuern Apfel; aber heirathen und Majoratsherr werden, nein daran hat man schon seit langen Jahren nicht gedacht. Wer baut denn sein Haus in einem Sumpfe! hat einmal Großpapa gesagt, und der Major ist auch damit zufrieden. Wozu braucht der eine Frau und ein Haus! Andre Städtchen, andre Mädchen, sagt er, nur nicht in kleinen Städtchen, wo kein Ballet ist. Sonst aber ist er ein braver und prächtiger Mensch, und jetzt macht er auch nicht mehr so schrecklich viel Schulden! Warum? Weil keiner mehr borgt. Die Juden wissen auch, daß er nicht Universalerbe wird.

Die Tanten wurden von dem Schandmaul kürzer bedacht: Zu allen, nämlich Großpapa's Töchtern, wären die Freier wie Maikäfer geflogen. Natürlich, weil Geld da war! Aureliens Vater, lieber Gott, ein Graf wäre er gewesen mit einem langen, langen Stammbaum, aber mager wie das Pergament, wodrauf es steht. – Nichts zu beißen und brechen, als Schulden und Schulden! Schlank, eine Bohnenstange, und ein hübsches Gesichtchen, ja, aber viel Verstand – davon wollte man nicht reden. »Da ward dann viel geweint und geheult, beim See spazirt und geseufzt und der Mond angesehen, bis man's nicht mehr ansehn konnte vor Katzenjammer, sagt der Onkel Major, und der Großpapa erbarmte sich endlich um – die Misere los zu werden. Die Herrlichkeit hat auch nicht lange gedauert, die armen Leutchen! Vorlauter Zärtlichkeit, oder weil sie gar nichts mehr mit einander zu seufzen und zu sagen wußten, sind sie aus Langeweile gestorben. Und – nichts hinterlassen als die arme Aurelie. Ja, die arme Aurelie! Comteß ist sie, und hat eine passable Larve, das wäre aber eine magere Mitgift, wenn wir nicht in die Tasche greisen, sagt Mama. Aber verheirathen werden wir sie schon, wenn sie auch etwas gauche ist und simpel. Lieber Gott, es giebt einfältigere und haben doch einen Mann gekriegt. Einen bürgerlichen, das ist gut genug, und ein Stück Geld zu. Basta! und die Sache ist abgethan; denn reich ist der alte Papa, weit reicher als man denkt, und Aurelie ein gutes Mädchen, und meine liebste Freundin, der ich alles Beste wünsche.«

Gegen die Klingebeilsche Familie schien sie nicht so günstig gestimmt: »Geld ja, aber Edelmann, Gott bewahre! War Comtoirist; mit grünen Kattunärmeln am Pulte, und mein Vater, seliger, der Capitain, fand ihn selbst mal, wie er Kafebohnen zählte, daß Papa sich schämte, solchen Verwandten zu haben! Aber die Leute sagen: Geld bringt Verstand; und zu scharren hat er gewußt, davon weiß Großpapa zu erzählen. Ein Philosoph ist er auch, sagte mein Vater, nämlich wenn Eugen bei ihm steht; das muß man ihm lassen. Der Cousin, denken Sie sich, hat nicht Mal das Officiersexamen machen können, nicht Mal das Portepeefähndrichsexamen; und nur darum ließ sich der Onkel nobilisiren, bloß damit doch sein Sohn doch was hätte, denn sonst ist er ja gar nichts. Und Großpapa hat ihn drum ein Jahr lang nicht ansehn mögen; denn wozu braucht ein Cichorienkönig Edelmann zu werden! Mit der Cichorienfabrik hat er sein furchtbares Geld gemacht und nachher erst mit den Runkelrüben. Mama kann die Cichorien in den Tod nicht leiden, sie riecht es immer, wenn er nur drei Häuser fern ist, und es ist etwas Ordinaires darin; Großpapa aber sagt, die Cichorien wollte er ihm schon zu gut halten, wenn seine Brennereien auch die halbe Provinz verpesten; dann verderbe er doch nur die Luft, mit den Rüben aber ruinirt er den guten Boden. Korn und Waizen, sagt Großpapa, hat der liebe Gott gemacht, aber die Runkelrüben haben die Menschen erst gesteckt, und Niemand soll den Tag loben bis der Abend kommt. Und wenn nicht seine Frau wäre, hielte man's nicht aus vor seinem Geldstolz; Tante Klingebeil allein hält noch die Contenance. Das ist eine brave Frau, wenn sie nur ihren Eugen nicht gar zu sehr mit Affenliebe päppelte und carresirte. Was zu viel ist, ist zu viel, sagt Mama, und was er essen wollte, mußte er kriegen, Delicatessen und Kuchen und immer wieder Kuchen. Das ist nie gut, daß man Kindern alles läßt, was sie wollen, davon werden sie dumm, besonders Kuchen. Und denken Sie, Tante bildet sich noch immer ein, Cousine Helene könnte ihn heirathen! Nein, sage ich doch, was kluge Leute sich einbilden, wenn sie gar zu unvernünftig sind. Ich weiß es besser, ich weiß, was Cousine Helene will, und solch ein Caliban, oder Canibale, sagt Mama –«

