Rudolph Stratz
Die kleine Elten
Rudolph Stratz

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XXIV.

Ein aufgeregtes Stimmengewirr drang während der großen Pause durch das ganze Theater.

Man lärmte und gestikulierte in den Logen, deren Türen jetzt offen standen und ununterbrochen die Besucher ein- und auspassieren ließen, in dem halbleeren Parkett, am Büfett, wo das Münchener Bier in Strömen schäumte, und vor allem im Foyer und in den Wandelgängen.

Hier war kaum möglich, durchzukommen. Die Menschenklumpen stauten sich aneinander, sie lösten sich auf und schlossen sich fast sofort zu neuen, nervös debattierenden Gruppen zusammen, zwischen denen nur mühsam einzelne der Geschäftigsten durchzuschlüpfen, sich zu suchen und einander zuzuwinken vermochten. Es war erstickend heiß. Überall wehten die Fächer, die Damenschleppen rauschten, die Kellner drängten sich mit hochgehobenem Biertablett durch das Gewühl, und über alles hin zitterte aus Hunderten und aber Hunderten von Kehlen ein brausendes, aufgeregtes, vielfach zerrissenes Getöse, aus dem immer wieder der Name Valeska Eltens scholl.

Um das Stück kümmerte man sich wenig. Das galt für so gut wie verloren. Aber die Elten! . . . Das war die Sensation des Abends. Man hatte ganz unerwartet und überraschend ein neues Talent entdeckt, und man kam sich sehr wichtig und verdienstvoll angesichts dieser Tatsache vor, gerade weil sie so verblüffend kam und das blasierte Premierenpublikum in der angenehmsten Weise über einen sonst halb verlorenen Abend hinwegtäuschte.

Nun regte sich auch schon überall der Stolz des Entdeckers. Man wollte doch nicht umsonst in der Lage sein, im Laufe der nächsten Tage auf den Tiergartendiners beiläufig zu erwähnen, daß man natürlich auch dabeigewesen, als die Dingsda, die kleine Elten, am Sonnabend im Westend-Theater entdeckt worden sei! Man mußte doch etwas Rechtes aus der Angelegenheit machen; und so wurde die Verkörperung der »Lilith« immer leidenschaftlicher und enthusiastischer gepriesen, je mehr die große Pause sich ihrem Ende nahte. Denn die Weltstadt besitzt keinen Gradmesser. Maßlos und ungeheuerlich, wie ihre stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber allem heißen Wollen, wie ihre Brutalität gegenüber allem werdenden Können ist auch ihre leidenschaftliche Anbetung des Gelungenen, des Erfolges. Fühllos, vernichtend und befruchtend zugleich, wie die Natur, erkennt die Weltstadt nur das eine an, das ihr imponiert: die Kraft des Vollbringens; ja sie überschätzt sie im Taumel des Augenblicks.

Aber sich diesem Taumel zu entziehen, ist schwer, und es mochten im Westend-Theater jetzt nur wenige skeptische Premierenkenner sich im Innern sagen, daß man nach einigen Monaten bedeutend nüchterner über Valeska Elten urteilen würde.

Schließlich . . . wenn das auch so kam . . . für die kleine Elten war das einerlei. Bis dahin war ihr Name überall in den Berliner Zeitungen und den großen Provinzblättern genannt, alle Agenten und Direktoren waren auf sie aufmerksam geworden, in ihrem Schreibpult lagen ein halbes Dutzend erster Rollen und ein vorteilhafter neuer Kontrakt mit dem Westend-Theater. Ist man erst einmal so weit und dabei nur leidlich seiner Aufgabe gewachsen, so hat man auf Jahre hinaus im Berliner Kampf ums Dasein gewonnenes Spiel . . .

* * *

»Eigentlich ist das Ganze doch mein Werk!« sagte Herr von Seybling in der Proszeniumsloge, reckte seine mächtigen Glieder und stieß die Tür zum Bühnenraum auf.

Dort stand die Elten, von einem Haufen Menschen umgeben, halb lachend, halb weinend, und vor Aufregung am ganzen Leibe zitternd. Sie konnte den Beginn des dritten Aktes kaum erwarten.

