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Vit Gilles und die Seinigen.

Unsere Erzählung beginnt zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, welcher soviel namenloses Elend über unser deutsches Vaterland überhaupt, besonders aber über die Gegend des Niederrheins gebracht hat.

Es war eine traurige Zeit, wo die deutschen Stämme, anstatt geschlossen gegen ihre äußeren Feinde zu streiten, sich gegenseitig bekämpften. Überall herrschte Verwüstung, Armut, Krieg, Trübsal, Elend und oft Hungersnot. Deutschland war in sich selbst zerrissen und ganz uneinig. Im Jahre 1634 kämpfte auf deutschem Boden das schwedische Heer; der Untergang Deutschlands war beschlossene Sache.

Der schwedische General Bauer schlug in zwei großen Schlachten 1635 bei Dömitz und 1636 bei Wittstock die Kaiserlichen Truppen. Seine Soldaten überschwemmten jetzt Pommern, Sachsen und Thüringen, verheerten und brandschatzten diese Länder in der greulichsten Weise. Blut, Leichen, abgebrannte Städte, Flecken und Dörfer bezeichneten den Weg, welchen die Schweden genommen hatten.

Jetzt drang der berühmte Jan van Werth mit seinen kühnen Reiterscharen in Frankreich ein, überall Furcht und Schrecken verbreitend, und stand zum Entsetzen der Pariser im August 1636 vor ihrer Hauptstadt.

1637 bestieg Kaiser Ferdinand III. den deutschen Kaiserthron. Das Ende des Krieges war noch gar nicht abzusehen, obschon verschiedene Fürsten und auch der Kaiser dieses sehnlichst wünschten.

Um diese Zeit trat Kurbrandenburg auf die Seite des Kaisers und nahm am Kampfe teil. Der Schwedengeneral Bauer wurde gründlich geschlagen und zum Rückzug nach der Ostsee gezwungen, wo er sich mit den unter General Wrangel stehenden schwedischen Truppen verband. Bernhard von Weimar fiel 1638 wieder in Deutschland ein und schlug bei Rheinfelden Jan van Werth, eroberte Breisach und Freiburg und starb dann eines plötzlichen Todes am 8. Juli 1639. Sein Heer wurde dem des Prinzen von Conde einverleibt.

General Bauer zog zur Überwinterung im Jahre 1639/40 durch Sachsen, Böhmen, Schlesien, Mähren, durch einen Teil Österreichs und Thüringen, wo er verschiedene befestigte Lager bezog und den armen Bewohnern dieser Länder die Härte der schwedischen Kriegsführung fühlen ließ. Seine Absicht war, sich mit der französischen Armee zu vereinigen und dann gemeinsam über Regensburg herzufallen, den Kaiser mit den dort versammelten Kurfürsten gefangenzunehmen und so ganz Deutschland in seine Gewalt zu bekommen.

Jedoch das ging fehl. Er wurde wiederholt von den Kaiserlichen Truppen geschlagen und starb am 21. Mai 1641. Nach ihm übernahm Torstenson, der letzte aus der Feldherrnschule Gustav Adolphs, den Befehl über das Schwedenheer, welches die Feindseligkeiten fortsetzte und das Land aussog und verheerte.

Die Gegend des Niederrheins war bis zum Jahre 1640 vom Kriege noch ziemlich verschont geblieben. Wohl waren häufig durchziehende Truppen dort in Quartier, jedoch wurde bis dahin wenig oder fast gar nicht hier gekämpft.

Dann aber kamen die hessischen Truppen hierhin, eine wilde Rotte ohne Manneszucht und Disziplin, welche plünderte und brandschatzte wie die Räuber. Gladbach, Krefeld und Umgegend haben damals viel gelitten.

Angst und Schrecken herrschte unter der Bevölkerung. Am schlimmsten wurden die Bewohner des flachen Landes gequält. Alles Vieh wurde ihnen geraubt, Felder und Saaten verdorben, Häuser und Höfe eingeäschert. Die Stadt Gladbach blieb einstweilen noch ziemlich verschont, weil sie gut befestigt war und der Abt als Grundherr gewöhnlich mit den Befehlshabern verhandelte und gut zahlte, wenn die Truppen, ohne Quartier zu nehmen, weiterzogen.

Zur Zeit des Beginnens dieser Erzählung tobte der Dreißigjährige Krieg schon 22 Jahre in unserem Vaterlande. Alles, was der Krieg an Greueln kennt, hatte das arme Volk von der rohen Soldateska erduldet. Was half es, daß verschiedene strenge Feldherren Manneszucht anbefahlen und Plünderung und Mord mit dem Tode bestraften? Hinter den Heereshaufen, die der Blick des Feldherrn nicht erreichen konnte, zogen die Marodeure und sonstige Gesellen, die sich nie in der Schlacht schlugen, aber um so öfter bei Spiel und Trunk den Degen schwangen, Leute, die nichts zu hoffen und nichts zu verlieren hatten, weil sie geachtet und entehrt waren, und die nun ihr Leben, welches schon längst auf der Henkerliste stand, noch teuer verkaufen wollten. Dazu ein ganzer Troß von Gaunern und Tagedieben nebst Weibern und Kindern; alle diese Marodeure waren viel schlimmer, als die Heerhaufen selbst. Zwar gab es unter den kaiserlichen und schwedischen noch manchen rechtschaffenen Offizier sowie manchen ehrenfesten Landsknecht, die auf Zucht und Waffenehre hielten, aber die verlotterten Kumpane, die hinter den Kriegerscharen herzogen, teilweise ausgestoßen aus der ehrlichen Landsknechtschar und nun vielfach auf den Soldatennamen Schimpf und Schande ladend, waren weit mehr zu fürchten; ebenso haben auch kleinere Abteilungen der Kaiserlichen sowohl wie der Schweden, schrecklich gehaust, und da in unserer Erzählung meist nur von letzteren und, besonders von den mit den Franzosen verbündeten Hessen die Rede ist, so kommen diese auch nur in Betracht.

Zur Herbstzeit des Jahres 1640 saß in dem Hause des Krämers Jakob Brenner am Markte zu Gladbach die Familie nach dem eingenommenen Abendessen noch plaudernd um den großen Tisch in der Küche.

