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12.

Ohne Schwertstreich hatte sich der Stefan Fadinger des Schlosses Orth bemeistert, des wehrhaften Hauses des Statthalters, das auf einer Klippe aus dem See wuchs, Vorwacht für die Stadt Gmunden.

Der Bauern Feldhauptmann schritt einsam durch die verlassenen Räume. Sein Auge, bäuerlicher Armut gewohnt, scheute zurück vor dem erschütternden Reichtum, der sich in schimmerndem Erz, in edelm Stein und Glas, in köstlich geformtem Holz äußerte.

Die hochlehnigen Stühle waren mit Teppichen bedeckt. Schwere Teppische verhüllten Estrich und Wand, und wundersames Bildwerk war darein gewoben: Hirschhatz und Hochzeit und ritterliche Lust. Eschene Schränke, geschmückt mit gedrehten Säulen, waren mit den Bildern auftaucheder Donauminnen abenteuerlich bemalt. Aus dem Zierat stierhaft breiter Tische lächelten schöne, vollbrüstige Weiber, grinste grässliches Höllenvolk. Und eine Truhe, blinkblank mit verzinnten Schlössern und kunstreichen Beschlägen versehen, trug in verwirrender Schnitzerei das Bild eines fremdseeischen Fisches, der eine göttlich üppige Frau räuberisch entführte. Und um solch heidnisch schwelgerische Darstellung ritten nackt Englein auf reichen Fruchtgehängen.

An den Mauern der Gänge blitzten artig und furchtbar geordnete Waffengruppen, drohten die mächtigen Geweihe der Hirsche und Steinböcke. Hangende Elchshörner, mit zartroten Kerzen besteckt, dienten allerwegen als Leuchter.

Der Fadinger schob einen samtenen Vorhang zurück und trat wie im Traum in einen fraulich feinen Raum.

Auf dem Betpult zu Füßen des Martergottes lag geöffnet ein edles Andachtsbuch. Vor einer Stunde noch hatte die Gräfin drin geblättert, ehe sie die Nähe des feindlichen Haufens erfuhr, die sie dann zu überstürzter Flucht trieb.

Ein hoher Spiegel befand sich in diesem Zimmer, den Rahmen mit Perlmutter und Schildpatt flimmernd eingelegt, darin Wolken und Geflamm lebten. Und der Spiegel war klarer als die Luft nach niedergegangenem Gewitter und seliger als eine sanfte Seefläche, und ein Licht brach daraus wie aus rätselhaftem Brunnen.

Der Bauer trat zu dem köstlichen Gerät hin und schaute drin sein Bild so scharf und lebensvoll wie noch nie im Leben und sah sich zum ersten Mal in seiner vollen Manneslänge vor sich stehen: den mächtigen, etwas schwerfälligen Leib, den verwilderte Bart, die breite, wetterbraune, zerfurchte Stirn mit den herben, lotrechten Falten über der Nasenwurzel, und unter den zottigen Brauen die schweren, stillen Augen.

»So schaust du aus, Fadinger!« flüsterte er sich an, und es schauerte ihn vor dem finsteren Mann.

Und jäh fühlte er, dass er in den Glanz dieses Glases nicht passe, und er trat schüchtern davon zurück, dass sein Abbild drin verlösche.

Neben dem Spiegel ragte, die Wand in ihrer ganzen Höhe bedeckend, gewaltig und schwungvoll ein Prunkgemälde, und der Bauer zog unwillkürlich den Hut vor dem Helden, der da mit flatternder Binde vor einem Hintergrund von blitzender Schlacht und Kampfgewölk daher brauste auf adeligem Renner und feurigernsten Auges nieder herrschte, schier wie Gottes oberster Streitengel anzuschauen, glänzend in Erz und Gewalt.

Der Fadinger wusste, dass es des Grafen Stiefsohn war, der Pappenheim, der da auf dem fürstlichen Bild prangte. »Gott lasse dich dein sieghaft Schwert nur für das Gute heben!« sprach er den hohen Kriegsmann an.

