Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Fünftes Kapitel

»Liese!« rief der Pastor den Hausflur hinab, »Liese –komm einmal her! – Gustel, Line, Fanny, Bärbchen – Kinder, kommt einmal alle her! Der Fritz will fort, will zum Grafen Kölpin, will Stallknecht werden – – ich denke, ich habe nicht recht gehört, aber der Starrkopf besteht auf seinem Entschluß! Kommt einmal her! . . .«

Und sie kamen – alle miteinander. Zuerst Frau Liese, das war die Pastorin. Sie kam direkt aus der Küche, das gutmütige Gesicht vom Herdfeuer gerötet, fast atemlos vor Erstaunen. An ihrem Kleide hing Bärbchen, und ihr zur Seite schritt ihr erster Adjutant, das Gustel. Line stürmte aus dem Hintergarten herbei, wo sie Wäsche aufgehängt hatte, und Fanny war in ihrem Mansardenstübchen in der Lektüre eines schauerlich schönen Dramas von einem Stürmer und Dränger unterbrochen worden.

Sie eilten alle herbei – erwartungsvoll und verwundert. In seiner Amtsstube stand inmitten wallender Rauchwolken, wie Zeus im Olymp, der Pastor, und vor ihm mit trotzigem Gesicht Fritz Fiedler. Er hatte sich nicht lange besonnen. Daß er fort mußte, wußte er nach der letzten Aussprache mit dem Pastor – und er wollte auch fort. Was sollte er noch länger in Klein-Busedow? 65 Gelernt hatte er genug – nach seiner eignen Meinung – und im Pfarrhause war er nur ein fünftes Rad am Wagen. Nein, er wollte nicht länger bleiben. Er wollte aber auch nicht in den Eisenbahndienst treten, wie es der Pastor ihm vorgeschlagen hatte. Er kannte die Beschwerden dieses Berufs. Ein Bruder seines Vaters war Lokomotivführer gewesen – Onkel Ede hieß er – und Onkel Ede hatte in seiner Urlaubszeit, die er öfters bei dem Kantor in Klein-Busedow verbracht, recht bitter über die Anstrengungen des Dienstes, über das karge Gehalt und die ermüdende Einförmigkeit des Lebens auf der Bahnstrecke geklagt. Jahr und Tag immer die gleichen Touren, und Sommer und Winter immer auf demselben Platze – das mochte ein Kretin aushalten, kein vernünftiger Mensch! Schließlich war Onkel Ede in Ausübung seines Berufs gestorben: ein Metallstück von einem überheizten und platzenden Wasserkessel war ihm an die Stirn geflogen und hatte ihn im Augenblick getötet.

Die Erinnerung an Onkel Ede war ganz plötzlich frisch geworden im Gedächtnis Fritzens, als der Pastor ihm gesagt hatte, er wolle an seinen Vetter, den Bahnhofsinspektor in Polnisch-Grottkau, schreiben. Fritz hatte nichts darauf erwidert, aber daß er um keinen Preis in den Eisenbahndienst treten würde – das stand fest bei ihm. Eher Knecht bei Matzenthien – da gab es wenigstens Abwechslung, und nichts haßte der Junge so sehr, wie Einförmigkeit und Langeweile.

Nun war es auf einmal anders gekommen. Das kecke Reiterkunststück auf dem Dorfanger hatte eine unbändige Lust zum wilden Erproben seiner Kraft in ihm 66 geweckt. Nun wußte er erst, wie stark er war. Graf Kölpin hatte es ihm gesagt, und das Auge der jungen Gräfin war mit Bewunderung seinem Bändigungsversuche gefolgt. Das hatte ihn stolz gemacht. Er sollte reiten lernen – warum nicht? Es gab sicher aussichtsreichere Carrieren als die, welche mit dem Reitburschen anfing – aber keine dünkte Fritzen im Augenblick so lustig und so wagehalsig und so interessant als diese. Er wollte Reitknecht werden und in den Dienst des Grafen Kölpin treten – er wollte es! Und damit war's gut.

Im Pfarrhause war zufällig niemand Zeuge der nachmittäglichen Ereignisse auf dem Dorfplatze gewesen, und somit war denn das Erstaunen groß, als Fritz sein Abenteuer erzählte und seinen Entschluß kund gab.