Vielleicht hätte er gern ihr Urtheil über Helenen gehört, als die boshafte Schnattergans ihm einen Wink gab. Er war selbst der Gegenstand des Tischgespräches geworden. Die arme Aurelie hatte wieder eine Betise begangen, sie hatte gemeint, Eginhard könne die funkelnde Dekoration nur für große Bravour im Kriege erhalten haben. Einer um den Andern suchte die Comteß zu belehren, auch das Mondkalb: daß ein solcher Orden einem Edelmann schon in die Wiege gelegt werde, und der Major setzte mit großem Ernst hinzu: »Er wird ihm auf die Brust fest genäht, damit er ihn nie verlieren soll. Frage nur den Herrn.« – Aurelie sah ihn unaussprechlich dumm, und Helene unaussprechlich kalt und gleichgültig, oder wie ein Examinator an, welcher auf die Antwort eines Examinanden auf eine verfängliche Frage wartet. Wenigstens glaubte Eginhard das zu sehen, und in dem Sinne antwortete er: »Es kommt darauf an, meine gnädigste Comteß. Orden sind für den Edelmann Anweisungen auf Ehre; entweder honorirt er sie, oder, was dann leider auch passirt, er vergißt es. In dem Falle mag der Herr wohl Recht haben, daß sie nur der Schneider aufgenäht hatte; wir andern aber glauben des Taktes zu sein, hinter dem Stern am Rocke auch den zu erkennen, der wirklich auf dem Herzen geprägt ist.«

Comteß Aurelie ward dadurch nicht klüger; noch kam es darauf an. Niemand verlangte mehr nach einer eigentlichen Unterhaltung, auch nicht mehr nach sprudelndem Witze; der sprudelnde Wein fluthete wie ein Eroberer, der keine Rücksichten mehr duldet, und Frau Susanne sah sich bedenklich nach Unterstützung um.

Der Major war allerdings, wenn nicht der feinste und ritterlichste in der Familie, doch derjenige, welcher die Manieren derselben in der Gesellschaft am besten zu beobachten wußte; der bacchantische Geist der Caserne schien aber immer lauter auch über ihn zu herrschen. Er leerte das neu perlende Glas nicht mehr den anwesenden Damen, sondern auch entfernten, und darunter solchen, früherer Bekanntschaft, welche er in der Wirklichkeit ihnen zu präsentiren wohl nicht gewagt hätte: Italien sei ja so weit! Er musterte das Ballet in Neapel, und auch der Geheime Commerzien-Rath und sein Sohn schienen in dem Fache Kenner zu sein. Umsonst protestirte Frau von Klingebeil gegen solche intricate Confidancen. – »Unter uns, nur unter uns! liebe und gute Frau Schwester,« entgegnete der Major, und die Schleusen waren nicht mehr zu halten.

Der Schaum, welcher auf dem brausenden Meere schaukelte, war keine Göttin, und am wenigsten eine Venus Urania, aber eine Priesterin der Terpsichore. Es war die nämliche Tänzerin, von deren Existenz der Major schon bei dessen erster Zusammenkunft mit Eginhard uns verrathen hat, welche beide Schwäger jetzt plötzlich electrisirte, Verwunderung des Einen, Entzücken beider. »Dieselbe divina Tombacchi!« – »Aber unmöglich! hatte der Commerzienrath eingewandt. Sie müsse ja – er rechnete vor langen Jahren dreißig oder noch weiter, – und der Herr von Klingebeil war ein exacter Rechner. Sie müsse schon auf dem Kehricht sitzen, oder – » Tout au contraire, Schwager, Furore, neue Furore, neue Lorbeeren in Mailand, Turin, Madrid!« – Möglich, daß es ein Phantom gewesen, ein andrer Name, warf noch der Zweifler ein, aber der neue Enthusiast schwor auf Identität, Wahrheit und vorige Jugend der Kunst. Auch die Kritik rief er an: »'s ist ja die – Teufel! wie heißt sie eigentlich? – wir kriegtens ja durch die Polizei damals raus, – ihre Mutter war ein Apfelweib in Breslau, und ihr Vater, wenn sie einen hatte, ein Kesselflicker. Was schiert ein Vater! ihre Springstöcke wirft sie noch wie ein junges Füllen. Das Dragonerregiment in – – hingerissen bis zum letzten Cornet – Eroberungen drei Fouragewagen voll – so kommt sie nach der Residenz, Schwager! Nur der verteufelte Name. – Sie kannten ihn ja auch, Herr – Sie theuerster Herr –«

»Ich kannte ihn!« rief Eginhard, halb aufstehend, und wäre aufgesprungen, wenn Valentine ihn nicht am Rockschooß gezupft und Frau Susanne nicht einen ängstlich bittenden Blick ihm zugeworfen hätte.

Der Major mußte den vorigen Contract vergessen haben, oder war es Absicht? Man hatte zu oft forschend auf den Maler geblickt. Eginhard sah nach Helenen wie der Steuermann, um den Sturm und Nacht toben, nach der Boussole. Ein Blick aus ihren hellen Augen sollte ihn bestimmen, und er blickte nach ihr ernsthaft bittend. Aber keine Antwort. Hatte sie es nicht gesehen, wollte sie nicht? Schmollte sie und konnte es noch in dem Augenblicke, wo jeder die fieberhafte Aufregung ihm ansehen mußte? Sie sah wirklich nicht nach ihm, denn ihre ganze Aufmerksamkeit schien auf ein Paar Püppchen gerichtet, welche der Cousin Eugen aus Brod geknetet hatte, eine Kunst, zu der er wirklich Genie zu haben schien. Sie tanzten auf seiner Hand, und Helene bewunderte es: »Besser wie die Menschen, Eugen, sie trinken nicht, darum fallen sie auch nicht.«

»Ihren Namen, drang wiederholend der Major, ihren deutschen Namen, Herr, Sie müssen ihn ja gehört haben, Tombach oder Tommelback. Wetter, ich entsinne mich, Sie verfertigten sogar ein Gedicht auf sie – ein Akrostichon; nun muß es ja rausplatzen.«

