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Der Speisesaal der Hacienda-del-Arenal war ein weites, langes Gemach, welches durch Fenster mit gerippten, bunten Glasscheiben erleuchtet wurde und dessen Wände mit von der Zeit geschwärztem Schnitzwerk in Eichenholz bedeckt waren, was demselben den Anschein jener Speisesäle der Karthäuserklöster des fünfzehnten Jahrhundert verlieh; ein großer mit Bänken umgebener Tisch nahm die Mitte deß Raumes ein.
Als der Graf de-la-Saulay in den Saal trat, waren die meisten Gäste, gegen fünfundzwanzig, schon versammelt.
Don Andrès hatte, wie viele große mexikanische Grundbesitzer, die Gewohnheit auf seinen Domänen beibehalten, seine Leute an ein und demselben Tische mit ihm speisen zu lassen.
Diese patriarchalische Gewohnheit, welche in Frankreich schon lange abgekommen, ist indessen nach unserer Meinung eine der besten, welche uns unsere Väter vererbt haben. Dieses gemeinsame Leben schlang die Bande, welche die Gebieter mit den Dienern vereinigte und sie gleichsam der Familie einverleibte, fester, indem sie bis auf einen gewissen Punkt das vertraute Leben theilten.
Don Andrès de-la-Cruz stand im Hintergrunde des Saales zwischen Donna Dolores seiner Tochter und Don Melchior seinem Sohne.
Wir wollen nichts über Donna Dolores sagen, welche der Leser schon kennt; Don Melchior dagegen war ein junger Mann beinahe vom gleichen Alter des Grafen; sein hoher Wuchs, seine kräftigen Glieder machten ihn zu einem schönen Cavalier im weitesten Sinne des Worts; seine Züge waren männlich, characteristisch, sein Bart schwarz und gut gepflegt. Er hatte große, offene Augen, mit festem, durchdringenden Blick, sein leicht gebräunter Teint spielte etwas in's Olivenfarbige, der Ton seiner Stimme war rauh, sein Accent kurz und abgebrochen, seine finstere Physiognomie nahm bei der geringsten Aufregung einen drohenden Ausdruck an. Uebrigens waren seine Bewegungen edel, seine Manieren außerordentlich distinguirt. Er trug die mexikanische Tracht in aller ihrer Reinheit.
Sobald die gegenseitigen Vorstellungen durch Don Andrès beendet waren, nahmen die Gäste Platz. Der Haciendero gab seiner Tochter, neben welche er Ludovic hatte Platz nehmen lassen, ein Zeichen, worauf sie das Benedicite sprach; die Gäste wiederholten Amen und die Mahlzeit begann.
Die Mexikaner sind ebenso wie ihre Vorfahren, die Spanier, sehr mäßig, sie trinken während der Mahlzeit nicht; nur dann, wenn das Dessert gebracht wird, werden Vasen mit Wasser auf den Tisch gestellt.
In Folge einer zarten Aufmerksamkeit hatte Don Andrès seinem französischen Gaste, welcher von seinem eigenen Diener, der hinter seinem Stuhl stand, bedient wurde, zur allgemeinen Verwunderung der Anwesenden, Wein vorsetzen lassen.
Die Mahlzeit war schweigsam, ungeachtet der vielfachen Bemühungen Don Andrès, die Unterhaltung zu beleben; der Graf und Don Melchior begnügten sich, einige gezwungene Höflichkeitsphrasen auszutauschen und schwiegen dann wieder. Donna Dolores war bleich, sie schien leidend, aß kaum und sprach kein Wort.
Endlich war die Mahlzeit beendet, man erhob sich vom Tische, die Diener der Hacienda zerstreuten sich, um wieder an ihre Arbeiten zu gehen.
Unwillkürlich durch den kalten und abgemessenen Empfang Don Melchior's von einem Vorurtheil ergriffen, schützte der Graf Ermüdung von der Reise vor, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen.
Don Andrès willigte mit lebhaftem Widerstreben darein; Don Melchior und der Graf tauschten einen ceremoniellen Gruß aus und drehten einander den Rücken; Donna Dolores machte dem jungen Manne eine anmuthige Verbeugung und der Graf entfernte sich, nachdem er die Hand seines Wirthes herzlich gedrückt hatte.
An die comfortable Eleganz und den feinen Verkehr des pariser Lebens gewöhnt, bedurfte der Graf de-la-Saulay einiger Zeit, um sich an das traurige, einförmige und wilde Leben in der Hacienda-del-Arenal zu gewöhnen.