Es war recht behaglich in dem großen Raume, während es draußen stürmte und regnete. Der Wind trieb sein tolles Spiel mit einem losen Fensterladen, den er heftig gegen die Mauer anschlug, da er nicht angekettet war. Er heulte und rüttelte an Fenstern und Türen, daß es eine Art hatte. Das Herdfeuer aber brannte lustig und verbreitete Licht und Wärme.

Der Hervorragendste an der Tischrunde, Jakob Brenner, oder Meister Jakob, wie er schlechtweg im Städtchen genannt wurde, ist ein kräftiger, gesunder, freundlich aussehender Mann, ein starker Vierziger, welcher Kaufmannschaft oder Krämerei betreibt. Er hat vier Webstühle im Hause stehen, aus welchen vorzügliches Leinen angefertigt wurde. Ferner handelte er mit Rohmaterial, Flachs und Hanf. Sein schwarzes Tuch, welches er aus Holland und Flandern bezog, war weit und breit in der Umgegend ebenso bekannt, wie Meister Jakobs Rechtschaffenheit und Biederkeit.

Er hatte in seiner Jugend bei Verwandten in Maastricht sein Handwerk, die Weberei, gründlich erlernt, war dann als Webergeselle durch die Welt gezogen und vor Jahren wieder in sein liebes Heimatstädtchen Gladbach gekommen. Bei den Holländern hatte er aufgepaßt, und sich die gute, niederländische Webart zu eigen gemacht, hatte etwas verdient und verstand sich sogar auf den Handel. In der Heimat fing er daher sofort an selbständig zu arbeiten, indem er sich ein Häuschen mietete und auf einer Getau Getau. Niederrheinische Bezeichnung für einen Handwebstuhl. zu weben begann. Seine feine Arbeit fand raschen Absatz, namentlich kauften die Mönche viel von ihm und unterstützten ihn dadurch wesentlich. Es ging ihm also recht gut, und da er fleißig, nüchtern und sparsam war, hatte er bald ein bedeutendes Geschäft und konnte schon mehrere Gehilfen beschäftigen, sodaß er es bald zu einem gewissen Wohlstande brachte.

Sein feines, namentlich für Tischtücher bestimmtes Leinen war vorzüglich gewebt und so mit Blumen, Vögeln und feinen Guirlanden durchwirkt, daß bald keine Hausfrau im Städtchen andere Parade-, Tisch- und Handtücher gebrauchen wollte, als solche, die aus Meister Jakobs Webstube hervorgegangen waren. Meister Jakob war ein tüchtiger Zeichner, und wenn er einen Auftrag bekam, ein schönes Tischtuch oder ein Dutzend Handtücher anzufertigen – er legte dabei der kritischen Hausfrau die Zeichnungen vor, welche er, der Bestellung und dem Geschmacke der Kundin gemäß entwarf – so war diese oft so erfreut, daß die Bestellung häufig verdoppelt und verdreifacht wurde, und der Ruf von Meister Jakobs sauberer Arbeit brachte Letzterem immer mehr Kundschaft.

Aber dem Meister Jakob fehlte eine Hausfrau. Sie fehlte ihm, dem Junggesellen, fehlte aber noch mehr seinem Haushalte. Drüben, in der Nachbarschaft wohnte der Kupferschmied Vit Gilles mit seiner einzigen Tochter Mechtilde, welche die Hauswirtschaft führte. Ein schmuckes, sittsames Mädchen, das gar manchem Burschen in die Augen stach. Kein Wunder, daß Meister Jakob, der das Mädchen täglich beobachten konnte, und sah, wie es im Hause hantierte, gar bald Gefallen an ihm fand. Und wenn Mechtilde des Abends mit den Anderen schäkernd vom Brunnen kam, oder Sonntags in der Frühe im besten Staat zur Kirche ging, – ernsten gemessenen Schrittes, wie es sich geziemt, die Augen gesenkt und das Gebetbuch in der Hand – dann überkam es Meister Jakob, als müsse er alles daransetzen, sich dieses Mädchen zu erobern, ja, sie mußte sein werden, koste es, was es wollte!

So kam es denn, daß er auf einmal bemerkte, daß er allerlei Bedarf an Kupfergeschirr hatte.

Einmal bestellte er einen Kessel, ein andermal einen Mörser, später ein getriebenes Weihwassergefäß. Er blieb dann gewöhnlich bei Meister Vit in der gemütlichen Küche sitzen und plauderte von allem Möglichen, nur nicht von dem, was ihm so sehr am Herzen lag, von der Mechtilde. Letztere brachte alsdann einen Krug Bier herein, grüßte errötend den jungen Meister und entfernte sich schweigend. Das hatte längere Zeit gedauert, bis der alte Vit, der die Sache durchschaut hatte, eines Abends ein Ende machte. Nachdem sie einige Zeit geplaudert hatten, sagte dieser:

»Hört einmal, junger Meister, Ihr wohnt da allein in dem großen Hause, schafft Tag und Nacht und verdient auch tüchtig Geld, aber – wofür? Ein Heim habt Ihr nicht: Ihr müßt Euch eine Frau suchen! Ich meine wenigstens – denn so allein – – – –«

Meister Jakob errötete und stotterte verlegen, er möchte das wohl gerne, aber das sei nicht so leicht, die richtige zu finden.

»Ei, Meister Jakob«, erwiderte Vit lächelnd, »allzu schwer scheint's mir aber auch nicht zu sein. Donnerwetter! Ein Bursche in Eurem Alter – – Übrigens wißt Ihr schon eine; hättet Ihr nur den Mut sie zu fragen, ob sie Euch will!«

Meister Jakob drehte verlegen seine Mütze und rutschte auf seinem Stuhle hin und her.

»Ich will Euch einmal etwas sagen«, fuhr Meister Vit fort, indem er die Hand vertraulich auf des Anderen Schulter legte, »wir wollen nicht lange hin- und herreden. Ein alter Kriegsmann wie ich, ist gewohnt, direkt auf's Ziel loszugehen. Schaut mal her! Ihr müßtet so 'ne Frau haben wie – na, wie meine Mechtilde etwa sein könnte – – was sagt Ihr dazu? Würde die nicht zu Euch passen?« setzte er mit schalkhaftem Lächeln hinzu.

»Eure Tochter Mechtilde! Ja, da sagt Ihr was!« platzte Jakob hervor. »Aber wie kommt Ihr dazu? Wer sagt Euch daß – –«

»Ihr selber«, lachte der Alte. »Meint Ihr übrigens, ich wäre voll Stroh und hätte Knöpfe auf den Augen?«

»Alte Leute haben Erfahrung und sehen scharf, auch in Liebessachen, denn – Gott ja! – wir sind doch schließlich auch mal jung gewesen. Also, Meister Jakob, nichts für ungut, wenn ich in letzter Zeit so manches beobachtete, worüber ich mir meine Gedanken gemacht habe.

