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Achtes Kapitel.
Die Jangada

Die halbe Quadratmeile Wald war abgeschlagen. Nun erwuchs für die Zimmerleute die Aufgabe, in Form eines Floßes die mehrere hundert Jahre alten Bäume am Strande zusammenzutragen.

Leichte Arbeit in der Tat! Unter Joam Garrals Leitung entfalteten die in der Fazenda bediensteten Indianer eine unvergleichliche Geschicklichkeit. Wenn es sich um ein Gebäude oder ein Wasserfahrzeug handelt, sind diese Eingebornen unstreitig wunderbare Arbeiter. Sie haben nur Beil und Säge und bearbeiten Holz, das so hart ist, daß die Schneide ihres Werkzeugs schartig wird, und ob sie nun Bäume vierkantig machen, Balken aus riesigen Stämmen schneiden, Planken oder Bohlen ohne Hilfe mechanischen Sägen herstellen sollen, alles wird unter ihrer behenden, geduldigen und mit wunderbarer natürlicher Geschicklichkeit begabten Hand leicht fertig.

Die Baumstämme waren zunächst nicht in das Bett des Amazonenstromes gebracht worden. Joam Garral hatte die Gepflogenheit, anders zu verfahren. So wurde denn diese ganze Masse von Stämmen auf einem groben flachen Strande, den er am Zusammenfluß des Nanay und des Stromes noch hatte abtragen lassen, symmetrisch zurecht gelegt. Dort sollte nun die Jangada gebaut werden, dort sollte der Amazonas sie flott machen, wenn der Zeitpunkt gekommen war.

Hier ist ein erklärendes Wort am Platze über die Beschaffenheit dieses riesigen Wasserlaufes, der unter allen einzig dasteht, und über eine eigentümliche Naturerscheinung, von der die Anwohner sich durch den Augenschein haben überzeugen können.

Die beiden Flüsse, die vielleicht länger sind, als die brasilianische Hauptarterie, der Nil und der Missouri-Mississippi, fließen, der eine von Süden nach Norden im afrikanischen Kontinent, der andere von Norden nach Süden durch Nordamerika. Sie durchschneiden also Gebiete, die unter verschiedenen Breitengraden liegen, und sind infolgedessen sehr verschiedenen Klimaten unterworfen.

Der Amazonenstrom dagegen hält sich in seinem ganzen Laufe, zum wenigsten von dem Punkt ab, wo er an der Grenze von Ecuador und Peru sich nach Osten wendet, zwischen dem vierten und zweiten Grad südlicher Breite. Daher ist dieses riesige Becken in seinem ganzen Verlauf unter dem Einfluß der gleichen klimatischen Bedingungen.

Es gibt daher zwei verschiedene Jahreszeiten mit um sechs Monate auseinanderliegenden Regenperioden. Im Norden Brasiliens fällt die Regenzeit in den September, im Süden dagegen in den März. Daher erfolgt das Steigen der Zuflüsse von rechts um ein halbes Jahr früher als das Steigen der Zuflüsse von links. Hieraus ergibt sich, daß das Niveau des Amazonas sein Steigungsmaximum im Juni erreicht und dann bis zum Oktober langsam fällt.

Joam Garral wußte das aus Erfahrung, und diese Naturerscheinung wollte er dazu benutzen, die Jangada flott zu machen, nachdem sie am Flußufer bequem gebaut worden war. Der Amazonenstrom kann nämlich im Maximum um 40 Fuß über das mittlere Niveau steigen und im Minimum 30 Fuß unter dasselbe fallen. Dieser Umstand machte dem Fazendero die Arbeit leicht.

Unverzüglich wurde der Bau beendet. Die Stämme wurden ihrer Dicke nach niedergelegt, um nicht zu reden vom Grade ihrer Schwimmbarkeit, mit dem auch gerechnet werden mußte. Unter diesen schweren und harten Hölzern waren welche, deren spezifisches Gewicht dem des Wassers fast gleich ist.

Diese erste Lage sollte nicht aus aneinandergefügten Stämmen bestehen. Ein kleiner Zwischenraum war zwischen ihnen gelassen, und sie waren durch Querbalken verbunden worden, die die Festigkeit des Ganzen erhöhten. Taue aus »Piazaba« hielten sie zusammen mit der Haltbarkeit von Hanftauen. Dieses Material, aus den Zweigen einer an den Ufern des Stromes sehr häufigen Palmenart wird dort zu Lande allgemein verwendet. »Piazaba« schwimmt, ist wasserdicht und sehr leicht herzustellen. Es ist daher ein wertvoller Artikel, der bereits in den Handel mit der alten Welt Eingang gefunden hat.

