Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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24. Eine Familientragödie

Es war am Abend des Tages, an dem die Ausstellung der »Tochter der Semiramis« polizeilich geschlossen wurde, als der würdige Römer, der die Besucher empfangen und dem der Fürst die »Kaufsumme« eingehändigt hatte, den Besuch eines Unbekannten erhielt.

Die Magd meldete einen Priester, mit dem Bemerken, der geistliche Herr wünschte den Herrn Cavaliere – denn auch dieser ehrenwerte Mann war römischer Ritter, dringlich zu sprechen. Er wurde in den Salon geführt, jenen in allen Farben des Regenbogens prangenden Raum, den in Rom jede sich selbst respektierende, also bei sich empfangende Familie aufzuweisen hat.

Beim Eintritt des Cavaliere erhob sich der Fremde mit sichtlicher Mühe von seinem Stuhl: »Entschuldigen Sie, daß ich mich setze. Aber ich fühle mich etwas angegriffen.«

Er nahm auch sofort wieder Platz, sank in den Sessel zurück.

»Womit kann ich dienen?«

»Sie sind doch der Herr, der sich heute in der Ausstellung an der Piazza del Popolo befand?«

»Ich hatte die Ehre, den Künstler zu vertreten.«

»Ich möchte Sie ersuchen, mich trotz der späten Stunde die Marmorgruppe sehen zu lassen.«

»Unmöglich! Die Ausstellung wurde polizeilich geschlossen.«

»So befinden Sie sich nicht mehr in dem Besitz des Schlüssels?«

»Der Schlüssel liegt auf der Präfektur. Erfuhren Sie nicht von der Sache?«

»Ich hörte davon.«

»Ein herrliches, ein unsterbliches Werk! Und durch die Hand eines Barbaren zerstört.«

»Ich bin der Bruder des Fürsten.«

Nach einer Pause der Verlegenheit drückte der Cavaliere sein lebhaftes Bedauern aus, dem Bruder des Fürsten so freimütig seine Meinung geäußert zu haben.

»Der Herr Fürst ist ein Fremder! Und dann zweimalhunderttausend Lire! Der Herr Fürst hat bezahlt wie ein König. Daß der Künstler die Anweisung zerriß, ein fürstliches Vermögen sozusagen auf die Straße warf – was wollen Sie? Diese Künstler sind alle etwas verrückt, besonders die deutschen!«

»Ich wiederhole meine Bitte, mich trotz aller erschwerenden Umstände das Werk sehen zu lassen.«

»Es wird kaum gehen.«

»Aber es geht. Sie sind auf der Präfektur doch gewiß gut bekannt?«

»Ich habe dort einen Neffen.«

»O dann! Nehmen Sie sogleich einen Wagen, fahren Sie zur Präfektur und bringen Sie den Schlüssel. Ich erwarte Sie hier... Sie werden Auslagen haben. Wollen Sie so gütig sein?«

Der Herr Cavaliere war so gütig, die hundert Lire in Gold für seine Auslagen zu nehmen, versicherte nochmals, daß es schwer, sehr schwer sein würde, den Schlüssel zu erhalten, daß er sich indessen – da er auf der Präfektur einen Neffen habe, einer schwachen Hoffnung hingebe, und daß der Fürst Romanowski ein außerordentlicher Herr wäre. Damit eilte er fort.

Nach einer kleinen Stunde war das schwierige Werk bestens besorgt, der Schlüssel in der Tasche des Herrn Cavaliere, der seinen Besucher auf demselben Platz fand, wo er ihn verlassen.

»Es hat Mühe gekostet, und nur durch meinen Neffen war es überhaupt möglich. Aber ich muß den Schlüssel noch heute wieder abliefern.«

»Bis spätestens in einer Stunde bringe ich ihn zurück.«

»Zurück? Ich begleite Sie ja.«

»Geben Sie mir den Schlüssel. Ich kenne das Haus und möchte das Werk allein betrachten.«

»Es ist schon Nacht. Sie werden nichts mehr sehen.«

»Ich dachte daran und nahm Kerzen mit. Sie befinden sich in meinem Wagen.«

»Aber...«

»Sie können unbesorgt sein. Forttragen kann ich die Statue nicht... Besten Dank. Also in einer Stunde.«

Er erhob sich mit Anstrengung und wäre beinahe wieder zurückgesunken. Erschrocken sprang der Cavaliere dem Kranken bei, jedoch wurde seine Hilfe abgelehnt.

