Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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10.
Die Gäste.

Auf den Zehen, kaum hörbar, flog ihm Änneli entgegen, den Zeigefinger der linken Hand auf den Mund gelegt, die rechte warnend emporgehoben

»Leise, leise! Deine Tochter schlummert!« flüsterte sie ihm ins Ohr, und schwebte dabei auf den Fußspitze zur Seite. »Auch Fania, welche die ganze Nacht an Loreli's Bett gewacht hat, ruht seit zwei Stunden erst.« Sie deutete bei den letzten Worten mit den Fingern auf eine Nebenthür des Zimmers.

Addrich aber gab dem Mädchen einen flüchtigen Wink. Es verstand ihn wohl und entfernte sich. Dann trat er langsam vor das Bett seines kranken Kindes, so vorsichtig, daß dabei kein Sandkorn unter seinen Sohlen knirschte. Schweigend betrachtete er die Jungfrau. Sie lag mit ihrem blassen Antlitz da, in dessen Marmorzügen noch die Spuren ehemaliger Holdseligkeit zu sehen waren, und mit den über das Bettuch lang ausgestreckten Armen, wie zum Einsargen bereit. Ein paar unter der Haube hervortretende flachgedrückte Haarlocken, schwarzglänzend wie Ebenholz, einst kein geringer Schmuck dieses jungfräulichen Hauptes, vermehrten nur den traurigen Eindruck des Ganzen. Sie ringelten sich an der wachsbleichen Stirn und Wange hin, gleichsam um anzudeuten, daß das Leben des Leichnams erloschen sei. Die Gruft war ohne Bewegung, über die entfärbten Lippen ging kein wahrnehmbarer Atem; die tief eingesunkenen Augen schienen dem Lichte der Welt auf ewig verschlossen zu sein.

Addrich starrte mit gefalteten Händen und gebeugtem Haupte lange die schöne Leiche an: dann erhob er leise seufzend die Augen, senkte sie wieder auf die gefühllose Schläferin und sagte kaum hörbar: »O mein Kind, o mein armes Kind! O mein einziges Leben! Warum kann Dich niemand aus der unbarmherzigen Gewalt des Schicksals erretten?«

Ein unendlich tiefer Schmerz durchdrang sein Innerstes, daß ihm Brust und Atem zitterten. Er richtete das Antlitz himmelwärts, mit jammernder, stummflehender Geberde, und die krampfhaft zusammengeschlossenen Hände inbrünstig an sein Herz drückend. Thränen an Thränen entströmten seinen Augen. Ein leises, schnelles Schluchzen blieb die einzige Sprache seiner Seele. Als sich die Heftigkeit des Schmerzes gelöst oder erschöpft zu haben schien, bebten noch seine Lippen im Gespräche mit dem unerforschlichen Lenker der Verhängnisse. Die kräftige, hohe Greisengestalt Addrichs glich, wie sie gebeugt dastand, einer ehemals stolzen und unempfindlichen Eiche, die, vom Wetter gebrochen, nun ihr welkes Laub bei jedem Lüftchen erzittern läßt, und die Röte seiner entzündeten Augen schien eine finstere Glut zu sein, aus welcher der Brand hervorzubrechen droht, das Innere zu verzehren. Von Zeit zu Zeit stieß er kurze, unzusammenhängende Worte aus, die den Selbstgesprächen des Wahnsinns ähnlich klangen, im Grunde aber nur hervortretende Punkte waren, an welchen man die Verbindung seiner Gedanken und seines Schmerzes erkannte, wie man den Zug weit entfernter Gebirge aus einzelnen Gipfeln erkennt.

»O Du süßer Raub des Todes,« sagte er, »mußtest Du dazu von Deiner Mutter geboren werden? . . . Ich erkenne Dich wohl, mit Entsetzen, Du herzloses Ungeheuer, das seine eigenen Eingeweide verschlingt und wieder erzeugt, um neuen Fraß zu haben. . . . Es kann aber nicht sein. Ist das ein totes Uhrwerk, das von sich nichts begreift und weiß, so ist die wildeste Bestie mehr wert als die Welt, und der Mensch ist der Gott . . . Ach, Du arme, schöne Alpenrose, die ungekannt und ungeliebt in der großen Einöde vergeht, warum mußtest Du blühen? . . . Gütig, sagt man, gerecht auch! Ich möchte es ja gern glauben, aber diese blasse Leiche sagt: Nein! . . . Es ist nichts Entsetzlicheres vorhanden, als das Gefühl neben einem bewußtlosen Felsen, als das Leben bei der stummen Vernichtung. Die Liebe ist das, was im Reiche der Dinge einzig ohne Zusammenhang mit der Welt steht. Sonst paßt das alles zusammen . . . O Du frommes, heiliges Kind, warum wurde Dir das süße Dasein zu kosten gegeben, wenn es Dir mit Schmerzen wieder entrissen sein muß? Was hast Du verbrochen, daß sich die Natur das Verbrechen erlauben darf, Dich zu zerstören? . . . Frevel, Frevel! Weiche von mir, Satan! . . . Es kann nicht aufhören. Es kann nicht! Die Welt hat das Bewußtsein ihrer Ewigkeit in sich . . . Scheidest Du von mir, so eile ich Dir nach, Engel! Wir trennen uns nicht!«

Hier verstummte er im abermaligen Schluchzen, kniete mit leisem Wimmern so lange nieder, bis ihm die Thränen versiegten. Dann stand er auf, warf noch einen kläglichen Blick gen Himmel und sagte: »Dein Wille geschehe!« Er trocknete seine Augen, legte eine Flaumfeder auf die Oberlippe der Schlummernden, sah mit schmerzlichem Vergnügen die Spuren des Lebens noch im Wehen des Flaumes, beugte sich über das Bett, küßte sanft das Gewand der Tochter, und ging mit leisem Schritte aus dem Gemache hinweg. »Bis Fania erwacht, verlaß Leonoren nicht!« sagte er zum Änneli, welches ihm auf der Treppe entgegenschwebte. »Ich begebe mich zu den Gästen, und werde meine Tochter heute wenig sehen. Bringe ihr meinen Morgengruß.«

Nach diesem eilte er mit großen Schritten am Herde vorüber, durch zwei aneinanderhängende Stuben, hinab in ein letztes, inneres Zimmer. Hier saßen die Leute, welche Meister Wirri vorher gesehen hatte. Gideon und Schybi von Eschlismatt neben einem alten, doch rüstigen Manne, dem das silberweiße Haar des Bartes und Hauptes ein recht ehrwürdiges Ansehen verlieh. Sie waren in lebhaftem Gespräche.

