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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Der Unterlauf des Amazonas

Was sollen wir nun noch erzählen von diesem zweiten Teile der Fahrt, die sich auf dem Laufe des großen Stroms vollziehen sollte? Es war bloß eine Folge von glücklichen Tagen für die ehrsame Familie. Joam Dacosta lebte neu wieder auf, und sein Glück warf helle Freudenstrahlen auf all die Seinen.

Die Jangada machte nun schnellere Fahrt auf diesen von der Hochflut noch angeschwollenen Gewässern. Links ließ sie das kleine Dorf Don Jose de Maturi hinter sich, und rechts die Mündung des Madeirastroms, der seinen Namen der grünen Trift, jenen Flößen von ent- oder belaubten Stämmen, verdankt, die er aus dem Herzen von Bolivia herführt. Mitten durch den Caniny-Archipel, dessen Eilande richtige Palmengärten sind, trieb sie, an dem Weiler Serpa vorbei, der von einem Ufer ans andere verlegt worden, um schließlich am linken festen Halt zu finden, wo er nun mit seinen freundlichen Häuschen auf dem gelben Teppich des Strandes ruht.

Die auf dem linken Ufer des Amazonas erbaute Dorfschaft Silves, der Flecken Villa Bella, bekanntlich der Haupt-Guarana-Markt der ganzen Provinz, blieben bald hinter dem langen Holzfloße zurück. Ebenso die Dorfschaft Faro mit ihrem berühmten Flusse Nhamundas, auf welchem Anno 1539 Orellana einen Ueberfall von kriegerischen Weibern erlebt haben will, von denen seitdem aber nie wieder etwas verlautet hat oder sichtbar geworden ist – eine Mär, die hinreichend war, den unsterblichen Namen des Amazonas zu rechtfertigen.

Dort nahm die gewaltige Provinz des Rio Negro ihr Ende. Dort nimmt die Judikatur des Para ihren Anfang, und am selben Tage, dem 22. September, fuhr die Familie, entzückt von der ohnegleichen dastehenden großartigen Naturpracht eines Stromtals, in diesen Teil von Brasilien ein, dessen einzige Grenze nach Osten zu das Atlantische Weltmeer bildet.

»Wie herrlich! wie herrlich!« rief das junge Mädchen einmal über das andere.

»Wie schön! wie schön!« wiederholte Lina.

»Wann werden wir denn an Ort und Stelle sein!« flüsterte Fragoso.

Nun sollen sich noch bei solchem Mißklang von Anschauungen Mittel und Wege finden zu allseitiger Verständigung! Eins aber war zweifellos: daß die Zeit fröhlich verstrich, und noch ein anderes: daß Benito, an dem sich weder Geduld noch Ungeduld verspüren ließ, all die gute Laune wiedergefunden hatte, die er ehedem besaß.

Bald glitt die Jangada zwischen endlosen Kakao-Pflanzungen hin, von deren tiefem Grün das grelle Gelb der Strohdächer oder das knalle Rot der Ziegeldächer auf den Hütten hüben und drüben am Strome, von Olbidos bis zum Flecken Monte Alegre, auffällig abstach.

Dann tat sich die Mündung des Rio Trombetas auf, der mit seinen schwarzen Fluten die Häuser von Olbidos badete: einer richtigen kleinen Stadt, mit ihren breiten, von hübschen Wohnhäusern eingefaßten Straßen fast eine »Citade«, und wichtiger Zwischenhandelsplatz für die Kakaofrucht, von Belem höchstens 180 Großmeilen entfernt.

Nun erblickt man den Nebenfluß Tapajoz mit seinen graugrünen, aus Südwest herniederkommenden Fluten; sodann Santarem, den reichen Flecken, der nicht weniger als 5000 Bewohner, zum größten Teil Indianer, zählt, und dessen vorderste Häuser auf großen mit weißem Sande bedeckten Strandstellen stehen.