Ungeachtet des herzlichen Empfanges, welcher ihm von Seiten Don Andrès de-la-Cruz zu theil geworden, und der Aufmerksamkeiten, mit denen er ihn unaufhörlich umgab, bemerkte der junge Mann dennoch bald, daß sein Wirth die einzige Person der Familie war, welche ihn gern sah.
Donna Dolores schien, obgleich sehr höflich gegen ihn, selbst freundlich bei ihren täglichen zufälligen Begegnungen dennoch durch ihn genirt zu sein und jede Gelegenheit zu fliehen, wo er eine abgesonderte Unterhaltung mit ihr führen konnte. Sobald sie bemerkte, daß ihr Bruder oder ihr Vater das Zimmer verließen, wo sie sich in Gesellschaft des Grafen befand, unterbrach sie sogleich das begonnene Gespräch, stammelte erröthend eine Entschuldigung, und entfernte sich, oder sie entfloh vielmehr leicht und rasch wie ein Vogel, und ließ Ludovic ohne alle Umstände allein.
Dieses Betragen von Seiten eines jungen Mädchens, mit welchem er seit seiner Kindheit verlobt war, wegen dessen er fast gegen seinen Willen die Reise über den atlantischen Ocean gemacht hatte, nur allein um den im Namen ihrer Familien eingegangenen Verbindlichkeiten nachzukommen, mußte ihn mit Recht befremden und einen Mann wie den Grafen de-la-Saulay, der durch seine körperliche Schönheit, seinen Geist und sogar sein Vermögen bis dahin an eine so seltsame Behandlungsweise und so vollständige Mißachtung von Seiten der Damen nicht gewöhnt war, abkühlen.
Natürlicher Weise würde der Graf, wenig aufgelegt zu der von seiner Familie beschlossenen Heirath, keineswegs verliebt in seine Cousine, die er sich kaum anzublicken die Mühe gegeben hatte, und ziemlich geneigt, sie wegen ihres Benehmens ihm gegenüber für dumm zu halten, leicht seinen Entschluß gefaßt haben, da sie einen Widerwillen gegen ihn zu empfinden schien; ja, er würde sich nicht allein getröstet, sondern sich sogar zu dem Aufgeben seiner Heirath mit ihr Glück gewünscht haben, wenn bei dieser Sache nicht seine Eigenliebe auf eine für ihn sehr verletzende Weise im Spiele gewesen wäre.
So groß auch seine Gleichgültigkeit war, die er für das junge Mädchen empfand, so verletzte ihn doch die geringe Wirkung, welche seine Geltung, seine Manieren, selbst sein Luxus bei ihr hervorbrachte und die kalte, verächtliche Art, wie sie seine Complimente auf nahm.
Obwohl er im Grunde seines Herzens aufrichtig den Wunsch hegte, diese ihm aus tausend Gründen mißfallende Heirath nicht zu schließen, so wünschte er doch auch, daß der Bruch eben so wenig ausdrücklich von ihm, noch geradezu von dem jungen Mädchen ausgehen sollte, sondern daß die Umstände bei seinem mit allen Ehren stattfindenden Rückzuge ihm gestatten möchten, sich von Derjenigen, welche seine Gattin werden sollte, bedauert zu sehen.
Unzufrieden mit sich und den Personen, die ihn umgaben, sich in einer falschen Stellung fühlend, die bald lächerlich werden mußte, dachte der Graf daran, sich sobald als möglich derselben zu entziehen. Bevor er es aber zu einer offenen und entscheidenden Erklärung von Seiten Don Andrès de-la-Cruz, der von dem Stande der Dinge durchaus nichts zu ahnen schien, kommen ließ, beschloß der Graf bei sich selbst, in Erfahrung zu bringen, an was er sich in Bezug auf seine Braut zu halten habe; denn mit jener, allen durch die leichten Erfolge verwöhnten Männern eigenen Abgeschmacktheit, war er innerlich von der Unmöglichkeit überzeugt, daß ihn Donna Dolores nicht geliebt haben sollte, wenn ihr Herz nicht schon durch eine andere Liebe gefesselt worden war.
Nachdem der Graf diesen Entschluß einmal gefaßt hatte, machte er es sich, zumal er gänzlich müßig in der Hacienda war, zur Pflicht, die Schritte des jungen Mädchens zu überwachen. Nach erlangter Gewißheit wollte er so schnell als möglich nach Frankreich zurückkehren, welches so schnell verlassen zu haben, um zweitausend Meilen von seinem Vaterlande ein so demüthigendes Abenteuer zu suchen, er mit jedem Tage mehr bedauerte und bereute.