»Auf Ehre!« rief Gideon. »Nicht zwanzig Dublonen wären mir zu viel, wenn ich erfahren könnte, was seine Absicht gewesen wäre. Er führte die Klinge meisterlich, und trieb mich gleich beim ersten Angriff zur Verteidigung; doch indem er dabei langsam hinter sich zurückschritt, um seinen wohlberechneten Rückzug ins Gebüsch zu nehmen.«

Christian Schybi schüttelte bedenklich den Kopf und sprach: »Ich sage es noch einmal, wie abgelegen Addrichs Haus und wie geheim unsere Zusammenkunft gehalten ist, Eure Herren von Bern spüren Unrat. Er ist einer ihrer Laurer gewesen. Hättest Du ihm den Schädel gespalten! Du warst ihm zu spät auf den Fersen.«

»Es währte kein Vaterunser lang,« antwortete Gideon, »sobald Addrichs Hund anschlug, war ich aus dem Bette, auf den Beinen, in den Kleidern und mit blankem Degen zum Zimmer hinaus. Die arme Bestie thut mir leid; sie wurde in dem Augenblicke geopfert, als ich sie anhetzte und der verdächtige Bursch in Wald und Nebel entsprang.«

»Und Du setztest ihm nicht nach, Gideon Renold?« fragte der Alte im weißen Haar.

»Es herrschte eine solche Dunkelheit,« antwortete Gideon, »daß ich die Gestalt des Menschen nur gleichsam wie einen Schatten im Nebel sah. Ich verfolgte allerdings lange Zeit das Geräusch, welches durch die Zweige entstand, die sich dem Flüchtlinge entgegenstellten, doch mochte ich ohne die Unterstützung des erstochenen Hundes beim Nachsehen durchaus nichts unternehmen.«

»Lasset es dabei bewenden, liebe Nachbarn und Freunde,« fiel Addrich den Redenden ins Wort. »Wir haben heute noch größere Sachen zu überlegen, als umher zu raten, wer die tapfere Faust des Gideon gezeichnet und meinen alten Packan getötet habe? Heute oder morgen rücken die Städte mit ihrer Macht in den Aargau ein; dann gilts Entschlossenheit, wenn Ihr nicht übermorgen gefangen und gehangen sein wollt. Ulli Schad, Du hast den Aufbruch der Mannschaft von Basel selbst, mit eigenen Augen gesehen?«

Der Alte im weißen Haar antwortete: »Würde ichs sagen, wenn es anders wäre? Ich machte mich auf den Weg von Waldenburg nach Basel. Vorgestern sind vierhundert Mann in der Stadt angeworbenes Volk und die Ausschüsse von der Landschaft mit klingendem Spiele aus den Thoren gezogen. Hauptmann Ludwig Krug und Hauptmann Paul Bekel ritten gar stolz vor dem Zuge her, mit ellenhohen Federbüschen auf ihren Helmdeckeln, so daß sie sich – wahrhaftig! – unter der St. Albanpforte bücken mußten. Voran marschiertem hundert Mann von Mühlhausen, die auch nicht danach aussahen, als wollten sie Euch die Krautstöcke zerhacken. Man erzählte, daß zu gleicher Zeit, von Zürich her, fünfzehnhundert Mann ins Berner Gebiet einrücken würden.«

»Mich dünkt, Gideon, der Leuenberg läßt uns im Stich,« sagte Addrich darauf zu dem schwedischen Hauptmann, »oder es hat ihn unterwegs ein Unfall betroffen. Nach Deiner Angabe wollte er schon gestern Nacht bei uns sein.«

Gideon Renold erwiderte: »Leuenberg hält Wort, obwohl er durch wichtige Beschäftigungen zurückgehalten worden sein kann. Allstündlich langen Abgesandte aus den Gemeinden und Ämtern des gesamten Kantons bei ihm an, so daß er links und rechts Bescheid erteilen muß. Es ist bei ihm wie im Hauptquartier des obersten Befehlshabers vor der Schlacht, wenn derselbe nach allen Punkten Befehle verschickt. Lasset uns mittlerweile unsere Beratung eröffnen; er wird sich Euren Beschlüssen gewiß nicht widersetzen,«

»Hole ihn der Henker!« rief Schybi. »Ich hatte daheim, bei meinen Leuten, alle Hände voll zu schaffen, und rannte dennoch hierher. Nun läßt er uns stecken, Wir Entlebucher und übrigen vom Luzerner Gebiet mögen den Anfang Eures Lärmens ruhig erwarten. Wir haben unser Schäflein vor der Hand ins Trockene gebracht, wenn ihm das Fell auch noch tropfet, haben den Vergleich und Schieds- oder Schandspruch angenommen; entrichten durchs ganze Land vom Saum nur zehn Luzerner Schilling Ohmgeld, und erfreuen uns noch vieler anderer Vorteile. Keinen Kreuzer zollen wir zu den Unkosten, welche die Stadt gehabt hat. Im Notfall können wir uns zufrieden erklären; wollet Ihr andern aber zum Teufel fahren, meinethalben; wir Luzerner sind dabei nicht verpflichtet, für Euch den Fuhrlohn zu bezahlen.«

