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Ein klarer, tiefblauer, wolkenloser Himmel; eine fast ebenso tiefblaue, spiegelglatte See; ein nach Süden zu bergig aufsteigendes Küstenland, beleuchtet von einer glorreichen Sonne, die intensiv, unbarmherzig brennend herabstrahlt – das ist mit einem großen Zuge gezeichnet der Hintergrund zum Vorspiel des seltsamen Romans einer Perle.
Die Gegend, die gemeint ist, liegt jenseits des Äquators, doch noch über dem südlichen Wendekreis an der Nordküste Australiens. Westlich vom Kap York, wo sich der große Ozean, durchsetzt von zahlreichen Korallen-Inseln, mit seiner ungeheuern Wasserfläche ausdehnt, wo im Nordwesten ein in blauem Duft verschwimmender Strich andeutet, wo Kaiser Wilhelms-Land zu suchen ist, kreuzt verstreut, begleitet von einem kleinen Schoner, eine seltsame Flotte: Das sind die Barken der Perlenfischer, die hier ihr gefahrvolles Gewerbe betreiben, hoffend, ach wie oft vergeblich, dem Ungeheuer Ozean die Schätze abzuringen, die sie unabhängig, frei, und manchmal auch reich machen können, wenn sie Glück haben. Gefährlich, mühevoll, entsagungsreich, beschwerlich ist das Gewerbe der Perlenfischer; man darf wohl sagen, daß sie Gott versuchen, so oft sie hinabtauchen in des Ozeans geheimnisvolle Tiefen, in die furchtbare, herzbeklemmende Totenstille des Meeresgrundes, der ja freilich auch eine Vegetation bietet, deren Abbildungen und Nachbildungen in Aquarien man nur mit unsagbarer Bewunderung und Staunen betrachten kann.
Der eingeborene Perlenfischer ist in Australien heutzutage nur noch eine sagenhafte Erscheinung. Er gehört der Vergangenheit an; denn die geringe Tiefe, die er mit angehaltenem Atem erreichen kann, ist längst keine Fundgrube mehr für die Juwelen des Ozeans. Die Tiefen, in welche die Perlmuschel (Meleagrina Margaritifera) sich sozusagen zurückgezogen hat, kann er nicht mehr erreichen; der Taucher in seinem sinnreichen Apparat oder ›Dreß‹ hat ihn längst überholt und verdrängt.
Trotzdem es nun aber ganze, wohlorganisierte Perlfischereigesellschaften gibt, die mit ihren Flotten an der Nordküste Australiens kreuzen, und neben diesen auch noch zahlreiche Privatboote mit ihren Tauchern in jenen Gewässern segeln, um des Meeres kostbarstem Juwel nachzustellen, so gelten die Perlbänke in und um die Torresstraße, jener Meerenge, welche Nord-Australien von Neu-Guinea trennt, noch lange nicht für erschöpft, und mancher hat sich aus ihnen schon sein Glück herausgefischt. Freilich nicht immer grade die Perlen selbst, wohl aber die Muschel, denn das verhältnismäßig wertvolle Perlmutter ist so ziemlich das einzige und wahre, wenn auch oft nur recht bescheidene Brot des Perlfischers; die Perlen selbst sind gewissermaßen die Butter auf das Brot, und wenn es auch nur die kleinen Saatperlen wären. Das Perlmutter sichert ihm den wohlverdienten Lohn, wenn er das Glück hat, Leben und Gesundheit heil von der gefahrvollen Expedition heimzubringen. Denn nicht nur, daß dem Taucher jede scharfe Klippe durch einen Riß in seinem Anzuge verhängnisvoll werden, daß die Luftpumpe versagen, der Schlauch verletzt werden kann, oder daß das Seil reißt – viele, viele andere Gefahren umringen ihn, und wenn er endlich sein Gewerbe ohne Taubheit und ohne Rheumatismus aufgeben kann, so ist er doch nach wenig Monaten ein toter Mann, falls Herz oder Lungen nur die geringsten Fehler hatten, wenn er zum ersten Male taucht.
Die Boote, die zur Perlenfischerei besonders gebaut und verwendet werden, gleichen einander so sehr, daß man dasjenige, auf welchem der Roman jener einen Perle beginnt, durch eine besondere Beschreibung nicht hervorheben könnte. Es sind Fahrzeuge mit Luggertakelung von fünf bis zwanzig Tonnen, leicht lenkbar nach jeder Richtung, ausgestattet mit Luftpumpen und Seilwinden, bemannt mit etwa fünf Malayen und dem Taucher, der zugleich Kapitän ist. Nächst ihm ist der sogenannte Tender die Hauptperson des Bootes; denn er ist im Kommando der Stellvertreter des Tauchers, sobald dieser unter Wasser ist, und in der Tat hängt das Wohl und Wehe des letzteren von dem Tender ab, der daher auch mit ganz besonderer Sorgfalt gewählt wird. Er ist's, der den Taucher zu seiner Fahrt in die Tiefe ankleidet, in seiner Hand ruht die Signalleine und die Besorgung der Luftpumpe; er muß Windrichtung und Wetter im Auge behalten, muß die Befehle geben zur Vor- oder Rückwärtsbewegung des Bootes, zur Lichtung und Senkung des verkehrt gebrauchten Ankers, kurz, er muß ein vielgewandter, zuverlässiger und nüchterner Bursche sein, an sich eine ›Perle‹ und deren gibt's nicht allzuviele unter den faulen, verräterischen, zu allen Nichtsnutzigkeiten fähigen Malayen.
Eines dieser Perlenfischerboote führte den bezeichnenden Namen ›Margarita‹, mit weithin leuchtenden, weißen Lettern sauber am Kiel gemalt, und bezeichnete sich dadurch selbst als ein Privatfahrzeug. Auf seinem Deck, das mit Haufen geöffneter Perlmuscheln aller Größen beladen war, dehnte sich faul die malayische, braune, halbnackte Mannschaft in der Sonne; der Tender, ein schlanker, kraftvoller, geschmeidiger Kerl mit roter Mütze auf dem straffen, kohlschwarzen Haar und rot-weiß gestreiftem Beinkleid als einzige Bekleidung, stand am Steuerbord, die Signalleine lose in der Linken, die Rechte an der Luftpumpe, bereit, dem leisesten Zeichen des Tauchers unter Wasser zu gehorchen. Neben der Treppe zur Kajüte stand ein Liegestuhl von Bambusrohr mit geflochtenem Bastsitze, überragt von einem baldachinartigen Schutzdach gegen die Sonne, und darauf ausgestreckt lag ein Herr in weißem Flanellanzuge, eine Zigarette rauchend und ein Buch in der Hand, das ihn aber weiter nicht zu fesseln schien, denn er sah darüber hinweg in das klare, tiefe Blau des australischen Himmels. Es war an sich nichts Ungewöhnliches an der Erscheinung dieses noch jungen Mannes, und dennoch wäre er an einem scharfen Beobachter sicher nicht unbeachtet vorübergegangen. Eine mittelgroße, schmale, fast schmächtige Figur, ein kleiner Kopf mit spärlichem, rötlichbraunem Haar, das die Stirn bis zur halben Schädelhöhe kahl ließ, ein blasses, glattrasiertes, regelmäßiges Gesicht mit dünnen, festgeschlossenen Lippen, einer feingebogenen, fast klassischen Nase, mit tiefliegenden, von dunklen, dichten Brauen starkbeschatteten grauen Augen – kurz ein Gesicht, dem die Intelligenz auf jedem Zuge aufgeprägt war, aber kein sympathisches Gesicht, weil es die Starrheit einer Maske hatte. Dazu kam auch noch die Blutlosigkeit der Haut, denn diese war direkt wachsfarben; auch die schmalen Lippen entbehrten des Inkarnats, und der bläuliche Schimmer des sauber rasierten Bartes hob die Blässe der blutleeren Haut, die keine Einwirkung der Sonne verriet, noch auffallender hervor. Sein Anzug war von einer fast überpeinlichen Akkuratesse und Sauberkeit für diesen Ort. Der ganze Mann, wie er hier lag, schien mehr auf einem exklusiven Tennisplatz an seiner richtigen Stelle, als an Bord eines Taucherbootes in den australischen Gewässern.
Trotz seines eleganten Aussehens war er jedoch nicht der Besitzer der ›Margarita‹; denn dieser befand sich zur Zeit unter Wasser und war ein englischer Magnat, der Earl of Fernhill von Fernhill-Towers, und der Mann auf dem Liegestuhl im weißen, tadellosen Jachtanzuge war sein Sekretär, Mr. Winter, der es noch nicht begreifen gelernt hatte, wie es seinem Brotherrn einfallen konnte, die Perlfischerei als Sport zu betreiben.
Ein eigentümlicher Ruck an der Signalleine gab dem Tender ein Zeichen, ein zweites, über Bord hängendes Seil emporwinden zu lassen, an dem eine Art großen Angelhakens befestigt war, und an diesem hing ein schwerer, großer Fisch, den der Taucher unter Wasser gefangen hatte, um der üblichen Reismahlzeit mit Konserven an Bord einen besonderen Leckerbissen hinzuzufügen. Der das Amt des Kochs versehende Malaye sprang gleich hinzu, den Fisch von dem Haken loszumachen, zu töten und zur Mahlzeit zuzubereiten, denn der Grundsatz ›Frische Fische, gute Fische‹ gilt in den tropischen Himmelsstrichen weit mehr noch, als bei uns. Mr. Winter, der dem Vorgange ohne sonderliches Interesse zugesehen, gähnte mit einer Diskretion, die jedem europäischen Salon, falls man da überhaupt gähnen darf, Ehre gemacht hätte.
»Eine Schildkröte wäre mir lieber gewesen«, murmelte er. »Das wäre doch wenigstens einmal frisches Fleisch; diese ewigen Seefische und den ganz unvermeidlichen Reis habe ich nun nachgerade herzlich satt.« Und seine Uhr hervorziehend, fuhr er fort: »Gleich vier! Wie lange will er denn heute unten bleiben? Sechsmal mußte das Boot bewegt werden, achtmal ist er aufgestiegen, sein Muschelnetz auszuleeren, und immer noch kein Ende! Wozu das ganze Treiben? Nur ein reicher, spleeniger Engländer kann auf solch einen blödsinnigen Sport geraten. Tender, der Herr bleibt heute lange unten!«
»Gute Ernte heut«, radebrechte der Mann, auf den Haufen ungeöffneter Muscheln deutend, der neben der Pumpe lag.
