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Gern hätten wir unser Werk mit dem vorigen Kapitel abgeschlossen. Die menschliche Würde – soweit so unvollkommne Wesen wie Manuel Venegas und Soledad sie repräsentieren – hätte nichts dabei verloren, und unsre Leser würden uns dankbar dafür gewesen sein.
Aber heute haben wir nicht die diskrete Befugnis des Romanschreibers, heute sind wir Sklaven von Thatsachen, die leider wirklich geschehen sind, und deswegen befinden wir uns in der traurigen Notwendigkeit, die tragische Begebenheit zu erzählen, die die ganze Stadt an jenem unvergeßlichen Tage mit Trauer erfüllte und selbst die Wünsche Vitriolos weit übertraf.
Nur scheinbar widersprach die angedeutete Katastrophe dem Grundgedanken, der sich aus unsrer Erzählung, wie wir meinen, ergibt, so sehr sie auch dem Anscheine nach damit in Widerspruch stand. Vielmehr bewies sie schlagend, daß Don Trinidad recht hatte, als er Manuel, nachdem dieser ihm bekannt hatte, daß er den Glauben verloren habe, sagte, sein Leben werde keinen Halt mehr haben. Er sagte: »Das Gute und das Schlechte wird dir gleichgelten. Du mußt zwischen ihnen nur nach deinem Gefühl oder dem Grade der Erleuchtung wählen, in welchem dein Gewissen sich befinden wird. Deine Handlungen wird kein andres Gesetz bestimmen, als dein eignes Belieben. Die feste Grenze des Gehorsams wird deinen stolzen Willen nicht mehr eindämmen. Du mußt in den Abgrund stürzen, der dich zu sich ruft.«
Doch lassen wir diese philosophischen oder theologischen Erörterungen beiseite, deren Entwickelung nicht unsers Amts ist, beschränken wir uns vielmehr auf das bescheidne Amt eines Erzählers von wirklichen Thatsachen. So kehren wir auf den Marktplatz der Maurenstadt zurück, von welchem unser leidenschaftlicher und unzivilisierter Held soeben in seine freiwillige Verbannung geritten war.
Nur wenig Leute standen noch auf dem Markte. Antonio Arregui, dessen strengen Charakter wir kennen, hatte sich sogleich entfernt, um sich müßigen oder unangenehmen Unterhaltungen zu entziehen, Don Trinidad hatte dasselbe gethan, um sich ins Bett zu legen. Nach all seinen Anstrengungen und Aufregungen, welche der Schmerz, seinen geliebten Manuel für immer zu verlieren, noch vermehrt hatte, fühlte er sich krank und fürchtete ein Fieber zu bekommen. Der siebenzigjährige Hauptmann gab ihm den Arm und begleitete ihn, indem er schwur, niemehr zu der Thür der Apotheke zurückzukehren. So verlief sich auch die übrige Menge, jeder kehrte zu seinen täglichen Geschäften zurück, und einer verabschiedete sich von dem andern mit den Worten: »Auf Wiedersehen bei der Lotterie!« so gering auch das Interesse war, was das Fest nun noch hatte.
Was Vitriolo anlangt, so hätte man glauben können, ein Schwindel habe ihn gequält, denn er that nichts, als in dem Hinterzimmer der Apotheke auf- und abgehen, sah auf den Boden, als wollte er die Hölle um Hilfe anrufen, und brach fortwährend in so gräßliche Verwünschungen gegen Soledad, Antonio, Manuel, den Hauptmann und den Pfarrer los, daß von seinen sämtlichen Jüngern nur ein einziger ihm treu blieb und es bei ihm aushielt.
Den einzigen treu gebliebnen Jünger Vitriolos kennen wir schon aus einem Versuche, eine schlechte That zu begehen, die der Hauptmann dadurch verhinderte, daß er ihn in der Straße der heiligen Luparia am Genick packte. Jener Freiwillige im Dienste der Schurkerei hieß Philemon, und die Geschichte hat seinen Namen wegen der schändlichen Rolle aufbewahrt, die er an dem Tage, von dem wir reden, spielen sollte, ohne jedoch seinen Familiennamen zu überliefern, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er ein Findelkind war.
»Beruhige dich, Vitriolo!« sagte Philemon zu seinem Meister. »Ich werde dich niemals verlassen, wie die Verräter, welche Paco Antûnez gefolgt sind. Auch ich habe eine Bitterkeit in der Seele, die ich auf die ganze Welt ausspeien möchte! Ich bleibe dir treu bis zum Tode!«
»Was hilft mir das?« kreischte der Elende weinend, aber keine Thränen, sondern wahres Gift. »Was kann mir jetzt noch irgend jemand helfen? Was hilft mir das Leben?«
In diesem Augenblick rief man nach ihm im Laden.
Philemon sah nach, wer da war, und sagte zu Vitriolo:
»Geh in den Laden!«
»Ich will nicht!« antwortete der Apotheker.
»Aber es ist ja Volanta!«
»Ah, die Volanta! Laß sie hereinkommen! Das ist das letzte Mittel, was mir noch übrig bleibt.«
Die Hexe trat atemlos, abgetrieben, in Schweiß gebadet, ein und warf sich auf einen Stuhl. In ihren grünen Augen glänzte eine so energische Bosheit, daß Vitriolo Hoffnung zu schöpfen anfing. Da er keinen Branntwein hatte, so gab er ihr etwas Weingeist mit Wasser und Syrup und sagte im Ton und der Redeweise eines Galeerenmeisters:
»Vorwärts! Schnell! Laß hören! Du willst mir etwas erzählen!«
Volanta sah auf Philemon, als ob seine Gegenwart sie störe.
