Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XXI

So also sah es in unserem ehelichen Leben aus, als jener Mensch auf der Bildfläche erschien. Er kam nach Moskau – Truchatschewskij hieß er – und machte mir seinen Besuch. Es war am Vormittag. Ich empfing ihn. Wir hatten uns einstmals geduzt. Er schwankte in der Unterhaltung zwischen dem ›Sie‹ und dem ›Du‹ hin und her und schien dem letzteren den Vorzug zu geben, ich betonte jedoch von vornherein das ›Sie‹, und er gab sogleich nach.

Er mißfiel mir sehr, und zwar auf den ersten Blick. Seltsamerweise jedoch trieb mich eine verhängnisvolle Macht, ihn an mich zu ziehen, statt ihn von mir fernzuhalten. Was wäre schließlich einfacher gewesen, als daß ich nach einer kühlen Unterhaltung mich von ihm verabschiedet hätte, ohne ihn meiner Frau vorzustellen? Statt dessen jedoch kam ich wie absichtlich auf sein Spiel zu sprechen und sagte, man habe mir erzählt, er habe sein Geigenspiel aufgegeben. Er sagte, er spiele im Gegenteil jetzt eifriger denn je, und erinnerte mich daran, daß auch ich früher gespielt hätte. Ich erklärte, daß ich nicht mehr spielte, daß jedoch meine Frau gut spiele. Ganz seltsamerweise gestalteten sich meine Beziehungen zu ihm gleich am ersten Tage, in der ersten Stunde unseres Wiedersehens so, als ob alles auf den Endzweck, der schließlich erzielt wurde, abgesehen gewesen wäre. Es war etwas Gespanntes in unseren Beziehungen: jedes Wort, jeder Ausdruck, der über seine oder meine Lippen kam, schien mir ein besonderes Gewicht zu haben.

Ich stellte ihm meine Frau vor. Sogleich entspann sich eine Unterhaltung über Musik, und er bot sich an, mit ihr zusammen zu spielen. Meine Frau war, wie stets in dieser letzten Zeit, sehr elegant und schick, ja von bestrickendem Reize. Er gefiel ihr anscheinend auf den ersten Blick. Vor allem war sie hocherfreut darüber, einen Geiger zum Zusammenspiel zu haben, was sie sehr gern hatte, so daß sie zu diesem Zweck auch öfters einen Violinisten vom Theater zu engagieren pflegte. Man sah ihr die Freude über die neue Bekanntschaft am Gesichte an, als sie mich jedoch anschaute, begriff sie sogleich mein Gefühl und änderte ihren Gesichtsausdruck. Und nun begann dieses Spiel des gegenseitigen Belügens. Ich lächelte zuvorkommend und tat, als ob mir das alles sehr angenehm wäre. Er sah meine Frau so an, wie alle sittenlosen Männer hübsche Frauen anzusehen pflegen, wobei er sich so anstellte, als ob für ihn nur der Gegenstand der Unterhaltung von Interesse sei, während gerade dieser ihn am wenigsten interessierte. Sie suchte gleichgültig zu erscheinen, aber das ihr wohlbekannte, künstlichlächelnde Mienenspiel meines von Eifersucht erregten Gesichtes und der lüsterne Blick des Gastes machten sie offenbar befangen. Ich sah, daß vom ersten Augenblick an ihre Augen in eigentümlicher Weise erglänzten, und meine Eifersucht bewirkte es wohl, daß zwischen ihm und ihr sozusagen ein elektrischer Strom entstand, der bei beiden den gleichen Ausdruck in Blick und Lächeln hervorrief. Sie errötete, er errötete. Sie lächelte, er lächelte. Wir plauderten von Musik, von Paris, von allen möglichen Bagatellen. Er erhob sich, um zu gehen, stand den Hut am zuckenden Schenkel, lächelnd da und sah bald sie, bald mich an, als wartete er, was wir wohl beginnen würden. Ich habe diesen Moment ganz besonders im Gedächtnis behalten: hätte ich ihn nicht eingeladen, so wäre gar nichts geschehen. Doch ich sah ihn und sie an. ›Glaube nicht etwa, ich sei deinetwegen eifersüchtig,‹ sprach ich in Gedanken zu ihr und fuhr dann, zu ihm gewandt, fort: ›oder ich fürchtete deine Nebenbuhlerschaft‹, und ich lud ihn ein, gelegentlich am Abend seine Geige mitzubringen und mit meiner Frau zu musizieren. Sie sah mich erstaunt an, wurde rot, meinte erschrocken, sie spiele doch nicht gut genug, und weigerte sich, mit ihm zusammen zu spielen. Ihre Weigerung reizte mich noch mehr und ich bestand nun erst recht auf meinem Vorschlage. Ich erinnere mich des seltsamen Gefühls, das mich beschlich, als ich ihn mit seinem hüpfenden Vogelschritt hinausgehen sah und seinen weißen Nacken mit dem in der Mitte gescheitelten schwarzen Haar betrachtete. Ich sagte mir im stillen, daß die Anwesenheit dieses Menschen mir unbedingt peinvoll sei. Es hinge nur von mir ab, dachte ich, es so einzurichten, daß sie ihn niemals zu Gesichte bekäme – aber das hätte dann so ausgesehen, als ob ich Angst vor ihm habe. Nein, ich hatte keine Angst! Das wäre gar zu erniedrigend, redete ich mir ein. Und so lud ich ihn denn im Vorzimmer, wohl wissend, daß meine Frau es hörte, noch auf diesen Abend ein. Er nahm es an, versprach, seine Geige mitzubringen, und empfahl sich.