Der Pastor war sehr ergrimmt. Er hatte einen höheren Flug von seinem Pflegling erhofft. Besonnener sprach die Pastorin. Was blühte denn dem armen Kantorsjungen für ein besseres Los? Gelernt hatte er herzlich wenig – an den Besuch des Seminars war nicht zu denken – und in den Diensten des jungen Deesenhoffner Grafen konnte er wenigstens seine körperliche Gewandtheit ausnützen! –

Gustel stimmte bei und auch Line nickte zu den Worten der Mama ernsthaft mit dem blondzopfigen Köpfchen. Nur Fanny sagte gar nichts. Ihre dunklen Träumeraugen hafteten mit fast entsetztem Ausdrucke auf Fritz. Sie war aus allen ihren Idealen gestürzt. Ihr starker Ritter sollte Reitknecht werden – das war entwürdigend, sie schämte sich Fritzens! Reitknecht – du lieber Gott! Die Ritterknappen im Mittelalter hatten 67 zwar manche Heldenthaten verübt, und oft genug war ihr Helmschmuck mit grünem Lorbeer umkränzt worden – sie wußte das aus Kotzebues Dramen und aus den Rittersagen Veit Webers – aber was konnte so ein moderner Knappe sich für Lorbeern erringen? Ein Trinkgeld war der gewöhnliche Dank auch für eine ungewöhnlichere Leistung, und eine an Ehren reiche Belohnung war ein Trinkgeld doch sicher nicht!

Nein – Fanny war durchaus nicht mit dem plötzlichen Entschlusse Fritzens einverstanden. Sie sprach kein Wort und zuckte nur mit den Achseln, als die Pastorin sich mit der direkten Frage: »Was sagst du denn dazu, Fannchen?« an sie wandte. Als aber auch der Pastor, durch seine praktischere Gattin halb und halb überzeugt, daß es gar nicht so thöricht sei, wenn der Fritz den Vorschlag des Grafen Kölpin annehme, sich zu der Ansicht der Pastorin bekehrte und Fritz ein noch etwas ärgerlich klingendes: »Na, dann thu', was du willst!« zurief, da verließ Fanny entrüstet das Zimmer und schlich sich hinauf in ihr kleines Mansardenstübchen, wo neben dem angefangenen Strickstrumpf für Bärbchen eine Rittergeschichte Veit Webers aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Und seufzend setzte die hübsche Fanny sich nieder und stützte das mit romantischem Wust überfüllte Köpfchen in die rechte Hand, ließ die rätselhaften Träumeraugen durch das schmale Fenster weit hinaus über Wiesen und Felder schweifen und überlegte, wie jammerschade es doch sei, daß sie nicht ein paar Jahrhunderte früher auf die Welt gekommen sei. Und bei diesen thörichten Gedanken war ihr blasses, schönes Gesicht so ernst, als handele es sich 68 um eine Angelegenheit von äußerst folgenschwerer Bedeutung, und in ihren prachtvollen Augen lag so viel Kummer, daß ein heimlicher Beobachter hätte vermeinen können, ein schweres Leid habe sie betroffen.

Fritz ahnte nichts von den Herzensbedrängnissen des romantischen Pastortöchterchens. Seine Seele war ganz erfüllt mit lustigen Zukunftshoffnungen, die freilich immer noch recht bescheidener Art waren. Die Freude, vom Schultische fort und aus dem langweiligen Dorfe hinauszukommen, beherrschte ihn völlig. Wie sich das weiter gestalten würde – daran dachte er kaum.

Am Nachmittage des folgenden Tages machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Deesenhoff. Er schritt rüstig fürbaß, erst ein Stück die nach Frankfurt a. O. führende Chaussee hinab und dann einen Feldweg entlang, auf dem er in kaum zwei Stunden nach dem in einer Thalmulde liegenden Deesenhoff gelangte. Schon von weitem sah er das stattliche Dorf vor sich, dessen rote Ziegeldächer von dem kastenartigen, von hohen Türmen flankierten Schlosse des Grafen überragt wurden.

Hinter dem Schlosse dehnte ein mächtiger Park mit wundervollen alten Bäumen sich aus. Der Vorgarten war ziemlich schmal. Nur ein Blumenparterre trennte auf dieser Seite das Schloß von der Dorfstraße, doch wucherte hinter dem Gitter eine so dichte Taxushecke, daß man vom Dorfe aus kaum einen Blick in den Garten werfen konnte.

Fritz schritt bescheiden an dem Haupteingang vorüber und bog in einen der Fußwege ein, die durch das Wirtschaftsgehöft nach dem Schlosse führten. Vor dem großen 69 massiven Pferdestall, der Fritz selbst schon wie eine Art Schloß erschien, sah er den jungen Grafen in eifrigem Gespräche mit einem Manne in weißen Lederhosen, Stulpenstiefeln und roter Jacke stehen. Ein zweiter, ähnlich gekleideter Mann hielt den Zappelphilipp, der nur mit einer Wassertrense gezäumt war, am Zügel, während ein dritter das rechte Hinterbein des Tiers aus einem Stalleimer kühlte.

