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XV.

Hertha erwachte. Die Fliegen steuerten summend in dem purpurnen Halbdunkel umher, und durch die Ritzen der roten Vorhänge brach heller Vormittagssonnenschein.

»Das war geträumt!« dachte sie, legte die Arme unter den Kopf und lachte selig zur Decke empor.

Und erst dann kam ihr langsam in den Sinn, daß von Träumen diesmal nicht die Rede sein konnte.

Ein heißer Strom schoß ihr ins Gesicht. Sie schloß die Augen und dachte nichts. Ihr war, als löste ihr Leib sich auf, als müßte sie sich verbluten in Glückseligkeit.

Was war ihr Dasein gestern gewesen – und was war es heute? – Als dummer, trotziger Balg war sie von dannen gefahren … da hatte er sie gefunden und durch seine Liebe zum Weibe gemacht.

Mit einem jähen Satze sprang sie aus dem Bette und fuhr häuptlings in ihre Röcke.

Hierauf trat sie vor den Spiegel und betrachtete sich lange. »Wie seltsam,« dachte sie, »ich sehe aus wie alle Tage.« Auf Zehenspitzen wandte sie sich nach dem Bette Ellys, welche Schreck und Thränen in rosigem Frieden verträumte. In dem linken Augenwinkel der Schlafenden saß eine Fliege, – die scheuchte sie fort.

»So was will von Liebe reden,« dachte sie und zuckte mitleidig die Achseln.

Und dann kam, wie immer, wenn sie die kindisch ziellose Art ihrer Gespielin auf sich selber übertrug, eine Ernüchterung, eine Verflauung über sie, die ihr den Mut wegnahm, an das zu glauben, was das Geschehene versprach.

Wie, wenn er bei näherer Ueberlegung den nötigen Ernst in ihr vermißte und seine Erklärung wieder zurücknahm?

Doch alsdann schämte sie sich ihres Kleinmuts. Es war undenkbar, daß er ihre unendliche Liebe für ihn nicht erkannt und nicht minder erkannt haben sollte, wie sie trotz ihrer großen Jugend durch die Leiden dieses Erdenlebens gereift und gefestigt worden war.

Vom Turme schlug es zehn. – Sie erschrak. – Gehörte es sich nicht für sie, fortan Freud und Leid mit dem Geliebten zu teilen? … auch das Frühaufstehen? … und sie beschloß, wieder auf die Morgenglocke aufzupassen, wie damals, als sie noch zum Melken gegangen war.

Leise, auf nackten Füßen einherschleichend, machte sie ihre Toilette. Es war ein Glück, daß Elly weiterschlief. Welche Qual wär' es geworden, diese ersten heiligen Stunden in müßigem Geschwätze vertrödeln zu müssen!

Zuerst dachte sie das helle Batistkleid anzuziehen … das mit dem Peitschenmuster … das kleidete sie am besten und sah zart und festlich aus. – Ein Festtag war's ja heute, der höchste des Lebens … und schauernd in Scham und Glück wagte die Seele nicht auszudenken, was an Herrlichem er bringen würde. Doch dann ließ sie den Plan wieder fahren … Nicht hoffärtig und ausgeputzt, ernst und bescheiden und voll stiller Weihe wollte sie vor ihn hintreten und ihm schon durch ihr Aussehen zeigen, daß sie neuen Würden wohl gewachsen sei.

Darum wählte sie ein Kleid von dunklem Wollenstoff und knöpfte nur in die Weste einen Spitzeneinsatz von mattblauer Farbe, der ihr einen schmachtenden Charakter gab und zu ihrem Teint noch immerhin am besten paßte.

Das Gebell des Neufundländers rief sie ans Fenster.

Herrenlos lief er im Garten herum, unruhig auf dem Kiesboden der Pfade hin und her schnuppernd …

In aufwallender Freude streckte sie die Arme nach ihm aus. Ihre Zärtlichkeit für ihn war grenzenlos.

»Schade, daß er kein Mensch ist,« dachte sie, »ich würde ihn lieben wie einen Bruder.«

Dann drückte sie sich zum Zimmer hinaus, in der Hand die Gamaschen, die sie erst auf dem Korridor sich anzuziehen wagte.