In eine Kupferplatte getrieben war das Evaspiel im Paradeis: die teuflische Eidechse ins Geäst verkrallt, verunstaltet durch leere, ekel hangende Brüste und ein gekröntes, gräuliches Menschenhaupt, das aus scheußlichem Maul den Apfel bot. »Herr, führ uns nit in Versuchung!« stammelte der Fadinger, betroffen von solch wilder Kunst.

Und neben dem Apfelbaum im Bild standen Ross und Rind in trauriger Haltung, als ahnten sie, dass der Friede im Herrgottsgärtlein nun bald vorbei sei und sie dienen müsste zwischen Dorn und Distel, müde gesellt dem verfluchten Menschen. Denn schon hielt das Weib Eva den weichen Arm lüstern gegen den Rachen des Wurmes, und ihr graute nicht.

Der Bauernobrist starrte das Weib an, das die Lende wohl geschützt hatte unter dem Niederfall ihres dichten Haares. »Eva, von dir kommt all das Bauernelend her«, seufzte er.

Und plötzlich überfiel ihn hier in der Pracht dieser Welt ein Heißhunger nach seinem armen, schlichten Gehöft im Hausruck, er sehnte sich auf einmal herzlich heim nach dem dunkeln Gebälk seiner Stube, nach dem herben, dürftigen Hausrat drin, nach dem Gestampf seines Rosses im Stall, nach dem Schnauben der Kühe, nach der Feldbuche, darunter er so oft aus irdenem Mäherkrug getrunken im schwülen Sommer.

Hastig tat er ein Fenster auf, in dessen farbigem Glas Jahrzahl und Wappen derer von Herbersdorf glühte, und er atmete auf nach dem erstickenden Prunk, der ihm unheimlich war.

Abendlich wallte draußen der grüne See. In dem ungeheuer abstürzenden Traunstein und seinen graublau zackenden Felsgenossen empörte sich die Erde gegen den Himmel.

Eingebrannt in das farbige Fenster stand eine Schrift. Der Fadinger buchstabierte sich mühselig durch ihre Verkräuselung, bis ihm der Reim geläufig war:

Gott allein die Ehr!
Von ihm kumbt alles her.

Er besann sich staunend. Fast mit dem nämlichen Wort hatte er selber jüngst, als bei Peuerbach der Graf den Hut und die Feder drauf im Stich gelassen, die Ehre des Sieges dem zugewiesen, dem sie der Todfeind hier gab in dem Spruch über dem hoffärtigen Wappen.

Ei, glaubt der Herbersdorf etwan auch recht zu tun und Gott zu dienen mit seinen wilden Taten? Und drückt er das Volk nur darum so tief in Blut und Elend, um Gottes Ansehen zu erhöhen? Und vermeint er, in dem einen wahren Glauben zu leben, darin allein Gott sich will feiern lassen?

Schmerzenden Hirnes hing der Bauer solch gärenden, mehr gefühlten als klar geformten Gedanken nach und suchte sich hinein zu stellen in das Gewissen des Leib- und Seelenfeindes, den er aus dem Land treiben wollte.

Er schüttelte das Haupt. Nein und tausendmal nein! Und sei es auch wie immer: kein Mensch darf sich vermessen, mit grober Faust in die Seele des Nächsten zu stoßen und zu stören, was Gott heilig drin blühen lässt! Es ist ein ewig Recht der Menschen: das freie Gewissen!

Wie aus einem Bann erwacht, reckte sich der Obristhauptmann. Seine Sinne öffneten sich wieder der Welt.

Im Schloss ging es jetzt drunter und drüber, treppauf und treppab polterte es, Türen krachten zu, das Gejohl eingedrungener Männer hallte in den Gewölben.