Graf Wendelin klemmte sich das Monocle ein, als er Fritz erblickte, und ließ den weißblonden, ausgedrehten Schnurrbart durch die Finger gleiten.

»Ist das nicht unser Held von gestern?« rief er dem Kantorsjungen entgegen. »Ist das nicht unser Herr Fritz Fiedler aus Klein-Busedow?«

In diesem Augenblick stieß der Zappelphilipp ein schmetterndes Wiehern aus und scharrte mit den Vorderhufen die Erde, während er gleichzeitig den schmalen Kopf hob und die Ohren spitzte.

»Aha,« lachte Graf Wendelin, »– er kennt dich wieder, Fritz Fiedler! Ja, ja, mein guter Zappelphilipp, das war ein böser Tanz für dich, aber ich denke, du wirst dich mit deinem Bändiger aussöhnen und ihr werdet noch einmal gute Freunde sein! Ja, ja, mein Herr Fritz Fiedler, der Zappelphilipp hat's doch gewaltig übel vermerkt, daß du ihn so scharf traktiert hast! Er hat eine unruhige 70 Nacht gehabt und mit dem rechten Hinterknochen über der Kette gelegen und sich das zarte Fell ganz gehörig durchgescheuert. Aber das schadet ihm nichts . . . Nun guten Tag, Kantorsjüngling! Was hat Vater gesagt? War er einverstanden und bist du es auch –?«

Fritz hatte die dunkelblaue Tuchmütze vom Kopfe gerissen und behielt sie in der Hand, während der Graf mit ihm sprach. Er entgegnete in bescheidenem Tone, daß er keine Eltern mehr habe und daß der Pastor Hartwig sich bisher seiner angenommen, daß er aber nun Lust verspüre, sich auf irgend eine Art selbständig zu machen und deshalb gern in den Dienst des gnädigen Herrn Grafen treten wolle. Der Herr Pastor sei auch damit einverstanden, und um andre Leute habe er sich nicht zu kümmern.

Graf Wendelin hörte dem Burschen kopfnickend zu, während er mit der Schleifenspitze der Reitgerte die Spritzflecke von seinen Kniestiefeln abschnellte.

»Na schön,« sagte er dann, »das wär' also abgemacht. Am siebenundzwanzigsten fahren wir nach Berlin zurück – da kannst du gleich mitkommen. An Lohn will ich dir vorläufig zwanzig Mark monatlich bewilligen, aber du sollst avancieren – je nach deinen Leistungen . . . Das weitere kannst du dir von Hempel sagen lassen – dem Herrn da! Adjes, mein Junge.«

Bei den Worten: »dem Herrn da!« deutete der Graf auf den älteren Mann in Reithosen und roter Jacke, der das Kühlen des Zappelphilipp beaufsichtigt hatte und dem Fritz nunmehr, als der Graf außer Sicht gekommen war, eine respektvolle Verbeugung machte.

71 Hempel war ein verwittertes kleines Kerlchen mit einem gelben runzligen Gesicht, freundlichen Augen und großer Hakennase. Er hatte vor fünfzehn Jahren einen guten Ruf als Trainer und Jockey genossen und war stolz darauf, sich einundzwanzigmal irgend etwas an seinem hageren, ausgedörrten Körper gebrochen zu haben. Jeder einzelne, auf der Rennbahn empfangene Knochenbruch war für ihn eine Gladiatorwunde, deren er sich brüstete. Nun freilich waren die Jahre über ihn gekommen, Muskeln und Sehnen versagten ihre Dienste und auch die überanstrengte Lunge konnte die scharfen Ritte nicht mehr vertragen. Erspart hatte sich Hempel trotz seiner zeitweilig glänzenden Einnahmen nichts; er war, wie fast alle seine Kollegen von der niederen Sportswelt, ein leidenschaftlicher Spieler, der sein Gehalt und seine Prämien im Umsehen zu verjeuen pflegte. So war er denn froh gewesen, auf seine alten Tage eine bequeme Anstellung bei dem Premier-Lieutenant Grafen Kölpin zu finden; er führte die Aufsicht über den Stall des Grafen und ließ sich deshalb vom Gesinde »Herr Stallmeister« titulieren.

Hempel musterte unsern Fritz mit einem scharfen Blick aus seinen grauen, lebhaften Augen.

