Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Zehnter Gesang.

In Hoffnung, der Zauberer Merlin, der unsern Helden beschützt,
Werd' in der dringenden Noth, worinn wir im neunten Gesange
Ihn ließen, das Beste thun, kehren wir itzt
(Gezogen, wir wissen selbst nicht von welchem zärtlichen Hange)
Zu Dindonetten, die noch in ihrer Höle sitzt,
Und sich nicht wenig verwundert, warum ihr Ritter so lange
Bey seinem Geschäfte verweilt. Noch immer donnert und blitzt
Der Wolkenthürmer Zevs;Ein gewöhnliches Beywort des Jupiters beym Homer. und sich verlassen zu sehen
Im ödesten Wald, und um die Stunde, worinn
(Nach ihrer Amme) die Geister auf Abentheuer gehen,
War alles, was es bedurfte, um eine Denkerin
Wie Dindonette zu erschüttern.
Indessen da kein Ritter kommen will,
Und, wie das Sprüchwort sagt, kein Zittern
Vorm Tode hilft, auch alles wieder still
Im Himmel wird, – beginnt sie sich zu fassen,
Und denkt: »Der Ritter kam, als fiel er vom Mond herab,
Just da ich mich dem Faun auf Gnad' und Ungnad ergab;
Wer hätte von Caramellen sich damals träumen lassen?
Der Zufall kann mir ja noch einmal günstig seyn,
Und einen andern für mich in diese Grotte verschlagen;
Auf Regen folgt gewöhnlich Sonnenschein,
Und Morgen ist auch ein Tag, pflegt meine Amme zu sagen.«

Was auch die Philosophische Zunft
Entgegen haben mag, (die, wie bekannt, den Ammen
Nie günstig war) ich nenne dies Vernunft!
Mit allen seinen Epigrammen
Ad Marciam, sagt Seneca nicht mehr.Vermuthlich eine Anspielung auf den epigrammatischen Witz, der in der Schreibart dieses sonst vortrefflichen Schriftstellers herrschet. Daß der Nutzen solcher Philosophischen Trostschriften wie die Consolatio ad Marciam, auf welche hier gedeutet wird, nicht sehr erheblich sey, hat die Erfahrung längst bewiesen. Schriften von dieser Art würken am besten bey Pflegmatischen, wenig empfindlichen Personen, und diese haben ihrer nicht vonnöthen; aber die Eitelkeit findet ihre Rechnung dabey, wenn sie das, was die Frucht unsrer Gleichgültigkeit ist, für eine Würkung unsrer Weisheit geben kann.
Sehr weislich raft demnach mein Fräulein sich zusammen,
Legt ihre schöne Last, von Schlaf und Dünsten schwehr,
Auf einen Canapee von Moos und dürren Blättern,
Den längst ein Sturm für sie gepolstert, hin;
Und überläßt mit glücklich-leichtem Sinn
Sich selbst dem Schlaf, und ihre Sorgen den Göttern.

Und da sie noch im ersten Schlummer lag,
Zur Stunde, wenn Aurora Stirn und Wangen
Zu schminken pflegt auf einen Feyertag,
Kömmt aus dem Innersten der Höle was gegangen;
Ob ein Gespenst, Gnom oder Nekromant,
Ist ungewiß. Es trug ein Licht in der Hand,
Und schien, je näher es kam, je fürchterlicher zu werden.
Das Fräulein wäre vor Angst in die Eingeweide der Erden
Gekrochen, hätte der Schlaf ihr nicht den Schrecken erspart.
Doch, eurer Phantasie sogleich aus dem Wunder zu helfen,
So wisset, es war kein Geist, noch einer von den Elfen
Des Gnomenreichs. Ein Mann mit langem schwarzen Bart
Und langen Haaren wars, die wild um die Lenden ihm schlugen,
Und sah und trug sich just, wie man in Büchern liest,
Daß um den Caucasus sich seines gleichen trugen;
Mit einem Worte, der Mann war ein Gymnosophist.Die Gymnosophisten, oder die nackten Weisen, sollen eine Art von Philosophischem Orden unter den alten Indianern gewesen seyn, deren Grundsätze und Lebensart mit derjenigen, welche uns Rousseau in seinem discours sur l'inegalité anpreiset, viele Aehnlichkeit zu haben scheint. Die ausführlichsten Nachrichten von ihnen geben uns Strabo, Philostratus, und Porphyrius, von welchen die beyden letztern große Freunde des Wunderbaren sind, jedoch sich auf den Bardesanes und Onesicritus, als Augenzeugen, berufen. Das Ansehen eines Philostratus ist für einen Geschichtschreiber nichts; aber es ist hinlänglich, um die Dichtungen eines comischen Poeten zu unterstützen. Wenigstens scheint unser Dichter von dem hohen und übernatürlichen Begriff, den dieser Sophist, in seinem Leben des Apollonius von Tyana, von den Gymnosophisten giebt, Gelegenheit genommen zu haben, ihn zu einem Theosophischen Schwärmer und eingebildeten Candidaten des großen Geheimnisses der Hermetischen Philosophie, des Steins der Weisen, zu machen. Wie übrigens dieser Gymnosophist von den Ufern des Ganges in eine Höle des Berges in Africa gekommen sey, möchte wohl ohne Hülfe der Poetischen Freyheit nicht zu erklären seyn; wiewohl die Alten auch von Aethiopischen Gymnosophisten sprechen, von denen er vielleicht einer gewesen seyn mag.

