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Eines schönen Tages schwamm der FischkönigGemeint ist der Karpfen, der in Japan als Sinnbild der Kraft und Stärke gilt, weil er gegen den Strom schwimmt und selbst Wasserfälle und Stromschnellen überwindet. in seinem Reiche wohlgemut umher; es war ein wunderschöner Tag und die Sonne erhellte das Wasser bis nahe auf den Grund. Da erblickte er plötzlich vor sich einen dicken, fetten Wurm, der ihm gar appetitlich erschien und da er gerade einen kleinen Hunger verspürte, so schwamm er auf den Wurm zu, schnappte nach ihm und – ein furchtbarer Schmerz durchzuckte seinen Körper, denn er saß an einer Angel, deren Haken ihm im Maule saß. Er zerrte und zerrte, und nach heftigem Kampfe und unter großen Schmerzen gelang es ihm endlich die Angelschnur zu zerreißen und in sein Schloß zu schwimmen, wo er sich auf sein Lager warf und die Leibärzte rufen ließ. Als diese am Bette des Fischkönigs standen, erzählte er ihnen sein Ungemach, wie er an der Angel festgesessen und wie es ihm endlich gelungen sei, sich durch Zerreißen der Angelschnur zu befreien und sich davor zu bewahren, daß sein königlicher Leib gewöhnlichen Zweibeinern, die man Menschen heiße, zur Speise diene.
»Aber der verdammte Haken,« schloß er seine Erzählung, »der sitzt hier fest im Halse und mir ist es unmöglich ihn zu entfernen, ich leide furchtbare Schmerzen. Wer ihn mir herausbringt, den will ich königlich belohnen.« Da standen nun die Ärzte ratlos am Bette des Fischkönigs und beratschlagten, was zu tun sei.
Der König wurde ärgerlich und ließ in seinem Reiche verkünden, wer ihm den Angelhaken aus dem Halse entferne, den werde er mit königlichen Ehren versehen und reich belohnen.
Da ward eine große Bewegung im Wasser, von allen Seiten eilten die Untertanen herbei, die Großen und Würdenträger bis zu den Kleinsten, vom Walfisch bis zum Stint. Alle, alle kamen, hörten die Botschaft, aber sie schüttelten ihr Haupt, denn niemand wußte Rat, niemand konnte sagen, wie man einen Angelhaken aus dem Schlunde eines Fisches entferne.
Da meldete sich endlich eine Schildkröte, die ganz im Hintergrunde gestanden hatte. Man schob sie nach vorne und da erklärte sie, daß das beste Mittel zwei ganz frische Hasenaugen (Lichter) seien; diese müsse man auf die Stelle auflegen, wo der Haken sitze, dann würde der Haken durch die Hasenaugen herausgezogen. Die Anwesenden stimmten der Schildkröte zu, und auch den Ärzten, die den Rat mit angehört hatten, erschien er gut.
Aber wo die Hasenaugen hernehmen? Der König entschied: »Wer ein Hilfsmittel vorschlägt, hat auch für ein solches zu sorgen; geh also Schildkröte und besorge mir die Hasenaugen oder du darfst dich in meinem Reiche nicht mehr blicken lassen!«
»Gut!« sagte die Schildkröte, »ich werde Euch einen Hasen herbeischaffen, die Augen müßt ihr Ärzte selbst ihm nehmen und mir gestatten mich zu entfernen, da ich kein Blut sehen und riechen kann!«
Des waren alle zufrieden und die Schildkröte machte sich auf den Weg und freute sich schon auf die großen Ehren und Geschenke, die ihr zuteil werden würden, wenn es ihr gelinge den Hasen in des Königs Schloß zu bringen. Sie kletterte also aus dem Wasser und wanderte einem Hügel zu, auf dem, wie sie wußte, ein Hase sich niedergelassen hatte. Sie hatte Glück; denn als sie mühsam den Hügel erklettert hatte, sah sie den Hasen gerade beim Frühstück sitzen; er hatte einen prachtvollen Krautkopf vor sich, an dem er knabberte. Als der Hase das Geräusch der sich nähernden Schildkröte hörte, ließ er erschreckt den Krautkopf fallen und richtete sich auf seinen Hinterbeinen empor, um zu sehen, wer da komme. Da er aber sah, daß es nur die Schildkröte war, beruhigte er sich und begrüßte sie. »Was verschafft mir denn die Ehre Eueres Besuches, verehrte Frau Schildkröte?« fragte er.
