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Vierzehntes Kapitel.

Das Passionsspiel

Noch an demselben Abend besuchten wir unsern würdigen Freund.

»Veronika war bei mir,« rief er uns in starker Bewegung entgegen. »Der Pater verliert seine Macht über sie, sie heiratet ihren wackeren Augustin. Welchem guten Engel haben wir diese wunderbare Wandlung zu danken?«

Er sah dabei mich an, die ich freudig lächelnd den Kopf schüttelte.

»Ihrem eigenen guten Engel, keinem fremden, lieber Freund. Wir teilen Ihr Glück im vollsten Maße; Ihre Schwester ist Ihnen wiedergegeben.«

»Mir und ihrem Gott!« rief der Geistliche mit starker Stimme. »Aber woher wissen Sie es bereits?«

»Aus ihrem eigenen Munde.« Und ich erzählte ihm alles. »Ich hoffe, daß sowohl ihr Bruder, wie ihr Mann mir helfen werden, dieses große Talent für die Kunst zu gewinnen, gegen welche sie eine hohe Pflicht zu erfüllen hat,« schloß ich in überwallender Empfindung.

Dann sprach Fernow, gleichfalls in meinem Sinne, nur ruhiger, verständiger und überzeugender.

Der Pfarrer war heftig erschüttert.

»Sollte dies die Lösung ihres Wesens sein, das sie für die Ihren und sich selbst unverständlich machte, das sie nach etwas Unbekanntem und scheinbar Unerreichbaren suchen ließ, bis sie sich selbst darüber fast verlor? Eine Künstlerin! Als kleines Kind stand sie da, ihre Gebete sprechend, daß wir sie anstaunten und ihre schwache, törichte Mutter womöglich unserer Familie eine zukünftige Heilige prophezeite. Wie oft, wenn ich meine Ziegen hütete, kam sie zu mir, tage- und wochenlang meine Einsamkeit teilend. Dann holte ich ihr Edelweiß, Alpenrosen und Genzianen, daraus sie sich Kränze wand und Kronen flocht. Wie ward mir, wenn ich sie so festlich geschmückt, feierlich dastehen sah unter den wilden Felsen und sie mir wunderbare Dinge verkündete. Unser Kindertraum damals war, daß ich Lesen und Schreiben lernen sollte. Dann wollte ich ausziehen und sie mit mir, um mit der Macht des göttlichen Wortes Wunder zu vollbringen. Und nun sollte ein Teil dieses Traumes sich wirklich erfüllen? Meine kleine Schwester eine grüße Künstlerin! Ich verstehe nicht viel davon und was ich darüber gehört habe, blieb mir fremd und von mir unbegriffen. Ich glaube nicht, daß meine Schwester glücklich sein würde. Die Sache, wie ich sie auffasse, ist dazu zu groß, zu mächtig. Aber Sie stehen hier und sprechen für sie; so antworte ich Ihnen denn: nicht ich habe das Recht, sie zurückzuhalten. Doch hat sie nicht bereits über sich entschieden? Will sie nicht jenes wackeren Jünglings Weib werden? Ist da nicht ihre erste Pflicht, Gattin und Mutter zu sein? Oder könnt ihr, meine Freunde, euch das eine mit dem andern vereinigt denken? Ich glaube, Veronika hat das Rechte gewählt: das sichere Glück, das nicht ohne Entsagung gekauft werden kann.«

»Das sichere Glück, das sie ihrem Gatten bringt,« antwortete Fernow. »Vielleicht wird sie nicht selbst glücklich sein, aber sie wird beglücken.«

»Kann man beglücken, ohne selbst glücklich zu sein?« fragte der Geistliche mit einem feinen, liebenswürdigen Lächeln.

Ich war voll widerstreitender Empfindungen, und glaubte einen tiefen Blick in Fernows Herz getan zu haben. Also auch dieses starke, unerschütterliche Herz hatte seine Wandlungen durchmachen müssen. Immer wieder klang des Pfarrers Antwort in mir nach: Kann man beglücken, ohne selbst glücklich zu sein?

Wir besprachen uns noch, als die Magd eintrat und meldete: Augustin stehe draußen. Ob er hereinkommen dürfe?

