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Die Erleichterten

(1800)

Herr
              Heute gefällst du mir sehr, Hausmütterchen. Zierlich und einfach
Ist dein Ehrengewand; und klar, wie der sonnige Himmel
Blinkt durch das Laub, so lacht dein schelmisches Aug' aus dem Hütlein,
Als ob tanzen du möchtest im ländlichen Reihen der Ernter.
Frau
  Heute gefällst mir auch du, Hausväterchen. Gar zu behaglich
Blasest du wirbelndes Knastergewölk am levantischen Kaffee,
Unter dem luftigen Grün der Akazia. Wenn ich das Kinn dir
Streichelte, fröhlicher Laune verschenktest du Gold und Juwelen.
Herr
  Fröhlicher Laun ist heute sogar mein sparsamer Meier,
Der den gesegneten Schmaus nicht mißgönnt unserer Dorfschaft
Für die gesegnete Ernte. Du glaubst nicht, Frau, wie gedrängt ist
Hochauf Boden und Fach von unendlicher Fülle des Segens;
Dort von duftendem Heu, von Klee und fetter Luzerne;
Dort von Ackergewächs in üppigen Ähren und Schoten,
Welches, wie reich es gemandelt im Feld, auf der Tenne nun scheffelt,
Daß kaum Räume dem Stroh und dem Korn kaum Speicher genug sind.
Rings noch freut sich der Stoppel ein Schwarm glattleibiger Rinder
Und der gefallenen Körner die häusliche Gans mit dem Feldhuhn,
Und vor dem Wanderer rauscht ein gefeistetes Taubengewimmel.
Frau
  Ja, und besuche der Milch vollströmende Kammer, wie ringsum
Stehn fettrahmige Satten, wie schwer eintragen die Mägdlein;
Käs, holländischem gleich, auf strotzenden Borden geschichtet,
Und in Tonnen gedrängt die bestellete Butter für Hamburg.
Früh auch tanzet und spät der butternde Rappe den Rundtanz.
Herr
  Nicht zu vergessen die Menge des lautersten Jungfernhonigs,
Den mein treuer Johann, der geschäftige, selber erzielet:
Uns einladende Kost und dem Dorf anlockendes Beispiel!
Frau
  Nicht zu vergessen den Flachs, in zierlich gedreheten Knocken,
Der, von der treuen Maria nach schottischer Weise gehechelt,
Feine Gewebe mir schafft und Lust am Spinnen den Jungfraun;
Auch nicht, Mann, zu vergessen die köstlichen Nelken des Gärtners!
Herr
  Frau, und die köstlichen Früchte der Pflanzungen, Kern- und Steinobst;
Nur daß einige Birnen der Frost in der Blüte getötet!
Schaue, wie rot und gelb es daherscheint über die Mauer.
Ja (so mild war Sonne mit zeitigem Regen gemäßigt!)
Würziger kochte der Saft in Pfirsichen und Aprikosen;
Würziger duftet vom Beet die Melon und verachtet die Fenster;
Selber die Traub an den Wänden verheißt südländischen Nektar.
Frau
  O wir Gesegneten Gottes! Zum Wohltun ruft uns die Wohltat!
Und, mein trautester Mann, zur Gerechtigkeit!
Herr
                                                                            Was so bewegt nun,
Mein gutherziges Kind, und so feierlich? Rede, was meinst du?
Frau
  Gleich in festlichem Zug mit Musik wird kommen die Dorfschaft,
Welche für Saat und Ernt arbeitete, auch (was den Frondienst
Mehrt) für des sämtlichen Gutes Verschönerung. Froh ist der Anblick,
Wann nach langem Geschäft sich erlustigen Männer und Weiber,
Stattlich im Feiergewand und jeglicher Sorge vergessend;
Wann mit prunkendem Kranze der Segensernte daherziehn,
Sens und Hark in der Hand, lautjubelnde Mäher und Jungfraun,
Hüfener samt dem Gesind und ältliche Leute des Taglohns.
Doch mir regt sich geheim Wehmut und herzliches Mitleid;
Denn die Feirenden sind – Leibeigene!
Herr
                                                                Wie man sich ausdrückt.