Hinter der Gartenthür sprang der Hund, der dort gelauert hatte, ungestüm an ihr empor. – Sie barg glutüberströmt das Angesicht in seiner Löwenmähne … Wenn sie schon vor dem Hunde errötete, bloß weil er mit dabei gewesen war, wie sollte sie die verräterische Glut zu bergen wissen, wenn es erst seinem Herrn entgegenging?

Auf der Terrasse stand noch der weißgedeckte Frühstückstisch. Drei Tassen blinkten herüber. – Auch er schien noch nicht dagewesen.

Ihr Herz schlug höher. Hatte das Schicksal ihr beschieden, schon jetzt in erster Stunde mutterseelenallein vor ihm zu stehn?

Was wird er ihr, was wird sie ihm zu sagen haben? Wird die große Frage, die sich nach dem gestern Geschehenen von selbst verstand, schon jetzt an sie herantreten?

Sie erschrak so sehr, daß ihr die Kniee zitterten.

»Noch eine Viertelstunde,« dachte sie, »und ich bin vielleicht schon Braut!«

Das war ganz fürchterlich – gar nicht auszudenken war es.

Und wie sollte sie selber bei dem allen sich benehmen? »Eine Blöße darf ich mir nicht geben,« dachte sie, »damit er nicht sieht, wie dumm ich noch in allen Dingen bin, und wieder an mir irre wird.«

Sie beschloß, sich eine Faust voll Rosen von den Stöcken zu schneiden. Die wollte sie ihm statt des Morgengrußes entgegenstrecken mit einem Blicke, welcher sagte:

»Nimm, Geliebter, alles ist dein – alles ist dein!«

Lauter purpurrote Blüten wählte sie, üppig entfaltete, mit ausgebreiteten Blumenblättern, die in dunklem Feuer lohten. Sie alle sollten ihm von Liebe reden, von jener wilden, süßen Liebe, welche die Dichter so schön besingen, und bei welcher man sich im Kusse ewige Wonne oder ewiges Verderben trinkt … Nichts Blasses oder Bläßliches durfte darunter sein.

Doch sich selber schmückte sie nicht … Sollte fortan nicht er der höchste, der einzige Schmuck ihres Lebens sein?

Leo, der Hund, trottete derweilen geruhig hinter ihr her, von Zeit zu Zeit die Schnauze zärtlich in ihre Aermel hineinwühlend.

»Wo ist dein Herr?« fragte sie mit einem Seufzer.

Das Vieh sah mit traurig verständigem Blicke zu ihr empor. Seit Stunden suchte es ihn, der in der Morgenfrühe geheimnisvoll verritten war, ohne den treuen Begleiter mit sich zu nehmen.

Als sie die Stufen zur Terrasse hinanschritt, kam Großmama ihr entgegen. –

Zusammenschreckend umfaßte sie das Geländer. Wie, wenn er ihr, seiner Mutter, von dem Ereignis schon Mitteilung gemacht hätte? Wenn sie mit ihrem verliebten Herzen schon entdeckt und ohne Hülle preisgegeben vor ihr stände? Rasch sprang sie auf sie zu und barg, um sich nicht anschauen zu lassen, das Angesicht an ihrem Halse.

Die alte Dame tätschelte sie voll Besorgnis.

»Kein Schnupfen – kein Fieber?« fragte sie.

Hertha atmete auf. Man wußte also nichts.

»Zeig mal den Puls,« befahl Großmama.

Hertha riß sich los. – »Das fehlte mir heut gerade,« dachte sie, »wie ein Kind den Puls zu zeigen. Am End' soll ich auch noch die Zunge ausstrecken!«

Und sie verschanzte sich hinter dem Tische.

Großmama machte gute Miene zum bösen Spiel. Nur die Strafpredigt natürlich durfte ihr nicht erspart bleiben.

Mit zuckendem Munde und schielenden Augen ließ Hertha das harmlose Ungewitter über sich ergehn … Ihr Blick hing heimlich an Leos leerer Kaffeetasse, ihr Ohr lauschte zum Hofe hin.

Und plötzlich stieß der Hund ein Freudengeheul aus. Dröhnende, klirrende Schritte hallten vom Korridor her.

Hertha fühlte das Blut in ihren Adern gerinnen. Ihr war, als müßte sie bei seinem Anblick in ohnmächtiger Scham tot zu Boden sinken. Die Rosen auf den Tisch werfend, rannte sie spornstreichs in den Garten hinunter, und Großmama, die gerade im besten Zuge war, schaute verblüfft hinter ihr drein.