»Ich will hoffen, Du sprichst nicht im Ernst,« fiel ihm Renold in die Rede, »Schybi, Du magst wissen, daß Niklaus Leuenberg ein Eidgenoß ist, so ehrbar, wie irgend einer. Bei allen Unternehmungen leuchtet er mit Wahrheit, Treue und Glauben allen andern vor und ist von mannhafter Gesinnung und standhafter Seele. Hätte er nicht das weite Oberland bis an die Walliser Schneeberge zu Eurem Vorteil in Harnisch gebracht, so wäre zweifelsohne Euer Ruin schon längst vollendet gewesen; und statt des Schiedsspruches der katholischen Orte, der Euch Pardon gewährt, hätte der Scharfrichter von Luzern Eure und anderer Patrioten Köpfe vom Rumpfe getrennt.«

»Überhebe Dich nicht, Hauptmann Renold, Du wirst davon kreuzlahm,« antwortete der Entlebucher. »Unsere zehn Ämter hatten die Fahnen erhoben und den Bund zu Wollhausen beschworen, ohne vom Leuenberg und den Bernern zu wissen, und ohne sie haben wir mit der Regierung Frieden geschlossen. Der Leuenberg ist mir übrigens ganz recht, wenn er nicht links sein will, und er wird vollauf Gelegenheit haben, zu zeigen, ob er mehr versteht, als den Karren bergab zu schieben.«

Hier fiel ihm Addrich ins Wort, als er sah, daß sich Gideon die Stirn rieb und heftig zu werden schien. »Ihr Männer,« sagte er, »wenn ich nicht irre, seid Ihr alle in dies sonst unbesuchte Thal gekommen, nicht um Euch zu entzweien, sondern um Euch für die gemeine Wohlfahrt des unterdrückten Landes zu vereinigen. Meines Erachtens aber fanget Ihr mit dem Wörteln und Zanken am unrechten Orte an, und zäumet das Roß beim Schwanze auf. Seid Ihr aber nicht Willens, alles einträchtig mit einander zu heben und zu legen, so stehet von Eurem Vorhaben lieber sogleich ab, denn es soll nicht um taube Nüsse, sondern um Köpfe gespielt werden, unter denen auch die Eurigen sind. Steht nicht das Landvolk aus den gesamten Kantonen Mann für Mann zusammen wider die Gewalt der Städte, so geht alles verloren.«

»Gut gesprochen, Addrich!« sagte Gideon. »Ein Schlag aller Orten zugleich geführt, bricht das Joch und entwaffnet die Städte! Wir müssen uns darauf gefaßt halten, daß es rauhe Stöße absetze, denn eher wird der Bär sein Fell, als das Patriziat seine Ehr- und Herrschsucht fahren lassen. Aber siehe da . . . ich glaube, der Leuenberg kommt in Begleitung eines andern.«

Addrich ging den Neuankommenden vor das Haus entgegen und führte sie hinein. Alle Anwesenden standen grüßend von ihren Sitzen auf, boten den Fremden die Hand und betrachteten besonders den Leuenberg, der, schon damals ein vielbesprochener Mann, mit Gideon sogleich ein Gespräch anknüpfte. Es lag in seiner kräftigen Gestalt und Haltung etwas Gebieterisches und ein Ausdruck von Ernst, Festigkeit und Klugheit in seinem Gesichte, das sich durch ein Paar große, helle Augen unter schöngewölbten Augenbrauen, und eine starke, römisch-gebogene Nase auszeichnete. Er schien ein Mann in den Fünfzigen zu sein und einigen Wert auf sein Äußeres zu legen. Das schwarze Haupthaar und den Knebelbart trug er kurz geschoren, am Kinn nur ein Zwicklein. Ein schmaler, schneeweißer Halskragen lag über das feintuchene, schwarze Oberwamms, dessen Öffnungen an den Achseln, wo die Ärmel des Leibröckchens begannen, mit Samtstreifen und Fransen besetzt waren. Eine dichte Reihe gesponnener Knöpfe verzierte den Vorderteil des Wammses.

»Liebwerte Herren und Freunde,« sagte Leuenberg, »erlaubet, daß ich Euch meinen Reisegefährten vorstelle. Es ist Herr Adam Zeltner, Untervogt von Buchsiten, ein treuer und eifriger Bundesgenosse, der uns das ganze Solothurner Gebiet zuführt. Ich hoffe, Ihr werdet ihm Euer Vertrauen nicht versagen.«

Die Anwesenden boten dem Untervogt, der vielen Anstand in seinem Wesen zeigte, noch einmal und freundlicher die Hand zum Willkommen.

»Nun aber,« fuhr Leuenburg fort, »stellt uns auch die Eurigen vor. Den tapfern Schybi von Eschlismatt und meinen Landsmann Gideon Renold kenne ich gar wohl, aber nennet mir den Namen dieses wackern Schweizermannes, den sein weißes Haar zum Oberälteren unter uns macht.«

»Das ist Ulli Schad von Waldenburg im Baseler Gebiet,« sagte Gideon, »ein wegen seiner Klugheit und Erfahrung in dortiger Gegend wohl bekannter Mann.«

»Ei, ei!« rief Leuenberg und schüttelte dabei des Greises Hand. »Vater Ulli, so lasset uns hören, wie die Dinge bei Euch stehen? Ich vernehme mit Leidwesen, daß Oberst Zörnli von Basel im Anzuge gegen Aargau sei und viel von Eurem Landvolke mit sich führe.«