Nicht Leibeigene, Frau, Gutspflichtige nennt sie ein jeder,
Wer schon waltet mit Fug und wer sich schämet des Unfugs,
Frau
  Was nicht taugt, durch Worte beschönigen, sei unerlaubt uns!
Trautester, wem sein Herr Arbeit aufleget nach Willkür;
Wem er den kärglichen Lohn nach Willkür setzet und schmälert,
Geld sei's oder Gewächs, sei's Kornland oder ein Kohlhof;
Wen er nach Willkür straft, für den Krieg aushebet nach Willkür;
Wen er mit Zwang von Gewerbe, mit Zwang von Verehlichung abhält;
Wen sein Herr an die Scholle befestiget, ohne der Scholl ihm
Einiges Recht zu gestehn, als Lastvieh achtend und Werkzeug;
Wessen Kraft und Geschick an Leib und Seele der Herr sich
Eignete; wer die Ersparnis verheimlichen muß vor dem Fronherrn:
Trautester Mann, der ist Leibeigener, nenn ihn auch anders!
Herr
  Solche Gewalt doch üben in unseren Tagen gewiß nur
Wenige. Dank der Vernunft und der edleren Menschenerziehung,
Auch des gefürchteten Rufs lautstrafendem Tadel und Abscheu!
Daß man es darf, ist traurig. Mir selbst oft kehrte das Herz sich,
Neben dem prächtigen Hof in öden Behausungen sparsam
Menschen zu sehn, wie entmenscht durch so unmenschliche Herrschaft:
Wildlinge, bleich und zerlumpt und wie Ackergäule verhagert,
Welche, träg aus dem Dunst unsauberer Katen sich schleppend,
Offenes Munds anstarren den Fragenden, selber den Weg nicht
Wissen zum ferneren Dorf, auch wohl mißleiten vor Bosheit;
Und, da der Herr sie mit Fleiß in Züchtlingsschulen verwahrlost,
Ähnlich dem Vieh an dumpfem Begriff; nur daß sie den Hunger
Durch sinnreicheren Raub oft bändigen oder davongehn.
Daß die Entmenschenden doch sich erinnerten, eigener Vorteil
Nötige, wohl zu nähren und blank zu erhalten das Lastvieh!
Frau
  Nein, so durchaus ratlosem, erbarmungswürdigem Völklein
Gleichen die unsrigen nicht. Beut jenen ein Feld und Entlassung,
Laut wehklagen sie dir, vor Angst noch herberes Hungers.
Unsere, wieder zu Menschen erneut durch menschliche Sorgfalt,
Rasch in gemildertem Fron und vergnügt des gegönnten Erwerbes,
Lernten vertraun sich selber und uns – und begehren die Freiheit!
Herr
  Freiheit, zwar mit Vernunft, ist göttliches Recht, und beseligt.
Fesselung, selbst an das Brot, macht sklavische; mehr, an den Erdkloß,
Der nicht Brot, kaum Futter bei Pferdarbeiten gewähret.
Frei muß werden, sobald zu Vernunft er gelangte, der Mitmensch!
Längst auch hab ich das Werk mit bedächtigem Fleiße gefördert,
Daß reif würd und dem Volk nicht unwohltätig die Wohltat.
Frau
  Lohne dir Gott und dein Herz! Nur verzeuch nicht länger die Wohltat
Würdigen! oder vielmehr die Gerechtigkeit! –
Herr
                                                                            Frisch mit der Wahrheit!
Mag sie auch immer den Schalk demütigen!
Frau
                                                                        – Denn für das Unrecht,
Daß, in früherer Zeit und späterer, freie Besteller
Räubrische List und Gewalt ankettete; daß sie zu Frondienst
Kind und Geschlecht mißbraucht', als Gekettete vor der Geburt schon;
Daß in verfeinerter Zeit noch lastender immer die Arbeit
Anwuchs, immer der Lohn sich schmälerte: – Mann, für das Unrecht
Seit Jahrhunderten legt die Gerechtigkeit vollen Ersatz auf!
Wer für Ersatz annimmt ein Gehöft auf billigen Erbzins
Und, wie für Wohltat, dankt, wird Menschlichkeit üben und Großmut,
Nicht dem gefälligen Herrn das Vergehn anrechnend der Väter.
