Aischylos
Die Grabesspenderinnen
Aischylos

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(Königspalast zu Argos. In der Mitte der Bühne Agamemnons Grab. Orestes und Pylades kommen in Wandrerstracht und gehn zum Grabe; Orestes steigt die Stufen hinauf)

Orestes:
O Grabeshermes, der dir beschiednen Macht gedenk,
Sei Retter, sei Mitkämpfer mir, dem Flehenden!
In dieses Land gekommen bin ich, heimgekehrt,
Und ruf meinen Vater hier an Grabesrand,
Daß er mich anhört, meinen heilgen Schwur vernimmt!
(Denn dich zu rächen, Vater, bin ich heimgekehrt,
Dein Sohn Orestes, der ich im fernen Phokerland,
Verwaist der Heimat, durch der Mutter arge List
Verstoßen, aufwuchs, daß ich dir einst Rächer sei;
Mich aber sendet Loxias' trugloser Spruch,
Daß dir der Mörder wieder, dir die Mörderin,
Dein Blut zu sühnen, fallen muß durch diese Hand.
So hör mich, Vater, schaue gnädig auf mich her,
Daß ich erfülle deines Blutes heilig Recht,
Wie mir der Gott es, Loxias es mir gebeut!
Ich aber weih dir ärmlich, trauerreich Geschenk,
Des eignen Grames treuen Gruß auf deine Gruft;
Zum ersten Male schnitt ich mir als Pflegedank)
Die Scheitellocke für des Inachos Fluten ab,
Zum zweitenmal jetzt meine Trauerlocke dir,
(Daß dir sie Zeugnis gebe, deines Blutes Sohn
Sei heimgekommen, Vater, in dein teures Haus,
Die Missetat zu rächen, zu erwerben sein
Und seiner Schwester lang entwöhntes Erb und Recht!)
(Aus der Tür der Frauenwohnung kommt der Chor, in schwarzen Kleidern und Trauerschleiern; in gleicher Mägdetracht Elektra)
Was dort erblick ich? Was bedeutet jene Schar
Von Weibern, schwarzverhüllten, die sich trauernd nahn?
Auf welch Ereignis rat ich oder deut ich dies?
Betraf ein neuer Todesfall vielleicht das Haus?
Könnt ich vermuten, ihre Spenden brächten sie
Für meinen Vater, für die Toten fromme Pflicht?
Nicht anders ist es; denn Elektra, glaub ich, selbst
Geht dort mit ihnen, meine Schwester, tief gebeugt
Vor Kummer. O Zeus! gib zu sühnen mir den Tod
Des Vaters, sei mir gern ein Helfer meiner Tat! –
Laß uns zurückgehn, Pylades, damit ich klar
Erkennen könne, was bedeute dieser Zug!
(Beide verbergen sich)

Erste Strophe

Chor:
Entsandt dem Hause kam ich her,
Geleit der Spende mit der Hände wildem Schlag!
Die Wange blutet heiß in tiefen Rissen,
Wiedergerissenen Nägelfurchen mir!
Und rastlos, weh, an Wehklage weid ich meinen Sinn!
Zu Fetzen reißt mein Kleid entzwei,
Zu linnezerrißnen in meinem Gram!
Mein schwarz Brusttuch, mein weitfaltiges Kleid
Zerfetzt der ungewehrte Schmerz!

Erste Gegenstrophe

Denn furchtberedt, gesträubten Haars,
Des Hauses Träumedeuter, aufgeschreckt im Schlaf
Zu neuem Graun, hat mitternächtgen Angstschrei,
Mordesgeschrei an dem Herde geschrien,
Zu uns ins Fraungemach taumelwild sich hineingestürzt.
Des Traumes Deuter sprachen dann
Und riefen zu Zeugen die Götter an:
Sehr voll Ingrimm sei'n, sehr zornig die Toten,
Ihren Mördern wildempört!

Zweite Strophe

Und diese Liebe liebelos, die sühnen soll die Schuld,
Io, Erde, Erde!
Spendet, sendet her das gottvergeßne Weib!
Mich bangt's, auszustoßen dieses Wort!
Denn welche Sühne gibt es für vergossen Blut?
Io, du allbeweinter Herd!
Io, du untergrabnes Haus!
Ja, graungemieden, sonnenlos umhüllt tiefes Dunkel das Haus,
Drin erschlagen der Herr ward!

Zweite Gegenstrophe

Ehrfurcht, versagt, verargt, gefährdet nimmer sonst,
Dem Volk eingewohnt sonst
Tief in Ohr und Herzen – jetzt empört sie sich!
Voll Angst weiß ich eine! – Glücklich sein,
Das gilt als Gott den Menschen und gilt mehr als Gott!
Ein letzter Schlag versieht das Recht
Urplötzlich dem am Tage noch,
Dem stürzt er lauernd im streitgen Licht der Dämmrung heimtückisch hervor,
Nacht fängt andre, die nie tagt!