Als sie Seybling sah, eilte sie ihm herzlich entgegen und streckte ihm beide Hände hin.

»Schönsten Dank, Herr Baron!« sagte sie fröhlich. »Das war der beste Rat, den ich in meinem Leben bekommen hab'.«

Der Dandy beugte sich über ihre schmale gepuderte Hand und küßte sie bedächtig.

»Und mein Lohn?« fragte er leise und ernst.

Valeska lachte hell auf, mit einem übermütigen, klaren Kinderlachen. Sie wies auf Zajonchek, der in der Nähe stand.

»Darf ich Ihnen meinen Bräutigam vorstellen, Herr Baron! . . . In sechs Wochen ist Hochzeit!«

Zajonchek verbeugte sich, ein gelassenes Lächeln auf den geschminkten Zügen.

»Gratuliere!« Der Dandy zog nochmals Valeskas Rechte langsam an seine Lippen. »Sie erlauben doch . . . Herr . . . Herr Zajonchek . . .? Und nun leben Sie wohl, Fräulein Elten . . . lassen Sie sich's gutgehen . . . mich brauchen Sie ja nicht mehr . . .«

»Ich danke schön!« erwiderte die kleine Elten und blinzelte ihm in schüchternem Spott nach.

* * *

»Nun . . . haben Sie sie gesehen?« fragte in der Rönneschen Loge Onkel Klaus die eben eintretende Thilda.

Jawohl . . . Fräulein Thorbeck war auf der Bühne gewesen und nicht ohne Schwierigkeit zu Valeska vorgedrungen, um sie in aller Eile zu umarmen.

»Ich habe ihr auch Grüße von allen ausgerichtet,« wandte sie sich um, »und von Ihnen besonders, Herr Major, wie Sie mir aufgetragen haben. Sie läßt Ihnen danken und Sie ausdrücklich viele, viele Male grüßen.«

Herr von Rönne blickte schweigend vor sich hin.

»Vernünftiges kann man natürlich nicht mit ihr reden,« fuhr Thilda fort, »sie lacht und schluchzt in einem Atem. Aber wissen Sie das merkwürdigste? . . . Sie ist verlobt, seit ein paar Tagen . . . mit dem Schauspieler Zajonchek. Schon in nächster Zeit wollen sie sich heiraten.«

Rönne sah langsam auf.

»Glauben Sie, daß sie glücklich wird?«

Thilda zuckte die Achseln.

»Lieber Gott . . . eine Schauspielerehe . . . da weiß man ja, wie es meistens abläuft: ein halbes Jahr Seligkeit . . . ein Jahr Verzweiflung und dann ein freundschaftliches Auseinandergehen . . .«

Die Glocke klang, und der Vorhang rollte in die Höhe . . .

* * *

Nun neigte sich der Abend seinem Ende zu. Leise und unfaßbar ging das Wehen des Erfolges durch das Haus.

Valeska hielt ihr Wort. Sie rettete das Stück, das, sobald sie die Bühne verlassen, wie ein steuerloses Schiff im Sturme der Premiere auf- und niederschwankte. Auf sie richteten sich erwartungsvoll alle Augen hinter der Bühne, wenn draußen wieder einmal das unheimliche Murmeln des Parketts tönte oder die schnippische Blondine, die jetzt die Rolle der Astild spielte, verstört und tränenschluckend von der Szene kam. Man zählte die Minuten bis zu ihrem Wiederauftreten und atmete erleichtert auf, als draußen das erlösende Stichwort fiel.

In einem erneuten Angstanfall trat Valeska hinaus. Wie, wenn sie jetzt noch umwarf? Wenn im letzten Augenblick ihr Glück wie eine Seifenblase zerrann?

Aber das Publikum selbst kam ihr zu Hilfe. Es war heute nun einmal in seiner Gebelaune. Kaum hatte sie sich gezeigt, so scholl ihr eine schwache, aufmunternde Beifallssalve entgegen, ein Murmeln behaglicher Spannung belebte das Haus und erfüllte die Elten mit neuem Mut . . .

* * *

Sie spielte die Sterbeszene, und während sie sie spielte, fühlte sie, daß sie dergleichen noch nie in ihrer Bühnenlaufbahn geleistet.