Als ich Sonntag im Münster zusah, wie meiner Mechtilde der Rosenkranz entfiel, Ihr ihn aufhobt und wieder zurückgabt, und Ihr beide dabei rot wurdet wie die Krebse –, da dachte ich, mit den beiden ist etwas im Spiel, die haben Feuer gefangen. Ja, ja, ich habe es längst gemerkt, daß Ihr Euch versteht, wie zwei Spitzbuben!«

»Noch gestern – –«

»Das ist nun gerade nicht der Fall, Meister Vit«, wehrte Jakob ab, diesem offen ins Gesicht sehend, »von einem Einverständnis kann noch keine Rede sein, denn ich habe mit Mechtilde noch kein Wort gesprochen und würde dieses auch nicht tun, bevor ich mit ihrem Vater gesprochen habe!«

»Nun, das ist ja recht schön von Euch«, sagte Vit, »dann hört mal, lieber Nachbar: Wär's da nicht besser, wenn Ihr's kurz macht – wie? Erklärt Euch, Ihr möchtet meine Mechtilde zur Frau haben – sagt's frei heraus und die Sache ist abgemacht!«

»Gewiß, Meister, wenn sie will, und Ihr nichts dagegen habt!«

»Was mich anbelangt, bin ich von Herzen einverstanden, denn seht, Meister Jakob, in diesen unruhigen Zeiten möchte ich mein Kind gerne versorgt wissen, und niemand möchte ich es lieber anvertrauen, als Euch, wackerer Meister; doch wir wollen hören, was die Mechtilde sagt«.

Er lief zur Türe und rief die Tochter herein, obschon Meister Jakob bat, noch einmal zu warten.

»Ach was«, meinte Vit, »durch Warten und Harren, wird mancher zum Narren. Besser die Geschichte gleich in Ordnung gebracht!«

Als Mechtilde erschien, sagte Meister Vit: »Höre, Mädchen, hier der Meister Jakob hat dir etwas zu sagen!«

Jakob drehte wieder seinen Hut und Mechtilde nestelte verlegen an ihrer Schürze herum. Beide schwiegen.

Jetzt riß dem Meister Vit die Geduld.

»Ei, so sprecht doch, Meister! Ihr tut ja als sei Euch das Herz in die Hosen gefallen. Da sieh nur einer an! Vor wem habt Ihr denn Angst?!«

Als Jakob noch immer schwieg, stand Meister Vit auf, stellte sich in Positur, und sagte sich verbeugend, zu Mechtilde:

»Hier unser lieber Nachbar, der ehrenwerte Webermeister und Krämer Jakob Brenner, bittet um die Hand der ehr- und sittsamen Jungfrau Mechtilde Gilles! Ist es nicht so, Meister?«

Ein schüchternes »Ja« kam von des Meisters Lippen.

»Und du, Mädchen«, fuhr der Alte fort, »was sagst du dazu? du hast freien Willen, sag' an, sollen wir ihn fortschicken?«

»Nein, Vater!« lispelte Mechtilde, wie mit Purpur übergossen.

»So, also nicht fortschicken! Somit willst du ihn haben und bist bereit, mit ihm zum Altar zu treten? Sag's frisch heraus!«

»Ja!« hauchte die Maid.

»Nun«, rief der Alte erfreut, »ich wußte es ja. – Jetzt sind wir also endlich so weit. So, Kinder, meinen Segen habt ihr; jetzt reicht euch die Hände und werdet glücklich!«

Die Liebenden reichten sich die Hand und der Meister sagte: »Ich gehe jetzt in den Keller und hole ein paar Flaschen vom Besten herauf«. Damit entfernte er sich.

Jakob näherte sich jetzt Mechtilde, zog sie in seine Arme und fragte sie, ob sie ihm auch wirklich gut sei, was sie errötend bejahte und indem sie zu ihm aufschaute, fanden sich Ihre Lippen zum ersten Kusse, der ihren Bund besiegelte.

Dann kam der Meister herein mit zwei Flaschen und drei Gläsern, und die drei glücklichen Menschen setzten sich zusammen, plauderten noch lange und machten Pläne für die Zukunft.

»Was soll ich nun aber allein anfangen hier in der Böld, Böld. Unter Böld versteht man ein altes Haus. wenn mein Kind fort ist?« fragte Vit in komischer Verzweiflung.

»Ei, Vater,« sagte Mechtilde, »du ziehst mit uns, nicht wahr, Jakob?«

»Freilich,« sagte dieser erfreut, »bei mir ist Platz und Arbeit in Hülle und Fülle, und da kommt mir Eure gereifte Erfahrung zunutze.«

»Nun,« schmunzelte vergnügt der Alte, »das brauche ich mir nicht lange zu überlegen.«

Nach sechs Wochen war Hochzeit. Meister Vit verkaufte sein Haus, übertrug seine Werkstätte einem jungen Handwerker und zog zu seinen Kindern. Diese lebten recht glücklich und zufrieden. Der Himmel schenkte ihnen zwei Kinder, tüchtige gesunde Jungen, Jakob, der älteste, zählte jetzt bereits 18 Jahre, war sehr still und bescheiden, aber lernbegierig und brav. Er hatte die Klosterschule bei den Benediktinern besucht und konnte lesen und schreiben, was damals selten war. Der zweite, 17 Jahre alt, war des Großvaters Liebling: ein frischer aufgeweckter Junge, der, wie der Großvater behauptete, ein tüchtiger Kriegsmann werden würde. Er konnte ebenfalls lesen und schreiben, hatte eine rasche Auffassungsgabe und war bei seiner Lebhaftigkeit ein wenig leichtsinnig, auch gerne zu mutwilligen Streichen aufgelegt; doch wußte er genau, wann es Zeit war, zu gehorchen.