Trotz ihrer Gleichgültigkeit für den Grafen, haben wir erwähnt, daß sich Donna Dolores dennoch für verpflichtet hielt, wenn auch nicht so liebenswürdig, wie er wünschte, aber wenigstens stets höflich und selbst zuvorkommend zu sein; ein Beispiel, welches ihr Bruder gegen den Gast seines Vaters zu befolgen sich vollständig überhob, den er mit einer so affectirten Kälte behandelte, daß es der Graf nothwendigerweise bemerken mußte. Dieser verschmähte jedoch es zu zeigen und that, als fände er die rauhen, verletzenden und selbst brutalen Manieren des jungen Mannes vollkommen natürlich und im Einklang mit den Sitten des Landes.
Beeilen wir uns zu sagen, daß die Mexikaner stets eine ausgesuchte Höflichkeit zeigen, ihre Sprache ist stets gewählt und blumenreich, und außer an der Kleidung ist es buchstäblich unmöglich einen Mann aus dem Volke von einer Person hohen Ranges zu unterscheiden. Don Melchior de-la-Cruz zeichnete sich, durch eine sonderbare Anomalie, welche ohne Zweifel aus seinem menschenscheuen Naturel entsprang, vollständig vor seinen Landsleuten aus. Immer finster, gemessen, in sich verschlossen, öffnete er in der Regel nur den Mund, um einige kurze Worte in schroffem Tone auszusprechen.
Von dem ersten Augenblick ihrer Begegnung an, schienen der Graf wie Don Melchior gleich wenig befriedigt von einander; der Franzose schien dem Mexikaner zu weibisch und geziert, und dieser wieder stieß den Andern durch seine Brutalität, seine Ungeschliffenheit und die Trivialität seiner Ausdrucksweise ab.
Aber wenn wirklich nur diese instinctmäßige Antipathie zwischen den jungen Leuten bestanden hätte, so würde sie vielleicht allmählich verschwunden sein und ohne Zweifel, freundschaftlichen Beziehungen Platz gemacht haben, je besser sie sich kennen und schätzen lernten; dem war aber nicht so; weder Gleichgültigkeit noch Eifersucht war es, welche Don Melchior für den Grafen empfand, es war der offenbare Haß eines Mexikaners. Woher schrieb sich dieser Haß? Welcher unbekannte, besondere Umstand hatte ihn entstehen lassen? Dies war das Geheimniß Don Melchior's.
Uebrigens war der junge Haciendero voller Geheimniß; seine Handlungen waren eben so räthselhaft wie seine Physiognomie; sich einer unbegrenzten Freiheit erfreuend, benutzte er dieselbe im ausgedehntesten Maße, und ging und kam, ohne Jemand Rechenschaft darüber abzulegen. Allerdings richtete auch sein Vater und seine Schwester, die ohne Zweifel an seine Art und Weise gewöhnt waren, niemals eine Frage an ihn, wo er gewesen oder was er gethan habe, sobald er nach einer Abwesenheit, die sich oft auf länger als eine Woche ausdehnte, wieder erschien.
Bei diesen sehr häufigen Gelegenheiten, war gewöhnlich die Frühstückszeit die Stunde seiner Ankunft.
Er grüßte dann die Anwesenden schweigend, setzte sich, ohne ein Wort zu sprechen, an den Tisch und aß, dann drehte er eine Cigarette, zündete sie an, erhob sich und begab sich in seine Gemächer, ohne sich um die Andern weiter zu bekümmern.
Don Andrès, der sehr gut das Unschickliche, welches dieses Betragen für seinen Gast haben mußte, einsah, hatte einige Male seinen Sohn zu entschuldigen gesucht, indem er es auf sehr ernste Beschäftigungen schob, die diese scheinbare Unhöflichkeit hervorriefen. Aber der Graf hatte ihm geantwortet, daß er Don Melchior für einen liebenswürdigen Cavalier halte, daß er seine Handlungsweise in Rücksicht auf ihn sehr natürlich fände und selbst sein Wesen ohne alle Umstände ihm ein Beweis von Freundschaft sei, welche er ihm erzeigte, indem er ihn nicht wie einen Fremden, sondern wie einen Freund und Bekannten behandele und daß er es sehr bedauern würde, wenn Don Melchior seinetwegen seinen Gewohnheiten den geringsten Zwang auferlegte.