Auf dem ärmlichen, harten Lager lang ausgestreckt blickte sie nach oben. Dicht über sich sah sie Zajoncheks Gesicht, der sich über sie beugte. Es war, als sprächen sie beide allein miteinander, fern von den Menschen, als nähme die Einsamkeit ihr altes, ewig neues Lied von Liebe und Leid in ihrem Schweigen auf.

Im Zuschauerraum war es totenstill. Ihre Stimme klang darüber hin in müder Zärtlichkeit, in kindlich- klagenden, abgebrochenen Tönen. Und dann ein letztes, schweres Aufseufzen . . . vom Halse des Geliebten, um den sie die Arme geschlungen, sank sie leise und langsam wie ein schlaftrunkenes Kind zurück in die Kissen. Da schloß sie die Augen. Geräuschlos glitt der Vorhang herab.

Im Publikum war es noch einen Augenblick still. Aber sie fürchtete sich nicht. Sie wußte, . . . das war das Schweigen der Ergriffenheit.

Es erschien ihr als etwas Selbstverständliches, daß plötzlich und stürmisch der Beifall losbrach und sie immer und immer wieder an die Rampe rief. Sie gewöhnte sich schon an den Erfolg, sie begann die Hervorrufe zu zählen und das glückstrahlende Lächeln zu berechnen, mit dem sie den Applaus in Empfang nahm.

Die Opposition war verstummt, das Stück gerettet. Hochmann drückte ihr aufatmend die Hand. »Das vergeß' ich Ihnen nicht, meine liebe Elten . . . ich hab's ja gleich gewußt . . . schon damals, als ich Sie in Bergheim das erstemal sah . . . ja . . . ich hab' einen Blick für die jungen Talente . . . einen Blick . . .«

Er trat rasch zurück. Denn der Vorhang ging aufs neue in die Höhe. Längst waren die Logen gelichtet und die Mitte des Parkettes leer, Aber an den Seiten, an den Türen, in den Gängen standen immer noch dichte Gruppen, und wenn auch ihr Beifallklatschen schwächer klang, so drang der vielstimmige Bravoruf, der dazwischen tönte, um so erhebender zu Valeska empor.

Endlich wurde das Haus still und leer. Eine endlose Wagenkolonne schob sich an dem Portal des Westend-Theaters hin, aus dem in schwarzen Strömen die Fußgänger quollen, und verteilte sich rasselnd und donnernd durch die nächtlichen Straßen. Der Platz vor dem Theater wurde öde, die Lichter erloschen, der bunte Spuk verflog . . .

* * *

Eine halbe Stunde darauf trat Valeska an Zajoncheks Arm aus einer Seitentür.

Ringsum war alles still. Über ihnen flimmerte in strengem kaltem Glanze der klare Sternhimmel.

Sie drehte sich um und schaute nach dem Theater zurück, das in dunklen, unbestimmten Umrissen dalag.

»War es denn wirklich kein Traum?« fragte sie leise.

Zajonchek lachte.

»Du Närrchen . . . wirst's ja morgen in den Zeitungen lesen . . . Du bist jetzt fast berühmter als ich . . .«

Er wollte sie mit sich fortziehen. Aber sie blieb stehen.

Eine tiefe, unerklärliche Wehmut kam über sie.

»Jetzt sterben!« flüsterte sie, träumerisch zum Himmel aufblickend, und schmiegte sich sehnsüchtig an die Schulter des Freundes.

Der legte den Arm um sie.

»Nix da von sterben! Wir wollen leben und uns zusammen des Lebens freuen . . .«

»Ach ja . . .«, sagte die kleine Elten und sah mit tiefer, vertrauensvoller Zärtlichkeit zu ihm empor . . . »Wir beide . . . wir werden glücklich sein . . . du und ich. Denn du kennst mich . . . und du liebst mich . . . und du weißt . . . ich bin keine Heilige und keine Verworfene . . . Du nimmst mich als das, was ich bin und wie es heute in meiner Rolle heißt: ›in Lachen und Weinen und Lieben ein armes Menschenkind‹ . . .«

 


 


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