Der Großvater gehörte mit zum Haushalte. Er war jetzt ein Siebziger, und hatte sehr viel im Leben durchgemacht, da er unter den verschiedensten Potentaten als Landsknecht gedient hatte. Im Hause führte er das Regiment. Er war überall und nirgends, morgens der erste und abends der letzte, immer emsig beschäftigt. Er sah alles, wußte über alles Bescheid zu geben, packte frisch bei der Arbeit mit an und besorgte den vor dem Mardertor Marderthor. Die Maaderpuot, Maatpuot hieß das in der Richtung nach Viersen zu liegende Stadttor. liegenden Garten. Im Hause wurde strenge Ordnung gehalten. Gebet und Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit waren die Grundregeln. Es herrschte die peinlichste Sauberkeit, deshalb waren auch alle Zimmer des Hauses so anheimelnd und freundlich. In der Küche, welche im Herbst, Winter und Frühling auch als Wohnstube benutzt wurde, glänzte das Zinn- und Kupfergeschirr, als wenn es eitel Gold gewesen wäre.

In ihr schaltete und waltete neben der Hausfrau, die Magd Gertrud, welche nun schon seit zehn Jahren im Hause diente, eine ruhige gesetzte Person von 30 Jahren und dabei treu und fleißig. Sie wurde als ein Familienmitglied betrachtet und behandelt.

In dem großen dreistöckigen Hause mit Einfahrtstor trat man zuerst ins sogenannte Vorhaus, welches auch gleichzeitig als Kramladen diente. Neben dem Laden war das Staatszimmer Staatszimmer. Das beste Zimmer. und hinter dem Laden die schon erwähnte geräumige Küche. Im Hinterhause standen die fünf Webstühle, daneben war das Garn- und Leinenlager. Auf einem Webstuhle webte Meister Jakob selbst und auf den vier andern waren Weber aus Rönneter und Beltinghoven beschäftigt, welche den ganzen Tag dort blieben und nur abends nach Hause gingen. Mittagsbrot erhielten sie in der Familie. Bei dem Lager befand sich der Pferdestall mit einem kräftigen Pferde und nebenan ein Schuppen, unter welchem allerlei Geschirr und zwei Karren standen.

Es wurden nämlich viele Waren aus der Webstube nach andern Städten, wie Viersen, Süchteln, Krefeld, Düsseldorf und Köln, verkauft und dahin geliefert.

Nachdem wir nun die einzelnen Glieder der Familie und das Haus kennengelernt haben, wollen wir in unserer Erzählung fortfahren.

Als das Gespräch der Anwesenden stockte, klopfte der Großvater mit dem Mittelfinger auf den Tisch und langte von einem auf dem Schranke stehenden Kruzifix einen Rosenkranz herab. Sämtliche Personen knieten nieder und beteten, wie das jeden Abend geschah, den Rosenkranz. Paul betete vor. Die Hausfrau und die Magd räumten darauf den Tisch ab und besorgten in einem kleinen, neben der Küche liegenden Raume das Reinigen des Geschirres. Die andern setzten sich um das lustig flackernde Herdfeuer, welches die Küche unregelmäßig erhellte und dessen rote, blaue und grüne Flammen an dem Kupfergeschirr emporzuckten und leckten, wodurch die Küche ein gespenstisches Aussehen hatte.

»Nun, Jungens,« fragte der Großvater, »sind die Stücke verpackt und fertig?«

»Jawohl,« sagte Paul.

»Dann marschiert nur den hölzernen Berg hinauf und legt euch in die Federn; früh nieder und früh auf, verlängert des Menschen Lebenslauf!«

»Großvater,« meinte Paul, »unsere Federn da oben sind etwas lang und haben früher mal auf dem Felde gestanden!«

»Das tut nichts; für euch sind sie gesund, da steigt euch auch das Blut nicht zu Kopf und ihr bleibt frisch,« erwiderte der Alte.

»Aber, Großvater,« sagte der unverbesserliche Paul, »steigt Euch das Blut denn nicht zu Kopf? Ihr liegt doch in kurzen Federn!«

»Nein, wir alten Leute haben weniger Blut als ihr, und müssen uns daher wärmer betten. Wenn du mal so alt geworden bist als ich, sollst du auch unter kurzen Federn schlafen, verstanden – du Naseweis!«

»Jawohl, Großvater, hoffentlich vermacht Ihr mir bis dahin die Eurigen!«

Die Jungen wünschten gute Nacht, und verschwanden mit einem »Gelobt sei Jesus Christus!«, das die Anwesenden mit »In Ewigkeit, Amen!« beantworteten.

»Paul,« rief der Großvater noch nach, »da oben keinen Spektakel gemacht und den Jakob in Ruhe gelassen! Und nicht, daß ich morgen früh wieder zweimal wecken muß!«

»Ist nicht nötig, Großvater,« rief Paul zurück. »Ihr sagt doch immer, daß ich so ein geweckter Junge sei!«

Der Großvater lachte. »Freilich, geweckt ist der Bengel schon – da hat er recht und etwas vorwitzig und vorlaut ist er auch. Aber Gott weiß, wie lange er schlafen würde, wenn ich ihn morgens nicht weckte – ich glaube, ich könnte den Burschen mit seinem Bett auf den Markt tragen, er würde nichts davon gewahr werden!«

»Ist das Pferd gut versorgt?« fragte der Großvater.

»Gewiß, Vater, es ist alles in Ordnung.«

»Hat Stellmacher Steffen Bescheid erhalten wegen der Ausbesserung des Karrens? Er muß ihn unbedingt in die Kur nehmen. Auf der letzten Fahrt nach Maastricht hat er viel gelitten.«

»Steffen wollte diesen Abend noch kommen, um wegen des Karrens mit uns zu überlegen,« sagte Jakob.

Gleich darauf trat der Erwartete ein. Er war ein großer, starker Mann in grobem Anzuge und aufgerollten Hemdsärmeln.

»Guten Abend!« grüßte er und nahm am Feuer Platz.

Jetzt wurde zunächst die Karrenreparatur gründlich verhandelt. Die Hausfrau brachte eine Kanne Bier und steinerne Krüge auf den Tisch und lud die Männer zum Trinken ein. Sie stießen zusammen an und der Großvater trank den seinen in einem Zug aus und sagte dann:

»Ich weiß nicht, daß mir der Gerstensaft noch immer so schmeckt, namentlich, wenn's gutes Bier ist. Aber was gibt's Neues, Steffen? Weißt du nichts?«

»Ach, was soll's Neues geben, alles, was man hört, taugt nicht viel. Draußen hört man nur von Krieg, Mord und Plünderung, und hier spricht man von Hexen! In Viersen soll jetzt wieder eine wirkliche Hexe sein!«

»Wie,« sagte der alte Großvater, »also wieder mal die Hexen! Merkwürdig, daß sie dann und wann in der Gegend auftauchen. Aber so war's seit vielen Jahren.«

»Mit Eurer Hexe!« brummte Jakob, »schweigt doch von solchem Unsinn!«

»Aber, Meister Jakob,« beteuerte Steffen, »man hat sich wirklich davon überzeugt, daß es eine Hexe ist. Es ist die Schwester des Schmiedes, welcher vor vier Jahren wegen einer Schlägerei, bei der der Förster erschlagen wurde, geflüchtet ist.

