Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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10.

Es ist alles im schönsten Gange. Ich habe von Emilien Abschied genommen, die untröstlich darüber ist, daß ich sie verlasse, um Narren aufzusuchen. Ich bin eben so untröstlich, aber was nicht zu ändern ist, ist nicht zu ändern. Den Maler habe ich bei mir, damit es wenigstens nicht am Porträtiren fehlt, wenn wir die Narren endlich erwischt haben.

Ich sitze hier auf der ersten Station und schreibe meine Empfindungen nieder, indeß neue oder andere Pferde vorgelegt werden. Aber ich empfinde nichts besondres, außer daß ich mich noch immer ärgere.

Ich bemerke, daß im Tagebuche der Ausdruck im Grunde zu oft vorkömmt, und daß fast alle Uebergänge durch Aber gemacht sind. Ein sehr ungebildeter Styl!

Der Maler hat mit dem Pietro da Cortona nicht Unrecht. – Der Postbote hat eben ein geschossenes Reh neben mich gelegt, das oben auf der Stirn petschirt ist; nicht weit davon hat die Kugel getroffen. Es sieht sonderbar aus. Ein offener und gestempelter Kopf zu gleicher Zeit! – Die Poststube bekömmt mir nicht, denn ich bin auf dem Wege, schlechten Witz zu machen.

Ueber den Witz ist noch wenig Witziges gesagt, das macht, weil auch dazu Witz gehört. Die Leute behaupten, ein witziger Kopf könne leicht zu vielen Witz haben, woran ich aber nicht glaube: diese Leute meinen auch nur die, an denen sie zu wenig Witz zu bemerken glauben, und daß sie zu wenig zu viel nennen, ist nur eine Höflichkeit, die sie nicht witzig ausgearbeitet haben. 328 Daher kömmt es aber auch, daß der Witz da oft gar nicht bemerkt wird, wo seine eigentliche Heimath ist, weil hier für die gute Lesewelt zu viel ist; denn die meisten lieben Häuslichkeit. Darum tadeln diese Leser auch den Shakspear in seinen witzigen Scenen. Es ist schlimm, ein Schriftsteller zu sein, aber fast ein noch schlimmeres Verhängniß, ein Leser zu werden! – –

So weit hatte ich auf der vorigen Station empfunden, jetzt will ich einen frischen Ansatz nehmen.

Die eigentlichen Empfindungen könnte man vielleicht innerlichen Witz nennen: wenigstens nenne ich sie mir manchmal so. Und es trifft sich sehr schön, daß sie eben so selten wie dieser verstanden werden; ich könnte den obigen Autor wieder als Exempel citiren, wenn es sich auf diesen fatalen Stationen etwas bequemer schreiben ließe.

Es ist aber auch wahr, daß die eigentlichen Empfindungen wieder so etwas Seltsames und Närrisches haben, daß man sie nicht gern Empfindungen nennen mag, und darum nehmen viele, Dichter und Fühlende, zu den falschen Empfindungen so oft ihre Zuflucht, weil sie mehr schimmern und auch subtiler scheinen.

Und geb' ich nicht mit meinen eigenen Empfindungen hier ein Beispiel? Ich wette, – oder lieber: ich behaupte, daß die meisten es sehr unnatürlich finden würden, daß sie nicht mehr von meinem eigentlichen Grame hier aufgezeichnet antreffen. Sie würden nämlich die dramatische Feinheit gar nicht bemerken, daß ich mich nur zu zerstreuen suchte; es ist daher sehr gut, daß ich auf Leser durchaus nicht zu rechnen brauche.

Der Maler schläft viel im Wagen, und es ist sehr Unrecht von mir, daß ich es nicht leiden kann. Auch 329 ängstigt es mich, wenn der Postillon schnell fährt, weil es möglich ist, daß wir den schönsten Narren vorbeifahren, und wieder im Gegentheil schimpf' ich auf ihn, wenn er die Pferde im Schritte gehen läßt. Wenn der Maler wacht, so machen wir uns beide Langeweile, er mir mit dem Pietro da Cortona, ich ihm mit meiner Braut: und darum thut er eigentlich gut, daß er schläft.

In der nächsten Stadt will ich doch einige Tage bleiben, weil sonst meine Reise leicht ganz unnütz werden dürfte. – Der Maler ist auch hier im Posthause eingeschlafen, und das find' ich Unrecht; warum hält er sich kein Tagebuch, in das er seine Empfindungen einträgt? –



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