Auf diese doppelte Reihe von Stämmen und Balken kamen die Bohlen und Planken, die den Boden der Jangada bilden und 30 Fuß über der Wasserlinie liegen sollten. Diese machten eine stattliche Zahl aus, was man ohne Mühe begreifen wird, wenn man berechnet, daß dieser Schleppzug von Holz 1000 Fuß lang und 60 Fuß breit war, was einen Umfang von 60 000 Quadratfuß ergibt. Es war in der Tat ein vollständiger Wald, der auf diese Weise auf den Amazonenstrom gebracht wurde.

Die Bauarbeiten wurden völlig unter Joam Garrals Leitung vollendet. Als nach der Fertigstellung die Frage der Einrichtung auf die Tagesordnung gesetzt wurde, wurden alle zu Rate gezogen, selbst der wackere Fragoso.

Mit ein paar Worten ist über dessen neue Lebenslage in der Fazenda Bericht erstattet.

Seit dem Tage, wo er von der gastfreundlichen Familie aufgenommen worden war, fühlte sich der Barbier im siebenten Himmel. Joam Garral hatte ihm das Anerbieten gemacht, ihn nach Para zu bringen, wohin er unterwegs gewesen war, als diese Schlingpflanze, wie er sagte, »ihn am Halse gepackt und festgehalten habe«. Fragoso hatte angenommen und sich von ganzem Herzen bedankt, und seitdem suchte er sich aus Dankbarkeit auf tausenderlei Weise nützlich zu machen. Er war übrigens ein sehr intelligenter Bursche, ein Tausendkünstler, der zu allem geschickt war und alles gut machte. Ebenso lustig wie Lina, sang er in einem fort, machte einen Jux nach dem andern und war bald bei allen beliebt.

Aber der jungen Mulattin glaubte er am meisten zu Danke verpflichtet zu sein.

»Eine famose Idee haben Sie gehabt, Fräulein Lina,« sagte er immer wieder, »sich von einer Schlingpflanze führen zu lassen. Das ist ein hübscher Zeitvertreib, wenn man auch gewiß nicht immer einen armen Teufel von einem Barbier am Ende findet.«

»So spielt der Zufall, Signor Fragoso,« antwortete Lina lachend, »und Sie sind mir nicht im geringsten Dank dafür schuldig.«

»Wieso nicht? Ich schulde Ihnen doch das Leben, und ich wünschte, es möchte noch hundert Jahre währen, damit ich Ihnen noch länger Dank abstatten kann. Sehen Sie, es war mir nicht beschieden, mich zu erhängen, aber wenn ich es versucht habe, geschah es aus Zwang. Ich hatte alles wohl bedacht und zog diesen Tod vor, als Hungers zu sterben oder gar, ehe ich ganz tot wäre, den wilden Tieren zur Mahlzeit zu dienen! So ist denn diese Liane ein Band zwischen uns beiden – und Sie können sagen –«

So bewegte die Unterhaltung sich gewöhnlich auf dem Boden der Freundlichkeit. Im Grunde seines Herzens war Fragoso der jungen Mulattin innig dankbar dafür, daß sie die Anregung zu seiner Rettung gegeben hatte, und Lina war nicht unempfänglich für die Dankesbezeigungen des jungen Burschen, der so offenherzig, freimütig und hübsch war, ganz wie sie selber. Ihr freundschaftliches Verhältnis gab natürlich dem jungen Herrn, der alten Cybele und allen andern wohl auch Anlaß zu Scherzen.

Um zur Jangada zurückzukehren, so war nach erfolgter Besprechung der Beschluß gefaßt worden, sie so vollkommen und bequem einzurichten, wie nur möglich, da die Reise mehrere Monate dauern sollte. Die Familie Garral bestand aus den Eltern, der Tochter, Benito und Manuel, und ihre Dienerinnen, Cybele und Lina, mußten eine Wohnung für sich haben. Zu dieser kleinen Welt kamen noch 40 Indianer, 40 Neger, Fragoso und der Lotse, der die Führung der Jangada übernehmen sollte.

