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InitialEs ist so mit allen Feigen und Kraftlosen, die das gesunde Leben spöttisch verlachen und von einem gepolsterten Stuhle aus ihren Gedanken nachjagen: wofern Gott ihnen wohlwill, kommt eine Stunde, sie greifen sich ans Herz, sie springen aus ihrem gepolsterten Stuhle, sie spüren einen abscheulichen Brand in sich, – und setzen sich nimmer nieder. Ha, wenn Lorelock, der bei der Erzählung des Johannes zuerst rot und dann bleich wurde, – wenn Lorelock gewußt hätte, daß Heinz Heide noch in derselben Nacht einen Liebesbrief an Gioia schrieb! Es war ein Brief, darin die Worte wie die Saiten einer welschen Mandoline zitterten vor Sehnsucht. Die Worte klangen wie der Sang eines Troubadours, der vor der verschlossenen Kammer seiner Braut steht, über einem Abgrunde, in der Nacht vor der Hochzeit. Die Worte waren mit dichtendem Blut geschrieben, aber das schien nur. Sie waren geschrieben mit jener Heldenkraft, die ein zerschossener Soldat noch aufbringt, um vor dem Feinde nicht zu schreien.

Dieser Brief war ein Stück des kalten Planes, den Heinz Heide sich in der Nacht abgerungen hatte. Als er morgens vom Hause fortging, trug er den Brief in der Hand. Er wog ihn, er pfiff ein bißchen; mit zusammengebissenen Zähnen. Aber als ihn der Briefbote in die schwarze Tasche steckte, lächelt er. Er berechnete: morgen ist er in Malaripa. Die Dame wird zum Verwalter sagen, – denn der Verwalter ist dort! – »Girolamo!« wird sie sagen, »Ihr könnt ruhig zu Weib und Kind zurück! Der Herr ist blind!«. Und daraufhin kommt der Verwalter!

Er lächelte, als er durch den kühlen Wald gegen Tannenfreygg schritt. Er fühlte Draht in der Hand, er zog daran. Es geschah nun, wie er es wollte!

Der Wald war dunkel und kalt, fast unfreundlich war er. Erst auf der Wiese zwischen dem Walde und Tannenfreygg war die Sonne. Morgendlich lag sie über den späten Ranunkeln und Löwenzähnen, ein einziger weißer Falter, ein Greis im Herbste, schaukelte darüber.

»Guten Morgen!« sagte Heinz Heide, als er an der Scheune des Haller vorbeikam. Ein Knecht mit einem Ochsengespann stand vor der Scheune, er lud Kartoffeln in einen grobrutenen Korb. Wie die Kartoffeln geraten seien?

Der Knecht erstickte in seiner roten Verlegenheit; er murmelte etwas Unverständliches und ließ den Herrn vorüberschreiten. Der Herr ging geradewegs auf das Doktorhäuschen zu und riß an der Klingel.

Ein Kopf reckte sich aus dem Fenster. Was man wolle? – »Ob der Doktor zu Hause?« – Der Kopf verschwand, man hörte Lorelocks Kinder lachen, ein Schwall von Leben kam aus dem Hause. Lorelock aber stand plötzlich an der Tür, er hatte kaum Platz darin. Er machte ein unhöfliches Gesicht und drängte Heinz Heide die Staffel hinab in den Rasen.

Heinz Heide sagte, er sei gekommen, um sich zu bedanken. Es sei sehr liebenswürdig vom Doktor gewesen, sich so um das Kind zu kümmern; er danke vielmals. – Dabei zog er ein etwas verknittertes Kuvert aus der Tasche und reichte es mit bescheidenem Handgriff Lorelock zu. Der aber machte eine infame Drehung; – wie das Kind in die Stadt gekommen sei? Es wäre geradezu, ein Verbrechen gewesen, es da heraus zu bringen.

»Ich habe genug gehabt,« blickte er frech Heinz Heide an, »als ich das Kind einmal im Walde traf.« Er sei durch den Wald gegangen, da stand plötzlich das Kind. »Es fror, ich sah es ihm an, obwohl es auch im Schatten außerordentlich heiß war.« So ein Kind gehöre in den Süden!