Dritte Strophe

Das Blut, von seiner Amme, Erde, aufgefahn,
Gerann zum Racheblutmahl, nie verfließt es mehr;
Voll Tücke verschiebt Ata sie noch, daß, wer es tat,
Seh seines Jammers Blütenpracht!

Dritte Gegenstrophe

Wer frech sich fremdes Brautgemach erbrach, gesühnt
Wird nimmer der; und strömte aller Ströme Flut
Allseits her, bluttriefenden Mord
Hinwegzuspülen, doch umsonst strömten sie!

Epode

Doch ich – denn mir wiesen hier Magd zu sein
Die Götter zu; fortgeschleppt vom Herd meiner Heimat
Ward ich früh ins Los der Knechtschaft –,
Ich muß, was recht, muß, was schlecht meine Herrschaft hat getan,
Ich muß, da mich Gewalt zwingt, es preisen,
Muß meines Herzens Haß vergessen! –
Ins Gewand verhüllt, umsonst bewein ich
Meines Königs Los, verstein ich
Im verhaltnen Herzensgram!

Elektra:
Ihr teuren Wärterinnen, vielgetreue Fraun,
Mit mir gekommen seid ihr, dieses heilgen Zugs
Geleiterinnen; drum so sagt mir euren Rat:
Wenn auf das Grab ich gieße diesen Trauerguß,
Wie soll ich freundlich sprechen? Wie zum Vater flehn?
Sag ich, von seiner lieben Gattin sei ich ihm,
Dem lieben Mann, von meiner Mutter ich gesandt?
Dazu gebricht's an Mut mir; und nicht weiß ich, wie
Ich beten könnte, wenn ich auf des Vaters Grab
Dies spende. Oder sag ich nach dem heilgen Brauch:
Vergelten mög er denen, die ihm diesen Kranz
Gesandt, vergelten auch der Bösen bös Geschenk?
Soll schweigend, schmachvoll, so wie einst mein Vater fiel,
Ich gießen dieser Spende grabgetrunknen Guß,
Die Schale dann, als wär sie unrein, gottverflucht,
Wegschleudern abgewandten Blicks und wieder gehn?
So wollt mir raten, Teure, was ich möge tun;
Ist uns gemeinsam doch der Haß in jenem Haus!
Nicht bergt's in eurem Herzen, irgendwie besorgt;
Denn sein Verhängnis harrt des Freien ebenso
Wie des von fremden Siegers Hand geknechteten.
So sprich, wenn du mir Beßres weißt, als ich gesagt!

Chorführerin:
Gleich einem Altar ehrend dir des Vaters Grab,
Sag ich, du willst es, was ich im tiefsten Herzen denk.

Elektra:
So sag mir, wie wohl ehrtest du des Vaters Gruft?

Chor:
Zur Spende segne, die ihm treu gesinnet sind.

Elektra:
Wen aber von den Seinen darf ich nennen so?

Chor:
Zuerst dich selbst und jeden, der Aigisthos haßt.

Elektra:
Für mich und dich denn sag den Segen ich zuerst?

Chor:
Vergiß Orest nicht, weilt er auch im fremden Land.

Elektra:
Vor allem; du gemahnst mich an das Teuerste!

Chor:
Und dann den Tätern, wann du an den Mord gedenkst –

Elektra:
Was dann? Belehr mich, sag es mir, ich weiß es nicht!

Chor:
Sag, ihnen kommen werd ein Gott einst oder Mensch –

Elektra:
Meinst du, der sie richten oder der ihn rächen wird?

Chor:
Du sprichst es einfach: der den Mord mit Mord vergilt!

Elektra:
Doch ist es fromm auch, von den Göttern das zu flehn?

Chor:
Warum denn nicht soll büßen seine Schuld der Feind?

