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Liebes Knickerchen!
»Ich könnte Ihnen ja englisch schreiben, wenn ich wollte, aber ich thu's nicht, denn Sie würden meinen Brief dann als ein englisches Exercitium betrachten und ihn mir mit den rot angestrichenen Fehlern zurückschicken, und das würde mich scheckig ärgern. Wenn Sie bloß einmal aufhören wollten, mich als Baby zu behandeln, Sie, die auf meiner Hochzeit beinahe getanzt haben! Hätten Sie's nur wirklich gethan! Es ist nichts so gesund, als wenn man sich gelegentlich mal die alten Knochen zusammenschüttelt, wie der gute Tiefenthal sagt. Sie brauchen also über die Redensart nicht gleich Zetermordio zu schreien, denn sie ist, wie Sie sehen, leider nicht von mir. Nun, Ihre alten Knochen können Sie sich immerhin aber noch zusammenschütteln, und zwar auf der Eisenbahn bis Hundeloch in den alten, stoßenden Waggons, denn Sie sollen reisen, nach Nordland reisen, zu uns! › Well, I never!‹ höre ich Sie im Geiste sagen, aber es hilft Ihnen nichts, Sie müssen. Und warum müssen Sie, Sie liebes, altes Knickerchen? Weil das Haus Kirchwald Sie als Blitzableiter braucht, je rostiger desto besser, denn da schlägt's um so sicherer ein, wissen Sie. › I am much obliged to you,‹ werden Sie wiederum sagen, aber ich bekenne, großmütig, wie ich nun einmal bin, daß › to be obliged‹ ganz auf meiner Seite ist. Also schnüren Sie Ihr Bündel, vergessen Sie Ihr gutes Sonntagnachmittag-Schwarzseidenes nicht, gürten Sie sich auch meinetwegen mit dem ganzen Stolze Old-Englands, lassen Sie die Gouvernante hübsch in Hellberg bei Papa, geben Sie ihm einen tüchtigen Kuß von mir – na, in Ihrem Alter wird's Ihnen nichts mehr schaden, liebes Knickerchen – und dann verdösen Sie den richtigen Zug nicht und kommen Sie. – Aber warum?
»Na, zum Kuckuck, das ist doch klar wie Kloßbrühe: auf unser junges, kaum ein Vierteljahr altes Eheglück ist der erste Schatten gefallen, und Sie sollen hier als Wolkenschieber, Blitzableiter und Schneepflug verwendet werden, wenn's not thut, auch als Drachentöter. Sie brauchen aber gar kein so schrecklich entsetztes Gesicht zu machen, denn wenn die Sache für uns ja auch verflixt ernst ist, so brauchen Sie's noch lange nicht ›längst geahnt zu haben, daß ich, Ihre teure Lady Kate, » this most dreadful and impudent child«, auch in der Ehe nimmer gut thuen und mit ihrem Glück bald » at bay« sein würde!‹ Denn im tiefsten Schrein Ihres Herzens haben Sie doch meinen Mann aufs tiefste bemitleidet, daß er so verblendet sein konnte, mich zur Frau zu nehmen, nicht wahr? Leugnen Sie nicht, Knickerchen, denn ich habe Ihnen diesen Gedanken an meinem Hochzeitstage an der Nase angesehen, aber großmütig, wie ich Ihnen gegenüber nun einmal immer bin, habe ich Ihnen diese gute Meinung nicht nachgetragen, sondern Sie nur einfach ins Pfefferland gewünscht.
»Nein, Knickerchen, der Friede unserer Ehe ist bis dato ungestört geblieben, mein Mann und ich leben zusammen wie Philemon und Baucis! Jawohl, wie Philemon und Baucis; noch nicht einmal haben wir uns gezankt, denn wir sind uns sehr gut! Ich habe ihm sogar sein Monokel wieder gegeben, denn er riß das respektive Auge aus alter Gewohnheit immer so weit auf, und mit dem Glase sieht das nicht so gräßlich dämlich aus, you know! Er fängt jetzt sogar schon an, Slang zu schwatzen, also können Sie die Größe und Tiefe meines wohlthätigen Einflusses aus ihn voll und ganz ermessen.
»Und trotzdem ist der erste Schatten auf unseren Frieden gefallen! Denken Sie nur, vorhin, als wir nichts Böses ahnend beim Frühstück sitzen, kommt der Postbote mit einem eingeschriebenen Briefe an meinen Mann. Er liest ihn, läßt das Monokel fallen und sitzt dann düster und blaß wie ein betrübter Lohgerber da und ißt dazu, als ob er bezahlt würde.
»›Schneiderrechnung?‹ frage ich, auf den Brief deutend.
»›Ich wollte, es wäre eine,‹ sagt er mit einem Ausdruck, der mich an den erinnert, wenn Sie die Güte hatten, mir zu prophezeien, daß aus mir niemals was werden würde. Na, Sie können sich denken, was für einen Schreck ich kriegte, und der fuhr mir vollends in den Magen, als mein Mann aufstand, mir einen Kuß gab und sagte:
»›Arme Käthe – deine erste Prüfung beginnt – das Malheur ist schon unterwegs zu uns!‹
»›Die alte Müllern?‹ gapste ich und fühlte, wie ich blaß wurde.
»›Ach was, alte Müllern,‹ sagte mein Mann dumpf, ›das ist noch nichts. Aber hier, hier – Käthe lies mal den Brief!‹
»Damit reichte er mir den schönen glatten Bogen mit den feinen, pedantischen Schriftzügen, und ich las.
»Sie können ihn auch lesen. Knickerchen – hier ist er:
»Mein teurer Neffe!
Daß ich meines leidenden Zustandes wegen Deiner Hochzeit mit der Hofdame der Prinzessin von Nordland nicht beiwohnen konnte, hat mich, wie Du weißt, tief geschmerzt, und wenn Du auch nicht für gut befunden hast, mich durch eine Zeile darüber zu trösten, so will ich über diesen scheinbaren Mangel an Pietät für die einzige Schwester Deines Vaters gern hinwegsehen, in Anbetracht dessen, daß junges Glück ja stets egoistisch ist und in seinem ersten, ach! so vergänglichem Rausche ja allzuleicht vergißt, was die Pflicht und die Ehrfurcht gebeut. Tout comprendre c'est tout pardonner, mein lieber Neffe. Ach, ich habe Dich ja stets ein wenig verzogen. Nun aber will es ein günstiger Zufall, daß mein Arzt mir dringend eine Kur in Kissingen verordnet hat, und da finde ich, daß ich auf dem Wege dahin Nordland berühre. Wie glücklich mich das macht, wie glücklich es Dich und Deine liebe Frau machen wird, denn ich habe beschlossen – nein, nein, nicht etwa einen Zug zu überschlagen, um in Eure Arme zu eilen – wie könnte ich Euch durch solch einen Bettelbrocken in Euren heiligsten Gefühlen betrüben und kränken – nein, ich will, trotzdem es mich in meinen Plänen ein wenig stört, eine vierzehntägige Vorkur in Eurer Mitte zubringen, und wenn ich von Kissingen zurückkehre, dann vier Wochen bei Euch bleiben.
»Lisette, meine treue Kammerjungfer, die Du ja auch kennst, packt schon meine Sachen, und wenn Du diese Zeilen erhältst und mit glückstrahlenden Augen Deiner lieben Frau vorliesest, so eile ich vielleicht schon auf Flügeln des Dampfes Euch entgegen. Ich telegraphiere übrigens noch Zeit und Stunde; denn wenn Ihr in Erwartung meiner auch kaum mehr das Haus verlassen werdet, so bin ich doch billig genug, nicht zu verlangen, daß Du zu jedem Zug zur Bahn eilst, und Deine liebe Frau in freudiger Erregung Dich begleitet.
»Ich komme auch nicht mit leeren Händen zu Euch, Ihr Lieben! Denke Dir, daß ich mich nun für das Hochzeitsgeschenk entschieden habe, das ich Euch verheißen hatte! Aber ich verrate noch nicht, was es ist, es soll eine Überraschung sein, doch so viel will ich schon sagen, daß es Euch unbeschreiblich erfreuen, überraschen und glücklich machen wird, und ich freue mich schon im voraus über die Ergießungen Eures überwältigten Dankgefühles.
»Und nun lebt wohl und auf ein recht, recht fröhliches und köstliches Wiedersehen! In treuer Liebe Deine Dich liebende Tante
Habakukine, Gräfin Kirchwald.«
»Ich war zuerst, als ich den Brief gelesen, einfach starr, liebes Knickerchen, und zwar zunächst über den Namen Habakukine! Haben Sie schon je so was gehört? Mein Mann belehrte mich, daß sie in der Familie einfach »Tante Kuki« genannt wird! Ich habe mir die Seiten halten müssen vor Lachen. Das nahm nun mein Mann höllisch krumm und meinte, das könnte ich ein anderes Mal besorgen, jetzt wäre nicht die Zeit zu solchem Unfug, die Sache an sich wäre schon genug, um einen Menschen in Angst und Fieber zu bringen, denn Tante Kuki hätte nun mal zweifellos ihre Eigenheiten, und ich müßte mich tüchtig zusammenreißen, sie entsprechend zu empfangen, weil das nicht nur ›so‹ wäre, sondern, weil sie meinen Mann als ihren dereinstigen Erben betrachtete und ihm auch schon zweimal die Schulden bezahlt hätte, wie er noch ein junger Lieutenant war etc. etc.!
»Also da säßen wir denn in der Sauce, und an unserem Himmel ist die erste Wolke aufgezogen! Was soll ich denn nun mit dieser Tante Kuki anfangen? Aber Sie, liebes Knickerchen, Sie verstehen so gut mit solchen Leuten umzugehen, und wären es auch die widerborstigsten Kreaturen der Welt – das haben Sie ja an mir so glänzend bewiesen! Ich flehe Sie also auf den Knieen an: kommen Sie her, so schnell als unsere Sekundärbahn fahren will, und helfen Sie mir mit Tante Kuki – ich bin ganz ratlos, was ich überhaupt mit ihr anfangen soll!
»Jetzt kann ich aber nicht mehr schreiben, habe noch nie einen so langen Brief zusammengedoktert, und es ist mir Wurscht, wie Sie über den Stil denken, vorausgesetzt, daß Sie auf Flügeln des Dampfes, wie Tante Kuki sagt, zu uns eilen. Immer Ihre Sie treu liebende
Käthe.
P. S. Vergessen Sie nicht, etwas Proviant mitzubringen.
P. S. Nr. 2. Vergessen Sie auch Ihren Kopf nicht in Hellberg, liebes Knickerchen, und geben Sie den Pferden im Stalle einen Kuß von mir. Sagen Sie dem Johann auch, er wäre ein alter Esel, weil er mir das falsche Zaumzeug geschickt hat.« –
* * *
»So, das wäre geschehen,« sagte Gräfin Käthe Kirchwald, als der Brief an ihre ehemalige schwer geprüfte Erzieherin, die im Hause ihres Vaters jetzt das Amt einer Haus- und Ehrendame versah, adressiert und abgeschickt war. Graf Kirchwald, der immer noch dem Prinzen Heinrich von Nordland als Adjutant zugeteilt war, hatte seine junge Frau gleich nach dem Frühstück verlassen, zu seinem täglichen Vortrag bei seinem fürstlichen Herrn, und nun stand sie für einen Moment unthätig da und versuchte, dem drohenden Besuche der unbekannten Tante mit Fassung entgegenzusehen. Daß die Sache nicht so ganz »ohne« war, hatte sie aus der ersichtlichen Aufregung ihres sonst so vornehm ruhigen Herrn und Gebieters ersehen können, aber der Brief an Miß Knickerbocker hatte sie bedeutend erleichtert, und sie beschloß mit dem Gaste »schon fertig zu werden.« Was ein solcher Entschluß bei ihr bedeutete, wird jeder zu ermessen verstehen, der unsere Heldin noch als Käthe Hellberg gekannt hat. Aber trotzdem wollte es ihr noch nicht ganz behaglich bei dem Gedanken werden. Nicht, daß das wirtschaftliche Moment ihr Sorgen bereitet hätte – die alte Hellberger Köchin hatte sich herabgelassen, die junge Frau in ihren neuen Haushalt zu begleiten, und Küchenüberraschungen, wie sie in jungen Ehen allgemein üblich sind, waren daher ausgeschlossen, die Wohnung war hübsch und behaglich eingerichtet, der Bursche hatte sich der Pflichten eines servierenden Dieners mit unleugbarem Talente angenommen, ein nettes Stubenmädchen, auch aus Hellberg stammend, sorgte für Ordnung, und im Stalle machte ein früherer Bursche dem in ihn gesetzten Vertrauen alle Ehre – kurz, selbst eine Fehler suchende Tante hätte in diesem jungen Haushalt nichts ernstlich zu trüben Weissagungen verlockendes ausschnüffeln können.
Freilich, Gräfin Käthe hatte mit dem Species »Tante« ihre Erfahrungen gemacht, und ihr Mann schien auch die seinigen genossen zu haben – das war schon aus seiner Aufregung beim Empfang des ominösen Briefes zu ersehen. Na, vorläufig konnte man sich seines Lebens ja noch erfreuen, noch war die angekündigte Depesche nicht da, und Käthe versuchte zunächst das Bild des drohenden Gespenstes, als welches sie Tante Kuki ziemlich respektlos bezeichnete, durch allerhand angemessene Beschäftigungen zu verscheuchen. Sie schlenderte nämlich zunächst durch ihre Zimmer, hier einer Pagode durch einen leichten Stoß die erforderliche wackelnde Bewegung verleihend, dort ein paar zu pedantisch »ausgerichtete« Sofakissen genial durcheinander werfend, da probierend, ob auch die dünne Lehne eines vergoldeten Salonstühlchens sich stark genug für Turnübungen erwies, und mit solchem Zeitvertreib kam sie dann in der Küche an, um mit der alten Köchin das »Menü« zu machen, das heißt eigentlich sich von der guten Frau Schnörkel erzählen zu lassen, was letztere heut' zu kochen gedachte. Frau Schnörkel aber hatte sich gerade mit dem Fleischer geärgert und war gar nicht geneigt, auf eine Konversation einzugehen; Käthe war daher weise genug, einen eleganten Rückzug anzutreten und lieber nach den Pferden zu sehen; ehe sie die Küche aber verließ, steckte sie noch ein paar Mohrrüben zu sich und sagte im Gehen: »Schnörkeln, jetzt müssen wir uns zusammenreißen, wir kriegen Logierbesuch!«
»Was denn sonst noch?« brummte das alte Faktotum, das ehedem schon Käthens Kinderfrau war, höchst mißgelaunt.