Es platzte allerdings, indem er aufstand und das Glas hob. Aurelie versicherte nachher, er hätte die Lippen zusammen gebissen, ehe er sprach, erst roth, dann leichenblaß. Auf wen sie den Blick schoß, wußte sie nicht, aber es war ein böser Blick. Der Major hörte wohl nur die Hälfte seiner Worte: »Ich kannte eine Dame, ich admirirte sie, die liebenswürdigste ihres Geschlechts, mehr werth als von Liedern gefeiert zu werden, und ich wüßte nichts, was mich bewegen sollte, es vor aller – aller Welt zu bekennen, und wenn sie auch mich nicht wieder kennen wollte, auch meiner lächeln und spotten, änderte es weder meine Gesinnung noch meine Ritterpflicht, den Namen dieser Dame in Kreisen nicht auszusprechen, die ihrer nicht würdig scheinen. Ich kannte und kenne ihn, Herr Major, aber ich nenne ihn nicht.«

Der Major mußte ihn wirklich nicht gehört haben, er hob über den Tisch das Glas: » Bravissima – also la divina Tombacchi! For ever! auf englisch.«

Wenn er nicht absichtlich zurücktrat, hätte er anstoßen müssen; aber er konnte nicht, nicht zurück, nicht anklingen, als faßte ihn ein Zauber. Helene hatte jetzt auf ihn einen Blick geworfen. War's ein drohender, strafender, warnender oder bittender, genug, es war für ihn ein Medusenblick. Das Glas war ihm entfallen und zerbrach. In dem Momente stieß auch Frau Susanna den Stuhl fort. Die Tafel war aufgehoben. Der Situation war es hochnöthig. Helene war leichenblaß, und Aurelie sagte nachher, sie hätte nicht geweint, aber wie eine Thauperle zwischen ihren Wimpern gestanden, und als der Onkel Major sie nach Essen embrassirte, hätte sie wie ein Marmorbild es geschehen lassen. Der Major aber schwor, alte Weine, alte Eroberungen und alte Liebschaften wären der haut gout des Lebens. Auch faselte er von der trojanischen Helene, und stieß ein letztes Glas an mit dem Commerzienrath auf den alten Papatacci Menelaus, der zehn Jahre gewartet und seine alte Helene aus Prinz Paris Harem so schön liebenswürdig und tugendhaft wieder angenommen, als ehe sie sich entführen ließ.

Beim Aufbruch schwankten nicht allein die Flaschen, und der Abend, der hereinbrach, verbarg glücklich das weitere.

»Sie tranken zu viel Wein, flüsterte Valentine, als Eginhard sich zu einer Gruppe drängen wollte. Gehen Sie an's Ufer, um sich abzukühlen.« – Was er gewollt hatte? Er wußte es in dem Augenblicke selbst nicht. Im Anfang der Tafel, die aus dem bescheidenen Frühstück zu einem schwelgerischen Diner ausartete, hatte er den Entschluß verwünscht, die Einladung anzunehmen. Dann war es zu spät geworden. Er trank wenig, um der Kälte und Gleichgültigkeit eben so kalt zu begegnen. Wer bleibt aber kalt, wenn ein Schauer spitzer Pfeile um uns geschüttet werden und endlich das Herz verwundet ist. Und die Bundesgenossin sah gleichgültig zu, unter den Streichen der Feinde! Jetzt, ob er von Helenen Rechtfertigung fordern, oder seine eigene ihr aufdringen, oder, kürzer und bündiger, auf den Major losstürzen wollen, das eben war es, was er nicht gewußt, als Valentine ihn in den Garten riß.

Das dreizehnjährige Fräulein hatte wenigstens Recht gehabt; das fühlte er, und war ihr daher willenlos gefolgt. Hier, auf die Ballustrade sich lehnend, schöpfte er nach Luft; aber es fächelte kein Wind über das Meer. Er preßte die heiße Stirn mit den Händen, und warf sich auf denselben Stuhl, auf dem er einst über das Loos der armen Malerin meditirt hatte. »Es war falsch! Alles Falschheit, Lüge!« – Unfern von ihm stöhnte ein andrer, die Stirn am Citronenbaum, Cousin Eugen. Auf Lacrymae Christi Champagner wird für den Magen nicht angerathen. – »Saubre Familie!« – Aber Niemand kümmerte sich um den andern, Niemand sah ihn.

Ja in Neapel! Er war an seinem Golf, er athmete seine wonnige Luft, er saß und hörte das Plätschern seiner Brandung, das Rauschen des dunkeln Laubes, und nur die Hand brauchte er zu erheben, um die Goldorangen zu fassen. Es war alles Wahrheit; und war, was ihm eben geschehen, vielleicht nur ein wüster häßlicher Traum, und hatte nur der starke Wein ihn überwunden? Was hätte er darum gegeben, wenn es so gewesen wäre; er hätte das Mondkalb beneiden können; aber sein Auge sah, sein Ohr hörte scharf genug durch Dämmerung und Geschwirr. Es war alles baare, niederschmetternde Wirklichkeit; alles, was so schön angefangen, hatte so häßlich ausgehen sollen! Warum? Wie war, wie konnte das möglich sein in dem schönen Italien, im Juwel seiner unerschöpflichen Schatzkammer, an seinem lieblichsten Meeresbusen, im Schooße seiner mit Anmuth umsäumten Berge! Alles formt und rundet sich in dieser Natur, nirgends Schroffes, Rauhes, Verwundendes; seine Gebirge, seine Wasserstürze, der Farbenschmelz auf seinen Wüsten und Ruinen, die Formen seiner schönen Frauen und Männer, der Wohlklang ihrer Sprache, sie schaukeln sich in schönen Wellenlinien; – warum nun hier solche Dissonanz, warum ihm beschieden, das zu erleben, in den höhnischen Abgrund zu versinken! Eine Metamorphose, wie nur Ovid sie geschildert, eine Art ästhetischer Willkür, gegen welche der Dichter schon protestirt hat, als er das sang:

desinat in piscem mulier formosa superne.