Herr
  Horch! da blasen sie schon, wo das Ohr nicht täuschet, am Pfarrhof;
Auch vollstimmiger tönt die Musik. Lang übten geheim sich
Jäger, Lakai und Gärtner im Dorf. Was den Pfarrer doch aufhält? –
Edles Weib! ich verschmähe die Ausred eiteles Haders;
Denn ich denke wie du! und empfand Unwillen von jeher:
Wenn habsüchtig ein Mann mit dem Trug aufopfernder Wohltat
Wucherte, sich ausziffernd den Vorteil, jenen den Nachteil;
Wenn er den höchsten Gewinn des künftig verbesserten Gutes
Schätzte voraus, um zu ernten, was einst ein anderer säet;
Und nicht nur dem Ersatze, den Recht und Billigkeit auflegt,
Karg sich entzog, nein selbst armseliger Schmerzenvergütung:
Ärgerlich traun! wenn im Knappen ein Filz Aufopferung schautrug!
Weib, ich verlange durchaus wohlhabende Sassen des Erbhofs,
Wo es sich regt und gedeiht, wie um tüchtige Pächter in England,
Und um der Marsch Anbauer, die jeglichem keck ins Gesicht schaun!
Frau
  Amen, es sei! O wie selig, gesellt wohltätigen Geistern,
Schweben wir einst herüber und sehn Paradiese, wo Fluch war;
Hören genannt vom Hirten und Ackerer unsere Namen,
Feurig in Red und Gesang und in segnender Mütter Erzählung;
Hören am Freiheitsfest sie genannt vom Pfarrer mit Andacht,
Leise mit Tränen genannt von dem weither denkenden Greise;
Und umschwebende Seelen Entlassener winken uns lächelnd,
Dort uns Tochter und Sohn, dort Enkelin zeigend und Enkel,
Die im erneueten Erdparadies gottähnlicher aufblühn!
Aber geeilt, mein Guter, bevor wir beide dahingehn,
Wo nicht folgt ein Besitz als redlicher Taten Bewußtsein!
Schauerlich! hätten wir halb nur getan, und nach täuschendem Labsal
Marterte hier von neuem ein unbarmherziger Fronherr!
Herr
  Tröste dich, Frau! dafür ist gesorgt; bald öffnet sich Ausgang.
Kinder versagte ja Gott; laß uns nach anderen umschaun,
Die uns einmal nachweinen und stehn an unserem Grabe!
Frau
  Guter Mann, dein Schälchen ist kalt. Du redest so heftig!
Oh! da säuselt vom Dach mein Mohrenköpfchen und bettelt!
Herr
  Schenkst du noch einmal voll? Mich deucht, in der wärmenden Kappe
Heckt die Kanne von selbst wie der Segenskrug des Elias.
Freund Papagei, was maust er den Zucker da? Klaps auf den Schnabel!
Aber wo bleibt mein Pfarrer mit Frau und lieblichen Töchtern,
Da sie ja immer so gern die Freud ansahen des Aufzugs?
Frau
  Wunder! da kommt mein Pfarrer, mit Frau und lieblichen Töchtern,
Dicht an dem Kranz in das Tor; und der Schule verständiger Lehrer;
Auch, ihr Blatt in der Hand, tonkundige Knaben und Mägdlein;
Wohl ein besonderes Lied ehrt heute die gnädige Herrschaft!
Braut und Bräutigam vorn mit dem Kranz, wie geputzt für die Trauung!
Hinten im dörflichen Prunk ein unabsehbarer Aufzug,
Schlagend die Sens und die Harke zum kräftigen Marsche der Bläser!
Schau, wie die Sonne die Flitter bestrahlt, wie die Bänder umherwehn!
Noch kein End! Eindringen, wie schwärmende Bienen, die Kindlein!
Und, ach Gott! auf der Krücke der Greis, den ein Vogt in der Jugend
Lahm gebleut! Sehn will er vergnügt, wie die Welt sich verändert!
Jetzo schweigt die Musik; zum Gesang nun stellet sich alles!
Mann, was bedeutet es doch?
Herr
                                                  O du Heuchlerin, tu mir befremdet!
Kinderchen, seid willkommen! Wie feierlich bringt ihr den Kranz heut!
Braut und Bräutigam
                Die Scheun ist vollgedrängt von Garben,
Die wir durch Pflug und Sens erwarben,
    Denn Gott belohnt den Fleiß.