»So lange ist der Herr noch nie unten geblieben, Tender.«
»War Wasser sonst zu tief, hält dann nicht so lange aus wegen Druck«, erklärte der Malaye. »Hier sein fünfzig Fuß, so ungefähr, bis auf Grund. Kann man schon zwei Stunden drin arbeiten.«
»Shark!« schrie einer der eingeborenen Matrosen und deutete hinaus auf die Wasserfläche, über der sich eben zwei riesige Schwanzflossen zeigten, um gleich wieder zu verschwinden.
»Wieder ein Hai!« sagte Mr. Winter schaudernd. »Das ist nun schon der dritte, den wir heut sehen, möglich, daß es immer derselbe war, aber gleichviel – ehe ich mich der Begegnung mit solch' einer Bestie aussetzte, noch dazu ohne Not aussetzte, lieber äße ich trocknes Brot mein Leben lang.«
»Hai greift Taucher im Dreß niemals an«, versicherte der Tender.
»Ei, der Teufel traue«, sagte Mr. Winter schlecht gelaunt, und warf sich wieder zurück auf sein bequemes Lager.
Abermals trat eine tiefe Stille ein, diesmal jedoch nur für kurze Zeit. Wiederholte, heftige Rucke an der Signalleine brachten plötzliches Leben auf das Boot.
»Diver, ahoi!« rief der Tender; die Matrosen stürzten wie elektrisiert hinzu und begannen mit Aufbietung aller ihrer Kräfte die Leine aufzuwinden, indes der Sekretär sich erhob und seine Zigarette nach einem letzten Zuge über Bord warf. Das Aufwinden der Leine mit dem Taucher ist immer ein schweres Stück Arbeit, das dieser dadurch zu erleichtern sucht, daß er mittels einer sinnreichen Vorrichtung Luft in sein Dreß pumpt, um sich leichter zu machen. Ob den Taucher drunten heut etwas daran verhindert hatte? Die Arbeit schien heut doppelt so schwer, als sonst, und die Leute arbeiteten, daß ihnen der Schweiß stromweise von den braunen Gesichtern und Leibern troff.
Endlich ward die Mühe belohnt. Der Kopf des Tauchers in seinem Helm erschien über der Wasserfläche, und seine Hand griff nach der Leiter, doch diese Hand war so unstät, so zitternd, daß der Tender gleich wußte: hier war etwas nicht ›allright‹. Noch einmal wurde mit allen Kräften gezogen und der Taucher endlich von zehn sehnigen Armen mehr über Bord geschleift, als gehoben. Kaum hatte er die Bretter unter den Füßen mit den schweren, bleigefüllten Stiefelsohlen, als er wie ein Trunkener schwankte und sicher hingeschlagen wäre, hätte der Tender ihn nicht aufgefangen, während der Sekretär ihm einen Deckstuhl unterschob, auf den er niedersank, als wäre der ganze Mann von Blei, so schwer und unbehilflich. Zwar ist ja das Dreß des Tauchers seiner Schwere wegen zum Seiltanzen nicht gerade geeignet, aber heute war doch etwas ganz Ungewöhnliches in der Hilflosigkeit dieses Mannes, und ohne Verzug schraubte der Tender zunächst das vordere untere Glas des Helms los, aus dem nun ein röchelndes Atmen ertönte, dann wurden die Brust- und Rückengewichte ausgehängt und der Helm selbst abgeschraubt; als aber der Kopf des Tauchers sichtbar wurde, erschraken selbst die gleichgültigen Malayen vor dem Antlitz, das ihnen entgegenstarrte.
Und doch war es ein junges, edelgeschnittenes, fast noch knabenhaftes Gesicht, aber seine Farbe war grau wie Asche unter der sonnverbrannten Oberfläche der Haut, und ein eigentümlicher, unheimlich grüner Schimmer lag darüber. Die Lippen des hübschen, ja anmutigen Mundes waren blau und verzerrt, schwarze Ränder umzogen die großen, blauen Augen, die einen eigenen Ausdruck hatten, gleich dem eines gehetzten Wildes, und unnatürlich tief in ihre Höhlen gesunken waren. Fast schien es, als ob die Runen des Todes in dieses junge Angesicht eingegraben wären.
Erschrocken trat der Sekretär nun seinem Herrn näher.
»Lord Fernhill – fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte er mit unwillkürlich gedämpfter Stimme.
Der Angeredete öffnete die Lippen, brachte aber kein Wort hervor, nur einen schrecklichen Laut gleich einem Röcheln, der Winter veranlaßte, eilends die Kajütentreppe hinabzuspringen und ebenso schnell mit einer Feldflasche zurückzukehren, aus welcher er dem sichtlich schwer Leidenden einige Tropfen Kognak einflößte, die ihn rasch fähig machten, einen größeren Zug zu tun.
Indes war der Tender eifrig beschäftigt, seinem Patron, der noch krampfhaft eine außergewöhnlich große Perlmuschel unter dem linken Arm festgeklemmt hielt, die Stiefeln zu lösen und den Halsverschluß; dann seifte er ihm die starren Hände ein, um den festangesaugten Gummiverschluß der Ärmel darüber abstreifen zu können, und während Winter ihn von rückwärts festhielt, wurde ihm der wasserdichte Anzug vom Leibe gezogen, sowie der obere seines doppelten Flanellanzuges. Dann wurde auch der Kragen des Flanellhemdes gelockert, und zwei Mann trugen den fast Bewußtlosen, mühsam Atmenden auf den Liegestuhl, wo er mit geschlossenen Augen liegen blieb, wie man ihn gebettet.
Winter benetzte nun die Schläfen des anscheinend schwer Leidenden erst mit Branntwein, dann mit Süßwasser, das er aus einer Tonne unter Deck zapfte, und legte seinem Kopf noch ein Kissen unter. Dann endlich war er imstande, ein in Wein getauchtes Biskuit zu sich zu nehmen.
»Winter,« sagte er danach matt, »das war meine letzte Fahrt in die Tiefe.«
Dann schloß er die Augen und schlief ein.
Der Sekretär holte sich einen Feldstuhl und setzte sich mit dem aufgespannten Sonnenschirm an das Fußende des Ruhebettes.
»Was nun?« fragte er sich. »Wenn ich je einem Menschen den sicheren Tod aus den Augen grinsen sah, dann ist's der hier. Und was wird aus mir?«
Kein Gedanke des Mitleids kam ihm für den kranken Mann, der noch wie ein Knabe aussah, erst auf dem Wege zu des Lebens Mittagshöhe war und schon sterben sollte, fern der Heimat, umgeben von Mietlingen. –
Nun ja, der Sekretär war eben auch nichts anderes, als solch eine egoistische, krasse Mietlingsnatur, durch welche die Sonne der Sympathie schwerer durchdringt, als der Rost durch das Eisen. Und doch sah der kranke Mann so sympathisch aus trotz der unheimlichen Runen des Leidens, die seine hübschen Züge durchfurchten; es lag so viel Güte und Freundlichkeit um den feinen blassen Mund, soviel Offenheit auf der freien, edlen Stirn, auf der das dichte, krause Blondhaar jetzt ungeordnet klebte. Alles in allem eine Erscheinung, an der schwerlich jemand ohne Wohlgefallen vorübergegangen wäre.
Im Schlafe glätteten sich allmählich die verzerrten Züge und nahmen den ihnen eignen liebenswürdig-sorglosen Ausdruck wieder an, wurden wieder jung; ja, als der erquickende Schlummer anhielt, flog es auch wieder wie ein Hauch von Leben und Gesundheit darüber, und die graue Aschfarbe wich einer natürlichen Färbung. Aber der Sekretär beachtete diese Veränderung zum Besseren kaum. Er hatte sich eine neue Zigarette angezündet und betrachtete die von Lord Fernhill heraufgebrachte, mehr als einen halben Meter im Durchmesser große Perlmuschel, die vor ihm auf dem Boden lag, indem er sich fragte, ob sie wohl auch so leer sei, wie die vielen andern, die der arme Tor gefischt. Der Tender, ein Mietling wie der Sekretär und obendrein noch ein Malaye, zu dessen Rasseeigentümlichkeiten Anhänglichkeit, Dankbarkeit und Mitgefühl nicht eben gehören, machte sich hingegen freundlich um seinen Patron zu schaffen; er ließ die Vorhänge des Schutzschirmes tiefer herab und holte eine leichte, seidene Decke, um sie dem Schlafenden über die Füße zu legen.
»Scheint ihm jetzt besser zu sein«, flüsterte er dem Sekretär zu, der flüchtig aufsah und gleichgültig nickte.
»Ist das Herz«, fuhr der Tender in seinem gebrochenen Englisch fort.
»Indeed?« machte Winter mit einem längeren Blick auf den Kranken. Kein deutscher Ausdruck vermag dieses englische Wort mit seiner kühlen, gleichgültigen und auch wieder je nach dem Tonfall interessierten oder ironischen Meinung wiederzugeben. Was hatte dieser junge, lebensfrohe Hüne mit einem kranken Herren zu schaffen?
»Ja, ja, ist das Herz«, wiederholte der Tender seufzend. »Habe das oft gesehen.«
»Das Herz?« fragte der Sekretär spöttisch.
»Ja«, nickte der Tender ernsthaft. »Weiß oft nicht ein Europäer, wenn kommt, Perlen fischen, daß schlechtes Herz hat. Manchmal nur ganz, ganz klein wenig. Aber Leben im Wasser macht Taucher Blutspucken, und Pumpe saugt ihm Herz aus.«
»Warum nicht gar!«
»Doch, doch! Ich sehr oft gesehen. Pumpe saugt Herz aus, Gesicht wird grau, Lippen blau, Atem schwer, dann Herz steht still. Keine Rettung mehr.«
»Teuer bezahlte Perlen«, murmelte Winter.
