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Mein Oheim war ein wunderlicher Kauz, aber an Geister glaubte er nicht. Sie waren ihm so verhaßt, daß er selbst das Wort geistreich nicht leiden mochte. Er war es selbst nicht, aber pfiffig, und die ihn näher kannten, versicherten, in der Art und Weise, wie er den Zopf trug, stecke etwas Apartes, und wie er den Rauch ausblies, da sei Methode darin; und ich muß bekennen, daß, wenn er blinzelte unter den schneeweißen Brauen, und ein Blitz seines hellen Auges mich traf, ich mir immer etwas Besonderes dabei dachte. Doch kann ich mich getäuscht haben, da ich den Seligen nur selten besuchte. Von seiner Pfiffigkeit und dem zuweilen schrecklichen Blitzen seines Auges wußten alle die viel zu sagen, welche mit Rechnungen zu ihm kamen. Er pflegte ihnen anzudeuten, daß sie sich zu einem Wesen scheren möchten, welches er zweifelsohne auch zu den Geistern zählte, und fand es unbillig, daß ein alter Major, der es als Leutnant mit den Juden, als Rittmeister mit den Österreichern und Reichstruppen aufgenommen, im Alter mit den ...nötern, wie er sie titulierte, nicht fertig werden sollte. Er behauptete, ein Krieg, wie der Siebenjährige, komme nicht wieder; es wäre ein schöner Krieg gewesen: die selige Tante aber meinte dann immer, seine Nase wäre damals noch nicht so rot gewesen. Das ästimierte er nicht.
Mit der neuen Zeit war er dagegen unzufrieden; er meinte, ein Soldat brauche nicht gelehrt zu sein, man erzöge die Jungen zu naseweis, und die Poesie, die er in seinen jungen Jahren geliebt – er kannte Kleists Gedichte auswendig –, sei jetzt verrückt geworden, seit man kurze Verse mache, katholisch sein müsse und an Ahnungen glaube. Ein Schüler Galls behauptete einmal, er sei ein Geisterseher. Mein Oheim nahm das ruhig hin, wie vieles; er steckte aber nie etwas ein. Er sah den jungen Doktor scharf an, schlug den Pfeifendeckel zu, wünschte den übrigen Ressourcemitgliedern eine wohlschlafende Nacht und sagte dem Mediziner: sie zögen ja eines Weges. Es war Mitternacht geworden, eine helle Mondnacht. Mein Oheim führte den Begleiter gerade über den Kirchhof. Er wollte ablenken, aber mein Oheim sagte nein, und wenn mein Oheim nein sagte – nämlich in seiner Garnison –, so pflegten die andern nicht ja zu sagen. Er führte ihn mitten auf den Kirchhof, und dort lud mein Oheim den Mediziner ein, sich auf ein Grab zu setzen, und er nahm neben ihm Platz. Es ist aber wohl zu beachten, daß mein Oheim noch ein sehr starker Mann, daß es eine warme Sommernacht war, und daß er den Mediziner am Arm festhielt, wenn er etwa Miene gemacht hätte, davonzulaufen. »Nun wollen wir doch einmal sehen, wer von uns ein besserer Geisterseher ist«, sagte er und zündete sich die Pfeife an. Beide waren mutterseelenallein; es ging kein Lüftchen, keine Tür knarrte, es raschelte keine Maus, kein Heimchen zirpte, und beide sprachen in einer ganzen Stunde kein Wort – so nämlich wollte es mein Oheim. – Als es eins schlug, stand er auf und sah den Doktor gerade an: »Was haben wir denn nun gesehen?« Der Mediziner kramte allerlei aus, was seine inneren Augen gewahrt; mein Oheim aber sagte, indem er wieder den Pfeifendeckel zuschlug: »Ich habe nichts gesehen als einen Schafskopf.«
Die Geschichte wurde im Städtchen ruchbar – ich weiß nicht, wer sie ausgeplaudert, meines Oheims Art war es nicht – und der Doktor war seitdem die Freundlichkeit selbst gegen meinen Oheim. Denn ihm verdankte er in seinem Museum den kostbar präparierten Schädel eines Hammelkopfes, und er sagte zu jedermann, es wäre derselbe Kopf, den mein Oheim in der Geisterstunde gesehen. Er versicherte gegen jeden – und darin mußte man ihm glauben, denn er war dazumal der einzige Doktor –, es wäre ein äußerst seltener Kopf, und ein Schöps, wie der, dem er einst gehört – jetzt gehörte er ihm –, werde nicht zweimal geboren. Sonderbarer- oder gerechterweise hieß seitdem mein Oheim »der Geisterseher« im Städtchen, und er schien es nicht übelzunehmen. Im Gegenteil zog er viel bedächtiger den Rauch ein und schmunzelte auf eine eigene Weise, wenn man ihn so titulierte. Man bekam es heraus, daß er oft viel klüger als andere sei, daß er vieles vorausgesagt, was nachher eingetroffen, zum Beispiel daß nach des Bürgermeisters Tode ein anderer das Amt bekommen, daß die französische Revolution eine arge Geschichte werden würde. Auf sein »ja! ja!« und sein Kopfschütteln bei bedenklichen Dingen gab man jetzt mehr als je acht, und bat ihn gern zu Gevatter, denn er fand immer die Namen für die Kinder heraus, welche den Nagel auf den Kopf trafen.
Mein Oheim hielt den Wein für ein gesundes und gutes Getränk, womit ich nicht sagen will, daß er den Punsch, Grog und andere Getränke nicht für gut gehalten hätte, und meine selige Tante meinte, sein Pontac müsse wohl stark sein, da er sein pommersches Gut hineindestilliert habe. Sie waren aber beide herzlich frohe Leute und immer guter Dinge, und wie er den Pontac, liebte sie den Kaffee, und wenn er beim Pontac wenig sprach, so sprach sie beim Kaffee desto mehr, und was das Merkwürdigste war, sie bestritt niemals ihren Freundinnen, daß ihr Mann ein Geisterseher wäre; im Gegenteil ließ sie es ganz deutlich merken, daß sie es auch glaube.
Es war einmal etwas Besonderes, ich weiß nicht was, gefeiert worden, und die Stammgäste der Ressource sahen in ihrem Rauch-, Wein- und Eckzimmerchen dem Staub im großen Tanzsaale zu. Einer verglich ihn dem Pulverdampf in einer erstürmten Redoute. Der andere meinte, es schwirre ihm wie ein Hexentanz vor den Augen, wenn die Blitzmädchen so vorüberführen. Ein dritter meinte, wenn nur solche Hexen auf Walpurgis tanzten, wäre er selbst bei der Partie. Ein vierter – es war der Doktor, und er hatte eben Schillers Geisterseher gelesen – seufzte, daß in der Mark und Pommern von eigentlichen interessanten Geistergeschichten gar nichts vorkäme. Mein Oheim blies eine ungeheure Wolke schußgerade aus dem Munde, daß ihre Vorposten bis ins Tanzzimmer sich verloren, und sah den Mediziner ungemein pfiffig an; dabei kraute er sich hinter dem Ohr, und es kam wie ein Seufzer heraus, als er sagte: »Meint Ihr?«
»Obristwachtmeister, Sie glauben also doch?«
»Ich glaube gar nichts, was ich nicht fassen kann.«
»Geister lassen sich aber doch nicht fassen.«
»Es kommt drauf an.«
Alles war Aug' und Ohr.
»Herr Bruder,« sagte der alte Major von den Musketieren, »hast du schon einen Geist gefaßt?«
»Ja!« war die ebenso kurze als unerwartete Antwort.
Ich saß dabei im Winkel, man hatte mir ein Glas Wein eingeschenkt und ein Stück Kuchen gegeben, aber ich habe den Oheim in meinem Leben nicht mit so feierlicher Miene gesehen als wie er die eine Silbe und das eine Wörtchen Ja vorbrachte. Es gab bleiche Gesichter; der Doktor faßte sich selbst an, einige rückten näher, einige ab und alle erwarteten eine Aufklärung, die auch wirklich auf den Lippen des Oheims schwebte.
»Deine Frau hat selbst gesagt, du wärst ein Geisterseher; rücke einmal heraus.«
»Hm! hm!« machte mein Oheim, »die Frau hat manchmal recht.«
Die Ungeduld stieg, und das schien meinem Oheim recht.
»Es wird doch keine natürliche Historie sein von einer Gans, einem Ochsenkopf oder sonst so einer Erscheinung?«
»Erscheinungen leugne ich überall,« sagte mein Oheim, »es muß etwas Faßliches bei sein, wenn ich glauben soll. Ich bin ein Pommer, und ein pommersches Gespenst ist etwas anderes als ein schottländisches, und wie der dumme Aberglaube sonst heißen mag.«
Der Doktor erörterte mit vieler Gelehrsamkeit, wie die Menschen die Produkte ihres Landes und die Geister nur die Extrakte der Menschen wären; wie die Gespenster in Illyrien und den Hochlanden daher notwendigerweise etwas anderes sein müßten als die in Pommern, und ein Geist in den Ländern, wo man Wein trinke, ein ganz verschiedenes Wesen von denen, wo man Branntwein brennt und von Kartoffeln lebt.
Jemand wandte ein, daß die Gespenster doch nicht äßen und tränken; mein Oheim aber sagte, der Doktor wäre ein kluger Mann und in seiner Theorie läge eine handgreifliche Wahrheit. Der Doktor war zufrieden, die anderen aber nicht, denn sie verlangten keine Theorie, sondern eine Gespenstergeschichte.
Es war schon spät geworden; die Tänzer pausierten oder waren davongegangen; mein Oheim gehörte aber nicht zu denen, die davongehen, am wenigsten, wenn noch halbvolle Flaschen dastanden, und von den Ressourcegliedern im vertrauten Winkel wollte auch keiner davongehen, sondern eine Geschichte hören.
»Herr Bruder, du hast also pommersche Geister gesehen?«
»Ja.«
»Sie haben gegessen?«
»Ja.«
»Und getrunken?«
»Ja.«
»Am Ende auch getanzt?«
»Ja. – Macht die Türen zu.«
Das Signal war gegeben, die Pfeifen verschwanden aus den Mündern, der meines Oheims spitzte sich sehr redselig, was wohl bei Gelegenheiten geschah, aber nur bei außerordentlichen. Er bat um Attention, um Diskretion und daß man ihn nicht unterbreche. Die Tabakwolken sammelten sich an der Decke und schauten in dunkelm Spiele auf die erwartungsvolle Stille und Eröffnungen herab, welche das geheime Treiben der Geisterwelt profanieren sollten.