»Wie alt bist du, my boy?« fragte er. Die Vorliebe für englische und französische Redewendungen hatte Herr Hempel von der Rennbahn her übernommen.

»Sechszehn Jahre,« meldete Fritz.

Hempel nickte. »Das beste Alter für die hohe Schule,« meinte er wohlmeinend. »Voyons – woll'n 'mal sehen, ob sich etwas aus dir machen läßt! Knochen und Muskeln sind da – aber das genügt noch nicht. Die Volubilität 72 macht's – die allein. Mußt erst einmal tüchtig in Training genommen werden, hast noch zu viel faules Fleisch auf dem Leibe, m'ami, das muß herunter – das muß herunter! . . .« Und dabei zwinkerte er mit den grauen Augen und schlenkerte mit den Armen nervös hin und her. »Also am siebenundzwanzigsten bist du zum Frühzuge auf der Station Deesenhoff – mit Sack und Pack – 's wird ja nicht allzu viel sein. Nun will ich dir erst einmal deine näheren Kollegen vorstellen. Das ist der Tom, der erste Reitknecht! Tom, come to me!«

Tom kroch hinter dem Zappelphilipp hervor, reichte Fritz die rechte Hand, schnitt ein Gesicht und sagte mit hoher Fistelstimme:

»Morning! Hab' die Erre! Serr angenähm!«

»Sprich deutsch, Kamel!« fiel Herr Hempel ein und gab dem vielleicht achtzehnjährigen Reitknecht einen gut gemeinten Klapps auf die Schulter. »Mußt nämlich wissen, Fritz Fiedler, daß diese Range sich einbildet, ein Engländer zu sein, weil er einmal bei Mister Beshford, dem englischen General-Konsul in Berlin, gedient hat. Der hat ihn auch Tom getauft, aber eigentlich heißt er August und mit Vatersnamen Pretzel. Filou du! . . . So – und das da, der kleine Schwarze mit den fünf Barthaaren auf der Oberlippe, ist der Nickel! Nickel, komm' her!«

Nickel warf den Schwamm, mit dem er den Zappelphilipp gekühlt hatte, in den Stalleimer, sodaß das Wasser hoch aufspritzte, und machte einen Kratzfuß vor Fritz.

»Nickel nennt ihn der gnädige Herr Graf,« erläuterte Hempel; »in der heiligen Taufe hat dieser junge 73 Windbeutel den Namen Nikodemus empfangen, aber das war uns zu lang. Nickel ist kürzer und thut's auch. Vor diesem Nickel warne ich dich, Fiedler. Er ist ein Schwerenöter und läuft den Mädchen nach, statt sich um seine Pferde zu kümmern. Auch liest er heimlich Romanbücher und ist zu allen Schandthaten fähig. Sonst ist's aber ein guter Junge. Nickel, wenn du mir noch einmal hinter dem Zappelphilipp die Zunge heraussteckst, nehm' ich dich beim Ohre! . . . Nun kommt der Kutscher heran – den haben wir auch mitgebracht, weil er ein geborener Deesenhoffner ist. Vegesack!«

»Herr Stallmeister!«

In der Stallthüre erschien ein sehr feiner Herr in blauer Livree mit silbernen Wappenknöpfen, ein Mann mit englisch zugestutztem Backenbarte, aber sonst glattrasiertem Gesicht und leicht gestülpter Nase, die der ganzen Physiognomie einen gewissen dummstolzen Ausdruck gab.

»Einen Augenblick, Vegesack,« sagte Hempel, »ich möchte Ihnen gern unsern neuen zweiten Reitknecht, Fritz Fiedler benamset, präsentieren!«

Herr Vegesack, der Kutscher, schritt steifbeinig, dabei aber eine vornehme Nonchalance heuchelnd, auf unsern Helden zu und begrüßte ihn mit gnädigem Kopfnicken.

»Ich freue mich, junger Mann,« näselte er, nickte dann abermals und wandte sich an Hempel.

»Es wird Zeit, daß wir bald wieder in die Mauern der Residenz zurückkehren,« fuhr er in derselben nasalen Tonart fort. »Man hat sich des Landaufenthaltes entwöhnt – man ist dorfmüde geworden. Ich bin nun einmal ein Großstädter – äh . . .«

74 Dieses letzte »äh« wandte Herr Vegesack immer an, wenn er ganz vornehm erscheinen wollte. Der Kutscher des Grafen Horn – Rittmeister Graf Horn war der Intimus des Grafen Wendelin Kölpin – hatte dies unnachahmlich feudale »äh« als ein Erbstück seines Herrn auch angenommen, und dieser wackere Rosselenker galt Vegesack als ein Muster von Vornehmheit.