Am Abend erschien er mit der Geige, und sie spielten. Aber das Spiel klappte nicht recht: die Noten, die sie brauchten, waren nicht vorhanden, und was vorhanden war, konnte meine Frau ohne Vorbereitung nicht spielen. Ich war ein großer Musikfreund und verfolgte ihr Spiel mit Interesse, hatte für ihn ein Notenpult aufgestellt und wandte die Notenblätter um. Sie spielten einige Sachen, Lieder ohne Worte und eine Mozartsche Sonate. Er spielte ausgezeichnet: er besaß im höchsten Maße das, was man Tonfülle nennt, und außerdem einen zarten, edlen Geschmack, der im übrigen seinem Charakter zu widersprechen schien. Er spielte natürlich weit besser als meine Frau, half ihr, wo es ging, und lobte zugleich ihr Spiel in reservierter Weise. Er hielt sich sehr gut. Meine Frau schien sich nur für die Musik zu interessieren und gab sich sehr einfach und natürlich. Ich stellte mich, als sei ich ganz von der Musik in Anspruch genommen, in Wirklichkeit jedoch wurde ich den ganzen Abend von Eifersuchtsqualen gepeinigt.

Vom ersten Blick an, den sie miteinander gewechselt hatten, sah ich, daß das Tier, das in ihnen stak, ohne irgendwelche Rücksicht auf die gesellschaftliche Situation bereits geforscht hatte: ›Darf ich?‹ worauf die Antwort erfolgt war: ›O ja – bitte sehr!‹ Ich sah es ihm an, daß er nicht erwartet hatte, in meiner Frau, einer schlichten Moskowiterin, eine so anziehende Dame zu finden, und daß er darüber sehr erfreut war – denn einen Zweifel an ihrer Zustimmung hielt er offenbar für ausgeschlossen. Die Frage war nur, ob nicht vielleicht der Gatte sich allzu unbequem erweisen würde. Wäre ich selbst rein gewesen, so hätte ich das nicht so klar durchschaut, aber ich hatte, wie die meisten Männer, als Junggeselle von den Frauen dieselbe Meinung gehabt und las deshalb in seiner Seele wie in einem offenen Buche.