»Das wissen wir noch nicht, das ist eine Überraschung,« sagte Käthe geheimnisvoll.
Aber auch das verfing heut' nicht bei der sonst so neugierigen Frau Schnörkel – freilich wenn man sich schon frühzeitig über den Fleischer ärgern muß, da ist für den Tag kein Stecken mehr gerade. Käthe konzentrierte sich daher ohne weitere Redensarten rückwärts, stieg zum Stall hinab und verbrachte dort ein halbes Stündchen bei den Pferden, und als diese die mitgebrachten Mohrrüben und Zuckerstückchen programmmäßig erhalten, ging sie wieder hinauf und warf sich mit der neuesten Zeitung in der Hand auf ihres Gatten ledernes Sofa. –
Indessen hatte Graf Kirchwald seinen Vortrag beendet, hatte für sich und Käthe eine Aufforderung zum Spazierritt mit dem Prinzenpaare für den Nachmittag erhalten und schlenderte nun seinen heimischen Penaten wieder zu, den Kopf voll von dem angekündigten Besuch der Tante Kuki. Er rekapitulierte in Gedanken alles, was seine Erfahrung ihn im Verkehr mit dieser kostbaren Verwandten, die ihn stets ihren Erben genannt, gelehrt hatte, und beschloß zunächst, Käthe eingehend über ihr Verhalten zu unterrichten, denn was hing nicht alles davon ab! Käthe mußte die ganze hinreißende Liebenswürdigkeit, die sie gegen ihn entfaltete, auch auf die Tante übertragen, sie mußte deren Lieblingsgerichte machen lassen, sie mußte – ja was mußte sie nicht alles! Das war schon keine Liste mehr, das war eine ganze Encyklopädie von Pflichten, die, wenn sie ihr vielleicht auch nicht leicht wurden, doch aus Liebe zu ihm erfüllt werden mußten. Und mit diesen Gedanken hatte er sein Haus fast erreicht, da fuhr ihm gegenüber eine hoch mit alten, ledernen, soliden Reisekoffern, Felleisen und Taschen beladene Droschke um die Ecke.
»Na, Gott sei Dank!« dachte Graf Kirchwald, unwillkürlich lächelnd, »die zwölf Personen zu dem Gepäck können doch nicht auch alle drin sitzen?«
»Brr!« machte der Kutscher, welchem Gebot seine magern Rosse mit fabelhafter Bereitwilligkeit gehorchten, und – das Vehikel hielt vor seiner, Graf Kirchwalds, Hausthür.
Eine furchtbare Ahnung zog damit a tempo durch die Seele des jungen Offiziers.
»Grundgerechter Strohsack, das wird doch nicht am Ende gar – –«
Doch ehe er noch ausdenken konnte, war das »Unzulängliche schon Ereignis« geworden – die Droschkenthür ward geöffnet, heraus sprang eine dicke, ältliche Person mit sauertöpfischem Gesichte. Ihr Kostüm verriet sie als der besseren dienenden Klasse zugehörig. Sie half einem zweiten weiblichen Wesen beim Aussteigen, einer wohlkonservierten langen, hageren Dame mit schmalen Lippen, halbgeschlossenen Augen, über denen sich hochgezogene Brauen wölbten, die dem etwas scharfen Gesicht einen permanent erstaunten Ausdruck gaben, umrahmt von glänzenden tadellosen Wellenscheiteln, die sich am Hinterkopf in ein Lockenchignon verloren, wie es ehedem die Kaiserin Eugenie in Mode gebracht hatte. Auf dieser etwas antiken Frisur trug die Dame einen mit grauen Straußenfedern überladenen Hut von länglichrunder Form, wie er auch zur Zeit der eleganten französischen Monarchin beliebt gewesen. Ein ganz moderner grauseidener Staubmantel vollendete die Toilette der Dame, zu der nun Graf Kirchwald mit einem halben Dutzend stark beschleunigter Schritte gelangte.
»Tante Kuki! Welche Überraschung!« rief er, hochrot vom eiligen Lauf, indem er sich auf die elegant behandschuhte Hand der Reisenden herabbeugte, um mit einem Zoll Distance zwischen seinen Lippen und dem Objekt seiner Devotion einen Kuß in die Luft zu hauchen.
»Überraschung?« fragte die Dame mit flötenden, aber etwas scharfen Tönen. »Ja, ich habe dir doch geschrieben, lieber Horst, daß ich komme!«
»Gewiß – gewiß! Wir haben den Brief eben erst erhalten– aber du versprachst noch zu telegraphieren – wir hätten dich doch so gerne von der Bahn abgeholt!«
»Ich habe telegraphiert, lieber Horst, und muß gestehen, daß es mich doch recht befremdet hat, niemand zu meinem Empfange auf der Bahn vorzufinden. Wenn ihr mir damit aber andeuten wollt, daß ich euch nicht gelegen komme –«
Graf Kirchwald unterdrückte heroisch ein Stöhnen.
»Aber Tante Kuki, wie kannst du das denken!« rief er mit etwas forcierter Lustigkeit. »Wir sind ja so glücklich über deinen Besuch! Was aber die Depesche betrifft –«
Gräfin Kuki wandte sich nach ihrer Zofe um, die merkwürdig rot geworden war.
»Lisette, wann war es doch, daß ich dir das Telegramm zur Bestellung übergab?« fragte sie scharf.
»Na, heut' Nacht war's, gnädige Komtesse, wo wir auf der großen Station so lange warten mußten,« polterte Lisette hervor – eine Art und Weise, die Graf Kirchwald schrecklich war.
»Ah – und du hast das Telegramm natürlich richtig aufgegeben?«
»Natürlich,« polterte Lisette grob heraus, »das heißt, ich ließ mir in der dritten Klasse eine Tasse Kaffee geben, und da fand ich eine Bekannte vor und – da habe ich eigentlich die Depesche vergessen. Gnädige Komtesse entschuldigen, aber wie's zum Einsteigen läutete, war's zu spät dazu – was kann ich davor?«
»Du hättest eher daran denken müssen –«
»Ich kann doch meinen Kaffee nicht kalt werden lassen,« war die sonderbare Entschuldigung der alten langjährigen Dienerin.
»Ein excellenter Grund, liebe Lisette,« sagte Graf Kirchwald sarkastisch, und Gräfin Kuki seinen Arm reichend, meinte er lächelnd: »Nachdem nun festgestellt worden ist, daß wir die Depesche also nicht erhalten haben, erlaubst du wohl, daß ich dich hinaufführe! Käthe wird sich so freuen!«
»Ich hoffe es, lieber Horst,« flötete die Tante und setzte vertraulich hinzu: »Ich finde, die gute Lisette läßt in manchem recht nach!«
»Das hab' ich schon gefunden, als ich noch Kadett war, liebe Tante,« war die etwas trockene Antwort. »Dafür legt sie aber auch an Unverschämtheit recht zu – so gleicht sich's wieder aus!«
»O, das mußt du nicht so auffassen,« war die lebhafte Erwiderung. »Alte Dienstboten haben leicht ihre Eigenheiten, und Lisette ist mir wirklich ganz unentbehrlich!«
»Wenn du nur mit ihr zufrieden bist, kann's mir schon recht sein. Doch hier sind wir vor unsrer Thür – nun wollen wir Käthe mal recht gründlich überraschen. Hier im Salon ist sie nicht – sie wird wohl in ihrem Boudoir sein!«
Tante Kuki durchschritt am Arm ihres Neffen mit prüfend scharfem Blick den hübschen, eleganten Salon mit seinen zahllosen Nippes gefüllt – meist Hochzeitsgeschenke, Nichtigkeiten, die einen Raum aber sogleich behaglich und wohnlich machen.
»Sehr nett, diese Rokokomöbel,« meinte sie gnädig. »Ich liebe diesen Stil, er ist so elegant. Nur die Wände sind noch etwas leer – hier z. B. in der Ecke wäre ein excellenter Platz für ein lebensgroßes Bild von mir –«
»Ah – das verheißene Hochzeitsgeschenk,« sagte Kirchwald mit plötzlicher Erleuchtung, doch ohne sonderlichen Enthusiasmus.
»Doch nicht ganz, lieber Horst – es ist eine Extra-Idee von mir,« war die gnädige Erwiderung. »Ah – also dies ist das Boudoir deiner Frau – mon Dieu, comme c'est drôle pour une jeune femme –! –! –!«
Kirchwald wußte nun, woran er war, denn wenn Tante Kuki französisch sprach, dann stand ihr ganzes Empfinden sozusagen auf den Hinterbeinen vor einem Etwas, gegen das sie ein Vorurteil hatte. Ihr Mund kniff die Lippen ein, die schweren Augenlider bedeckten fast ganz die großen, etwas vorstehenden Augen, und die Augenbrauen machten den Versuch, den glänzenden braunen Wellenscheitel zu berühren. Und doch war Käthens Boudoir eigentlich sehr hübsch, und besonders war's charakteristisch: matte Eichenholzmöbel mit grünem Saffianbezug, Bärenfelle als Teppiche, Perserteppiche an den Wänden und in den Zwischenräumen davon Pferdeporträts, Sportscenen, Trophäen von gefundenen Hufeisen, Reitgerten, Fuchsruten, Eichen- und Tannenbrüchen. Aber trotz der ausgeprägten Vorliebe für Sport, der in einer Nische durch ein paar mächtige norwegische Schneeschuhe von Sandelholz noch ergänzt wurde, war's doch das Zimmer einer Dame; denn eine Schußwaffe fehlte, der zierliche Hirschfänger auf dem Schreibtisch war nur ein harmloses Papiermesser, die Schreibgarnitur von Meißener Porzellan wies zarte Blumenmuster auf, und als Briefbeschwerer fungierte der bewußte silberne Bär auf der Lapis-Lazuli-Kugel und präsentierte noch ebenso stolz wie vordem sein ominöses Quadrat mit dem diamantstrahlenden » J'y pense« darauf als sichtbarlichen Zeugen jener Episode aus Käthes Leben, die unsere Leser aus dem »Bärenführer« kennen.
»Originell, Tante Kuki, nicht wahr?« nahm Graf Kirchwald die Bemerkung als Bewunderung hin, »aber doch eigentlich ein sehr behagliches Zimmer. Wo nur Käthe stecken mag?«
Er öffnete die Thür, die zu seinem eigenen Zimmer führte.
»Da ist sie endlich! Käthe komm nur – denke, Tante Kuki ist eben angelangt!«
»Potztausend,« tönte es aus dem Nebenzimmer hervor, und im nächsten Moment stand Käthes jugendschöne, siegende Gestalt im Thürrahmen. – Einen Augenblick maßen sich beide Frauen mit den Blicken, dann trat die junge Hausfrau näher und streckte ihre Hand aus.
»Willkommen in unserem Hause,« sagte sie kurz und schlicht, aber herzlich um ihres Mannes willen, denn Tante Kukis Physiognomie war im Moment nicht gerade sehr einladend.
Tante Kuki legte etwas zögernd ihre schmale Rechte in die ausgestreckte schöne, aber kräftige Hand, die sich mit einer Kraft um die ihrige schloß, daß sie leise aufschrie.
»Nicht so stürmisch, liebe Nichte,« rief sie mit sauersüßem Lächeln. »Kann man seine Freude nicht sanfter äußern?«
»Natürlich,« sagte Käthe trocken und machte eine tadellose Hofverbeugung.
»Sehr schön,« lobte Tante Kuki. »Nun, ich hoffe, wir werden recht gute Freunde werden, nicht wahr?«
Nun mußte Käthe lachen.
»Miß Knickerbocker sagt: › It depends all on mutuality,‹« war ihre prompte Erwiderung.
Tante Kuki kniff den Mund wieder ein.
»Ich spreche nicht englisch,« sagte sie ausweichend.
»O, das thut nichts,« versicherte Käthe, »ich spreche auch lieber deutsch.«
»Wirklich? Nun, um so besser!«
Eine kleine Pause entstand, während welcher Tante Kuki an ihren Handschuhen nestelte. Dann sagte sie: »Du hast meinen Wagen nicht vorfahren hören, liebe Nichte?«
»Nein, ich war im hinteren Zimmer, da hört man nicht, was vor dem Hausthor vorgeht. Ich bin gern dort, wenn Horst nicht zu Haus ist, denn dann ist's mir immer, als wäre ich dem lieben guten alten Kerl näher,« antwortete Käthe, und es lag so viel Herz und so viel Liebe in den mehr als einfachen Worten, daß Kirchwald ein Stock gewesen wäre, wenn er nicht, wie jetzt eben, seine schöne junge Frau gerührt in die Arme geschlossen hätte. Doch in Tante Kukis altjüngferlicher Seele fand der schlichte Herzenston kein Echo.
»Ich bewunderte schon eueren Salon,« sagte sie, sich abwendend.
»Nett, nicht wahr?« rief Käthe lebhaft, »aber hier ist doch meine Lieblingsbude – –«
»Lieblingsboudoir,« unterbrach sie Tante Kuki, als ob sie das Wort nur wiederholte.
»Ach was, Boudoir,« meinte Käthe lachend, »das klingt so geziert und paßt nicht zu mir und nicht auf die liebe Bude hier. Sieh 'mal, diese Fuchsschwänze habe ich alle auf den Schnitzeljagden selbst erbeutet, alle! Famos, nicht?«
Tante Kukis Mund wurde immer schmaler.
