Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Achtundvierzigstes Kapitel.

Vom Tag der Ewigkeit und von der Nacht dieses Lebens.

O du seligste Wohnstätte in der heiligen Stadt / die da droben ist! O du lichtheller Tag der Ewigkeit / den keine Nacht verdunkelt! Die höchste Wahrheit selbst ist deine Sonne / ihr Licht deine unvergängliche Heiterkeit! Du Tag der Freude / Tag der Sicherheit / du kennst keinen Wechsel / bist ewig ein und derselbe Tag. O daß auch mir dieser Tag schon aufgegangen wäre / daß auch für mich alles Zeitliche schon sein Ende genommen hätte! Den Heiligen leuchtet dieser Tag schon mit ewiger Klarheit / wir aber / die wir noch hier auf Erden pilgern / sehen ihn nur so von fern / nur wie im Spiegel.

Nur die Bürger des Himmels wissen es / was für ein Freudentag der Tag der Ewigkeit ist; wir / Kinder unserer Stammutter Eva / Pilger außerhalb des Vaterlandes / tun durch unser Seufzen kund / wie bitter und schmerzlich der Tag dieses Lebens ist. Kurze / schlimme Tage dieser Zeit / voll Angst / voll Schmerz / in denen der Mensch von vielen Sünden befleckt / von vieler Furcht gefesselt / von vielen Sorgen umhergetrieben / von vielen Begierden nach dem Neuen und Sonderbaren zerstreut / von vielen Eitelkeiten hin und her gezogen / von vielen Irrtümern umlagert / von vielen Arbeiten abgenützt / von vielen Versuchungen niedergedrückt / im Überfluß von Lust entnervt und in Dürftigkeit von Unlust gefoltert wird! Wann werden doch diese Übel ein Ende nehmen? Wann werde ich aus diesem elenden Knechtsstande / dem Sündendienst / erlöst werden? Wann werde ich an dich allein / o mein Gott / denken können? Wann werde ich voll Freude / die dies mein Herz sättigt / zu dir finden? Wann werden alle Ketten von mir abfallen / wann werde ich die wahre Freiheit genießen / die Freiheit von aller Bedrückung des Leibes und der Seele? Wann kommt er denn einmal / der wahre Friede / ein Friede von innen und außen / der sicher / ewig heiter und durchaus unwandelbar ist? O guter Jesus / wann werde ich dich sehen / die Herrlichkeit deines Reiches schauen können? Wann wirst du mir alles in allem / wann werde ich bei dir in deinem Reiche sein / das du von Ewigkeit her deinen Geliebten zubereitet hast? Verlassen / arm und ein Vertriebener hier in Feindesland / irre ich umher / nichts als Krieg und Krieg alle Tage und großes Unheil um mich her!

Sende du deinen Trost in dies mein Elend herab / mildere du meine Pilgernot! Denn all mein Sehnen sehnt sich nach dir / und alles / was die Welt zum Trost mir darreicht / ist mir nur eine neue Last. Dich möchte ich in innigster Vereinigung genießen / kann dich aber nicht erreichen. Dem Himmlischen möchte ich mit ganzer Seele anhangen / aber das Zeitliche drückt mich abwärts / und meine ungetöteten Neigungen schleppen auf der Erde mich umher. Hinaufschwingen / hoch über alle Dinge empor / möchte sich mein Geist / aber das Fleisch stößt ihn mit Gewalt und wider seinen Willen unter die vergänglichen Dinge hinab. So lebe ich unseliger Mensch mit mir selbst in hartem Streit und bin mir selbst zur Last / indem mein Geist immer nach oben hinauf und mein Fleisch immer nach unten hinab mich drängt und treibt.

O was leide ich im Innersten für heiße Leiden / wenn mein Geist seligen Umgang mit dem Himmel pflegt / und unversehens ein Schwarm sinnlicher / irdischer Dinge den betenden Geist vom Himmel herab auf die Erde lockt! Mein Gott / sei nicht fern von mir / weiche nicht im Zorn von deinem Knechte! Sende deine Blitze und zerstreue sie / sende deine Pfeile und verscheuche sie / die törichten Gedanken / die der Feind in die Seele legte! Sammle alle meine Sinne und erhebe sie zu dir / lehre mich alles / was die Welt Vergängliches hat / vergessen und all die aufreizenden Bilder / mit denen die Sünde meine Seele angefüllt hat / zertrümmern und aus der Seele schaffen. Du ewige Wahrheit / eile mir zu Hilfe / damit keine Eitelkeit mich zum Weichen bringe. Und du / himmlische Freude / ströme in mein Herz / damit alle Unreinigkeit der irdischen Lust vor deinem Angesicht dahinfliehe. Verzeihe es mir / verzeihe es mir / so oft ich im Gebete etwas anderes als dich im Auge habe. Denn ich muß wahrhaftig meine Schwäche bekennen: mein Gebet ist voll Zerstreuung. Ich bin gar oft nicht da / wo der Leib sitzt oder steht / da bin ich oder dort / wohin mein Gedanke mich mit sich fortreißt. Ich bin da / wo mein Gedanke ist / und mein Gedanke ist da / wo meine Liebe ist / und meine Liebe ist da / wo das ist / was ich liebe. Was meine sinnliche Natur ergötzt oder mir durch Angewöhnung lieb geworden ist / das kommt mir leicht zu Sinn.

Da fühl ich recht die Wahrheit deines klaren Wortes: Wo dein Schatz ist / da ist dein Herz. Wenn ich das Himmlische lieb habe / so denke ich gern an das Himmlische / wenn ich das Irdische lieb habe / so denke ich gern an das Irdische; ich habe Freude wenn die Ereignisse dem irdischen Sinn angenehm / und habe Kummer / wenn sie ihm unangenehm sind. Wenn ich das Sinnliche lieb habe / so bilde ich mich in das Sinnliche hinein und male diese Bilder aus / wenn ich das Geistliche lieb habe / so bilde ich mich in das Geistliche hinein und lebe mit Freuden in diesen Bildern. Was immer ich lieb habe / davon rede ich und höre ich gern reden / davon nehme ich auch die Bilder mit mir und trage sie nach Hause. Aber selig der Mann / der um deinetwillen / o Gott / allen Geschöpfen Abschied gibt / der der Natur Gewalt antut / der die Lüste seines Fleisches in heiligem Eifer des Geistes ans Kreuz schlägt / damit er mit reinem / heiterem Gewissen reine / heitere Gebete dir opfern könne / und / losgerissen von allem Irdischen in sich und außer sich / würdig werde / in die Chöre der Engel sich zu mengen.


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