Die Lene, so heißt die Hexe, soll vor einiger Zeit bei einem Bauern am Holzend Holzend. Houteng, ein kleiner Weiler zwischen Lobberich und Süchteln, gehört heute zum Rektorat Dornbusch. gebettelt und nichts bekommen haben. Sie habe sich dann vor die Türe hingestellt und mit dem Fuße ein Kreuz in den Sand gemacht, und von dieser Zeit an geben die Kühe fast keine Milch mehr. Der arme Bauer mit seinen behexten Kühen steht ganz ratlos da! Und das ist noch nicht alles! Bei einem armen Tagelöhner ist die Lene gewesen und hat dort das kleinste Kind behext! Das Kind ist von dem Tag an krank geworden, und hat trotz aller Wundermittel die man dagegen anwandte, sterben müssen. Nach dem Tode des Kindes fand man denn auch in dem Federbettchen das Hexenkränzchen Hexenkränzchen. In schlecht gereinigten Federbetten kleben und verwickeln sich die Federn oft durch einen sich zufällig darin befindlichen Faden zu einem Kränzchen zusammen. Abergläubische Personen schreiben dies den Hexen zu., es war ganz fertig, und deshalb mußte das arme Kind sterben. Vorige Woche begegnete sie zwischen Viersen und Süchteln dem Fuhrmann Leuers; der fiel gleich vom Karren herab und brach ein Bein – –«

»Nun, Meister Steffen, hört auf mit Eurem Geschwätz!« fiel Meister Jakob unwillig ein. »Es ist alles dummes Zeug, was die Leute von der Hexerei faseln. Die Lene, die ich zufällig kenne, ist gerade so wenig eine Hexe, wie deine und meine Frau. Verschiedene Umstände kommen da zusammen, die Lene ist zufällig dabei, die Leute hängen Gott weiß was hinzu, und da wird die arme und geistesschwache Person als Hexe verschrieen, und ihr werden alle diese Taten angedichtet. Es ist eine Schande! denn daß sie oder jemand anders die Leute behexen kann, das glaube ich nie und nimmer und dabei bleibe ich!«

»Höre, Junge, sage nicht, daß das alles Schwindel sei!« bemerkte der Großvater etwas ärgerlich, »ich habe so viele Hexen gesehen, habe gehört, was sie bekannt haben und gesehen, wie sie verurteilt, gehängt, ertränkt oder verbrannt wurden, nachdem das Gericht sich von den wahren Tatsachen überzeugt hatte. Ich für meinen Teil glaube ganz bestimmt, das es Hexen gibt, welche durch Teufels Macht den Menschen schaden können.«

»Ich dachte das wohl,« sagte Jakob, »daß du dem Steffen helfen würdest! Aber ich bleibe bei meinem Ausspruche: Es ist alles Unsinn, und alle, welche wegen Hexerei verurteilt wurden, sind unschuldig verurteilt und gerichtet worden. Wenn eine Frau, welche man nicht gut leiden konnte, das Unglück hatte, sich gerade dort zu befinden, wo etwas Schlimmes passierte, dann brauchte bloß ein Unvorsichtiger zu sagen: ›Das ist eine Hexe, die war mit im Spiel!‹ und alle Welt glaubte es, und schwatzte es den andern nach.«

»Ich meine aber,« bemerke Steffen, »daß die Richter, unter denen doch auch gelehrte und tüchtige Leute waren, sich von der Hexerei überzeugt haben müssen, sonst würden sie die Hexen doch wohl nicht verurteilt haben! Auch haben ja viele von ihnen bekannt, daß sie Umgang mit dem Teufel gehabt haben und noch vieles andere mehr!«

»Was diese Eingeständnisse angeht, so ist darauf nichts zu geben,« erwiderte Jakob, »denn sie wurden fast alle scharf befragt, auf die Folter gespannt oder sonst gepeinigt, bis sie das sagten, was die Richter gerne hören wollten. Seid doch vernünftig! Wenn die Hexen wirklich eine so große Macht hätten, glaubt ihr dann, sie würden sich so quälen lassen? Nein, sie würden gewiß die Richter und alle behexen und bezaubern, die ihnen etwas zu nahe tun und auch der Teufel, dem sie ja angeblich dienen sollen, würde sie nicht so elend zugrunde gehen lassen! Die Bekenntnisse der Verurteilten haben keinen Wert, denn sie beeilen sich, alles einzugestehen, um der weiteren Tortur zu entgehen. Ich lasse mir das nicht ausreden, und der Bruder Albert hier aus dem Kloster, den Ihr doch als einen gar frommen und gelehrten Herrn kennt, hat mir dasselbe gesagt und dazu bemerkt, daß viele andere gelehrte Herren der Ansicht wären, daß es gar keine Hexen gebe.«

»Ja, ja,« brummte der Großvater, »das Ei will immer klüger sein als die Henne! Also das sagt der Bruder Albert? Da scheint doch der Probst von Bochholz ganz anderer Ansicht gewesen zu sein, denn er ließ ja die berüchtigte Hexe von Bochholz enthaupten und verbrennen! Der verstand doch jedenfalls ebensoviel davon wie dein ›Bruder Albert!‹ Was meinst du?«

»Die Geschichte war doch etwas anders, Großvater!« warf Jakob ein. »Der Probst setzte, wie die Frau als Hexe verklagt wurde, als Vertreter unseres Abtes ein Gericht zusammen, und dieses hat die Frau verurteilt, wie so viele andere Frauen und sogar arme unschuldige Kinder verurteilt worden sind. Es ist wirklich eine Schmach für uns und unsere Zeit!«

»Nun höre aber mal,« warf Steffen ein, »es ist doch sehr eigentümlich, wenn so eine Frauensperson im Stalle gewesen ist, daß die Kühe von der Zeit an keine Milch mehr geben. Es muß doch eine Ursache dabei sein! So etwas kommt doch nicht etwa von selbst!«