»Ich befinde mich heute nicht ganz wohl. Die frische Luft wird mir gut tun. Nochmals meinen besten Dank.«

»Und, nicht wahr, die kleine Gefälligkeit bleibt unter uns?«

»Von mir wird niemand davon erfahren.«

»Es könnte für meinen Neffen schlimme Folgen haben. Wenn Sie gestatten, macht mein Neffe Ihnen demnächst seinen Besuch.«

»In der Villa Romanowski... Ich danke wirklich für Ihre Begleitung. Die Treppe ist sehr bequem. Auf Wiedersehen in einer Stunde.«

Höchlichst verwundert über das Abenteuer begab sich der Herr Cavaliere in ein nahegelegenes Café, um einige Gläser Wermut zu schlürfen; sie waren redlich verdient.

»Alle Fremden sind Narren,« meditierte der ehrenwerte Mann. »Ein Narr ist auch dieser Herr, der sich mitten in der Nacht eine zertrümmerte Statue ansehen will. Und ein Narr ist der Fürst mit seinen zweimalhunderttausend Lire. Aber der größte Narr ist doch der Künstler, der die Zweimalhunderttausend Lire auf die Straße wirft, dafür ist der Mann aber auch ein Deutscher!«

Die kühle Nachtluft tat Don Benedetto wirklich wohl. Er erholte sich mehr und mehr – er wollte sich erholen, denn er wollte das zertrümmerte Marmorbild sehen! War es doch immer noch ihre Gestalt.

Der Kutscher hielt vor dem Hause an der Piazza del Popolo. Don Benedetto nahm das Paket, das auf dem Rücksitz lag, und hieß den Mann warten. Das Tor stand weit offen. Der Priester ging durch den Hof, der ganz einsam war, schloß das Gartenhaus auf und – wie eine himmlische Erscheinung leuchtete dem Eindringling durch die Dunkelheit das Marmorbild entgegen.

Ungeduldig wartete der Cavaliere auf die Rückkehr des Fremden. Eine Stunde war verstrichen, es verstrich eine zweite, fast eine dritte. Da wurde dem Cavaliere um seinen Schlüssel bange. In herzlich schlechter Stimmung verließ er zum drittenmal an diesem Abend seine Wohnung, um selber den Schlüssel zu holen.

Auf der Piazza del Popolo fand er vor dem Hause einen Wagen warten, dessen Kutscher fest eingeschlafen war. Es war sicher der Wagen des geistlichen Herrn, der sehr genaue Kunststudien machen mußte, und das überdies bei Kerzenlicht! Aber diese Fremden waren eben alle verrückt!

Bevor der Cavaliere den Kutscher weckte, begab er sich durch das Tor in den Hof. Die Tür des Gartenhauses war zu. Doch das mußte sie sein, da der geistliche Herr seine erstaunlich eingehenden Kunststudien ganz im geheimen betreiben wollte. Der Cavaliere fand die Tür verschlossen, entdeckte jedoch durch die Spalten im Innern noch Licht.

Also befand sich der geistliche Herr immer noch da!

Er pochte leise, aber die Tür blieb geschlossen. Jetzt nannte er seinen Namen; aber die Tür blieb geschlossen. Er klopfte lauter: es wäre bald Mitternacht und er müsse den Schlüssel haben, wenn er ihn heute auch nicht mehr auf die Präfektur bringen könnte, was für ihn und seinen Neffen schlimme Folgen haben werde. Die Tür blieb geschlossen, innen regte sich nichts.

,Er ist eingeschlafen,' dachte der Caoaliere und sah durch das Schlüsselloch. Nur der Leib des toten Jünglings, den helles Kerzenlicht beschien, war zu erkennen. Jetzt pochte er laut und lauter, jetzt rief er, jetzt bekam er Angst.