»Freilich, freilich,« stimmte Heinz Heide zu. Aber sein Bruder habe gemeint, – »mein Bruder,« sagte er, er sagte es mit dem lauernden Blick: nun müßt Ihr Farbe bekennen! – »mein Bruder schwört auf die Luft von Buchenfreygg!«

Lorelock wurde ein Erzguß, er schnappte nach Lust. »Also – ist das Kind richtig das Kind des Herrn Bruders?«

Ja, habe der Doktor das nicht gewußt? tat Heinz Heide außer sich vor Erstaunen. Das täte ihm leid, »ich setzte das wahrhaftig voraus,« er dachte, das sei wohl bekannt.

»Jawohl! Ja, natürlich! Natürlich bekannt!« stotterte Lorelock. Aber Herr Heide habe ihm nie eine Andeutung gemacht!

Da wurde Heinz Heide verlegen. Jedoch riß er sich aus der Beklemmung, er nahm Lorelock beim Arme, sie gingen wieder dem Hause zu. – Da habe er gestern im Heraufgehen den Johannes getroffen. »Er richtete den Weg her, wie ich hörte, auf Ihren Befehl. Er sagte, Sie seien Konkurrenzobmann, – er stand da wie ein Posten von der Frühe bis auf den Abend –« es sei außerordentlich freundlich gewesen vom Doktor, den Mann da hinabzustellen.

»Ich habe –« stotterte Lorelock dunkelrot.

»Und die Anhänglichkeit dieses Menschen hat mich gerührt, muß ich sagen.« Er dachte daher, es sei nicht falsch angebracht, dem alten Manne – »hier« zeigte er ein zweites Kuvert; aber da der Doktor Geld ungerne nehme, – er lachte, beugte sich nieder und legte die zwei Kuverte auf die Staffel hin. – Und nun, zog er den Hut, verehrter Herr Doktor, nun müsse er zum Pfarrer.

Tobias Weiße, der eben sein Brevier betete, erschrak, er klopfte sich den Schnupftabak vom grünen Talar und machte ein schmerzliches Gesicht. Dann schob er den Besuch in das Gastzimmer, drückte ihn auf einen Sessel nieder und ließ Wein bringen. Das war seine Gepflogenheit, jeder, der kam, mußte seinen Wein kosten.

Sie sprachen zuerst vom Wetter, mühselig. Heinz Heide meinte, es sei ein selten schöner Sommer gewesen. Übrigens, der Pfarrer möge entschuldigen, – aber, nicht wahr, wenn man Besuch hat, noch dazu eine Dame und ein Kind, da habe man keine Zeit zu Visiten. Und wenn es auch die nächsten Verwandten sind, – man müsse dennoch Rücksicht nehmen! – Aber, der Herr Pfarrer sehe vorzüglich aus, »Herr Pfarrer, wieviel zählen wir denn?«

Tobias Weiße kam aus verschiedenen Gründen nicht gleich zur Antwort. Er drehte die Daumen im Schoße und saß mit offenem Munde da. Schließlich versicherte er, es schlage bald siebzig, – aber er habe genug von der Welt, auf alle Fälle. So wie die Welt heute sei, käme es einem erfahrenen Manne nicht schwer an, sie zu verlassen!

»Was nicht gar, Herr Pfarrer!« lachte Heinz Heide. Er gäbe zu, besser sei die Welt vielleicht nicht geworden, – darauf könne man seines Erachtens überhaupt lange warten. Aber schlechter auch nicht. – Ja, vielleicht vom Standpunkte eines katholischen Pfarrers betrachtet, – das gebe er zu. Aber, – so sehr er diesen Standpunkt anerkenne, – man müsse anderseits daran denken, wie viel Schönes und Gutes in den letzten Jahren entstanden sei. Die Erfindungen, die Künste, die Erziehung des Menschen nach seiner Individualität, die Ausrottung unfreiheitlicher Dogmen und Zwänge, die Naturwissenschaften. –

»Und die Sünde?« fiel ihm Tobias Weiße schmerzlich ins Wort.