Ein so zahlreiches Personal war für den Dienst an Bord gerade ausreichend: denn es handelte sich darum, durch alle Windungen des Stromes und zwischen Hunderten von Inseln und Inselchen hinzusteuern. Wenn der Strom auch die treibende Kraft gab, so doch nicht die erforderliche Richtung. Daher waren die 160 Arme erforderlich, die mittels langer Stangen den riesigen Holzschleppzug in gleicher Entfernung von beiden Ufern halten sollten.

Zuerst ging man daran, auf dem nach hinten gelegenen Teile der Jangada das Herrenhaus herzurichten. Es wurde auf fünf Zimmer und eine große Eßstube eingerichtet.

Eins dieser Zimmer sollte für Joam Garral und seine Frau, ein anderes, in der Nähe ihrer Herrinnen, für Lina und Cybele, ein drittes für Benito und Manuel bestimmt sein. Minha sollte ein Zimmer für sich haben, das natürlich aufs behaglichste hergerichtet werden sollte.

Dieses Herrschaftshäuschen wurde aus ziegelartig übereinander gelegten Planken gebaut, die mit heißem Harz übergossen und so wasserdicht und vollständig haltbar gemacht worden waren. Fenster von der Seite und Fenster von vorn gaben ihm helles Licht. Vorn befand sich die Eingangstür, die in den gemeinsamen Vorraum führte. Eine leichte Veranda, die den Vorderteil gegen die direkte Einwirkung der Sonnenstrahlen schützte, ruhte auf schlanken Bambusstäben. Das Ganze war mit frischer Ockerfarbe gestrichen, welche die Hitze zurückwarf, anstatt sie einzusaugen, und so dem Innern eine mittlere Temperatur sicherte.

Aber als »der Riß«, wie man so sagt, nach den Plänen Joam Garrals angefertigt war, mischte Minha sich ein.

»Vater,« sagte sie, »jetzt, wo wir, dank deiner Arbeit, unter Dach und Fach sind, erlaubst du uns wohl, daß wir diese Wohnstätte nach unserm Geschmacke einrichten. Das Aeußere ist deine Sache, das Innere unsere. Mutter und ich wollen, daß es ganz so sei, als wenn wir die Reise in unserm Farmhause machten, so daß du glauben kannst, du hättest Iquitos gar nicht verlassen.«

»Handle nach deinem Belieben, Minha,« antwortete Joam Garral mit dem so oft an ihm bemerkbaren trübseligen Lächeln.

»Es wird reizend!«

»Ich verlasse mich auf deinen guten Geschmack, meine liebe Tochter!«

»Wir werden Ehre damit einlegen, Vater,« antwortete Minha. »Wir sind es diesem schönen Lande schuldig, durch das wir reisen werden, diesem unsern Vaterlande, wohin du nach langen Jahren der Abwesenheit zurückkehrst!«

»Ja, Minha, ja!« erwiderte Joam Garral. »Es ist fast so, als kehrten wir aus dem Exil zurück – einem freiwilligen Exil. Tue dein Bestes, mein Kind! Ich billige von vornherein alles, was du anordnest!«

Dem Mädchen und der jungen Mulattin, denen freiwillig Manuel und Fragoso beistanden, fiel die Aufgabe zu, das Haus innen zu schmücken. Mit etwas Phantasie und künstlerischem Sinn gelang es ihnen aufs trefflichste.

Innen wurden natürlich zunächst die hübschesten Möbel der Fazenda aufgestellt. Nach der Ankunft in Para sollten sie mit irgend einer Egaritea auf dem Amazonenstrom zurückgeschickt werden. Tische, Bambusstühle, Rohrsofas, Etageren aus geschnitztem Holz, kurz alles, was zum lachenden Mobiliar eines Tropenhauses gehört, fand seinen geschmackvollen Platz in dem schwimmenden Hause. Man merkte wohl, daß diese Tätigkeit der beiden jungen Männer von Frauenhänden geleitet wurde. Die Planken der Wände blieben keineswegs kahl. Sie verschwanden unter allerliebsten Behängen, sogenannten Tuturis, die aus kostbaren Baumrinden gefertigt werden. Sie werfen schwere Falten ganz wie Brokat und Damast, die feinsten und reichsten Stoffe moderner Ausstattung. Auf dem Boden der Stuben boten merkwürdig getigerte Jaguarfelle und dichte Affenpelze dem Fuße weichen Teppich. Leichte Vorhänge aus rötlicher Seide, die man aus dem »suma-uma« gewinnt, hingen an den Fenstern. Die von Moskitonetzen umgebenen Betten und die Kissen, Matratzen und Polster waren mit der frischen und elastischen Substanz gefüllt, die der Bombax im obern Becken des Amazonas liefert.