Ganz besonders quälte mich die Erkenntnis, daß sie gegen mich kein anderes Gefühl hegte als diese beständige, nur durch die üblichen Sinnlichkeitsausbrüche unterbrochene Erregtheit, während dieser Mensch durch seine äußere Eleganz, durch die Neuheit seiner Erscheinung, durch sein unzweifelhaft großes musikalisches Talent und die intime Annäherung, die das Zusammenspiel, zumal bei Mitwirkung der Geige, bei empfänglichen Naturen hervorbringt, ihr nicht nur gefallen, sondern sie unbedingt beim ersten Angriff erobern, sie nach seinem Willen ummodeln und sich völlig gefügig machen mußte. Ich mußte das einsehen, und ich litt unsagbar unter dieser Erkenntnis. Gleichwohl oder vielleicht eben darum trieb mich eine geheime Macht wider Willen an, nicht nur besonders höflich, sondern geradezu zuvorkommend gegen ihn zu sein. Ob ich das um meiner Frau oder um seinetwillen tat, etwa um zu zeigen, daß ich ihn nicht fürchte, oder ob es um meinetwillen in der Absicht des Selbsttäuschung geschah, weiß ich nicht, jedenfalls vermochte ich vom ersten Augenblick an nicht einfach und natürlich gegen ihn zu sein. Ich mußte ihn streicheln, um nicht dem Wunsche nachzugeben, ihn sofort zu töten. Ich bewirtete ihn beim Abendessen mit teuren Weinen, schwärmte von seinem Spiel, setzte, wenn ich mit ihm sprach, das freundlichste Lächeln auf und lud ihn für den nächsten Sonntag zum Mittagessen ein. Sie sollten dann wieder zusammenspielen, und ich versprach, ein paar musikliebende Bekannte einzuladen, die ihn anhören sollten. Damit schieden wir voneinander.«

In heftiger Erregung rückte er auf seinem Platze hin und her und ließ seinen eigentümlichen Laut vernehmen.

»Höchst seltsam,« begann er wieder, sichtlich bemüht, seine Ruhe zu bewahren, »wie die Anwesenheit dieses Menschen auf mich wirkte.

Zwei oder drei Tage darauf kam ich aus einer Ausstellung nach Hause. Ich betrete das Vorzimmer, verspüre einen Druck, wie wenn sich mir ein Stein schwer auf die Brust legte, und kann mir keine Rechenschaft geben, was das eigentlich bedeutet. Erst allmählich kam es mir zum Bewußtsein: ich hatte im Vorzimmer etwas bemerkt, was im Zusammenhang mit ihm stehen mußte. Im Kabinett angelangt, machte ich kehrt, um mir Klarheit über den Sachverhalt zu verschaffen. Ich ging ins Vorzimmer zurück und fand die Richtigkeit meiner Beobachtung bestätigt: nein, ich hatte mich nicht geirrt – dort hing sein Mantel. Solch ein moderner, geckenhafter Mantel, wissen Sie? Alles, was sich auf ihn bezog, erregte immer meine besondere Aufmerksamkeit, wenn ich mir auch nicht sofort volle Rechenschaft darüber gab. Ich frage nach ihm: ja, er ist da. Ich gehe nicht durch das Besuchszimmer, sondern durch das Unterrichtszimmer der Kinder nach dem Salon. Lisa, meine Tochter, sitzt mit einem Buche in der Hand da, und die Kinderfrau mit der Kleinsten am Tische läßt einen Deckel tanzen. Die Salontür ist geschlossen. Ich höre von dort her ein gleichmäßiges Arpeggio und seine und ihre Stimme; ich horche, vermag jedoch nichts von ihrem Gespräch zu unterscheiden, offenbar sollte das Klavier ihre Worte, oder ihre Küsse – wer weiß? – übertönen. Mein Gott, was sich da in mir aufbäumte! Wenn ich nur an die reißende Bestie denke, die damals in mir lebte, packt mich das Entsetzen. Das Herz krampfte sich mir plötzlich zusammen, es blieb stehen und begann dann wie mit Hammerschlägen zu pochen. Das vorwiegende Gefühl, das ich empfand, war wie bei allen meinen Zorneswallungen, Mitleid mit mir selbst. ›In Gegenwart der Kinder, der Kinderfrau!‹ dachte ich. Ich muß schrecklich ausgesehen haben, denn Lisa sah mich mit ganz verängstigten Augen an. ›Was soll ich tun?‹ fragte ich mich, ›hineingehen kann ich nicht, ich richte Gott weiß was an. Doch ich kann auch nicht fortgehen. Die Kinderfrau sieht mich gerade so an, als ob sie alles erriete.‹

›Ja, ich muß hineingehen,‹ sprach ich zu mir selbst und öffnete rasch die Tür. Er saß am Klavier, spielte mit seinen gebogenen, langen, weißen Fingern diese Arpeggien, und sie stand an der Ecke des Flügels über den aufgeschlagenen Noten. Sie hatte mich zuerst erblickt oder gehört und schaute mich an. Ob sie erschrocken war und sich nur so stellte, als sei sie nicht erschrocken, oder ob sie tatsächlich nicht erschrocken war – jedenfalls zuckte und bewegte sie sich nicht, sondern errötete nur, und zwar erst nachträglich.