»Nichts Besonderes, Herr Lampe!« antwortete die Schildkröte, vom Klettern noch ganz atemlos. »Man hat im Reiche des Fischkönigs die wunderschöne Aussicht gerühmt, die man von hier haben soll, und so bin ich abgesandt, festzustellen, ob dies wirklich so ist. Ihr gestattet doch, daß ich mich ein wenig umschaue!«
»Bitte, bitte!« erwiderte der Hase.
Die Schildkröte schaute hierauf nach vorn, schaute nach hinten, schaute nach rechts und schaute nach links, machte auch einige Schritte bald nach dieser, bald nach jener Seite und tat, als ob sie alles sorgfältig betrachtete, dann meinte sie: »So etwas besonders Schönes kann ich nicht sehen, da hat man diese Gegend mehr gerühmt als sie wert ist!«
»Ja, Frau Schildkröte,« entgegnete der Hase, »auf dieser Seite des Hügels gibt es nichts Besonderes zu sehen, da müßt Ihr Euch schon auf die andre Seite bemühen! Kommt, ich will Euch führen!«
»Was gibt es denn auf der andern Seite des Hügels?«
»Viel, viel Besseres als hier! Hier gibt es nur Wiesen und Weiden, aber auf der andern Seite prachtvolle Kraut- und Rübenfelder, so saftig, so delikat, eine wahre Wonne!« rief der Hase.
Die Schildkröte lachte und meinte: »Ihr seht die Sache mit dem Magen anstatt mit den Augen. Doch bleibt nur, ich habe keine Lust, Kraut- und Rübenfelder zu sehen, da lob ich mir doch das Land des Fischkönigs, da gibt es alles Gute und Schöne, prachtvolle, kühle Wälder, herrliche Wiesen, Täler, Höhen und Felder, auf denen die Krautköpfe viel größer und saftiger sind als hier auf der trockenen Erde. Und dann die Bequemlichkeit, keine Mühe und Anstrengung. Hier mußte ich um zu Euch zu gelangen, mühsam klettern, so daß ich fast den Atem verlor, während mich das Wasser überall hinträgt, wohin ich will. Und dann die Ruhe und Sicherheit dort unten, da gibt es keine Menschen und keine Jäger! Nein, wißt Ihr Herr Hase, Eure ganze schöne Gegend und die ganze Erde kann mir gestohlen werden, ich lobe mir mein Reich und will mich nur schnell wieder auf den Heimweg machen!«
»Hm, Hm!« machte der Hase und dachte ein Weilchen nach. »Hört mal, Frau Schildkröte, Ihr habt mir Eure Gegend so schön geschildert, daß ich wirklich Lust bekomme, sie einmal zu sehen; aber leider geht es nicht, denn in dem verflixten Wasser kann unsereiner ja gar nicht leben. Könntet Ihr mir nicht einen Krautkopf von da unten gelegentlich mal schicken oder mitbringen?«
»Das geht leider nicht!« entgegnete die listige Schildkröte, die bemerkte, daß der Hase Lust hatte in das Reich des Fischkönigs mitzukommen. »Unsere Krautköpfe sind so groß, daß ich auch nicht einen tragen kann. Aber, kommt doch mit mir. Das Wasser wird Euch keinerlei Umstände machen, ob Ihr in der Luft oder im Wasser lebt, ist alles gleich, das ist alles nur Gewohnheit!«
»Das mag gut und schön sein, aber ich kann nicht schwimmen!« sagte betrübt der Hase.
»Das macht nichts!« rief die Schildkröte, die kaum noch ihre Aufregung und Freude unterdrücken konnte, »wenn Ihr mit mir geht, will ich Euch gerne aus reiner Freundschaft helfen und in unser Reich bringen. Ihr steigt, wenn wir am Wasser angekommen sind, auf meinen Rücken, steckt Eure Pfoten vorne unter mein Schild und haltet Euch so fest an. Ich führe Euch dann sicher hinunter und, wenn es Euch nicht gefällt, ebenso sicher wieder zurück!«
Der Hase traute der Geschichte doch nicht so recht, er hatte eine furchtbare Angst vor dem Wasser, aber die Schildkröte stellte ihm die Reise ganz ungefährlich dar und gab ihm schließlich sogar ihr Ehrenwort, daß ihm das Wasser nicht das geringste tun werde.