*
»Bald nach dem Siebenjährigen Kriege«, hub der Oheim an, »reiste ich durch Hinterpommern, um ein Gut an der Ostsee, welches durch den Tod eines Verwandten mir zugefallen war, zu besehen und in Besitz zu nehmen. Unterwegs überfiel mich einst die Dunkelheit, und es war in jener Zeit nicht ratsam, in einer stürmischen, finsteren Oktobernacht in heidereicher Gegend allein bis zur entfernten Stadt zu fahren. Sah mich daher genötigt, das nächste Dorf um ein Nachtquartier zu requirieren. Wie weit wir auch den holprigen Dorfweg durchfahren waren, nämlich ich und mein alter Wachtmeister, alles schien bereits im tiefsten Schlafe zu liegen, und nur die verdammten Kettenhunde liefen und kläfften um unsern Wagen. Endlich zeigte sich doch wo ein Licht. Es kam aus dem Kruge. Flugs war ich aus dem Wagen, um vors erste durch das erleuchtete Fenster das Innere zu rekognoszieren. Dicht um den Tisch gedrängt saßen, wie mir's schien, mehrere Honoratioren des Dorfes. Aber die Kerle spielten nicht und sprachen auch nicht vom Alten Fritz. Es war kein lautes Jubeln, sondern ein geheimnisvolles Flüstern, wobei sich einer oder der andere verstohlen umsah, ob auch nichts in der Nähe sie beschleiche. Sie können denken, daß ich kurios war und nicht zur Tür hineinplatzte. Und wenn ich alles behalten habe, was die Kerls drinnen gesprochen, so können Sie auch denken, meine Herren, daß das seinen Grund hat. Es war ein Förster, ein Kantor, der Schulze, und ich glaube auch ein Barbier. ›Wie lange das wohl noch werden wird‹, sagte der Förster; ›es kann doch keinen Segen bringen, solange das Ding im Dorf sein Wesen treibt.‹ Der Kantor erwiderte: er hätte in seiner Jugend mitunter die Collegia der professorum in Halle besucht, aber allzeit von der Unmöglichkeit solcher Wesen gehört; und der selige große Thomasius daselbst hätte, daß er sich so ausdrücken dürfe, den Diabolus in eigner Person zum Teufel gejagt. ›Ob der König auch dergleichen glaubt?‹ fiel ein alter Bauer ein. ›Erst soll er hierherkommen‹, sagte nun der Schulze, ›und sich in meinem Garten hintern Birnbaum stellen, wenn's schummerig wird. Wer's, wie ich, oft gesehen hat, wie der Mordarm dann angezogen kommt vom Schlosse her, mit der Nachtmütze und den großen rollenden Augen – der muß wohl an was glauben lernen. Es ging mir durch Mark und Bein, wie er durch die alten Weiden schritt, daß sich ihre Zweige wie Haare auf dem Kopfe sträubten, und wie er dann ins Schilf am See trat und den Schierling pflückte.‹ ›Es reichen keine zehnmal, daß ich's gesehen, und man gewöhnt sich daran‹, fuhr der Förster fort. ›Ob er nun aber erlöst werden wird, und wer das sein muß, weiß kein Christenkind; allein fest ist er, das ist gewiß. Als mein Bursche zum erstenmal hier auf Anstand war im Teichrohre nach wilden Enten, kam ihm der Mordarm dicht entgegen, daß der Junge sich erschrak. Aber er drückte auf ihn die Flinte ab, und die Kugel pfiff durch die Luft, daß der Bursche krank wurde.‹ Und dabei sahen die Kerle nach dem Fenster, als ob sie's auf mich abgesehen. Der Wind pfiff mir um die Ohren und ihnen in den Kamin; das war ihnen aber just recht, denn sie meinten, in solchem Herbstwetter gehe er um und klopfe an die Türen – nämlich im Schlosse. Ich aber klopfte an die Tür, nämlich von der Stube; nicht um des Mordarms wegen, sondern meiner Ohren, die den Wind nicht vertrugen.
Die Nachtschwärmer fuhren zusammen und wurden leichenblaß. Erst als ich mich ihnen deployiert und ajustiert hatte, daß sie vor Säbel und Portepee etwas Respekt, aber keine Furcht mehr hatten, kriegt' ich so viel Antwort, daß dies das einzige Wirtshaus im Dorfe, diese Stube die einzige im Hause, und das Himmelbett der Wirtsleute das einzige Bett in der Stube wäre. Der Schulze mußte wohl aus meinen Mienen lesen, daß diese Antwort für mich ein schlechter Trost sei, als er mir den Vorschlag tat, nach dem herrschaftlichen Schlosse zu fahren, woselbst ich auf freundliche Aufnahme rechnen könne, welche keinem Fremden, zumal aber keinem preußischen Offizier verweigert werde, indem der junge Herr selbst bei der Armee gestanden.
Ihr mögt denken, daß ich die Weisung recht gern annahm, und meine warmen Gliedmaßen waren mir lieber als der Bauern ihr Mordarm, weshalb ich mich denn flugs auf die Beine machte und des Wirtsbuben seine dazu nahm. Wie wir vor dem großen Tor standen, daß ich's fühlen konnte, entließ ich ihn mit der Laterne und einem Silberstück, fand aber bald, daß es geratener gewesen, den Burschen oder wenigstens seine Laterne bei mir zu behalten; denn soviel ich auch an der eichenen Tür pochte und schellte, niemand wollte hören. Der Wind sauste ärger als je im Hofe und durch das verwitterte alte Gebäude, das halb unbewohnt schien, und mit offenen Fenstern und halbgedecktem Dache Sturm und Regen einlud. Endlich knarrte ein kleines Mauerfenster, und das schläfrige Gesicht einer Art von Burgwart oder Verwalter guckte 'raus. Der Mann schien gar nicht geneigt zu dem, wozu ich geneigt war; er führte an, seine Herrschaft sei auf einem Ball, mit Sack und Pack und Mann und Maus davongefahren, alle Türen wären verschlossen, und kein Auftrag ihm zurückgelassen. Als ich indessen meine eigene Sprache mit ihm führte, die die Pommern besser verstehen als französisch, und den Säbel auf dem Pflaster klirren ließ, zog der Verwalter mildere Saiten auf und bedauerte endlich gar, als er die Torflügel geöffnet, daß er dem Herrn Leutnant nur die leere Fremdenstube im alten Schloßflügel anweisen könne. Ich sagte, ich würde mit allem fertig, mit Menschen, Vieh und Logis, und überdies, da ich heut müde, wäre ich geneigt, zu allem ein Auge zuzudrücken, selbst über einen ungastfreundlichen Empfang. Das fleckte, wie alles fleckt, wenn man nur zum Menschen die rechte Sprache spricht. Nachdem sich beide Teile näher beim Laternenscheine betrachtet, sah ich, daß der Kerl eine ehrliche Physiognomie und silberweißes Haar hatte; und er mochte auch sehen, was an mir war, und in Pommern braucht man sich nicht lange anzusehen, um sich zu kennen. Man schüttelt sich die Hand, und dann ist's gut. Als Pferde, Wachtmeister und Kutscher untergebracht waren, und ich die steinerne Treppe hinauf der Laterne des Verwalters eben folgen will, stand der alte Narr, so dachte ich, plötzlich still, und fragte mich mit bewegter Stimme: ›Wollen Sie nicht lieber in meiner schlechten Stube vorlieb nehmen?‹ ›Sehr gern, aber weshalb?‹ ›Ich weiß nicht, mein Herr, von welcher Natur, das heißt von welchem Glauben Sie sind. Aber wer nicht ein ausgemachter Freigeist ist, den möchte ich jetzt nicht in die Zimmer führen, welche nur in der Not gebraucht werden und heut die einzigen offenen sind. Mit einem alten Worte – es spukt oben.‹ ›Wer denn?‹ fragte ich. ›Ist's eine Urgroßmutter?‹ ›Ach, lieber Herr Leutnant,‹ sagte er, ›eine Urgroßmutter reicht noch nicht aus.‹ ›Mensch,‹ sagte ich, ›schon eine simple Großmutter müßte lange rütteln, wenn sie mich heut wecken wollte.‹
Der Verwalter sagte nun kein Wort mehr, sondern führte seinen Gast die Treppe hinauf. Es war gerade kein wüstes Schloß mit Blenden und Falltüren und drohenden Steinbildern, wie sie sich heute in den Romanen finden; doch aber war es nichts weniger als heimlich in den öden Gemächern mit grauen Wänden, durch welche der Zugwind ungehindert strich. Wenn aus dem morschen Gebälk aufgeschreckte Fledermäuse uns um die Köpfe flogen und ein Marder durch eine Luke aufs Dach sprang, hielten wir wohl beide unwillkürlich still. Aber dann dachte ich an die Schwadron, die ich bei Kunersdorf kommandiert, und rief: ›Vorwärts!‹ Wenn der Verwalter gesagt hatte, daß die Herrschaft mit Mann und Maus auf den Ball gezogen, so war das buchstäblich falsch, denn Herden von Mäusen und Ratten raschelten über die Dielen. Endlich kam ich an das bestimmte Zimmer. Es war aber eher ein Saal, geräumig, noch in ziemlichem Stande und mit Fetzen alter Tapeten verziert. Von Möbeln war wenig mehr als ein großes Himmelbett zu sehen. Indessen mich verlangte eben nach nichts mehr als nach einem Bette. Ich dankte für Essen und Trinken, zündete das Licht an und entließ den Alten mit der Bitte, noch heute nacht, wenn die Herrschaft vom Balle zurückkäme, mich ihr zu empfehlen. Erst da fiel es mir ein, daß ich mich ja nicht einmal nach dem Namen des Gutsbesitzers erkundigt hatte. In wenig Minuten aber dachte ich daran nicht mehr im hochgetürmten Bette. Wenn ich etwas gedacht, so war's, ob ich die Stallfütterung auf meinem Gute einführen sollte oder nicht, und dann, weiß der Himmel wie's kam, dachte ich an ein hübsches Frauenzimmergesicht, das mir auf dem Friedensball in Berlin in die Augen gefallen war und nicht wieder hinaus wollte. Aber als das Bett warm war, war die Stallfütterung und das hübsche Gesicht längst fort, und mein Kopf versank in das Kissen, um das mehr als zehn pommersche Gänse bluten mußten. Indes ich träumte weder von den blutenden Gänsen noch von dem hübschen Gesicht, noch von der Stallfütterung, sondern habe, wenn mich nicht alles täuscht, geschnarcht, wie's meine Gewohnheit ist.