»Ich bin in diesen Dingen allzusehr Laie,« sagte sie kühl. »In meiner Zeit fand man den Sport für junge Damen nicht passend.«
»Ja, ja, ich weiß,« rief Käthe mitleidig. »Häkeln, sticken, nähen – und so weiter. Man hat mir das oft erzählt – es muß mordslangweilig gewesen sein!«
»Im Gegenteil,« meinte Tante Kuki scharf. Doch ehe sie in ihrer Rede fortfahren konnte, fiel der Unheil ahnende Kirchwald mit der Bemerkung ein, Tante Kuki würde jedenfalls Sehnsucht nach einem Gabelfrühstück haben und ihr Zimmer aufsuchen wollen.
»Natürlich,« stimmte Käthe enthusiastisch ein. »Ich lasse sofort das Fremdenzimmer herrichten und zum Futtern blasen!«
Und hinaus war sie wie der Wirbelwind, doch nur, um im nächsten Moment den Kopf wieder zur Thür hereinzustecken.
»Ich wollte nur fragen, ob Tante Kuki in Federbetten schläft,« rief sie lustig.
»Ich danke,« war die kühle Erwiderung, »ich pflege meine Betten mit mir zu führen, wenn ich auf Reisen bin!«
»Riesig praktisch,« lobte Käthe und setzte mit dem unschuldigsten Gesichte von der Welt hinzu: »Da hast du natürlich auch Sprungfeder- und Roßhaarmatratze mit, nicht?«
»Welche Idee!« rief Tante Kuki, getäuscht durch Käthes Unschuldsmiene, während Kirchwald sich umwenden mußte, um sein Lächeln nicht zu zeigen.
»Also nicht? Bon,« meinte die junge Frau voll Biederkeit und verschwand.
Eine kleine, aber drückende Pause entstand zwischen Tante und Neffe.
»Nun, Tante, gesteh' es, ist meine Frau nicht reizend?« begann Kirchwald endlich das Gespräch.
»Ich wage nach so kurzer Bekanntschaft noch kein endgültiges Urteil abzugeben,« war die reservierte Antwort. »Das Äußere allein macht es nicht, lieber Horst, und ich hoffe, du hast dich durch äußere Schönheit nicht blenden lassen. Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang!«
»Also gestehst du doch damit ein, daß Käthe schön ist,« rief Kirchwald lächelnd, ohne auf das übrige einzugehen.
»Wenn du sie so findest, ist es wohl die Hauptsache!« sagte Tante Kuki spitz.
»Selbstverständlich – doch man hört auch gern, wenn andere es anerkennen. Und was ihren Charakter anbetrifft – da kannst du ohne Sorgen sein.«
»Das ist mir lieb zu hören,« meinte Tante Kuki kühl, »um so mehr lieb, lieber Horst, als ich große Dinge mit dir vorhabe und deine Frau natürlich dabei auch in Frage kommt. Ich meine das dir verheißene Hochzeitsgeschenk. Ich fühle nämlich, daß die Verwaltung meines Gutes mir mehr und mehr zur Last wird – der stete Ärger mit dem Inspektor und der Verwaltung überhaupt greift meine Gesundheit an, und da mein Vermögen von dem Gute ja gottlob unabhängig ist, so habe ich die Absicht, es dir zu übergeben und es auf deinen Namen übertragen zu lassen.«
Kirchwald glaubte nicht recht zu hören. Tante Kukis Gut, wie sie es nannte, war eine Herrschaft ersten Ranges, ein fast fürstlicher Besitz, den ein Erbonkel ihr unerwartet vermacht hatte – der mußte ihn mit einem Schlage zum reichen Manne machen.
»Aber das ist ja ein kaiserliches Geschenk,« sagte er noch ganz benommen von dem eben gehörten.
»Freilich müßte ich daran eine Bedingung knüpfen,« fiel die Tante schnell ein. »Du mußt den Abschied nehmen, lieber Horst, und selbst auf das Gut ziehen. Denn ich habe an mir selbst erfahren, daß die Verwaltung par Distance ihre großen Schattenseiten hat – doch, da ich es nicht über mich bringen kann, so allein in dem großen Schlosse in der Einsamkeit des Landes zu leben, so mußte eben alles seinen Weg gehen. Nun, ich denke aber, der Entschluß wird dir nicht allzuschwer werden, und wenn du erst Gutsherr von Steinbach bist, so komme ich immer, die Sommermonate bei euch zu verleben.«
Kirchwald hörte diese frohe Verheißung kaum – es war ihm siedend heiß geworden. Er hatte eigentlich keine Neigung zum Landwirt, dafür aber war er gern Soldat. Freilich Steinbach war ein Äquivalent für manches Luftschloß, und wenn es ihm auch schon eingefallen war, daß er den Besitz vielleicht einmal von Tante Kuki erben könnte, Gott, so war doch damit vorläufig noch nicht zu rechnen, denn Tante Kuki war noch nicht fünfzig Jahre alt.
»Ich bin nur neugierig, was Käthe dazu sagen wird,« war sein erster lauter Gedanke nach Tante Kukis Rede. »Donner und Doria! wird sie sagen.«
»Nun, das hoffe ich nicht,« sagte Tante Kuki spitz. »Die künftige Schloßherrin von Steinbach und vormalige Hofdame der Herzogin von Nordland wird sich jedenfalls – feiner ausdrücken.«
Kirchwald ging auf diese Hoffnung der Tante vorläufig nicht ein.
»Sprachlos wird sie sein,« versicherte er erregt. »Aber das Abschiednehmen – was wird sie dazu sagen? Sie ist so gern Soldatenfrau.«
»Wenn sie nur deinen Rock geheiratet hat, so seid ihr, du und sie, tief zu beklagen,« klang es schon bedeutend gereizter zurück.
»Nun Tante, sei 'mal gerecht,« erwiderte Kirchwald ruhig. »Es wechselt keiner seinen Stand und sein ganzes Leben so ohne jede Vorrede – das wäre Leichtsinn, oder, was schlimmer ist, Gleichgültigkeit. Im übrigen ist Käthe auf dem Lande aufgewachsen und weiß mehr davon als ich.«
Während dieses wichtige, tief in Kirchwalds Leben einschneidende Gespräch stattfand, war Käthe hinausgeschossen in die Küche, um bei Frau Schnörkel vorsichtig, aber eindringlich für das leibliche Wohl der Tante zu sorgen; denn die alte Köchin haßte all jene Dinge, welche aus dem gewöhnlichen Kreislaufe des täglichen Lebens hinausgingen, Extraleistungen mußten ihr immer abgeschmeichelt werden. Das Terrain schien aber für heute schon stark besetzt, denn in der Küche stand Lisette, die Jungfer, mit hochrotem Gesichte vor der scheinbar ebenso erregten Frau Schnörkel, und beide schienen ihre Bekanntschaft eben durch einen herzhaften Zank eingeleitet zu haben.
»Nanu, was ist denn hier los?« fragte Käthe erstaunt, als die beiden a tempo redenden Stimmen bei ihrem Eintritt auch a tempo schwiegen.
»Ach!« brach Frau Schnörkel wutentbrannt los. »Der Teufel hat uns ein Kuckucksei ins Haus gelegt, gnädige Frau Gräfin!«
»Wie hat er denn das gemacht?« erkundigte sich Käthe lachend.
»Kommt so 'ne Kammerjungfer, nee, Jammerjungfer ins Haus und will mir kochen lehren,« zeterte Frau Schnörkel, ohne das wissenschaftliche Problem weiter zu erörtern.
»Na nur sachte,« polterte Lisette hervor. »Wenn ich mit meiner Komtesse zu jemandem zu Besuch komme, dann sage ich immer, wie wir's gern gekocht haben wollen, und kein Mensch wird mir dabei den Mund verbieten.«
»Das werden wir sehen,« grölte Frau Schnörkel. »Was für meine Herrschaft gut ist, wird für Ihre Komtesse auch noch zureichen. Wenn ich mich nach jeder hergelaufenen Person richten wollte, das könnte einen hübschen Fraß geben.«
»Hergelaufene Person!« kreischte Lisette empört. »Ich bin die Tochter eines Kaufmanns und ehrlichen Bürgers, verstehen Sie mich, und wer sind denn Sie, wenn man fragen darf?«
»Ich bin die Tochter vom Hellberger Grobschmied,« erwiderte Frau Schnörkel sehr von oben herab.
»Na, das merkt man,« gab Lisette höhnisch zurück.
Käthe merkte auch, daß beide Parteien auf dem Punkte standen, nun in Thätlichkeiten überzugehen.
»Mund gehalten,« kommandierte sie sehr energisch. »Sie,« zu Lisette gewendet, »Sie können ganz ruhig darüber sein, wie die Komtesse bei mir aufgenommen werden wird, und wenn Sie sich noch einmal Einmischungen erlauben, so werde ich mich bei Ihrer Herrin darüber beschweren. Sie, Frau Schnörkeln, Sie machen uns jetzt ein recht nettes Frühstück zurecht, nicht wahr? Machen Sie's nur so gut wie immer und lassen Sie sich nicht hineinreden. Und nicht mehr zanken. Schnörkelchen! Sie wissen: Lärm in der Küche – da versteht mein Mann keinen Spaß! Kammerjungfer, kommen Sie, ich werde Ihnen das Fremdenzimmer zeigen!« –
Mit offenem Munde folgte Lisette der jungen Frau, doch die giftigen Blicke, mit denen sie's that, verhießen nichts Gutes. Da sie hier augenscheinlich mit ihren Unverschämtheiten nichts ausgerichtet hätte, so ergriff sie den Ausweg die gekränkte Unschuld zu spielen, und ließ eine Serie allzeit bereiter Krokodilsthränen über ihre fetten Wangen rieseln. Da aber Käthe auch hiervon keine Notiz nahm, so begann sie leise zu schluchzen, während ihr das Domizil ihrer Herrin gezeigt wurde.
»Gnädige Komtesse logieren nie auf der Südseite,« sagte sie mit Duldermiene.
Käthe sah die dicke Person erstaunt an.
Lisette fand es für geraten, ihre Ansicht nicht zu wiederholen.
»Meine Schuld ist's aber nicht, wenn Komtesse ihre Kopfschmerzen bekommen,« polterte sie zwischen Thränen hervor, »Komtesse sind es eben so anders gewöhnt! Ich bin jetzt schon zwanzig Jahre bei Komtesse und muß es doch wissen, was Komtesse braucht. Zwanzig Jahre, ja ich darf wohl sagen, daß Komtesse mich in allem mit ihrem Vertrauen beehren, mich oft sogar um meinen Rat fragen. Und ich habe schon manches gute Wörtchen eingelegt für den Herrn Grafen Horst – und Komtesse hören in allen Dingen gern auf mich.«
»Dann kann Komtesse mir leid thun,« sagte Käthe kurz und ließ die Kammerjungfer allein, die nun die Schleuse ihrer Thränen voll aufzog, so daß Tante Kuki, als sie gleich darauf ihr Zimmer betrat, um abzulegen, ihre Donna in einem Zustande vorfand, von dem der Dichter des »Struwwelpeter« so treffend sagt:
»Und ihre Thränlein fließen,
Wie's Bächlein auf der Wiesen.«
Nach einer halben Stunde war das Gabelfrühstück serviert, und Tante Kuki, von ihrem Neffen dazu abgeholt, erschien mit einem Gesicht, in dem Gewitterwolken sich mit Donner und Blitz anmutig vermischten. Schweigend, mit niedergeschlagenen Augen und zusammengekniffenen Lippen nahm sie die Tasse Bouillon zu sich, zu der Frau Schnörkel warme holländische Käseschnitten delikat und knusprig serviert hatte. Unter Seufzen genoß sie zarte Kalbskoteletts à la Nelson mit jungem Gemüse, die eigentlich das heutige Mittagessen von Kirchwalds ausmachen sollten, und mit der Miene schwerer, innerer Leiden legte sie sich zum Schluß von den erlesenen Gartenerdbeeren vor, die das Dessert bildeten.
Nun hielt es Kirchwald aber nicht länger aus – da war ja eine Begräbnismahlzeit das reine Freudenmahl gegen dieses Frühstück. »Fehlt dir etwas, Tante Kuki, oder bist du nur müde?« fragte er teilnahmsvoll.
Die Angeredete warf einen Seitenblick auf Käthe, welche seelenruhig ihre Erdbeeren löffelte.
»Ich hätte diese Frage, offen gesagt, eher erwartet,« hauchte sie.
Nun sah auch Käthe auf.
»Ja?« fragte sie verwundert. »Ich dachte, du wärst immer so schweigsam!«
»Du mußt bedenken, meine Frau kennt dich noch nicht,« fiel Kirchwald ein.
»Ich bedenke alles, was billig und recht ist,« war die steife Entgegnung. »Nein, deine Frau kennt mich nicht, aber das hat sie nicht verhindert, meine arme Lisette gleich bei ihrem Eintritt in dieses Haus in einer Weise zu behandeln, daß ich das arme Geschöpf in Thränen gebadet vorfand. Als du mich abholtest, lieber Horst, war es mir noch nicht gelungen, sie zu beruhigen.«
Kirchwald sah seine junge Frau erstaunt an, die nun den Blick voll und blitzend auf ihre Angreiferin heftete.
»Käthe?« fragte er ungläubig.
»Jawohl,« erwiderte Tante Kuki erregter werdend. »Das erste Wort, was deine Frau an die arme Lisette zu richten beliebte, war, daß sie ihr gebot – – ich bringe den vulgären Ausdruck kaum über die Lippen – das – – das Maul zu halten!«
In Käthens Gesicht begann es zu zucken.
»Das ist eine poetische Licenz,« sagte sie ruhig. »In diesem Specialfalle habe ich nämlich aus Rücksicht für diese arme Lisette – Mund gesagt!«
»Ja, was ist denn überhaupt passiert?« fragte Kirchwald unruhig.