wogegen Horaz gewarnt, warum ist es ihm begegnet, das schönste Weib in einen abscheulichen, nein schlimmer, in einen Schweif unübersehbarer Gemeinheit verwandelt zu sehen? freilich, auch grade um diese Klippen und Vorgebirge schwebten Ungeheuer, der Cyklop, die unflät'gen Thiere, welche der Zauberstab der Circe berührt hatte; aber das waren Mährchen der Mythenzeit, und hier, die um ihn, deren Schatten er gehen sah, deren Geschnatter er hörte, waren Geschöpfe der Wirklichkeit, so wahr, wie er sie täglich zu Haus in den Gassen laufen sah, in den Gesellschaften sprechen hörte. Aber darum war er ihnen ja achselzuckend immer aus dem Wege gegangen; um sie nicht mehr zu sehen, war er endlich nach Italien gereist, und sie, in ihrer häßlichsten empörendsten Gestaltung, mußten ihm nachgelaufen sein! – Und wäre es Troß, Staub und Schaum, über den ein guter Ritter und Reiter unbespritzt fortspornt, aber sie, die mulier formosa, das göttergleiche Weib, saß ja selbst mit ihrem züngelnden Fisch- oder Schlangenschweif, sie lächelte, als sei es nichts besonderes, in dem Morast und Pfuhl der ordinairen Geschöpfe. War sie von Anbeginn nur die neckische Undine, als wie sie sich ausgab, das dämonische Wesen, welches in jede Gestalt und jede Stimmung sich verwandeln kann, hinreißend, fesselnd, nur selbst ein Hauch der Lüfte, an nichts gefesselt, nichts gebunden, weil die Seele ihr fehlt?

Hatte das schöne Weib ein Spiel mit ihm getrieben? – Nein; der bessere Geist brach wie ein Morgenwind durch die schwere Kette von Alpträumen; das konnte, durfte nicht sein, es war eine Wahrheit in ihr, in ihr allein, er wollte es als Ritter vertheidigen, gegen manniglich, zuerst gegen sich. So richtete sich Eginhard auf; er hätte lange, er hätte bis zum andern Morgen da liegen können, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Frau Susanna hatte einen ihrer Ohnmachtsanfälle erlitten, Helene rief und lief umher, die Tanten riethen, um zu helfen oder zu verwirren, und der Major und der Geheimrath prüften den Kaffee, der nicht stark genug war, und wetterten gegen den Kammerdiener. Er hatte vergessen, Liqueur zu besorgen.

Da glänzten schon einzelne Sterne an dem rasch dunkelnden Horizonte, die nächtlichen Schatten füllten schon die umwölkten Orangengärten von Sorrent, als Eginhard sich losriß. Jetzt aber hielt auch er sich an einen Citronenbaum, nicht um sich daran zu stützen, nur um im Schatten desselben unbemerkt zu bleiben, als der Major vorüber ging. Den suchte er ja vorhin und zuerst, und auch jetzt, aber – das hatte bis morgen Zeit; es konnte auch durch einen Dritten abgethan werden. Er war jetzt wieder beruhigt, er fühlte: er darf nicht den Frieden des Hauses stören. An des Majors Seite ging dessen Schwager. Aus ihrem Wechselgespräch flogen nur einzelne Worte:

»Fünfzig tausend Gulden, allerhöchstens, als der Domherr starb. Sonst, ruinirte Familie! Nur der Landforstmeister, sein Onkel, hatte noch etwas Intus – damals – aber –«

Der Major schnalzte durch die Lippen: »Den wollen wir mal ablaufen lassen, Herr Schwager. Mit einem Eclat, auf Seele, daß sie davon erzählen sollen.«

»Dummes Zeug! spuckte der andre. Noch besser, wenn der Alte seine Millionen für einen Habenichts gesammelt hätte.«

Der Platz vor der erleuchteten Gartenstube war hell genug, um Helenen und ihre Züge zu sehen. Sie war herausgetreten, ungefähr in der Bewegung wie Eginhard vorhin. Sie wollte auch nach Luft. Wie eine heidnische Priesterin hatte sie die Arme der Mondsichel entgegen gestreckt, dann Kopf und Auge fest gedrückt. So stand sie und glaubte ganz allein zu sein; aber neben ihr stand Eginhard. Krampfhaft zitternd hatte er schon ihre Hand ergriffen; er wollte sie an seine Brust drücken, er wollte ihr vielleicht zu Füßen stürzen: »Helene, jetzt oder nie!« Aber er fühlte eine marmorkalte Hand, so marmorkalt ihre Haltung, so schien der Gesichtsausdruck. Er fuhr wie vor einer Erscheinung zurück.

»Jetzt oder nie? – Jetzt, Unbesonnener! – Sie sind erhitzt. – Wenn Sie Ihrer so weit mächtig sind – fort, fort! Verlassen Sie uns. Das ist das beste; besser doch als das schreckliche Nie. – Meine Mutter ruft, sie ist krank, krank von diesem – o Gott, es war zu viel – viel zu viel für heut und mich.«