Er weckte den Kutscher, und beide pochten und riefen. Da alles still blieb, mußten sie die Stadtpolizei rufen, welche die Tür aufbrechen lieh.

Anscheinend tot lag Don Benedetto zu Füßen der Statue, vor der in silbernen Leuchtern zwei hohe Wachskerzen brannten. Er schwamm in Blut. Es netzte die Füße der Tochter der Semiramis, die nur noch mit der Pracht ihres Leibes in unversehrter Herrlichkeit auf die beiden stillen Gestalten ihrer Opfer herabstrahlte. Bei dem weichen Glanz der Wachskerzen schien dieser unirdisch schöne Leib ein gespenstisches Leben zu haben, indessen das Haupt – ein grausiger Anblick – zerschmettert war.

Der Priester wurde aufgehoben, aber keine Wunde war an ihm zu entdecken, und der herbeigerufene Arzt konstatierte einen Blutsturz. Er lebte noch, konnte jedoch nicht zum Bewußtsein gebracht werden. In diesem Zustand fuhr ihn der Arzt, von einem Polizisten begleitet, in die Villa Romanowski.

Zwei überaus würdige Vertreter der öffentlichen Sicherheit Roms stellten mit dem Cavaliere ein langes Verhör an, und der arme Mann mußte sich noch spät in der Nacht unter Bedeckung zum nächsten Polizeibureau begeben. Hier passierte seine Wohlanständigkeit abermals eine scharfe Kontrolle, bei welcher er sein römisches Rittertum und seinen Neffen bei der Präfektur nachwies, worauf er ungeleitet nach Hause gehen durfte. Er schwor sich selbst, unter keinen Umständen jemals wieder einem Menschen zu dem Schlüssel eines verbotenen Paradieses zu verhelfen, trotz seines Neffen bei der Präfektur und trotz aller goldenen Zwanzig-Lirestücke für etwaige Auslagen. Denn schließlich war man doch römischer Ritter und – noblesse oblige.

Noch acht Tage könnte er leben, aber schwerlich noch einmal zur Besinnung kommen, meinten die Ärzte. Sie bestimmten für die Pflege des Sterbenden zwei Schwestern vom sacré coeur. Der Fürst ließ die Barmherzigen indessen ihren Dienst gar nicht antreten; er allein wollte um den Todkranken sein, seinem Bruder die letzten Liebesdienste erweisen.

Mit geschlossenen Augen lag Don Benedetto auf seinem Lager. Seine Züge hatten einen Ausdruck, als befände er sich bereits jenseits von allem Guten und Bösen, als hätte er bereits das Leben nach blutigem Kampf bezwungen und empfände bereits alle Wonnen des Sieges und des Friedens. Der Allerbarmer Tod verwischte den grausamen Stempel, den das Leben auf dieses Menschenantlitz geprägt hatte. Im Tode wurde es wieder schön, im Tode noch einmal jung.

Das Fenster stand weit offen. Der goldene römische Sommertag strahlte in das Sterbezimmer, Tag für Tag gleich glanzvoll. Die Oleanderblüten dufteten hinein, und bisweilen erklang der schluchzende Liebeslaut einer Nachtigall, die sich noch im Lenz wähnte.

Fürst Alexander wich nicht aus dem Zimmer. Das so wunderbar verwandelte Antlitz seines Bruders betrachtend, saß er und dachte, grübelte, konnte kein Ende finden zu denken und zu grübeln:

Was war es nur, das zwischen ihn und diese stille Gestalt getreten war, die nie wieder sich erheben würde, und die er so zärtlich geliebt hatte. Auf einmal war es da gewesen, gleichsam über Nacht. In sein Haus hatte das Gespenst sich geschlichen, in seine Ehe, in sein Herz. Plötzlich hatte er es in seinem Herzen gefühlt, und auf einmal war sein Glück zerstört, meuchlings gemordet von jenem rätselhaften, gespenstischen Etwas, dafür er keinen Namen fand.