Herr Vegesack hielt sich nicht lange auf. Er näselte noch einiges vor sich hin und stolzierte dann mit kokettem Wiegen der Hüften in seinen Stall zurück.

»Die andern sind in Berlin geblieben,« wandte sich Hempel von neuem an den immer noch voll höchsten Respekts vor ihm stehenden Fritz. »Das sind nämlich erstens einmal der Herr Kammerdiener Aalkrug und der Lakai Heinrich, sodann der lange Basedow, der Stallknecht, zugleich Bursche des gnädigen Herrn Grafen, ein Rüpel aus Hinterpommern, der stets mir und mich verwechselt und mit der Zunge anstößt. Das übrige Hauspersonal besteht aus Frauenzimmern, die dich weiter nichts angehen. Und nun merke dir eins, Fritz Fiedler, mon petit ami: Du kommst in ein sehr vornehmes und sehr elegantes Haus, in eines der feinsten der Residenz. Zeige dich würdig dieses Hauses und halte dich brav. Schließe dich an mich an und meinen verehrten Freund, den Herrn Kammerdiener, einen Mann von großer Bildung und reicher Vergangenheit, denn er war an die zwanzig Jahre bei Hofe installiert und kennt das Leben. Du bist noch sehr jung, und wir beide, der Herr Kammerdiener und ich, werden gern bereit sein, deine Jugend zu beschützen und dich vor bösen Erfahrungen zu bewahren. Denn 75 Berlin, mein Sohn, ist ein Babel, in dem man leicht schlecht werden kann, wie Exempla beweisen . . . So – und nun geh' wieder heim und bringe deine Sachen in Stand und sei pünktlich am siebenundzwanzigsten auf dem Bahnhofe. Da hast du noch eine Cigarre mit auf den Weg. Adieu, my boy

Der gute Hempel gab Fritz die Hand und reichte ihm dann eine schwarze, unheimlich lange Cigarre, die er locker in der Brusttasche seiner roten Jacke trug. Fritz schämte sich, zu erwidern, daß er noch nie geraucht habe, nahm das unheimliche Kraut deshalb dankend an und verabschiedete sich, wobei er auch nicht unterließ, Tom und Nickel die Hand zu geben.

Am Ausgange von Deesenhoff fiel ihm ein, die Cigarre Hempels zu probieren. Schwefelhölzer führte er in der Westentasche mit sich. Er zündete eines derselben durch kräftiges Streichen am Hosenbein an, biß dann die Spitze der Cigarre ab und begann lustig zu rauchen. Die ersten Züge schmeckten nicht übel. Fritz kam sich sehr stolz vor. Er warf sich in die Brust, hob die Nase keck in die Höhe und trug die Cigarre zwischen den gespreizten Fingern in der Hand. Aber das währte nicht lange. Ein plötzliches Unbehagen in der Magengegend nötigte ihn, stehen zu bleiben, und gleichzeitig fühlte er kalte Schweißtropfen auf der Stirne. Ihm war entsetzlich elend zu Mut.

Am Grabenrande stand ein Weidenbaum, an dessen Stamm er sich tief aufatmend lehnte. O je, war das ein Genuß! Fritz hielt zwar noch immer den glimmenden Stengel zwischen Zeige- und Mittelfinger, aber sein Stolz war dahin und sein Hochmut verflogen. Es schwirrte 76 und flimmerte ihm ganz merkwürdig vor den Augen, und seine Kniee bebten. Zehn Minuten etwa währte die fatale Krise, dann wurde ihm langsam besser. Er nahm die Mütze ab, sodaß die frische Luft seine Stirn kühlen konnte und setzte seinen Weg fort. Dabei warf er einen scheuen und mißtrauischen Blick auf die angerauchte Cigarre. Sie war ausgegangen und sah nun noch unheimlicher aus als vorher. Fritz überlegte, ob er sie fortwerfen sollte – dann steckte er sie aber kurz entschlossen in die Tasche, nachdem er das obere Ende sorgfältig befühlt hatte, ob es auch gänzlich erkaltet sei. Er wollte sie dem alten Lennert schenken – der mochte sie weiterrauchen . . .

Wenn Fritz Philosoph gewesen wäre, so würde er nach diesem ersten mißlungenen Rauchversuche vielleicht zu dem weisen Schlusse gekommen sein, daß auch das Genießen erlernt werden müsse. Aber Fritz war vorläufig noch ein recht dummer Junge. 77

 


 


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