»Die Sünde?« lächelte Heinz Heide. Ja, wann sei die nicht in der Welt gewesen? Der Herr Pfarrer möge nur zurückdenken, die ganze Weltgeschichte sei voll davon! – Er sei in der Welt herumgewesen, da gäbe es Mord und Unzucht und Gotteslästerung und Unglauben genug, – es sei geradezu zum Staunen, wie wenige Menschen noch an etwas glauben. Alle anderen Gedanken haben die Menschen, insonderheit das Vergnügen, – nur an Gott denken sie nicht. Und was kämen da Ehebrüche vor, ja sogar Blutschande, ganz gemeine Fälle von Blutschande kommen vor, – und Betrüge! »Heutzutage muß man sich in der Welt durch die Sünde in allen Gestalten durchfressen, an jedweder Schlechtigkeit muß man vorübergehen, bis man endlich merkt, alle diese Schlechtigkeit gehört zur menschlichen Natur.« Und darin, – gerade darin, daß nun schon die meisten das einsehen und hinnehmen, darin liege der Fortschritt der neueren Zeit. »Ich bitte –, wenn früher einer vom Glauben abfiel und, sagen wir, ein ausschweifendes Leben begann, – war da nicht gleich jeder Nächste daran, ihm zuzusetzen? Hölle und Konfiskation und Exkommunikation fielen über ihn, jeder Faßbinder hatte das Recht und die Pflicht, ihm reumütige Bekehrung zu empfehlen, und Ehre und Reputation gingen ohne weiteres in die Binsen. Da gab es tausend arme Sünder, sie standen am Pranger, jeder Edelmütige bespuckte sie, – bis es ihnen endlich zu dumm wurde und sie sich bekehrten.«

»Und wo gibt es heute noch –« lachte Heinz Heide, »solche arme Sünder?« – In richtiger Erkenntnis dessen, daß die Sünde zur Welt gehört wie zur Forelle die Butter, – kümmert sich keiner mehr um das gefallene Schaf, und so kommt es: der Sünder läuft frisch, fromm, frei in der Welt herum, – »jeder weiß eben am besten, was ihm frommt.« –

Tobias Weiße erstarrte bei diesen Schlußworten zu fassungsloser Bestürzung. Eine grüne Saat war in ihm vernichtet worden, er wollte sich wehren gegen das frevlerische Wort, seine bewährtesten Kanzelsätze wollte er dagegen vorbringen, – aber während er danach suchte, hatte Heinz Heide sich schon mit gewandter Verbeugung empfohlen. Er müsse ins Schulhaus! –

Pius Vesper sprang von der Bank, auf der er neben Fräulein Judith saß, wie gestochen empor. Sein rotes Haar flog wie ein losbrechender Sturm, seine Augen bekamen das gefährliche Feuer von Sternen im Sciroccohimmel. Feindselig stand er dem Eintretenden entgegen.

Aber Heinz Heide sah das gar nicht. Er sehe, er störe; »aber,« küßte er zunächst Fräulein Judith die Hand, »lange halte ich nicht auf.« – Was das für zwei herzige Kinder seien! Denn zwischen Fräulein Judith und Pius Vesper saßen zwei blondzopfige Mädchen, – »grüß Gott, kleine Mädchen!«

Fräulein Judith wollte gehen. »Aber um Gotteswillen, –« sie möge doch bleiben! Es dauere eine Minute, und dann würde er sie ein Stückchen begleiten, – wenn sie erlaube. »Lieber Herr Lehrer,« wandte er sich nun an den bocksteifen Staatsanwalt und goß seine präparierte Liebenswürdigkeit über ihn, – endlich, endlich komme er dazu, ihm für den lieben Besuch zu danken! »Wie lange schon,« schüttelte er dem Widerstrebenden die Hand, wollte er da herüber, aber, – die Herrschaften wüßten wohl, »mein Nichtchen wurde krank, und meine Schwägerin – es ist begreiflich, sie war in unbeschreiblicher Angst, – kurz und gut, »ich bitte um Entschuldigung.«

Er setzte sich nun in eine Bank, er betrachtete schonungslos, wie Fräulein Judith das Gesicht gesenkt hielt und Pius Vesper wie ein Kugelmaulwurf auf der Kirchweihwiese dastand; heiter blickte er drein, – »nun, und wie geht es mit der Schule, Herr Lehrer?« Wieviel Schüler seien denn da? Hm?