Er hatte versucht, das Phantom zu verjagen; mit seinem maßlosen, unerbittlichen Willen hatte er vergeblich alle Kraft angestrengt. Mit dem finsteren Schatten hatte er gerungen, als wäre jenes namenlose Etwas ein Mensch und sein Todfeind. Er hatte ihn packen wollen; aber immer wieder und wieder war ihm der Gegner gespenstisch entwichen.

Was war es nur?

Er liebte seine wunderschöne Frau. Er, der Mann der Erfahrung, der große Kenntnisreiche, der Titan des Lebensgenusses, liebte diese Frau in einer Weise, daß seine erste leidenschaftliche Jugendliebe dagegen als blasses Gefühl erschien. Was war es nur?

Jenes Gespenst war nicht zwischen ihn und seine Liebe getreten, wohl aber zwischen ihn und das Glück seiner Liebe; und einmal da, war es geblieben, dieses Unfaßbare und doch so Wirkliche. Wie mit Geisterhänden stieß es ihn von seinem schönen Weibe zurück. Was er seitdem gelitten hatte – welche Qualen!

Was war es nur?

Er starrte in das Antlitz des Sterbenden, als müßte ihm von dort die Lösung kommen; denn seitdem dieser mit seiner blassen Aszetenmiene und seinem fanatischen Priesterblick zwischen den beiden Gatten weilte, war auch jener unheilvolle, zerstörende Geist in ihr Leben gekommen. War es sein zärtlich geliebter Bruder gewesen, dieser reine und feine Geist, der sein Haus öde und sein Herz elend gemacht hatte? Konnte er es gewesen sein? Und wodurch nur? Wodurch?

Darauf begann das Denken und Grübeln von neuem, stieg von neuem die angstvolle Frage auf: Wodurch nur, wodurch?

Stundenlang saß der Fürst in dem von der Sonne durchfunkelten, von Oleanderblüten durchdufteten Gemach und starrte in das Antlitz des Sterbenden, als müßte und müßte dieses ihm Antwort geben.

Am dritten Tage seiner Ohnmacht schlug Don Benedetto die Augen auf. Sein erster Blick fiel auf das Haupt des Gekreuzigten, der an der Wand seinem Lager gegenüber hing. Aber der sterbende Priester wendete die Augen von den erhabenen Leidenszügen ab, um ein andres Antlitz zu suchen. Da sah er seinen Bruder.

»Stephan!«

Alle Zärtlichkeit für seinen Bruder, alle qualvolle Angst um diesen wie einen Sohn Geliebten lag in dem erstickten Aufschrei, mit dem der Fürst einen mit Namen rief, welcher der Welt bereits nicht mehr angehörte, seit dem Tage nicht mehr, da Stephan Romanowski die Weihe des Priesters empfing und Prinz Stephan starb – Don Benedetto lebte.

Noch einmal der angstvolle zärtliche Ruf: »Stephan! Stephan!«

Die Augen des Sterbenden schauten auf den, der einen Gestorbenen rief, seine Lippen bewegten sich, aber er konnte nicht reden.

»Ich verstehe dich nicht. Bruder, mein Bruder, erkennst du mich? ... Ja! Und du verstehst mich? Bleibe ganz ruhig. Bewege nur die Lippen. Ich werde gewiß erraten können, was du wünschest ... Einen Priester? Nein, keinen Priester? Wozu auch? Du wirst dich wieder erholen, wirst leben, vielleicht noch einmal in Wirklichkeit leben! Bruder, mein Bruder!«

»Maria!«

Es war kein gesprochenes Wort, sondern ein Seufzer, ein Laut, aber der Fürst verstand den Namen.

»Willst du sie sehen?«

Seine Stimme bebte bei der Frage. Und es war doch kein unnatürlicher Wunsch, daß sein Bruder noch einmal die Frau zu sehen verlangte, für die er im Leben selten ein Wort gehabt hatte. Der Fürst hätte sich über diesen letzten Wunsch seines Bruders freuen sollen; statt dessen fühlte er wieder plötzlich jenes geheimnisvolle Etwas, das sich nicht fassen ließ.