Da weckte mich ein sonderbares Getöse.«
»Wie war das Getöse, wenn ich fragen darf?« fragte der Doktor.
»Es pustete und hustete und sauste und quiekte, wie das bei Gespenstern natürlich ist.«
»Kein Kettengerassel, Herr Obristwachtmeister?«
»Nichts davon. Es quietschte und kicherte zwar dazwischen; das konnte aber eine alte Tür oder der Wind sein, wie er durch die Schornsteine, Gewölbe und Gänge sein Spiel treibt. – Ich habe nichts mit den Winden zu tun und legte den Kopf wieder aufs Ohr. Aber nun stöhnte es, grunzte, schlürfte, schnalzte, knapste, klappte.« –
»Womit denn?«
»Mit Pantoffeln, lieber Doktor – warf Wandschränke, Kastendeckel, Türen zu.« –
»Hat es nicht auch mit Schlüsseln geklirrt?«
»Allerdings.«
»Auch miaut?«
»Dessen entsinne ich mich nicht mehr; aber nun schlug der Kettenhund an.«
»Auf dem Hofe?«
»Auch unterm Bette.«
»Die Sache wird höchst interessant. Sie hatten also auch einen Hund bei sich?«
»Nun klappt es, springt es, huscht es, läuft es, flattert es die Treppen herauf, die Türen springen auf und es ist da.« –
»Das wilde Heer?«
»Nein.«
»Was denn?« fragten alle mit einem Male.
»Sie können sich meine Situation denken. Mein Hund lag unterm Bett und ich drinnen, es war mit einem Male Licht im Zimmer, und ich konnte alles sehen, sie aber mich nicht, denn ich hatte halb meine Gardine vorgezogen. Der Angstschweiß, das will ich Ihnen bekennen, stand mir auf der Stirn, die Füße waren eiskalt, und das Deckbett zupfte ich bis ans Kinn.«
»Fuhren Sie nicht mit dem Kopf unter die Decke?«
»Nein.«
»Und mit dem Säbel springt man dann auch nicht auf die Beine«, bemerkte der Doktor.
»Gewiß nicht, besonders in meinem Kostüm.«
»Was sahen Sie denn?«
»Sieben Mädchen, eine immer hübscher wie die andere, aber die siebente war die hübscheste.«
»Das nenne ich attrappiert!«
»Warten Sie nur.«
»Pommersche Fräuleins sind die Geister gewesen. Da haben wir die ganze Geschichte.«
»So dachte ich auch.«
»Aber wie kamen sie dahin?«
»Ich weiß nur, wie sie wegkamen.«
»Wie denn?«
»Just wie sie gekommen waren, nämlich wie der Wind. Sie sausten, huschten, sprangen, lachten, klappten – nämlich mit Pantoffeln – vorüber.«
»An Ihrem Bett?«
»Doktor, Sie scheinen von der Situation unterrichtet. Dicht an meinem Bett vorüber. Rits, rats, ging die Tür hinter ihnen wieder auf, ein langer Kerl polterte 'rein. Sie krischten, wie man's in Pommern nennt, auf, und husch waren sie fort, der lange Kerl hinterdrein. Die Türen flogen, schlugen, klinkten, krachten zu, daß mir die Ohren weh taten, und es war duster wie vorher.«
»Ließen sie nichts zurück?«
»Ja, die eine.«
»Einen Schwefelgeruch oder einen Rosenduft?«
»Nein, einen Blick.«
»Auf Sie, Major?«
»Auf mich. Ich war aber damals noch Leutnant. Und denken Sie sich meine Verwunderung, als es dasselbe Gesicht war, das mich auf dem Ball in Berlin so inquietiert hatte.«
»Sie war vermutlich aus Pommern in der Pension dort. Was taten die sechs andern?«
»Die sahen mich nicht an und nickten mir auch nicht schelmisch zu, und waren nicht so hübsch und nicht so adrett angezogen, und hatten nicht so niedliche Füße, sondern stießen, drängten, traten sich – kurz, sie waren ungeschickt, und die eine allein war geschickt und hatte Augen, die sie zu brauchen wußte.«
»Aber der lange Kerl, lieber Bruder?«
»Das rät man ja,« sagte der Doktor, »es war ein Bedienter, der seinen Fräuleins, die vom Balle kamen, die Mäntel nachtrug. Hörten Sie weiter nichts?«
»Ja, es schlug ein Uhr vom Kirchturm.«
»Die pommerschen Bälle sind früh aus. Es klärt sich alles auf ganz gewöhnliche Weise auf.«
»So dachte ich auch, lieber Doktor.«
»Und was taten Sie?«
»Ich schlief wieder ein.«
»Und als Sie erwachten?«
»Stand die Sonne schon hoch am Himmel, und mein Freund, der Leutnant..., an meinem Bette. Ich darf Ihnen im voraus vertrauen, daß er der Bruder des hübschen Gesichts war, das mir beim Berliner Ball zu Kopf gestiegen, und ich mußte mich rasch anziehen und meinem Freunde in den Saal unten folgen, wo ich der beim Frühstück versammelten Familie vorgestellt wurde.«
»Das wird nun ein schönes Gelächter gegeben haben, als die sieben Fräuleins um den Kaffeetisch saßen.«
»Nichts von dem. Sehr ernste Gesichter, steife Knixe.«
»Aber die Fräuleins?«
»Saßen sieben an der Zahl um den Tisch, standen auf, sahen mich an, setzten sich wieder hin, betrugen sich wie halbe Kinder, zischelten, steckten die Köpfe zusammen, lachten und sprangen, als sie sich an meinen Schnurrbart gewöhnt, um mich her, als wenn ich nicht da wäre.« –
»So ungeschickt wie in der Nacht?«
»Nicht ganz so. Sie hatten auch viel frischere Backen.«
»Aber das siebente Fräulein?«
»Hieß Annlieschen, und wurde etwas rot, als sie mich sah. Ich glaube, ich wurde es auch. Als sie das merkte, sagte sie: ›Ich glaube, ich habe schon mal das Vergnügen gehabt. Sie zu sehen.‹ ›O ja, mein gnädiges Fräulein!‹ sagte ich. ›Beim Friedensball in Berlin‹, sagte sie zum Vater gewendet. Ich sagte: ›Ich glaube, ich habe seitdem noch einmal das Vergnügen gehabt.‹ ›Daß ich doch nicht wüßte!‹ sagte das schnippische Kind, und sah dabei so ruhig aus, als wäre in ihrem Leben keine Lüge über die allerliebsten Lippen gekommen. Na! dachte ich, und dachte für den Augenblick nichts weiter. Späterhin dacht' ich: I nu, sie schämen sich wohl über den Spaß; es ist besser, du hältst den Mund und bringst die schalkhaften Dinger nicht in Verlegenheit. Kommt Zeit, kommt Rat, und du gibst Revanche für den Spaß! Der Vater war ein verständiger Mann und ließ sich's angelegen sein, den Freund seines Sohnes zu unterhalten. Weiß nicht, ob er was merkte, daß mir's gefiel und warum mir's gefiel; merken ließ er es wenigstens nicht. Es fehlte nicht an Einladungen, daß ich bleiben sollte, solange ich wollte, und wenigstens acht Tage. – I, dachte ich, haben meine Kühe solange auf der Wiese gefressen, kann eine Woche länger nicht schaden. Also ließ ich die Stallfütterung sein, konversierte mit dem alten Papa und dem Leutnant, und gab mir Mühe, Annlieschen auch ins Gespräch zu ziehen. Aber Annlieschen antwortete wie ein Husar, der rapportiert, knapp ab, nicht eine Silbe mehr als not tat. Aber aufgepaßt hat sie auf alles, das weiß ich jetzt, und sie ging nicht vom Tassenspülnapf und Nähzeug ab, das heißt solange wir in der Stube waren. Wir sprachen nun, wovon man so spricht: wieviel Klafter Holz der Papa jährlich schlägt, was Weizenboden ist, über die Kriegskontributionen, die Pfandbriefe, die inskribiert werden sollten auf das Rittergut, vom Wert der Gebäude, daß sie unbequem aber solid wären, und der Papa meinte, das Hinterhaus rühre noch von den heidnischen Pommern her, worüber aber der Sohn lachte, denn er wollte wissen, die alten Pommern hätten nur von Balken und Lehm gebaut. Darüber ereiferte sich der Vater und pries die dicken Mauern von Feldstein, die gar nicht von Christen gebaut sein könnten, bedauerte aber, daß ich darin die Nacht zugebracht, weil es feucht sei und der Wind, trotz der dicken Mauern, durchkomme. ›Weißt du auch,‹ sagte der Leutnant, ›daß du dort den Besuch von Gespenstern erwarten konntest?‹ Gut, dachte ich, jetzt kannst du Revanche geben, wandte mich also, den Kopf etwas vor, zu Annlieschen und sagte: ›Wünschte nur, daß die Gespenster allemal so holdselig ausschauen möchten als wie vergangene Nacht.‹ Stellen Sie sich vor, das Fräulein sah mich an, als wäre sie eben erst geboren, und sagte: ›Sagen Sie zu mir etwas?‹ – Ich dachte – doch was soll ich euch alles sagen, was ich gedacht habe. Wir besahen die Wirtschaftsgebäude, frühstückten zum zweitenmal, und als die Glocke zum Mittag rief, war ich doch wieder hungrig und führte Annlieschen zu Tisch.«
»Es war eine lange Pause nach der Suppe,« so fuhr mein Oheim fort, »als der Koch leichenblaß hereinstürzte und mit ein paar Worten ein großes Unglück deklarierte. Ragout und Braten lagen umgeworfen in den Kohlen. Alle sahen sich stumm an. Der Verwalter hatte es wohl gedacht, und ich dachte mir auch etwas, aber nicht das, was kam. Nämlich der Gutsherr, statt nach einem Stock zu greifen, verzog das Gesicht und winkte mit der Hand und blinzelte mit den Augen: ›Schon gut, schon gut! kein Redens weiter‹, und befahl, was an kalten Speisen da wäre, herbeizuschaffen. Darauf wandte er sich entschuldigend zu mir, und äußerte, der pommersche Domestik sei nun einmal ungeschickt, und man müsse mehr als Langmut besitzen. Ich dachte mir etwas anderes dabei, und meinte, nämlich für mich, es täte was anderes gut. Überhaupt kam mir nun die ganze Sache nicht richtig vor. Aber da er Wein über Wein einschenkte und die Gläser klingen ließ auf das Wohl von Fern und Nah, den Alten Fritz nicht zu vergessen, wurde ich so wohlgemut, daß ich endlich auch auf den ›verdammten Koch!‹ anstieß, denn ohne sein Ungeschick hätte der alte Herr wohl nicht den Tokaier Ausbruch springen lassen.