»Passiert? Nischt ist passiert,« meinte Käthe lachend. »Ich kam gerade dazu, wie in der Küche –«
Tante Kuki machte eine abwehrende Bewegung.
»Bitte, ich kenne die Sache – Lisette hat mich vollauf davon unterrichtet,« sagte sie scharf.
Käthes Augen begannen wieder zu blitzen.
»Ich wünsche an Glaubwürdigkeit mit dieser kostbaren Lisette gar nicht zu konkurrieren,« sagte sie, sich aufrichtend. »Es steht dir vollständig frei, ihre, wie es scheint doch recht merkwürdige Version der Sache als die allein richtige aufzufassen. Ich bitte dich aber um die Erlaubnis, meinem Manne die Geschichte, die ich für erledigt gehalten hatte, erzählen zu dürfen!«
Und mit einer ihrer unnachahmlichen Kopfbewegungen wandte Käthe sich an ihren Gatten und gab ihm eine humoristische Beschreibung der Küchenscene und eine fast wörtliche Wiedergabe von Lisettens Worten.
»Aber das klingt ja ganz anders,« stammelte Tante Kuki, als Käthe geendet hatte.
Jetzt konnte Käthe wieder lachen.
»Das will ich meinen, trotzdem ich die eigentliche Version von Lisette in ihrem vollen Umfange noch nicht zu kennen die Ehre habe,« meinte sie. »Mein Fehler war, daß ich ihr nicht gleich den Kopf gründlich wusch, als sie die Unverschämtheit hatte, mir zu sagen, daß ich ihre Gunst erlangen müßte, um bei dir, liebe Tante, gut angeschrieben zu sein. Aber das kann ich, wenn du erlaubst, immer noch gut machen!« Und damit hatte sie schon die Hand an der elektrischen Klingel.
»O nein, bitte,« rief Tante Kuki ängstlich. »Die arme Lisette – es würde sie so schlechter Laune machen, und dann ist nichts mit ihr anzufangen. Sie ist so leicht erregt – aber so gutmütig dabei, und meinen Plan wegen des Gutes, Horst, hat sie in jeder Weise unterstützt!«
»Na ich danke, Tante – wie kannst du dich nur so in die Hände dieser Person geben,« rief Kirchwald empört. »Noch zehn Jahre so, und du hast überhaupt keinen freien Willen mehr. Nein, ich glaube fast, Käthe hat recht mit ihrer Idee des Kopfwaschens –«
Darauf hatte Käthe nur gewartet. Noch während ihr Gatte sprach, war der Bursche eingetreten, und sie befahl ihm, Lisette sogleich herein zu schicken. Tante Kuki protestierte zwar noch, aber dazu war's zu spät. – Mit verweinten Augen erschien die Kammerjungfer in dem Speisezimmer, und ohne ihr Zeit zu geben, sich ihrer Herrin zu bemächtigen, trat Käthe vor sie hin.
»Wie können Sie sich unterstehen, der gnädigen Komtesse hier einen dermaßen entstellten Bericht über das zu geben, was sich vorhin in der Küche zugetragen!« rief sie ihr zu. »Ich rate Ihnen, in diesem Hause sich jeder Entstellung zu enthalten, oder ich werde Sorge dafür tragen, daß Komtesse, so lange sie unser Gast ist, eine andere Bedienung erhält. Ich danke Ihnen – Sie können jetzt wieder gehen.«
Kalkweiß vor Wut im fetten Gesichte verschwand die Kammerjungfer wieder, denn ihre Bewegung, sich an ihre Herrin zu wenden, wurde von der jungen Frau mit einer sehr deutlichen und energischen Handbewegung abgeschnitten. Als sie gegangen war, setzte Käthe sich lachend wieder an den Tisch.
»So, nun wir diese kochende Giftbolle kalt gestellt haben, nimmst du vielleicht noch ein paar Erdbeeren, Tante,« sagte sie gemütlich.
Aber für Tante Kuki war die Sache noch lange nicht erledigt – sie fürchtete sich im Grunde ihres Herzens vor ihrem nächsten Tete-a-tete mit Lisette und lagerte ihre Furcht zunächst auf ihren Verwandten ab. »Ich sehe, meines Bleibens wird hier nicht lange sein,« sagte sie mit Resignation. »Ich bin es nicht gewohnt, daß über mich hinweg in einer Art gehandelt wird, wie deine Frau sie beliebt, lieber Horst!«
»Na, Tante, eigentlich kannst du Käthe nur dankbar sein, daß sie dir's abgenommen hat, das Deutsch mit Lisette zu sprechen, das du in dem Umgange mit ihr verlernt hast,« erwiderte Kirchwald, dem nun auch bald die Geduld riß.
»Hätten wir nicht jetzt genug von dieser Lisette, Horst?« fragte Käthe ganz seelenruhig. »Sie hat verhindert, daß wir Tante Kuki von der Bahn abholten, sie fängt, kaum ins Haus gekommen, Streit an mit unserer Köchin, sie heult Tante Kuki was vor und lügt ihr die Hucke voll, sie verdirbt ihr den ganzen Genuß an dem guten Frühstück – – na, wenn sie uns jetzt noch das Haus über dem Kopfe anzündet, dann können wir alle ja ganz zufrieden sein. Aber bis es brennt, schlage ich vor, von was hübscherem zu sprechen.«
Und damit füllte Käthe ihr Glas, hob es in die Höhe und rief lustig: »Willkommen bei Kirchwalds, Tante Kuki – du sollst leben!«
Damit hätte der »Empfang der Gäste auf der Wartburg« füglich erledigt sein können, doch fand Tante Kuki in den herzlichen Worten nur neuen Grund zum Groll.
»Liebe Nichte,« sagte sie mit flüchtigem Neigen des Kopfes, »zu meiner Zeit fand man es für unpassend, wenn eine Dame einen Toast ausbrachte. Verzeih die Korrektur, aber mir scheint, als wäre deine Erziehung nicht das, was ich mir für die Frau meines lieben Horst geträumt. Nun, du wirst von seiner Tante und mütterlichen Freundin gewiß gern jede Zurechtweisung annehmen, die ich dir nicht vorenthalten darf, wollte ich damit nicht eine heilige Pflicht verletzen.«
Käthe war dunkelrot geworden.
»Schönen Dank für den Rüffel,« sagte sie aufstehend. »Ich gehe jetzt, um mich für die nächste Standpauke würdig vorzubereiten. Vielleicht hast du indes die Güte, Horst auseinander zu setzen, wie dein Ideal seiner Frau beschaffen ist – vielleicht werde ich nochmal so – man kann das alles nicht verreden. Auf Wiedersehen!«
Sprach's und verschwand in ihr Zimmer, wo Kirchwald sie zwanzig Minuten später fand, zornsprühend, außer sich.
»Tante Kuki hat sich etwas zur Ruhe begeben,« sagte er, Käthe lächelnd von der Seite ansehend.
»Ich wollte, sie hätte sich zum Kuckuck begeben,« war die heftige Erwiderung. »Na, ich danke, das kann ja eine nette Zeit werden, Horst, mit dieser kostbaren Verwandten. Da ließe ich mich ja lieber das ganze Leben lang von der Knickerbocker tyrannisieren! Wenn ich's verdient habe, dann mag man mir die Leviten lesen – das heißt natürlich nur von denen, die's was angeht, lasse ich's mir gefallen. Wenn das mit der Tante Kuki aber so weiter geht, dann reise ich ab und du kannst dich allein mit ihr amüsieren!«
Kirchwald seufzte und versuchte es, seine Frau zu beruhigen, trotzdem die Last, die sich während dieser kurzen Stunden auf seine Seele gelegt hatte, auch ihn mit Schauern düsterer Ahnungen bedrückte. Er erzählte Käthe nun von dem großartigen Hochzeitsgeschenk der Tante, konnte ihr aber natürlich die Bedingungen, die sich daran knüpften, nicht verschweigen. Darüber geriet sie wieder außer sich.
»Das ist eine nichtsnutzige Tyrannei,« rief sie, vielleicht nicht ohne jedes Recht aus. »Das sind mir hübsche Geschenke, die man nicht genießen darf, wie man will, sondern bei denen man sich vorschreiben lassen muß, wie man sie verwerten soll. Womit ich nicht thun kann, was ich will, dafür bedanke ich mich höflichst. Deine ganzen Arbeiten zum Generalstab sollen umsonst sein! Ja, was denn noch? Und ich hatte mich schon so auf Berlin gefreut. Gott, im Grunde kann's mir Wurscht sein, ich bin ans Land gewöhnt und amüsiere mich dort auf eigene Faust – wir können auch dort ein Gestüt errichten, Horst – natürlich wenn's die Tante gnädigst erlaubt. Du, denk' an mich: mit dem Hochzeitsgeschenk legen wir uns eine Kette um den Hals, daß ein Galeerensklave gegen uns ein Waisenknabe ist! Aber freilich, wenn die Tante Kuki uns dann in jedem Jahre zwölf Monate lang besucht, da werde ich noch ein Muster an Zimperlichkeit, Strietzigkeit, Langweiligkeit und sogenannter guter Erziehung werden, und wenn das dich nicht reizt, dann müßtest du ja unter meinem schlechten Einflüsse schon ganz verloren sein!«
Horst Kirchwald sah ein, daß sich mit Käthe fürs erste schwer reden ließ, so lange ihr gerechter Zorn noch nicht verraucht war, aber daneben hatte der Teufel ihm nicht umsonst die Falle gelegt – er dachte an nichts anderes als an »seinen« künftigen Besitz, und die Wagschale seiner Entschlüsse neigte sich bedeutend Tante Kukis Bedingungen zu. Das sah Käthe wohl ein, und es verbesserte ihre Laune nicht, denn sie war sich ganz klar, daß ihr Gatte für das Landleben nicht paßte.
Tante Kuki erschien um vier Uhr zu dem verspäteten Mittagbrot in gnädigerer Laune, denn sie hatte ein kleines Schläfchen gemacht, und Lisette hatte nicht gewagt, sich in der Weise vor ihr rein zu waschen, wie sie's zu gelegenerer Zeit noch vorhatte. Im Grunde ihres Herzens war die Tante ihrer getadelten Nichte doch etwas dankbar, daß die häusliche Scene ihr erspart geblieben. Käthe sprach fast gar nicht, und als die Stunde kam, in der sie mit Horst sich zum Spazierritt mit dem Prinzenpaare zurechtmachen mußte, atmete sie wie befreit auf. Tante Kuki hatte sich wohl oder übel in das Arrangement finden müssen, denn sie kannte die Hofetikette, wenn sie dieselbe auch rücksichtslos gegen ihre Person fand. Doch daran war nichts mehr zu ändern, und sie begnügte sich damit, Käthe dafür zu tadeln, daß sie überhaupt ritt, fand ihr Reitkleid zu kurz und ihre Stiefeln zu hoch und einen Federhut wohlanständiger als den eleganten Cylinder. Da Käthe die gerügten Übelstände weder sofort korrigierte, noch deren Abstellung für die Zukunft verhieß, setzte Tante Kuki ihre verschnupfteste Miene auf. Begleitet von diesem lieblichen Bilde ritt das junge Paar davon.
Doch so heiter und liebenswürdig der Prinz von Nordland und seine reizende junge Gemahlin waren, und so fröhlich, ja fast übermütig sonst dieses Quartett auf seinen Spazierritten zu sein pflegte – Käthe war heut' zum erstenmal in ihrem Leben einsilbig, ja fast melancholisch, und als dann im schattigen Walde die Prinzessin mit Graf Kirchwald die Tete nahm, da sah der Prinz seine Partnerin eine Weile lächelnd an und sagte dann:
»Nun 'mal 'raus mit der wilden Katze, Gräfin: was fehlt Ihnen? Aber sagen Sie, bitte, nicht ›nichts,‹ ich muß sonst glauben, der erste eheliche Zwist habe Sie dergestalt verändert, daß Sie heute zum erstenmal ungenießbar sind!«
Käthe seufzte und ließ den Kopf hängen.
»Nein, Hoheit, wir haben uns noch immer nicht gezankt,« erwiderte sie düster, »aber das hängt schon in der Luft wie das Schwert des Buchbindermeisters Kleister. Und wenn das Haar reißt, und es muß reißen, dann wird's auch ein großartiger Zwist, Hoheit, der nur mit Trennung, Scheidung, Vergiftung und was weiß ich sonst noch enden kann. Drunter werden wir's gar nicht leisten können.«
»Und wie heißt die Parze, die das Haar, an welchem das Schwert hängt, durchschneiden wird?« fragte der Prinz gespannt.
»Parze ist gut, Hoheit,« sagte Käthe lobend. »Und die Parze heißt Tante Kuki.«
»Gott bewahre, wer ist denn das?«
»Habakukine, unverehelichte Gräfin von Kirchwald und Tante meines Herrn und Gebieters,« erklärte Käthe ernst. »›Überraschend wie zumeist, kommt die Tante angereist,‹ singt Wilhelm Busch, und so kam sie denn heut' an, den Frieden unserer Ehe und unseres Hauses zu stören, mich post festem zu erziehen und meinem Manne als Hochzeitsgeschenk einen Floh ins Ohr zu setzen.«
»Das ist ja höchst interessant,« rief der Prinz, »das müssen Sie mir ausführlicher erzählen, Gräfin!«
»Was nützt's?« meinte Käthe melancholisch. »Oder haben Hoheit vielleicht ein Rezept gegen solche Tanten in petto?«
»Nun wer weiß –,« war die lächelnde Antwort.
Wie elektrisiert richtete Käthe sich im Sattel auf, und in ihren Augen begann es zu leuchten.