Don Benedetto wünschte nicht, Maria zu sehen – noch nicht. Erst wenn es Zeit, wenn der letzte Augenblick gekommen war. Durch die Macht ihres Namens hatte er noch einmal aufleben wollen. Aber er wollte, daß der bleiche Mann, der an seinem Bette saß, zugleich mit ihrem Namen alles verstehen sollte. Denn jetzt keine Lüge mehr, weder vor Gott, noch vor den Menschen.

Der Fürst flößte ihm Wein ein; doch es war nicht dieser, der Don Benedetto die Kraft gab, zu reden; sondern das vollbrachte der Name Maria.

»Ich will keinen Priester. Aber meine letzte Beichte will ich dennoch ablegen. Du sollst sie hören. Laß mich dir alles sagen und unterbrich mich nicht... Ich will dir meine Sünde bekennen, die eine Todsünde ist. Du brauchst mir nicht zu vergeben, vergeben darfst du mir nicht. Mit der Last der unvergebenen Sünde auf meiner Seele will ich sterben. Auch Gott wird mir nicht verzeihen.

»In Ewigkeit muß ich büßen, und ich werde gerecht gerichtet ... Nichts sagen! Kein Wort. Ich verbiete dir's! Auch deine Hand will ich nicht. Ich darf deine Hand in der meinen nicht halten. Auch sterbend darf ich's nicht. So schwer habe ich mich an dir versündigt.

»Jawohl, Alexander, an dir! Und an Gott.

»Denn ich hätte sein Diener nicht werden dürfen; wer mit Leib und Seele dem Himmel dienen will, darf mit keiner Empfindung, mit keinem Gedanken, keinem Schlag seines Herzens der Erde mehr angehören. Ich weiß nicht, ob der Mensch das überhaupt vermag und wenn, ob es dann überhaupt noch menschlich wäre, ob der Himmel solches Menschenopfer annehmen kann, annehmen darf?

»Selbst meine letzten Gedanken werden zur Todsünde, denn sie klagen Gott an. Ich war so jung, siehst du, und vom Leben wußte ich nichts. Nicht einmal über mich selbst wußte ich Bescheid. Solche Dinge kann man sich nicht sagen lassen; sie sind nicht zu lehren und nicht zu lernen, sie müssen erlebt werden.

»Aber ich hatte solche Sehnsucht, von der Erde hinweg zum Himmel empor; hatte solche Sehnsucht, anzubeten, zu dienen, Gott mich hinzugeben; solche Sehnsucht, den Herrn zu umfangen und ihn nie wieder zu lassen.

»Auf meinem Sterbebette, darauf jeder Gedanke Sünde und Schuld wird, aber keine Lüge mehr sein soll, heute glaube ich: meine Sehnsucht nach dem Himmel war heißes Verlangen nach der Erde. Lieben wollte ich und geliebt wollte ich werden. Aber ich wollte nicht Gott lieben, sondern einen Menschen, und nicht Gott sollte mich wieder lieben, sondern ein Mensch – ein Weib.

»Das weiß ich erst jetzt.

»Dienen wollte ich, Tränen trocknen, Leiden lindern, Sterbende wollte ich trösten, unter den Armen und Elenden wollte ich verweilen; denn unter ihnen hoffte ich am ehesten, den Herrn fassen, ihn halten zu können. Wenn der Mensch in mir nach einem andern Menschen schrie, antwortete ich: Gott! Gott! Gott! Und wenn in mir die Kreatur sich regte und nach Leben drängte, tat ich Buße, fastete, geißelte mich, so lange und so schwer, bis ich glaubte, jetzt ist der Mensch in dir tot, jetzt hast du die Kreatur in dir erwürgt, jetzt liegst du der Gottheit für ewige Zeiten am Herzen.

»Aber der Mensch im Priester bleibt leben, solange er selbst lebt; und solange er lebt, schreit er auf – nicht nach Gott, sondern nach andern Menschen. Nach der Erde schreit er und nach allem, was von der Erde ist.

»Er schreit nach Liebe!

»Inzwischen wähnte ich, es sei mir gelungen, das Sterbliche in mir zu bezwingen. Ich lebte unter Armen und Elenden und war glücklich. Es war ein überschwengliches, ein überirdisches Glück, wie nur der Beter und Büßer, der Fanatiker und Schwärmer es kennt. Es war das Glück der Ekstase. Da ward ich todkrank, und sie brachten mich in dein Haus.