Sie hatte sich losgerissen und war fort. Eginhard gehorchte, wie ein gebannter Geist dem Bannspruch des Exorcisten. Gehen mußte er, rasch, fort, auf der Stelle; sie hatte es ja befohlen. Und wenn nicht sie, warum wäre er geblieben? Was hatte er noch hier zu thun? An der Thür wollte er dem alten Daniel ein schweres Geldstück in die Hand drücken. Er wies die Hand zurück und wandte ihm, wie strafend, den Rücken. »Auch das noch!« – Aber ein andrer Arm hielt ihn noch zurück: »Ich habe Alles gehört, ich weiß Alles, Alle sind gegen Sie, aber verlieren Sie nickt die Courage. Ich will der gute Schutzgott meiner Cousine Helene sein, und Sie, – und Sie, obgleich Sie's auch nicht verdienen, ich werde Sie schon protegiren.« – War das noch etwas mehr? dachte Eginhard, als sie das »Maulaffe Du!« glücklich noch auf den Lippen zerdrückte. Im Laternenlichte sah ihm Valentine mit dem etwas zu großen Munde und schielenden Auge sogar häßlich aus: »Geh zu Bett, Kind, und schlaf aus – wie wir Alle!« – Mit komischem Zorn hielt die Kleine ihm die geballte Faust nach: »Du auch! – Kind! – Und ich nicht betrunken! Ich allein nicht. Wenn ich Helenen nicht so sehr gut wäre, so – so solltest Du auch erfahren, daß ich kein Kind mehr bin. Aber alle diese Menschen sind Kinder, und weiter nichts, und nicht werth – Pah!«

Frau Susanna mußte wieder hergestellt sein; denn in der Mitternachtsstunde, wo das Haus leer geworden, hatte sie schon ein langes Gespräch mit Helenen, die an ihrem Bette stand, gepflogen. Daß die beiden Schwäger schon am Abend nach Castellamare Extrapost genommen, »um sich von dem mühsamen Tage etwas in Neapel zu erholen,« war der Mutter eine Beruhigung.

»Daß die alte Aventure, welche der Schwager so unverzeihlich vortrug, Dich nicht gegen ihn irritirt, hat mich befriedigt,« sagte Susanna.

Helene nickte: »Noch habe ich ihm die Bravour verargt, daß er den Vorfall nicht zu verbergen oder zu verschönern suchte. Er wollte es nicht besser machen, als es war, und das könnte ich ihm eigentlich gut schreiben; aber es ist nur ein Zug mehr des ganzen Charakterbildes, vor dem ich erschrecken muß. Uns alle noch im Augenblick beherrschen zu wollen, wo wir Alle uns gedrückt fühlten; als wir zitterten, daß ein Wort die Luft entzünde, noch den Herrn und Gebieter und mit voller Sicherheit zu spielen! Er hätte doch auch an mich denken können, wie ich auf Foltern lag! Und so meine erste, einzige Bitte, die ich an ihn richtete, nicht zu berücksichtigen! Ohne einen Wink, ohne ein Wort, wie ein Ueberirdischer vor uns zu erscheinen! Wollte er mir oder den Anderen mit der Dekoration imponiren!«

»Ohne Widerspruch ein sehr schlechter Geschmack, indeß –«

»Weit mehr, Mutter, eine Geringschätzung gegen uns Alle. Sollten wir ehrfurchtsvoll in die Kniee sinken vor – Gott weiß was!– Nein, nein, Mutter, so jämmerlich denkt er, so klein denke ich ihn nicht; aber es war eine übermüthige Spielerei, oder der unermeßliche Hochmuth, daß er durch sein Ich Alles überwinden könne, die Verhältnisse, die Familie, Dich, mich! Ich sollte vor Ueberraschung, Freude, Rührung lautlos bleiben, vielleicht so ihm an die Brust sinken, vielleicht fragen: Ist das möglich? O dann wäre er großmüthig, edel, liebenswürdig, o er wäre alles mögliche gewesen, aber oben blieb Er, und Ich – was denn für ein farbloses Tagesgeschöpf, das seine Sonne anscheinen, beleuchten und zur Existenz rufen wollte!«

Nach einer Weile sagte die Mutter: »Und – das Resultat?«

»Wie kann denn ein Capitain, liebe Mutter, sagen, wenn sein Schiff vom Sturme geschaukelt wird, in welchen Hafen er einfahren werde?«

Susanna seufzte: »Ach, wer so viele Stürme schon erlebte, wünscht doch, daß er auf ruhiger See nach dem letzten Hafen segeln könnte!«

»Segeln, ja! Wir müssen reisen, entgegnete Helene, ihre Hände küssend. Wir reisen, Mutter! Morgen! Gute Nacht!«

*

Am andern Morgen schrieb Eginhard zwei Briefe. Der eine, ein kurzes, bereits gesiegeltes Billet an den Major von Bauerkoth hatte nicht viel Mühe gekostet. Desto mehr der zweite, denn er war die Antwort auf ein Billet, welches der alte Kammerdiener Daniel vorgestern Eginhard zu überbringen vergessen hatte. Wenn er es nicht zu spät vergessen hätte, würde Eginhard den schweren Brief an Helene nicht geschrieben haben, wahrscheinlich auch nicht das Billet an den Major. Es wäre alles, alles anders gekommen.

Helenens Billet lag vor ihm auf dem Tische; er mußte oft nachsehen, denn zuweilen zitterte er im Schreiben, und so unsicher war seine Handschrift, daß er wenigstens ein Mal zerreißen und neu schreiben mußte. Der Inhalt des Billets fing eigentlich sehr einfach an. Helene meldete den Besuch der Verwandten, welche sie morgen erwarteten; deshalb bitte sie ihn morgen nicht zu kommen. Warum, darüber später? Schon stand ihr Name darunter, als eine Nachschrift kam, wo alles herausbrach, so unordentlich wie der vorige zierlich war, und wie es aus der Feder, oder aus dem Herzen floß. Sie bat ihn dringend, nur morgen nicht zu kommen. Die Verwandten – ach es wäre so schwer das auszusprechen – diese Verwandten würden, müßten – Einmal hatte sie das nächste Wort unterstrichen, dann dick darüber gekritzelt und plötzlich auf's neue deutlich daneben geschrieben: »Diese Verwandten könnten ihre heißesten Wünsche stören.«