Elektra:
Du höchster Herold hier im Licht, im Hades dort,
O Grabeshermes, hör mich und erwecke mir
Des Schattenreichs Gottheiten, daß sie hören mein
Gebet, die Hüter über meines Vaters Blick,
Und auch die Erde, die gebieret alles Ding,
Und was sie aufzog, wieder dessen Keim empfängt;
Ich gieße diese Spenden für die Toten aus
Und rufe dich, mein Vater, mein erbarme dich
Und deines Sohns Orestes. Herrschten wir im Haus!
Denn sieh, verstoßen leben wir und wie verkauft
Von unsrer Mutter; den Aigisthos hat sie sich
Zum Mann erlesen, der dich mit erschlagen hat;
Und einer Magd gleich hält sie mich; Orestes ist
Verjagt aus seinem Erbe, während sie in Prunk
Und eitler Wollust deines Schweißes Frucht vertun!
Daß heim Orestes gottgeleitet kehren mag,
Drum fleh ich dich an, Vater, du erhöre mich!
Mir aber gib du, daß ich tugendhafter sei
Denn meine Mutter, reinen Wandels, reiner Hand!
Für uns gebetet hab ich dies; den Feinden nun
Erscheint, ich weiß es, einer, der dich, Vater, rächt,
Auf daß die Mörder wieder morde ihr Gericht;
Und sei mir laut bezeuget, wie für bösen Fluch
Ich ihnen wiederfluche diesen bösen Fluch!
Du aber send uns alles Heil empor, mit dir
Die Götter und die Erd und Dike Siegerin!
Für diese Bitte spend ich diesen heilgen Guß;
Ihr aber flechtet eurer Klage Totenkranz
Und weihet meinem Vater frommen Grabesgruß!

Chor:
Weinet die Träne, die rieselnde, sterbende,
Ihm, der starb, unsrem Herrn,
Zu dieser Spende Born,
Der Bösen nichtiger, schnöder Beschwichtigung
Wider der Edlen Zorn!
Höre du, mich höre du,
O Herr und Fürst, in deiner grabstillen Ruh!

Wehe ruf ich jammernd aus!
Wehe, welcher Speeresheld
Wird Befreier diesem Haus?
Der Skythe, dem in des Kampfes wilder Hast
Schwirrenden Pfeiles Flug
Vom rückschnellenden Bogen blinkt,
Der griffgefaßt sein nacktes Schwert blutig schwingt?

Elektra:
Mein Vater hat nun seinen erdgetrunknen Guß –
Doch sieh! Zu diesem neuen Wunder ratet mir!

Chorführerin:
O sprich! Es fliegt mein Herz im Busen mir vor Angst!

Elektra:
Hier seh ich eine Locke auf das Grab geweiht!

Chor:
Von welchem Manne, welchem hochgeschürzten Weib?

Elektra:
Deutbar zu jedem ist sie, wenn du deuten willst!

Chor:
So laß mich Ältre lernen von der Jüngeren.

Elektra:
Ich wüßte niemand außer mir, der's weihete!

Chor:
's ist feind, für wen sich sonst die Trauerlocke ziemt!

Elektra:
Und dennoch wahrlich ist so ganz sie wieder gleich –

Chor:
Sag, wessen Haaren? Hören möcht ich das von dir!

Elektra:
Ganz meinen eignen ähnlich ist sie anzusehn!

Chor:
Wär's von Orestes selber heimlich ein Geschenk?

Elektra:
Mit dessen Locken scheint sie in der Tat mir gleich!

Chor:
Wie hätte der hierherzukommen sich gewagt?

Elektra:
Gesandt dem Vater hat er seiner Locke Gruß! –

Chor:
Was du gesagt, nicht minder wein ich bitter drum,
Wenn dieses Land doch nimmermehr sein Fuß betritt!

Elektra:
Auch mir ins Herz gießt brandend sich der Galle Flut;
Es schmerzt, als hätte mich ein schneller Pfeil durchbohrt;
Aus meinen Wimpern stürzt mir trocken, ungewehrt
Unsäglicher Tränen bittre Brandung wild hervor,
Da ich diese Locke sehe! Denn wie hofft ich wohl,
Daß einer unsrer Bürger sonst ihr Herr sich nennt?
Und nimmermehr gab dieses Haar die Mörderin,
Nein, meine Mutter nimmer, die stiefmütterlich
Und gottvergessen ihren Kindern ist gesinnt;
Und wieder, daß ich freudig soll gestehn, es sei
Mir dies ein Kleinod von dem Liebsten auf der Welt,
Sei von Orestes – nein, mich täuscht der eigne Wunsch!
Ach! –
Daß freundlich sie mir sprechen könnte, botengleich,
Damit der Zweifel nicht mich jagte her und hin!
Und doch, gewiß, ich hätte dies Haar angespien,
Wär's abgeschnitten je von eines Feindes Haupt;
Wenn's mir verwandt ist, durft es mit mir trauern auch
Des Vaters Totenfeier und den Grabesgruß! –
Zu den Göttern laßt uns rufen, den Allwissenden,
In welchen Kreiselstürmen gleich den Schiffern wir
Verirrt sind. Dennoch, wenn uns Rettung werden soll,
Da wächst von kleinem Samen auch ein großer Stamm! –
(Sie steigt die Stufen zum Grab hinab)
Und da, die Tritte, sieh, ein zweites Zeichen ist's
Von gleichen Füßen, ähnlich ganz den meinigen;
Ja, sieh, von zween eingezeichnet ist die Spur,
Hier von ihm selber, da von dem, der mit ihm kam;
Der Sohlen Abdruck und der Fersen, meß ich sie,
Zusammentreffen sie genau mit meinem Fuß! –
Angst übermannt mich; aller Sinn ist mir verrückt!