»Sei ohne Sorge,« sagte Vitriolo, »Er ist nur treu und kann uns helfen, wenn es etwas zu thun gibt. Also, sprich!«
»Laß mich nur erst Atem holen,« stieß endlich die Alte heraus, »ich bin ganz außer Atem, weil ich hinter diesem Teufel hergelaufen bin. Und das Schlimmste ist, daß er auf mein Zurufen nicht gehört hat.«
»Von wem sprichst du?«
»Von wem soll ich sprechen, als von Manuel Venegas?«
»Was? du wolltest mit ihm reden? Hattest du ihm denn etwas zu sagen? Und von wem?«
»Du hast also nichts bemerkt? Hast du denn nicht gesehen, daß ich an ihn herantrat, daß aber der Pfarrer sich dazwischen drängte? Das freut mich! Denn dann ist das ganz neu für dich, was ich erzählen will, und du mußt mir mein Geheimnis besser bezahlen!«
»Was für ein Geheimnis? Sprich schnell.«
»Gib mir erst noch etwas zu trinken: das schmeckt mir. Also, du wirst noch nicht vergessen haben, daß ich heute früh um vier Uhr, nachdem ich dir erzählt hatte, was in Manuels Hause vorgegangen war, fortging, um dasselbe Soledad zu erzählen, die mich erwartete, da sie wissen wollte, ob ihr ehemaliger Geliebter heute die Stadt verlassen würde oder nicht – und um (nach deinem Rate) Antonio Arregui mitzuteilen, daß seine Schwiegermutter und sein Sohn die Nacht in Manuels Hause zugebracht hatten. – Ich kam ans Haus der Dolorosa, die alles vorbereitet hatte, damit mir die Thür geöffnet würde, ohne daß ihr Mann es merkte (einmal im Hause, hatte meine Anwesenheit nichts Auffallendes mehr, da ich oft die Nacht dort schlafe). Der brave Antonio war gar nicht zu Bette gegangen, sondern ging in seinem Zimmer, wütend wie ein Basilisk, auf und ab, da er am Abend vorher sehr bittre Antworten von seiner Frau (die ihn, wie du weißt, vollständig beherrscht) auf seine Frage bekommen hatte, ob sie bei der Prozession geweint habe oder nicht. Aber die schlaue Person hatte bei dieser Gelegenheit erreicht, was sie eben bloß erreichen wollte, daß der arme Ehemann nicht zu Bett ging, damit sie mich allein erwarten konnte. Deswegen hatte sie es auch durchgesetzt, daß ihre Mutter mit dem Kinde in Manuels Haus ging, indem sie vorgab, das sei das beste Mittel...
»Aber, Lucia, wie lange bist du geblieben! sagte sie, als sie mich sah. ›Reist der arme Manuel ab? Hat ihn der Pfarrer überredet?‹ Eben ist er damit fertig geworden, antwortete ich, ich glaube, er wird noch heute früh abreisen. ›Heute früh,‹ rief sie wie eine Unsinnige, ›das ist nicht möglich! Du weißt nicht, was du sagst!‹ Darauf erzählte ich ihr alles, was ich mit angesehen und gehört hatte. Während ich sprach, wurde sie bald traurig, bald zornig, bis sie endlich aus dem Bett sprang und zu mir sagte: ›Lucia, kann ich auf dich rechnen? kann ich mich auf dich verlassen? kann ich mein Leben und meine Ehre in deine Hand legen?‹ Du kannst dir denken, was ich antwortete. Jetzt hatte ich sie für immer in meiner Hand! So unterließ ich nichts, um sie in betreff meiner Treue und Liebe zu beruhigen. Darauf zog sie ein Nachtkleid und Pantoffeln an und fing an, wie eine Verzweifelte zu schreiben.«
»Gib mir den Brief,« antwortete Vitriolo, »du brauchst mir nichts weiter zu erzählen! Ich errate das übrige. Der Brief war an Manuel Venegas gerichtet, und du bist trotz alles Laufens nicht imstande gewesen, ihn ihm einzuhändigen! Du hast sehr wohl daran gethan, ihn mir zu bringen! Gib ihn gleich her!«
»Was soll das heißen: ›Gib ihn mir!‹ Vorher müssen wir abrechnen!«
»Gib mir den Brief!« brüllte Vitriolo außer sich.
»Nein! Ich gebe ihn dir nicht! Wenn ich ihn Manuel nicht geben konnte, so lag es nur daran, daß Soledad so viel Briefbogen zu beschreiben anfing und dann zerriß, ehe sie sich entschloß, mir diesen zu geben, daß, als ich auf die Straße kam (nachdem ich noch mit Antonio gesprochen hatte), es schon fünf und ein halb war, nachher aber ließ mich der Pfarrer nicht an seinen Schützling herankommen. – Aber den Brief dir geben! Was für ein Unsinn! Ich bin nur gekommen, damit du ihn mir vorlesen sollst. Siehst du nicht, daß ich in diesem Briefe ein Kapital besitze? Stelle dir vor, mit wie viel Geld Soledad ihn mir wird abkaufen wollen! Da ich nun aber nicht lesen kann, sollst du mir seinen Inhalt mitteilen, damit ich weiß, wie weit er Donna Zierliese kompromittiert.«
Vitriolo antwortete trocken:
»Ich kaufe dir den Brief ab. Ich habe mir etwas Geld gespart. Wie viel willst du dafür?«
»Das ist etwas andres. Ich gebe ihn nicht unter drei Thalern her!«
»Hier hast du sie,« antwortete der Apotheker und nahm das Geld aus der Ladenkasse. »Gib den Brief her!«
»Gib her und nimm hin!« rief die Alte lachend.
Vitriolo öffnete den Brief, der ohne Adresse war, und das erste, was seine Augen erblickten, war ein Miniatur-Porträt eines schönen Mannes von dreißig bis fünfunddreißig Jahren.