An der Stelle hätte Eginhard vorgestern sicher das Papier geküßt. Es war ja das erste Wort, das erste Mal geschrieben, schwarz auf weiß, was sich nicht ausmerzen läßt aus dem Wörterbuch der Liebe, sie hatte von ihren heißesten Wünschen gesprochen. – Aber das nachher! – Warum versuchte er die Verwandten im Allgemeinen zu charakterisiren, auch die Erwähnung vom »ehrwürdigen Großvaterpatriarchen,« den sie mit innigster Verehrung liebe, wo aus den Falten seines Schlafrocks etwas von seinen Hunderttausenden blitzte? Dazu gar wohl die Bilanz eines Contobuchs! Wozu ihm das? – Aber der vernünftige Schluß am Ende gab die nur zu klare Erklärung:

»Vielleicht wäre Pflicht gewesen, Sie früher in unsere Verhältnisse blicken zu lassen; aber die natürliche Furcht, daß es Sie zurückschrecke, hielt mich zurück. Verzagen Sie nicht, mein Freund, aber lassen Sie mich allein alles vorbereiten. Ich will als treuester Advocat für Sie auftreten. Die Klippen, welche so drohend, die Abgründe, welche zu tief scheinen, werden vor dem Muthigen verschwinden, und von den Besonnenen allmälig überwunden werden.«

»Eiskaltes Wasser auf einen Liebesbrief!« So hatte er am Abende das Billet gelesen und auf den Boden fallen lassen. »Brauche ich denn einen Advocaten! – Hatte ich etwa vor Klippen gezittert, vor Abgründen gezagt!« – Sein höhnisches Lachen war gewiß noch die Nachwirkung vom heißen Weine! Aber er hatte die Nacht durch gelacht, zuweilen freilich auch geweint. Dann rief er, den Kopf am Arme stützend: »Eine vollendete Menschenlarve, von Prometheus in der geweihtesten Morgenstunde geformt, vom Athem eines Gottes beseelt, von Minerva unterrichtet, und von den Grazien angehaucht, so schön und vollkommen, daß die Olympier von ihren Höhen mit Entzücken auf sie sehen, – laßt sie drei Wegesstunden auf dieser staubigen Erde der Verhältnisse wandeln, und ihr ganzer Mechanismus knarrt vom Rost der Conventionen!«

Zehn Mal hatte er entschieden: es war ja auch nur ein Auroratraum der Poesie – der Traum und die Poesie verschwunden. Schon als sie ihn für trunken erklärte, von sich wies, war ja die Ehe gebrochen. Sie hatte sie gelöst; was hast Du noch zu thun? – Aber so oft protestirte das Herz dagegen, und die kalte Vernunft trat am kühlen Morgen zum Beistand für dasselbe auf.

Er hatte es ja Schwarz auf Weiß; sie liebte ihn. Durfte er Eine verlassen, die offen bekannt hatte, daß sie ihn geliebt? Und lag nicht die Arme in einer abscheulichen Familie, verstrickt in canibalischen Verwandtschaftsbanden, ein zarter Schmetterling, der sich eben entfaltet, unter den Tasten und Griffen häßlicher Mistkäfer; war ihm nicht Ritterpflicht, ein anderer Perseus eine andere Andromeda, sie zu retten, befreien! Ja, auch wenn sie ihn gestern von sich wies, auch wenn sie heut ihm wieder den Rücken weisen wollte, dennoch wußte er ja, er konnte es mit dem heiligsten Eid beschwören, es war nicht so. Helene mußte wünschen, daß er als Mann, Ritter, immerhin auch als Tyrann, auftrete. Er mußte sich, so zu sagen, ihr aufdringen, als ihr Paladin, Vormund, und gleich heut.

In diesem Sinne schrieb er den förmlichen Heirathsantrag; er war kurz, deutlich, mehr als ruhig: »Die Klippen, welche Helene so drohend, die Abgründe, welche ihr so tief erschienen, dünkten einem Manne, welcher Den Stürmen der Welt schon als Schiffer getrotzt, nicht so überaus gefährlich. Er scheue weder die, welche man ihm gestern in der Wirklichkeit gezeigt, als die Klippen, welche hinter der ungewissen Zukunft sich thürmen könnten. Gewiß, nicht um sie zu erschrecken, aber als berufener Steuermann halte er es für eine Freundespflicht, auch sie auf solche sogenannte Klippen und Abgründe aufmerksam zu machen. Wenn auch in seiner alten und makellosen Familie manches Spukgesicht und manche Perrücke, setzt wie vordem die Stirn runzeln und sich verstimmt fühlen sollten über neue Namen, die in dem Nahmen ihres historischen Ahnensaales Platz fordern, so hoffe er doch, daß sie beiderseitig mit Lächeln oder mit Seelengröße darüber hinwegsehen werden, sie aber überzeugt und des Vertrauens sein, daß er immer als Mann handeln, richten und entscheiden müsse und werde, er allein, was auch die Familie dagegen einwende!

Auf die zwei Briefe kam der eine zurück. Der Major hatte Sorrent schon am vorigen Abend verlassen. Das Schreiben werde ihn gewiß nicht in Neapel, wahrscheinlich auch nicht mehr in Rom und Italien erreichen, war mit Bleistift auf die Adresse bemerkt, weshalb angemessener scheine, es dem Adressanten zurückzustellen. Der andre Brief war von Helenen. Sie lehnte den Heirathsantrag mit sehr freundlichen, aber bestimmten Worten ab.