»Schade, schade«, fuhr der Malaye fort. »So lieber Herr, immer lustig, immer gütig für armen Tender!«
Damit schlich er wieder zu seiner Arbeit, und der, für den der Schläfer noch viel mehr Güte verschwendet, der sagte nicht einmal ›Schade!‹
»Esel, der ich war, mich zu dieser verrückten Expedition mitschleppen zu lassen«, murrte er statt dessen. »Freilich, wenn einem Menschen das Messer so an der Kehle sitzt, wie mir, dann ist einem selbst ein spleeniger Engländer, einer der reichsten seines Landes, ein Kerl, der auszieht, um in diesen verfluchten Gewässern Perlen zu fischen, immer noch ein Geschenk des Himmels. Als ob der dumme Junge nicht Perlen kaufen konnte, soviel er nur mochte. Aber nein, Sport muß sein, und je verrückter, desto besser. Und das Resultat ist elend genug. Bring' ich ihn lebend wieder nach England zurück? Zwar, ich für meine Person wäre ja insofern noch gut heraus, als ich mein Gehalt für das Vierteljahr pränumerando erhalten habe, aber wer bezahlt mir das nächste statt der gesetzlichen Kündigung? Die Erben? Erben sind oft sonderbare Leute in punkto Zahlung, namentlich, wenn es entfernte Verwandte sind, denen die Erbschaft zufällt. Hätt' ich wenigstens noch den Haufen Muscheln da! Perlmutter hat seinen Wert; und deutlich genug hab' ich's ihm ja unter die Nase gerieben, daß ich doch der nächste dazu wäre, die Muscheln zu kriegen – aber nein, begriffsstutzig wie der Bengel nun einmal ist, schenkt er die leeren Muscheln auch noch in einem Anfall von Großmut dem Tender, solch' einem Hund von einem Malayen, der dadurch zum Kapitalisten wird.«
Eine Bewegung des Schlafenden unterbrach diese liebevollen Betrachtungen; Winter blickte auf und sah die jetzt übergroß pathetischen, sonst so lachenden blauen Augen Lord Fernhills auf sich gerichtet.
»Soll ich Ihnen sagen, Winter, was Sie eben gedacht haben?« fragte er mit dem Schatten seines knabenhaft-sonnigen Lächelns auf den blassen Lippen, und als der Sekretär fragend mit den Achseln zuckte, fuhr er fort: »Sie haben mich eben für den größten Esel der Welt erklärt von wegen dieser Expedition. Hand aufs Herz! War's nicht so?«
»Das ist ja schon die reine Gedankenleserei, Mylord«, erwiderte Winter so nachlässig, daß kein Mensch ihn hätte der ›Servilität‹ beschuldigen können. »Ich dachte wirklich etwas ähnliches, nur in wesentlich höflicherer Form.«
»Wer's glaubt«, lächelte Lord Fernhill gutmütig. »Wenn's kein stärkerer Ehrentitel war, den Sie mir gaben, kann ich schon zufrieden sein. Ich würde Ihnen auch laut gesagt den Esel nicht weiter übelnehmen; denn ehrlich gesagt: Ich glaube, ich war wirklich einer. Und warum habe ich diese Eselei übernommen?«
»Sport«, meinte Winter achselzuckend.
»Sport?« wiederholte Fernhill. »Unter Sport verstehe ich etwas anderes.«
»Also Spleen«, riet Winter trocken weiter.
»Hab' ich ausgesehen wie ein spleeniger Mensch, als wir an Bord meiner Yacht lossegelten?« fragte der Kranke. »Nein? Nun also! Cherchez la femme.«
»Lieber Himmel, Lord Fernhill, wenn Sie einer Frau Perlen schenken wollten, dann brauchten Sie doch nur einem erstklassigen Juwelier ein Wort zu sagen, und der Mann verschaffte Ihnen, was es seltenes und kostbares an Perlen gibt. Dann schrieben Sie einen Scheck, und die Sache war erledigt, was Ihre Arbeit daran betraf«, rief der Sekretär mit schlecht verhehlter Ungeduld. »Aber mir dämmert es: Vielleicht war das Motiv zu dieser Expedition eine Wette.«
Fernhill schüttelte matt mit dem Kopf.
»In dieser Beziehung bin ich kein Engländer, denn ich wette nie«, versicherte er. »Aber setzen Sie mal den Fall, es tritt eine Frau in Ihren Gesichtskreis, eine Frau, die Ihnen das bißchen gesunden Menschenverstand, das Sie fürs Leben mitbekommen haben, vollständig, absolut raubt, in die Sie sich über beide Ohren rettungslos, unsterblich verlieben –«
»Bitte mich zu entschuldigen – auf dieses Gebiet kann ich leider nicht folgen«, fiel Winter so nachdrücklich ein, daß Lord Fernhill ihn überrascht ansah.
»Eine wunderschöne Frau – das heißt ich weiß wirklich nicht, ob sie wirklich so schön ist«, fuhr er nach einer kleinen Pause träumerisch fort. »Es ist mir manchmal schon vorgekommen, als ob es schönere Frauen gäbe; aber darauf mag es wohl nicht so sehr ankommen, sondern mehr auf den Zauber der Persönlichkeit. Die Frau, die ich meine, zieht alle Männer an, wie das Licht die Motten, alle. Mich hat sie auch in ihren Bann gezogen. Die Motten fliegen in Scharen hinein in das strahlende Licht, und die meisten verbrennen sich darin die Flügel. – Manchen mögen sie wieder gewachsen sein, aber die meinigen wachsen wohl nicht mehr – Ein Stern ist sie für mich nicht gewesen – wahrscheinlich nur ein Irrlicht. Sie ist nicht wie andere Frauen, sie hat etwas ganz Eigenes an sich, sie ist immer sie selbst, immer Original –«
»Sie wird aber wohl auch ihren Preis haben, wie andere Menschen«, warf Winter zynisch ein.
»Ihren Preis?« wiederholte Fernhill zweifelnd. »Nun ja, wenn Sie damit meinen, daß jeder Mensch seine Schwächen hat, eine Leidenschaft für irgend etwas – die hat sie, es ist wahr – für Perlen. Ich weiß nicht, ob sie imstande ist, einen Menschen zu lieben, aber sie liebt die Perlen mit einer geradezu wunderbaren Zärtlichkeit, mit Schwärmerei, möcht' ich's nennen. Sie wird die verkörperte Poesie, wenn sie nur von Perlen spricht. Diese mattglänzenden, irisierenden Dinger üben auf sie einen magnetischen, berauschenden Einfluß aus und kleiden so gut ihren matten, durchsichtigen Teint; sie passen zu ihren unergründlichen, dunklen Augen, ihrem tiefgewellten, bronzefarbenen Haar. Um das Recht zu erwerben, ihr Perlen schenken zu dürfen, habe ich ihr oft schon Herz und Hand angetragen mit dem ganzen dummen Reichtum, der nun einmal an mir hängt. Sie hat weder ja noch nein gesagt, hat mich nie ermutigt, aber auch nie abgestoßen –«
»Weil sie wahrscheinlich noch andere Eisen im Feuer hat, die Erzkokette«, murmelte Winter durch die Zähne. Er war blasser, denn je.
»Einmal«, fuhr Fernhill leise fort, »kam in ihrer Gegenwart die Rede auf die Ritterdienste vergangener Tage, von denen man in Heldenbüchern und alten Chroniken liest; sie bedauerte, daß diese Tage vorüber seien, denn aus solchen Taten könnte man doch sehen, ob eine Huldigung ehrlich gemeint sei oder nur eine Redensart. Wir waren alle Feuer und Flamme, solch' einen Ritterdienst für sie zu tun. Man ist immer Feuer und Flamme in ihrer Nähe. Einer erbot sich zu einer arktischen Expedition, um Eisfüchse und Eisbären für sie zu schießen; ein anderer wollte Tiger jagen und ihr ein Dutzend der schönsten Felle zu Füßen legen; ein dritter erbot sich, Elfenbein von selbsterlegten Elefanten für eine ganze Zimmereinrichtung zu bringen. Dann wollte einer Gold für sie waschen, ein anderer Diamanten suchen, und einer hatte sogar die kühne Idee, ihr Krokodilhäute zur Tapete eines ganzen Zimmers zu verschaffen, natürlich von selbsterlegten Krokodilen. Da hatte ich eine Inspiration: Ich erbot mich, ihr selbst die schönsten Perlen, die es gibt, aus dem Meeresgrund zu holen! Sie hätten sehen sollen, wie ihre Augen dabei aufleuchteten, hätten den Druck ihrer Hand fühlen sollen, als sie mir für diesen Gedanken dankte. Das war genug für mich. Und hier bin ich!«
»Und hier sind Sie«, wiederholte Winter mit eigenem Ausdruck. »Wer kann nicht wenigstens einmal im Leben von sich sagen: Hier bin ich! Ich fürchte nur, Mylord, der Erfolg entspricht nicht dem Einsatz.«
Fernhill stieß einen Seufzer aus.