Ohne sich von dieser scheinbaren Sanftmuth irre führen zu lassen, hielt es Don Andrès für vorsichtig, nicht weiter bei diesem Gegenstand zu verweilen, und so war Alles gesagt.
Don Melchior war gefürchtet von allen Peonen der Hacienda und allem Anscheine nach selbst von seinem Vater.
Es war augenscheinlich, daß dieser finstere junge Mann über Alles, was ihn umgab, eine Macht ausübte, welche um ihrer Verhülltheit willen nur um so gefürchteter war; aber Niemand wagte sich zu beklagen, und der Graf, welcher allein einige Einwendungen hätte machen können, hütete sich wohl, denn da er sich als Fremder betrachtete, der nur einige Zeit in Mexiko zuzubringen beabsichtigte, so fand er durchaus keinen Geschmack daran, sich in Dinge zu mischen, welche ihn nichts angingen und ihn in keiner Weise berühren sollten.
Beinahe zwei Monate waren seit der Ankunft des jungen Mannes in der Hacienda verflossen; er hatte die Zeit mit Lectüre oder mit Ausflügen in die Umgegend, in Gesellschaft des Haushofmeisters der Hacienda, zugebracht. Letzterer war ein Mann, von etwa vierzig Jahren, von kleiner, untersetzter Gestalt, kräftigen Gliedern und offenem, freimüthigen Gesicht, der das vollkommenste Vertrauen bei seinen Gebietern genoß.
Dieser Haushofmeister, Leo Carral mit Namen, hatte eine große Neigung für den jungen Franzosen gefaßt, dessen unerschöpfliche Heiterkeit und Freigebigkeit sein Herz gewonnen hatten.
Er fand Vergnügen daran, den Grafen auf ihren langen Ritten in der Reitkunst zu vervollkommnen, machte ihn auf die Mängel der Grundlehren der französischen Schule aufmerksam und befleißigte sich, worauf er übrigens gerechte Ansprüche hatte, ein wahrer hombre de a caballo und ein ginete erster Größe zu sein.
Wir müssen hinzufügen, daß sein Zögling sich seine Lehren zu Nutze machte und nicht allein in kurzer Zeit ein vollkommner Reiter, sondern, Dank dem würdigen Haushofmeister, auch ein tüchtiger Schütze geworden war.
Der Graf hatte nach den Rathschlägen seines Lehrers seit Kurzem die bequeme und elegante mexikanische Tracht angelegt, welche er mit einer Anmuth ohne Gleichen trug.
Don Andrès de-la-Cruz rieb sich freudig die Hände, als er sah, daß Derjenige, den er bereits als seinen Schwiegersohn betrachtete, die Landestracht anlegte, in seinen Augen der sichere Beweis, daß der Graf beabsichtige, sich in Mexiko niederzulassen; er hatte bei dieser Gelegenheit selbst geschickt die Unterhaltung auf den Gegenstand, der ihm am Meisten am Herzen lag – nämlich die Heirath des jungen Mannes mit Donna Dolores – zu bringen versucht. Aber der Graf, immer auf seiner Hut, vermied wie schon öfter dieses gefährliche Thema und Don Andrès hatte sich kopfschüttelnd zurückgezogen, indem er murmelte:
»Wir müssen uns indessen erklären.«
Wohl schon zehn Mal seit der Ankunft des Grafen in der Hacienda hatte Don Andrès de-la-Cruz eine Erklärung mit ihm herbeizuführen versucht, aber bisher wußte der junge Mann derselben stets auszuweichen.
Eines Tages als der Graf allein in seinem Gemach sich länger, als es seine Gewohnheit war, der Lectüre überlassen hatte, schien es ihm in dem Augenblicke, wo er sein Buch schließend, zufällig aufblickte, als gleite ein Schatten vor der Glasthür vorüber, die in die Huerta führte.
Die Nacht war bereits vorgerückt, seit länger als zwei Stunden hätten die Bewohner der Hacienda sich dem Schlafe überlassen sollen: wer war dieser Herumstreicher, den seine Phantasie antrieb, so spät umherzuwandeln?
Ohne sich Rechenschaft von dem Beweggrund seiner Handlungsweise abzulegen, beschloß Ludovic, sich darüber Gewißheit zu verschaffen.