»Wenn ein starker Mann, welcher den Stürmen der Welt schon getrotzt, über die Klippen und Abgründe lächle, so fühle sie, ein schwaches Mädchen, sich nicht derselben Stärke. Die Besorgniß, in der makellosen Reihe einer historischen Familie nur mit Verstimmung aufgenommen zu werden, und das Bewußtsein, nicht die Seelengröße zu besitzen, um gleichgültig scheelsüchtige Blicke um sich zu sehen, habe sie schon bestimmt; auch wenn die Leiden einer edlen Mutter, welche dieselben Gefahren mit der Verfehltheit ihres Lebens gebüßt, sie nicht aus ihrem Traume ausgeschreckt hätten.«

»Wer habe geahnt, schloß sie, daß hinter dem zu schönen Morgentraume aus dem krystallnen Meere solche schwarze Klippen aufschießen mußten! Eben weil er zu schön, sei er unmöglich gewesen. Wir spielten eine Maskerade. Dort über der Scylla und Charybdis – ein ominöser Ort! – Wir spielten das Spiel fort, in Verwegenheit übermüthiger Kinder. Glaubten so sicher zu sein, daß wir, keinen Augenblick um uns blickend, der Wirklichkeit und ihrer Winke spotteten. Das war Vermessenheit. Wundern wir uns nun, daß es auch als Maskerade endete, ja als schaale Komödie? Und das ist schade, weil es so hell und schön und heiter angefangen. – Ein Fatum, mein Freund. So bin ich bekehrt.«

Er studirte nicht den Brief, aber die Stelle, wo ihre Unterschrift stand. »Ob nicht die Spuren einer einzigen Thräne?« Er hätte ein größerer Chemiker sein müssen als er war, sie zu entdecken; denn ein Tropfen aus seinem Auge verlöschte die trockene oder feuchte Stelle!

*

Bis Mittag hatte Helenens Familie gerastet, und sie segelten mit ihren Verwandten auf einem größern Kahn nach Neapel zurück. In der Gesellschaft war eine peinliche Stimmung; sie fühlten alle, es war eine Reise auf Nimmerwiedersehen von Italien. Auch Valentinens Späße wurden nicht goutirt. Die Rad schlagenden Delphin amusirten nur die jüngeren Mitglieder; aber Helene schrak krampfhaft zusammen als Eugen gesagt: »Die schießen Burzelbäume.« Als Tante Kriesewitz meinte: diesmal habe er doch nichts unkluges geäußert, entgegnete sie fast scharf: »Nein, gewiß nicht; aber aus seinem Munde ist es Profanation.« Die Tanten sahen sich verwundert au und glaubten, Helene wäre seekrank.

Aber sie waren im Irrthum; Helene erschrak auch nicht, als durch Zufall ein anderer kleinerer Kahn mit ihnen kreuzte. Er flog, vom Winde getragen, pfeilschnell in der Richtung nach Ischia, und als er, ein fünfzig Schritt von ihrem Schiffe, vorüber segelte, erkannte man die Person darin. »Der Maler – von gestern,« rief Tante Klingebeil. »Heute sieht er ja wie ein Leichenhahn aus!« sagte Eugen.

Der Herr im kleinen Kahne lüftete höflich seinen Hut; die Damen grüßten auch höflich. Eginhard und Helene blickten länger als die Uebrigen einer nach dem andern. Es wäre erstaunenswürdig, sagte die eine Tante: wie weit Helene über's Meer sehen, die andre: wie musterhaft sie die Contenance behalten könne. In Eginhard's Kahn war Niemand, um Beobachtungen zu machen, wie weit er über's Meer sehen und die Contenance halten könne? Aber als die beiden Kähne so weit auseinander waren, daß man die Gesichtszüge nicht mehr sehen konnte, wandte Helene sich plötzlich auf die andere Seite und verbarg ihr Gesicht, auf die Bank zusammengesunken. Ob Frau Susanna bemerkte, daß sie schwach wurde, weiß ich nicht, aber sie bedeckte sie mit ihrem Shawl. »Sie fröstelte nur etwas,« meinte die andere; die Mutter nickte dazu, zur Tochter aber flüsterte sie; »Du liebes, liebes Kind; auch für die Starken kommt die Stunde, wo sie schwach werden.«

In der Gesellschaft herrschte ein unbehagliches Schweigen. Wenn sie Lust hatten zu reden, scheuchten die ernsten Gesichter der Mutter und der Tochter es zurück. Doch müssen sie vieles im Stillen verhandelt haben, denn als Aurelie schüchtern gefragt hatte: was denn die Macht der Verhältnisse wäre? und die Orakel schwiegen, hatte die Cousine ihr etwas in's Ohr geflüstert. Niemand hörte es wieder, aber es klang wie: »Wenn ein Bedienter einen Brief erst morgen bringt, den er schon gestern gebracht haben sollte.«

Als sie auch in Neapel zur Abreise fertig, und die Wagen in der San Lucia schon gepackt waren, kritzelte Helene noch gedankenvoll mit dem Diamantring an der Fensterscheibe. Das Stubenmädchen, welches seiner schönen Prinzessin, wie sie dieselbe nannte, vom Fenster aus nachsah, fand unverständliche Buchstaben und Worte in der Scheibe. Deutsche, welche nachher das Zimmer Annahmen, lasen den Inhalt: »Nur die Verhältnisse haben uns getrennt.«

*

Seltsam! – In der Insel Ischia schießt aus deren smaragdenen Feldern und Berggeländen ein steiler, todter Fels in die Wolken empor; als wäre die ganze Insel der Grabhügel seines Riesenleibes. Es ist der Pic des Epomeo, der ausgebrannte Vulcan, der noch im Mittelalter Ischia verwüstet und umgebildet hat. Auf jener Klippe, dem höchsten Auswurf, den der Vulcan in die Wolken sprühte und wieder versteinert zurück ließ, wohnt ein Einsiedler, der in dem Bimssteine seine Höhlen maulwurfsartig gebohrt hat. Und darüber, auf der äußersten Spitze des Hornes, wo selten ein Fuß sich auf die schwindelnde Höhe wagt, fanden Deutsche eine deutsche Inschrift eingegraben, etwa der Art wie die in der Fensterscheibe der Santa Lucia: »Nur, die Macht der Verhältnisse riß uns auseinander.«