»Ein halbes Dutzend erbsengroßer Perlen, drei so groß wie Kirschen und eine Hand von Saatperlen – das ist alles«, zählte er müde auf. Aber auf einmal fiel ihm ein: »Die Muschel! Wo ist die Muschel, die ich heut heraufgebracht? Ich habe sie beim Aufstieg doch nicht etwa fallen lassen?«
»Wenn Sie die Muschel meinen, die Sie vorhin unterm Arm hatten, als Sie wieder an Bord kamen – das Ungetüm ist hier«, erwiderte Winter, auf die Riesenmuschel zu seinen Füßen mit einem Achselzucken deutend, als wollte er sagen: ›Gib dir keine Mühe, dich deswegen aufzuregen; sie ist doch leer.‹
»Ist es nicht ein enormes Exemplar?« rief Fernhill mit naiver Freude, und sich erschöpft wieder hinlegend, plauderte er weiter: »Ich muß Ihnen doch erzählen, Winter, was ich heut drunten erlebte. Denken Sie sich, ich griff gerade an die Signalleine, um mich aufziehen zu lassen; denn ich hatte nichts gefunden, und es wurde mir auf einmal so beklommen zumut. Es ist manchmal wirklich geradezu unheimlich dort unten in der drückenden, unterirdischen Stille, die zu ertragen manchmal mehr Mut erfordert, als irgendeiner drohenden Gefahr unter freiem Himmel ins Auge zu sehen! Ich will also nach langem, fruchtlosem Suchen zurück an Bord, da sehe ich eine Schildkröte äsen, ein Riesentier. Halt, dachte ich mir, das gibt für uns ein feines Mahl: frisches Fleisch, und dazu noch das Schildpatt der Schale! Ich pürschte mich also so leise, als es im Dreß eben geht, hinter das Tier und fasse es mit beiden Händen an seinen Panzer, um ihm den Kopf aufwärts zu richten, denn dann schwimmt es geradewegs nach der Oberfläche des Wassers und nimmt einen sozusagen als blinden Passagier mit. Leider glitt ich dabei aus, denn statt nach oben, nahm die Schildkröte den Kurs nach links und schwimmt mit mir als Appendix mit einer Eile los, als gelte es einen Rekord. Also nicht ich hatte sie, sondern sie hatte mich; denn ich klammerte mich fest an sie, wodurch ich nicht imstande war, an der Leine zu ziehen, weil ich mich fürchtete, loszulassen, und im Nu waren wir in einer beträchtlichen Höhe vom Boden entfernt. Schon gab ich mich verloren, und mein Herz fing an, wie ein Schmiedehammer zu schlagen, doch ging die Reise natürlich nur so weit, als die Leine lang ist, dann gab es einen mächtigen Ruck, und die Schildkröte schwamm, ihrer Bürde ledig, weiter, ich aber fiel gradenwegs, schwer wie ein Klotz herab, kam aber zum großen Glück auf eine Ansiedlung von Schwämmen zu liegen, wodurch die Härte des Falles wesentlich gemildert wurde. Wäre ich auf eine Korallenbank gefallen, oder auf ein Felsenriff, dann – – nun, Gottlob, es war ja noch gnädig abgelaufen, aber in meinen Ohren brauste, sang und läutete es, und meine Glieder schwirrten ordentlich von dem Fall. Während ich mich nun mühsam aufrichtete und meine Sinne sammelte, sah ich zu meinen Füßen diese Muschel liegen, und hinter ihren halb aufgesperrten Schalen meinte ich es schimmern zu sehen, wie – lachen Sie mich nur aus, Winter – wie eine schwere Träne, die ein barmherziger Geist über mich armen Toren geweint! Nun, ich will nicht etwa sentimental werden, haben Sie keine Angst. Der Anblick der Muschel war aber für mich ein Stimulans, er gab mir das Leben zurück und so etwas wie neu erwachte Kraft. Ich bückte mich also, hob die Muschel auf, nahm sie fest unter den linken Arm, denn in das Netz wäre sie gar nicht ihrer Größe wegen hineingegangen, und wollte eben die Leine zum Aufziehen ergreifen, da erstarrte mir das Blut in den Adern, und ein kalter Schweiß brach mir aus allen Poren, denn – was denken Sie wohl, was ich sah?«
»Einen Hai!« riet Winter.
»Ich habe längst verlernt, einen Hai zu fürchten«, versetzte Fernhill. »Man braucht nur stillzustehen, wenn einer daherkommt, und die Hände unter den Brustlatz von Blei zu stecken, damit er kein frisches Fleisch wittern kann; es ist noch niemals ein Taucher im Dreß von einem Hai angegriffen worden. Nein, es bewegte sich vor meinem entsetzten Blick wie ein großer Sack mit ein paar gräßlichen, vorstehenden, bösen Augen und acht langen, schlangenartigen, mit ekelhaften Sauggefäßen besetzten Armen, die sich auf mich zuringelten; ein Oktoped war's, ein Kraken, die wahre Hyäne des Ozeans, der sichere Tod des Tauchers! Der furchtbare Anblick dieses zum erstenmal vor mir erblickten Scheusals machte mich förmlich krank vor Ekel und Grauen, machte mich für einen Augenblick starr vor Entsetzen. Wie ein Rasender zog ich die Signalleine und rannte wie ums liebe Leben hinter einen seitwärts aufragenden Korallenbaum. Daß ich hier oben heil angelangt bin, war sicher nicht die Schuld des Kraken; mir kommt es jetzt wie ein wahres Wunder vor. Die Bestie hat mir die ganze Sache verleidet; lieber kehre ich heim als ein Mensch, der seinen Zweck verfehlt hat, als daß ich noch einmal tauche. Das Entsetzen schüttelt mich noch, wenn ich an diese Begegnung denke, und bin doch sonst kein furchtsamer Mensch. Und darum, Winter, war das heut meine letzte Fahrt in die Tiefe.«
Der Sekretär sah seinem Brotherrn zweifelnd und scharf ins Gesicht. War der gehabte Schreck wirklich nur der richtige Grund? Hatte der Tender sich getäuscht?
»So kehren wir also zurück nach England?« fragte er.
»Ja. Aber erst wollte ich an der Küste entlang bis Melbourne segeln, wo mich der Gouvernementsarzt, den ich gut kenne, untersuchen soll, was mir eigentlich fehlt, weil ich mich seit einiger Zeit so schlapp und abgeschlagen fühle«, erklärte Fernhill. »Vermutlich ist's wohl nur das Klima, das mir nicht bekommt, aber man will doch wissen, woran man ist. Nun aber zu der Muschel, Winter! Bitte, öffnen Sie sie – es muß etwas darin sein, ich kann mich nicht getäuscht haben.«
Winter unterdrückte kaum ein geringschätziges Achselzucken und ging langsam, den Muschelbrecher zu holen, einen kurzen, geschliffenen Stahl, wie ein breites Stemmeisen mit Holzgriff, den er mit einem Hammer zwischen die festgeschlossenen Schalen der Muschel hineintrieb und so mit Hebelkraft auseinandersprengte, wodurch der sofortige Tod des Tieres herbeigeführt wurde. Kaum aber lagen die beiden Schalen getrennt auf dem Boden, als beide Männer einen lauten Ausruf nicht unterdrücken konnten; denn das Wunder, das sich ihren Augen bot, wäre geeignet gewesen, selbst einen Meister des › Nil admirari‹ Bewunderung abzuzwingen. In die mächtige Schale eingebettet lag, begleitet von mehreren unbedeutenden Perlen eine, die Perle in der hochgeschätzten Form einer Birne von der Größe eines Kiebitzeies und solch' wunderbarem Feuer irisierenden Farbenspiels, wie ihresgleichen wohl nur in den allerseltensten Fällen vorkommt – kurz ein Unikum, das kaum übertroffen werden konnte von dem berühmten ›Kreuz des Südens‹, unter welchem Namen dem Kenner das einzigartige Gebilde bekannt ist, das aus einer Anzahl von in der tadellosen Form eines lateinischen Kreuzes zusammengewachsenen Perlen besteht, einst von einem eingeborenen Taucher gefunden wurde und für einen Phantasiepreis in den Besitz eines Franzosen gekommen ist.
Eine nähere Besichtigung zeigte, daß der von Fernhill gemachte Fund in der Tat ein ganz ungewöhnlicher von fabelhaftem Wert war. Vorsichtig, von eigens dazu bestimmten Instrumenten herausgebrochen, lag die Perle nun in der Hand ihres glücklichen Finders in ihrer tadellosen, wunderbar ebenmäßig gebauten Form, zart rosig getönt mit einem irisierenden Farbenspiel von solchem Feuer, wie es nur selten vorkommt, nur den kostbarsten ihrer Art eigen ist – ein Schatz, dem Meer abgerungen, von solch positivem Wert, daß nur ein Nabob oder ein König ihn hätte mit Gold aufwiegen können; eine Perle, die eine Epoche bedeuten mußte in den Annalen der Perlenfischerei und – der Händler.
Lord Fernhill sah lange wortlos auf den Schatz in seiner Hand, und auch die Augen des Sekretärs schienen sich von dem wunderbaren Anblick nicht losreißen zu können. Es ging wie eine hypnotische Anziehungskraft aus von dem schimmernden Dinge, das sein zeitlicher Besitzer vermutlich hatte so teuer mit seiner Gesundheit bezahlen müssen.
»Was wird sie sagen, wenn ich diese Perle in ihre Hände legen werde?« brach Fernhill endlich das tiefe Schweigen. »Welche Folie wird ihr perlmutterweißer Hals für das Juwel des Meeres sein! Ich wollte, ich könnte ihre Freude an diesem Besitz erst sehen – vielleicht werde ich doch lieber gleich nach England zurücksegeln, ohne in Melbourne Halt zu machen. Und doch – ich weiß nicht – mir kommt jetzt auf einmal solch' eine Ahnung – Winter, glauben Sie an Ahnungen?«
Der Sekretär zuckte mit den Achseln.