»Wer ist das?« fragte Volanta. »Er sieht Manuel ähnlich.«
»Natürlich! Es ist sein Vater!«
»Und wer hat das Bild Soledad gegeben?«
»Die Gerichte! Weißt du nicht, daß alle Besitzungen, alles Hausgerät und alle sonstige Sachen Don Rodrigos in den Besitz des Wucherers gekommen sind?«
»Freilich. Lies den Brief vor!«
Vitriolo verschlang Soledads Brief mit den Augen, und eine teuflische Freude zeigte sich auf seinem scheußlichen Gesichte, je weiter er las. Endlich war er zu Ende. Er stieß einen Ruf grausamer Zufriedenheit aus, fing wieder an umherzugehen und rief aus:
»Selbst der Teufel, selbst ich nicht, niemand auf Erden hätte eine so fürchterliche und so wirksame Waffe erfinden können! Was weder die Zuschauermenge noch die Eifersucht, noch die sogenannte Ehre, noch die Wut, noch das gegebne Wort von Manuel Venegas erreichen konnten, das wird dieses Papier, das wird die Liebe erreichen! Ach, wie liebt ihn die Schändliche! Und wie stürzt sie ihn in den Abgrund! Ich werde das Werk dieser Närrin vollenden, die den Sohn Don Rodrigos für einen gewöhnlichen Ehebrecher hält! Jetzt gleich, Lucia, jetzt gleich! ... Wir haben keine Zeit zu verlieren ... Gehe zu dem Pferdeverleiher und sage ihm, er soll ein Pferd für Philemon satteln, der gleich fortreiten muß...«
»Das ist alles recht gut,« bemerkte die Hexe, »aber was soll ich Soledad sagen, daß ich mit ihrem Briefe gemacht habe?«
»Du hast recht. Wir müssen ihre Hoffnung aufrecht erhalten, damit sie auf den Ball geht. Sage ihr also, du habest, da es dir unmöglich war, an Manuel heranzukommen, ihm den Brief durch einen Boten überbringen lassen, der dir geschworen habe, ihn unterwegs einzuholen und den Brief zu übergeben. Mach schnell, mach schnell! Sage dem Pferdeverleiher, das Pferd müsse stark und zuverlässig sein. Philemon folgt dir gleich!«
Die Volanta ging schnell ab.
»Höre, mein Freund,« fuhr Vitriolo fort, »höre diesen Brief und du wirst sehen, wie wichtig die Rolle ist, die du heute zu spielen berufen bist.«
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Manuel!
»Ich kann und darf nicht länger schweigen. Ich will nicht, daß du abreist, indem du meinen Namen verfluchst und dich an mich während deines ganzen Lebens nur mit Haß erinnerst, während doch Gott weiß, daß ich deine Verwünschungen und deinen Abscheu nicht verdiene, sondern nur ein Mitleid, welches ebensogroß sein muß wie das, was du bei mir erweckst.
»Gestern abend in der Einsiedelei und in der vergangnen Nacht in deinem Hause hat meine Mutter dich angefleht, dich für immer von mir zu entfernen und mich zu vergessen; ja, sie hat es vielleicht in meinem Namen gethan. Meine größte Freude aber würde gewesen sein, wenn ich sie hätte verhindern können, eine solche Bitte an dich zu richten! Aber wie konnte ich meiner Mutter sagen, was ich dir jetzt sagen will!
»Deswegen habe ich mich entschlossen, diesen Brief an dich zu schreiben, von dem du nicht bezweifeln darfst, daß er von meiner Hand ist: als Zeichen hiervon schließe ich einen Gegenstand bei, den du sehr genau kennst, und der allein in meinem Besitz sein konnte, das Bild deines Vaters, das wir in einem seiner Möbeln fanden und welches ich dir immer habe zurückgeben wollen, zusammen mit all dem, was ihm gehörte; denn dazu hatte mein Gewissen sich entschlossen seit dem ersten Tage, an welchem, in früher Jugend, dein Unglück mir bekannt wurde.
»Manuel, wundre dich über nichts, was ich dir gesagt habe, noch über das, was ich dir sagen will. Wundre dich auch nicht darüber, daß ich dich mit du anrede. Hast du mich doch selbst so angeredet bei dem einzigen Male, als du mit mir sprachest. Und ferner: warum soll ich es noch länger verbergen? Warum soll ich noch länger lügen und schweigen, während meine Augen stets, und meine Thränen gestern nachmittag mich verraten haben? Manuel, mein Herz gehört dir! Mein Herz war dein seit dem Tage, wo sie mich im Alter von acht Jahren in das kostbare Bett legten, in dem du so lange geschlafen hattest, und welches sie dir eben genommen hatten. Viele Nächte habe ich darin durchwacht, während ich daran dachte, daß du verwaist und in Armut mich in derselben Stunde verwünschen und hassen würdest, während du in einem Bette schliefst, das du fremder Barmherzigkeit verdanktest! Ja, mein Manuel! Seit dieser Zeit gehört mein Herz dir, das heißt schon vor der Zeit, wo ich dich kennen lernte, seitdem ich wußte, daß du existiertest, seitdem man mir dein Unglück erzählte. Dann als ich dich sah... doch was brauche ich dir das zu enthüllen, was dir zuerst die Augen des Mädchens und dann der Blick des Weibes gesagt hat!
»Ist es meine Schuld, daß deine Abwesenheit acht Jahre gedauert hat? Weißt du, was ich während dieser Zeit gelitten habe? Kanntest du nicht das eiserne Herz meines Vaters? Weißt du nicht, daß er mich in ein Kloster steckte, daß ich schon das Kleid einer Novize trug, als ich mich zwingen ließ, zu heiraten, ich wußte kaum wen, einen beliebigen, den ersten, der mich haben wollte, um zu vermeiden, daß du bei deiner Rückkehr mich von dir für ewig durch die Mauern eines Klosters getrennt fändest, die uns nicht einmal erlaubt hätten, uns so zu sehen, wie wir uns vor deiner unglücklichen Reise gesehen hatten?
»Aber wenn mich auch das Unglück gezwungen hat, mich mit einem andern zu verbinden, kennst du mich nicht, Manuel? Hast du aufgehört mit derselben Deutlichkeit in meinem Herzen zu lesen als damals, wo du der ganzen Welt entgegenriefst: ›Ich weiß, daß sie mich liebt! Ich weiß, daß sie mein ist!‹ Und wenn du mich kennst, warum gehst du fort? Warum verlaßt du mich, warum verwünschest, warum verabscheust du mich, ohne mit dem neuen Unglück kämpfen zu wollen, welches uns scheinbar trennt? Warum zwingst du mich, bei dem Manne zu leben und zu sterben, den ich nicht kenne, der mich nicht kennt, den ich nicht liebe und den ich niemals werde lieben können? Warum strafst du mich so hart und läßt mich von derselben Stadt verspotten, die mich einst mit dem Diadem deiner Liebe gekrönt hatte?