›Wie freue ich mich, daß du gekommen bist – wir haben uns noch nicht entschlossen, was wir am Sonntag spielen sollen‹, sprach sie in einem Tone, in welchem sie nicht mit mir gesprochen hätte, wenn wir allein gewesen wären. Dieser Ton sowie der Umstand, daß sie sich und ihn in dem Worte ›wir‹ zusammenfaßte, beunruhigte mich. Ich begrüßte ihn schweigend. Er drückte mir die Hand und begann mir mit einem Lächeln, worin von vornherein eine gewisse Ironie zu liegen schien, zu erklären, er habe die Noten für die sonntägliche Musikunterhaltung mitgebracht, sie seien noch nicht einig, was sie spielen sollten, eine schwierigere klassische Sache, etwa eine Beethovensche Sonate für Violine oder einige kleinere Stücke? Alles war so natürlich und einfach, daß man an nichts Anstoß nehmen konnte; dennoch war ich überzeugt, daß alles erlogen war, daß es ihnen nur darauf ankam, sich zu verabreden, wie sie mich hintergehen könnten.

Eine der quälendsten Eigentümlichkeiten unseres gesellschaftlichen Verkehrs ist für eifersüchtige Leute – und das sind wohl alle, die unsere Salons bevölkern – die allzu freie, gefährliche Annäherung, die zwischen Männern und Frauen möglich ist. Man macht sich einfach lächerlich, wenn man auf Bällen, im Verkehr des Arztes mit seiner Patientin, im Bereich der Künste, der Malerei, besonders aber der Musik, diese Annäherung verhindern wollte. Die Leutchen widmen sich zu zweien der edelsten aller Künste, der Musik; zu diesem Zweck muß ein gewisses Näherrücken stattfinden, das nichts Verdächtiges hat: nur der dumme, eifersüchtige Ehemann kann darin etwas Unerwünschtes sehen. Und dabei wissen doch alle nur zu gut, daß gerade die erwähnten Beschäftigungen, zumal mit der Musik, zu den meisten Ehebrüchen in unseren Gesellschaftskreisen Anlaß geben.

Ich hatte sie augenscheinlich durch die Verwirrung, die sich in meinen Zügen malte, gleichfalls in Verwirrung gebracht. Ich konnte eine ganze Weile kein Wort sagen und war wie eine umgestülpte Flasche, aus der das Wasser nicht herausquillt, weil sie zu voll ist. Ich brannte darauf, ihn auszuschelten und hinauszuwerfen, doch ich fühlte, daß ich wieder freundlich und zuvorkommend gegen ihn sein müßte. Ich stellte mich, als hieße ich alles gut, versicherte ihm, daß ich mich ganz auf seinen guten Geschmack verlasse, und riet ihr, sich ebenso zu verhalten. Er blieb noch so lange, als notwendig war, um den peinlichen Eindruck zu verwischen, als ich plötzlich mit erschrockenem Gesicht ins Zimmer trat und schweigend stehen blieb, und er empfahl sich, nachdem er angeblich mit ihr darüber einig geworden, was sie morgen spielen würden. Ich war meinerseits fest davon überzeugt, daß im Vergleich zu dem, was sie tiefinnerlich beschäftigte, die Frage, was sie spielen sollten, ihnen höchst gleichgültig war. Ich begleitete ihn mit ganz besonderer Höflichkeit ins Vorzimmer – wie sollte ich das nicht bei einem Menschen, der erschienen war, um die Ruhe einer ganzen Familie zu stören und ihr Glück zu vernichten? Mit ausnehmender Freundlichkeit drückte ich seine weiße, weiche Hand.


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