»Ich habe längst aufgehört, an etwas zu glauben«, sagte er rauh, aber Fernhill hörte es nicht und fuhr leise fort:
»Ich habe sie also doch leuchten sehen in der leichtgeöffneten Muschel auf dem Meeresgrunde. Da war mir's, als wäre sie eine Träne, eine große, einsame Träne, die jemand um mich geweint, um mich! Mir ist's so wunderbar zumut – bin ich etwa kränker, als ich selbst es weiß? Ist mir der Tod schon nahe? Hab' ich ihn mir drunten geholt für ein Dankeslächeln der unseligen Frau? Nun, sie wird sicher nicht um mich weinen, wenn ich wirklich sterben sollte. Wer aber in aller Welt hat dann diese steingewordene Träne um mich vergossen?«
»Lord Fernhill, das sind Phantasien, bei denen nichts herauskommt«, fiel Winter hart ein. »Erstarrte Tränen nennen nur Dichter die Perlen, was ja sehr hübsch und poetisch klingt, aber die Wissenschaft belehrt uns sehr prosaisch, daß Perlen nichts sind, als Fremdkörper und dergleichen, welche, in die Schalen der Muscheln geraten und von den Tieren als lästig empfunden, mit demselben Sekret eingehüllt werden, mit dem sie auch die Innenseite ihrer Muscheln überziehen und sie dadurch zum sogenannten Perlmutter machen. Dieses Sekret besteht aus –«
»Winter, verschonen Sie mich mit einer wissenschaftlichen Analyse«, unterbrach ihn Fernhill lachend. »Ich habe das alles schon irgendwo einmal gelesen, aber es ist doch eigentlich ganz hübsch, sich als Laie von den Dingen seine eigene Auslegung zu machen. Lassen Sie uns einen Namen für die Perle finden. Berühmte Diamanten haben ihre Namen; denken Sie an den ›Kohinor‹, an den ›Orlow‹, an den ›Regenten‹. Warum sollte eine seltene Perle, wie diese hier, nicht auch einen Namen haben. Wie heißt Perle auf lateinisch? Margarita. Also nennen wir sie ›Margarita Margaritarum‹, diese Perle der Perlen. Jene Diamanten haben alle ihre Geschichte, die eigentlich schon Tragödien sind – nun, das erste Kapitel des Romans meiner Perle fängt doch spannend genug an, wie ein Märchen, nicht? ›Es war einmal ein Stern, zu dem ein Falke emporfliegen wollte.‹ Wir haben nämlich einen Falken im Wappen, wir Fernhills. Aber der Stern konnte nur erreicht werden durch einen Talisman, den ein Ungeheuer auf dem Meeresgrund bewachte. Da tauchte der Falke denn hinab in den großen Ozean und sah seine Wunder und seine Schrecken. Und lange fand er nicht, was er suchte. Da erbarmte sich seiner eine Fee, nahm die Gestalt einer Schildkröte an und legte sich ihm in den Weg. Der Falke aber stürzte sich nach Jägerart gleich auf die seltene Beute, aber die Schildkröte schwamm mit ihm fort und warf ihn dann zurück in die Tiefe, gerade an die Stelle, wo der Talisman, eine köstliche Perle, in einer großen Muschel verborgen lag und sich ihm lockend zeigte. Die Perle aber war nichts, als eine erstarrte Träne, die des Falken guter Engel über die Verblendung seines Schutzbefohlenen geweint, weil er sich statt eines irdischen Glückes, statt des Sterns den Tod aus der Tiefe geholt. Denn das Meer war nicht das Element des Falken, und wer sein Element verläßt, muß sterben. Die Perle aber hütete ein furchtbares Ungeheuer mit acht Armen und bösen Basiliskenaugen, und der Falke wäre ihm fast zum Opfer gefallen, wenn es nicht im Rate der Vorsehung geschrieben gewesen wäre, daß der Tod unter freiem Himmel auf ihn wartete – –«
Lord Fernhill hielt erschöpft ein; aschfarbene Blässe hatte sein Gesicht wieder überzogen.
»Solch' eine Perle – wenn ich die am ersten Tage gefunden hätte!« sagte er matt.
»Dann wären Sie erst noch recht oft getaucht, um mehr zu finden«, behauptete Winter hart. »Es liegt nun einmal in der menschlichen Natur, vom Guten nie genug zu bekommen. Auch ein Rothschild denkt an nichts, als an die Vermehrung seines Mammons.«
»Nur mit dem Unterschied, daß ich ja nicht zu meiner eigenen Bereicherung getaucht bin«, entgegnete Fernhill.
Winter zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: ›Um so törichter!‹, weil er zu der Sorte von Menschen – entweder aus Veranlagung oder Lebenserfahrungen – gehörte, denen alles, was über die Interessen ihres eigenen Ichs hinausgeht, unverständlich und töricht erscheint.
»Ich glaube, ich täte besser, mich zu einem ausgiebigen Schlaf in meine Hängematte zu legen«, meinte Fernhill nach einer kleinen Weile. »Würden Sie wohl so gut sein, mich hinabzulotsen?«
Winter sprang sofort auf, half seinem Brotherrn, sich aufzurichten, und führte ihn die leiterartige Treppe hinab in die enge Kajüte, die nur das Allernotwendigste enthielt, was ein europäischer Kulturmensch braucht, um auf einem Taucherboot vegetieren zu können – eine Kajüte, die im schreienden Kontrast stand zu dem raffinierten Luxus seiner Jacht, welche am Cape York bei Port Kennedy auf Thursday Island vor Anker lag. Eine Hängematte, ein sehr einfacher Waschtisch, ein Stuhl und ein an der Wand befestigter Tisch mit einem kleinen Spiegel darüber – das war die ganze Einrichtung mit dem Koffer für Kleider, Wäsche und einigen Büchern.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?« fragte Winter, als Fernhill bequem in seiner Hängematte lag. »Soll ich Ihnen nicht etwas zum Essen holen? Sie sollten doch wohl etwas zu sich nehmen.«
»Wahrhaftig, ja, ich glaube, Sie haben recht«, erklärte jener. »Außer der Tasse Kaffee heut früh, ehe ich tauchte, habe ich nichts mehr genossen, und wenn Sie so freundlich sein wollen, mir etwas von unserm großartigen Diner hierherzubringen, würde ich Ihnen herzlich dankbar sein.«
Winter entfernte sich und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Tablett zurück, darauf eine Tasse Bouillon, aus Fleischextrakt zubereitet, ein Glas Madeira und ein Teller mit gekochtem Reis und gebackenem Fisch stand, welch einfaches Mahl dem Erschöpften entschieden gut tat, denn schon, während er mit sichtlichem Hunger aß, nahm sein Gesicht wieder eine ganz natürliche Farbe an. Als der Sekretär das Tablett wieder forttrug, fragte er, schon an der Tür:
»Fast hatte ich's vergessen, Mylord: Der Tender läßt um den Kurs bitten.«
»Cape York, natürlich«, war die Erwiderung. »Wir wollen machen, daß wir auf die Jacht zurückkommen; hier haben wir ja nichts mehr zu suchen.«
»Also, Cape York ist der Kurs«, wiederholte Winter den Befehl und entfernte sich, um selbst sein verspätetes Mahl einzunehmen. Als er danach zurückkehrte, um nach Lord Fernhill zu sehen, fand er ihn nicht schlafend, sondern aufrecht in seiner Hängematte sitzen, überraschend wohl aussehend.
»Mir ist viel, viel besser«, bestätigte er diese Wahrnehmung. »Es war einfach ein ganz gemeiner Hunger die Ursache meines Unwohlseins. Die Lampe hat eben Öl gebraucht und brennt nun wieder ganz lustig. Hab' ich droben rechten Unsinn geschwatzt, Winter?«
»Nun, die Zunge ist Ihnen eben infolge Ihrer überreizten Phantasie und Ihres leeren Magens ein wenig durchgegangen. Sogar zu einem Märchen haben Sie sich verstiegen. Es ist eine Tatsache, daß Hunger entweder wild oder sentimental macht, ich weiß das aus eigener Erfahrung.«
»Da ist's ja noch ein Glück, daß ich nur sentimental geworden bin«, lachte Fernhill. »Das Wildwerden ist sonst weit eher meine Sache. Und nun tun Sie mir den Gefallen, aus meinem Koffer die kleine Truhe zu holen, die Sie darin finden werden. Hier ist der Schlüssel dazu.«
Winter tat, wie ihm geheißen, nahm die eiserne Truhe aus dem Koffer, doch gelang es ihm erst unter genauer Anweisung, sie zu öffnen; denn es mußten erst diverse Federn verschoben und gedrückt werden, bevor der Schlüssel funktionierte. Der aufgeklappte Deckel des sicher sehr alten Kastens zeigte nun seinen Inhalt, der aus Papieren und einem Portefeuille bestand. Obenauf lag ein zusammengezogener Beutel aus purpurrotem Samt; doch war dieser Grundstoff fast ganz bedeckt durch eine überreiche Goldstickerei, die freilich vor Alter halb erblindet war, dadurch aber einen wundervollen Ton angenommen hatte. Das graziöse Muster ließ auf der einen Seite des Beutels einen Raum frei, in welchem farbig das Wappen von England, überragt von der reich mit Perlen und Edelsteinen inkrustierten Königskrone, gestickt war. Rechts und links davon waren die Buchstaben ›E‹ und ›R‹, und darunter die Devise › Semper eadem‹ ›Immer dieselbe‹ als Wahlspruch der Beständigkeit. angebracht. Diesen Beutel ließ Lord Fernhill sich reichen.
»Wissen Sie, Winter, wie alt das Ding ist?« fragte er. »Dreihundert Jahre und noch fast ein Vierteljahrhundert darüber. Ist's nicht eigentlich toll, daß jeder Lappen länger hält, als unsereins, jeder Fetzen Zeug uns Jahrhunderte überdauert? Ein direkter Ahnherr von mir erhielt diesen Beutel Anno 1580 von der Königin Elisabeth Tudor, gefüllt mit Goldstücken, zum Geschenk, als diese kapriziöse und höchst unberechenbare Souveränin Fernhill-Towers mit ihrer königlichen Gegenwart auf einige Tage beehrte. Damals revanchierten sich die Könige noch auf eine praktische Weise, und die Edelleute fanden nichts dabei, sich einen Beutel voll Gold in die Hand drücken zu lassen. O tempera, o mores! Wenn wir heimkommen, werde ich Ihnen das Zimmer zeigen, darin die ›gute Queen Beß‹, die gelegentlich recht böse werden konnte, genächtigt hat. Sie ist dahin, das Gold ist dahin, wahrscheinlich weil es rund war und daher die unangenehme Eigenschaft des Rollens hatte, aber der Beutel hat sich als Erbstück erhalten und gehört zum Familienschatz. Wir Engländer sind in solchen Dingen sehr konservativ und voll Pietät. Jetzt bewahre ich meine eroberten Perlen darin auf.«
Mit diesen Worten zog er die seidenen Schnüre, die den Beutel schlossen, auseinander und enthüllte dadurch das gelbseidene Futter, auf dessen Damastmuster sich die bisherige Perlenbeute weiß und schimmernd abhob. Viel war's im Verhältnis zu dem monatelangen Tauchen nicht; die winzigen Saatperlen bildeten die Mehrzahl, und dazwischen lag ein halbes Dutzend der erbsengroßen Perlen, deren Qualität durchaus nicht gleichmäßig war, ebensowenig wie die der drei kirschgroßen, von denen auch nur eine das Zeugnis ›tadellos‹ verdient hätte. Und für dieses Resultat hatten ein paar Hundert von Perlmuscheln ihr harmloses Dasein auf dem Meeresgrunde hergeben müssen! Aber so ist der Mensch – Wenn ihm das Ziel des Gewinnes winkt, dann jagt er ihm nach, selbst über Leichen, und wären's auch nur die unschuldiger Geschöpfe. Das beste Geschäft dieser Expedition, die sich erst in zwölfter Stunde erfolgreich gezeigt, machte der Tender, dem Lord Fernhill die Schalen der Muscheln geschenkt; denn das Perlmutter ist ein gesuchter und gut bezahlter Handelsartikel, der den gewerbsmäßigen Taucher für alle seine Mühsale entschädigen muß.