»Wir wollen ihm vorderhand nichts sagen,« bat Pfarrer Andreas. »Es wäre jedenfalls ein harter Schlag für den guten Jüngling, der wahrlich treu und schwer genug um sein Mädchen geworben hat. Kaum gewonnen, würde er Veronika bereits von neuem für sich verloren betrachten. Ihr glaubt nicht, wie lieb er mir ist. Er ist ein prächtiger Mensch!«

»Mir scheint,« meinte Fernow, »daß in ihm alles Gute und Tüchtige Ihres Volkes vereinigt ist, alle jene Instinkte und Regungen, um derentwillen Sie Ihr Volk so begeistert lieben und für dasselbe eine bessere Zukunft hoffen. Gewiß gibt es in diesen Tälern und auf diesen Bergen noch manchen, der dem Jüngling gleicht.« Stumm drückte der Pfarrer Fernows Hand; dann trat Augustin ein.

Es war unmöglich, ihn anders als mit höchstem Wohlgefallen zu betrachten. Besonders mir galt er als Beweis einer alten Lieblingsbehauptung, die mich stets in einem edlen Körper eine edle Seele suchen ließ. Namentlich bei Gestalten aus dem Volk, hatte ich in dieser Beziehung schon die größte Freude erlebt.

Augustin grüßte zuerst uns und wurde darauf von Veronikas Bruder in die Arme geschlossen. Seine Befangenheit, die ihn nur noch liebenswürdiger machte, schwand bald. Er mochte fühlen, wie herzlich gut wir es mit ihm und Veronika meinten. Als wir das Gespräch auf sie brachten, wurde er förmlich beredt.

»Ich bin ihrer ganz unwert,« endete er die Lobpreisungen der Tugenden seines Mädchens.

»Der Pater bleibt wohl bei deinen Eltern wohnen?« warf der Pfarrer hin. Es war jedoch leicht zu bemerken, welche Anstrengung ihn diese Äußerung kostete.

»Meine Eltern wollen ihn nicht fortlassen,« erwiderte Augustin und sah zu Boden, »Der ganze Hof scheint ihm zu gehören; er braucht nur zu befehlen. Ich weiß auch nicht, wie er es angefangen hat,« setzte er hilflos hinzu.

Der Pfarrer verlor seine Selbstbeherrschung.

»Dieser Mensch!« rief er mit zuckenden Lippen. »Den Pfarrer treibt er aus der Kirche und die Kinder aus dem Herzen der Eltern.«

Er wollte noch mehr sagen, besann sich, schien über sich selbst zu erschrecken.

»Da Veronika dich gegen den Willen des Paters zum Manne nehmen will, so können deine Eltern ja unmöglich damit einverstanden sein.«

»Ich bin nicht mehr der Sohn meiner Eltern,« antwortete Augustin und wurde totenblaß.

Eine lange, peinliche Pause entstand.

»Ich hab's ja gesagt,« hörte ich den Pfarrer murmeln. Dann wandte er sich ab. Als ich ihm wieder ins Gesicht blicken konnte, machte mich der starre, düstere Ausdruck desselben betroffen.

»Da Veronika noch nicht wieder in das Haus ihres Bruders gezogen ist, so ziehst du herein,« sagte er kurz, fast streng. »Warum wollt ihr eigentlich eure Hochzeit noch so lange hinausschieben? Ich dulde das nicht. Sobald das Passionsspiel vorbei ist, gebe ich euch zusammen. Teile das deiner Braut mit.«

Seine Worte ließen keine Entgegnung zu. Augustin stand auf, zauderte jedoch zu gehen. Er mußte noch etwas auf dem Herzen haben.

»Sag's nur,« ermunterte ihn der Pfarrer. »Die Herrschaften sind deine Freunde.«

»Ich weiß, daß ich Euch mit dem Spiel ein großes Leid angetan habe,« klagte der Jüngling sich an. »Aber Eure Schwester bat mich darum und daß ich der nichts abschlagen kann, das müßt Ihr mir wohl oder übel verzeihen. Mich hat's selber gewundert, daß der Pater es erlaubt hat. Mir graut es, daß ich unsern Herrn und Heiland spielen soll. Ich wage darum gar nicht mehr über die Gasse zu gehen und jemand ins Gesicht zu sehen. Wenn sie mich kreuzigen, komme ich mir wie ein Sterbender vor. Wenn es nur etwas nützen könnte, dann wollte ich ja gerne – –«

Er verstummte plötzlich – und griff sich an die Seite, wohin ihn heute der Stoß des Kriegsknechtes getroffen.