»Du besaßest ein Weib, von dem du mir gesagt hattest, es sei das schönste Weib der Erde. Du liebtest sie und wurdest von ihr wiedergeliebt. Bereits damals begann meine Schuld und keimte meine Todsünde, denn damals bereits beneidete ich dich.

»Ich, der Priester, ich, dein Bruder, beneidete dich um das Weib, welches schön sein sollte wie die Sünde.

»Du sollst mir nichts sagen!

»Ich lag krank in deinem Hause; aber dein sündhaft schönes Weib wollte ich nicht sehen. Ich wurde gesund, aber ich wollte Maria nicht sehen; ich fürchtete mich, ich war feige. »Da sah ich sie, und so kam es.

»Schweige! Du sollst schweigen.

»Vom ersten Augenblick an liebte ich sie, mit einer Leidenschaft, von der du keine Ahnung hast – selbst du nicht! Ich liebte dein schönes Weib, wie ein dem Herrn abtrünnig gewordener Engel die Sünde liebt, um derentwillen er abfiel von Gott.

»Wenn du ein Wort sprichst, verschweige ich dir das letzte, sterbe ich, ohne meine Beichte vollendet zu haben.

»Sie war dein; sie gehörte dir, ihre ganze Schönheit. Mit jedem Atemzug war sie dein Eigentum. Aber ich wollte sie dir nehmen, Atemzug für Atemzug, bis ihre ganze Seele dem Himmel gehörte, also mir!

»Wende dich von mir, verachte mich, hasse mich! Mit einer Verwünschung wende dich von mir, wenn ich meinen letzten Atemzug tue, eine Verwünschung schleudre mir nach in mein Grab.

»Ich entdeckte an ihr eine Schuld, und ihre Schuld gab mir über sie Gewalt, ich diktierte ihr die Buße. Ist die Buße erfüllt, wird ihre Schuld getilgt sein; aber die Vergebung ihrer Sünde scheidet sie von dir.

»Ich, der Priester, ich, dein Bruder, den du zärtlich geliebt hast, nahm dir dein Weib. Denn ich nahm ihre Seele, die dir nicht mehr gehört, dir nie mehr gehören wird, sondern dem Himmel, einzig und allein dem Himmel.

»Du wirst fortan keinen Teil an ihr haben.«

»Du lügst! Du lügst auf deinem Sterbebett! Nimm die Lüge zurück!«

Vor Don Benedettos letztem Lager stand der Fürst mit einem Gesicht, als wenn er der Sterbende wäre. Aber ein Sterbender, der leben wollte, leben selbst um den Preis der ewigen Seligkeit. Da ging die Tür auf, und die Fürstin kam herein. Wie durch eine überirdische Gewalt angezogen, näherte sie sich dem Bett, wo sie auf die Knie sank, die Augen starr auf das Antlitz des Scheidenden gerichtet.

Dieser hob das Haupt und sagte mit klarer, lauter Stimme:

»Deine Seele gehört dem Himmel; du weißt, für welche Schuld. Nütze sie! Du mußt büßen!«

Die Fürstin sah in seine Augen, und ihr Blick flehte ihn an:

Habe Erbarmen! Nimm die Buße von mir! Du weißt, daß du über meine Seele gebietest, wie Gott über sein Geschöpf; aber: Gott, erbarme dich deines Geschöpfes!

»Büße! Du mußt büßen!«

Das waren Don Venedettos letzte Worte.

Zwei Stunden lag er in der Agonie. Der päpstliche Nuntius kam, um ihm den Segen des Heiligen Vaters zu bringen, der von aller Schuld freisprach. Der Sterbende erkannte den Priester und – wies ihn zurück.

Er wollte keinen Segen, keine Vergebung. Bedeckt mit seiner Sünde wollte er vor seinem Gott erscheinen. Er wollte sie mit sich in die Ewigkeit nehmen und sollte auch seine Buße eine Ewigkeit währen.


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