»Undankbarer! Grausamer! Willst du mich mit solcher Abneigung und mit solcher Ungerechtigkeit belohnen, während ich siebzehn Jahre auf dich gewartet habe? Willst du erst auf acht Jahre und jetzt für immer fortgehen, ohne zu begreifen, daß seit der ersten Stunde, wo ich mich von dir getrennt sah, ich dir im stillen Ehre und Liebe geopfert habe? Thor, der du mich nicht heimlich aufgesucht hast! Thor, der du immer die große Menge zum Zeugen aufriefst! Thor, der du glaubtest nach Amerika gehen und eine Million erwerben zu müssen, um bis zu mir gelangen, um meiner Liebe dich versichert halten zu können! Thor, der du jetzt glaubst, einen Mord begehen, die Welt erzittern machen, Hindernisse überwinden zu müssen, um endlich über die Härte unsers Schicksals triumphieren und alle Träume unsers Lebens in süße Wirklichkeit sich verwandeln sehen zu können! Warum zwingst du mich, wahnsinnig vor Liebe und das Antlitz mit Glut übergossen, dir zu sagen, was du längst hättest erraten sollen, leichtsinnig zu reden und zu handeln, obgleich du weißt, was du seit dem ersten Augenblick weißt, wo du mich erblickt hast, daß du der König meines Herzens und der Herr meines ganzen Seins und Wesens bist! Der einzige Mann, den ich geliebt habe und je werde lieben können! Der einzige, der mir Leben oder Tod geben kann!
»Begreifst Du es, mein Manuel? Begreifst du es? Deine arme Soledad hat den Verstand verloren! Deine Soledad schreibt an dich, in Verzweiflung darüber, daß du sie für immer verlassen willst, ihres Verstandes nicht mächtig, halb tot vor Liebe, ohne Stolz, ohne Rückhalt, wie die Gattin dem Gatten ihres Lebens! O gehe nicht fort! Komm! Verzeihe mir! Erbarme dich meiner! Gib mir dein Herz zurück, auch wenn wir damit beide unsern Tod heraufbeschwören!
Soledad.«
»Ein schrecklicher Brief!« rief Philemon entsetzt aus.
»Ja! Entsetzlich!« antwortete Vitriolo. »Ein Meisterwerk fürchterlicher Leidenschaft, sei es nun des Stolzes oder der Liebe! Die Schändliche hat Antonio Arregui geheiratet, damit man nicht sagen sollte, ich sei der einzige gewesen, der, um sie zu besitzen, dem Zorne Manuels sich auszusetzen den Mut hatte, und heute überliefert sie ihren Gatten dem Dolche Manuels, damit man nicht sagen soll, er gehe fort, indem er sie verachte, und ohne sie eines Kampfes auf Leben und Tod wert zu halten! Und wenn ich denke, daß ich sie immer noch anbete!«
Philemon antwortete:
»Wenn du diesen Brief an Antonio Arregui schicktest, so würde er seine Frau augenblicklich ermorden und dein ganzer Kummer wäre beendet.«
»Ich habe auch schon daran gedacht, aber das paßt mir nicht,« versetzte Vitriolo mit gräßlicher Kälte. »Ich will, daß Antonio von Manuel ermordet wird, und daß Manuel unter der Würgschraube des Henkers stirbt. Auf diese Weise wird die schändliche Witwe verlassen und entehrt, ebenso unglücklich werden wie ich. Ferner: der Triumph Don Trinidads besteht darin, daß Manuel friedlich abreist. Deswegen ist es absolut notwendig, daß der Sohn Don Rodrigos zurückkehre und morde!«
»Du hast recht! Gib mir den Brief! Das Pferd muß gesattelt sein!«
»Nimm ihn, mein Sohn, nimm ihn!« rief Vitriolo mit unheilverkündender Freude aus, »der Ruhm der Philosophie und meine ersehnte Rache liegen jetzt in deiner Hand! Ich glaube, du wirst unsern Helden bald einholen. Der Unsinnige hat seit drei Tagen kaum etwas genossen noch geschlafen, und seine Kräfte müssen, wie alles auf Erden, ihre Grenze haben! Ferner muß das (wie mir Volanta sagte) mit Gold vollgestopfte Felleisen sein Pferd hindern, schnell zu gehen. Wenn du ihn einholst, so sagst du ihm, du seist in der Fabrik Antonios beschäftigt und dessen Gattin habe dir den Brief im tiefsten Geheimnis übergeben, dann erzählst du ihm, daß Arregui gestern nach der Kapelle der heiligen Luparia gekommen sei, um ihn herauszufordern, daß deswegen die ganze Prozession ins Laufen gekommen sei und man ihn in der Sakristei eingeschlossen habe. Ferner, daß Antonio ihn auch heute früh habe herausfordern wollen, bis ihn Don Trinidads Bitten bewogen, davon abzustehen. Endlich, daß Soledad und ihr Mann heute nachmittag auf den Ball gehen werden, und daß der stolze Fabrikant sich heute auf den Plätzen und in den Straßen gerühmt habe, er habe den gefürchteten Don Manuel Venegas aus der Stadt vertrieben. Ah, beinahe hätte ich das Wichtigste vergessen! Du mußt ihn zu dem Glauben bringen, Don Trinidad habe heute aller Welt die Abreise seines Pflegesohns damit erklärt, daß er erzählte, das Christuskind habe in der Nacht zu ihm gesprochen und ihm befohlen, die Stadt zu verlassen, sowie alle seine Kleinodien dem Pfarrer zu übergeben, damit derselbe nach Belieben mit ihnen schalten könne. Kurz: erfinde, rede, lüge! Alles ist erlaubt, wenn es sich darum handelt, die menschliche Gesellschaft zu retten!«
»Sei ohne Sorge, Meister! Ich weiß was ich zu sagen habe,« unterbrach ihn Philemon, ihm die Hand drückend, »Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn, am Nachmittag, wenn ich Manuel heute einhole! Hole ich ihn nicht ein, so gehe ich ihm nach bis ans Ende der Welt!«
»Du bist ein ganzer Mann! Wenn ich sterbe, sollst du meine Stelle einnehmen!« antwortete Vitriolo, begleitete ihn bis an die Thür der Apotheke und umarmte ihn väterlich.