Auch der Nachmittag des Herbsttages verging unter angenehmen Gesprächen, in die sich nun doch auch zuweilen die Fräuleins mischten, so daß mir der Wagen viel zu schnell vor der Tür stand, um die Hausgenossen zu einem benachbarten Edelmanne zu fahren. Ich selbst mußte leider zurückbleiben, hatte allerlei Briefe für den morgenden Postboten zu schreiben. Es war mir aber ganz lieb, als Annlieschen mir sagte, daß sie gewöhnlich schon früh von dem Besuche zurückkehrten. Ab kutschierten sie; ich hatte, wie es einem Kavalier ziemte, den Wagenschlag zugemacht, und sah nun noch aus meinem Saalfenster ihnen nach.
Als auch der letzte Staub auf der Straße verschwunden war, hatte ich volle Muße, das alte Gebäude gehörig in Augenschein zu nehmen. Es war ein viereckig kunstlos aufgerichtetes, drei Stock hohes Haus und hatte ein hohes geradauslaufendes Dach. Die Fenster, nach Bequemlichkeit groß oder wie enge Luken in die Mauern geschlagen, gingen auf einen Hofraum aus, der, mit Gras und Unkraut dicht überwachsen, nur Schweine und Federvieh beherbergte. Die Wirtschaftsgebäude lagen auf dem neuern Hofe. Ein verfallener Steinbrunnen stand in der Mitte dieses öden Platzes, und drüben über der moosigen Feldsteinmauer erblickte man einen Teil des Dorfes mit dem Schilfteiche. Das graue alte Ding selbst diente nur zum Aufbewahren der Kornvorräte und sah daher auch beinahe so trostlos aus wie ein Magazin, wo nichts drin ist. Nur am äußersten Ende hatte der Verwalter sein gewölbtes Zimmer. Sonst war es so ein recht echtes Raubschloß für Mäuse, Ratten und Fledermäuse. Ihre Nester guckten vor aus jedem morschen Balken.«
»Prächtig! prächtig!« rief der Doktor, »daß es in Pommern noch solche Schlösser gibt!«
Ich muß bemerken, daß mein Oheim diesen Abend besonders freundlich gegen den Doktor war und gern das Wort an ihn richtete. Ich glaube, nur ihm zuliebe hatte er die interessante Lokalität so äußerst genau beschrieben. Er nickte ihm wohlgefällig zu und hub wieder an, nachdem er ein Glas Rheinwein geleert:
»Also, meine Herrschaften, war es nun wohl natürlich, daß ich den verdammten Koch gesehen habe.«
»Wen?«
»Das Ungetüm aus dem Schilfteiche?«
»Freilich derselbe, der den Braten in die Kohlen geworfen hatte, was ich ihm nie vergeben werde.«
»Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Aus meinem Fenster eben da.«
»Bei hellem Tage?«
»Es war schon schummrig.«
»Wie sah er aus?«
»Ganz hager, wie vier aneinandergebundene Ellen; eine weiße Jacke und eine weiße Schürze hatte er um, und eine Nachtmütze auf dem Kopf, und seine Haare, pechschwarz, gingen wie ein Borstwisch in die Höhe.«
»Hatte er sonst keine Attribute?«
»Er hielt ein Bündel Schierling in der einen Hand und in der andern eine große Kelle. Husch! fuhr er damit aus dem Schilfteich auf, husch war er über die Mauer und im Hofe.« –
»Pardon, Herr Bruder! Wie konntest du den Schierling vom Kerbel unterscheiden, wenn es schon beträchtlich dämmerte.«
»Herr Bruder! als ob man nicht die Geister gerade nur wenn's finster ist sieht.«
»Die grauen Weiden werden sich geschüttelt und geschaudert haben.«
»Ganz richtig, lieber Doktor. Und mag es nun sein, daß es schon sehr dunkel war, und ich noch etwas hell vom Tokaier; aber etwas Weißes habe ich gesehen, darauf will ich schwören, und da klopfte es mir hinten auf die Schulter.«
»Der Koch?«
»Nein, mein Wachtmeister.«
»Es ist mir doch noch nicht ganz klar, die Erscheinung des gespenstischen Kochs.«
»Mir auch nicht, lieber Doktor; was tut das aber zur Sache? wir kriegen noch mehr Gespenster. Fort war er, wie ich mich umgesehen, und ich sah nichts als die Brennnesseln um den Brunnen.«
»Vermutlich war er in den Brunnen gesprungen.«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach. Indessen schalt ich den Wachtmeister, daß er mich so erschreckt; er aber meinte, es gebe so viel Schreckhaftes in dem verdammten Steinneste, daß sich niemand über einen ordinären menschlichen Schreck zu beklagen habe. Als ich ihn aufforderte, mit der Sprache nicht hinterm Berge zu halten, mußt' ich soviel hören, als eigentlich kein preußischer Offizier ruhig von seinem Wachtmeister anhören darf: daß er die ganze Nacht kein Auge zutun könne, denn unter ihm und über ihm hätten sie ihr Spiel getrieben. Im untersten Keller habe es angefangen zu lärmen und Schlösser und Kasten wären aufgeschlossen worden; darauf sei es die Kellertreppe heraufgesprungen und habe geraschelt wie Mäuse; über den Hof sei es in kleinen Flämmchen gesprungen, und habe dann wieder unter den Krippen im Stalle wie Ratten genagt, daß die Pferde wie toll in die Höhe gesprungen wären und die Futterketten zerrissen hätten. Er habe sich nicht aus dem Bette herausgewagt und sei erst wieder froh gewesen, als das Ungetüm weiter hinauf in das Schloß gepoltert sei. Übrigens solle, wie er im Dorfe gehört, das ganze Schloß von vergrabenen Schätzen, Kobolden, verwünschten Prinzessinnen, kleinen Leuten und derlei voll sein, und müsse über kurz oder lang einfallen, indem diese Unholde alles unterminierten und jede Reparatur hinderten. Doch dürfe niemand im Schlosse davon sprechen, und wenn er nicht fürchten müsse, augenblicklich fortgejagt zu werden, so könne der Verwalter vielerlei erzählen.«
»Also waren Sie doch nicht der einzige Geisterseher daselbst. Herr Obristwachtmeister?«
»Pardon! die sieben Fräuleins habe ich allein gesehen. Sie mögen nun denken, wie ich meinen Wachtmeister ausschalt, der schon um solcher Lumperei willen den Lärm machte, und nicht einmal den verdammten Koch gesehen hatte. Die Ratten und Mäuse, sagte ich ihm, wären alle bei mir zum Besuch gewesen; er möchte sich schämen, daß er seinem Herrn nicht zu Hilfe gesprungen wäre; übrigens solle er sich zum Teufel scheren und mir beim Koch eine Bowle Punsch bestellen.«
»Wozu das, wenn ich fragen darf?«
»Zum Trinken, lieber Doktor; es war kalter Herbst und die Finger froren mir.«
»O ich errate. Nun wird die Tür aufgeflogen sein und herein tritt mit dem Punschnapf der verdammte Koch.«
»Beinah. Der Punsch kam und der Koch auch, und es war ein verdammter Kerl und sein Punsch auch; denn ein süßer Stadtherr hatte schon vom bloßen Dampf die Engel können pfeifen hören. Ich sagte ihm das, um ihm was Angenehmes zu sagen, da ich ihm am Mittag kein angenehmes Gesicht gemacht, von wegen des Bratens. ›Ja, gnädiger Herr!‹ sagte er, sich hinter dem Ohr krauend, ›das macht sich hier nicht anders von wegen des verdammten Kochs und der grauen Itschken.‹ Nun wußt' ich, woran ich war, hatte meinen Punschnapf vor mir, den er auf ein Kohlenbecken stellen mußte, ließ, nachdem wir ein paar Gläser probiert und ihn gut gefunden, zur Vorsicht noch ein Viertel Arrak zugießen, etwas Zucker und Zitronen zutun, und schrieb nun an meinen Briefen.«
»Wer waren nun die grauen Itschken?«
»Ei, mein werter Doktor, Sie werden doch wissen, was graue Itschken sind? Das läßt sich ja aus der Naturgeschichte beweisen: sie kommen als Irrwische, Flederwische, Flöhe, Grasmücken: hüpfen, springen, flattern, knistern, wispern; sind keine Erscheinungen, aber lassen sich nicht fassen wie ein elektrischer Funke, der allerdings etwas ist und doch nichts wird, wenn man ihn greift als eine Attrappe. Ich schrieb also an meiner Eingabe an den Kriegsminister. Weiß der Himmel indes, der Punschnapf dampfte so, daß das Papier grau schien und die Linien bergauf, bergab gingen. Ich wollte dem Ding ein Ende machen und trank den Punsch Glas für Glas aus, aber es dampfte immerfort. Nun lehnte ich mich etwas über, machte die Augen zu und – konzipierte weiter an den Kriegsminister. Wenn man die Augen zumacht, so hört man viel besser, wie Ihnen bekannt ist. Ich hörte nun jedes kleine Geräusch, selbst meine eigenen Gedanken, wie sie kamen und gingen. Das Feuer knisterte in dem ungeheuren Kamine, die Kohlenbrände brachen zusammen und das Feuer ging aus – hörte ich nämlich. Ich hörte das Licht abbrennen, die Schnuppe herunterfallen. Nun muß ich aber etwas geschlafen haben, denn mit einem Male war es alles anders um mich. Türen gingen auf und zu, aber behutsam: Schränke wurden aufgeschlossen, Tische und Stühle gerückt. Gläser klimperten, aber alles behutsam, es wisperte und flüsterte und schlürfte und kicherte, aber ganz im Stillen. So scharf hört man in dergleichem Zustande des Hellsehens, daß man nach dem leisesten Tone die Entfernung mißt; wenn jemand niest, weiß man, ob er allein oder ein anderer bei ihm ist; aus dem bloßen Gähnen kann man abkalkulieren, wie alt jemand ist. Ich nun wußte aus dem Stuhlrücken, Gläserklimpern, Wispern, Flüstern, Schlürfen und Kichern, daß dies ganz dicht in meiner Nähe vorging; daß es sieben Wesen waren, Mädchen: daß sie Punsch tranken und um meinen Tisch saßen. Alle sahen mich mit verhaltenem Atem an, alle platzten vor Lust, laut aufzulachen, alle hatten die Pantoffeln unter dem Schemel stehen und kauerten mit unterschlagenen Beinen auf den Schemeln.«