Sein Daseyn ganz dem unverwandten Beschauen
Von dem was ist, nach Plato,Nur das, was wahrhaftig ist, verdient, nach Plato, die Aufmerksamkeit des Weisen; und, was auch die Antiplatonen dawider einwenden, der göttliche Plato hat Recht; unter dem Bedinge, daß er uns erlaube, zur Erholung, uns zuweilen auch mit dem was nur so scheint zu amüsieren: eine Ergötzlichkeit, die er uns destoweniger versagen kann, da er sie sogar den Bewohnern der überhimmlischen Gegenden zugesteht. oder, nach Fo,Fo oder Foe, welcher mit dem Xekia und Sommonacodom Eine Person seyn soll, ist der wenig in Europa bekannte Stifter einer durch den grössesten Theil von Asien ausgebreiteten Religion. Unter seinen geheimen und nur vertrautesten Jüngern geoffenbarten Lehrsätzen soll gewesen seyn: »die höchste Vollkommenheit und Seligkeit bestehe in der Vereinigung mit dem Leeren, aus welchem alles entstanden sey, und in welches alles sich wieder verliere. Das Mittel hiezu (sagen seine Anhänger) sey, wenn man es soweit bringen könne, gar nichts mehr zu empfinden, noch zu denken, noch zu begehren«; und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie hierinn Recht haben.
Von dem was nicht ist, zu weyhn, und allen Umgang mit Frauen,
Der (wie zu sehn an Salomo)
Gift für die Weisheit ist, auf ewig zu meiden, – entfloh
Der Ehrenmann bereits im Morgen seiner Jugend
In diese Gruft; um in der hohen Tugend,
»Im Finstern – nichts zu sehn, und, weil er gar nichts thut,
Nichts Böses zu thun« – sich ungestört zu üben.
Tyrann von seinen Thierischen Trieben,
Gewöhnt' er sich, was Schön und Gut,
Bloß durch Abstraction zu lieben;
Sein Blut war gleichsam nur ein Blut,
Wie das, so Epikur den Göttern zugeschrieben;Cicero de Nat. Deor. L. I. c. 18. Die Götter haben einen menschlichen Leib, (sagt Epikur) aber nur gleichsam einen Leib, und das Blut, das darinn circuliert, ist nur gleichsam ein Blut.
Kurz, eher hätt' er sich den Sturz des Himmels versehn,
Als daß ein Mädchen in seinen alten Tagen
Ihm seinen weisen Kopf noch sollte rückwärts drehn.
Was wurde (so pflegt er oft zu einem Narren zu sagen,
Der unzertrennlich von ihm in seiner Einsamkeit war,
Und den er vom Geschick verdammt war immerdar
Gern oder nicht mit sich herumzutragen)
»Was wurd' aus allen den Schönen, woran die dichtrische Schaar
Sich heischer singt, der schönen Magellone,
Der Königin Genievre, und Leda, und Hesione,
Der Schönen mit dem goldnen Haar,
Und Penthesileen, der schönen Amazone?
Sieh diesen kahlen Schedel hier,
Statt zierlicher Locken von Maden umkrochen!
Wollüstling, sieh! wie reizend grinßt er dir!
An diesem Schädel hieng voll glühender Begier
Der Griechen schmachtender Blick! In diesen faulen Knochen
Zu liegen, war der Wunsch, der Stolz der halben Welt,
Und Amor selbst erhielt dies neidenswerthe Glücke
Nicht anders als um baares Geld.
Wie? eckler Sybarit, du schauderst mit Grauen zurücke?
Du würdigst Phrynen itzt nicht einen deiner Blicke?
Sie, die, zu schön für jedes mindre Lob,
Praxiteles zum Venusbild erhob!«Praxiteles, der Schöpfer jener in den Schriften der Alten so hoch gepriesenen Gnidischen Venus, soll, nach des Athenäus Bericht, die schöne Phryne, die er liebte, zum Modell dazu genommen haben.


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