»Das mag sein,« antwortete Ulli, »aber verlasse Dich darauf, Herr Leuenberg, unsere Leute schießen im Berner Gebiete keinen Spatz tot. Keiner der Unsrigen will gegen seine Landsleute fechten, welche die gleiche Not von dem Drucke ihrer Obrigkeit leiden, wie wir. Bratteln, Muttenz und wenige andere Ortschaften der Vogtei Münchenstein, ganz in der Nähe der Stadt, halten mit ihr. Die übrigen Ämter aber sind drauf und dran, das Rauhe auswärts zu kehren und den Stadtbügern den Meister zu zeigen. Bürgermeister Rudolf Wettstein und Zunftmeister Jakob Hummel kamen zwar den Tag vor meiner Abreise nach Liestal, um die Sache auszugleichen, mußten aber unverrichteter Dinge wieder abziehen.«

»Das heiße ich eine goldene Botschaft!« rief Leuenberg. »Ich wollte, Addrich, Du könntest mir vom Aargau nicht Geringeres melden, denn der Feind ist auf allen Seiten im Anzuge.«

»Sorge nicht, Klaus,« entgegnete ihm Addrich. »Der Landsturm der ganzen Grafschaft rüstet sich, ebenso jenseits der Aar in den Ämtern Biberstein und Schenkenberg. Noch ist zwar alles so still in den Dörfern, wie unter der Predigt; die Waffen sind jedoch geschliffen. Die erste Trommel, die im Lande gerührt wird, bringt die Sturmglocke vom gesamten Aargau zum Heulen, wie ein übeltönendes Horn die Hunde.«

»Wohlan, liebwerte Bundesgenossen,« sagte Leuenberg, »so lasset uns ungesäumt zur Besprechung schreiten, um deretwillen wir hier zusammengetroffen sind, und mit Hand und Mund beteuern, das zu halten, worüber wir einig werden, denn nicht umsonst wird in bildlichen Darstellungen die Zeit mit geschwungenen Flügeln dargestellt, und schwerlich sehen wir uns so bald wieder, wenn wir einmal nach allen Weltgegenden voneinander geschieden sind. Du, Addrich, hast Du für unsere Sicherheit bei Dir Sorgfalt getragen?«

»Leuenberg,« rief Gideon, »solche Frage geziemt Dir nicht, wo Du weißt, daß ein Soldat hier wohnt. Ich selbst habe ringsum treue Wachen ausgestellt, die alles Verdächtige genau beobachten: denn der Landvogt von Lenzburg würde nicht faul sein, wenn er wüßte, welches Nest hier auszunehmen wäre.

»Habet keinen Kummer,« sagte Addrich. »Sogar Junker Mey von Rued besorgt von hier aus nichts Arges. Er schickte gestern einen Boten, jedoch nicht um zu horchen, sondern um meine Nichte wegzulocken.«

Gideon konnte bei diesen Worten eine große Bestürzung nicht verbergen. Er sah mit einem fragenden, flammenden Blicke auf Addrich. Dieser aber fuhr gelassen fort: »Also nur Weibergeschichten! Es war eine gute Haut, ein Aarauer Spielmann, der mir Beichte saß, weil er mich nicht kannte. Wir haben ihn aus Vorsicht in's Luzerner Gebiet geschickt, da mag er von uns erzählen.«

Schybi lachte und sagte: »Auch glaube ich, die Weibel und Knechte des Landvogts wagen sich nicht in dies Thal herauf, denn sie fürchten die Nachbarschaft des Addrich, wie des Satans Zwillingsbruder.«

»Das ist wahr,« rief der Untervogt von Buchsiten, »hätte mir Leuenberg nicht berichtet, welch ein Biedermann Du wärest, Addrich, ich hätte mich nicht zu Dir getraut, so Arges reden die Leute. Woher das Geschwätz? Vielleicht, weil Du so furchtbar drein schauest?«

Addrich erwiderte etwas verdrossen: »Hast Du bei Dir zu Hause keine Esel? Als ich noch ein mäßiges Vermögen besaß, hieß ich Strolch und Straßenräuber. Als ich einige Thaler erworben hatte, hieß ich Schatzgräber. Weil ich meinem Verstande folge und nicht mit Narren in das gleiche Horn stoße, bin ich im Bunde mit der Hölle, und weil ich des Pfarrers Deutschlatein auf der Kanzel nicht anhören will, macht er mich zum Gottesläugner und alle Sonntage zu etwas anderem. Wen Neid und Bosheit einmal mit Ruß geschwärzt haben, den waschen alle Tugenden nicht wieder weiß. Vieltausendmal habe ich den Tag verwünscht, an dem ich das Simmenthal verließ und mich hier, bei dem dummen und dummtückischen Geschmeiß, ansässig machte.«

»Bei dem allen, Addrich, gehorchen sie Dir, als wärst Du ihr Vogt,« sagte Schybi.

»Weil sie keinen Gott, sondern nur den Teufel fürchten,« versetzte Addrich. »Die Heiden sind nicht heidnischer gewesen, als dies menschliche Vieh. Schon mehr als einer ist in großer Heimlichkeit zu mir geschlichen, und hat mich um Gottes willen gebeten, ihn in Verbindung mit dem Teufel zu bringen. Sie wollen ihm Leib und Leben eigenhändig mit Blut verschreiben, wenn er ihnen hinlängliches Wohlleben, oder auch nur einen Heckthaler in den Sack schafft. Wenn sie schon während der Sonntagspredigt schlafen, weil sie sich an den Psalmen müde schrieen, preist der Pfarrer doch ihre Christlichkeit: denn so oft sie ihre Säue schlachten, füllen sie ihm die Rauchkammer mit Würsten und Schinken . . . Aber, Ihr Herren, Euch erwartet hier zunächst im Zimmer die Morgensuppe. Noch seid Ihr nüchtern. Erweiset mir die Ehre und setzt Euch hinzu. Nachher schreiten wir frischer zu Rat und That.«

Damit unterbrach er das Gespräch. Nach einigen höflichen Weigerungen und Entschuldigungen folgten ihm die Gäste und nahmen ihre Plätze um die dampfende Schüssel ein.