(Orestes tritt ihr entgegen)

Orestes:
Du bete zu den Göttern enderflehnd Gebet,
Daß auch das andre dir beschieden möge sein!

Elektra:
Was wär's, das jetzt schon mir gewährt der Götter Gunst?

Orestes:
Dein Auge sieht nun, drum du lange betetest!

Elektra:
Und wen der Menschen weißt du, daß ich gerufen hab?

Orestes:
Ich weiß, Orestes hast du oft und heiß ersehnt!

Elektra:
Und wo und wie denn wär erfüllt jetzt mein Gebet?

Orestes:
Ich bin es, such dir keinen, der dir teurer ist!

Elektra:
Du betrügst mich, Fremdling, du umgarnest mich mit List.

Orestes:
So schling und strick ich selber um mich selbst Betrug!

Elektra:
Und lachen willst du über mich und meinen Gram!

Orestes:
Auch über mich und meinen Gram, wenn über dich!

Elektra:
Zu dir, Orestes, hätt ich alles dies gesagt?

Orestes:
Da du mich selbst siehst, jetzt erkennest du mich nicht;
Und da du diese Locke sahst des Trauerhaars,
Die Locke deines Bruders, deinem Haupte gleich,
Und deinen Fuß einfügend maßest meine Spur,
Da flogst du hoch auf, und du meintest mich zu sehn!
Sieh, diese Locke lag an diesem Schnitt des Haars,
Sieh dies Gewand an, deiner eignen Hände Werk,
Des Weberschiffleins Marken hier, der Tiere Bild –
Sei ruhig, gib die Vorsicht nicht der Freude preis;
Uns beiden, weiß ich, sind die Liebsten bitterfeind!

Elektra:
O letzte, liebste Sorge für des Vaters Haus!
Beweinte Sehnsucht nach der Rettung letztem Reis!
Kraft deines Armes nimm zurück dein Vaterhaus!
O süßes Auge! Dein gehört vierfacher Teil
In meinem Herzen; sieh doch, nennen muß ich dich
Nun meinen Vater; meiner Mutter Liebe kommt –
Denn ganz gerecht haß ich sie selbst –, dir kommt sie zu,
Dir auch der Schwester Liebe, der Geopferten;
Und dann mein Bruder bist du, der mich wiederehrt!
Nun möge Kraft mir, möge mir Gerechtigkeit
Beistehn und Zeus zum dritten, der allergrößeste!

Orestes:
Zeus, Zeus, auf mein Beginnen schaue du herab!
Sieh meines Vaters, sieh des Adlers arm Geschlecht,
Der selbst den Schlingen, dem Umzüngeln unterlag
Der argen Schlange; aber die verwaiste Brut
Quält nüchtrer Hunger; ihnen fehlt es noch an Kraft,
Des Vaters Beute heimzutragen in das Nest;
So tief bekümmert, so verwaiset siehst du uns,
Mich und Elektra, uns Geschwister vaterlos,
In gleicher Flucht verstoßen unsrem Vaterhaus!
Und hast du dann des Vaters Kinder, der dich fromm,
Der dich mit Opfern ehrte, einst hinweggetilgt,
Wer reicht dir dann noch gleicher Hände vollen Dank?
Nicht bleibt dir, wenn das Geschlecht des Adlers du vertilgst,
Zu senden glaubhaft Zeichen an die Sterblichen,
Noch opfert dieser Königsstamm, so ganz verdorrt,
Auf deinem Altar dir am Feststieropfertag!
Sei unser Hort! Vom Boden richt ein hoch Geschlecht
Empor, das jetzt gar tief dahingesunken scheint!

Chor:
O Kinder, o Erretter eurem Vaterherd,
Seid still, daß niemand sonst es, o ihr Lieben, hört
Und vielgeschwätzig alles dies euch nacherzählt
Bei meiner Herrschaft, die ich hier hinsterben noch
In der Flammen pechgetränktem Qualm einst möchte sehn!