Der Einsiedler erzählte ihnen, daß ein Deutscher mehre Wochen hier gewohnt hatte. In einer der kleinen Höhlen, wo kaum Erbsenstroh zum Lager aufzutreiben war, schlief er oft Tage lang, offenbar halb närrisch, ob er doch ein vornehmer Herr war: denn er pflegte von Morgens bis Abends auf dem Horn zu reiten und schaute nach der Gegend, die freilich schön ist, denn man übersieht unter sich, wie auf einem grünen Teller, die ganze Insel und das wunderschöne Meer mit Vorgebirgen und den andern Eiländern, so lockend, daß bekanntlich Ulysses Jahrelang daselbst blieb; aber ein vernünftiger Mensch muß doch endlich, meinte der Eremit, auch des Paradieses satt werden. Wenn man ihm die Frage stellte, warum er das thue? gab er verschiedene Antworten: nur Luft zu athmen, oder um keine Menschen zu wittern. Oder was doch fast ganz unsinnig schien: hier merke er zuerst, woher der Wind kommt. Zu einem Polizeibeamten, der endlich doch hingeschickt worden, um wegen des langen Verweilens und der eigentlichen Absicht des Sonderlings zu untersuchen, hatte er entgegnet: er lebe hier nur, weil es hier keine Verhältnisse gebe. Die Obrigkeit hielt diese Angabe confus und verfälscht, und vermuthete auf einen Falschmünzer; als sie aber auf's Neue den Berg hinauf schicken ließ, war er schon auf einem Schifferkahne längst über alle Berge. Zum Eremiten hatte er gesagt: nach Deutschland, weil der Wind dort sich gedreht. Und der Einsiedler ihn wieder gefragt: was ihm das nütze? hatte er geantwortet: weil der Wind die Verhältnisse rüttele und schiebe; nur das sei noch zweifelhaft, ob er in den Aether oder in's Chaos fahren werde. Der Eremit, überhaupt kein Dummkopf, machte dabei eine schlaue Miene, und die Polizei eine Note davon. Eginhard steht im schwarzen Buche in Neapel verzeichnet, und wehe Einem, der dieses Namens sich über die Gränze beider Sicilien wagt; er wird sofort als Falschmünzer oder noch schlimmer in einen der Kerker geworfen, wo nur Erdbeben, Revolution oder der Tod die Gefangenen erlösen.

Die Hieroglyphen, wenigstens der neapolitanischen Polizei, welche Eginhard in den Bimsstein des Epomeo gekritzelt hat, waren noch in späten Jahren zu lesen, dahinter fand sich aber jetzt noch eine andere frischere Inschrift, Verse, von einem deutschen Reisenden offenbar als Antwort auf die vorige eingegraben. Sie lautete:

Was Du Verhältnisse schiltst, wird dann erst zu Mauer und Burgwall,
Wenn Du mit männlichem Muth nicht dran zu rütteln gewagt;
Stachelt nicht Liebe Dich, Stolz, und wurzelt im Busen der Hochmuth
Ach dann versteinert zum Fels, was Dich nur, Schatten, geneckt.

Daß die Hexameter etwas hölzern sind, bedarf keiner Erwähnung; aber bedenke man, welche Mühe es kostet, auf Bimsstein Verse zu schreiben, und die Situation, auf welcher der Schreibende dabei unter dem Horn des Epomeo liegen muß. Es ist keine Kleinigkeit!

*

Auch in der Fensterscheibe der Santa Lucia hatte man eine andere Ueberschrift gefunden, die wahrscheinlich ebenfalls Antwort auf die vorige gewesen sein sollte.

»Für den Fürchtenden sind die Verhältnisse diamantene Ketten; für den Beherzten werden sie oft nur klappernde Vogelscheuchen.«

Die Scheibe ist indeß nicht mehr: eine neue ist eingesetzt mit einer andern Inschrift. Die Cameriera erzählt jetzt darüber: etliche Jahre nach jenem Vorfall habe sie in einer schönen Dame, welche im Hotel eintrat, sogleich dieselbe erkannt, die damals dort gewohnt; aber jetzt nicht mit einer kranken Mutter, sondern mit einem stattlichen Herrn, der ihr Gemahl war. Als die Dame eilte, um das Fenster aufzureißen und nach dem Golf und Vesuv zu sehen, stieß sie einen Schrei aus und zugleich sprang die Scheibe. Ob es nun zufällig gewesen, weil sie so heftig stieß, oder absichtlich, die Scheibe ging entzwei, und die Glasscherben fielen auf den Boden. Als der Herr sie aufheben wollte, entspann zwischen beiden ein kleiner Streit, aber nicht im Bösen, meinte das Kammermädchen; sie wollte, er solle die Scheiben nicht lesen. Er lächelte, und das wichtigste war. daß die Dame und der Herr beide erklärten, sie hätten Schuld, daß die Scheibe zerbrach, und wollte das Glas bezahlen lassen. Der Glaser mußte auch am selben Tage die neue Scheibe einsetzen, aber als die Herrschaften nächsten Tages wieder fortfuhren, und zwar nach Sorrent, was sie gar nicht abwarten konnten, fand man auf der neuen Scheibe wieder gekritzelt. Oben stand: adesso siamo unid. Das verstand sogleich das Stubenmädchen, es bedeutet: »Nun sind wir vereinigt.« Darunter aber standen mit festerer Handschrift die Worte: per ardua ad astra, welche ein Abbate, sein Beichtvater, dem Mädchen so erklärte: »Nach wie unsäglichen Schwierigkeiten sind wir doch zum Ziel gelangt.« Diese Scheibe sieht man noch jetzt in der Sante Lucia.

 

*

 


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