»Das sahen Sie?«
»Nein, ich fühlte es oder hörte es. Nun schwärzte eine den Pfropfen, um mir einen Backenbart zu malen, die andere drehte einen Papierzopf aus meinem Konzept, und Annlieschen schenkte ein Glas voll, was sie mir an den Mund halten wollte. Nun stellen Sie sich, meine Herren, meine Verlegenheit, meine Angst vor. Sollt' ich weiter mit mir spielen lassen, sollt' ich die Augen mit einem Male aufschlagen und das Spiel verderben und die Mädchen in die peinlichste Verlegenheit setzen? Wie der Entschluß kam, weiß ich nicht; ich fühlte das Glas an den Lippen, ich hielt es in der Hand – und die Augen waren auf.«
»Und Sie sahen?«
»Alles, was ich gehört und gefühlt hatte.«
»Und die Mädchen flogen nicht auf und davon?«
»Nicht im geringsten. Sie nötigten mich zu sich.«
»Und es war genau Fräulein Annlieschen und ihre sechs Schwestern?«
»Bis auf das Habit, das nur ein paar hundert Jahre älter sein mochte. Ich machte meine Reverenz, und hielt mich etwas an den Lehnstuhl, als ich so anfing: ›Meine hochzuverehrenden Fräulein –‹ aber das Fräulein war noch nicht halb aus meinem Munde heraus – und ich sah noch, wie Annlieschen vor mir stand, die Hände kreuzweis auf der Brust, das Köpfchen übergebückt und aus den lieben hellen Augen zu mir aufschielend –, als die Tür auffliegt, der lange weiße Koch mitten unter uns steht, mit der Kelle in den Napf schlägt, daß das Porzellan in tausend Stücke bricht. Das Licht fällt um, geht aus, die sieben Mädchen lassen ihre Gläser fallen und stoßen einen Schrei aus, den man bis Demmin gehört haben muß. Die Schemel poltern um, die vierzehn Beine fahren in die vierzehn Pantoffeln, es stößt, drängt, kreischt, schreit, schlorrt, heult, flucht – nämlich der Koch – und im nächsten Augenblick alles verschwunden.«
»Durch die Tür?«
»Nicht anders, es ging alles natürlich zu. Ich hörte nur noch, wie die Holzpantoffeln die steinerne Treppe hinunterfuhren; hatte indes für meine Person genug zu tun, in der pechschwarzen Dunkelheit mein Bett zu finden, wo ich mich diesmal angezogen niederlegte.«
»Als Sie nun aufwachten?«
»Stand wieder der Leutnant und die Sonne vor mir.«
»Sie müssen doch Spuren gefunden oder nicht gefunden haben, aus denen sich erkennen ließ, ob das Ganze ein Traum gewesen oder etwas mehr.«
Mein Oheim lächelte sehr schlau: »Etwas mehr als ein Traum war es wohl. Der Punschnapf war zerschlagen, die Gläser auch, mein Konzept war zerknittert und die Stühle lagen um.«
Man sah sich fragend an und wußte nicht, was man sagen sollte. Mein Oheim fuhr nach einer Weile fort:
»Mein Freund forderte mich zu einer Treibjagd auf, welche, mit dem benachbarten Edelmanne verabredet, auf dem beiderseitigen Gebiete heut vor sich gehen sollte. Weiß der Himmel wie mir zumute war, als ich die Flinte umhängte; und die Mädchen hört' ich hinter uns kichern als wir zum Tor hinausritten. Ich dachte, sie hätten gestern genug gelacht und könnten nun auch einmal ernsthaft aussehen. Im übrigen war die frische Luft in der Heide recht angenehm, und was von Ärger in mir war, das schoß ich auf die Hasen aus, und es traf gut. Sogar einen schönen Rehbock lieferte ich in die Küche. Um Mittagszeit, als pausiert wurde, saßen der Leutnant und ich beireits unter einer Eiche, und der alte Baum schüttelte uns die gelben Blätter auf das Frühstück. Wie ich so ein Glas Danziger an die Lippen bringen will, schwimmt auch ein kleines Blättlein oben; das bringt mich auf wehmütige Betrachtungen, und ich sage: ›Bruderherz, wir müssen alle mal sterben.‹ – ›Das wird schon nicht anders gehn‹, sagt er. Ich besinne mich etwas und sage dann weiter: ›Bruderherz, ehe man stirbt, muß man heiraten.‹ – ›Nicht anders,‹ antwortet er, ›man muß etwas für die Nachkommenschaft tun.‹ Nun war ich drin: ›Weißt du, Bruderherz, deine Schwester Annlieschen gefällt mir.‹ ›Ich glaube,‹ repliziert er, ›das hat schon der blinde Hühnerhund meines Vaters gemerkt.‹ ›Es gefällt mir vielerlei an ihr,‹ fahre ich fort, ›aber etwas nicht.‹ ›Mir mißfällt vielerlei an ihr,‹ sagt er, ›dafür bin ich aber ihr Bruder.‹ ›Deine Schwestern lachen soviel.‹ ›Es ist doch besser, als wenn sie viel weinten‹, sagt er. ›Annlieschen lacht aber just am wenigsten.‹ ›Das ist schon richtig‹, sagte ich und sah den Tiras an, der in die Luft stierte, als ob er etwas sähe, und doch gewiß nichts sah, denn es war nichts zu sehen. ›Ob wohl so ein Vieh auch Geister sieht?‹ ›Wie paßt das?‹ sagte der Leutnant. Nun rückte ich näher heraus, und da wir unter uns waren, so wollte ich kein Blatt vor den Mund nehmen und ihm alles erzählen, was ich die beiden Nächte gesehen. Allein wie es nun kam, mir schien's besser, von der zweiten Nacht nichts zu erzählen, sondern bloß von der ersten. Ich mochte den Mädchen nicht nachsagen, daß sie um den Punschnapf mutterseelenallein gesessen; denn wiewohl Trinken an sich nichts Schlimmes ist, auch viel Trinken nicht, wenn es mit Moderation geschieht, auch einmal mehr als viel trinken einem Mann keine Schande bringt; so ist doch das mit Frauenzimmern, die bei Nachtzeit trinken, viel trinken, und auf der Stube bei einem Husarenleutnant, eine andere Geschichte, und Sie werden begreifen, auch ohne daß ich dies sage, warum ich schwieg. – Mein Freund machte aber schon von wegen der ersten Nacht ein spitzes Gesicht. ›Denn,‹ sagte er, ›entweder sind das die Mädchens gewesen, oder sie sind es nicht gewesen. Wenn sie es gewesen, so haben sie entweder von dir gewußt oder nicht gewußt. Wenn sie es gewußt, so haben sie sich mit dir einen Spaß machen wollen oder nicht. Wenn sie aber einen Spaß getrieben, so kommt es darauf an, ob sie einen bestimmten Spaß vorhatten oder dich nur zum besten haben wollten.‹ ›Wenn es aber gar nicht deine Schwestern waren‹, warf ich ein. ›Dann waren es die grauen Itschlen, sagte er, ›was sich ja leicht unterscheiden läßt.‹«
»Wer war es denn nun?« fragte der alte Kamerad.
»Das wußte ich nicht, und der Leutnant auch nicht, und wir hatten auch nicht Zeit, weiter darüber zu konversieren, denn die Jagd ging wieder an und die Gelegenheit führte mich den Tag nicht mehr mit dem Leutnant zusammen.«
»Nun bin ich nur neugierig, wie die Töchter vom Hause sich am Abend aufgeführt haben?«
»Sie tanzten wie toll und blind.«
»Wo?«
»Auf einem kleinen Ball, der in der Geschwindigkeit zu Ehren der Jagdpartie und meinetwegen arrangiert war. Das sauste, schwirrte, fegte und ließ mich nicht zu Worte kommen, vor Eil', wieder zum Tanz zu kommen. Ich versuchte es ein paarmal, wie mir so ganz ungemein wohl zumute war, und faßte Annlieschens Hand: ich hätte sie was zu fragen. Aber sie kicherte auf, wurde feuerrot, sagte: ›Nachher!‹ und riß sich los. Es war überhaupt mit den Mädchens nichts anzufangen, denn selbst die kleinste, ein Ding von nicht viel über sieben Jahren, das sich doch sonst gern schaukeln ließ, wollte heut nicht auf meinem Schoß stillsitzen, sondern auch schon mitwalzen. Wetterhexe, sagte ich zu ihr, hast du mir nicht vorige Nacht einen Schnurrbart malen wollen? Ich drohte ihr, aber das Schelmenkind drohte wieder und sagte: wenn ich sie nicht zufrieden ließe, würde sie mir noch über Nacht meinen, den ich hätte, abschneiden. Das Ding war spaßhaft, meine Herrschaften, aber doch auch sehr ernsthaft, besonders als man mir mit einemmal einen Kranz aufsetzte.«
»Dir, Bruder! Wofür?«
»Ich hatte ja den größten Bock geschossen seit Menschengedenken in der Heide. Das ist so alter Jägerbrauch da; aber gerade darin lag die Verhexung. Denn als mir dabei Annlieschen den Pokal kredenzen mußte, und nun so vor mir stand, und halb gebückt, die Arme kreuzweis und schelmisch, das Gesicht purpurn, zu mir aufschaute – Himmel und Hölle! mir war's, als müßte ich ihr um den Hals fallen, sie abküssen und fragen, ob sie mich heut nacht wieder besuchen würde? Attention! – Ich hab's nicht getan. Was weiter bei dem Balle vorging, meine Freunde, das verlangen Sie nicht von mir zu wissen. Ich war müde, ich war hungrig, ich war durstig, und außer Durst, Hunger und Müdigkeit quälte mich noch ein Zweifel, weshalb ich's für geraten hielt, an gar nichts zu denken, sondern mich an die Flaschen und Schüsseln zu halten. Das klirrte und klapperte mir noch vor den Ohren, als ich mich schon oben auszog, und als ich das Licht auslöschte und in die Federn versank, rollten noch die Wagen der Gäste durch den Torweg.