11.
Die Brautwerbung.

Das ländliche Frühmahl, bei welchem, neben geräucherten Rinderzungen und Wildpretschnitten, die begeisternde Flüssigkeit nicht fehlte, die der Schweizer Bauer schon damals aus den schwarzen Bergkirschen zu ziehen wußte, verbreitete die beste Laune über die Gäste. Ihre Scherze und Blicke verfolgten dabei Änneli's flüchtige Gestalt, die zur Bedienung erschienen war. Nur Gideon Renold blieb, wider seine Gewohnheit, einsilbig und ohne Eßlust, und ehe noch das Mahl zur Hälfte beendet war, zog er den düstern Addrich auf die Seite und verließ darauf mit ihm die Stube. Als beide vor das Haus uns in den Wald getreten waren, fragte Addrich: »Warum führst Du mich hierher? Was hast Du Geheimes?«

»Geheimes? Nichts! Du weißt alles, was in und an mir ist, sonst könntest Du mich nicht, wie den Tanzbären, an der Kette schleppen,« antwortete Gideon und heftete die schwarzen, flammenden Augen auf das Gesicht des Alten. »Du aber, Addrich, behältst beständig Deine Maske vor und handelst ohne Aufrichtigkeit. Warum verschwiegst Du mir die wahre Absicht des Junkers Mey auf Deine Nichte? Zu sich locken wollte er sie also? Und das sagst Du erst, nachdem Du seinen Kundschafter fortgeschickt hast? Addrich, ohne Arglist und Betrug, rede! Wie stehen wir mit einander? Unter gegenwärtigen Umständen verlange ich klaren Wein von Dir. Sagst Du mir nicht die Hand der unvergleichlichen Epiphania zu, so . . .«

»Fahre fort!« rief Addrich.

»So . . . Ich habe dann andere Majestäten gesehen!«

»Deine Zunge schlägt falsche Münze. Rein heraus mit der Sprache!«

»So fahre alles in den höllischen Abgrund!«

»Das also war's, Gideon? Schäme Dich! Du bist und bleibst doch ein gemeiner Lohnsoldat, der nur um blanken Sold dient, aber Vaterland, Ehre und alles bessere nebenbei mit in den Kauf nimmt, um daraus eine Schabracke für das schmutzige Roß seiner Selbstsucht zu machen. Also für des Mädchens Hand nur willst Du der guten Sache Deinen Arm vermieten?«

»Der guten Sache! Beurteile selbst, Addrich, daß Dein Ehrgeiz und der Deiner Genossen nicht meine gute Sache sein kann. Epiphania ist für mich Leben, Welt, Himmel, alles, und allein für alles setze ich alles aufs Spiel. Ich glaube auch, ein Beweggrund, wie der meinige, sei in den Augen urteilfähiger Personen mehr wert, als Deine und Deiner Kumpane Sucht, Euch bäuerische Gnaden, Ratsherren und Schultheißen titulieren zu lassen.«

»O Du elender Jungfernknecht, meinst Du, mich steche der Haber des ehrgeizigen Übermuts? Meinst Du, Leuenberg und Schybi, ich, oder ein anderer habe eine ganze Nation aus den hundertjährigen Wurzeln der Gewohnheit reißen können, um sie zum Schemel unseres eigenen Hochmuts zu machen? Ja, der Aufstand ist da; weißt Du, wer ihn angestiftet hat? Die Urheber und ersten Rädelsführer desselben sitzen in den Ratsstuben der Städte. Ihre blinde und hartherzige Ungerechtigkeit hat die Trommel des Aufruhrs gerührt und das zahme Roß scheu und wild gemacht. Wilhelm Tell ist erst durch den Landvogt Geßler zum Tell geworden. Weißt Du das nicht? Der faulende Mist treibt die schönsten Blumen und die süßesten Früchte aus der Erde und nur die stolze Tyrannei treibt die edle Freiheit aus ihrem Grabe heraus ins Leben.«

»Redensarten! Redensarten! Die kenne ich und weiß sie gehörigen Ortes anzuwenden. Du und Deine Genossen haben das Roß scheu gemacht; nun aber wollet Ihr es auffangen und Euch, statt der alten Herren, in den Sattel schwingen. Ganz recht, Addrich. Ich will Dir in den Steigbügel helfen, wenn Du meine Bedingungen annimmst.«

»Gehe, Lohnknecht, ich begehre nichts von Dir und nichts von der ganzen Welt. Ich wollte lieber, die Welt wäre nie dagewesen, so ständen wir nicht hier und Du quältest mich nicht mit Deiner Narrheit.«

»Addrich, Du, ein Mann von Erfahrung und Einsicht, der in Ost- und West-Indien umhergefahren ist, solltest nicht so verkehrte Dinge reden. Ich will Dein Glück begründen, und fordere für mich dagegen Epiphania. Was liegt darin Thörichtes und Unanständiges? Gieb mir das schönste auf Erden, und ich kehre Bern dafür um, daß es die Türme seines Großmünsters in die Aar und dessen Fundament gen Himmel strecken muß.«

»O Du Auerhahn, den die Balzzeit blind macht! Hier zu Lande wagt der schlechteste Tölpel Ehre, Leben und Gut für etwas besseres als Du.«

»Das wäre wunderbar genug! Aber wenn ich Dir glauben soll, so nenne mir, was schöner, besser, köstlicher sein könnte als der Besitz der göttlichen Epiphania?«