In der Taxuswand, welche vom Schlosse aus in den Garten hineinragte, gab es ein Winkelchen, wo alles, was auf der Terrasse geschah, sich sehn und belauschen ließ. Dort verbarg sie sich rasch.

Er stand im Rahmen der Glasthür, war heiß und bestaubt, und zwischen seinen Brauen lag eine finstere Falte, durch welche sich Hertha eingeschüchtert fühlte.

Großmama machte ihm zärtliche Vorwürfe. Es sei bald Mittag, und er habe noch nichts von sich hören lassen.

»Hatte zu thun,« war seine kurze, grimmige Antwort. Dann setzte er sich nieder und wühlte achtlos in den verstreuten Rosen. –

Hertha grämte sich. So ging ihr schöner Plan zu Grunde. Gewiß ahnte er nicht einmal, was diese Rosen für ihn bedeuteten.

»Was machen die Jöhren?« fragte er. Hertha zuckte zusammen … diesen Namen hatte sie nicht verdient. – Aber er darf ja das Geheimnis nicht verraten, tröstete sie sich.

Großmama gab Auskunft. Hertha sei schon erschienen, doch Elly schlafe noch. Sie wolle heute Gnade für Recht ergehn lassen. Ihretwegen dürfe man liegen bis zum Mittag. –

Er hatte Hunger und bröckelte ungeduldig an den gerösteten Semmelscheiben. »Was ist denn das für eine Hundezucht in der Küche?« wetterte er los.

Großmama stand auf, um rasch einmal nachzusehn. »Auch Hertha wartet noch immer,« fügte sie hinzu.

»Wo steckt denn die Kleine?« fragte er.

»Sie ist wieder einmal vor dir ausgerissen,« erwiderte Großmama. »Wenn ich sie seh', schick' ich sie dir.« Damit ging sie ins Haus.

Hertha sah, wie er für einen Augenblick leise in sich hineinlächelte, dann zog sich seine Stirn aufs neue in finstere Falten. – Den Kopf in beide Hände vergraben, brütete er vor sich hin.

Hertha fühlte ein unendliches Mitleid in sich erwachen. »Gewiß hat er neuen Aerger gehabt,« dachte sie, »und die Sorgen wachsen ihm über den Kopf.«

Von nun an war es ihre Pflicht, in schweren Stunden um ihn zu sein, mochte ihr dabei zu Mute sein, wie's wollte.

Und mit resoluten Schritten, die Hacken in die Erde bohrend, trat sie aus dem Buschwerk hervor. Doch als sie den Fuß der Terrasse erreicht hatte, schwankte sie und mußte nach Atem ringen. – Nie hätte sie geahnt, daß man vor einem, den man mehr liebt, als das eigene Leben, so namenlose Angst empfinden könnte.

Nun war sie oben. Er, in seine Gedanken versunken, hatte noch immer nicht aufgeschaut. Zwischen seinen Lippen hing eine ihrer Rosen, an deren Stengel er kaute.

Sie zitterte und hielt sich an der Tischkante fest … Womit sollte sie ihn begrüßen? … »Guten Morgen« klang so gewöhnlich. Das sagte man allen und alle Tage.

Sie seufzte.

Da endlich schaute er auf … Ein freundlich ruhiges Lächeln zog über sein Gesicht.

»'Morgen, 'Morgen!« sagte er überaus gemütlich. »Was seufzen wir denn so gräßlich? Gut ausgeschlafen? Kein Schnupfen – kein Fieberchen – nichts?«

Sie sah ihm mit großen, gekränkten Augen ins Gesicht. Genau dieselben Worte hatte beim Empfange die alte Großmama an sie gerichtet, – Vielleicht verlangte er auch noch, ihren Puls zu fühlen. –

Ihre Hand zuckte in der seinen. Dann ließ sie sich schweigend in einen Sessel fallen. Von neuem erwachte die dumpfe Furcht in ihr, daß er sie bei näherer Ueberlegung nicht für voll ansehn und alles, was zwischen ihnen vorgefallen, als ungeschehn betrachten würde. Und sie hatte nicht einmal ein Mittel, sich zu wehren, wenn es ihm so beliebte.

»Ja, ja, das war 'ne dolle Geschichte,« fuhr er fort, indem er sich ausstreckte und die Hand vor den Mund stopfte, um ein Gähnen der Ermüdung zu verbergen, »aber attrappiert haben wir dich doch noch – Aufreißer du!«

Ihre Furcht steigerte sich.