Wie lange ich schon geschlafen, weiß ich nicht, als es mir wieder wie Musik klang. Mein Deckbett, das nicht mit Eiderdaunen, sondern pommerschen Federkielen gestopft war, lag mir entsetzlich schwer auf der Brust. Ich drehte mich links, und die Musik blieb. Ich drehte mich rechts, und die Musik blieb. Es wirbelte, klapperte, scharrte, blies. Ich fuhr auf, ob ich noch auf der Jagd wäre oder auf dem Ball oder beim Abendessen. Ich rieb die Augen, es blieb aber alles Nacht, und ich sah nichts, bis auf eine vertrackte Fledermaus, die sich ins Zimmer verirrt.«
»Geben Sie Achtung, meine Herren,« sagte der Doktor, »die Fledermaus hat Bedeutung.«
»Da ich nichts erblicken konnte, und mich von gestern erinnerte, um wieviel besser ich sehe, wenn ich die Augen zuhabe, so schloß ich sie wieder. Und gleich fing die Musik wieder an.«
»Hatte sie denn geschwiegen, während Sie die Augen aufhatten.«
»Das weiß ich eben nicht. Aber nun klappte es mit den Türen, schlorrte die Treppen herauf, kurz, es war alles in der Ordnung.«
»Ich bin erstaunlich neugierig auf die Entwicklung.«
»Besonders, meine Herren, habe ich zu bemerken, daß es diesmal vorzugsweise mit Tellern und Gläsern klapperte. Die Tür ging auf, die jüngste unter den Schwestern huschte herein, und so klein der putzige Däumling war, trug er Ihnen doch eine rauchende Schüssel, die mich in Erstaunen setzte, wie ein siebenjährig Kind sie tragen, und sieben Mädchen sie leer machen sollten.«
»Ich ahne etwas,« sagte der Doktor, »die ganze Ballgeschichte wird sich wiederholen; die spukhaften Wesen müssen alles imitieren, was die mit Fleisch und Bein treiben.«
»Hinterher«, fuhr mein Oheim fort, »trippelte die nächstfolgende an Jahren, sie trug eine noch größere Schüssel, worauf eine Speckseite lag.«
»Was war das erste Gericht, wenn ich fragen darf?«
»Das werden Sie später erfahren.«
»Ich habe so eine Ahnung.«
»Ahnen Sie zu, lieber Doktor, wenn Sie's nicht lassen können.«
»Es waren gekochte Fledermäuse. Nicht, Herr Obristwachtmeister?«
»Ich wüßte nicht, lieber Doktor, daß man die Fledermäuse in Pommern brät oder kocht; und die Gespenster, sagten Sie ja selbst, haben immer nationalen Appetit. Kurzum, hinter der zweiten kam die dritte, hinter der dritten die vierte und so weiter, und keine kam mit leeren Händen, und jede trippelte apart durchs Zimmer, und wenn die Tür hinter ihr zuknapste, ging die andere Tür auf. Zuletzt kam Annlieschen, sie hielt nichts als ein Kristallglas in Händen. Die andern hatten mich nicht gesehen, aber sie sah mich. Himmel und Hölle! sie blieb stehen. Das Gesicht war blaß, aber die Augen – ich bin jetzt ein alter Kerl, aber wenn ich die Augen noch mal sehe, ich will nichts verschwören. Und es war mäuschenstill, die Fledermaus bewegte sich nicht, aber die Wangen des allerliebsten Mädchens tüpften rötlich, und nun kreiste der rote Schein darum und immer weiter, und die Mundwinkel zogen sich und man sah die Spitzen von einer Reihe Zähnen, wie's keine Perlen auf der Welt gibt. – Das allerliebste Kinn nickte ein wenig, und ich nickte wieder; sie nickte noch mal, und ich auch. Mit einemmal legte sie schelmisch den Finger an den Mund. Dann wies sie über die Schulter nach der Tür, trippelte ein paar Schritte weiter und drehte sich um und winkte. Ich sollte ihr folgen, dacht' ich, und sie verstand was ich dachte, und nickte. Als ich nun nicht gleich kam, denn wer folgt gleich auf die Erst einer Invitation, die geradeswegs in den Schwefelpfuhl führen kann, tat sie so schön, und warf mir eine Kußhand zu. Ich war pfiffig und warf ihr auch erst eine Kußhand zu, und winkte mit dem kleinen Finger. Da ich nicht kommen wollte, kam sie immer näher, immer näher; sie mußte schweben, denn ich hörte keine Tritte, und mit einem Male stand sie vor meinem Bette, und ich hatte doch nicht gesehen, daß ihre Kleider sich nur im geringsten bewegten. Den Kopf halb abgekehrt, die Augen zu Boden, hielt sie mir die Hand just so hin, daß ich sie fassen konnte. Und daß ich zufaßte, meine Herren, werden Sie mir glauben. Mit beiden Händen faßte ich und mit beiden Beinen war ich im Nu aus dem Bett.«
»Und Annlieschen?« riefen drei zugleich.
»War fort wie ein Wind.«
»Sie hielten?«
»Nichts.«
»Also die ganze Geschichte ist nichts?«
»Hören Sie nur weiter, ob das nichts ist! Die Tür hört' ich noch zuschlagen. Ist das nichts? Den Zipfel ihres violetten Kleides sah ich auch noch. Ist das nichts? Die Musik fing wieder an. Ist das nichts? Und es schien hell durchs Schlüsselloch. Ist das nichts?«
»Was taten Sie?«
»Ich fuhr in meine Beinkleider.«
»Auf Ihre Offiziersparole, waren Sie von der Wirklichkeit der Erscheinung überzeugt?«
»Herr! ich statuiere keine Erscheinungen; was nicht Fleisch und Bein hat, ist ein Wind, habe ich Ihnen schon hunderttausendmal gesagt.«
»Doch waren Sie vielleicht von Ihrer Phantasie beherrscht.«
»Herr!« fuhr mein Oheim auf, »ich diene nun siebenunddreißig Jahre treu zwei Königen und Herren; der König von Preußen ist meine Herrschaft, aber nicht meine Phantasie. Ich bin ein guter Soldat, aber die Phantasie ist ein Ding, was ich nicht einmal statuiere, geschweige denn, daß es mich beherrschen sollte.«
»Sie waren also körperlich von der Anwesenheit der sieben Fräulein überzeugt?«
»Fühlen Sie meine Hand, Doktor, ist das Körper oder Geist?«
»Ich drücke Muskeln. Knochen. Fleisch.«
»Ebenso gewiß sah ich durchs Schlüsselloch die sieben Fräulein um einen hellerleuchteten Tisch sitzen und schlucken, schlürfen, schlingen, schmatzen, schwatzen, schäkern, schnattern.« –
»Geben Sie doch nur einen Umstand an, daß wir es fassen können.«
»Sie sollen Umstände genug hören. Ich brauchte meine fünf Sinne, um mich von der Wahrheit zu überzeugen, aber Birnen und Klöße träumt man doch nicht. Ich sah sie, hörte sie, roch sie, schmeckte sie, fühlte sie.«
»In Ihrem Magen?«
»Nachdem ich von gegessen, ja.«
»Sie haben mit den Gespenstern gegessen?«
»Könnt' ich denn länger am Schlüsselloch stehenbleiben, als ich wußte, daß sie mich bemerkt und mich hereinnötigten. Das Herz pochte mir zwar, stärker als bei Torgau im Eisenhagel, aber ich mußte und weiß noch nicht, wie's zugegangen, als ich mitten unter ihrem Bankett saß, Ellbogen an Ellbogen mit Annlieschen.«
»In Hemdsärmeln?«
»Bewahre. Ich hatte den Überrock bis oben zugeknöpft.«
Man verschlang von nun an jede Silbe des Oheims.