»Hoheit!« rief sie lebhaft, »wär's möglich? Nein, wenn Hoheit solch ein Hexenmeister wären – – –! Meine schönste Fuchsrute gäbe ich her, wenn Hoheit mich aus der Sackgasse herausholten, mich gründlich und für immer von Tante Kuki befreiten –«
»Das ist freilich viel verlangt und wäre würdig, als Vorwurf für eine dreizehnte Arbeit des Herkules zu dienen. Aber mich haben große Aufgaben immer gereizt, und den Preis, den Sie mir verheißen, nehme ich an, Gräfin! Diese Fuchsrute würde die schönste meiner Trophäen sein, wenn auch nicht im roten Felde errungen, so doch in Ihrem Dienste!«
»Papperlapapp,« sagte Käthe ungeduldig und mit gänzlicher Ignorierung der Etikette. »Was ich versprochen habe, habe ich versprochen und werde es hergeben, auch ohne, daß ich beim point d'honneur genommen werde. – So 'ne schöne Fuchsrute! Und nie eine Motte drin gewesen!«
»Diese letztere Versicherung spornt meinen ganzen Eifer an,« versicherte der Prinz ernsthaft, doch zuckte es verräterisch um seine Mundwinkel. »Vor allem aber beichten Sie, Gräfin!«
Und Käthe erzählte, schüttete das übervolle Herz aus und verweilte mit besonders ausgeprägtem Schmerze auf dem Hochzeitsgeschenk der Tante Kuki und der damit verknüpften Bedingung. Aufmerksam hörte der Prinz zu.
»Ja,« sagte er dann, »hier ist Rettung freilich dringend geboten. Erstens für Sie, Gräfin, denn wenn Sie Ihre gute Laune dabei verlieren, so wäre das ein Unrecht an der ganzen Menschheit, und dann Ihres Herrn Gemahls wegen.«
»Ach,« rief Käthe mit Thränen in den Augen, »schade was um mich! Mag Tante Kuki mich zum Muster nach ihrem Herzen drillen, ich will gern so sauertöpfisch und strietzig werden, wie sie will, wenn nur mein Mann nicht in ihre Schlinge geht!«
»Nein, er paßt meiner ehrlichen Überzeugung nach nicht zum Landwirt,« meinte der Prinz nachdenklich. »Und dann – ich könnte Ihnen was sagen, Gräfin, aber ich darf nicht – Amtsgeheimnis u. s. w., na, Sie werden ja schon verstehen!«
Käthe machte große Augen!
»Ja?!« sagte sie flüsternd wie ein Kind, wenn von der Weihnachtsbescherung die Rede ist. »Ach Hoheit, Hoheit, helfen Sie mir, bitte, bitte! Denn sehen Hoheit: die Lockung ist ja groß. – Mein Mann sagt, das Gut wäre eins der schönsten, die es giebt und – und – er ist schon halb und halb entschlossen, zu thun, was die Tante wünscht.«
»Geld und Gut sind eben eine Macht, Gräfin,« meinte der Prinz.
»Was kümmert mich Geld und Gut!« rief Käthe verächtlich. »Ich mache mir nichts daraus – die Schlinge würde der Teufel mir umsonst legen. Ja, ja, ich weiß schon: ›Reichtum ist keine Schande und Armut macht nicht glücklich,‹ aber mich dafür verkaufen – nimmermehr!«
»Ihr Herr Gemahl denkt eben auch an die Zukunft,« erwiderte der Prinz, über Käthes Eifer lächelnd. »Doch wie gesagt, ich bin ganz Ihrer Meinung, und was ich thun kann, Ihnen zu helfen, das soll sicherlich geschehen. Das erste und nächste wäre, daß ich persönlich versuchte, Tante Kuki von ihrer Bedingung abzubringen!«
»Das wäre unbeschreiblich nett, Hoheit! Aber ich fürchte, es wird eine Sisyphusarbeit, denn Tante Kuki scheint mir obstinat und stätsch zu sein wie – wie – nein, nein, ich schlucke meinen Vergleich ja schon herunter!«
»Ja, offen gesagt, verspreche ich mir auch nicht viel davon,« erwiderte der Prinz, »denn das ist nun einmal eine charakteristische Eigenschaft älterer, unverheirateter Damen –«
»Gott, wie elegant ausgedrückt, Hoheit!«
»– – unverheirateter Damen, daß sie ihre Geschenke gern mit Bedingungen austeilen. Das macht die Sache zur Generalfrage und giebt ihr eine Wichtigkeit in aller Augen. Aber es macht nichts, ich werde dennoch versuchen, mit einem Siebe nach berühmten Mustern Wasser in ein bodenloses Faß zu schöpfen, denn erstens giebt mir das Gelegenheit, das Terrain gründlich zu rekognoszieren und zweitens verschafft es uns die nötige Zeit zu einer Haupt- und Staatsaktion. Also Gräfin, fort mit diesem Schleier düsterer Melancholie, der Ihnen steht, wie –«
»Wie einem Nilpferde ein Kleid von Worth,« half Käthe dem Prinzen aus dem reichen Schatze ihrer Vergleiche aus.
»Auch das. Hier gilt jeder Vergleich. Denn Sie und Melancholie: ein ganz unmögliches Ding! Also nochmals: den Mut nicht sinken lassen, noch ist Polen nicht verloren, noch sind Ihre Freunde da, sich Ihrer würdig zu zeigen, und: ceterum censeo, Carthaginem esse delendam! Wir, die beiden Verschworenen, verstehen, was unter dieser Formel gemeint, und daß Tante Kuki mit Karthago identisch ist!«
Mit einem Jubelruf schlug Käthe in die dargereichte Hand des Prinzen ein, Feuer und Flamme für den Feldzug, der ihr damit verheißen wurde, und als Graf Kirchwald und die Prinzessin sich ob dieses Jubelrufs ganz erstaunt umwandten, da schwenkte Käthe ihren Hut und lachte so hell und frisch, daß die anderen einstimmten, ohne zu wissen warum, denn es wirkt nichts ansteckender, als solch ein lustiges, ungekünsteltes Lachen.
»Ja um alles, was giebt es denn?« fragte die Prinzessin heiter.
»Ein Komplott,« rief Käthe lustig zurück.
Kirchwald, dem Käthes Niedergeschlagenheit längst schon ein Stich ins Herz gewesen war, atmete tief auf.
»Das wäre noch eine Rechtsfrage,« meinte er, »ob eine Ehefrau ohne Einwilligung ihres Ehemannes sich in ein Komplott einlassen darf.«
»Wenn sie aber damit das Glück ihrer eigenen Ehe retten will?« fragte Käthe zurück, den ganzen Übermut alter Tage in den leuchtenden Augen.
»Na, dann fragt sich's doch noch, ob der Ehemann das Glück für bedroht ansieht,« sagte Kirchwald, dem es zu dämmern begann.
»Du, selbst die Götter des Olymps waren manchmal mit Blindheit geschlagen,« versicherte Käthe treuherzig.
Die Prinzessin, die indessen nicht ohne Glück versucht hatte, Kirchwald über Käthes seltsame Verstimmung auszuhorchen, lachte, und der Prinz rief: »Wir trotzen allen feindlichen und freundlichen Einflüssen, und unsere Devise ist, neben einem nur uns verständlichen Kriegsrufe: durch dick und dünn! Intrigante Seelen wie wir sind, wollen wir nun einmal komplottieren, und da Sie, lieber Kirchwald, der Gewinnende dabei sein sollen, so haben wir beschlossen, jedes von Ihnen gestammelte ›wenn und aber‹ glänzend zu ignorieren!«
»Glänzend zu ignorieren!« bestätigte Käthe, strahlend und bildschön in der Vorfreude des Kampfes, zu dem sie sich rüstete wie die Walküren Wotans.
»Und,« fuhr der Prinz fort, »da wir der Ansicht huldigen, daß frische Fische immer gute Fische sind, ganz abgesehen davon, daß man das Eisen schmieden soll, so lange es warm ist, so sage ich mich, des Einverständnisses meiner Frau sicher, mit dieser heut' Abend bei Graf und Gräfin Kirchwald zum Thee an!«
»Ah, charmant!« rief die Prinzessin, »das paßt ja herrlich, da wir heut' ganz über unsere Zeit zu verfügen haben. Wir kommen also um acht Uhr und bringen meine Hofdame, Ihre Nachfolgerin im Amte, liebe Gräfin, mit.«
»Pardon, wenn ich widerspreche, liebe Olga,« fiel der Prinz ein, »aber ich bin der Ansicht, daß wir Fräulein von Dornberg heut' Abend freie Verfügung über ihre Zeit lassen. Ich brauche heut' stärkeres Geschütz und werde mir die Begleitung des Kammerherrn von Diestelcamp erbitten!«
»Ah!« machte Käthe mit großen Augen.
»Und er heißt mit Vornamen: Habakuk!« fügte der Prinz mit tiefem Tone hinzu.
»Ah!« machte Käthe wieder, diesmal aber ganz atemlos. Dann aber lachte sie wieder, lachte, daß sie sich auf den Hals ihres Pferdes beugen mußte, lachte, daß es nur so durch den stillen Wald schallte, und schrie dann in hellem Entzücken auf.
»Kostbar sind Sie, Hoheit, geradezu ein Unikum!«
»Aber Käthe,« murmelte Kirchwald ganz verlegen, und die Prinzessin rief hell auflachend:
»Lassen wir die beiden, Graf, und setzen wir unseren Ritt fort. Mir scheint, als ob man uns doch nicht ganz in diese Mysterien einzuweihen gedenkt, und vielleicht ist's auch besser, wenn wir ›ahnungslos und reine Thoren‹ ein wenig abseits stehen von diesem höchst verdächtig schwarzen Komplotte. Nur um eins bitte ich: nicht zu toll, liebe Käthe!«
»Aber Hoheit,« entgegnete diese strahlend, »dafür bürgt doch die Teilnahme des Prinzen!«
»Eh – wer auf die Brücke tritt!« machte die Prinzessin abwehrend, indem sie ihrem Gemahl mit den Augen zuzwinkerte und eine kleine Grimasse machte – – ein Gesicht schnitt, wie Käthe behauptete.
Und auch Graf Kirchwald konnte einen vorwurfsvollen Blick nicht zurückhalten.
»Das Vertrauen meiner Frau müßte Hoheit eigentlich tief rühren,« meinte er flehend, »denn wenn ich an die Einquartierung in Hellberg zurückdenke –«
»Nein, so alte Geschichten!« rief Käthe und wurde rot. Doch der Prinz legte ganz ernsthaft die Hand auf die Brust und sagte:
»Das war eben was ganz besonderes, lieber Kirchwald, und ich gelobte Ihnen, die Hummermayonnaise nur im äußersten Notfalle als Kitt zu einer ewigen Freundschaft zu benutzen!« Der geneigte Leser wird zum näheren Verständnisse dieser mysteriösen Worte auf die Humoreske: »Der Bärenführer« in dem ersten Bande des Cyklus »Komtesse Käthe« hingewiesen. D. V.
Kirchwald merkte wohl, daß hier nichts weiter zu machen war, und in der heitersten Stimmung beendete man den gemeinsamen Spazierritt.
Zu Hause angekommen, sprang Käthe singend die Treppe hinauf, als gäbe es in der Welt keine Tante Kuki. Doch die kam ihnen schon entgegen in sichtlich schlechter Stimmung.
»Wie vulgär, auf der Treppe zu singen,« tadelte sie auch sofort. Käthe aber rief lustig:
»Bitte Tante, zum Predigen ist jetzt keine Zeit, denn ich muß mich mit größter Schnelligkeit umziehen und noch rasch einiges besorgen, weil der Prinz und die Prinzessin sich bei uns zum Thee angesagt haben!«
»Mein Gott, da muß ich ja auch –« sagte Tante Kuki aufgeregt, »und dazu Lisette in einem ganz unbrauchbaren Zustande – – – doch ich verstehe, ich bin wohl gebeten, mich in mein Zimmer zurückzuziehen, nicht?«
»Na, das fehlte noch,« sagte Käthe entsetzt. »Im Gegenteil, der Prinz brennt ja darauf, dich kennen zu lernen!«
»Brennt?« fragte Tante Kuki zweifelnd.
»Lichterloh!« versicherte Käthe.
»Ja, dann werde ich mich wohl auch etwas zurechtmachen müssen,« meinte Tante Kuki plötzlich in sehr guter Laune. »Wenn ich das nur früher gewußt hätte –!«
Kirchwald beeilte sich, zu versichern, daß sie's eben selbst erst erfahren hätten. Käthe stob indes davon, und zwar zunächst nach der Küche, um mit Frau Schnörkel einen Staatsrat abzuhalten. Sie fand das alte Faktotum sehr absprechend vor, denn, wurde ihr vertraut, »die olle Komtesse wäre inzwischen bei ihr gewesen und hätte wenig gelobt, aber viel getadelt und gute Ratschläge gegeben. »Der Kompost – womit Frau Schnörkel unweigerlich das Kompot bezeichnete, wäre ihr zu süß gewesen und der Salat zu wenig sauer, und die Koteletten liebte sie gebacken und nicht gebraten, und Schleien lägen ihr allemal im Magen, aber Aal liebte sie sehr, als ob der grade von Biskuit wäre!«
Käthe gab ihrer ehemaligen Kinderfrau aber einen Kuß auf die runzlichen Wangen und tätschelte sie und schmeichelte, bis Frau Schnörkel ihre junge Herrin zur Küche hinausschob und ihr schwor, daß alles gut und ordentlich sein würde, so wahr sie Schnörkeln hieße.