Lord Fernhill ließ seine Riesenperle mit einer gewissen Feierlichkeit in den Beutel gleiten, und mit einer guten Dosis naiver Freude dazu, wie wenn ein Junge glücklich ist, einen besonders hübschen Kieselstein gefunden zu haben; im Grunde hatte für den Finder selbst dieses fast unschätzbare Juwel auch keinen höheren Wert.
»So,« sagte er, den Beutel wieder zusammenziehend, »nun legen Sie, bitte, meinen Schatz wieder in den Kasten. Wir wollen ihn damit feierlich ›Margarita Margaritarum‹ taufen, Perle der Perlen, nach ihr selbst. Halt – schließen Sie den Kasten noch nicht zu – ich will Ihnen erst seinen größten Schatz, ihr Bildnis, zeigen. Geben Sie mir die lederne Brieftasche, die obenauf liegt. Danke! Und nun wappnen Sie Ihr Herz; denn Sie sollen die Margarita Margaritarum von Angesicht zu Angesicht in effigie sehen!«
Mit diesen Worten entnahm Lord Fernhill dem Portefeuille eine Photographie im Viktoriaformat, die er zunächst selbst mit lebhaft geröteten Wangen betrachtete, wobei sich der Sekretär halb verächtlich, halb mitleidig dachte: ›Er ist doch noch ein recht dummer Junge, dieser Magnat mit dem historischen Namen!‹
Die Photographie zeigte das Bildnis einer Dame mit einem schmalen, ovalen Gesicht, das zwei fast übergroße, dunkle Augen unter dichten, über der Nase zusammengewachsenen Brauen derart beherrschten, daß man unter ihrem Eindruck die Unregelmäßigkeit der Züge vollständig übersah. Die Nase war zu kurz und zu scharf gebogen, um an sich für unbedingt schön zu gelten, und der kleine Mund war zu schmal und zu fest geschlossen, um auf viel Herz schließen zu lassen. Auf der Oberlippe hatte sie ein kleines, dunkles, rundes Mal, das wohl bei einer andern ein Schönheitsfehler gewesen wäre, bei ihr aber wie das Schönheitspflästerchen auf dem Antlitz einer Rokokodame ungemein pikant wirkte. Man konnte es ganz gut verstehen, warum die Besitzerin des gewiß für andere ärgerlichen und lästigen Appendix' nichts getan, um ihn mit Hilfe der Kosmetik oder eines ärztlichen Eingriffes zu verdecken oder zu entfernen. Das auf der Photographie dunkel wirkende Haar war am Hinterkopf zu einem griechischen Knoten geschürzt, was die feine Kopfform zur vollen Geltung brachte, unbekümmert um die herrschende Mode, die zu dieser Zeit aus dem weiblichen Kopf einen dicken, runden Besen machte, während das Haar sich hier tiefgewellt und duftig über die klassische, niedere Stirn legte. Den tief dekolletierten Hals umschloß eine einzige Schnur echter Perlen von ganz respektabler Größe; über die zarte, linke Schulter legte sich der breite Aufschlag eines seidenen Abendmantels mit dem weichen, flockigen Futter des Felles der Tibetziege wie ein schneeiger Fließ, und das dichte Spitzengekräusel des Ausschnittes der Gesellschaftsrobe bildete den Abschluß des sehr reizvollen Porträts.
Winter wartete geduldig und ohne Interesse, bis Lord Fernhill sich satt gesehen, und nahm das Bild dann mit einem spöttischen Lächeln entgegen.
»Hoffentlich sind meine Augen würdig, dieses Wunder zu schauen«, sagte er ironisch und ohne irgendwelche Eile zu zeigen, das ›Wunder‹ wirklich zu sehen. Aber kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, als er mit einem Aufschrei wie ein verwundetes Raubtier zurückfuhr. Seine sonst maskenhaft unbeweglichen Züge verzerrten sich, er griff um sich, wie um einen Halt zu suchen, und seine tiefliegenden Augen schossen einen Blick des Hasses und der wahnsinnigsten Wut auf das Bild, das er mit einer Bewegung in den Kasten schleuderte, als wollte er es damit zerschmettern.
»Aber Winter! Ja, um alles in der Welt, was haben Sie denn?« rief Fernhill verwundert und befremdet. »Kennen Sie diese Dame?«
Der Sekretär nahm sich mit eiserner Willenskraft zusammen, aber die Schweißtropfen auf seiner Stirn und sein keuchender Atem verrieten seine furchtbare Aufregung, als er mühsam beherrscht antwortete:
»Ich – ich kannte wenigstens eine Frau, welche diesem Bilde so ähnlich sieht, als wenn sie selbst es wäre. Sie kann's aber natürlich nicht sein, ich muß mich täuschen.«
»Wer ist sie?« fragte Fernhill beklommen.
Winter wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn, indem er einen scheuen Blick auf das Bild in dem Kasten warf.
»Sie ist – sie war die Frau eines Freundes«, erwiderte er tonlos. »Natürlich täuscht mich nur eine ungewöhnliche, lächerliche Ähnlichkeit. Es kommt ja immer wieder vor, daß zwei Menschen sich so ähnlich sehen, einer einen Doppelgänger hat. Die Frau, die ich meine, war arm, sehr arm, während jene Dame in Reichtum gehüllt ist. Ist es indiskret oder unbescheiden zu fragen, wie die Dame heißt?«
»Ihr Name ist Margarita, Fürstin Karabugas«, versetzte Fernhill ohne Zögern, aber ablehnend.
»Fürstin Karabugas!« wiederholte Winter langsam. »Das also ist die Fürstin Karabugas, von der ich schon soviel gehört, die ich aber nie gesehen habe. Das ist sie?« Er war nun wieder völlig gefaßt und anscheinend eisig ruhig, aber in seinen Augen flackerte ein unruhiges, drohendes Licht, als er das Bild mit spitzen Fingern, als könnte es ihn versengen, aus dem Kasten nahm und es Lord Fernhill reichte, der es wieder in das Portefeuille zurücktun wollte. Da streckte Winter noch einmal die Hand danach aus.
»Die Rückseite des Kartons ist beschrieben; darf ich die Handschrift sehen?« fragte er hastig.
Lord Fernhill reichte ihm schweigend das Bild noch einmal, aber ein leichtes Zusammenziehen seiner Augenbrauen hätte dem Sekretär auch ohne Worte sagen können, daß sein Ersuchen als eine Freiheit betrachtet wurde, die jener sich nicht erlaubt hätte und beanstandete. Winter aber achtete nicht darauf. Mit festgeschlossenen Lippen betrachtete er die großen, energischen Züge der Handschrift, in welcher, die ganze Rückseite des Bildes bedeckend, geschrieben stand: » Et si je t'aime, prends garde à toi!« Und darunter: Margarita Karabugas. – Bade-Bade, Automne 19..
»Ein Zitat aus Bizet's ›Carmen‹«, erläuterte Fernhill. »Wir hatten über die Oper gesprochen, wobei die Fürstin mich mit ihrer Sympathie für die wilde Zigeunerin aufzubringen versuchte. Dann, um mich damit zu necken, schrieb sie diese Worte auf das Bild.«
»Die Handschrift wäre eine interessante Aufgabe für einen Graphologen«, sagte Winter, indem er das Bild zurückgab, und es in dem Portefeuille dann wieder mit dem gestickten Beutel in die eiserne Truhe verschloß.
»Mylord kennen also Baden-Baden?« fragte er dabei wie beiläufig.
»Ja, ich war zu den Herbstrennen dort, um meinen ›Kismet‹ auf dem Turf von Iffezheim laufen zu lassen, wobei er als Zweiter durchs Ziel ging«, erwiderte Fernhill, sich in seine Hängematte zurücklegend, nachdem er den Schlüssel der Truhe wieder um den Hals gehängt hatte. »In Baden-Baden habe ich die Fürstin kennengelernt.«
»War auch ein Fürst Karabugas mit ihr?« erkundigte Winter sich völlig ruhig, indem er sich auf den einzigen Stuhl der Kajüte setzte.
»Die Fürstin ist Witwe«, erklärte Fernhill. »Das ist doch selbstverständlich, sonst hätte ich doch nicht – – – Sie wohnte im Hotel d'Angleterre mit Dienerschaft und bewegte sich in der besten Gesellschaft der Kurgäste. Natürlich gab es auch böse Zungen, die hämisch behaupteten, ein Fürst Karabugas habe nie existiert. Das ist ja immer das Schicksal schöner, junger Witwen, daß die Lästerzungen ihnen alles mögliche anhängen und leider auch Glauben damit finden, aber der russische Geschäftsträger eines der süddeutschen Staaten, der immer in ihrem Kreise zu finden war, hat diese ganze Rederei für dummes Gewäsch erklärt, denn er hat den Fürsten Karabugas persönlich gekannt. Er war einer der transkaspischen Granden Rußlands, hatte Generalsrang und war mal Anno Tobak Adjutant des damaligen Zaren. Karabugas soll schon ein uralter Mann gewesen sein, als er das blutjunge, bildschöne Edelfräulein heiratete, eine Waise, die froh sein mußte, solch' eine gute Versorgung zu finden.«
»Also eine ganz romantische Geschichte«, meinte Winter mit einem eigenen Lächeln.