»Dreiundachtzig!« kam Pius Vesper zu sich, aber er sagte es wie: apage, satanas!

»Dreiundachtzig?!« – Wie sich die Menschen vermehren! Sie sterben selbst in Freygg nicht aus; ein Zeichen, es geht ihnen gut! »Ja, und –« wehrte er dem geiferigen Blicke Pius Vespers, der wie ein lauernder Tiger vor ihm wartete, »das gibt wohl viel Arbeit! Wenn man bedenkt, die alle wollen unterrichtet sein, Lesen, Schreiben, –«

»In diesem Zimmer!« brach nun der Lehrer los.

Ach was, blickte Heinz Heide im Zimmer umher, man lasse ihn in Ruhe! Er liebe das Alte, dieses Zimmer heimele ihn an. Da bauen sie in den Städten jetzt Schulpaläste, die Kinder müssen Salons haben mit Bogenlampen und Glaswänden; Bad, Ventilation, Staubsauger, was weiß ich –?

Pius Vesper hüpfte von der Bank nieder, – ob der Herr etwa die Risse nicht sehe, keuchte er drohend, »die Risse am ganzen Plafond – und hier, diesen Ofen? Ich bitte, diesen Ofen zu untersuchen, und den Boden! Ist etwa in diesem Boden noch eine einzige Diele ganz? –« stampfte er in den Boden. »Und die Fenster!« lief er an die Fenster.

»Da« – »das gebe ich zu, da gebe ich Ihnen recht!« sagte Heinz Heide freundlich. »Daran bin ich schuld, gewiß! Jedes Jahr sechsmal schreibt mir der Verwalter: die Schule muß adaptiert werden! Ein zweites Klassenzimmer! – Gewiß, ich sehe das ein. Aber der Verwalter ist ein Idealist. Jammert er etwa nicht jedesmal, wenn ich ein Streifchen Holz schlagen lasse? Der Wald, der Wald, der Wald! jammert er.«

Er habe ja recht, lächelte er, ein gewissenhafter Verwalter muß jammern. »Und ich bin, – jawohl, das bin ich! – ich bin ein teurer Mann!« Aber, – – – hat es da noch einen Sinn, daß der Verwalter ihm vorschlägt: die Schule muß ausgebessert werden? –

Pius Vesper starrte den teuern Mann in fassungsloser Wut an, knirschend vor Zorn. »Ein paar lumpige hundert Gulden –« sprang er ihm zu. –

»Pst,« lachte Heinz Heide und zeigte ein treubesorgtes Gesicht. Er tue für Tannenfreygg, was er könne! Aber seine Ansicht sei die: nicht auf das Zimmer, nicht auf den Ofen und so weiter kommt es an, – »auf den Lehrer kommt es an! –« Wie, ob Fräulein Judith ihm nicht beipflichte?

Und da müsse nun ganz Freygg gestehen: was den Lehrer anbelangt, – da können unsere Kinder zufrieden sein! »Unser Pius –, jawohl! – – ist ein Exempel! Ein ruhig denkender Mann, dem es bei Ausübung seines Berufes auf ein paar Sprünge in der Decke und ein bißchen Qualm nicht ankommt! – Oder –?« verlachte er heiter Pius Vespers heißgereizte Augen und schoß an die Tür, – oder glaube Fräulein Judith nicht auch, daß, wenn ein anderer Lehrer da wäre, »sagen wir ein Revolutionär oder ein Sozialdemokrat, – daß mich ein solcher schon längst da hinausgeworfen hätte – –?« – –