Orestes:
Nicht mich verraten wird der allgewaltge Spruch
Des Loxias, der dieses Wagnis mir gebeut,
Der laut mich aufrief, Qualen, sturmgegeißelte,
In meinem heißdurchglühten Herzen mir verhieß,
Wenn ich meines Vaters Mörder nicht verfolgete,
Zur Rache sie zu morden mit demselben Mord;
Zerstört von seinen Strafen, nicht an Hab und Gut,
Nein, an der lieben Seele, sprach er, würd ich dann
Drum leiden vieles, unerträglich bittres Leid;
Denn als der Hassenden Sühne hat er allem Volk
Mißwachs verheißen, schwere Krankheit aber mir,
Aussatz, der tief ins Fleisch sich frißt mit grimmem Zahn,
Der mir hinwegnagt meiner Sehnen alte Kraft,
Mit greisem Haare meiner Locken Schmuck vertauscht!
Und andre Qualen nannte der Erinnyen,
Aus meines Vaters ungerächtem Blut erzeugt,
Der Gott, der hellsieht, dessen Aug die Nacht durchschaut;
Denn auch der nächtig dunkle Pfeil der Unteren,
Die umgebracht sind durch der Verwandten Missetat,
Wahnsinn, Entsetzen, nächtger Träume hohle Furcht,
Treibt mich, verstört mich und verfolgt aus aller Stadt
Mit eherner Geißel meinen gottverfluchten Leib!
Wer so gebrandmarkt, nimmer an der Becher Lust
Sei dem ein Anteil, noch an heilger Spende Guß;
Man scheuch ihn von den Altären, den lebendgen Zorn
Des Vaters, niemand gönn ihm gastlich Tisch und Bad;
Verarmet, ehrlos, ohne Freund, so sterb ich einst
Elend im Siechtum, ausgedörrt bis in den Tod!
Solch einem Ausspruch muß man glauben und vertraun;
Und traut ich minder, dennoch muß die Tat geschehn;
Vielfacher Antrieb strömt vereint auf mich herein,
Des Gottes Auftrag, meines Vaters große Schmach,
Des eignen Lebens Dürftigkeit, das alles läßt
Mich meine Bürger, aller Zeit berühmteste,
Die Überwinder Ilions in Heldenkraft,
Nicht länger untertänig zween Weibern sehn;
Denn weibisch ist sein Mut; wenn nicht, bald sehen wir's!

Chorführerin:
Ihr gewaltigen Moiren, mit Zeus' Beistand
Werd so es vollbracht,
Wie das Recht mitwandelnd den Pfad zeigt!
"Für feindliches Wort sei feindliches Wort!"
Also ruft Dike, die lautere, laut,
Wenn die Buße des Hasses sie eintreibt!
"Für blutigen Mord sei blutiger Mord!
Wer tat, muß leiden!" So heißt das Gesetz
In den heiligen Sprüchen der Väter!

Erste Strophe

Orestes:
Vater, du armer Vater, was bringen dir, sagen dir kann ich,
Das tief reichte zu dir hinab, wo du in Grabes Nacht ruhst?
Gleich wechseln sich Licht und Nacht; also erschall zugleich
Freude, Klage dir feierlich, Hort du in Atreus' Haus sonst!

Zweite Strophe

Chor:
O Kind, bewältigt
Wird des Toten Gedanke nicht durch den blendenden Zahn der Glut;
Spät einst zeigt er des Zorns Macht!
Und bejammert wird der Tote,
Und erkannt wird, der ihn totschlug;
Des Erzeugers Todesfluch will,
Der gerechte Zorn des Toten,
Sein Recht will er, empört verlangt er's!

Erste Gegenstrophe

Elektra:
Höre du, Vater, nun meinen Gram, meinen, den tränenreichen!
Die zwei Kinder an deinem Grab jammern den Klagegesang dir!
Schutzflehende müssen wir, landesverjagt, wir hier stehn!
Ist denn recht das? Und ist's nicht schlecht? Oder erliegt die Schuld nie?

Chorführerin:
Doch ein Gott kann einst dafür, wenn er will,
Euch froheres Lied noch zu singen verleihn,
Statt des Klagegesangs, den am Grab ihr weint,
In der Königsburg, in der Väter Palast,
Ein neues, ein freudiges Festlied!

Dritte Strophe

Orestes:
Wärst du vor Ilion
Unter lykischen Speeren,
Mein Vater, sterbend hingesunken,
Du hättest Ruhm deinem Haus gelassen,
Den Lebenspfad schön und gut vorgebahnt deinen Kindern;
Ein gehügeltes Grab ragte drüben am Seegestad dir,
Ehrte daheim die Deinen!

Zweite Gegenstrophe

Chor:
Der Freund bei Freunden
Lägest du, die im Heldenkampf fielen, unter der Erde noch
Ihr machtheiliger Führer,
Ein Gefährte du im Hades
Der gewaltgen Totenfürsten;
Denn hienieden warst du König,
In der Hand das höchste Los dir,
Der Macht menschengebietend Zepter!