»Ist aber schon oft passiert«, sagte Fernhill. »Jedenfalls war die Fürstin der Mittelpunkt der großen Welt von Baden-Baden, wie sie es auch in Paris, Wien, Berlin und London war und noch ist. Ein italienischer Principe schwärmte davon, welches Aufsehen sie in der römischen Gesellschaft erregt habe.«
»Hm – danach scheint sie also eine Art von Nomadenleben zu führen.«
»Ja, nicht wahr? Sehen Sie, Winter, das ist auch eines der vielen Rätsel dieses Frauencharakters. Sie sagte mir selbst, es triebe sie rastlos von Ort zu Ort und doch habe sie eine große Sehnsucht nach einem festen Heim.«
»In der Tat ein merkwürdiger Widerspruch, der aber vielleicht erklärt werden könnte, wenn es der Fürstin beliebte zu sagen, was es ist, das sie so rastlos von Ort zu Ort treibt.«
»Vielleicht weiß sie es selbst nicht; es gibt solche Naturen, die nirgends Ruhe haben«, meinte Fernhill träumerisch, und fuhr dann fast schüchtern fort: »Wenn Sie keine besonderen Gründe zum Schweigen haben, Winter, könnten Sie mir eigentlich erzählen, was die Frau, die dem Bilde der Fürstin so ähnlich sieht, Ihrem Freunde angetan haben muß. Ihre Erregung, als Sie das Bild sahen, läßt eine romantische Geschichte vermuten – sollten Sie jedoch lieber nicht darüber sprechen wollen, so betrachten Sie nur ruhig meine Frage als gar nicht ausgesprochen.«
Der Sekretär hatte sich gerade aufgerichtet und sah finster vor sich hin; dann aber verzog er den Mund zu einem sonderbaren Lächeln.
»Gut, Lord Fernhill, Sie sollen die Geschichte hören«, sagte er entschlossen. »Ich lehne aber jede Schuld ab, wenn sie Ihnen nicht gefällt. Um jedoch von der Frau zu reden, muß ich schon mit meinem Freunde selbst beginnen. Er war ein armer Teufel, aber er war jung, begabt und voll Hoffnung auf die goldnen Früchte, die ihm der Baum des Lebens zeitigen sollte, weil er natürlich nicht wußte, daß für ihn die Blüten schon erfroren und verdorrt waren und daher gar keine Früchte mehr bringen konnten. Das wissen ja eben die meisten nicht und hoffen ihr ganzes Leben lang auf eine Ernte, die gar nicht kommen kann, die Toren! Oder die in ihrer Unwissenheit Glücklichen, wie man's nehmen will. Mein Freund war ein Pole, aber keiner von den ganz fanatischen, und darum verschlug's ihm nichts, im russischen Staatsdienst eine Anstellung zu finden, ja er hoffte sogar, durch seine gediegene, unter vielen Entbehrungen errungene akademische Bildung und seinen guten Namen, daß die Regierung sich seine Dienste so bald als nur möglich sichern würde. Nun, die Regierung muß wohl nicht in besonderer Verlegenheit um helle Köpfe gewesen sein, denn die Anstellung ließ auf sich warten, und inzwischen fristete mein Freund sein Leben durch Stundengeben, indem er für ein elendes Honorar begriffsstutzigen Jungen ihre lateinischen und griechischen Pensa einpaukte und dabei noch froh war, daß es gottlob so viele Schafsköpfe gibt, an denen der Mensch ehrlich sein bißchen Brot verdienen kann. So wär's denn für ihn auch schlecht und recht weitergegangen, wenn ihm nicht eines schönen, oder vielmehr verfluchten Tages ein Mädchen über den Weg gelaufen wäre – – eben jenes Mädchen, das der Fürstin Karabugas so merkwürdig ähnlich sieht. Sie war eine blutarme Doppelwaise, die Tochter eines ehemaligen Professors an der Universität, nach dessen Tode sie sich erst kümmerlich durch französischen Unterricht und Handarbeiten ernährte, an denen sie die Nächte herumstichelte, ohne daß es ihren mächtigen, dunklen Augen schadete, in denen ein warnendes Feuer brannte: › Et si je t'aime, prends garde à toi!‹ Denn sie war stolz und tugendhaft. Dann bekam sie eine Stellung als Gesellschafterin im Hause eines polnischen Edelmannes bei dessen Gattin, die kurz zuvor ihr einziges Kind, eine Tochter im Alter des Mädchens, verloren hatte. Als sie noch in dieser Stellung war, lernte mein Freund sie kennen, und liebte sie und sie ihn. Wenigstens sagte sie es, und er mußte es wohl glauben; denn sie gelobte freudig, die Last der Armut mit ihm zu tragen und zu teilen. Das vermag doch nur die Liebe, wenigstens bildete mein Freund es sich ein. So addierten sie denn Null mit Null und heirateten sich, rechtmäßig und sittsam mit Priester und Ring. Die Tage der Not und des Elends, die nun folgten, schildere ich lieber nicht; denn reiche Leute haben ja keine Ahnung, können sich keinen Begriff davon machen, was Entbehrung und Hunger sind. Die Schüler mehrten sich nicht, sondern wurden weniger, und zuletzt schliefen mein Freund und seine Frau nur noch auf faulendem Stroh und waren glücklich, wenn sie eine Wassersuppe zum Essen hatten, und die schöne junge Frau wurde bleicher und bleicher, wortkarger und herber, und in ihren großen, dunklen Augen brannte ein verhaltenes Feuer. –
Mein Freund nahm sich seine Armut furchtbar zu Gemüt, nicht seinetwegen, sondern weil das Herz ihm blutete, seine Frau Not leiden zu sehen, und um sie vor dem äußersten Elend zu schützen, tat er einen verzweifelten Schritt – – oh, er hat nicht etwa gestohlen, soweit war er damals noch nicht, aber er schloß sich einer Gruppe jener Verschwörer gegen Staat und Ordnung an, die man Nihilisten nennt. Er tat das nicht in Übereinstimmung mit den Lehren und Doktrinen dieser Umstürzler, nicht aus Überzeugung, nicht aus getäuschtem Ehrgeiz, wie so viele, nicht aus betrogenen Hoffnungen, wie die meisten – nein, einfach, um nicht zu verhungern. Natürlich mußte er erst sein Noviziat absolvieren, bevor er ›eingeschworen‹ werden konnte, und was die ganze Geschichte ihm eintrug, reichte kaum fürs tägliche Brot. Eines Abends kam er dann auch einmal aus solch' einer Versammlung nach Haus, ehrlichen Ekel, Verachtung und Überdruß vor sich selbst und den ›Genossen‹ im Herzen, und da fand er die elende Dachstube nicht nur, wie gewöhnlich, kalt, sondern auch leer. Das war ein seltener Fall; denn die junge Frau schämte sich ihrer schäbigen Kleidung und ging darum selten aus, besonders, wenn es dunkel wurde, weil sich dann so mancherlei Gesindel in den Straßen der Großstadt herumtreibt, zu dem sie nicht gezählt werden mochte. An jenem Abend brachte mein Freund ein paar Kopeken heim und freute sich, ihr dafür ein warmes Abendessen geben zu können. Nun, er setzte sich also hin und wartete. Ein paar Stunden vergingen, dann kam sie, entzündete die sorgsam gesparte Talgkerze, die in einem Flaschenhals als Leuchter steckte, hieß ihn an den Tisch treten und zählte vor seinen erstaunten Augen zwanzig funkelnde Goldstücke auf. Zehn davon nahm sie gleich wieder fort, ließ sie in ihre Tasche gleiten, und über die anderen Zehn hinweg sagte sie ruhig und geschäftsmäßig: ›Die Polizei hat eine Belohnung für die Angabe von Namen der Mitglieder des Geheimbundes ausgesetzt, dem du angehörst. Ich kenne nur einen dieser Namen, den deinen, und weil ich die Not und das Elend dieses Lebens nicht länger mehr ertragen kann, so habe ich dich der Polizei angezeigt und die Belohnung dafür erhalten. Ich teile die Summe mit dir, aber wenn du binnen einer Stunde nicht über alle Berge bist – ich habe durch eine falsche Wohnungsangabe dafür gesorgt, daß diese Frist dir für deine Flucht bleibt –, dann bist du ein verlorener Mann. Um mich sorge nicht; ich weiß, was ich tue. Und nun geh', geh', so schnell du kannst, und vergiß, daß ich auf der Welt bin, wie ich vergessen werde, daß du in mein Leben getreten bist.‹ Das ungefähr war's, was meines Freundes Frau ihm sagte, und er war davon so niedergeschmettert, daß er nicht einmal versucht hat, die Elende zu töten. Sein Schmerz über ihren Verrat war anfangs größer, als sein Zorn. Der brach erst aus, nachdem er seine Betäubung halbwegs überwunden. In seiner Verwirrung nahm er sogar das Judasblutgeld und floh damit in seiner Furcht vor dem geringsten Maß von Strafe, die ihm drohte: Zwangsarbeit in Sibirien, wogegen der Galgen nur ein Kinderschrecken ist. Daß es schließlich anders kam, er selbst ein Mitglied der Behörde wurde, die ihn suchte, der er sich stellte, und wie das kam, gehört nicht mehr zur Geschichte jener Frau.«
»Und was wurde aus ihr?« fragte Lord Fernhill, der gespannt zugehört.
Winter zuckte mit den Achseln.
»Was weiß ich?« machte er kalt, aber mit flackerndem Blick. »Irgend jemand wollte gehört haben, daß sie eine politische Agentin geworden ist.«
»Ja, gibt's denn so etwas wirklich?« sagte Fernhill ungläubig.