Aufatmend über den gewonnenen Sieg, huschte Käthe in das Schlafzimmer, um sich umzukleiden, und während sie ihre jugendschöne Gestalt in ein Kleid von weichem, weißem Wollstoff hüllte, sagte sie leise vor sich hin:
»Na, warte, Tante Kuki, ich werde dich lehren, hier zu hetzen, zu petzen und zu dominieren. Jetzt heißt's die Zähne zusammengebissen und den Humor nicht verlieren!«
Trotz dieser guten Vorsätze wurde der Humor Käthens doch arg ins Wanken gebracht, denn als kurz vor acht Uhr Tante Kuki im eleganten grauseidenen Kleide erschien, eine Theerose in den Kaiserin-Eugenien-Locken, da war ihr erstes Wort: »Den Platz am Theetisch wirst du mir heut' Abend überlassen, liebes Kind! Reifere Personen versehen ihn gemeiniglich mit weit mehr Grazie und Würde, als junge und fahrige Wesen, die von der Poesie des Theetisches keine Ahnung haben.«
»Darauf kommt's ja gar nicht an,« gab Käthe zornbebend zurück. »Hier bin ich aber die Hausfrau!«
Tante Kuki lachte leise und melodisch auf – eine Sorte von »Theaterlachen,« die Käthe überhaupt haßte.
»Zur Hausfrau wirst du noch viel zu lernen haben, liebes Kind,« war die kühle Erwiderung. »Danke dem Himmel, der eine erfahrene und weltgewandte Anverwandte auf deinen Platz stellt, und begnüge dich damit, als hübsches junges Lärvchen den Salon zu zieren. Sind wir erst in Steinbach, dann stehe ich ja doch so wie so an der Spitze des Haushaltes!«
»Nu eben,« meinte Käthe trocken. »Das habe ich mir ja gleich gedacht. Und was darf ich dann dort machen?«
»Du?« Tante Kuki begann ein Liedchen zu trällern. »Nun, du bist eben die Zierde des Salons!«
»Schönen Dank für das Kompliment,« erwiderte Käthe, der der Humor wieder kam. »Und dann?«
»Dann?« Tante Kuki zog die Augenbrauen in die Höhe. »Nun, ihr werdet ja voraussichtlich auch Kinder haben, die dich zunächst an die Kinderstube fesseln werden, bis sie soweit sind, daß ich die Leitung ihrer Erziehung übernehme.«
»Und dann?« fragte Käthe noch einmal.
»Dann werde ich sie zu Mustermenschen erziehen, dessen sei sicher.«
Und damit setzte sich Tante Kuki an den offenen Flügel und begann das »Frühlingslied« von Mendelssohn zu spielen.
»So, nun weiß ich genug,« murmelte Käthe vor sich hin. »Jetzt, Tante Kuki, jetzt giebt es einen Krieg bis aufs Messer. Und wenn ich auch glaube, Horst wird es nicht dulden, daß du mich in dieser Weise kalt stellst, so hat er doch deine Kette um den Hals und muß an der tanzen, wie ein dressiertes Murmeltier, wenn wir diese Kette nicht beizeiten zerreißen. ›Auf in den Kampf, Torero, Mut in der Brust, siegesbewußt!‹«
Damit ging sie leise in den Korridor hinaus und traf dort ihren Gatten. »Du, Horst,« tuschelte sie ihm zu, »sie hat mir eben gütigst meinen Platz als Hausfrau in deinem Hause abgenommen und mir gesagt, daß sie unsere Kinder erziehen wird. Aber, ehe ich das dulde, eher erwürge ich die armen Würmer mit eigenen Händen!«
»Donnerwetter,« sagte Kirchwald, man wußte nicht, ob im Entsetzen über Tante Kuki oder über das Schicksal seiner Kinder, die er noch nicht einmal hatte. Käthe aber schlüpfte in die Speisekammer, nahm einen hohen, engen Topf, füllte ihn bis beinahe zum Rande mit Erbsen, goß dann Wasser hinein und schlich vorsichtig mit ihrer Last bis an die Thür des Fremdenzimmers, die nur angelehnt war. Lisette befand sich nicht darin, und Käthe huschte leise hinein, stellte ihren Topf hart an den Rand auf einen ungewöhnlich hohen, alten Kleiderschrank und verließ ebenso leise und ungesehen das Zimmer.
»So, nun wünsche ich dir eine geruhsame Nacht, Tante Kuki,« murmelte sie, machte der Thür noch einen wild-graziösen Knicks und stürmte in den Korridor zurück. Da hörte sie wie Kirchwald unten eben seine Gäste begrüßte, denen sie nun ihrerseits auch entgegenflog. Hatte Kirchwald vorher gefunden, daß der Rede Sinn seiner Gattin etwas dunkel war, so wurde er sehr bald erleuchtet, als er sah, wie Tante Kuki ohne weiteres die Pflichten der Hausfrau am Theetische übernahm. Er wechselte mit Käthe einen Blick, Käthe sah den Prinzen an, und dieser schlug die Augen nieder mit einer Miene, die ihr trostreich zu sagen schien: »Sei ruhig, ceterum censeo, Carthaginem esse delendam ist nicht vergessen.«
Aber Tante Kuki strahlte indessen, denn sie war sichtlich die Gefeierte des Abends. Der Prinz unterhielt sich lange und eingehend mit ihr, und wer ihr überhaupt nicht von der Seite wich, das war der Kammerherr von Diestelcamp, dessen Bekanntschaft wir in »Syndetikon« ja schon gemacht haben. Er litt immer noch an seinem chronischen Schnupfen, aber seit ihm seine Brautwerbung um Käthe nicht gelungen war, hatte er sich, was seine äußere Person betraf, auf die leichtsinnige Seite gelegt und trug sich nun, wenn auch nicht gerade gigerlhaft, so doch immerhin auffallend jugendlich, auch hatte er sich eine neue Perücke zugelegt, mit ganz kurzen Haaren à la brosse frisiert, die ihn zwar nicht jünger machte, aber doch eine gewisse »Schneidigkeit« hervorbrachte. Es war, als wollte er nun mit seinem äußeren Menschen für Käthe ein gewisser wandelnder Vorwurf sein, der ihr zu sagen schien: »Siehste, so'n Kerl bin ich! Und du warst thöricht genug, den zu verschmähen.«
Nach dem Abendbrot, das übrigens der guten Frau Schnörkel alle Ehre machte, fand Herr von Diestelcamp Gelegenheit, ungehört von den andern einige Worte mit seiner jungen Wirtin zu wechseln.
»Sie müssen die Gnade haben, Gräfin,« sagte er, »mir einige Aufklärungen zu geben. Ehe wir nämlich hierherkamen, hat die Prinzeß mich rufen lassen und es sich als eine ihr persönlich zu erweisende Liebenswürdigkeit in den gnädigsten Worten von mir erbeten, ihr einen ›großen‹ Dienst, wie sie es nannte, zu erweisen. Und wissen Sie, worin der bestehen soll? Sie hat mich unter Handschlag verpflichtet, täglich, so lange Ihre Gräfin Tante bei Ihnen ist, Ihr Haus zu besuchen, um letzterer Gesellschaft zu leisten! Auf meine Bemerkung, daß Sie ja eigentlich die Nächste dazu wären, meinte die Prinzessin, Ihre Gräfin Tante wäre etwas ›komisch‹, und wie gesagt, ich verstünde ja schon und thäte ihr den größten Dienst damit.«
»Ja, was soll ich denn dabei noch erklären?« fragte Käthe lachend, denn die Idee der Prinzessin, oder eigentlich die des Prinzen schien ihr ganz herrlich und zweckentsprechend.
»Hm,« machte Herr von Diestelcamp, mit seinem Stockschnupfen kämpfend, »man kann nicht leugnen, daß die Sache für mich noch ihre dunklen Seiten hat. Erstens: Warum können Sie Ihre Gräfin Tante nicht unterhalten?«
»Weil Sie sich von mir nicht unterhalten läßt. Ich bin ihr viel zu dumm und zu jung dazu,« erklärte Käthe.
»In der That!« rief Herr von Diestelcamp erstaunt. »Und weshalb nannte die Prinzessin Ihre Gräfin Tante ›komisch?‹ Ich erwartete in ihr eine Karikatur von einer alten Jungfer zu finden, mit etwas untraktablem Charakter, und finde nun eine sehr vornehm und sehr angenehm aussehende ältere junge Dame mit gereiften und gediegenen Lebensanschauungen. Was ist da komisches dabei?«
»O,« machte Käthe, »das ist nur so ein Wort zur Bezeichnung von – – na ja, von Eigentümlichkeiten, die Tante im Verkehr mit nahen Verwandten, in specie mit angeheirateten Nichten zu entfalten pflegt. Nun sind aber angeheiratete Nichten auch bloß Menschen, sehen Sie, mit Auflehnungsgelüsten gegen tantliche Übergriffe! Na, da Tante aber doch nun mal Gast ist, so soll Friede ›unser erst' Geläute‹ sein, und je mehr Tante Zerstreuung und Ablenkung hat, destomehr ist auf diesen ersehnten Frieden zu rechnen. Und wenn Sie, lieber, guter Herr von Diestelcamp uns dazu verhelfen könnten, so wäre unbegrenzte Dankbarkeit unsererseits Ihr schönster Lohn!«
Herr von Diestelcamp nieste.
»Wie beredt Sie sein können, Gräfin,« sagte er mit nassen Augen – nicht aus Rührung, sondern des Schnupfens wegen.
Als der Prinz und die Prinzessin bald darauf aufbrachen, flüsterte der Prinz seiner Verbündeten zu:
»Ich habe recht gehabt, und Sie auch natürlich: die Tante Kuki läßt sich die Abschiedsidee Ihres Herrn Gemahls nicht ausreden. Sie hat mir, und wie ich hörte, auch unserem guten Kammerherrn des längeren und breiteren auseinandergesetzt, daß die inneren Pflichten äußeren Vorteilen und weltlichen Verlockungen nicht weichen dürften. Ich habe gethan, was ich konnte, und das Resultat ist gleich Null!«
»Natürlich – bei Tante Kuki kann man sich, glaube ich, den Mund fußlig reden und es nutzt doch nichts. Die ist eben nun mal stätsch!« sagte Käthe verächtlich.
Und sie versuchte, nachdem Tante Kuki sich mit einigen Seitenhieben auf Käthe zur Ruhe begeben hatte, selbst ihr Heil bei ihrem Gatten, doch der Dämon des Besitzes hatte sich schon fest bei ihm eingenistet, und er hatte hundert Widerlegungen für jedes von Käthes Bedenken. Über die Idee, daß Tante Kuki Käthe in der von ihr selbst geschilderten Art behandeln würde, lachte er nur und meinte, dazu wäre er doch da, um das zu verhindern und schließlich wäre Käthe doch durchaus nicht so hilflosen Charakters, um sich ohne Widerstand unterdrücken zu lassen, und darin hatte er wieder recht. Kurz, als Käthe endlich todmüde und unglücklich schlafen ging, hatte sie eigentlich nichts erreicht.
Am anderen Morgen erschien Tante Kuki übernächtig und übellaunig beim Frühstück und gestand endlich auf eindringliches Befragen, daß es in ihrem Zimmer »umgehe.« Sie hätte die ganze Nacht nicht schlafen können, denn eine unsichtbare Hand hätte fortwährend Erbsen in ihrem Zimmer gestreut. Es hätte lange gedauert, ehe sie sich entschlossen hätte, Licht zu machen, um die Ursache des unheimlichen und nervös machenden Geräusches in ihrem Zimmer zu ergründen, hätte endlich Lisette gerufen und mit ihr alles untersucht, doch nichts gefunden, was als eine natürliche Ursache anzusehen gewesen wäre, und so müsse sie sich wohl der Ansicht zuneigen, daß Geisterhände im Spiel gewesen. Lisette hätte sich übrigens so gefürchtet, daß sie, Tante Kuki, not gehabt hätte, die Arme zu beruhigen.
Kirchwald hörte den Bericht kopfschüttelnd an, und Käthe stürmte hinaus, um sich durch den Augenschein von dem eben gehörten zu überzeugen. Richtig, da lag der ganze Erbsensegen, von Lisette zusammengefegt, auf einem Häufchen. Während die Kammerjungfer hinausging, eine Kehrichtschaufel zu holen, nahm Käthe schnell den bewußten Topf mit dem Rest der Erbsen, die trotz Aufquellens nun nicht mehr hinausspringen konnten, weil sie das Plus ihrer Kameraden schon hinausbefördert hatten, und verbarg diesen Zeugen ihrer That schleunigst.
Kirchwald mußte bald darauf zum Vortrag aufbrechen, doch als Käthe ihn, wie gewohnt, herabbegleitete, nahm er sie des Erbsenspukes wegen ins Gebet.
»Käthe, das hast du gethan,« sagte er vorwurfsvoll.
»Richtig,« gestand diese lachend.
»Das darf nicht mehr vorkommen.«
»Im Gegenteil,« versicherte Käthe. »Die nächste Nacht lasse ich sie schlafen – Gott, ich bin ja so rücksichtsvoll! Aber übermorgen giebt's wieder Erbsen und so fort, bis sie's satt kriegt und die Flucht ergreift. Rache ist süß. Zwickt sie mich, zwick' ich sie! Du siehst ja, wie sanft und elegisch sie heut' morgen ist – zum Zweck der Verteidigung gilt eben jedes Mittel.«
»Nun, wir reden schon noch darüber,« meinte Kirchwald lächelnd.
»Sag' mir was bessres und ich lasse die Erbsen,« meinte Käthe lustig.
Tante Kuki war heut' sanft und elegisch, darin hatte Käthe recht, aber das verhinderte sie nicht, in leiser aber ohne Unterbrechung fließender Rede, Käthens Benehmen vom Abend vorher zu tadeln und ihr umfassende Belehrungen auf diesem Gebiet zu teil werden zu lassen.
Käthe ihrerseits, geschwellt von Befriedigung über ihren gelungenen Streich und in Erwartung der Dinge, die ja kommen mußten, hörte scheinbar andächtig zu, dachte dabei aber an ganz andere Sachen.