Dritte Gegenstrophe

Elektra:
Nein, vor den Ilischen
Mauern mußtest du, Vater, nicht
Vom Speer gleich andrem Volk erschlagen,
Begraben nicht bei Skamanders Flut sein;
Nein, mußtest ehr die daheim, welche dich so erschlugen,
Von dem Tode gemäht, selber fern, in der Ferne hören,
Alle das Leid nicht leiden!

Chorführerin:
Was du sagst, Kind, kostbarer denn Gold,
Glückseliger ist's als seligstes Glück,
Hyperboräisches Glück; denn du klagest!
Doch der doppelten Geißel entsetzend Getös,
Schon nahet es sich;
Denn die Toten, sie sind ja zum Beistand nah,
Und der Lebenden Hände, sie sind nicht rein
Von verruchtester Schuld
Und der doppelten Schuld an den Kindern!

Vierte Strophe

Elektra:
Dringt mir das Wort doch ins Ohr
Scharf wie ein schneidender Pfeil!
Zeus! Zeus! der du empor ein spätstrafend Gericht des Schicksals
Der allfrevelnden, frechen Hand schickst,
Gleiches erfülle du unsern Eltern!

Fünfte Strophe

Chor:
Ein Festlied singen möcht ich einst, hell aufjubeln zum Schein der Fackeln
Über das Blut des Mannes,
Über das Blut des Weibes! Bergen wozu, wie die Hoffnung
Hoch fliegt! Treibt doch scharfwehender Zorn in schneller Fahrt,
In vorauseilender Hast
Gramempörter Haß mich fort!

Vierte Gegenstrophe

Orestes:
Trifft der gewaltige Gott
Einst sie mit flammender Hand,
Weh, weh, zerschmettert er sie, dann geschieht dem Lande das Seine;
Und Recht fleh ich für freches Unrecht!
Höret, ihr Unteren, mich zur Rache!

Chorführerin:
Und es ist ein Gesetz, daß sterbend der Strom
Des vergossenen Bluts Blut wieder verlangt,
Und es fordert, es schreit die Erinnys Tod
Für jeden, der je umkam, Unheil,
Das heraufführt anderes Unheil!

Sechste Strophe

Elektra:
Wo weilt nun ihr, der Nacht Gewalten, wo?
Schauet doch ihr, der Erschlagnen allmächtige Flüche!
Ihr sehet uns, letztes Reis des Atreusstammes,
Ohn Rat und Schutz, ehrentblößt
Und heimatlos! Zeus, wohin uns wenden?

Fünfte Gegenstrophe

Chor:
Emporkocht wieder mir des Herzens Blut, hör ich dich also jammern!
Jegliche Hoffnung flieht!
Es nachtet in meinem Busen, hör ich auf deine Klage!
Doch dann wieder scheucht sichrer Mut kühnen Blicks
Hinweg jeglichen Gram,
Daß ich es freundlich tagen seh!

Sechste Gegenstrophe

Orestes:
Welch Wort denn trifft's? Verzeihlich sei zumal,
Was wir geduldet von der, die geboren uns!
Doch nimmermehr lischt sich auch das andre fort –
Nein, gleich dem blutdürstgen Wolf,
Nie satt noch müd sei der Mutter mein Haß!

Siebente Strophe

Elektra:
Mit wildem Totschlag traf sie ihn, der kissischen
Blutlechzenden Waffendirne gleich;
Weitausgeschwungen im wilden Wechsel jagte sich
Hinabgeschmettert ihres Armes hastger Schlag
Hoch nieder, jäh herab!
Im Echo widerhallte
Mein jammerschlaggetroffen, mein unselig Haupt!

Achte Strophe

Weh dir, ruchloses Weib! Weh dir, Mutter!
Wie der Feind den Feind verscharrt,
Den König so, ungeehrt,
So sonder Wehklage hast
Du tränenlos deinen Herrn begraben!

Neunte Strophe

Orestes:
O nenne das Schmach und Schande. Weh mir!
Doch büßen soll meines Vaters Schmach sie!
Auf Gottes Kraft bau ich fest!
Auf meine Hand trau ich fest!
Erschlag ich sie, sterben will ich gern dann!

Neunte Gegenstrophe

Elektra:
Dann ward sein Leichnam, o denk, verstümmelt,
Begraben schmachvoll wie erschlagen!
Und schnöde List sann sie dir,
Ersann für dein Leben Tod!