»Es ist das, was der Mensch wie seinen Erbfeind verfolgt und was ein Gott im Himmel nicht reif werden läßt. Es ist die Tugend, die mit Spott und Schanden betteln muß; die Freiheit, welcher man Kerker baut; die Wahrheit, der man Scheiterhaufen anzündet, und das wehrlose Recht, das man mit Tortur, Rad und Galgen stumm macht. Gideon, ich weiß wahrhaftig nicht, wozu die Welt da ist, wenn in ihr nichts besseres vorhanden ist, als sie selbst; oder wenn mein Wille das heiligste darin wäre. Aber möge jenseits des Lebens etwas anderes zu erwarten, oder mit dem letzten Pulsschlag alles zu Ende sein: ich will hochstehen, höher als Schöpfung und blindes Schicksal. So bin ich, wo nichts höheres ist, der Gott, und heiliger als alles Dasein.«

»Mit Gunst!« rief Renold, und starrte dem Alten erschrocken und forschend ins finstre Gesicht. »Ich verstehe Dein Kauderwelsch nicht. Spricht der Kirschgeist oder noch ein böserer aus Dir? Das klang mir halb wie Tollheit, halb wie Gotteslästerung. Bist Du verdrießlich, Vater Addrich, so fluche lieber ein paar Millionen Teufel zusammen. Das ist Deiner Seele gesunder, als solche Lästerung. Zwei Kannen Branntwein lassen sich eher ohne Nachteil nehmen, als ein einziges Tröpfchen Gift. Die Krankheit Deiner Tochter macht Dir freilich schweres Herzeleid, doch verzweifle nicht.«

»O nein, was sagst Du? Das alte Herz ist bald verblutet. Ich habe die Welt aufgegeben, darum will ich frei handeln. Ich bin nur noch ein Gespenst; Gespenster freuen sich nicht mehr an vergoldeten Nußschalen und fürchten nicht mehr die Weibel, Henker, Scharfrichter und übrigen Vogelscheuchen der Obrigkeit,«

»Mit Gunst, Addrich, Du hast Deine schwarze Stunde. Ich vermag nicht länger mit Dir allein zu reden. Laß uns ins Haus zurückgehen. Befiehl Epiphania, die Laute zu schlagen, damit sie den bösen Geist Sauls vertreibe, wie weiland David mit der Harfe.«

»Wie Du es versteht, armer Tropf! . . . Nie war der Geist heiliger in mir, als in diesem Augenblicke. Doch genug davon. Ich irrte mich und mag keine Perlen vor die Säue werfen. Was wolltest Du von mir?«

»Hast Du es vergessen? Die Hand Deiner schönen Nichte. Sie ist die Bedingung, unter welcher ich Dir das Hazardspiel ausspielen helfe. Du wirst mich in diesen Wirren gebrauchen können. Es sind unter den aufständischen Landleuten wenig gediente Soldaten und Männer von Fach. Die Herren Berner hatten jederzeit die Vorsicht, bei den Milizen ihre Offizierstellen nur Söhnen der Stadtpatrizier zu übertragen, damit die Mannschaft ohne Führer niemals etwas für sich selbst leisten könne. Also, Addrich, laß mich Deinen Entschluß vernehmen. Jetzt ist der Zeitpunkt, in welchem Du über mich entscheidest. Widersetzest Du Dich meiner Leidenschaft, so fahre wohl. Wenn es Schlappen setzt, so bin ich nicht verpflichtet, die Scharten auszuwetzen.«

»Gideon, thue was Du willst. Es ist Dir bekannt, daß ich nicht wider Dich bin. Nimm meinethalben Epiphania zum Weibe, wenn sie Dir nicht einen Korb giebt. Sie ist Herrin über ihren Leib, und du wirst nicht begehren, daß ich sie Dir bei den Haaren zuschleppe.«

»Die Hand darauf, Vater Addrich! Ich verlange in diesem Geschäft nichts als Deine Neutralität; nicht einmal Deine Mitwirkung ist zum Abschluß nötig. Ich halte die schöne Festung schon lange eng eingeschlossen, und sie ist zur Übergabe nicht abgeneigt. Doch forderte sie bisher immer Deine Zustimmung, als zum Abschluß unseres Vorhabens unentbehrlich.«

»Bist Du des Mädchenherzens schon so sicher, Gideon? Hüte Dich! Du solltest die Weiber kennen.«

»Nun ich im Besitze Deines Wortes bin, guter Addrich, nun Du mein Oheim sein willst, soll Deine Nichte mein Weib werden. Sie leistet keinen Widerstand. Ich weiß es, Epiphania liebt mich; ich habe ihr das Geständnis schon siegreich von den errötenden Wangen geküßt.«

»Bist Du wirklich soweit mit ihr gekommen? Sie schien Dich immer zu meiden und flieht, wo sie Dich erblickt.«

»Ein fliehender Feind ist nicht gefährlich, Addrich. Ich kenne die Frauen.«

»Jetzt aber ist's für Dich nicht an der Zeit zu Liebeshändeln. Du scheinst zu vergessen, daß vielleicht heute noch der Landsturm aufbricht. Stelle das Getändel auf die Seite, Schwert und Speer her! Epiphanias Brautgemach wird sich Dir nicht eher öffnen, als bis unsere Fahnen siegreich den Stalden von Bern hinabziehen und durchs gesprengte Thor dort hinein flattern.«

»Vater Addrich, das ist des Soldaten Freude und ein lustiges Vorspiel zur Hochzeit. Ich denke, Bern soll uns preisgegeben werden, und ich will mir so viele Schlägel und Fässer mit köstlichem Rheinfall und Malvasier aus der Champagne heimschleppen. daß ich noch zur silbernen und goldenen Hochzeit meine Gäste damit erfreuen kann.«

»Ich wollte, Du brächest dort einen Keller auf, der einen viel edleren Schatz verwahrt, als Rheinfall und Malvasier. Wenn schon der brave Fabian von den Almen Dein Nebenbuhler war, verdient er doch unser Mitleid. Den ganzen Winter durch im Kerker zu sitzen und aus welchem Grunde? Weil er einem stolzen Grobian von Landvogt nicht zum Schand- und Sündendeckel dienen wollte und ihm ein paar Maulschellen versetzte.«

