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38.
Der Galgen auf dem Uehrderberg.

(Bei Osterode.)

Der gute fromme Herr Pfarrer sah mit traurigem Blick durch die Nacht, hinüber nach dem Ührderberg. Ein nebelfeuchter Südwest trug das widerliche Krächzen der Raben an sein Ohr. Vom Dorfteich kam ein schauriger Unkenruf und durch des Pfarrers Brust zog wieder der heiße, bittre Schmerz, wie damals auf dem Wege, den er mit seinem Pfarrkind Georgine nach dem Galgen dort drüben jüngst gegangen war. Für Georgine war das der letzte Weg, für ihn die letzte ruhige Stunde seines Lebens. Er wußte plötzlich ganz klar, daß man in Osterode die Magd Georgine unschuldig zum Strang verurteilt hatte. Er wußte, daß sich dieses Leben, das sich bescheiden und gut vor seinen Augen entfaltet hatte, nicht in gemeiner Goldgier selbst zerstört haben kann. Er sah die Augen immer wieder vor sich stehen mit dem ruhigen, totwunden Blick, und sie sagten ihm eindringlicher als der unbeholfene Mund es konnte, daß der kostbare Ring im Hause ihres gestrengen Herren auf weiß Gott welchem Wege verloren gegangen sein mag, aber nicht von dieser bisher nur ob Tugend und Fleiß gelobten Magd gestohlen worden ist. Doch bestand der Herr, dem sie gedient hatte, auf seiner Anschuldigung und so mußte nach des Landes Recht der harte Spruch fallen.

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»Zwei Tauben«, sagte die arme Magd auf ihrem letzten Weg, »werden in Euer Haus kommen, Herr Pfarrer, meine Unschuld zu bekunden.« Und an dem Galgen stehend rief sie noch den Henkern und Gaffern zu, daß sie sterbe als Lamm des Herrn.

Des armen Kindes gedachte der Pfarrer und wollte sein Fenster schließen. Da wurde die Nacht plötzlich von vier weißen Fittichen erhellet, daß der Galgen sichtbar stand und die Raben aufflogen mit heiserem Schrei. In die Pfarrstube aber schwebten zwei weiße Tauben herein; die eine trug ein Zweiglein von einer Heckenrose, die andere eine Mauerkrume im Schnabel. Sie legten beides in des Pfarrers Hand und flogen davon. Des anderen Tages ging der Pfarrer hinaus durchs Feld und fand einen Rosenstrauch, daran ein Zweiglein abgeknickt war. Die Wunde blutete leise und wies, vom Wind gebogen, den Weg zur Ruine der Mittingeroder Kirche. Dort lagen im Grase viel Mauerkrumen, von einer Elster heruntergescharrt, die oben ihr Nest hatte. Und wie sie soeben davon flog, fiel ein kostbarer Ring herab; den hob der Pfarrer auf, und eine Träne fiel ins hohe Gras.

Er eilte zur Stadt nach des harten Mannes Haus, dem Georgine gedient hatte in Treuen und Ehren. Als er ankam, flog die Elster mit einem glitzernden Gegenstand im Schnabel gerade aus dem Fenster des Herrn, der mit wildem Fluche der Räuberin nachsah. Der Pfarrer legte ihm schweigend den Ring in die Hand und wies stumm nach dem Galgen auf dem Uhrderberge. Da fiel der starke Mann stracks hin und war mausetot.

Der Galgen aber war andern Tags wie von unsichtbarer Hand in den Erdboden geschmettert und blieb verschwunden bis auf dem heutigen Tag.

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