Siebente Gegenstrophe

Des Vaters furchtbar schmacherfüllt Geschick weißest du,
Weißt deines Vaters schnöden Tod!
Mich selber schob man weg,
Unwürdig, schmachvoll, ehrentblößt;
Hinausgestoßen vom Palast wie ein reudger Hund,
Vergaß ich das Lachen, brach ich in bittre Tränen aus,
Froh, wenn ich verhehlte meines Grames nassen Blick!
Was du vernommen, Bruder, schreib es dir ins Herz,

Achte Gegenstrophe

Durchs Ohr bohre tief sich dieses Wort dir
Ein in des Herzens stillen Grund!
Das alles war wahrlich so!
Das andre frag deinen Zorn!
Du mußt mit furchtloser Kraft genaht sein!

Zehnte Strophe

Orestes:
Ich rufe dich, Vater, sei den Deinen nah!

Elektra:
Mit ruf ich dich, Vater, bitterweinend dich!

Chor:
Wir allzumal stimmen lauten Rufes ein!
Erhör uns, steig ans Licht empor,
Wider die Feinde hilf du!

Zehnte Gegenstrophe

Orestes:
So kämpfe Macht gegen Macht, Recht gegen Recht!

Elektra:
O Götter, jetzt endet unser Recht gerecht!

Chor:
Mich überströmt Zittern, hör ich euer Flehn!
Das Gottverhängte harret längst;
Flehet ihr drum, heraufsteigt's!

Elfte Strophe

O des verwandten Wehs!
O des verhängten Mordes schneidender blutger Mißlaut!
Weh, weh! Gräßliche Blutverwandtschaft!
Weh, weh! nimmergestillter Jammer!

Elfte Gegenstrophe

Rettung erscheint dem Haus
Nicht von Entfernten, nicht von Fremden, von ihnen selbst nur,
In bluttriefenden Haders Fortgang;
Und das sing ich den Göttern drunten!

Chorführerin:
Ihr drunten, vernehmt, ihr Selgen der Nacht,
Hört dieses Gebet! Beistand und Kraft
Schickt gnädig zum Siege den Kindern!

(Orestes und Elektra setzen sich auf die Stufen des Grabes)

Orestes:
Mein Vater, der du nicht königlichen Todes starbst,
Du gib die Herrschaft deines Hauses mir zurück!

Elektra:
Auch ich, o Vater, bete dies Gebet zu dir;
Du hilf mir, wenn ich Aigisthos' Los mit enden helf!

Orestes:
Es würden dann Festmahle von den Menschen dir
Geweiht; wenn aber nicht, so bleibst beim Totenfest
Von deines Landes Opferbrand du ungeehrt!

Elektra:
Und Spenden will ich dir von meinem Erbe dann
Bei meiner Hochzeit bringen aus dem Vaterhaus,
Will fromm vor allem andern schmücken dir das Grab!

Orestes:
O Gaia, send mir meinen Vater, den Kampf zu schaun!

Elektra:
O Persephassa, du gewähr uns frohen Sieg!

Orestes:
Gedenk des Bades, Vater, drin du umgebracht.

Elektra:
Gedenk des Garnes, drin du eingefangen wardst!

Orestes:
In eisenlose Banden, Vater, schlug man dich!

Elektra:
Schmachvoll in listig umgeschlungnem Prunkgewirk!

Orestes:
Wirst du nicht wach, o Vater, über solche Schmach?

Elektra:
Hebst nicht empor, mein Vater, dein geliebtes Haupt?

Orestes:
So send den Deinen Dike zur Mitkämpferin,
Laß zur Vergeltung jene büßen gleiches Leid,
Wenn du, der einst Bezwungne, wieder siegen willst!

Elektra:
Vernimm, o Vater, diesen meinen letzten Ruf!
Sieh deine Küchlein sitzen hier an deinem Grab!
Erbarme deines Mädchens, deines Sohnes dich;
Der Pelopiden edlen Stamm, vertilg ihn nicht!
Dann bist du nicht tot, ob du auch gestorben seist;
Den toten Vätern sind die Kinder rettender
Nachruhm; dem Kork gleich führen sie, des Fadens Zug
Aus tiefem Meergrund treu bewahrend, Garn und Netz.
Hör mich, um dich ja sag ich laut all meinen Gram,
Du rettest dich ja, wenn du ehrest dies Gebet! –
(Sie steht auf)
Und nun – denn reichlich spann ich meine Rede fort,
Das Grab zu ehren, das beweint sonst keiner hat –
Das andre magst du, da du im Geist gerüstet bist,
Zur Tat vollenden, magst versuchen deinen Gott!