Seit ihrer Abfahrt von Manaos hielt die Jangada nicht mehr, denn der Unterlauf des Amazonas bietet freieres Fahrwasser. Unter dem wachsamen Auge ihres geschickten Lotsen trieb sie bei Tag und bei Nacht. Weder zur Kurzweil der Fahrgäste, noch aus Rücksicht auf Handelsbedürfnisse wurde angelegt. Ununterbrochen ging die Fahrt weiter, und schnell kam das Ziel nahe.

Von Alemquer ab, das am linken Ufer liegt, zeichnete sich den Blicken ein neuer Horizont. An Stelle von Wäldern, die ihn bisher abgeschlossen hatten, traten im Vordergrunde Hügel in Sicht, deren reiche Wellenlinien das Auge weithin verfolgen konnte, und dahinter zackten sich am fernen Himmelsgrunde in unbestimmten Konturen die Gipfel richtiger Gebirge aus.

Weder Yaquita, noch ihre Tochter, weder Lina noch die alte Cybele hatte je im Leben solches Schauspiel genossen.

Aber in dieser Judikatur des Para wußte Manuel sich zu Hause. Er konnte jeden dieser doppelten Gebirgskette, die allmählich das Tal des großen Stromes verengerte, mit Namen nennen.

»Rechts,« sagte er, »steigt die Sierra von Paruacarta auf, die sich nach Süden zu in Halbkreisform erstreckt; links sehen wir die Sierra von Curuva, deren letzte Wälle wir bald passiert haben werden.«

»Also nähern wir uns dem Ziele?« fragte Fragoso abermals.

»Wir nähern uns dem Ziele!« versetzte Manuel. Zweifelsohne verstanden die beiden jungen Männer einander, denn einunddasselbe Wiegen des Kopfes, deutlicher als aller mündliche Ausdruck, begleitete Frage und Antwort.

Endlich wurde trotz der Gezeiten, die sich von Olbidos ab fühlbar zu machen anfingen und die Abtrift der Jangada einigermaßen verzögerten, der Flecken Monte-Alegre passiert, dann der Flecken Praynha de Onteiro, dann die von den Yuruna-Indianern, deren Hauptbeschäftigung die Präparierung abgeschlagener Feindesköpfe für Naturalienkabinette bildet, vielbefahrene Einmündung des Xingu.

Bei Gurupa teilte der Strom sich in zwei große Arme, die er zum Atlantischen Ozean hin streckte: der eine Arm lief nordöstlich, der andere grub sich in östlicher Richtung sein Bett, und zwischen ihnen erstreckte sich die große Insel Marajo. Eine ganze Provinz für sich, diese Insel! nicht weniger als 180 Meilen beträgt ihr Umfang. Verschiedentlich von Sümpfen und Bächen durchschnitten, im Osten ausgesprochenes Savannengebiet, im Westen dicht von Wald bedeckt, bietet sie für die Aufzucht von Vieh, das hier nach Tausenden zählt, die vorzüglichsten Bedingungen.

Die Jangada trieb weiter und weiter stromab. Bald glitt sie, unter Gefahr daran hängen zu bleiben, dicht über jenen Klauen von Mangobäumen hin, die ihre Wurzeln gleich Pfoten von Riesenkrustentieren über die Flut hinweg strecken: bald diente der schlanke Stamm von Sumpfgewächsen mit mattgrüner Belaubung den langen Bootshaken zum Stützpunkt, das Floß in die Strömung zurückzudrängen.

Nun kam die breite Mündung des Tokantins, dessen aus den verschiedenen Rios der Provinz Goyaz stammende Gewässer sich hier mit denen des Amazonas vermischen. Dann der Moju. Dann der Flecken von Santa-Ana.

Dieses ganze Panorama der beiden Flüsse wies in unablässiger Folge, ohne allen Zeitaufenthalt, gleich als ob es durch einen unsichtbaren Mechanismus von Tal zu Berg bewegt würde, Bilder von majestätischer Schönheit auf. Endlich kam am linken Ufer Santa-Maria de Belem do Para, die »Stadt«, wie man hierzulande sagt, mit den malerischen Reihen ihrer mehrstöckigen weißen Häuser, ihren unter den Palmen vergrabenen Klöstern, den Glockentürmen ihrer Kathedrale »Unserer Gnadengöttin Maria« auch die Flottille ihrer Goeletten, Briggs und Dreimaster in Sicht, die sie in kommerzieller Hinsicht mit der Alten Welt verbinden.