Um elf Uhr erschien der Kammerherr von Diestelcamp, um die Damen zu einem »kleinen Spaziergange« aufzufordern. Das gab der Sache nun nach Käthens Ansicht eine »feine« Wendung, die zur reinen Raffinade wurde, als der Kammerherr der Gräfin Kuki von seiten der Herzogin sagte, daß die hohe Dame ihre Bekanntschaft zu machen wünschte und sie zu diesem Zwecke morgen empfangen wollte. Das gab nun einen schönen Spaziergang für das junge Paar, das unbehelligt den Spuren der strahlenden Tante Kuki folgen durfte, die an der Seite des Kammerherrn voranschritt und sich herrlich mit diesem zu unterhalten schien. Das Mittagbrot verlief infolgedessen auch ganz ruhig, und als die gute Laune am Nachmittage gerade wieder nachzulassen begann, da erschien wiederum der Kammerherr als rettender Engel zum gemütlichen Theestündchen und um sich zu erkundigen, wie den Damen der Spaziergang bekommen sei.
»Nun, ist unser Prinz nicht ein herrlicher Freund?« fragte Käthe selig ihren Gatten.
»Ah – also das ist das Komplott?« lachte dieser. »Käthe, aber eins sage ich dir: Tante Kuki hört das Gras wachsen und ist mißtrauisch wie ein Kolkrabe: wenn sie den Braten merkt, dann wehe uns!«
»Ach, woher soll sie denn das merken?«
»Na, und dann wird der Kammerherr die Geschichte doch auch mal satt kriegen!«
»Ein furchtbares Heupferd wäre er, Horst, wenn er's nicht thäte – aber weißt du, wir sprechen ja da auch nur von unserem Standpunkte aus. Vielleicht findet er Tante Kuki reizend. Über den Geschmack läßt sich nun mal nicht streiten.«
Die Sorge Kirchwalds war überflüssig, denn Tante Kuki merkte erstens nichts davon, daß diese krampfhafte Unterhaltung ihrerseits ein wohlarrangiertes Spiel war, und dann schien der Kammerherr auch nicht im mindesten gelangweilt von dem ihm aufgebürdeten Ritterdienste.
Die Vorstellung bei Hofe fand statt, Tante Kuki machte einen Thee bei der Herzogin und einen bei der Prinzessin mit, ließ sich von dem Kammerherrn spazieren führen, papelte über die Theetasse hinweg Dinge mit ihm, die sie nicht verstand, korrigierte und rüffelte Käthe wo sie konnte und wich nicht ein Haar breit von ihrem Verlangen ab, daß ihr Neffe zur Übernahme des Gutes den Abschied nehmen mußte.
Vom Abreisen sprach Tante Kuki überhaupt nicht und ihre Tyrannei im Hause wuchs mehr und mehr, so daß Käthe schon alle Hoffnung aufgab und wieder anfing melancholisch zu werden. –
Es war ein recht heißer, schwüler Tag, sonnenlos und gewitterdrohend, als der Kammerherr nachmittags kam und zum Spazierengehen aufforderte. Dazu hatte bei der Temperatur eigentlich niemand Lust, außer Tante Kuki, aber die wollte gehen und da galt kein Zaudern. Abgespannt von der drückenden Luft und verstimmt schlichen Kirchwalds hinter der Tante her, die neben dem Kammerherrn voranschwebte.
Und als man sich dem Schloßparke, dem Ziele der Wanderung näherte, da seufzte Käthe aus tiefster Brust.
»Du hast gut seufzen,« murrte Kirchwald mit düsterm Blick. »Was soll ich denn thun? Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer – – hol's der Fuchs, länger halte ich's auch nicht mehr aus.«
»Wie willst du denn das machen?« fragte Käthe gespannt.
»Na, wenn du's nicht weißt, wenn dir der Witz ausgegangen ist, was bleibt dann mir?« erwiderte Kirchwald verzweifelt. »Das habe ich, offen gesagt, nicht geglaubt, daß solch ein Unterschied darin ist, ob man als Junggeselle Tante Kuki gelegentlich besucht, oder ob man als Ehemann von ihr besucht wird. Übrigens – wenn's auch nicht zu leugnen ist, daß dein und des Prinzen gemeinsam ausgehecktes Mittel zur Beschäftigung der Tante seine unleugbaren Vorzüge hat, so hat es doch auch seine Gefahren, wie wir sehen, und daß man nie und nimmer, weder vormittags noch nachmittags und abends vor diesem ewigen Kammerherrn mehr sicher ist, das fängt an, mir mein eigenes Haus zu verleiden.«
»So! Wenn du damit erst anfängst, dann bin ich dir über – mir gehört überhaupt mein eigenes Haus nicht mehr,« seufzte Käthe.
»Und weshalb wir auf diesen dämlichen Spaziergängen auch noch jedesmal hinterdrein zumpeln müssen, das geht schon ganz über mein bissel beschränkten Unterthanenverstand,« begann Kirchwald nach einer Pause wieder ingrimmig.
»Da bin ich dir wieder über,« antwortete Käthe unwillkürlich lachend, »denn Tante Kuki hat mir das genau auseinander gesetzt. Sie erklärte mir nämlich, es wäre unpassend für eine unverheiratete Dame, mit einem unverheirateten Herrn allein spazieren zu gehen, und es wäre der Usus der Schicklichkeit, daß eine verheiratete Frau die Begleitung abgäbe. Und da habe ich mir nun wieder in meinem beschränkten Unterthanenverstande gedacht, daß es doch eigentlich ulkig ist, wenn man sich, wie ich, in seinem eigenen Hause wie ein unerzogenes und unmündiges Kind behandeln lassen, und auf der Straße mit seinen achtzehn Jahren eine reichlich reife alte Jungfer ›beschützen‹ muß. Na, wie gesagt, wenn Tante Kuki uns in Steinbach erst für immer besuchen wird, da werde ich schon noch manches dazu lernen. – Reißen wir doch mal aus!« schlug Käthe nach einer Weile vor.
»Kein schlechter Vorschlag,« lobte Kirchwald, »und ich thät's auch unbedingt, wenn es dir nicht nachher böse Stunden machte.«
»Na, über welches Thema das tägliche Pensum abgepredigt wird, das ist Jacke wie Hose, gehupft wie gesprungen,« sagte Käthe lachend. »Der Tag hat doch nun mal seine bestimmte Stundenzahl und läßt sich deswegen nicht ausdehnen wie ein Gummiband. Also wenn du wirklich Lust hast – – ich möchte zu gern wieder einmal wissen, wie es ist, wenn ich mit dir ohne Tante Kuki in die Konditorei gehe, um Eis zu essen!«
»Ganz mein Gedanke,« stimmte Kirchwald zu. »Wart', das wäre jetzt so der Moment zur schnöden Flucht!«
Tante Kuki und der Kammerherr verschwanden eben hinter der Mauer, welche sich dem breiten Schloßgartenportal anschloß. Kirchwald und Käthe ließen das Paar erst einige Schritte weiter gehen, um sich zu vergewissern, daß man sich nach ihnen nicht umdrehte, dann legten sie im Sturmschritt eine kurze Strecke zurück und verschwanden in der nahegelegenen Konditorei. Kirchwald bestellte Käthes geliebtes Panacee-Gefrorenes und sich selbst einen Eiskaffee, und bald saßen die beiden seelenvergnügt an einem der kleinen Marmortischchen, Tante Kuki vollständig und ausschließlich dem Schutze des Kammerherrn anvertrauend. Käthe hatte ihr Eis noch nicht ausgelöffelt, als es plötzlich anfing zu donnern und einige schwere Regentropfen gegen die Scheiben klatschten, und es dauerte gar nicht lange, da tobte ein herzhaftes Gewitter über der Residenz, und dazu goß es aus des Herrgotts großer Gießkanne vom Himmel herab, was es konnte.
»Der Kammerherr hat wie gewöhnlich einen Regenschirm mit und Tante Kuki einen Entoutcas,« sagte Käthe ruhig, als Kirchwald sich die zu reißenden Strömen angeschwollenen Gossen betrachtete. »Das war aber schlau von uns, daß wir das Sturzbad nicht mitgenommen haben.« Dann aß sie mit Seelenruhe noch ein köstliches Schaumtörtchen. – Allmählich ließ der Regen nach, das Gewitter verzog sich und bald lachte die liebe Sonne sogar wieder auf die erquickte Erde herab. Kirchwalds schlenderten nun gemütlich von dannen und ihrem Hause zu, ohne sich weiter auf das Donnerwetter vorzubereiten, das sie dort erwartete. Zu Hause angelangt, fanden sie Tante Kuki nicht vor. Nach einem halben Stündchen kam sie aber, etwas durchnäßt vom Regen, von dem sie ein reichlich bemessenes Teil erwischt haben mußte, hingegossen in eine Droschke und begleitet von dem dito stark verregneten Kammerherrn, der seine holde Schutzbefohlene nun an Kirchwald übergab, um dann in der Droschke nach Hause zu fahren und durch den Wechsel der Kleider dem verfrühten Ausbruche der Nieseperiode seines Schnupfens vorzubeugen.
»Wo seid ihr geblieben,« war Tante Kukis erstes Wort, als sie im Zimmer stand.
»Wir haben uns auf polnisch gedrückt,« erklärte Kirchwald heiter. »Es war ja eigentlich ein Kinderstreich, Tante, aber du wirst auch seinen Humor zu würdigen wissen.«
»Ich weiß es zu würdigen, wie unerhört rücksichtslos, respektlos und pietätlos ich von euch behandelt werde,« war die scharfe Entgegnung, »aber das beiseite gesetzt, worüber ich mich nachher noch äußern werde, so danke ich es euch, daß ich für den Rest meines Lebens unrettbar kompromittiert worden bin?«
»Kompromittiert?« fragte Kirchwald erstaunt.
»Ja, kompromittiert, entwürdigt, moralisch vernichtet,« begann Tante Kuki sich zu ereifern. »Ahnungslos, ein gläubiges, vertrauendes Geschöpf, wandle ich in Seelenruhe dahin, um mich plötzlich, im einsamen Schloßgarten schnöde und hinterlistig verlassen zu sehen, allein mit dem Kammerherrn, preisgegeben der bösen Zunge des ersten besten uns Begegnenden!«
»Pardon, liebe Tante, aber das begreife ich nicht ganz,« erwiderte Kirchwald sehr ruhig. »Es wäre ungemein gütig von dir, mir das zu erklären, nur muß ich dich bitten, dabei in der Erwähnung unserer Personen mit etwas mehr – Rückhalt zu sprechen.«
»O, ich finde gar keine Worte, euer Benehmen genügend zu kennzeichnen,« rief Tante Kuki immer erregter werdend. »Ich finde keine Bezeichnung, um zu erläutern, was ich empfand, als ich mich plötzlich, meiner Ehrengarde beraubt, allein sah mit einem Herrn, der zwar ein Kavalier, aber doch unverheiratet, kompromittierend ist als Gesellschaft für eine Dame, die noch bei weitem nicht zu den alten zählt! Und dieser schrecklichen Erkenntnis folgt der strömende Regen, und ich bin gezwungen, mit Herrn von Diestelcamp Schutz zu suchen in einem einsamen Pavillon, den zum Überfluß später auch noch andere aufsuchten und sich an meiner Verlegenheit weiden konnten! O, eine unerhörte Schmach ist mir geschehen. Ich weiß nicht, wo ich mein Angesicht vor den Menschen verbergen soll!«
Kirchwald warf Käthe kopfschüttelnd einen Blick zu, der ernstliche Besorgnisse über den geistigen Zustand der Tante Kuki ausdrückte. »Das verstehe ich immer noch nicht,« sagte er hilflos. »Ich kenne Herrn von Diestelcamp doch schon längere Zeit – – – ja, hat er sich denn in irgend welcher Weise tadelnswert dir gegenüber benommen?«
Tante Kuki warf ihrem Neffen einen vernichtenden Blick zu.
»Ich hatte bereits die Ehre, dir zu sagen, daß Herr von Diestelcamp ein Kavalier ist, von dem du nur lernen könntest!«
»Ja, dann begreife ich die ganze Sache erst recht nicht,« gestand Kirchwald achselzuckend ein. »Daß wir uns heimlich entfernten, das heißt, ohne es erst vorher zu sagen, das bitten wir zu entschuldigen. Warum du aber nicht einmal allein mit Herrn von Diestelcamp spazieren gehen konntest, das fasse ich nicht!«
»Nein, ihr faßt es nicht, weil unsere heutige Generation verroht ist und die Frauen emanzipiert sind und nicht begreifen, wie einer jungfräulichen Seele zu Mute ist, wenn sie sich schutzlos weiß,« klagte Tante Kuki. »Nun, zerbrecht euch über dies Problem die Köpfe nicht – es geht ja doch über euer Begriffsvermögen. Ich aber ziehe mich jetzt zurück, um in der Stille meines Zimmers die mir widerfahrene Schmach zu beweinen.«
»Na, ich werde ihr das Vergnügen nicht zu trüben versuchen,« versicherte Kirchwald seiner Frau, als Tante Kuki, die wie ein naß gewordener Riesenspatz aussah, das Zimmer verlassen hatte, »alles was rechts und links ist, wie dein guter Vater zu sagen pflegt, aber das geht doch über den Spaß, sich so Tag für Tag wie einen dummen Jungen herunterputzen zu lassen. Das ist selbst für ein Geschenk wie Steinbach zu viel!«
»Aha,« sagte Käthe trocken. »Fängt's dir an zu dämmern, Horst?«
Da wurde Kirchwald ganz rot unter dem Blicke aus den schönen Augen seiner jungen Frau, und ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer.