»Gewiß ist eine Ursache dabei, und wenn die Leute vernünftig wären, so würden sie auch wohl die Ursache finden!« gab Jakob zurück; »aber leider macht sich in unserer Zeit immer mehr der Unglaube und der Aberglaube breit! Als ich in Maastricht das Geschäft erlernte, hieß es auf einmal, in unserer Nachbarschaft seien Kühe behext. Ein Mann hatte zwei Kühe. Die eine war trocken, die andere frisch, letztere gab aber auf einmal keine Milch mehr! Natürlich war die Kuh ›behext!‹ Ein altes Mütterchen, welches für unser Geschäft spann, sollte die Hexe sein, und dieselbe wäre auch gewiß totgeschlagen worden, wenn ich mich der armen Person nicht angenommen hätte. Ich besah mir nämlich den Stall und die Kühe zu wiederholten Malen am Tage und in der Nacht und wußte bald, wo die Milch blieb. Ich versprach dem Manne, ihn zu überzeugen, daß keine Hexerei dabei im Spiele war. Der trockenen Kuh, welche in dem kleinen Stalle neben der frischen stand, band ich ein Stück dickes Zeug, an welchem ich einige scharfe Disteln befestigt hatte, um das Maul, und nun harrte ich vor der Stalltür mit dem Besitzer der Kühe und einigen Nachbarn der Dinge, die da kommen sollten. Es dauerte nicht lange, da hörten wir die Kühe an der Kette rasseln und zerren. Wir gingen mit Licht in den Stall und sahen, daß das Euter der frischen Kuh von den Disteln zerkratzt war. Die eine Kuh hatte also der frischen die Milch absaugen wollen, was diese jedoch jetzt, da sie von den Disteln gestochen wurde, sich nicht gefallen ließ. Die Leute waren vollständig überzeugt, und die Hexerei war aufgeklärt. Die arme Frau war glücklich, ihren guten Namen gerettet zu haben. Auf diese und ähnliche Weise würde sich jedenfalls manche ›Hexerei‹ aufklären lassen.«

»Es mag sein,« hub der Großvater an, als Jakob auserzählt hatte, und die Bierkrüge wieder gefüllt waren »daß einmal einer Frau Unrecht geschehen ist, aber daß es keine Hexen geben soll, kann mir keiner ausreden. Es gibt ebenso gut Hexen, wie es Feuermänner, Feuermänner. (Füermännkes) waren feurige Männchen, welche in der Nacht umherliefen, aber nicht bösartig waren und nur dann jemand etwas zuleide taten, wenn sie geneckt wurden. Zobbeltiere, Zobbeltiere. Zobbeltiere gab es nur hier in der Stadt, und zwar in der Oberstadt, namentlich zeigten sie sich auf der Kapuzinerstraße und »Henger der Muhr« (Mittelstraße) Wehrwölfe Werwölfe gab es auch in hiesiger Gegend; es waren ganz besonders unheimliche Tiere. und Erdmännchen Erdmännchen wohnten hauptsächlich an Gen-Holt. Es waren Zwerge, welche in der Erde wohnten. gibt und stets gegeben hat. Wenn ihr das alles durchgemacht hättet, was ich erlebt habe, dann würdet ihr ganz anders sprechen. Ich bin einmal – es mögen jetzt fünfzig Jahre her sein – mit einem Freunde von Dahlen nach Roermond gefahren. In einem Dörfchen vor Roermond machten wir halt, nahmen etwas Essen, fütterten die Pferde und wollten weiter fahren. Es war fast Mitternacht und stockfinster. Eine halbe Stunde waren wir gefahren, als wir in ein Gehölz kamen, wo es so finster war, daß man keine Hand vor den Augen sehen konnte. Da auf einmal, wie wir auf dem Waldwege um eine Ecke biegen, steht vor uns ein Feuermann am Wege, welcher von oben bis unten glühte und mit seinen langen schwarzen Armen uns in Empfang nehmen wollte. Ich bin nicht furchtsam und mein Freund auch nicht, aber wie wir den Kerl auf uns zukommen sahen, standen mir die Haare zu Berge, und der kalte Schweiß brach mir aus, die Pferde wurden unruhig und wollten zurück. Wir sprangen auf den Karren, hieben auf die Pferde ein, und fort ging's in rasendem Galopp, trotz der schweren Fracht. Wir kamen mit unsern erschöpften Pferden bald in Roermond an und hörten dort, daß in dem Gehölze sich zeitweise ein Feuermann zeige, und wir könnten von Glück sagen, daß er uns nicht nachgelaufen sei und uns verbrannt habe. Vor einiger Zeit sei er einmal einem Bauernjungen nachgelaufen; dieser wäre davongesprungen und hätte sich in ein Bauernhaus geflüchtet, an dem gerade das Tor offen stand. Dieses habe der Junge hinter sich zugeworfen, so daß der Feuermann draußen blieb. In demselben Augenblick sei ein Schlag auf das Tor erfolgt, daß das ganze Haus gezittert habe, und am andern Morgen sei das Tor auf der Stelle, wo der Feuermann mit der Faust geschlagen habe, ganz verbrannt und die Faust auf dem Tor abgebildet gewesen. Ich glaube, man wird es heute noch sehen können. Man sagte, der Bauernjunge sei darauf vor Schrecken gestorben. Den Feuermann habe ich selbst gesehen, und was ich gesehen habe, lasse ich mir nicht abstreiten!«

»Nun, Großvater,« sagte Jakob ungläubig lächelnd, »als Ihr zurückkamt, da habt Ihr Euch doch die Stelle gewiß einmal angesehen, wo der Kerl gestanden haben soll?«

»Gott bewahre! Wir sind auf einem ganz andern Wege zurückgekommen, denn wir hatten keine Lust, dem Kerl noch einmal zu begegnen. Vor Leuten mit Fleisch und Bein ängstige ich mich nicht, wenn die etwas wollen, werde ich mich schon meiner Haut wehren, aber mit Feuermännern mag ich nichts zu tun haben!«

»Das ist schade! Hättet Ihr Euch doch die Stelle angesehen, so würdet Ihr gewiß gefunden haben, daß es ein fauler Baum war, der Euch geängstigt hat, ein sogenannter Kühlholzbaum Kühlholzbaum ist ein faulender Baum, dessen Holz des Abends leuchtet Kühlen heißt soviel als kohlen, glimmen, brennen, ohne daß eine Flamme zu sehen ist., welcher im Dunkeln leuchtet!«