Orestes:
Ich will's! Doch abwärts liegt es nicht zu fragen noch,
Weshalb die Spenden sie gesandt, um welches Wort
Sie spät geehrt hat dieses unsühnbare Weh;
Dem Toten, der das nimmer achtet, sendet sie
Den feigen Grabgruß; nicht zu deuten weiß ich dies
Geschenk, das weit bleibt hinter ihrer Freveltat.
Denn wer die Blutschuld auszusühnen alles auch
Hingösse, nutzlos ist die Müh; so ist's und gilt's.
Darum erzähl's auf meinen Wunsch, wenn du es weißt.

Chorführerin:
Ich weiß es, Kind, stand selbst dabei; von einem Traum,
Von nachtgestörten Grauenbildern aufgeschreckt,
Hat diese Spenden her das arge Weib gesandt.

Orestes:
Erfuhrt den Traum ihr, daß ihr ihn erzählen könnt?

Chor:
Sie sagt, ihr war's, als ob einen Drachen sie gebar.

Orestes:
Wie hat gewendet und geendet sich das Wort?

Chor:
Er wand sich einem Kind in seinen Windeln gleich.

Orestes:
Nach welcher Nahrung langte die junge Drachenbrut?

Chor:
Sie reichte selbst ihm ihre Brust, so träumte sie.

Orestes:
Ließ jenes Untier unverwundet ihre Brust?

Chor:
Nein, mit der Milch aussog es dickgeronnen Blut.

Orestes:
Nicht eitel Ding ist wahrlich eines Menschen Traum.

Chor:
Sie aber schrie hell vor Entsetzen auf im Schlaf;
Viel Fackelschein, erloschen mit der tiefen Nacht,
Erhellte schnell die Hallen für die Königin;
Dann sandte diese Trauerspenden sie zum Grab,
Wie sie gedachte, besten Schutz vor ihrer Angst.

Orestes:
Ich aber fleh dich, Erde, Vaters Gruft, dich an,
Ausgangentsprechend werde mir dies Traumgesicht;
Ich deut es wahrlich, daß es wohl eintreffen muß:
Denn wenn demselben Schoße jener Drach entsprang,
Aus dem ich selbst, in gleiche Windeln lag gehüllt,
Dieselbe Brust scharfleckend, die mich stillte, sog,
Der lieben Milch einmischte frischgeronnen Blut,
Sie selbst entsetzt vor solchem Weh aufjammerte,
Da muß sie furchtbar, wie sie die grause Brut gebar,
So auch den Tod erleiden; drachenwild empört
Will ich sie morden, wie der Traum ihr kundgetan.
Zum Wunderzeugen wähl ich dich für diesen Traum!

Chor:
Also gescheh's! Doch weiter sag uns Freunden nun,
Wen willst du mit dir tätig, wen du müßig sehn?

Orestes:
Ich sag es kurz euch: du, Elektra, gehst hinein,
Doch mußt du sehr verbergen diesen meinen Plan,
Daß, wie sie mit List umbrachten den erhabnen Mann,
Mit gleicher List sie durch dasselbe Todesnetz
Gefangen sterben, wie's der Seher Loxias
Gebot, der stets noch ohne Trug erfundene.
Gleich einem Fremdling und in vollem Reisezeug
Komm ich und Pylades an des hohen Hauses Tor
Als alter Gastfreund und des Hauses Waffenfreund;
Wir beide sprechen des Parnassos Sprache dann,
Der Phoker Mundart fremde Laute täuschend nach;
Doch wird der Torwart freundlich uns wohl eben nicht
Empfangen, weil das ganze Haus in Freveln rast;
So werden wir da warten, bis wir einen sehn,
Der dort vorbeigegangen kommt, und fragen ihn:
Was läßt Aigisthos vor der Tür den Flehenden
Ausschließen, da, anwesend selbst, er doch es weiß?
Wenn ich dann des Schloßtors Schwellen überschritten hab
Und jenen find auf meines Vaters teurem Thron,
Er dann herabsteigt, nah sich vor mein Angesicht
Hinstellt und spricht und, glaub mir, mich mit dem Blick verhöhnt –
Noch eh er fragt: "Von wannen, Fremdling, kommst du?" tot
Streck ich ihn nieder mit des Schwertes heißem Schlag.
So wird Erinnys, nie des Mordes noch verarmt,
Zum dritten Trunk dann trinken ungemischtes Blut!
Du aber, Schwester, wach im Hause mußt du sein,
Daß alles das mir gut zusammentreffen mag;
Auch euch ermahn und bitt ich, wahret euren Mund,
Schweigt, wo es not ist, sprechet, was sich ziemt und frommt!
Das andre laß ich diesem Gott befohlen sein,
Der diesen Blutkampf meines Schwertes mir gebeut.
(Orestes, Pylades und Elektra ab)


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