»Du hältst den Fabian noch immer für einen heiligen Engel, wiewohl er ein loser Geselle ist, der allen Schürzen nachlief. Ich rede nicht gegen ihn, weil er seine Netze nach meiner schönen Braut ausgeworfen hatte. Solch einen Stocknarren von Rival fürchtet unsereiner nicht, Ich habe andere Majestäten gesehen. Dieser Prahlhans hat sein Schicksal wohl verdient. Es hieß, man werde ihn auf die Galeeren schicken. Das Weib hatte in den Wehen den Ärzten ausgesagt, er sei der Mann, der ihr den Jungfernkranz vor der Zeit abgenommen habe; vergiß das nicht, Addrich, vergiß das nicht! Und der unverschämte Bursche wollte darauf das Kind dem Landvogte aufhängen«

»Sprich, wie Du willst, Gideon! Ich verbürge mit meinem grauen Kopfe, Fabian von den Almen ist unschuldig. Er war allezeit ein gutes, ehrliches Kind, aufrichtig, wahrheitliebend, mäßig und züchtig, jedoch auffahrend, wie Schießpulver, wenn ihm ein Naseweis mit der Lunte zu nahe kam . . . Hast Du mir nichts weiter zu sagen, Gideon?«

»Unser Vertrag ist abgeschlossen; ich bin vollständig zufrieden und weigere mich nicht, nun zu allen Deinen Unternehmungen die Hand zu bieten.«

»So laß uns zu den Gästen zurückkehren; wir müssen mit den Minuten haushalten,« sagte Addrich, wandte sich rasch und ging mit großen Schritten aus dem Walde zum Hause zurück, während Renold langsamer zu folgen schien.

12.
Das Angebinde.

»Addrich, sieh! Sieh, Addrich!« rief dem Alten ein junges Mädchen zu, welches ihm, wie die Göttin der Freude, über die Schwelle der Hausthür entgegenflog, die edeln Mienen im Entzücken verklärt, die Arme halb erhoben und ausgebreitet, in der Rechten ein krystallhelles blitzendes Trinkglas, in der Linken einen Blumenstrauß haltend.

»Guten Morgen, Faneli!« erwiderte der Alte freundlich.

»O Dein Wunsch kommt zu spät, Addrich!« rief die Vergnügte. »Der Morgen ist schon gut und schön, mehr als einer, und der allerschönste, seit ich atme. Habe ich's nicht vorhergesagt? Es ist der achtzehnte März, eine wunderheilige Zahl; denke, in der 18 liegen sechsmal 3! Und heute ist mein Geburtstag, Addrich, ich trete in mein achtzehntes, und dreimal drei ist doppelt in diese 18 gelegt, ja doppelt! Ach, für ihn auch eine heilige Neun! Siehst Du, was ich trage?«

»Ein Angebinde,« sagte Addrich lächelnd. »Aber jauchze nicht zu laut, er ist in der Nähe; die Jungfrau soll nicht verraten . . .«

»In der Nähe!« rief Epiphania, sprang zum Brunnen, legte Glas und Blumen daneben, kehrte ebenso schnell zum Alten zurück und sagte mit zitternder, leiser Stimme: »Wo denn, Addrich, wo ist er? Warum darf er sich nicht zeigen? Ist er dem ungerechten Gefängnis entronnen, ein Flüchtling? Rede doch!«

»Ich meine den Hauptmann Renold. Er ist nicht weit von uns im Walde,« erwiderte Addrich.

»Nein, nein, nein!« sagte Epiphania mit Heftigkeit und Zuversichtlichkeit, doch leise, indem sie beide Hände auf Addrichs Arm drückte. »Mein armer Bruder lebt in der Nähe. Er ist frei! Er und kein anderer hat diese Blumen des Nachts vor mein Fenster gestellt. Kein anderer als er kannte diesen Tag. Weißt Du, Addrich, einst schickte er mir sogar von der Wittenberger Hochschule aus Deutschland schöne gedörrte Blüten und Blätter auf Papier gezogen,«

»Glaubst Du im Ernst, Fania, Fabian sei es gewesen, der diese Nacht . . .«

Addrich, sichtbar betroffen, unterbrach sich bei diesen Worten selbst. Er dachte an Gideons Abenteuer und Verwundung durch den Unbekannten und an den Tod des wachsamen Hundes.

»Warum zweifelst Du? Der gute Faby war es; es sagen Dir das alle seine treuen, unschuldigen Zeugen hier, die mich beim Erwachen vom Fenster aus grüßten.«

Sie sprang wieder zum Brunnen, nahm die Blumen und hielt sie dem Alten, der wenig auf ihr begeistertes Plaudern zu achten schien, zum Anschauen hin.

»Und wo ist er?« fragte der Alte. »Er käme mir heute gerade sehr gelegen. Doch Dich haben wahrscheinlich wieder lebhafte Träume geneckt, und den Verstand für einen Tag aus den Fugen gebracht. Der Bursche würde nicht scheu mein Haus umgehen, wenn er dem Gefängnisse entsprungen wäre, denn hier, weiß er, hat das Gebiet von Bern aufhört; hier weiß er Zuflucht und mich und Dich zu finden. Und hätten ihn seine Ritter, der Unschuld wegen, auf freien Fuß gestellt, warum würde er nachts mit den Wölfen und Dieben wandern und den Blick des Tages scheuen? Oder hast Du seine Gestalt gesehen, seine Stimme gehört?«

Sie schüttelte den Kopf und hielt die Blumen empor, indem sie sagte: »Er ist dennoch frei, die kleinen Wonneboten beteuern es mir.«