»Das dachte ich mir gleich, daß du wußtest, was es gewesen sein soll«, erwiderte der Großvater gereizt, »aber zum Kuckuck! Meinst du, ich könnte keinen Baum von einem Kerl unterscheiden? Und seit wann kommen denn die Bäume einem entgegen, und seit wann haben sie so große Fangarme? Ich sage dir, es war ein Feuermann! Und wir haben ihn auch nicht allein gesehen, die Leute wußten das dort in der ganzen Gegend. Du bist nicht dabei gewesen – stecktest vielleicht noch hinter dem Palmsträußchen Hinter dem Palmsträußchen sitzt man, wenn man noch in der Gegend ist, wo Gevatter Storch dann und wann hinfliegt und etwas holt, das man im gewöhnlichen Leben als »Kindchen« bezeichnet. – und weißt doch, was es gewesen ist!« Der Großvater trank, um seinen Ärger hinunterzuspülen, seinen ganzen Topf in einem Zuge leer.

»Ihr könnt mich nicht bekehren, Großvater! Ihr hattet Angst und habt Euch getäuscht, auch habt Ihr am hellen Tage die Geschichte nicht untersucht.« erwiderte Jakob.

»Wie willst du denn die Geschichte mit der Katze am Neersbroich erklären, wovon damals die ganze Gegend sprach?« fragte der Alte.

»Aber nun bitte ich Euch, Großvater, hört auf!« sagte Jakob, »Ihr habt uns die Geschichte schon neunundneunzigmal erzählt.«

»Gut, dann sollst du sie noch einmal hören, damit das Hundert voll wird! Für Steffen ist sie vielleicht noch neu.«

»Von einer Katzengeschichte am Neersbroich ist mir nichts bekannt,« bemerkte Steffen, welcher gerne hatte, daß weiter erzählt wurde.

»Also vor vielen Jahren war am Neersbroich eine unbekannte Hexe. Es passierten dort die schauerlichsten Geschichten, und kein Mensch wußte, wie es zuging. Ein Bauer fand eines Morgens seinen Karren oben auf dem Dache stehen; der war sicher nicht von selbst hinaufgeflogen. Der Kringsbauer sah eines Morgens sämtlich Hühner mit umgedrehten Hälsen im Stalle liegen. Der alte Krings wetterte und fluchte, daß es eine Art hatte! Aber während der fluchte und spektakelte, kam plötzlich ein regelrechtes Donnerwetter herab. Der Blitz schlug in die Scheune, und diese brannte bis auf den Grund nieder. ›Das hast du‹, sagte seine Frau, ›für dein gottloses Fluchen!‹ Jedermann sah aber ein, daß hier Hexerei im Spiele war. Die Hexen können sich nämlich auch in Tiere verwandeln, besonders verwandeln sie sich gern in Katzen und kommen dann durch den Kamin ins Haus, wenn sonst alles verschlossen ist. Sie können auch auf einen Besen durch die Luft reiten und noch vieles andere. Der Maurer Kreß Krest oder Kerst, heißt Christian. von Neersbroich, den ich sehr gut kannte, hatte den ganzen Tag in der Stadt gearbeitet, kam am Abend nach Hause und setzte sich ganz ermüdet an den Herd. Seine Frau bringt eine Schüssel mit Milchsuppe und als Kreß anfangen will zu essen, springt ein buntes Kätzchen über den Tisch und wirft die Schüssel mitsamt der Milch auf die Erde. Die Katze war verschwunden. Kreß nahm die hölzerne Fleischgabel, um eine Wurst aus dem Kamin zu nehmen, da fällt ihm das ganze Fleisch, welches im Rauchfang hing, auf den Kopf. Als er sich aus den Schinken, Speckseiten und Würsten herauskrabbelte, sah er die Katze auf einen Fensterbrett sitzen. Kreß nimmt jetzt einen Feuerspan vom Herde, wirft nach der Katze und trifft sie auch gut. Diese stößt einen Schrei aus, der dem Kreß durch Mark und Bein ging. Es war, als ob ein altes Weib kreischte. Kreß läuft in den Garten, hört und sieht aber nichts. Am andern Tag erzählte man sich, daß die alte Annabill, die unten am Broich wohnte, ein verwundetes Bein habe, Jetzt wußte man, wer die Katze gewesen war. Sie hat es zwar abgestritten, und sich hoch und teuer verschworen, sie wisse nichts davon, aber niemand glaubte es ihr. Man hat ihr nichts zuleid getan, weil sie durch Tee und Kräuter vielen armen Leuten half und auch sonst wohlgelitten war; doch konnte ihr der Kringsbauer das Donnerwetter nie vergessen, das sie ihm auf den Hals geschickt hatte. Er getraute sich aber nicht, ihr etwas anzutun, denn er glaubte, sie würde sich dann an ihm rächen. Seht, so war es mit der Katze am Neersbroich! Solcher Geschichten könnte ich noch Hunderte erzählen, doch ihr werdet deren wohl genug gehört haben, wenn ihr sie auch nicht miterlebt habt.«

»Hört einmal, Großvater,« sagte Jakob, »wir wollen von den Hexen nur aufhören, denn darüber verständigen wir uns doch nicht. Ich finde an der ganzen Katzengeschichte nichts Außergewöhnliches!«

»Das wollte ich sagen!« brummte der Großvater ärgerlich.