* * *
Tante Kuki hatte den Abend wirklich auf ihrem Zimmer verlebt, weil niemand kam, sie hinüber zu bitten. Der Bursche hatte ihr das Abendbrot im Zimmer serviert und ihr im Namen seiner Herrschaft guten Appetit und gute Nacht gewünscht. Am andern Morgen erschien sie aber wieder auf der Bildfläche in einem eleganten Schlafrock von rosa Kaschmir und einem Nanonhäubchen von Spitzen und rosa Bändern auf dem Kopfe, spielte die geknickte Lilie mit Geschick und tiefem Gefühl und beehrte Käthens Chaiselongue in deren Zimmer mit ihrer Person, denn das cremeweiße Bärenfell, das darauf lag, bot eine ebenso zarte wie hochmoderne Folie für ihre Toilette. Ein Tischchen mit Eau de Cologne, Pfefferminzküchelchen, englischem Salz und anderen nervenstärkenden Dingen neben sich – so erklärte sie, den Morgen ertragen zu können. Gegen Mittag entführte Kirchwald seine Frau ihrer rosigen Gesellschaft, um einige Besuche zu machen, doch als sie nach etwa zwei Stunden zurückkamen, fanden sie die Tante zwar noch in Rosa, aber daneben in einer ganz merkwürdigen Aufregung vor. Sie nahm zwar an dem Mittagbrote teil, aß aber so gut wie nichts und war einsilbig und zerstreut.
Nach Tisch zog sie sich wie gewöhnlich zurück, erschien aber früher als sonst wieder im Salon, und als dann auch Kirchwald kam, um sich eine Tasse Thee geben zu lassen, da sagte sie mit stockender Stimme:
»Liebe Kinder – ich habe euch eine hochwichtige, tiefeinschneidende Mitteilung zu machen.«
»Wird was Rechtes sein,« dachte Käthe unbewegt.
Tante Kuki verschränkte ihre dünnen weißen Finger ineinander.
»Heut' Vormittag nämlich, als ihr fortgegangen wart,« begann sie mit niedergeschlagenen Augen, »da war der Kammerherr von Diestelcamp hier und ließ sich bei mir melden.«
»Ach, und da konntest du ihn nicht empfangen, weil ich nicht da war,« sagte Käthe bedauernd. Sie hätte die Bemerkung nicht um die Welt unterdrücken können.
»Doch – ich – der Kammerherr drang darauf, mich zu sehen,« erklärte Tante Kuki zögernd, »und trotzdem ich allein und im Negligé war – mein Gott nach den gestrigen Ereignissen konnte ich es wohl riskieren, ihn im Schutze eurer Mauern zu empfangen. Und da geschah es – daß – ich mich mit ihm verlobte!«
Kirchwald sah seine Frau an, Käthe sah ihren Gatten an, und dann starrten beide fassungslos auf Tante Kuki – – – war sie übergeschnappt?
»Ich gestehe gern, daß ich halb und halb überrumpelt worden bin,« fuhr Tante Kuki fort, »Herr von Diestelcamp – euer künftiger Onkel Habakuk – er war aber so dringend, so stürmisch fast und schien so berauscht von dem Eindruck, den ich ihm in meiner Toilette zu dieser Stunde machte, und er liebt mich so innig, daß ich gar nicht das Herz haben konnte, ›nein‹ zu sagen. Und nun drängt es mein Herz, eure Glückwünsche entgegen zu nehmen! Im Herbst soll die Hochzeit sein – ich brauche so viel Zeit, um meinen Trousseau zu besorgen.«
Langsam und allmählich nur löste sich der Bann geistiger Starrheit, der über Kirchwald und Käthe durch die Wirkung von Tante Kukis Eröffnung lag, und da die Annahme einer plötzlichen geistigen Störung hinfällig schien, so gratulierten sie der Tante auch wirklich zu einem Schritte, der schließlich nicht als Unikum in der Welt dastand. Das übrige ging sie ja eigentlich nichts an, weder das Positivum noch die Konsequenzen oder gar der Beweis der Wahrheit für das Sprichwort, daß Alter vor Thorheit nicht schützt. Als aber die ersten Glückwünsche gestammelt waren, da schoß ein Strahl des Lichtes durch Käthes Herz.
»Ach,« rief sie mit einem tiefen Atemzuge, indem sie Tante Kukis Hand fast zärtlich drückte, »wenn du nun heiratest und dein eigenes Heim gründest, so braucht Horst doch nicht den Abschied zu nehmen, wenn er Steinbach übernimmt, nicht wahr?«
Tante Kuki bekam plötzlich einen Husten.
»Ja apropos, Steinbach,« sagte sie, sich räuspernd, »ich bin froh, daß ich dir, lieber Horst daraufhin noch kein bindendes Versprechen gegeben habe, denn du wirst begreifen, daß es gewissenlos von mir wäre, jetzt einen Besitz hinzugeben, der mir als Heiratsgut vermacht wurde. Ich habe auch schon an meinen Rechtsanwalt telegraphiert, daß die Urkunde nicht ausgefertigt zu werden braucht. Mein Hochzeitsgeschenk an euch bleibt natürlich eine ideale Schuld für mich, die auszulösen meine vornehmste Sorge sein wird.«
Zum Erstaunen Kirchwalds, der mit einem Gefühl, das er vorläufig noch gar nicht hätte beschreiben können, zugehört hatte, brach Käthe in ein lautes herzliches Lachen aus.
»Hurra!« jauchzte sie und tanzte im Zimmer herum, »das nenne ich gut und gründlich handeln! Jetzt komme ich mir vor wie Hans im Glücke, als er den Mammon glücklich gegen handlichere Dinge umgetauscht hatte. Schenk' uns statt des fürstlichen Rittergutes ein Spiel Karten, Tante Kuki, damit können wir dann Patience darauf legen, ob du uns im nächsten Jahre wieder besuchen wirst!«
»Ich werde mein Geschenk nach eigenem Ermessen, meiner würdig und euch nützlich und angenehm wählen,« sagte Tante Kuki steif, doch ehe sie sich noch des weiteren darüber auslassen konnte, wurde die Thür geöffnet und kein Geringerer als der Prinz von Nordland erschien. Er verneigte sich mit einem liebenswürdigen Lächeln vor den Damen und sagte nicht ohne einen kleinen triumphierenden Seitenblick auf Tante Kuki:
»Mein lieber Kirchwald, das vage Gerücht, das über eine Fahnenflucht Ihrerseits umging, hat mich veranlaßt, den Herzog zu bitten, sich dafür zu interessieren, daß man Ihnen fürs erste diesen schnöden Plan vereitelt, der Sie zunächst selbst am meisten unglücklich gemacht hätte. Die Bemühungen des Herzogs sind von Erfolg gekrönt gewesen, und wenn ich selbst auch nur mit großem Bedauern Ihnen sagen muß, daß Sie in Ihrer Stellung als mein Adjutant abgelöst werden, so darf ich Ihnen doch zugleich die frohe Botschaft bringen, daß Sie zum Generalstab der Armee versetzt worden sind.«
Mit einem Jubelruf fiel Käthe ihrem Gatten trotz der Gegenwart seines bisherigen fürstlichen Brotherrn um den Hals, gab ihm einen herzhaften Kuß und schüttelte dann dem Prinzen beide Hände, als wollte sie diese absolut vom Körper trennen.
»Nun, hab' ich's so gut gemacht?« fragte er halblaut.
»Famos, Hoheit,« lobte Käthe strahlend. »›Nichts halb zu thun ist edler Geister Art‹, sagte schon Goethe. Oder war's Schiller? Oder gar Shakespeare? – Wieland war es? Na, 's kommet ja auch nicht darauf an, die Hauptsache ist, daß wir entschieden ein Patent auf unsere Komplotte nehmen müssen, Hoheit.«
»Das wollen wir bestimmt thun, Gräfin,« lachte der Prinz, »zuvor aber bestehe ich, wie Shylock, auf meinen Schein, und das ist wirklich von Shakespeare. Sie wissen schon: die Fuchsrute.«
»Die werden wir teilen müssen, Hoheit,« erwiderte Käthe, indem ihre Augen vor Übermut tanzten.
»Ei, ganz bestimmt nicht – ich will meinen Lohn ganz haben,« entgegnete der Prinz neckend.
»Darüber läßt sich streiten,« war Käthes lustige Antwort.
»Nun ich dächte doch –«
»Ah, es ist ja wahr, daß Horst durch die gnädige Mitwirkung Eurer Hoheit daran verhindert worden ist, den Abschied zu nehmen,« sagte Käthe, »hingegen ist es aber auch Thatsache, daß unsere liebe Tante hier sich heut' mit Herrn von Diestelcamp verlobt hat und ihre Herrschaft Steinbach infolgedessen selbst behält.«
»Waaas?« dem Prinzen fiel im ersten Schrecken der Kneifer von der Nase, doch als ein Mann des Hofes und der Welt war seine Fassung auch sogleich wieder gewonnen. »Und das ist keiner Ihrer berühmten, gnädigen Scherze, Gräfin,« raunte er Käthe zu.
»Na, haben Hoheit uns vor Überraschung nicht noch selbst auf dem Rücken liegen sehen?« war Käthes prompte Antwort.
Tante Kuki aber, der das Gespräch der beiden längst schon zu lange dauerte, wendete sich nun an ihren Neffen.
»Sollten wir hier nicht zu viel sein, lieber Horst?« sagte sie scharf, »ich verstehe nicht ein Wort von dem Sinn dieses Gespräches!«
»Dafür ist es, glaub' ich, auch gar nicht berechnet,« gab Kirchwald gut gelaunt zurück. »Nicht verstehen ist oft lauter Glück, Tante Kuki!«
Doch nun kam der Prinz auch schon mit seinen Glückwünschen, die Tante Kuki geschmeichelt hinnahm und sich dabei ganz als junge, strahlende Braut benahm.
Käthe aber ging inzwischen in ihr Zimmer, wählte dort ihre schönste, längste und buschigste Fuchsrute aus und präsentierte diese stumm dem Prinzen.
»Gut,« sagte dieser und nahm den verheißenen Preis entgegen, »sei es denn, ich nehme sie zum Andenken an diese Stunde, die mich fast um ein Jahr früher, als es sonst geschehen wäre, um einen mir lieben und werten Adjutanten gebracht hat. Aber Sie haben recht, Gräfin, es gebührt mir nicht der ganze Preis, und ich werde mir erlauben, Ihnen Ihren Anteil daran wieder zuzusenden und Sorge tragen, das Patent auf unsere Begabung zum Komplotteschmieden zu erlangen. Denn wo das Resultat so großartig ist, wie in dem vorliegenden Falle, da muß schon ein Übriges geschehn.«
»Ich verstehe aber nicht –« fiel Tante Kuki ein.
»Das Unverständliche birgt oft den großartigsten Sinn,« sagte der Prinz liebenswürdig, indem er sich den Damen empfahl. –
Gerade, als Tante Kuki einige Tage darauf abreisen wollte, kam ein kleines Paket für Käthe an: der Prinz sandte ihren Anteil an der Fuchsrute, wie das Begleitschreiben erläuterte, zurück. Ein Büschel der Fuchshaare war mit grünseidenem Faden zu einem Ringe geschlungen und wurde von einem mit Diamanten gepflasterten Knopfe, der eine Brosche war, umschlossen. Auf der Rückseite der Brosche war eingraviert: Patent Nr. 0½. Vor Nachahmungen geschützt.«
»Das ist mir unverständlich,« sagte Tante Kuki, und da niemand Miene machte, ihr eine Aufklärung zu geben, so reiste sie pikiert ab. –
Als Kirchwalds von der Bahn zurückkehrten, sah Käthe ihren Gatten schelmisch lächelnd an.
»Nun, Horst,« sagte sie, »hast du den Verlust von Steinbach jetzt verwunden?«
Kirchwald lächelte flüchtig.
»Du hast gut reden, Käthe,« erwiderte er, »aber der Schlag war hart, ich gestehe es offen. Einem erst solch eine Herrschaft zu schenken und sie einem dann ohne Vorrede wieder vor der Nase wegzunehmen, dazu muß man wirklich schon starke Nerven haben.«
»Ja, ja,« gab Käthe teilnahmsvoll zu. »Ich hab's auch immer gemein gefunden, wenn man einem Hunde eine Wurst zu riechen giebt, und sie ihm dann wieder fortnimmt –«
»Ein hübsches Gleichnis, Käthe! Aber es ist ›analog dasselbe, nämlich gleichsam quasi das Gegenteil,‹ wie mein alter Wachtmeister zu sagen pflegte.«
»Ach Horst, laß dir zureden,« rief Käthe herzlich. »Scherz beiseite, aber es ist doch wirklich besser, keinen Mammon zu haben, als einen, bei dem mit jedem Schritte, den man gern thun möchte, die Kette klirrt, an die man sich dafür hat anbinden lassen. Kreuzunglücklich wärst du an dieser Kette geworden, Horst, das ist meine feste Überzeugung, und darum bin ich auch so froh, daß der Alp von meiner Seele genommen ist. Es bleibt dir ja noch so viel, Horst!« –
»Ja, vor allem du!« sagte Kirchwald froh und gerührt, indem er seine schöne junge Frau in die Arme schloß.
* * *
Tante Kuki hat Wort gehalten und Kirchwalds richtig das verheißene Hochzeitsgeschenk geschickt: es bestand aus einem silbernen Käfig mit einem lebendigen Papagei darin, der nach der Aussage seines Verkäufers alle lebenden Sprachen reden konnte und sicherlich schweres Geld gekostet hatte. Die sämtlichen lebenden Sprachen verschwieg der Papagei nun zwar, wahrscheinlich aus Bescheidenheit und um mit seiner Gelehrsamkeit nicht zu prunken, wie es dem Weisen ziemt, und das einzige Wort, das er oft und mit wunderbarer Klarheit von sich gab, war: »Rhinozeros!« Wen er damit meinte, hat er nie verraten, vielleicht war's ein guter Bekannter aus seiner Tropenheimat, vielleicht auch eine neue, europäische Bekanntschaft – kurz, es blieb jedem, der es hörte, überlassen, zu glauben, daß er selbst gemeint war. Nach dem Urteil hervorragender Ornithologen ist besagtes Wort aber ungemein schwierig für Papageienzungen auszusprechen, ja fast unmöglich, so daß Tante Kukis Hochzeitsgeschenk an Kirchwalds wirklich einen besonderen Wert repräsentiert. Und da kann man sich schon trösten, wenn man für eine großartige Herrschaft einen Papageien bekommt, der »Rhinozeros« sagen kann.