Ueberall auf den Etageren und Konsolen standen die reizenden Nippessachen, die aus Rio de Janeiro oder Belem stammten – der jungen Dame um so kostbarer, als sie von Manuel waren. Was gab es Hübscheres als diese Sächelchen, Geschenke einer lieben Hand, die, wortlos, doch redeten.

In einigen Tagen war das Innere hergerichtet, und man konnte wirtlich glauben, man befände sich im Hause der Fazenda selber. Man hätte sich kein anderes zum ständigen Wohnsitz wünschen können, so schön lag es unter den Bäumen am Rande des rauschenden Wassers. Wenn es zwischen den Ufern des Stromes hinglitt, war es wohl dazu angetan, selbst den malerischen Landschaften, die zu seinen Seiten sich entfalten würden, noch zur Zierde zu gereichen.

Es muß hinzugefügt werden, daß das Haus von nutzen einen ebenso reizenden Anblick bot. Auch hier hatten die jungen Leute einander an Geschmack und Phantasie überboten.

Vom Fuß bis zu den letzten Arabesken des Daches war das Haus unter Blättern verborgen: einem Dickicht von Orchideen, Bromelien, Kletterpflanzen, die alle blühten, und ihre Nahrung aus Kisten voll guter Pflanzenerde nahmen – welche wiederum im Grünen versteckt waren. Zwischen all diesen Pflanzen wand sich eine riesige Liane hin. Sie lief mehrmals um das Haus herum, heftete sich an alle Ecken, wand sich um alle Vorsprünge, teilte sich und warf ihre phantastischen Büschel hierhin und dorthin. Kurz, von dem Hause war nichts mehr zu sehen – es schien unter einem riesigen Blumenstrauße zu verschwinden.

Eine zarte Aufmerksamkeit, deren Urheber leicht zu erkennen ist, war es, das; das Ende dieses Cipo sich ans Fenster der jungen Mulattin klammerte. Man hätte sagen können, ein langer Arm reiche ihr einen Strauß allzeit frischer Blumen durch die Jalousie.

Alles war reizend, und Yaquita, ihre Tochter und Lina waren selbstverständlich sehr zufrieden.

»Wenn Ihr wollt,« sagte Benito, »pflanzen wir auch noch Bäume auf die Jangada.«

»Oh ja, Bäume!« rief Minha.

»Warum nicht?« sagte Manuel. »Wenn man sie mit guter Erde auf diese feste Plattform verpflanzt, so bin ich überzeugt, das; sie gedeihen werden, um so besser, als ein Wechsel des Klimas nicht für sie zu befürchten ist, da der Amazonenstrom unabänderlich unter dem gleichen Breitengrade verläuft.«

»Und treibt übrigens nicht der Strom,« setzte Benito hinzu, »täglich grüne Inselchen hinweg, die er vom Strande der Inseln oder vom eigenen Ufer losspült? Schwimmen sie nicht auf ihm hin mit ihren Bäumen, Büschen, Sträuchern, Felsen und Wiesen, um 800 Meilen von hier sich im Atlantischen Ozean zu verlieren? Warum sollte sich unsre Jangada nicht in einen schwimmenden Garten verwandeln lassen?«

»Wünschen Sie einen Wald, Fräulein Lina?« fragte Fragoso, der alles für möglich hielt.

»Ja, einen Wald!« rief die junge Mulattin, »einen Wald mit seinen Vögeln, seinen Affen –"

»Seinen Schlangen, seinen Jaguaren?« setzte Benito hinzu.

»Seinen Indianern, seinen Nomadenstämmen!« ergänzte Manuel.

»Und selbst Menschenfressern!«

»Aber wo wollen Sie hin, Fragoso?« rief Minha, als sie den flinken Barbier den Strand hinauflaufen sah.

»Den Wald holen!« antwortete Fragoso.

»Nicht nötig, mein Freund,« antwortete Minha lächelnd. »Manuel hat mir einen Strauß beschert, und ich bin zufrieden. Es ist wahr,« setzte sie hinzu, auf das unter Blumen verborgene Haus deutend, »er hat das Häuschen ganz in einem Verlobungsbouguet verschwinden lassen.«


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