Da war der Hase überwunden und er beschloß die Reise zu wagen. Als nun beide am Rande des Wassers angekommen waren, stieg er auf den Rücken der Schildkröte und hielt sich mit seinen Vorderpfoten am Schilde der Kröte fest, die langsam ins Wasser ging. Dem Hasen wurde es doch ungemütlich, als er das kalte Wasser fühlte und als es ihm sogar über den Kopf ging, da schloß er ängstlich die Augen. Dann öffnete er sie wieder und sah nun, daß das Wasser ihm wirklich keine Beschwerde machte. Er war ganz entzückt von den Wundern unter dem Wasser, von denen er bisher keine Ahnung hatte, er sah blühende Täler mit saftigen Wiesen, grünende Felder, schimmernde Berge, bewachsen mit Rosen und anderen Blumen, die er nicht kannte.
Und dann das Leben im Wasser! Tausende von Fischen umschwärmten ihn und jubelten ihm zu. Da kamen auf einmal lange, schmale, zierliche Fische angeschwommen, denen alle andern ehrerbietig Platz machten. »Was sind das für Tiere?« fragte der Hase. »Das sind Diener des Königs!« antwortete die Schildkröte.
Als diese Fische nahe waren, machten sie dem Hasen ihr Kompliment, beglückwünschten ihn, daß er den Mut zu solcher Reise gehabt habe und erzählten ihm, daß der König von seinem Besuche gehört habe und seinen Mut bewundre. Der König wolle einen so mutigen Hasen sehen und lade ihn in sein Schloß ein.
Der Hase war ganz stolz auf solche Ehre und nahm die Einladung an. Die Fische kehrten um und schwammen voran, während die Schildkröte mit dem Hasen folgte.
Im Schlosse des Königs angelangt, stieg der Hase von seinem Sitze und wurde in das Krankenzimmer geführt, während die Schildkröte sich einstweilen aus dem Staube machte.
Im Krankenzimmer waren nur die Ärzte um den König versammelt, die den Hasen freundlich einluden auf einem prachtvollen Muschelsessel Platz zu nehmen. Dann besprachen sich die Ärzte leise, wie man wohl am leichtesten dem Hasen die Augen nehmen könne. Der Hase hatte aber gute Ohren und so hörte er mit Entsetzen dieses leise Gespräch und obwohl ihm die Haare klitschnaß am Leibe klebten, standen sie ihm doch sogleich vor Angst zu Berge. Er verwünschte seine Neugier und überlegte, wie er sich am besten aus dieser Schlinge ziehen könne, die ihm die Schildkröte gelegt hatte. Endlich kam ihm ein Gedanke. »Hört, Ihr Herren!« rief er, »ich hörte, daß Ihr von meinen Augen sprachet. Was ist es damit, was wollt Ihr mit meinen Augen?«
Die Ärzte erklärten ihm in höflicher Weise die ganze Angelegenheit und baten, daß er, um das Leben des Königs zu retten, seine Augen freiwillig hergeben solle!
»Das ist aber dumm,« sagte der Hase, der tat, als ob er nachdenke und seine Ohren hin und her bewegte, »ja, ja das ist dumm von der Schildkröte, daß sie mir das nicht gleich gesagt hat, dann wäre Eurem König jetzt schon geholfen. Ihr müßt nämlich wissen, Ihr hohen und gelehrten Herren, daß wir Hasen vier Augen haben, nämlich zwei natürliche und zwei aus Bergkristall gefertigte. Diese letzteren tragen wir, um die natürlichen Augen zu schonen, so bei staubigem oder Regenwetter, bei Sturm und Ungewitter. Da mir nun Eure Schildkröte nicht sagte, weshalb ich herkommen sollte, so steckte ich meine künstlichen Augen ein, weil ich glaubte, daß die natürlichen Augen, mit denen ich auf dem Lande sehe, hier im Wasser mir wenig nützen würden oder sogar beschädigt werden könnten. Diese natürlichen Augen habe ich daheim verborgen und es wird mir eine große Freude sein, sie Eurem König zu seiner Heilung anzubieten. Es bleibt nichts weiter übrig,« fügte er scheinheilig hinzu, »als daß Ihr die Schildkröte wieder ans Land schickt und meine Augen holen lasset!« »Ja, wird denn die Schildkröte die Augen auch finden?« warf einer der Ärzte ein.