Der Fadinger sah, wie ein plumper Bauernknecht in das feine Frauengemach stolperte. Auf dem Tisch lag ein welsches Dolchmesser, Laub, Baum und gehörntes Flötenteuflein war in unendlich zarter Kunst in den elfenbeinernen Griff geschnitzt. Dies Gerät taugte gar zu keinem Gebrauch und nur um seiner Schönheit willen auf der Welt sein. Der Knecht tappte danach, und in der ungeschlachten Pranke zerbrach der edle Griff.

Menschen kamen in das Gemach und trugen Kleinode, deren Sinn und Zweck sie nicht verstanden und vor deren Schöne sie weder Ehrfurcht noch Scheu fühlten, und zerschellten sie. Andere führten Wehren, die sie von den Mauern gerissen. Geräusche der Zerstörung erschollen aus allen Teilen des Schlosses.

Einer aber huschte in das Zimmer herein und stieß sein Messer in eines der schwerumrahmten, dämmernden, ritterlichen Bilder.

»Was treibst du da?« herrschte der Fadinger ihn an.

»Die Herren erstech ich, denen die goldene Ketten bis an den Bauch herunter hängen«, lachte der Gesell und wischte sich die Nase am Ärmel.

Er stellte sich vor den wunderklaren Spiegel und schnitt wie in Hass gegen das vornehme Gerät eine Fratze hinein, hernach splitterte sein Messer in die keusche Fläche und verstümmelte und verdarb sie.

»Du Diebskrobat!« schrie der Fadinger auf. »Was hat dir das unschuldige Glas getan?« Er holte aus und schlug mit unbarmherzigem Schlag den Mann zu Boden.

»He, Steffel, du treibst es ja wie der Graf selber!« riefen die Bauern.

Er deutete auf die Tür. »Ihr alle schaut, dass ihr mit gutem Wind aus dem Schloss kommt!«

»Oho«, lehnten sie sich auf, »erst wollen wir die Mauern zerschleifen und dem Aderlasser sein Haus bis auf den Grund verheeren!«

Der Obristhauptmann deutete auf den, den er gezüchtigt hatte. »Jeder soll sich danach richten! Hütet euch vor Schaden!« Mit den schweren Augen dunkelte er sie an. »Zwang und Drang wollen wir aus dem Land schaffen, aber nit den Leuten die Häuser verwüsten und Spiegel und Bilder zerstechen, die niemand beleidigen. Ich will mein Heer nit verderben lassen! Mit meiner ganzen Kraft will ich das verhindern.«

Mit dem Schwert trieb er die Murrenden durch die Gänge und zum Tor hinaus. Seinem feurigen Zorn widerstanden sie nicht.

Auf der Brücke, die vom Schloss über den See landwärts sich spannte, stand er einsam, ein Wächter des Hauses seines Feindes, die Waffe gezückt gegen den Willen des eigenen Heeres.

Es war Abend worden. Erregt geiferte der See an der Klippe empor. Gewölk schob sich hin an zerklüfteten Wänden.

So finster wie jetzt dieser See, gegürtet von abgründigem Gefels, so nachtfinster war es in der Seele des Wächters auf der Brücke. Schwer fühlte er die Verantwortung auf sich ruhen. Die Sorge hämmerte an seiner Stirn.

Er schnob in die Nacht: Feuergeruch hatte ihn berührt.

Da züngelte es schon aus dem Dach des Seeschlosses. Die Rachefackel für den Mord zu Frankenburg flackerte.

Leidenschaftlich nahm der See das Brandbild auf und ward zum Glutbecken.

Vom Gestade her scholl wildfreudiges Geheul.

»Ich hab mi euch nix mehr zu tun!« stöhnte der Fadinger. Und er fasste sein Schwert, bog es an das Knie, es zu brechen.

Aber das mächtige Eisen war seinem Grimm gewachsen.

Ohnmächtig ließ es ab. Er erkannte, dass das Schicksal, das ihn ergriffen, gewaltiger war als er.


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