Um unsere Gedanken auf etwas anderes zu lenken, sprach Fernow von den Wirkungen des Spiels auf das Landvolk, die er unter allen Umständen für außerordentlich stark und ergreifend hielt. Pfarrer Andreas lehnte jedoch jedes Eingehen auf dieses Thema ab. Mit leuchtenden Augen rief Augustin aus: »Wer sollte da nicht glauben müssen? Ach, Maria Magdalena, du allerärmstes Weib, du allerärmste Sünderin! Wie ich heute am Kreuz hing und sie um meinetwillen so aufschrie, da ward ich ganz froh, daß ich um ihretwillen sterben durfte. Mein Tod wird sie gewiß erlösen.«

Wir blickten einander erstaunt an.

»Ich habe Euch etwas mitgebracht,« sagte Augustin zum Pfarrer, plötzlich ganz verlegen und schüchtern. »Es ist draußen. Darf ich's hereinbringen?«

Er ging und kam sogleich wieder zurück, etwas Verhülltes tragend. Das Tuch abnehmend, sprach er demütig: »Es ist für Eure Kirche.«

Es war ein großer, gekreuzigter Heiland, auf dunkelbraunem Stamm von blassem Lindenholz geschnitzt.

Wir hatten die Kunst des jungen ›Meisterschnitzers‹ bereits vielfach rühmen hören; aber was wir sahen, übertraf jede Erwartung. Nur, daß es kein Heiland, kein Gottessohn war, sondern ein gekreuzigter Mensch. Aber dieser Mensch war wirklich ans Kreuz geschlagen worden, litt wirklich Todesqualen, starb wirklich. Wie war es möglich, ohne jedes Studium des Nackten zu einer solchen Naturwahrheit zu gelangen, zu einem solchen edlen Realismus? Dieser Jüngling mochte kaum einen nackten Körper gesehen haben und hatte einen solchen gebildet, in vollster Linienschönheit, dabei in einer Weise, daß man zu sehen glaubte, wie die Glieder vom Todeskampf durchschauert wurden, wie die Lippen sich schmachtend öffneten, wie die Qual ihnen ein Stöhnen entriß, wie das Antlitz tiefer und tiefer sank, die Züge erstarrten, die Augen brachen – –

»Nach welchem Modell habt Ihr dies gearbeitet?« fragte Fernow.

»Ich habe mich selbst einigemal angesehen,« antwortete Augustin tief erglühend.

»Aber diesen Ausdruck des Sterbens?«

»Das habe ich mir so gedacht. Es war gar nicht schwer.«

Pfarrer Andreas, hoch erfreut über die herrliche Arbeit, bestimmte das Kruzifiz für den Altar der Kirche. An Augustins und Veronikas Hochzeitstag sollte es feierlich eingeweiht werden.

Die Passionsspiele hatten unter einem ungeheuren Zulauf der Gebirgsbevölkerung begonnen. Das Tal widerhallte von den Gebeten der Wallfahrer. Von allen Seiten stiegen die Züge die Felsen hinunter: ein schönes, starkes Menschengeschlecht, aber von religiösen Leidenschaften angekränkelt. Manchmal, wenn ich die schlanken Jünglinge und markigen Männergestalten an mir vorüberschreiten sah, dachte ich: was könntet ihr für ein Volk sein, stark und – frei! In der Nähe des Dorfes, auf der Flußwiese, waren für die vielen fremden Gäste Hütten gebaut worden, darin sie sich je nach ihrem geistlichen Bedürfnis auf kürzere oder längere Zeit niederließen. Verkäufer und Krämer schlugen daneben ihre Buden auf, schlechtes Gesindel kam hinzugelaufen. Abends wurde gezecht und getrunken. Es fehlte nicht an Händeln, die blutig endeten. Die Dorfbewohner, von denen der größte Teil Mitspieler waren, trieben es am wüstesten. Auf den Feldern verdarb der letzte Rest der spärlichen Ernte.

Die Kirchenglocken hallten nicht mehr wie sonst über das Tal hinweg, denn Pfarrer Andreas hatte jede besondere Feierlichkeit verweigert. Das Gotteshaus stand verödet. Desto fleißiger ward der heilige Dienst im Lager der Wallfahrer betrieben. Hier predigte der Pater alle Morgen und Abend und übte eine widerstandslose Macht über die Gemüter aus. Bei den Frauen kamen Anfälle von Verzückungen vor. Fernow und die Beamten hatten die größte Mühe, einige treue, wackere Männer bei der Arbeit zu behalten. Die meisten liefen von uns fort, den Spielen und dem Pater zu; kaum daß das Allernotwendigste verrichtet werden konnte. Es war im Dorfe bereits zu lauten Drohungen gegen uns gekommen.