Er verließ seinen Sitz auf der Butacca, nahm von einem Tische zwei sechsläufige Revolver, um auf jede Eventualität gefaßt zu sein, und so leise als möglich die Thür öffnend, schlich er in die Huerta und der Richtung zu, wo er den Schatten hatte verschwinden sehen.
Die Nacht war prächtig, der Mond leuchtete wie am hellen Tage, die Athmosphäre war von einer solchen Durchsichtigkeit, daß man auf weite Entfernung die Gegenstände vollkommen unterschied.
Nur höchst selten hatte der Graf die Huerta betreten, deren Gänge er daher nicht kannte, und so zögerte er denn auch, sich in die langen Alleen, die nach allen Richtungen vor ihm sich ausdehnten, kreuzten und ineinanderschlangen, zu begeben, da er keineswegs Lust hatte, die Nacht, so schön dieselbe auch war, unter freiem Himmel zuzubringen.
Er blieb stehen und überlegte: vielleicht hatte er sich geirrt, oder war er das Spielwerk seiner Einbildungskraft gewesen und hatte vielleicht einen vom Abendwinde bewegten Zweig, der sich in dem Lichte des Mondes spiegelte, für den Schatten eines Menschen gehalten?
Diese Bemerkung war nicht allein richtig, sondern sogar logisch; doch schien der junge Mann nicht viel darauf zu geben; nach einigen Augenblicken glitt ein ironisches Lächeln über seine Lippen, und anstatt in den Garten zu dringen, glitt er vorsichtig längs der dichten Hecke hin, die sich auf dieser Seite der Hacienda befand.
Nachdem er, mehr schleichend als gehend, zehn Minuten seinen Weg fortgesetzt hatte, blieb der Graf stehen, um Athem zu schöpfen und sich zu orientiren.
»Gut,« murmelte er, nachdem er einen prüfenden Blick um sich geworfen hatte, »ich habe mich nicht geirrt, da ist es in der That.«
Darauf neigte er sich vor, trennte vorsichtig die Blätter und Zweige von einander und blickte hindurch.
Fast augenblicklich aber fuhr er wieder zurück, einen Ausruf der Ueberraschung unterdrückend.
Der Platz, wo er sich befand, lag dem Zimmer Donna Dolores de-la-Cruz gerade gegenüber.
Ein Fenster dieses Zimmers war geöffnet, und Donna Dolores neigte sich über die Brustwehr des Fensters und plauderte mit einem Manne, welcher ihr gegenüber im Garten stand; eine Entfernung von kaum zwei Schritt trennte die beiden Redenden, die in eine der interessantesten Unterhaltungen vertieft schienen.
Es war dem Grafen unmöglich den Mann, der indessen nur einige Schritte von ihm entfernt war, zu erkennen; erstens stand er mit dem Rücken ihm zugekehrt und dann war er in einen Mantel gehüllt, ihn vollständig verbarg.
»Ah!« murmelte der Graf, »ich hatte mich also nicht geirrt!«
Trotz Allem, was diese Entdeckung für ihn Verletzendes hatte, fühlte er dennoch eine innere Befriedigung, daß er das Richtige errathen hatte, denn wer Mann auch sein mochte, er konnte nur ein Liebhaber sein.
Obwohl beide Plaudernde mit gedämpfter Stimme sprachen, so geschah dies dennoch nicht leise genug, um nicht in einer kurzen Entfernung gehört zu werden, und obgleich er sich seine unzarte Handlungsweise zum Vorwurf machte, so bog dennoch der Graf, durch seinen Unwillen und vielleicht auch unwillkürlich durch die Eifersucht angetrieben, die Zweige auseinander und neigte sich vor, um zu horchen.
Das junge Mädchen sprach in diesem Augenblick.
»Mein Gott!« sagte sie bewegt, »ich zittere, mein Freund, wenn ich Euch mehre Tage nicht sehe; meine Unruhe ist außerordentlich; ich fürchte immer ein Unglück.«
»Der Teufel!« murmelte der Graf, »das ist ein Bursche, der sehr geliebt wird.«
Durch dieses Zwischengespräch entging ihm die Antwort des Mannes. Das junge Mädchen erwiderte:
»Bin ich denn verurtheilt, noch lange hier zu bleiben?«
»Ein Wenig Geduld, ich hoffe, daß bald Alles beendet sein wird,« antwortete der Unbekannte mit dumpfer Stimme; »und er, was macht er?«
»Er ist immer derselbe, noch eben so finster und geheimnißvoll,« versetzte sie.