»Kind,« sprach der Alte mit einer gewissen Dringlichkeit, »wäre er's, mich würde es mehr freuen als Dich selbst. Wenn Du seinen Aufenthalt weißt, wenn Du ihn heute oder morgen irgendwo erblickst, sage ihm, er solle zu mir eilen; ich trüge für ihn das Schwert der Rache. Sage ihm, hörst Du, er solle nicht säumen. Es gehen wichtige Dinge vor.«

»Oheim,« seufzte Epiphania leise, und die Heiterkeit ihres Antlitzes wich einem plötzlichen Ernste, »Oheim, laß Dich warnen, Du gehst auf bösen Wegen. Leonore sang, als sie in der Nacht erwachte.«

»Und was sang sie?«

»Wunderbares und Schauderhaftes, ich kann's nicht wieder sagen, Addrich . . . von Blut und Thränen viel, von Angstschweiß und von Flammen. Addrich, ich sah im Vorbeigehen unten die fremden Gesichter. Du bist in übler Gesellschaft. Es sind Gesichter, in denen jeder Zug einen Mord oder Betrug andeutet. Sie machten mir Furcht, als ich sie sah, als sie bei meinem Erscheinen plötzlich stumm wurden und sich untereinander verlegen anschauten. Auf ihren Lippen schien noch der Schluß eines Todesurteils zu liegen, das sie nicht vollendet hatten.«

Addrich verzog das Gesicht zu einem widerlichen, finstern Lächeln und sagte: »Weiberpossen! Ich habe jetzt keine Zeit, sie anzuhören. Wenn die Gäste fort sind, werde ich mit Dir reden. Vermutlich entferne ich mich auf einige Tage mit Renold. Es könnte sich im Lande allerlei ereignen. In dem Falle sollst Du noch Aufträge für Leonoren und das Haus erhalten. Ihr habt hier nichts zu befürchten.«

»O ich weiß!« sagte Epiphania. »Man spricht vom Kriege, man spricht vom Landsturm gegen Bern. Addrich, bedenke wohl, was Du thust! Als im letzten Christmonate der Komet seine blasse Zornrute am Himmel hinstreckte, warnte er die Welt. Späte Gewitter und ein Erdbeben gingen ihm voran. Glaube es doch, Addrich, die Natur ist Gotteswerk, und ein heiliges Wesen ist in ihr lebendig. Die Erde schaudert und der Himmel entsetzt sich, wenn das Maß menschlicher Bosheit voll wird und sie die ewige Gerechtigkeit herausfordert.«

»Gehe, Kind, gehe zu Leonoren!« erwiderte Addrich freundlich. »Gehe, laß Dir bei der Kranken kein Wort von jenen Dingen entschlüpfen, die Du nicht begreifst und kennst. Vertraue mir. Es steht mit uns nicht übel und Du nährst eitle Besorgnisse. Fürchte nichts. Vertraue mir, ich sah die Welt länger als Du und habe große Erfahrungen.«

»Nein, Addrich, Deiner Erfahrung vertraue ich nicht. Vertraue Du selbst der Stärke solchen Schilfrohrs nicht, wenn Du über den Sumpf böser Anschläge schleichst. Du sinkst unter, Addrich! Es wohnt im Menschen ein Sinn verborgen, der mehr sieht, als die einäugige Erfahrung, und höher steht, als die Klugheit aller Greise.«

»Gehe zu Leonoren!« antwortete Addrich mit Sanftmut, und verließ sie, ins Haus zurückeilend.

Epiphania seufzte; mit diesem Seufzer aber schien sie auch allen Kummer um Gegenwart und Zukunft weggehaucht zu haben. Ihre Augen wandten sich wieder zu den Blumen in ihrer Hand, und schienen denselben zärtliche Dinge zu sagen. Sie trat abermals zum Brunnen, schwenkte hier in der herabsprudelnden Flut das Glas, bewegte es hin und her, bis kein Tropfen mehr daran hängen blieb, füllte es dann mit hellem Wasser, und setzte, sie sinnig ordnend, eine Blume nach der andern in den flüssigen Krystall.

Bei dieser Beschäftigung erblickte sie Renold, als er aus den Gebüsche hervorschritt, und er blieb stehen, um seine Augen an der Schönheit dieser Gestalt zu weiden.

Ein sanftes Rot überfloß Epiphanias Gesicht, als sie den Hauptmann erblickte. Sie schlug die Augen nieder und wandte den Kopf zur andern Seite. Er aber näherte sich ihr mit zierlichen Worten und Grüßen, die sie mit kaum hörbarem Dank erwiderte.

»Fania,« sagte er, »ich habe mit Addrich gesprochen. Gönne mir einen Augenblick Gehör im Zimmer, Ich habe Dir vieles zu sagen. Wisse, Du holdselige Madonna, meine Seligkeit liegt von nun an in Deiner schönen Hand allein; alle anderen Hindernisse sind beseitigt.«

»Ich verstehe Dich nicht, Renold,« antwortete sie halblaut. »Auch habe ich nicht Zeit, Deine Erklärungen anzuhören.«

»Erlaube, daß ich Dir in Dein Gemach folge. Mein Anliegen ist dringender als Du glauben magst, Du spröde, dornenreiche Rose. Lächle mich an, höre mich!«

»Ich will, ich soll nicht hören. Gehe zu den Fremden!«

»Deine Hand zittert, Fania. Laß mich das Blumenglas tragen.« Mit diesen Worten nahm er ihr keck das Glas ab und wanderte dem Hause zu, am Herde vorüber, die Stiege hinauf. Bebend, mit zur Erde gesenktem Blicke und schweigend folgte ihm Addrichs Nichte, als würde sie durch den Zauber des Kleinodes, das er hoch vor sich her in seiner Rechte trug, unwillkürlich nachgezogen. Ohne links oder rechts zu blicken, leisen Trittes, mit ängstlichem Ausdruck in den Geberden, wie wenn sie fürchtete, von fremden Augen auf dem Gange zur Sünde gesehen zu werden, folgte sie ihm.


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