Natürlich hatten weder Fernow noch ich einer der Darstellungen beigewohnt; aber wir hörten von nichts anderem reden. Jedesmal geschah irgendein Ausbruch von fanatischer Zerknirschung und Buße. Das Volk warf sich auf die Knie, die Vorstellungen durch die wilden Äußerungen seiner Andacht unterbrechend. Oft trat der Pater selbst auf und donnerte von der Bühne herab, vor den Gestalten der heiligen Handlung, für die Mission. Für Christus mußte jedesmal eine neue Dornenkrone gewunden werden, da sich die Weiber um die Splitter derselben rissen. Am liebsten hätten sie nach jeder Vorstellung auch das Kreuz zertrümmert, um Stücke davon als kostbare Reliquien mit sich nach Hause zu nehmen. Wie vorauszusehen war, bildete der Kreuzigungsakt den Gipfelpunkt der Extase. Danach trat die physische Erschöpfung ein.

Christus mußte sich den öffentlichen Huldigungen gewaltsam entziehen, aber Maria Magdalena war durch den Pater beinahe zum Gegenstand eines Kultus geworden. Wir sahen in diesen aufgeregten Tagen weder Augustin noch Veronika; hörten jedoch, daß beide sehr leidend aussehen sollten. Der Bräutigam sei schwermütig, des Mädchens Wesen wußte man vollends nicht zu deuten.

Auch das wurde uns erzählt: Alois sei so wüst und wild, spiele bei den Zechgelagen und Schlägereien eine so große Rolle, daß seine polizeiliche Inhaftnahme nur durch den Pater verhindert worden sei.

So standen die Sachen, als endlich die letzte Vorstellung stattfinden sollte.

Am Tage vorher brach ein heftiges Gewitter los, dem ein starker Regen folgte. Erst gegen Morgen hörten die Güsse auf, aber die Sonne konnte die Wolkenmasse nicht durchdringen. Dicht lagerten die trüben Schichten über dem Gebirge und sanken langsam immer tiefer. Ein ungeheurer aschfarbener Vorhang verhüllte Himmel und Erde. Wo das Gewölk auf den Fels aufstieß, war es nachtschwarz. Eine düstere Sintflut wälzte sich über den Boden dahin, drang in alle Schluchten ein, rieselte in jede Spalte, Die schwüle Luft, durch keinen Windhauch bewegt, drückte herab wie Wüstenodem.

Von meinem Fenster aus sah ich die Scharen der Wallfahrer in undeutlichen, schwankenden Zügen den Nebel durchziehen. Sie schienen heute kein Ende zu nehmen. Und wie unheimlich ihre Gebete klangen! Ich stellte mir vor, wie sie durch die Schlucht zogen, auf dem Festplatz anlangten, dort sich schweigend niederließen und nun im Nebel die heiligen Gestalten auftauchten, ein Heer gespenstischer Erscheinungen, die sich, immer von Dunstschleiern umwogt, wie Menschen gebärdeten. Der blasse Christus schritt einher, Maria Magdalena erschien, ihr gelbes Haar von grauen Binden durchschlungen. Plötzlich verschwand alles.

Dann ein Schrei – und aus dem Gewölk bäumte sich das Kreuz empor mit dem bleichen, leuchtenden Leib. Fürchterlich war's, wie durch die Nebel das Blut rann!

Ich hatte meinen schlimmen Tag; Fernow wich nicht von meiner Seite. Von Angst gefaßt, irrte ich durch alle Zimmer, wie gewöhnlich in laute Phantasien ausbrechend. So verstrichen langsam die Stunden, ohne daß sie hellen Tag gebracht hätten. Ich bat, daß man nach dem Pfarrer schicken, daß man mich hinauslassen möge. Es war Nachmittag, als ich an Fernows Seite dem Erwarteten entgegenging. Da kam uns vom Dorfe her durch den Nebel einer entgegengestürzt.

»Was ist geschehen?«

»Der Doktor soll gleich kommen. Sie haben den Christus erstochen!«

»Das hat Alois getan!« schrie ich auf.

Wir liefen zum Schlosse zurück. Fernow raffte sein Verbandszeug zusammen, beschwor mich, möglichst ruhig zu sein und das Haus nicht zu verlassen, eilte davon. Nach einigen nutzlosen Versuchen, auf meinem Zimmer zu bleiben, folgte ich ihm.

In der Schlucht angekommen, hörte ich hinter mir meinen Namen rufen. Es war der Pfarrer, der vom Dorfe kam. Ohne ein Wort zu wechseln, eilten wir vorwärts. Andere zurückgebliebene Dorfbewohner, welche das Schauerliche gleichfalls erfahren hatten, liefen an uns vorüber und verschwanden in der dunkeln Nebelschicht, dahinter alles still blieb.