Sobald der Bote des Verderbens verschwunden war, fügte er finster hinzu:
»Soledad! Du sollst nicht sagen, daß ich dich vergessen habe. Meinen Brief hast du einem Hunde zu fressen gegeben, ich gebe deinen einem wütenden Tiger! Nun, wir sind quitt, Seele meiner Seele!«
Dieselbe Sonne, deren Strahlen am Morgen den feierlichen und rührenden Abschied Manuels gesehen hatten, setzte um drei ein halb Uhr nachmittags ihren majestätischen Lauf am Himmel fort, an dem sie nur noch die wenigen Stunden eines Tages zu bezeichnen hatte, der scheinbar unnütz war und dessen Interesse die Bewohner der Stadt schon mit dem frühen Morgen erloschen wähnten.
Trotzdem gehorchte die Mehrzahl derselben dem Gesetze uralter Gewohnheit und begab sich nach Tisch in das Amphitheater gelblicher Hügel, die mit bewohnten Kellern besetzt waren. Denn hier sollte, wie alljährlich an diesem Tage, der Lotterieball stattfinden, auf welchem vor acht Jahren Manuel von Don Elias Perez bei der verhängnisvollen Auktion besiegt worden war.
Nicht allein dieser Geizhals, sondern auch viele andere, Reiche und Arme, welche wir damals dort gesehen haben, waren in der Zeit von 1832 bis 1840 gestorben. Anderseits waren unzählige, die damals Knaben und Mädchen waren, jetzt herangewachsen. Viele Junggesellen und junge Mädchen hatten sich verheiratet, und nicht wenige Väter und Mütter, die damals frisch und jung waren, waren alt geworden. Deswegen war das Bild, wenn auch in den einzelnen Zügen verändert, dennoch im großen und ganzen dasselbe geblieben.
Wie in jenem Jahre waren jetzt Geistliche und Mitglieder der Brüderschaft, Soldaten und Tänzerinnen, vornehm und gering zugegen. Vor den Thüren der dunkeln Keller sah man Reihen von Stühlen aufgestellt, auf welchen schön geputzte Damen und sonntäglich angezogene Herren saßen. Im Lichte der Sonne glänzten die lebhaften Farben der Tücher und Kleider der Mägde und Bäuerinnen, die bunten Westen und roten Leibbinden der Männer aus dem Volke, die Weißen, gestrickten Strümpfe derer, die Kniehosen trugen, die farbigen, vielfaltigen Unterröcke der armen, barfuß gehenden Mädchen, die kein Kleid darüber trugen, und die verbrannte Haut der Kinder, die überhaupt nichts anhatten.
Ebenso sah man dort auf einem mit einem Altartuche überdeckten Tische die schöne Gestalt des Christuskindes, glänzend von allen Juwelen, die ihm wenige Stunden vorher Manuel Venegas geschenkt hatte. Sein amerikanischer Dolch, dessen goldner Griff ebenfalls mit kostbaren Steinen verziert war, lag gleichfalls noch zu den Füßen des Heiligenbildes, ebenso wie man den Drachen der Sünde auf Gemälden der Jungfrau Maria zu Füßen legt.
Das Volk betrachtete in frommer Dankbarkeit gegen den Himmel (wenn man den fortwährend geäußerten Worten Glauben schenken durfte) jene kostbaren Opfer so heftigen Zornes, der sich plötzlich in christliche Sanftmut verwandelt hatte, mit ebenso großem Staunen als Neugierde. Ohne Zweifel füllte in seiner maurischen Einbildungskraft, die sich immer nach lebhaften Erregungen sehnt, der Gedanke an diese wunderbare Verwandlung die Lücke aus, die durch die friedliche Beendigung eines so dramatischen und ungewöhnlichen Konfliktes entstanden war, wie der, welchen Don Trinidad hatte zu schanden werden lassen. Die Tragödie war nicht zu Ende gespielt worden: aber den Leuten blieb ein bessrer und edlerer Gegenstand unendlicher Besprechungen: ein religiöses Gedicht!
Trotzdem herrschte eine traurige und düstere Stimmung. Vielleicht war bei den Leuten das Gegenteil von dem der Fall, was bei Manuel zutraf. Während dieser Mitleid ohne Glauben hatte, hatten sie vielleicht Glauben ohne Mitleid. Möglicherweise lag es auch daran, daß die Domherren, die man noch erwartete, um das Fest zu beginnen, noch immer nicht gekommen waren, oder daran, daß der alte Hauptmann noch nicht da war, welcher der Anführer bei diesem Balle war, oder daran, daß die traurige Nachricht gekommen war, daß Don Trinidad an einem hitzigen Fieber im Bette lag und einen Notar hatte kommen lassen, um als Erbe der Reichtümer Manuels ein Testament zu machen.
Die Ankunft Antonios mit der Dolorosa machte allen Unterhaltungen der Anwesenden ein Ende.
Antonio sah bleich und verstört aus, war aber zuvorkommender als je gegen seine Frau, als wolle er sich öffentlich seines ehelichen Glückes rühmen, vielleicht auch, um eine wirkliche häusliche Annäherung anzubahnen.
Soledad schien nicht mehr die geheimnisvolle Sphinx zu sein, die sie früher gewesen war. Sie hatte ihr Benehmen, ja, man konnte sagen, ihren Charakter geändert. Sie war unruhig, sah sich nach allen Seiten um, und ihre Augen waren nicht mehr stumme Abgründe voll von Schatten, sondern thätige Vulkane überströmender Liebe.
Sie war weiß gekleidet wie eine Braut. Ein schwarzer Kopfputz von Spitzen ließ die Weiße ihres Halses noch mehr hervortreten, ebenso wie zwei Perlenschnüre, die sie als Armbänder trug, im Vergleich mit ihren schneeweißen Armen dunkel schienen. Sie war außerordentlich schön: nie hatte die Versuchung eine gefährlichere Gestalt wahrgenommen.
Maria Josepha hatte sich nicht an die Seite der geliebten Tochter, sondern neben Antonio Arregui gesetzt. Schreckliche Angst hatte sie während dieser beiden Tage ausgestanden, aber trotzdem stand sie noch wachsam vor der Bresche, als ob traurige Ahnungen sie bekümmerten, Ehre und Muster des weiblichen Geschlechtes, das in dem engen Rahmen dieser Erzählung eine so untergeordnete Rolle spielt, haben wir diese edle Frau erst als treue, arbeitsame und geduldige Gattin, sowie als zärtliche Mutter und als Freundin der Bedürftigen gesehen: an diesem Nachmittage fand sie wirklich unter der zahlreichen Menge viele Blicke des Mitleides und der Achtung, als würdige Belohnung langen Leidens!