»Wie es mir geschmeckt hat, weiß ich nicht, ebensowenig wie ich gegessen, ob mit der Gabel oder mit den Fingern.«
»Aßen die Fräulein mit den Fingern?«
»Meine Freunde, ein Kavalier sagt einer Dame nie etwas Übles nach, und wenn es keine Damen waren, sondern Gespenster, so waren sie doch einmal welche gewesen. Daß sie mit den Löffeln in die Schüssel griffen, die eine den Arm auf der Schulter der andern hielt, daß sie auf den Schemeln kauerten und mit den Beinen umherschlenkerten, sich kitzelten und stießen und die besten Bissen sich von den Tellern nahmen, brauche ich nicht zu verschweigen, da das vielleicht eine alte pommersche Sitte war.«
»Und Annlieschen?«
»Zog den Ellbogen weg, wenn ich sie berührte.«
»Führten sie keine Konversation?«
»Dazu war keine Zeit.«
»Herr Kamerad,« rief der andere Major, »halten Sie's mir zugute; aber da hätte ich doch ein gut preußisch Wort zu seiner Zeit hineingesprochen, etwas pommersch, was sie verstehen mußten.«
»Kamerad,« sagte der Oheim, »waren Sie schon mal in einer ähnlichen Lage?«
»Das nicht, allein ich kann es mir denken.«
»So was läßt sich nicht denken, mein Herr Bruder. Und vielleicht haben wir gewiß auch was gesprochen, ich entsinne mich nur nicht mehr, was es war.«
»Du mußt doch gesehen haben, ob sie wirklich den Mund auftat, mit Zunge, Lippen, Zähnen faßte, kaute, schluckte.«
»Glaubst du, Herr Bruder, daß die Klöße wie ein blauer Dunst auseinanderflossen! So kocht man nicht in Pommern.«
»Aber dabei muß man doch eine Person, die man lieb hat, erkennen. Griff sie auch in die Schüssel?«
»Nein.«
»Saß sie auf einem Bein und kippte mit dem Schemel?«
»Nein.«
»Kitzelte sie sich mit ihren Schwestern?«
»Nein.«
»Nun, wie sah sie denn aus?«
»Sehr rot.«
»Und wo sah sie hin?«
»Vor sich nieder.«
»Und was tat sie?«
»Ihr Herz klopfte.«
»Und deines auch. So ist sie's doch gewesen, und das ganze ein Schabernack von den tollen Mädchen.«
»So dachte ich auch,« sagte mein Oheim, »als die Musik wieder los ging, der Punsch kam, und wir uns ein paarmal um den Saal 'rumdrehten.«
»Du mit Annlieschen?«
»Oder mit dem Gespenst.«
»Kreuzelement! Wie du den Arm ihr um das Mieder schlangst, wie du ihre Hand gedrückt hieltest, wie ihr euch ins Auge schautet, da mußt du doch gefühlt haben, ob das Fleisch und Bein war, ob es dich warm anhauchte, oder pure Luft, Knochen und Moderhauch?«
»Es wirbelte alles um mich her, bis wir alle wieder um den Punschnapf standen und mit den Gläsern anstießen; ich glaube, sie hatten eine Gesundheit auf uns beide ausgebracht.«
»Hast du mit angestoßen?«
»Ja.«
»Getrunken?«
»Wir hatten das Glas noch nicht an den Lippen, so stand auch schon mit einem Male, wie gerufen vom Zusammenstoßen und wie aus dem Boden geschossen, der lange Koch mitten unter uns; ein greuliches Gesicht, mit einem aufgesperrten Maule, das uns alle verschlingen konnte, warf sein Bündel Schierling in die Terrine, daß der Punsch wie schäumend Bier zur Decke stieg, und schlug mit der Kelle umher, gegen die Mädchen, mich, die Leuchter, die Gläser, die Schüsseln. Das flog, klirrte, klatschte, knallte. Die Schemel und Mädchen fielen um, polterten, trudelten sich, kreischten, lachten. Einige krochen unter den Tisch; der Koch sprang hinauf und der Tisch brach. Wer kann eine solche Verwirrung bei einer solchen Dunkelheit schildern.«
»Wo blieb Annlieschen?«
»Sie zog mich fort.«
»Sie hielten also ihre Hand?«
»Und fühlte jeden Schlag mit, den sie bekam.«
»Barbarisch! Wo führte die Hand sie hin?«
»Rund um den Tisch, zehnmal und mehr, es war wie ein Blindekuhspiel.«
»Und Sie sahen –?«
»Nichts als den langen weißen Koch.«
»Und wo nahm das ein Ende?«
»Das weiß ich heut noch nicht. Mich führte es durch lange, lange Gänge, bald langsam, bald schnell, treppauf, treppab; bald sah ich den Mond und die lieben Sterne, bald war es stockpechfinster und ich sah nicht die Hand vorm Auge.«
»Und Ihre Führerin?«
»Wie ich sie fangen wollte, war sie fort – husch ich ihr nach – glaubte ich ihr Kleid gefaßt zu haben, saß sie oben an der Treppe, und ich war noch unten. Nun stürzt sie atemlos ins letzte Bodenkämmerchen, wo sie mir nicht mehr entlaufen kann. Ich drücke die Tür auf, und 's ist nicht Annlieschen, sondern der lange, lange Koch reckt mir seinen grimmigen Hals entgegen. Nun nehme ich Reißaus, treppauf, treppab, er hinter mir. Da stürzt der lange Kerl auf der Treppe; mit einem Male fährt die Wut in mich, das Blättchen dreht sich, ich hinter ihm her, hast du nicht gesehen, siehst du nicht. Ich fasse ihn schon an den Fersen, aber mit einem Schritt ist der Kerl mit den Ellenbeinen eine halbe Meile von mir. Ich kriege immer mehr Courage, denn die Angst peitscht mich. Die Treppen sind so steil wie ein rechter Winkel, ich ihm nach. Er steigt aufs Dach 'raus, ich hinterdrein, wir jagen uns auf der bleiernen Dachrinne, daß ich denke, nun fassen wir uns und stürzen beide kopfüber. Nein, er rutscht auf allen vieren, wie ein Frosch, das steile Dach hinan. Ich hinterdrein, meine Herrschaften; er schießt auf der andern Seite herunter, ich nach. Er klettert wieder unters Dach. Nun hatt' ich ihn in der Ecke. War ich in meinem Leben angst, so war es da. Das Blut trat mir in die Nägel, die Lippen bebten, das Herz war ein kalter Steinklumpen, meine Locken richteten sich mit dem Puder auf, und mein Zopf mit dem Haarband, daß die Spitze gen Himmel stand. Nun galt es – er oder ich. Die Streiche hagelten, der Widerstand war heftig, er schlug mit hundert Ruten um sich, immer stärker, je stärker ich zuschlug; es regnete Kugeln auf Stirn, Nase, Backen – ich stürzte aus purer Furcht immer heftiger auf ihn los, bis –«
»Sie erwachten.«
»Nein. Es war Ernst. Ich erhielt mit einemmal einen solchen Schlag auf die Stirn, daß ich besinnungslos niederfiel.«
»Nun wird sich's doch finden«, rief man.
»Ja, mich fanden sie auf dem Boden.«
»Es war kein Traum, Obristwachtmeister?«
»Das überlaß ich Ihnen zu entscheiden, wenn ich Ihnen sage, daß es schon Morgen war, als man im Schloß, von dem Spektakel aufgeschreckt, nach mir suchte. Meine Stube war leer, mein Bett leer, obschon sie deutlich sahen, daß ich drin geschlafen. Endlich fanden sie mich im äußersten Dachwinkel, platt auf dem Bauch, eine Beule an der Stirn, und eine Latte war losgerissen. – Die das klüglich auslegen wollten, meinten nachher, ich wäre gegengerannt. – Das Dach war an der Stelle löcherig, und ein alter Kastanienbaum wuchs mit seinen halben Zweigen 'rein. Da waren sie der Meinung, ich hätte mich mit den Ästen 'rumgeschlagen, und die Kastanien, die ich abgeschüttelt, sollten die Kugeln sein, die mich getroffen. Ich lachte und sagte: Wenn's Ihnen Pläsier macht, das zu glauben, meinethalben, aber den verdammten Koch laß ich mir nicht abstreiten. Die Leute schüttelten den Kopf, einige lachten und andere zogen lange Gesichter; aber der Gutsherr, als er sah, daß ich mir den verdammten Koch nicht abstreiten ließ...«
»Das ist recht«, fiel der Doktor ein.
»Erzählte mir kurz, daß ein Koch, der vor grauen Zeiten seine Herrschaft auf diesem Schlosse vergiftet, und darauf hingerichtet worden, noch immer ohne Ruhe, wie sie meinten, umherirre und wie ein Träumender die Geschäfte des Wachenden auch noch jetzt im Tode seine Küchengeschäfte betreibe.«
»Damit wäre ich nicht zufrieden gewesen«, sagte der Doktor.
»Ich war es auch nicht, aber was sollte ich machen. Ich lag einen Tag krank auf meinem Bette, es wollte mir nichts schmecken; was süß ist, kam mir bitter vor, und was bitter ist, süß; der Magen rebellierte, und die Welt war mir so zuwider wie eine faule Apfelsine.«
»Solch ein Zustand ist schrecklich. Herr Bruder.«
»Das ist er auch, Herr Kamerad. Mir hatte es der verwünschte Koch angetan.«
»Sie fühlten also wirklich die Klöße im Magen.«
»Ich versichere Sie, es war mehr Reelles an der Geschichte, als Sie glauben.«
»Ich bin nur neugierig auf die folgende Nacht«, sagte der Doktor. »Indem ich voraussehe, daß Sie am Tage Ihrer Maladie die Fräuleins nicht gesehen, verlangt mich zu wissen, wie diese sich bei ihrem nächsten nächtlichen Besuch betrugen. Nach den progressiven Vertraulichkeiten in den drei ersten Nächten zu schließen, müssen Sie sich in dieser vierten sehr nahe gekommen sein.«
»Sie erschienen gar nicht, mein lieber Doktor. Ich lag halb wachend da, wie es ein solcher Zustand mit sich bringt, und wußte nicht, was ich wünschen sollte. Die Schränke wurden auf- und zugeschlagen, aber niemand kam. Nach Mitternacht polterte endlich der verdammte Koch die Treppe herauf durchs Zimmer, drohte mir mit der Kelle; als ich aber wieder drohte, und mich nicht stören ließ, begnügte er sich damit, mir die Zähne zu weisen, und machte sich auf und davon. Darauf schlief ich sehr ruhig bis zum andern Morgen. Ich frühstückte mit der Familie, und Sie können mir glauben, wie ich mir Mühe gab, den Mädchen Daumschrauben anzulegen. Da saßen wir nun zusammen an einer Tischecke, Annlieschen und ich, Knie an Knie, Ärmel an Ärmel, und sahen beide auf den Kaffee, und glauben Sie wohl, wenn wir die Augenlider aufschlugen und uns zufällig ansahen, daß keines von beiden das Herz hatte mit dem andern ein offen Wort zu sprechen? – Sie wurde immer rot und ich wurde immer rot. Die andern mochten das merken und ließen uns gern allein, aber da wurde das Ding erst gar arg. Wir wußten nicht, was wir reden sollten.«
»Was wurde denn nun am Ende daraus?«
»Nach drei Wochen eine Hochzeit. Sie meinten, es wäre so das beste, damit wir uns einander kennenlernten.«
»Nun aber kam es heraus; die junge Frau beichtete, und Sie kamen auf den Grund der Erscheinung.«
»Lieber Doktor, Sie sind noch nicht verheiratet gewesen. Meinen Sie nicht, daß man in der Ehe von andern Dingen zu sprechen hat, als von Gespenstern?«
»Und Sie waren gewiß, daß Sie kein Gespenst zum Altare führten?«
»Davon habe ich mich vorher und nachher auf das Bestimmteste überzeugt.«