Endlich waren wir dort.

Das gesamte Volk hatte sich auf die Bühne gedrängt und verharrte hier lautlos. Mit Mühe bahnten wir uns einen Weg durch die Menge. Plötzlich standen wir dicht davor.

Sie hatten ihn vom Kreuz herabgenommen und auf die Mäntel der Jünger gelegt, Fernow kniete neben ihm und untersuchte die Wunde, der bereits eine Lache Blutes entquollen war. Veronika hatte seinen Kopf auf ihrem Schoß und schien keiner Empfindung fähig; die düstere Gestalt des Paters sah ich unterm Kreuz stehen.

Da stand Fernow auf: es gab keine Hilfe mehr.

Dem tiefen Schweigen folgte ein wilder Tumult. Das Volk war außer sich. Einige setzten dem Mörder nach, während der wirkliche Täter noch immer ruhig an das Kreuz gelehnt stand. Unter lauten Lamentationen führten die Frauen die Eltern des ermordeten Jünglings herbei.

Der Pfarrer, Fernow und ich beschäftigten uns mit Veronika, ohne ihr jedoch eine Bewegung, ein Wort, einen Blick abgewinnen zu können. Als man ihren Bräutigam von ihrem Schoß aufheben und davontragen wollte, sank sie mit dem Oberleib über ihn, mit ihrer Stirn gerade auf die Wunde. Da trat der Pater zu ihr und bat sie – nein, gebot ihr, aufzustehen. Als sie nicht sofort gehorchte, beugte er sich zu ihr herab und berührte sie am Arm. Von seiner Hand wie magnetisch emporgezogen, erhob sie sich. Ihr Bruder und ich wollten sie in unsere Mitte nehmen, sie aber winkte uns mit dem Haupte fort.

Die Szene gestaltete sich immer wilder. Die Dorfleute, fast sämtlich in orientalischen Kostümen, drängten die Fremden zurück. Man befreite jetzt die beiden Schächer, die man so lange hatte hängen lassen, von ihren Banden.

Als wäre es nur die Dekoration der Tragödie gewesen, begann das Gewölk sich jetzt allmählich langsam zu heben.

Unterdessen hatte man den Toten aufgehoben und mit einem Mantel zugedeckt. Bevor man die Leiche forttrug, trat Pfarrer Andreas dicht vor dieselbe und sagte mit seiner mächtig schallenden Stimme: »Schrecklicher, als an dem Täter, wird dieser Totschlag an dem Urheber gerächt werden.«

Dabei heftete der kühne Mann seine Augen fest auf den Pater. Dann setzte sich der traurige Zug in Bewegung; aber anstatt den toten Sohn in das Haus seiner Eltern zu tragen, wurde die Bahre in der Kirche vor dem Altar niedergesetzt, auf welchem Pfarrer Andreas Augustins Kreuz errichtete.

Veronikas Zustand war jammervoll. Wir konnten sie weder bewegen, die Kirche zu verlassen, noch ihr blutgetränktes Gewand abzulegen. Ihre Lebensgeister schienen vor Entsetzen erstarrt. Sie kauerte sich wieder zu Häupten der Leiche nieder und sah tränenlos auf dieselbe herab. Der Pater hielt sich vorsichtig zurück. Wenn ich mir ihn dachte: im Hause der Eltern des Erschlagenen, so graute es mir. Auf Alois wurde Jagd gemacht, die indessen völlig nutzlos blieb.

Am Morgen des dritten Tages begrub man ihn. Himmel und Erde strahlten. Es war ein Glanz, eine Froheit, eine Schönheit in der Natur, daß darin Nacht und Tod wie Märchen erschienen.

Bei dieser Gelegenheit war dem Pfarrer Andreas wiederum ein großer Schmerz zugefügt worden. Augustins Eltern hatten gewünscht, daß der Pater am Grabe die Rede halten solle. Pfarrer Andreas hätte es verhindern können; aber er wollte den Krieg zwischen sich und seinem Feind nicht an einem offenen Grab entbrennen lassen. So begnügte er sich denn damit, der teuren Leiche in der Kirche den Segen zu geben, worauf wir ihn in sein Haus begleiteten. Der Pater hielt eine leidenschaftliche Rede, bei welcher die Gräber zertreten und die Kreuze umgerissen wurden. In der Nacht ging es im Dorfe wie bei einem Aufstand zu. Jungfrauen und Jünglinge zogen mit Fackeln unter Klageliedern noch einmal zu des Gemordeten Grab und verjagten davon eine Büßerin.


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