Endlich kamen die Domherren. Sogleich fing die Lotterie und dann der Ball an, der letztere unter Begleitung maurischer Instrumente, Guitarren, Zimbeln und Kastagnetten, gerade ebenso wie vor der Eroberung des Landes durch Ferdinand und Isabella.
Die tanzenden Paare fanden sich nicht durch Auktion, sondern freiwillig zusammen, da sie bis jetzt nur aus Männern und Mädchen der untern Volksklassen bestanden, je nachdem Wunsch und Neigung sie zusammenführte. So gab es nichts weiter zu bewundern, als das unbefangene Einhersegeln dieser oder jener dicken und rotbäckigen Magd, die sich wie ein Kreisel drehte, oder die graziösen und fortwährend wechselnden Wendungen ihres weißstrümpfigen und unermüdlichen Tänzers.
Was die Lotterie anlangt, so war das Interesse der Gebildeten noch sehr viel geringer, da man nichts andres verauktionierte, als die Schnüre von Rosinen, die in Oel gebacknen Kuchen und die Bündel von getrockneten Aepfeln und Birnen, welche die Frommen dem Christuskinde geschenkt hatten.
Auf diese Weise wurde es fünf Uhr, und einige von den angesehenen Familien schickten sich schon an, nach Hause zu gehen, unter ihnen Antonio Arregui mit den Seinigen, als man plötzlich in den entferntesten und zugleich höchsten Kellern eine große Bewegung wahrnahm, begleitet von dem Geschrei der Weiber und Kinder.
»Manuel Venegas! Manuel Venegas! Da kommt er! Jetzt reitet er durch die Weinberge! Gleich wird er hier sein!«
Ein Blitz aus heiterem Himmel hätte in der dicht gedrängten Menge keinen größern Schreck hervorgebracht. Alle standen auf. Musik und Tanz hörte auf. Man lief dem Gefürchteten entgegen, indem man sich nach den Angaben derer richtete, die ihn sahen (denn er kam auf einem ungewöhnlichen Wege heran); andre liefen in der entgegensetzten Richtung fort, als wollten sie dem Sturme entgehen, den man Heraufziehen zu sehen glaubte. Ja einige sprachen davon, Don Trinidad Muley holen zu wollen.
Antonio Arregui war der einzige, der sitzen blieb, oder vielmehr, der sich wieder hingesetzt hatte, als er die Nachricht von der Ankunft des Gefürchteten erhielt. Er sah leichenblaß aus, schien aber entschlossen, ruhig und fast gleichgültig gegen das, was sich ereignen könnte.
Maria Josepha sagte unter Thränen zu ihm:
»Laß uns nach Hause gehen! Komm! Denke daran, daß du einen Sohn hast!«
Andere Frauen erboten sich, ihn in diesem oder jenem ganz sicheren Keller zu verstecken.
Die obrigkeitlichen Personen suchten ihn zu beruhigen, indem sie ihm sagten, sie würden keine Gewaltthat zulassen.
Antonio antwortete keinem.
Soledad stand da, schweigend, schrecklich, und schien den Entschluß ihres Gatten abzuwarten.
»Setze dich,« sagte er in barschem Tone zu ihr und ohne sie anzusehen.
Soledad gehorchte gleichgültig.
Die Beamten und das andere Publikum zog sich kühl von Antonio zurück, da er ihnen keine Antwort gab. Der Alkalde ging fort, um sich über die Sache mit dem Haupte seiner Partei, Don Trajano Perikles de Mirabel, zu beraten, dem er seinen Stab verdankte.
Der Jurist gab den Spruch ab, man könne Manuel Venegas nicht verhaften, so lange er kein Verbrechen begehe oder zu begehen versuche. Doch müsse man auf ihn, ebenso wie auf Antonio Arregui, sorgfältig achten.
Darauf bat der Alkalde die Zuschauer, sich zu setzen, und gab den Befehl, mit der Musik und dem Tanze fortzufahren. So geschah es auch, obgleich niemand Lust zu tanzen oder dem Tanze zuzusehen hatte.
Inzwischen war Manuel erschienen, nicht auf der Straße von der Stadt her, sondern oberhalb der Hügel, als habe er von der nahen Sierra den Weg querfeldein genommen, um schneller anzukommen.
Er war zu Pferde und hatte nur noch wenige Hindernisse zu nehmen, um auf die Landstraße zu gelangen. In wenigen Augenblicken mußte er da sein!
Die Verlegenheit des »Chores« war ebenso groß als schwer zu beschreiben. Er hatte in diesem Drama so oft die Rolle gewechselt, daß er jetzt nicht wußte, wie er sich stellen sollte, ja vielleicht im Unklaren über seine eignen Gesinnungen war.
Währenddessen kam Manuel in dem ebenen Raume an, der den Mittelpunkt des Festes bildete. Er stieg vom Pferde, warf den Zügel dem ersten besten Dienstfertigen zu, der sich ihm zur Verfügung stellte, und schritt, ohne jemand anzusehen oder zu grüßen, dem Tanzplatze zu.
Antonio drehte seinen Stuhl soweit um, bis er dem Nebenbuhler den Rücken zuwandte, als wolle er die Sorge für sein Leben dem Gewissen der Zuschauer und den Vertretern des Gesetzes überlassen.
Manuel war durch die achtundvierzig Stunden beständiger Qualen unkenntlich geworden. Fieberhaft, seiner selbst nicht mächtig, durch den Brief der Geliebten fast zum Wahnsinn gebracht, schaute er sie mit derselben schrecklichen Verwegenheit wie immer, aber zugleich mit einem Blicke glücklicher Liebe und offnen Triumphes an. Wenn der Gatte diesen Blick, der die Zuschauer mit Staunen erfüllte, gesehen hätte, so hätte seine Ehre ihn von seinem Sitze aufspringen lassen und er wäre auf den Verwegenen losgesprungen, der ihn so beleidigte. Doch er kümmerte sich nicht um Manuel und sah ihn nicht an.
Soledad ihrerseits hatte die Augen auf den Boden geheftet.