Wäre sie nicht so feige, so namenlos feige gewesen, sie hätte sich hoch aufgerichtet und ihm zugerufen: »Warum verachtest du mich heut? Weißt du nicht mehr, was du mir angethan hast?« – Aber sie wagte ja kaum mit der Wimper zu zucken, nicht einmal aufzuschauen wagte sie.

Und da sie noch immer den Mund nicht aufthat, beugte er sich zu ihr hinüber, und während seine Stirn sich glättete, fragte er schmunzelnd:

»Ha – haben wir nu endlich Frieden geschlossen, Herzenskind?«

Das war ein Lichtblick. Gott sei gelobt. Sie nickte und versuchte zu lächeln.

»Na na,« meinte er, noch immer zweifelnd.

Statt der Antwort raffte sie die Rosen zusammen und bot sie ihm dar.

»Gehören die mir?« fragte er.

»Dir,« flüsterte sie mit einem schüchtern zärtlichen Aufleuchten des Auges.

Er sah das Leuchten wohl … Durch seine Seele zuckte eine bittere Ahnung wie von verspieltem Glück … Dankbar ergriff er die kleine, braune Hand.

Da wurden Schritte im Speisezimmer laut, dessen Glasthür offen stand.

»Großmama kommt!« rief Hertha, erschrocken die Hand zurückziehend.

»Na, laß sie doch kommen,« meinte er verwundert.

Dann, als Großmama mit Christian hinter sich erschien, sank er aufs neue in seine Gedanken … Er aß und trank, aber das war, als ob eine Maschine Speise zu sich nähme.

Ihr Auge wich nicht von seinem Angesicht. Sie zitterte danach, sich einen seiner Blicke heimzufordern, der verstehend und verheißend zu ihr spräche … Allein sie schien nicht mehr für ihn vorhanden.

Mochte sie noch so dumm sein – und gewiß, sie war's – aber so viel wußte sie doch, daß ein Mann das Weib, das er sich auserwählt, so nicht behandeln darf.

Meta Podewils zum Beispiel und Hans Sembritzky waren lange Zeit, ehe er sich erklärt hatte, ineinander verliebt gewesen. Sie hatten ganz steif »Herr Baron« und »gnädiges Fräulein« zu einander gesagt und auch sonst wunder wie fremd gethan – aber ihre Augen betrogen sich nicht. Die redeten eine Sprache, deren Glut sie für ihr Heucheln schadlos hielt. Und dann das Lächeln gar, mit dem sie sich abgewandt und ins Leere hinausgeträumt hatten, wenn sie die Blicke nicht länger kreuzen konnten!

Aber er? – O er!

Mit leisem Brummen stand er auf, reckte die Arme, pfiff dem Hunde und schritt von dannen, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen!

Beim Mittagessen wiederholte sich diese Erscheinung.

In dumpfem Erstarren blieb Hertha auf ihrem Stuhle sitzen. Auf die Hände, die krampfhaft mit den Krumen ihres Brotes spielten, fielen zwei Thränen herab.

Großmama hatte sie scharf beobachtet, – auch daß sie, deren gesunder Appetit im Hause sprichwörtlich geworden, kaum einen Bissen Fleisch hinuntergewürgt hatte, war ihr nicht entgangen.

Heimlich schlich sie sich hinter ihren Sitz, drängte Elly beiseite und fing sich ihre linke Hand.

Hertha fuhr in die Höhe, als hätte man sie mit einer Stecknadel gestochen.

»Ruhig sitzen! Puls hergeben!« befahl Großmama.

Da half kein Widerstreben mehr.

Und wahrhaftig, der Puls flog wie im Fieber.

Dann sollte sie richtig auch die Zunge zeigen. Das war zu viel.

»Großmama, quäl mich nicht,« bat sie und schlang weinend die Arme um ihren Hals. Aber Großmama ließ in solchen Dingen nicht mit sich scherzen.

»Zunge zeigen!« hieß es noch einmal.

Die Zunge war belegt.

Es entspann sich ein heftiger Kampf, in welchem Hertha unterlag.

Und so schmählich behandelte man sie, so sehr mißachtete man den heiligen Gram ihres Herzens:

Sie wurde ins Bett gesteckt und mußte schwitzen.


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