»Haben Sie nie mehr seitdem von den grauen Itschken gehört? Sind sie Ihnen nie wieder erschienen? Wurde Ihre Aventüre nicht bekannt? Hat man keine Aufklärung versucht?«
»Das sind vier Fragen auf einmal, von denen ich vorläufig gehalten bin, nur die eine Ihnen zu beantworten: die grauen Itschken sind seitdem nicht mehr im Schlosse erschienen, denn sie waren erlöst.«
»Was sind aber nun graue Itschken?«
»In Vorpommern hält man sie für Frösche, in Hinterpommern für Irrwische, in Pommerellen für allerlei anderes Ungeziefer; ich aber habe so meine eigene Meinung und halte sie für verhexte Fräuleins, und darin hat mich der Pastor bestärkt, der mir ihre Geschichte erzählt hat. Und die Geschichte ist so deutlich und klar, daß mich's doch wundern sollte, wenn jemand daran zweifelte.«
Man kann denken, daß die Neugier, sie zu hören groß war, und die Stimme meines Oheims war in der Art bestimmt, daß er keinen Widerspruch erwartete, noch zu dulden entschlossen schien:
»Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges«, hub er an, »wurde bemeldetes pommersches Schloß von einem alten geizigen Fräulein besessen, welcher die Verpflichtung oblag, sieben junge und schöne Nichten zu erziehen. Wie es aber in jenen traurigen Zeiten ging, wo die Kultur zum Teufel abfuhr, und Not, Pestilenz, Krieg und Armut ins Land kamen, so herrschte auch hier in Pommern in vielen Schlössern und Dörfern volle Verwilderung. Die Dörfer um unser Schloß waren abgebrannt oder durch Seuchen verödet, während dichte Wälder Unkraut auf den Kornfeldern aufschossen. So kam es, daß die Fräuleins mit ihrer Tante, fast ohne eine vernünftige Menschengestalt zu erblicken, aufwuchsen. Die Tante verscharrte Habseligkeiten, Geld und Gut, jagte den Schulmeister fort, ließ den Pastor verhungern, und die sieben Fräuleins tun, was sie wollten. Sie waren alle bildhübsch, aber wild, ohne Sitte und Anstand. Konnten nicht lesen, nicht schreiben, kein Vaterunser, ja nicht mal sich im Spiegel besehen, seit die Wallensteiner den letzten zerschlagen hatten. So kam es denn, da niemand zum Rechten führte, und die Tante selbst mit so bösem Beispiele vorausging, daß jede der Schwestern ungehindert ihren Lüsten folgte. Die sechs jüngsten waren näschrig; ihr Treiben und Tun ging darauf, die Tante, welche ihnen so karge Mahlzeiten vorsetzte, auf alle Weise zu hintergehen, und durch die Ritzen in die verschlossenen Speisekammern zu greifen. Die älteste war auf schlimmeren Wegen. Ihr Auge fiel auch auf den Koch im Schlosse, der, wie's wohl so zuging, den Schwestern manches zusteckte, was ihnen die Tante nicht bestimmt hatte. Als die einmal überdacht hatte, daß sie noch zu wenig zurücklege und deshalb für künftig den Tischzettel um die Hälfte verkürzte, wurde der schwarze Plan eingeleitet. Sie gingen weinend zum Koch und baten ihn um Rat und Hilfe. Der hörte sie lachend an und sagte ihnen, daß im nächsten Monat die Portionen noch kleiner werden sollten. Die Mädchen schrien, heulten und boxten sich, und nun kochten sie mit dem Koch ein großes Komplott, was sehr bald gar war und allen schmeckte. Die Tante sollte mit einer Schierlingssuppe vergiftet werden, der Koch die Schätze bekommen und als Zugabe die älteste von den Mädchen zur Frau, und dafür den sechs andern täglich mittags und abends ihr Lieblingsgericht kochen und soviel anrichten, erstlich, als sie Appetit hätten, zweitens, als sie essen könnten, und drittens noch etwas darüber. Das erste ging alles gut, der Schierling wurde aus dem Dorfteich geholt, gehackt, gekocht, der Tante vorgesetzt, und den drittfolgenden Tag wurde die Alte zu Grabe geläutet. Aber mein Koch dachte: womit du die Tante satt gemacht, kannst du die Fräuleins auch satt machen; sie können dir nicht mehr geben, als du jetzt schon hast, und eine Frau kriegst du allerweges. Schierling war noch genug gehackt für Torten, Braten, Brühe, kurz, für alle Schüsseln beim Leichenschmause. Also während sie noch schmausten, schnürte er sein Bündel und machte sich auf und davon. Aber ein paar Meilen vom Dorfe verriet er sich, man griff ihn und führte ihn in das Schloß zurück, wo die sieben Fräuleins mäuschenstill, leichenblaß, jede auf ihrem Schemel, saßen. Die Schüsseln und Flaschen waren leer, eine jede aber hielt noch im Tode einen Löffel oder ein Glas fest in der Hand. Der Koch gestand beim Anblick seine Freveltat ein.
Er wurde gehenkt und sein Leichnam in den Schloßbrunnen geworfen. Die Fräuleins aber warf man, wie man sie fand, mit Gläsern und Löffeln in den Händen, und Tischtuch und Tisch mit ihnen, auf den Mist im Schloßhofe, und niemand betrat über dreißig Jahre lang das verwünschte Schloß. Seitdem ist der Spuk dort los. Die alte Tante, welche auch nicht viel Ruhe im Grabe soll gefunden haben, macht noch immer unsichtbar ihre Runde im Schlosse, und daher kommt das Aufschließen und Zuschlagen der Schränke. Dann kommen die sieben Fräuleins als Irrwische über den Misthaufen, springen als Ratten in die Keller, klettern als Mäuse die Treppen auf und nagen sich durch die Schränke, wie es die Fräuleins schon im Leben taten. Aber wenn sie das Essen aus allen Winkeln zusammentragen und Mahlzeit halten wollen, kommt der verdammte Koch aus dem Brunnen und wirft ihnen den Schierling in die Suppe. Also wird ihnen nun, meine Herrschaften, die ganze Geschichte klar sein.«
Dies war mit dem Tone des Stadtkommandanten gesprochen, also mußte die Geschichte allen klar sein, also war sie jedem klar. Nur ich, dem das Glas Wein und das Stück Kuchen Mut gemacht, wagte den Onkel zu fragen, ob denn die armen Fräuleins erlöst wären?
Er streichelte mir den Kopf und sagte: »Du bist ein verständig Kind. Die älteste habe ich erlöst, die sechs andern mußten freilich noch ein bißchen warten; nun sind's aber schon zwanzig Jahre her, daß auch die jüngste loskam. Denn wo der Anfang gemacht ist, da geht's immer schneller weiter, wie das der Doktor aus der Naturgeschichte wissen muß. Ich hatte kaum Annlieschen zum Altar geführt, so schlich schon wieder einer um die zweite Tochter auf den Zehen. Als erst der dritte Freier kam, gingen die übrigen wie warme Semmeln ab.«
»Aber verehrtester Herr Obristwachtmeister, was hat das mit den Gespenstern zu tun?«
»Lieber Herr Doktor,« sagte mein Oheim, »Sie sind ein so gescheiter Mann und haben so lange studiert, und besonders Naturgeschichte und romantische Poesie, und sollten nicht ahnen, daß die Erlösung der alten sieben pommerschen Fräuleins vom Schicksal an die Erlösung der sieben jungen geknüpft war?«
Er wurde unterbrochen, indem das freundliche Gesicht der guten Tante durch die Tür guckte: »Gustav, es geht alles schon fort«, sagte sie. Mein Oheim hatte sich schon währenddessen zum Fortgehen ajüstiert; er reichte ihr zutraulich die Hand und nahm ihren Arm unter den seinen: »Ich habe den Herren von den Gespenstern erzählt, die ich einmal gesehen, und weil das eine Gespenst dir ähnlich gesehen, haben sie mich gefragt, ob ich auch über dich gewiß wäre? Und das habe ich ihnen auf Offiziersparole versichert, denn wenn man dreißig Jahre verheiratet ist, so weiß man am Ende, ob man ein Gespenst zur Frau hat oder ein braves Weib. Topp! Nicht wahr, Annlieschen?«
Die alten Ehegatten, die, beiläufig gesagt, eine vortreffliche Ehe führten, küßten sich recht herzhaft, und meine Tante sagte: »Du bleibst doch immer der alte,« dann meinte sie lächelnd, als sie die leeren Flaschen sah, »er würde den Herren wohl schönes Zeug vorerzählt haben.«
»Apropos,« sagte der Doktor, »was ist denn aus dem Geist der alten Tante geworden?«
»Geister, mein lieber Doktor, mußten jung und hübsch sein, wenn ein junger Husarenoffizier, wie ich, sich aus dem Bette aufrichten sollte. Die alte Tante hätte alle Töpfe um mich zerbrechen und zerschlagen können, ich hätte das Ohr nicht vom Kissen gerührt.«
»Aber der verdammte Koch?«
»Der spukt noch immer im Schloß. Wenn die Suppe versalzen, der Braten in die Kohlen gefallen ist, heißt es noch heut: das hat der verdammte Koch getan!«
*
Mein Oheim sprach nie wieder von der Gespenstergeschichte; duldete auch nicht, daß man sie in seinem Beisein erwähnte. Aber Hypothesen gab es viele. Man meinte: in der ersten Nacht wären es die Fräuleins wirklich gewesen; sie hätten entweder vom Gast nicht gewußt oder sich einen unschuldigen Spaß mit ihm machen wollen. In der zweiten Nacht wäre es ein bloßer Traum gewesen: in der dritten war man ungewiß wegen der Birnen und Klöße, die sich nicht füglich wegleugnen ließen. Die, welche das Ganze für eine Vision hielten, bei einem reizbaren Nervenzustande meines Oheims, fanden die wenigste Beistimmung. Der Doktor deutete die Erscheinung allegorisch. Es sei darin offenbar ein Kampf zwischen Materie und Geist ausgedrückt. Schon die Elemente Pommern und Geistererscheinung deuten auf diese Gegensätze. Die Präponderanz des Essens, des materiellen Prinzips bei einer effektiven Geistergeschichte, lasse sich nicht anders erklären. Noch ausdrucksvoller liege dies in dem gewählten Nationalgericht: Birnen und Klöße. Der Koch sei das Zentrum, oder vielmehr der äußerste Pol der Materie, der Schwere, des Sündhaften. Die Fräuleins, ursprünglich von der Materie befangene Wesen, niedergezogen in sündhafter Neigung, hätten doch vom bessern Prinzip in sich, und in der ganzen Geschichte liege auf sinnreiche Weise der Übergangsprozeß von der Schwere zum Fluidum. Erst grobe Körper, ungeschickt, eßsüchtig, in Holzpantoffeln schlurrend, Ratten, Mäuse, dann Tänzerinnen, verflüchtigten sie sich endlich in Sturmgeheul, Luftzug, Licht, Irrwisch, bis ihre ätherische Lösung in der Liebe ausgedrückt wäre. Diese symbolische Erklärung fand in der Ressource den meisten Beifall, und auch der Oheim äußerte sich späterhin einmal, »der Doktor habe den Nagel auf den Kopf getroffen.«