»Man muß sie fragen!« sagte ein anderer und so wurde die Schildkröte wieder gerufen. Diese kam fröhlich herbei, denn sie glaubte nun sei alles zu Ende und ihr Glück sei gemacht. Aber wie erschrak sie, als sie den Hasen ganz munter, mit seinen Augen im Kopfe auf dem Muschelsessel sitzen sah. Sie wußte nicht, was sie denken sollte und war höchst erstaunt, daß sie Scheltworte zu hören bekam, anstatt Worte des Dankes. Man machte ihr Vorwürfe, daß sie einem so liebenswürdigen Herrn nicht gleich gesagt habe, was man von ihm wolle, sie habe dadurch die Heilung des Königs verzögert.
»Das ist gut!« dachte die Schildkröte, »aber das kommt davon her, wenn man Großen einen Dienst erweisen will. Wie man es auch macht, richtig ist es nie!« Die Schildkröte wurde nun gefragt, ob sie sich getraue, die Augen des Hasen zu finden und herzubringen, wenn der Hase ihr den Ort genau beschreibe, wo er sie verborgen habe.
Aber die Schildkröte erklärte, daß sie es wohl übernehmen wolle, die Augen zu finden; sie aber herzubringen, das sei für sie zu riskant, denn sie verstehe es nicht, mit so empfindlichen Dingen, als die Augen sind, umzugehen. Am besten sei es wohl, wenn der Hase sie selbst hole, hin und her wolle sie den Hasen gern tragen. Das war es, was der Hase gern wollte, er tat aber so, als ob das für ihn zuviel verlangt sei, auch der König wurde ärgerlich und sagte:
»Ist es nicht genug, daß der Hase uns seine Augen anbietet? Sollen wir einem so liebenswürdigen Herrn zumuten, auch noch selbst den Weg zu machen, bloß weil Ihr Schildkröte zu lässig waret? Nein! machet Euch sofort auf den Weg und seht zu, wie Ihr die Augen herbringt. Eure Sache ist es, den Fehler, den ihr begangen, wieder gut zu machen!«
Der Hase, der Angst hatte, daß man ihn wirklich da behalten würde, nahm sich zusammen und entgegnete:
»Verzeiht, edler König! Aber ich glaube Frau Schildkröte hat Recht. Wenn sie die Augen auch findet, fürchte ich doch, daß sie damit nicht richtig umgeht und sie verletzt, so daß sie für Euch ohne Nutzen sind. Erlaubt also, daß ich die Schildkröte begleite und die Augen selbst überreiche. Dieser kleine Weg ist keine Mühe, und selbst, wenn es Mühe wäre, für Euch, edler König, um Euch zu helfen ist mir keine Mühe zu groß!«
Alle waren erstaunt über solch großen Edelmut, sie schämten sich aber auch zugleich, daß man den Hasen habe betrügen wollen, ihn, der so großmütig war, den Weg nochmals zu machen, nur um dem König einen Dienst erweisen zu können. Nach langem Hin- und Herreden wurde der Schildkröte denn schließlich befohlen, den Hasen ans Land zu bringen und ihn ungefährdet mit den Augen wieder zum König zu führen.
Die Schildkröte nahm also den Hasen, nachdem sich dieser höflichst verabschiedet hatte, wieder auf den Rücken und trug ihn ans Land. Dort angekommen, schüttelte der Hase das Wasser aus seinem Fell und sprach zur Schildkröte:
»Du listiges Vieh, beinahe hättest du mich überlistet, aber meine List war besser als die deine und Eure Dummheit größer als die meine. Wenn du Hasenaugen brauchst, suche sie dir nur. Ich brauche die meinen vorläufig noch für mich. Lebt also wohl und grüßet Euren König recht schön von mir!«
Sprach's, sprang auf und eilte den Hügel hinan, die verdutzte Schildkröte sprachlos zurücklassend.
Seit dieser Zeit geht der Hase einer jeden Schildkröte vorsichtig aus dem Wege und die Schildkröte lebt seitdem bald im Wasser, bald auf dem Lande, denn im Wasser fürchtet sie den Fischkönig und auf dem Lande hofft sie noch immer ein Paar Hasenaugen zu finden.