Laut schlug den Passagieren der Jangada das Herz. Endlich erreichten sie das Ziel der Fahrt, das sie schon für unerreichbar zu halten begonnen hatten. Als sie Joam Dacostas Festnahme noch in Manaos, also halbwegs der Strecke, festhielt, konnte sie da noch hoffen, die Hauptstadt dieser Provinz des Para je wiederzusehen?

Am 15. Oktober – vierundeinhalb Monate, nachdem sie die Farm von Iquitos verlassen hatten – trat hinter einer jähen Wendung, die der Strom machte, Belem in Sicht.

Schon seit mehreren Tagen war die Anfahrt der Jangada gemeldet: Die ganze Stadt kannte Joam Dacostas Erlebnisse. Man wartete auf ihn! auf diesen Mann von Ehre! den liebevollsten Empfang bereitete man ihm und den Seinen.

Darum kamen dem Farmer Hunderte von Fahrzeugen entgegen, und bald wimmelte es auf der Jangada von allerhand Leuten, die ihres Landmanns Heimkehr nach so langem Exil recht festlich gestalten wollten. Tausende von Neugierigen – oder richtiger sagen wir Freunden – drängten sich auf das schwimmende Dorf, lange bevor es am Lande festgemacht war; aber es war ja geräumig und fest genug, eine ganze Bevölkerung zu tragen.

Unter denen, die es am eiligsten hatten, das Floß zu erreichen, war eine Piroge, die eine Dame trug: Madame Valdez! Endlich konnte Manuels Mutter die neue Tochter, die ihr Sohn für sie ausgewählt hatte, in die Arme schließen. Wenn sich die brave Dame auch nicht nach Iquitos hatte begeben können, so brachte ihr doch der Amazonenstrom mit ihrer neuen Familie gleichsam ein ganzes Stück der Farm oder Fazenda herbei – oder etwa nicht?

Ehe es Abend wurde, hatte der Lotse Araujo die Jangada im Grunde einer Bucht, hinter der Spitze des Arsenals, festgemacht. Dort sollte, nach 8000 Meilen Abtrift auf der großen brasilianischen Wasserader, ihr letzter Ankerplatz, ihr letzter Halt sein; dort sollten Indianerzelte, die Negerhütten, die Speicher mit ihrer kostbaren Ladung nach und nach abgebrochen werden; dann sollte die unter grünem Laub- und Blumenvorhang verborgene Hauptwohnstatt verschwinden: dann auch die kleine Kapelle, deren bescheidenes Gebimmel jetzt dem weithin schaltenden Glockengeläute der Belemer Kirchen mit seinen schwachen Stimmchen antwortete.

Zuvor aber sollte auf der Jangada selber ein schönes Doppelfest gefeiert werden: die Hochzeit zwischen Manuel und Minha, die Hochzeit zwischen Lina und Fragoso. Dem Padre Passanha fiel die Ehre zu, dieses doppelte Band zu schließen zu einem Bunde, der soviel Glück verhieß. In der kleinen Kapelle sollten aus seinen Händen die beiden Ehepaare den Trausegen empfangen.

War die Kapelle zu klein und eng, um mehr Personen als die nächsten Angehörigen der Familie Dacosta zu fassen, so war doch die Jangada groß und geräumig genug, um all die Menschen zu fassen, die sich zu dieser Feier drängten, und wenn auch sie noch nicht ausreichte, den Zulauf aufzunehmen: bot nicht der Strom mit seinen unermeßlichen Ufern Platz in Hülle und Fülle für diese anteilvolle Menge, die begierig danach war, den Mann zu feiern, den das seltene Ereignis einer Wiedereinsetzung in seine Ehre und Rechte zum Helden des Tags gemacht hatte?

Am nächsten Tage, dem 16. Oktober, wurden die beiden Hochzeiten mit höchstem Glanz und äußerster Pracht gefeiert.