Hier bringen wir im Festgesange
Den Ährenkranz mit Sensenklange
    Und trocknen uns den Schweiß.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Zwei Binderinnen
  Für uns auch banden wir die Garbe!
Daß weder Vieh noch Mensch hier darbe,
    Ist unsers Herrn Gebot.
Im Mißjahr selbst ein milder Speiser,
Erbaut und schützt er Stall' und Häuser
    Und steuert aller Not.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Zwei Mäher
  Nicht sklavend mehr, wie Pferd' und Rinder,
Sind wir des guten Vaters Kinder
    Und lernten menschlich sein.
Hier jammert niemand ungerichtet;
Vernunft und Liebe heilt und züchtet
    Uns Kinder, groß und klein.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Knabe und Mädchen
  Geübt wird hier in Gottes Tugend
Und Häuslichkeit die frohe Jugend;
    Sie schreibt und rechnet schon.
Der Knabe pflegt des Obstes Schule,
Das Mädchen Nadel, Knütt und Spule;
    Auch klingt Gesang und Ton.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Mäher und Binderin
  Nicht fühllos achten wir des Segens;
Wir freun uns Sonnenscheins und Regens.
    Des Regenbogens auch.
Gesegnet sei des Dorfs Berater!
So ruft dein Volk und nennt dich Vater,
    Vergnügt bei Kohl und Lauch.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Zwei Mäher
  Nicht brauchst du durch des Zwangs Gewalten
An deiner Scholl uns festzuhalten;
    Wir lieben unsern Herrn.
Du hörst des jungen Freiers Bitte;
Von Kindern wimmelt jede Hütte;
    Denn alles dient dir gern.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Mäher und Binderin
  Wohl waren deiner Väter Väter
An uns sehr guter Taten Täter;
    Der Dank war Leibesfron!
Doch haben wir bald abverdienet?
Wird doch selbst Missetat gesühnet,
    Du, guter Väter Sohn!
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Pfarrer und Tochter
  Der Vater aller lieh zur Gabe
Dir volles Maß der Lebenshabe,
    Um vielen wohlzutun!
Bald wirst auch du, nicht mehr genießend,
Nicht mehr der Brüder Gram versüßend,
    Bei deinen Vätern ruhn.
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Ein junges Paar
  Dann stehen wir am Grab und weinen,
Wir Mann und Weib, im Arm die Kleinen!
    Dann herrscht ein neuer Herr!
Wer schenkt uns, daß er ruhig sterbe,
Wer schenkt uns Freiheit und ein Erbe?
    Wer löst die Ketten? wer?
Chor
      Doch ach! wir sind leibeigen!
    Nur leichter ward das Joch!
Die Herrschaft, fromm und gut,
            wie kann sie's sehn und schweigen?
    Wir sind ja Menschen doch!
Herr
          Kinder, ihr habt mich innig bewegt, und die Stimme versagt mir.
Viel, ach! habt ihr geduldet des schwer heimsuchenden Schicksals,
Finstere Jahre hindurch, ihr selbst und euere Väter!
Besseres sandt euch Gott; noch Besseres wird er euch senden.
Bleibt nur bieder und fromm und empfangt gutherzig die Guttat!
Heut miteinander an Gott, der das Jahr hoch segnete, denkend,
Wollen wir uns hochfestlich belustigen. Morgen erscheint mir,
Hüfener samt dem Gesind und ältliche Leute des Taglohns,
Auch, der des geistlichen Wohls und des leiblichen waltet, der Pfarrer:
Daß wir vereint abwägen, was längst ich Schweigender aussann.
Freiheit geb ich zurück und nährenden Acker in Erbpacht.
Uns nicht falle die Pacht, nein euch, als unseren Kindern:
Teils für der Kirch und der Schule Verbesserung, teils für die Armut,
Teils für die Waldanpflanzung, die einst abwehre den Winter
Und freitobenden Sturm, und teils für andres Gemeinwohl.
Unserem Pfarrer zugleich, dem würdigen, geb ich die Hufe
Wieder umsonst, die, zu Gelde gesetzt, hinschwand in die Teurung.
Schwinget den Hut in Musik und rauscht mit der Erntegerätschaft!

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