Die Mutter war die einzige, der nichts entging, und deswegen zitterte sie wie Espenlaub.
Auch das Publikum zitterte. Keiner war unter der Menge, der nicht leise vor sich hinsagte:
»Das ist schrecklich! Es ist als ob man hier Blut röche!«
Andere fügten hinzu:
»Habt ihr es gesehen? Manuel hat ein paar Pistolen im Gürtel!«
Mit einem Worte, die Sache stand so schlimm, daß Liebhaber von Unglück und tötlichem Streit sich nichts Besseres wünschen konnten. Wenn Vitriolo da gewesen wäre, so hätte er sich vor Freude, wie man zu sagen pflegt, in Rosenwasser gebadet.
Da kam der gute alte Kuchenbäcker des Hauptplatzes auf einen glücklichen Gedanken, der aus seinem Wunsche entsprang, den drohenden Konflikt dadurch zu vermeiden, daß er Manuels und des Publikums Aufmerksamkeit nach einer andern Seite ablenkte.
»Einen Real,« rief er aus, »daß Manuel mit der Sennora Marquesa tanzt?«
Dabei deutete er auf eine der anwesenden Damen.
Man klatschte laut Beifall und der Einfall des alten Mannes rief unter den Zuschauern eine ausgelassne, aber nicht ganz natürliche Freude hervor, da sie vielmehr Mitleid und Großmut war. Die Sache des Guten hatte vielen Boden gewonnen.
Niemand bot gegen den gutherzigen Alten. Die allergewöhnlichste Höflichkeit verbot Manuel, den Tanz mit der Dame auszuschlagen; anderseits paßte es zu seinen Absichten, daß das überlieferte Gesetz dieses Balles heute von aller Welt blind befolgt würde. So gab er dem freundlichen Drängen des Publikums nach und trat auf die Fremde zu.
Die Dame ließ sich nicht erst bitten und stand schon da, als Manuel, den Hut in der Hand, auf sie zutrat. Sie lächelte unsern Helden, wie zum Gruß, liebenswürdig an und nahm die Mantille so geschickt unter den rechten Arm, als wenn sie im Albauicin geboren.
Manuel bewegte sich fast nicht. Man konnte sagen, daß er nur hin- und herschwankte, indem er dem wechselnden Gehen und Kommen seiner schönen Tänzerin sich entgegen bewegte, deren seidnes Kleid bei jeder graziösen Drehung ihrer Arme und ihrer Figur wie die leuchtenden Schuppen einer schönen Schlange knisterte, die sich abwechselnd aufrichtet und zusammenzieht, um ihr Opfer zu bezaubern.
Doch der Unglückliche, dem sein trauriges Schicksal noch diesen Hohn aufbewahrt hatte, erhob den Blick nicht vom Boden.
Inzwischen benutzte Soledad die allgemeine Beschäftigung mit diesem Tanze, um Manuel mit den Augen zu verschlingen. Antonio kehrte seiner Frau und dem Publikum noch immer den Rücken zu.
Endlich hörte die Marquesa mit dem Tanze auf und blieb mit halb ausgestreckten Armen stehen, auf die unvermeidliche Umarmung wartend.
Manuel stand verlegen da, aber auch sie blieb unbeweglich stehen, durch weibliche Scheu zurückgehalten.
»Er muß sie küssen!« rief das Publikum.
Manuel trat schüchtern vor und umarmte die Fremde unter dem Beifallklatschen der Menge.
Darauf ergriff sie seine Hand, um sich von ihm auf ihren Platz führen zu lassen, und sagte ihm, nachdem sie einige Schritte gethan hatten, indem sie stehen blieb:
»Nun Sie reisen also doch nicht! kommen Sie und besuchen Sie mich. Wir wollen von Amerika reden. Ich habe Besitzungen in Lima!«
»Sennora,« antwortete Manuel finster, »Sie haben die Grausamkeit gehabt, mit einem Leichnam zu tanzen!«
Die Fremde überlief es kalt bei diesen Worten, sie ließ Manuels Hand los, machte ihm eine zeremoniöse Verbeugung und eilte auf ihren Platz zurück.
»Ein sehr feingebildeter, ein höchst angenehmer Mann!« sagte sie nach links und nach rechts hin, um ihre Furcht und Demütigung zu verbergen.
In diesem Augenblick hörte man Manuel Venegas' Stimme, er rief:
»Hunderttausend Realen, daß diese Dame mit mir tanzt!«
Dabei deutete er auf Soledad.
Alle standen auf, und Antonio zuerst von allen.
Es herrschte eine unbeschreibliche Aufregung:
Manuel Venegas stand allein, mit gefalteten Armen, die Augen auf die Dolorosa geheftet, in der Mitte des Platzes.
Soledad und ihre Mutter hielten Antonio zurück, während die Beamten, die Domherren und viele andere ihm auseinandersetzten, daß Manuel in seinem Rechte und daß sein Verlangen legal sei, daß man dasselbe nur dann zurückweisen könne, wenn man ein größeres Gegengebot mache, daß dies jedoch Thorheit sei, da der Bietende Millionen besitze und halbtoll sei.
Das gemeine Volk und der ganze Haufe von Straßenjungen und Bettlern rief dazwischen laut aus:
»Hunderttausend Realen sind geboten? – Wenn der andere nicht mehr bietet, muß er sich's gefallen lassen! – Vorwärts, Sennora! Tanzen Sie! Es wird schon spät! Der Knabe Jesus geht allem vor! – Sennor Arregui, hier kann man nur mit Geld kämpfen! Das Geld her oder die Frau! Ein drittes gibt es nicht!«
Antonio mußte von seinem, aus seinen halblauten Worten hervorgehenden Plane abstehen, mit Manuel ein Duell zu verabreden. Der Majordomus der Brüderschaft rief in offiziellem Tone aus: »Hunderttausend Realen, daß die Sennora de Arregui mit Don Manuel Venegas tanzt!« Wütend rief Antonio aus:
»Mein ganzes Vermögen, daß sie nicht tanzt!«
»Das gilt nicht! – Dieses Gebot ist null und nichtig – Seit dem, was sich vor acht Jahren ereignet hat, wird nur das Angebot baren Geldes zugelassen! Don Elias hat der Brüderschaft damals jene zweitausend Thaler nicht bezahlt, und wir, ihre Mitglieder, haben noch die Kosten des Prozesses tragen müssen!«
Dies war der Inhalt dessen, was dem erzürnten Ehemann die Rufe der Menge in verschiedenen Ausdrücken und auf verschiedene Art sagten, ebenso wie die Aeußerungen der ihn Umgebenden.