Als die Glocke der Kapelle zum erstenmale schlug, war dies ein Freudenzeichen für Ohren und Augen. In einem Augenblick antworteten die Kirchen von Belem dem Türmchen der Jangada. Die Schiffe im Hafen schmückten sich bis zu den Mastspitzen mit Wimpeln, und die Flagge Brasiliens wurde salutiert von den Nationalflaggen der anderen Länder. Musketenschüsse knallten allerorten, und nur mit Mühe konnte dieses Geknatter unter dem lauten Hurrageschrei, das von Tausenden ausgestoßen die Luft erfüllte, zur Geltung gelangen.

Die Familie Dacosta trat setzt aus dem Hause und schritt durch die Menge nach der kleinen Kapelle.

Joam Dacosta wurde mit frenetischen Beifallskundgebungen empfangen. Am Arme führte er Madame Valdez. Yaqnita wurde vom Gouverneur von Belem geführt, der in Begleitung der Kameraden des jungen Militärarztes durch seine Anwesenheit die Hochzeitsfeier hatte ehren wollen.

Manuel ging neben Minha, die in ihrer schmucken Brauttoilette ein liebreizendes Bild bot. Dann kam Fragoso, die strahlende Lina an der Hand; endlich folgten Benito, die alte Cybele, die Diener der ehrenwerten Familie, durch das von dem Schiffspersonal der Jangada gebildete Spalier schreitend.

Padre Passanha erwartete am Eingang der Kapelle beide Brautpaare. Die Feierlichkeit ging schlicht von statten, und dieselben Hände, die einstmals Joam und Yaquita gesegnet hatten, streckten sich aus, um diesmal ihren Kindern den ehelichen Segen zu geben.

Ein so großes Glück durfte durch den Kummer langer Trennung nicht gestört werden.

Manuel Valdez wollte bald den Abschied einreichen, um bei der Familie in Iquitos zu bleiben, wo er seinen Beruf als Zivilarzt nützlich ausüben konnte.

Natürlich konnte das Paar Fragoso nicht zögern, denen zu folgen, die ihm mehr Freunde als Herren waren.

Madame Valdez hatte diese ganze ehrsame kleine Welt nicht trennen mögen, aber eine Bedingung hatte sie gestellt, daß man sie recht oft in Belem besuchen solle.

Nichts würde ja leichter sein als das. War denn der große Strom nicht gleichsam ein Verbindungsglied zwischen Belem und Iquitos, das nie wieder zerrissen werden sollte? Binnen wenigen Tagen sollte nämlich das erste Dampfschiff einen regelmäßigen schnellen Dienst antreten und zur Fahrt auf dem Amazonas bloß sieben Tage brauchen bis dorthin, wohin die Jangada nur in ebenso viel Monaten hatte gelangen können.

Unter Benitos geschickter Leitung wickelte sich das bedeutende Handelsgeschäft unter den besten Bedingungen ab, und bald war von dem, was einst Jangada gewesen war, nämlich von jenem Holzfloß, das aus einem ganzen Walde von Iquitos gebaut worden war, keine Spur mehr vorhanden.

Vier Wochen darauf fuhren der Fazendero, seine Frau, sein Sohn, Manuel und Minha Valdez, Lina und Fragoso auf einem der neuen Amazonasdampfer nach der großen Ansiedlung von Iquitos zurück, deren Verwaltung Benito übertragen werden sollte.

Gehobenen Hauptes kehrte Joam Dacosta diesmal dorthin zurück, und eine Familie von glücklichen Menschen war es, die er über die brasilianische Grenze zurückgeleitete.

Zwanzigmal am Tage hörte man Fragoso rufen:

»Ja! ja! Wenn die Liane nicht gewesen wäre!«

Das Ende vom Liede war, daß er der Lina den hübschen Namen selber gab, welche ihn durch ihre Zärtlichkeit und Liebe gegen den wackern Burschen zur Wahrheit machte.

»Lina und Liane,« sagte er, »ist das nicht bis auf einen Buchstaben einunddasselbe?«

 

Ende.

 


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