»Was für prächtige Menschen!« sagte er dann, als er nach drolligem Abschied hinter Fräulein Judith aus dem Schulhause kam, und ließ das Tor einschnappen. Es gäbe selten irgendwo so falschlose, brave Menschen als da heroben, erzählte er, als sie über den Lindenplatz schritten, er glaube, das mache die völlige Abgeschlossenheit. Jemehr man mit Menschen zu tun habe, um so besser lerne man es, sich zu verstellen. »Und von diesen Leuten da, –« aber, wie unartig! denn er bemerkte, Fräulein Judith gab auf seine Rede nicht acht, – »wie geht es Frau Thore?«

Siehe da, nun begann Fräulein Judith, während sie mit ihren kleinen Schrittchen neben dem Manne ging, ganz flüssig zu reden. Es gehe gut, – aber Herr Heide wisse doch, wie es mit Lukas kam? – Daß die Mutter auch das noch treffen mußte! Er war ihr Liebling, der Lukas. Wenn jemand wider ihn etwas sagte, mein Gott, wie verteidigte sie ihn! Und wie traute sie ihm! Ja, pflegte sie zu sagen, leichtsinnig ist er, ein bißchen, aber schlecht ist er nicht!

»Und ist es nicht immer so,« seufzte sie, »in derlei Fällen? Wenn man auf einen Betrug selbst kommt, mit eigenen Augen oder mit eigener Hand tappt man plötzlich darauf, – ja, es ist immer schwer genug, in seinem Herzen betrogen zu werden! Aber, wenn da ein Fremder daherkommt, jemand, der einem ohnehin nicht wohl will, und er setzt sich zu Mutter an den Tisch und sagt: der Lukas hat sich erschossen –«

»Jawohl,« brauste Heinz Heide auf, »so sind die Bestien! So sind sie!«

»Es hat doch jeder einen gewissen Stolz! Und demütigt ein Unglück nicht schon genug?«

»Jawohl, jawohl!«

»Aber,« – ging Fräulein Judith nun etwas langsamer und sprach leise, – »da sollte Herr Heide gesehen haben, wie Mutter das trug!« Dürfe man es jemand übelnehmen, wenn er nach solchem Schlag sich ein Jahr lang einsperrt und Gott lästert? Aus Schmerz und aus Scham? Oder, wenn er keinen Menschen mehr sehen will und sagt, er hasse einen jeden, er glaube keinem mehr und die Welt bedeute ihm nichts mehr? – »Gewiß nicht, es ist begreiflich! Aber die Mutter ging zum Begräbnis, – denken Sie, es ging kein Geistlicher mit! Sie dankte den Leuten für ihre Teilnahme, sie ging mit einem ruhigen Gesicht zu den Leuten: Gottes Wille sei es gewesen!«

»Gottes –«

»Gottes Wille! Denken Sie! daß Lukas sich erschoß und ihr das Herz brach, sei Gottes Wille gewesen!«

»Und man dürfe niemand verdammen, sagte sie, denn niemand hat die Brust offen zum Hineinschauen. Aber wohl müsse man in solchem Unglück nach der eigenen Schuld suchen, – man dürfe niemals blind sein im Leben, sagte sie, – ist das nicht, Herr Heide –?«

»Bewundernswert! Fürwahr, Fräulein Judith, das ist bewundernswert!« Er blieb stehen. Er müsse staunen: solche Seelengröße! – Er habe einmal einen evangelischen Pastor von der Schickung in Gottes Willen reden hören, – »aber dieses da –, bewundernswert!« Er müsse diese Frau einmal von Angesicht zu Angesicht wiedersehen, – »denn das ist fürwahr –!«

»Aber,« knickte er plötzlich zusammen, er müsse sich empfehlen. »Besten Dank, Fräulein Judith!« Er müsse eilig nach Hause.

Er zog sehr höflich den Hut und winkte ihr ein Stück Wegs noch nach. »Besten Dank, besten Dank!«

Dann trat er in den Wald zurück und begann rasch zu gehen. So wie einer geht, der sich für ein paar Tage in Gang setzen will. Und er pfiff vor sich hin, immerzu, so wie einer pfeift, der sich Mut machen will; es steht ein schrecklicher Tag bevor, er will ihn besiegen! Und noch dazu hieb er mit dem Stock in die Luft, eins, zwei, drei, – immerzu.


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