Manuel blieb scheinbar teilnahmlos in der Mitte stehen.
Soledad hatte mehreremale zu ihrem Gatten gesagt:
»So gib doch nach! Ich kann ja tanzen! Was kommt darauf an?«
»Du tanzest nicht!« antwortete jedesmal Antonio barsch.
»Du hast recht! Sie darf nicht tanzen!« rief Maria Josepha aus, »laß uns nach Hause gehen!«
»Das ist unmöglich!« antworteten angesehene Männer ebenso wie die städtischen Beamten. »Wir müssen die Sitten der Stadt achten. Wir müssen eine Empörung verhindern. Der Knabe Jesus darf dieses Geld nicht verlieren.«
»Ich werde in mein Haus und zu meinen Freunden gehen und alles Gold herbringen, was ich auftreiben kann! Ich will bis an die Wolken bieten!« antwortete der Riojaner.
»Thorheit,« erwiderten die andern. »Es wird gleich dunkel sein! Und dann: wollen Sie Ihre Frau hier allein lassen? Mitnehmen aber können Sie sie nicht, ohne daß sie getanzt hat. Niemand würde das zulassen!«
In diesem Augenblick stand die Marquesa auf, ging auf Soledad zu, nahm sie bei der Hand und sagte im höflichsten Tone zu ihr:
»Sennora, ich bitte um die Ehre, Sie zu dem Tanze führen zu dürfen. Und Sie, Kaballero Arregui, bedenken Sie, daß ich selbst mit dem Herrn getanzt habe, um den es sich handelt. Also kommen Sie, Sennora, ich bitte Sie darum.«
Soledad stand auf.
Arregui wußte nicht, was er antworten sollte, und senkte in Verzweiflung das Haupt.
Die Zuschauer machten Platz, und die Fremde führte Soledad dahin, wo ihr verwegener Liebhaber sie erwartete.
Manuel hatte das aus seinem Gürtel herausgenommen, was wie Pistolen ausgesehen hatte, und wovon sich nun zeigte, daß es zwei Rollen von Goldunzen waren. Er zählte dreihundert und dreizehn auf den Teller auf, den ihm ein Mitglied der Brüderschaft hinhielt, und sagte im natürlichsten Tone von der Welt:
»Es ist eine halbe Unze zuviel, gebt sie einem Bedürftigen.«
Darauf wandte er sich zu Soledad und grüßte sie mit ritterlichem Anstande, indem er den Hut abnahm. Die Musik fing an zu spielen und der schicksalsvolle Tanz der beiden Wesen begann, die niemals ein Wort mit einander gewechselt hatten und von denen man trotzdem sagen konnte, daß ihr Leben vereint, von einer Seele belebt, und demselben Verhängnis unterworfen gewesen war.
Soledad tanzte nicht; sie kam und ging von einer Seite zur andern mit auf den Boden gehefteten Augen und wie von einem Schwindel erfaßt. Auch Manuel tanzte nicht: er folgte den Schritten der Dolorosa, indem er sie mit einer Leidenschaft betrachtete, wie der Durstige auf das Wasser schaut, das seine Lippen benetzen soll.
Antonio saß zitternd, das Antlitz in den Händen verborgen, da, um nicht zu, sehen, wie seine Liebe, vielleicht seine Ehre verraten werde.
Die Zuschauermenge verharrte in furchtsamem Schweigen: vielleicht war es das Abbild der schon vorher empfundenen Reue.
Endlich stand Soledad still, wie um den schrecklichen Tanz zu beendigen. Sie hob ihre bezaubernden, leidenschaftlichen, verräterischen Augen zu Manuel auf, in denen man den ganzen Brief lesen konnte, den sie am frühen Morgen geschrieben hatte.
Manuel kam der Geliebten mit geöffneten Armen entgegen, und sie warf sich an seine Brust, ohne die Leidenschaft ihres Herzens unterdrücken zu können. Der Unglückliche nahm sie in seinen Armen auf und preßte sie an sein Herz wie den Kampfpreis seines ganzen Lebens. Himmel und Erde verschwanden für die beiden Unsinnigen.
»Hilfe! Hilfe! Er erdrückt sie!« rief plötzlich die Mutter aus und stürzte auf sie los.
»Mörder!« rief Arregui, als er die Augen erhob und sah, was vorging.
»Er hat sie ermordet!« riefen andere im Tone unbeschreiblichen Entsetzens aus.
Alle hatten gesehen, wie Soledad dunkelblau wurde, wie ihr Blut aus Mund und Ohren strömte und ihr Haupt auf die Brust Manuels herabsank.
Und inzwischen schaute der Unselige – ohne Zweifel in völliger Unkenntnis über das, was er gethan hatte – hinter sich, gleichsam die ganze Welt dazu herausfordernd, ihm die Geliebte zu entreißen.
Während dessen war die Mutter herbeigeeilt und gab sich vergebliche Mühe, die Tochter den Armen dieses Löwen zu entreißen.
Antonio seinerseits stürzte auf den Dolch los, der noch immer zu den Füßen des Bildes Christi mit der Weltkugel lag, ergriff ihn und eilte auf Manuel zu, indem er einen lauten Schrei der Verzweiflung und der Rache ausstieß.
Manuel sah ihn kommen, sah, daß er den Dolch auf ihn zückte, und fühlte den Stich: aber er that nichts, um sich zu verteidigen, damit er die Geliebte nicht loszulassen brauchte.
Erst als der Dolch sein Herz durchbohrt hatte, öffnete er die Arme und die Leiche der Dolorosa fiel zu Boden.
So lagen die beiden Liebenden im Tode vereint da, und beider Blut tränkte vermischt die durstige Erde.
Die Mutter stürzte sinnlos auf die Leichen hin.
Antonio legte den Dolch wiederum zu den Füßen des Heiligenbildes nieder und übergab sich den Händen der Justiz.