»Ist er heut Abend hier?«
»Ja.«
»Immer eben so mürrisch?«
»Und der Franzose?«
»Ah! ah!« machte der Graf, »hören wir, was man von uns denkt.«
»Er ist ein liebenswürdiger Cavalier,« flüsterte das junge Mädchen mit bebender Stimme, »seit einigen Tagen scheint er traurig.«
»Er langweilt sich.«
»Ich fürchte es.«
»Armes Kind,« sagte der Graf, »sie hat bemerkt, daß ich mich langweile, es ist wahr, ich gebe mir keine Mühe, es zu verbergen. Aber sollte ich mich getäuscht haben? Sollte dieser Mann etwas Anderes als ein Liebhaber sein? Das ist sehr unwahrscheinlich! indessen wer weiß?« setzte er eingebildet hinzu.
Während dieses langen Selbstgesprächs hatten die beiden Sprecher ihre Unterhaltung fortgesetzt, die daher für den jungen Mann ganz verloren gegangen war; als er wieder zu horchen begann, endete sie.
»Ich werde es thun, weil Ihr es fordert,« sagte das junge Mädchen; »aber ist es denn durchaus nothwendig, mein Freund?«
»Unumgänglich, Dolores.«
»Teufel! er ist vertraut,« sagte der Graf.
»Ich werde gehorchen,« erwiderte das junge Mädchen.
»Laßt uns jetzt scheiden, ich bin schon zu lange hier geblieben.«
Der Unbekannte drückte seinen Hut tiefer in die Augen, flüsterte zum letzten Mal »lebt wohl« und entfernte sich mit raschen Schritten.
Der Graf war in größter Ueberraschung auf seinem Platze geblieben, der Unbekannte ging, ohne ihn zu sehen, fast dicht an ihm vorüber, in diesem Augenblick verrückte ein herabhängender Zweig seinen Hut, ein Mondstrahl traf sein Gesicht, der Graf erkannte ihn.
»Olivier!« murmelte er, »er ist es also, den sie liebt?«
Er kehrte wankend wie ein trunkener Mann in sein Zimmer zurück; diese letzte Entdeckung hatte ihn bestürzt gemacht.
Der junge Mann legte sich zu Bett, aber er vermochte nicht zu schlafen, er verbrachte die ganze Nacht, in dem er die ungereimtesten Pläne entwarf. Indessen schien gegen Morgen seine Aufregung in Müdigkeit überzugehen.
»Bevor ich irgend einen Entschluß fasse,« sagte er, »will ich eine Unterredung mit ihr haben; obwohl ich sicher bin, daß ich sie nicht liebe, so ist es doch um meiner Ehre willen nothwendig, sie zu überzeugen, daß ich kein Tropf bin und daß ich Alles weiß. Ich bin entschlossen: noch heut will ich um eine Unterredung bitten.«
Nach diesem festen Entschlusse ruhiger geworden, schloß der Graf die Augen und schlief ein.
Als er erwachte, erblickte er Raimbaut an seinem Bette, mit einem Papier in der Hand.
»Was ist dies? Was willst Du von mir?« fragte er ihn.
»Es ist ein Brief für den Herrn Grafen,«, antwortete der Kammerdiener.
»Ah!« rief er, »sollten es Nachrichten aus Frankreich sein?«
»Ich glaube nicht, dieser Brief ist Lanca durch eine Kammerfrau von Donna Dolores de-la-Cruz übergeben worden, mit der Bitte, denselben dem Herrn Grafen sofort bei seinem Erwachen zuzustellen.«
»Das ist seltsam,« murmelte der junge Mann, als er den Brief nahm und ihn mit Aufmerksamkeit betrachtete; »er ist allerdings an meine Adresse,« setzte er hinzu, indem er sich entschloß, ihn zu öffnen.
Dieser Brief war von Donna Dolores de-la-Cruz, er enthielt nur folgende wenige Worte in feiner, zitternder Handschrift:
»Donna Dolores de-la-Cruz ersucht den Sennor Don Ludovic de-la-Saulay inständig, ihr wegen einer wichtigen Sache heut um drei Uhr spätestens eine Unterredung zu bewilligen; Donna Dolores wird den Sennor Graf in ihrem Zimmer erwarten.«
»Jetzt verstehe ich nichts von Allem,« rief der Graf; »bah!« fuhr er nach augenblicklichem Nachdenken fort, »vielleicht ist es besser, daß es so ist und dieser Vorschlag von ihr ausgeht.«