»Der Kreß,« fuhr Jakob fort, »war ärgerlich über seine verschüttete Suppe und das heruntergefallene Fleisch. Er warf nach der Katze, welche, als er sie traf, vor Schmerz greulich schrie. Nun, daß Katzen mitunter schreien können, daß einem angst und bange wird, ist uns allen bekannt. Zufällig zur selben Zeit verwundet sich die alte Annabill am Bein und muß nun die Hexe sein, welche sich in eine Katze verwandelt hatte, Donnerwetter machen konnte und dergleichen Dinge mehr!«

»Natürlich,« eiferte der Großvater, »du weißt das alles besser! Konnte mir ja denken, daß du eine andere Erklärung dafür finden würdest. Nun, meinetwegen behalte deine Meinung, ich behalte die meine! Ist das eine Welt jetzt! Hab's so schlimm noch nicht gekannt! Doch sprechen wir von etwas anderem. Außer den Hexen die ihr Unwesen im Stillen treiben, sieht man jeden Tag hier allerlei Volk herumlaufen: Bummler, schlechte Dirnen, Bettler, zerlumptes Kriegsvolk und sonstige Tagediebe. Kürzlich war ein Fremder hier, welcher das Volk aufreizte und ihm verkündete, daß bald ein neues Reich erstehen werde, wo nicht mehr gearbeitet werden soll, wo mit den Reichen das Vermögen geteilt wird. Und was noch werden soll mit dem ewigen Kriege, den Verwüstungen und Plünderungen in unserem Vaterlande – ich weiß es nicht!«

»Ich denke, Großvater,« bemerkte Jakob, »daß bald Wandel geschaffen und ein ordentlicher Friede geschlossen wird.«

»Unser Herzog kann das doch auch nicht zugeben,« fiel Steffen ein, »daß sein Land so verwüstet wird! Er und der Kaiser müssen hier eingreifen und uns helfen, daß Recht und Frieden im Lande wieder zur Geltung kommen. Dieses Blutvergießen und Brandschatzen muß endlich einmal aufhören, damit der bedrückte Bürger und fast verhungerte Bauersmann einmal wieder aufleben können!«

»Ich meine auch,« bemerkte Jakob, »daß der Kaiser uns helfen muß – und recht bald muß er helfen!«

»So,« entgegnete der Großvater. »Ihr meint, der Herzog und der Kaiser sollten uns helfen? Der Herzog versteht nichts besser, als Schulden zu machen, und der Kaiser kann die seinigen nicht bezahlen. An religiöser Beziehung weiß man nicht, ob die Herren Fisch oder Fleisch sind. Und so wie es bei denen aussieht, so steht es fast bei allen hohen Herren vom Fürstenstande. Der Neid, die Mißgunst, die Ehrsucht, das sind die mächtigen Herren im Lande, und das gute Recht ist der arme Knecht, den man stößt, verhöhnt und knebelt. Friede soll es werden? Eher werden noch unzählige Männer auf den Schlachtfeldern verbluten, viele Bürger und Bauern verarmen müssen, es werden noch viele Greise, Weiber und Kinder aus bloßer Blutgier gemordet oder geschändet werden, denn das Tier im Menschen wird sich an Greueltaten selbst übertreffen. Die Fackel des Krieges wird die Städte der Bürger, die friedliche Hütte des Bauern abbrennen und verwüsten, Raub, Mord und Plünderung wird jeden Tag an der Ordnung sein. Dann endlich, wenn die Kriegsfurie Deutschland nahezu entvölkert hat und die zerstörten und verbrannten Städte nur noch Trümmerhaufen gleichen, inmitten des verwüsteten, verödeten Landes, kurz, wenn alles das geschehen ist, was die Teufel tun würden, wenn sie aus der Hölle losgelassen wären, – dann erst wird Friede werden, eher nicht!«

»Ach, Großvater,« wendete Frau Mechthildis ein, welche eingetreten und die letzten Worte des Großvaters gehört hatte, »Ihr macht es doch etwas zu arg! Unser Herrgott wird das alles nicht zugeben können! Man soll ja bange werden, wenn man Euch reden hört! Ihr übertreibt ganz gewiß!

»Nein, Kind, ich übertreibe nicht! Es ist leider so! Mein Freund und Landsmann, Abt Sibenius, hat mir das klar auseinandergesetzt. Die deutschen Stämme bekriegen sich gegenseitig bis aufs Messer, das Heer der Schweden kämpft auf deutschem Boden und hat ein Bündnis mit den Franzosen, welche uns ebenfalls bekriegen. Wißt ihr, welche Ströme Blutes geflossen sind, den Leidenschaften einiger Menschen zu Liebe? Aber wie da helfen? Das ist die Frage, über die ich mir Tag und Nacht den Kopf zerbreche, und diese Frage wird auch wohl nur Einer lösen können und das ist unser Herrgott allein. Halten wir uns also zunächst an Ihn und bieten wir mit Gottvertrauen allem, was kommen mag, mutig die Stirne! Siegen kommt nicht vom Liegen. Da heißt es für jeden, auf dem Posten sein und pünktlich seine Pflicht tun; auch zur richtigen Zeit etwas klug sein!« –

Bei diesen Worten ging der Großvater erregt durch die Küche auf und ab. Die andern schwiegen und blickten sinnend in das Herdfeuer, welches langsam zu erlöschen drohte.

Jetzt ruft der Kur Kur heißt Nachtwächter. Aret 10 Uhr ab. Alle stehen auf, und der Großvater sagt: »Da sieht man, wie mit dem Plaudern die Zeit vergeht; jetzt wird es aber auch Zeit, zu Bett zu gehen.« Er begleitete Meister Steffen zur Haustüre mit den Worten: »Für euch, junge Leute, wird es Zeit zum Schlafen, denn für euch sind die Nächte fast zu kurz, für mich dagegen viel zu lang, ich bin bald ausgeschlafen.« Er wünschte dem Nachbar eine geruhsame Nacht, verschloß die Haustür und schob einen starken eichenen Balken davor, der von einer Seite der Mauer über die Türe hinwegging, an der andern Seite wieder in die Mauer hineinlief und dort mit einem Keile befestigt wurde. Die Tür war so von außen nicht zu öffnen und man mußte, um eindringen zu können, dieselbe total in Stücke schlagen. Diese Art, Wohnungen zu verschließen, hatte sich damals vielfach eingebürgert, eine Vorsicht, die wohl der damaligen unruhigen Zeit entsprach. Der Alte untersuchte dann noch alle Türen, ließ den großen Hofhund los, schärfte ihm für die Nacht die größte Wachsamkeit ein, und begab sich ebenfalls zur Ruhe.

Draußen war es inzwischen ruhig geworden, das Unwetter hatte aufgehört, und der Mond blickte friedlich auf das stille Gladbach nieder und beschaute lächelnd sein Gesicht in der Spiegelfläche des klaren Weihers und in dem kleinen Flüßchen, welches dem Orte seinen Namen verleiht. In dem Weiher spiegelte sich die kleine Festung mit ihren Mauern und Türmen und ihrer ehrwürdigen Münsterkirche in schaukelnden Bildern lieblich ab. Im Städtchen ist alles stille; der Nachtwächter, welcher mit Lanze und Laterne durch die Straßen wandert, ist der Einzige, der uns auf der Straße begegnen könnte.


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