»Es gibt viele Dinge, die auf keiner Hochschule gelehrt werden«, versetzte Winter schneidend. »Wer weiß, ob Sie nicht auch schon am Siegeswagen einer sogenannten ›großen Dame‹ eingespannt waren, die nichts war, als eine politische Agentin. ›Agentin‹ klingt nämlich viel besser, als ›Spionin‹, aber es ist genau dasselbe für das notwendige Übel, dessen die Regierungen der Großmächte nicht entraten zu können glauben. Ein glänzend bezahltes Amt, dessen Inhaber jedoch keineswegs auf Rosen gebettet ist, denn bequem sind die Brotherren nicht. Im Gegenteil, rücksichtslos und nachsichtslos wird der Agent von ihnen verleugnet und fallen gelassen, der sich bei seiner Tätigkeit erwischen läßt. Aber das wissen sie vorher und steht in ihrem Vertrage.«
»Und dazu sollte sich wirklich eine – Dame hergeben –?«
»Gewiß! Man verwendet sogar mit Vorliebe Damen der besten Kreise, weil diese sich darin zu bewegen verstehen, Damen, die natürlich irgendwo und irgendwie ›ein Eisen verloren haben‹, oder sich aus Not dazu verstehen. Die Agentinnen rekrutieren sich aber auch aus weniger exklusiven Sphären, und dann gibt man ihnen Rang, Titel, Toiletten, Juwelen; denn eine Person mit obskurem Namen und ruppigem Aussehen fände keinen Eintritt in die Kreise, aus denen sie die gewünschten Informationen zu holen haben.«
»Und solch' eine – Agentin ist die Frau Ihres Freundes geworden? Sind Sie dessen sicher?«
»Sicher? Nein, sicher war ich dessen nicht bis – bis vor kurzem«, erwiderte Winter. »Als ich in Ihren Dienst trat, Lord Fernhill, wußten Sie, daß ich früher zur Geheimpolizei gehörte, diesen Beruf aber aufgeben mußte, weil meine Gesundheit den aufreibenden Anforderungen desselben nicht gewachsen war. Nun, in dieser Stellung habe ich so manches kennengelernt, wovon der Außenseiter keine Ahnung hat, zum Beispiel, daß die politischen Agenten fremder Regierungen, soweit sie zur Kenntnis der Geheimpolizei gelangen, von dieser scharf überwacht werden. Die Namen dieser privilegierten Spione und Spioninnen werden in besonderen Listen geführt; den jener Frau habe ich begreiflicherweise darin nicht gefunden, weil sie natürlich dazu einen andern angenommen hatte. Doch wozu darüber erst groß und lang reden – was und wen ich von Anbeginn gemeint, werden Sie ja wohl erraten haben.«
»Ich?« fragte Fernhill verwundert, aber mit plötzlich beschleunigtem Herzschlag. »Was sollte ich erraten haben?«
Winter richtete einen durchdringenden Blick auf seinen Brotherrn, aber die ihn fragend ansehenden blauen Knabenaugen verhehlten ihm nichts. Da stand er auf und trat mit gekreuzten Armen vor die Hängematte.
»Ich habe Sie auf mein Wort für weniger harmlos gehalten, als Sie tatsächlich sind«, sagte er kalt. »Wohl, ich habe mich hinreißen lassen, und einmal, zum ersten Male in meinem Leben, mein beladenes Herz ausgeschüttet, und Sie haben nicht erraten, warum. Also muß ich denn noch das sagen, was ich mir und Ihnen lieber erspart hätte: Der Freund, dessen Geschichte ich Ihnen erzählte, bin ich selbst, und die Dame dort auf dem Bilde in Ihrem Kasten, sie war – sie ist meine Frau!«
Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verließ die Kajüte.
Lord Fernhill sah ihn für den Rest dieses Tages nicht mehr wieder, doch hörte er ihn auf dem Deck unablässig auf und ab schreiten wie einen ruhelosen Geist –
Ihm selbst fiel es nicht ein, aus seiner Hängematte aufzustehen. Mit großen, weitgeöffneten Augen lag er regungslos da und lauschte auf die weichen, pantherähnlichen Schritte über sich, während seine Gedanken um die Trümmer seines zerschmetterten Idols kreisten, von dem ein unbestimmbares Gefühl ihm manches Mal schon zugeflüstert, daß es nur ein Gott mit tönernen Füßen sei. Und ehe noch die jäh hereinbrechende Tropennacht sich auf den Ozean herniedersenkte, holte er sich das verhängnisvolle Bildnis aus dem eisernen Kasten und sah es an, bis er es nicht mehr erkennen konnte. Und da Winter nicht wiederkam, ihm Licht zu bringen oder zu fragen, ob er noch etwas für ihn tun könne, da wandte er den Kopf der Wand zu und weinte so bitterlich, wie nur die Jugend weinen kann – – –
Am folgenden Morgen weckte der Tender den Sekretär aus tiefem Schlafe auf; das braune Gesicht des Mannes war fahl, und er zitterte am ganzen Leibe.
»Der Patron ist tot«, brachte er mühsam heraus.
Nachdem Winter erst nach einigen Wiederholungen begriffen, um was es sich handelte, kleidete er sich hastig an und folgte dem erregten Malayen in Lord Fernhills Kajüte. Der Mann hatte nur zu recht gehabt: Kalt, bleich und starr lag der ›Patron‹ in seiner Hängematte, und über sein schönes, junges Angesicht hatte der Tod eine wunderbare Majestät der Verklärung ausgegossen, deren Anblick den braunen Mietling weinen machte, während der weiße stumm und bewegungslos darauf herabblickte.
»Ein Herzschlag«, sagte er nach einer Pause heiser. »Sagten Sie nicht gestern schon, Tender, er würde nicht mehr lange leben?«
»Enden alle so, die mit krankem Herzen tauchen«, nickte der Malaye, und da der Sekretär sich nicht rührte, so trat er zögernd an das Totenbett, drückte dem Verblichenen die Augen zu und strich mit der braunen, schwieligen Hand liebkosend über die bleichen Wangen und den hübschen, freundlichen Mund, der nun keine freundlichen Worte für den armen Tender mehr hatte.
»Wie weit haben wir noch bis Port Kennedy?« fragte Winter dann abgewendet.
»Bei dem flauen Winde vier, fünf Stunden, Herr«, erwiderte der Tender.
»Gut. Kurs also Port Kennedy! Dort machen Sie das Boot klar und rudern mich an Land, damit ich die Behörde von dem Tode Lord Fernhills unterrichten kann. Das Boot kehrt gleich nach meiner Landung zur Margarita zurück; die Jacht wird von der Behörde zur Abholung der Leiche benachrichtigt werden. Verstanden?«
»Aye, Aye, Herr!«
Es war bei den flauen Windverhältnissen doch schon Spätnachmittag geworden, als Winter von der Margarita mit seinem Gepäck in das kleine Boot stieg, mit welchem zwei Mann von der Besatzung ihn in Port Kennedy an Land ruderten. Die See war spiegelglatt, und ohne Gruß, ohne Wort glitt der blasse, finstre Mann darauf hin, rasch und doch viel zu langsam für seine innere Ungeduld –
Das Boot kehrte nach seinem Befehl gleich wieder zurück zu der Margarita, aber weder am selben Abend, noch auch am nächsten Morgen kam ein Abgesandter der Behörden und der Jacht an Bord, um den Tod des Verblichenen zu bescheinigen und seine irdischen Überreste abzuholen.
Das befremdete den Tender mit Recht. Er ließ sich nun selbst zu der in einiger Entfernung außerhalb des Hafens in einer windgeschützten Bucht ankernden Jacht Lord Fernhills rudern und teilte dem Maat, der als stellvertretender Kapitän das Kommando hatte, das Geschehene mit. Der Schrecken und die wirklich tief empfundene Trauer, die diese Kunde auf der Jacht verursachte, legten ein schönes Zeugnis für die Beliebtheit des Dahingeschiedenen bei seinen Leuten ab. Der nun definitiv in die Stelle des Kapitäns eingerückte Maat begab sich sofort in der Dingi Kleines Boot für den Nachrichtenverkehr. der Jacht an Land zur Erledigung der Formalitäten und der Besorgung der ›letzten Dinge‹ für den Toten, und dann mit dem Arzt, der den Tod zu bescheinigen hatte, an Bord der Margarita.
Wo aber war der Sekretär geblieben? Warum hatte er die Benachrichtigung der Behörden unterlassen?
Als der Kapitän die sterbliche Hülle des Verblichenen in seine letzte Wohnung bettete – so, wie sie ihn fanden; denn die Zeit war unter diesem Himmelsstrich mit ihrem grausamen Werke der Auflösung schon zu weit vorgeschritten, um noch daran denken zu können, die Leiche in eine frische Grabkleidung zu hüllen –, da entdeckte er den um den Hals des Toten gehängten Schlüssel zu der eisernen Truhe und nahm ihn ab. In der Annahme, daß sich darin vielleicht letztwillige Verfügungen finden könnten, fühlte der Kapitän sich dazu berechtigt, die Truhe zu öffnen, und vollzog dieses Geschäft in der Gegenwart des Ingenieurs der Jacht, der ihm gefolgt war, und des Arztes. Sie fanden in dem Kasten einige Privatbriefe, sowie Ausweis- und andere Personalpapiere und in einem ledernen Portefeuille einige Banknoten sowie Photographien von Angehörigen und Freunden, und endlich eine Papiertüte mit einer Handvoll minderwertiger Perlen. Sonst nichts! Da der Kapitän aber nicht gewußt hatte, was die Truhe sonst noch enthalten haben konnte, so vermißte er auch nichts darin; nur die Geringfügigkeit der vorhandenen Geldsumme fiel ihm auf.
»Meinen Sie, daß die Mannschaft – –?« fragte der Ingenieur mit einer bezeichnenden Handbewegung, aber der Kapitän schüttelte mit dem Kopf.
»Dann hätten sie alles genommen. Aber der Schlüssel hing an seinem Halse, der Malaye rührt keinen Toten an. Das Schloß der Truhe war unverletzt, ohne Gewalt war sie für jemand, der das Geheimnis ihrer Öffnung nicht kennt, überhaupt nicht zugänglich. Lord Fernhill hat mir einmal den Mechanismus des sehr alten Schlosses gezeigt.«
»Aber, wo ist der unsympathische Kerl, der Winter, geblieben?«
»Ja, wo?« wiederholte der Kapitän. »Mögen die Behörden sich damit unterhalten, ihn zu suchen. Ist mir unfaßlich, wie Lord Fernhill sich gerade den zum Reisegefährten aussuchen konnte. Ein Beweis für seine totale Menschenunkenntnis und das wahrhaft kindliche Vertrauen, das er in die Redlichkeit aller Leute setzte. Er war ein guter, lieber, reizender Junge, der leider viel zu früh selbständig geworden ist.«
»Ja, mit seiner geradezu rührenden Harmlosigkeit und seinem Reichtum war er wirklich zum Opfer für Glücksritter beiderlei Geschlechter wie ausersehen. Wissen Sie, Kapitän, das mit dem Winter – – wollen wir wetten, daß dabei etwas faul ist?«
»Ja«, nickte der Kapitän mit einem langen Blick auf den geschlossenen Sarg, »ich gebe zu – it looks rather fusty.«
Winter, der Sekretär, blieb spurlos verschwunden.
Und damit endete das erste Kapitel des Romans der von Lord Fernhill gefundenen Perle, der ›Margarita Margaritarum‹.