Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Wanderungen durch Kairo.

Valla Valla brr brr. – Der Affe und die Brillenschlange. – Der Stab Mosis. – Warum Herr Zwilchhammer kein Glück mit Cäsar hatte. – Wie die Droschken geleitet werden. – Moscheen-Besuche. – El-Azhar. – Der Jüngling mit dem Fleck vor der Stirn. – Vom Bier in Kairo. – Der Kegelklub Osiris. – Die fliegenden Hunde. – Fantasia.

Wo Alles merkwürdig ist, fallen die besonderen Sehenswürdigkeiten nicht so hochachtungsvoll wie in Städten auf, die dem Fremden nur ein bis zwei Seltenheiten vorsetzen können, als z. B. den Platz, wo früher der Galgen stand, oder die mühsamen Anlagen des Verschönerungsvereins.

Wenn man sonst von einem Hotel nichts weiter verlangt, als feste Preise und Humanität, so bot das unserige nach dem Frühstück in dem Palmengarten noch allerlei Kurzweil, da sich Gaukler einfanden, die ihre Kunst gegen Absammlung von Bakschisch zum Besten gaben. Oefters kam ein junges Frauenzimmer, das sehr niedlich taschenspielerte, ohne jeglichen Tisch, auf dem bloßen Erdboden. Anstatt presto marsch sagte sie yalla, yalla brr, brr! und dann waren die Sachen verschwunden. Sie hexte frische Eier unter einen Blechbecher, und wenn sie ihn wieder aufhob, hatten die Eier sich in ganz kleine Kiekel verwandelt, die, von dem vielen Anfassen ganz zahm, dicht bei ihr blieben. Ueberhaupt zeichnet sich das Gethier dort durch große Zahmheit aus. Ich sah selbst einmal, wie ein Knabe zwei Truthähne, die auswandern wollten, einholte und tüchtig mit der geballten Faust durchwammste, worauf sie sich fügten und die Flucht aufgaben. Bei uns wären sie erst recht sperrenzig und unbändig geworden.

Die Taschenspielerin aß auch Baumwolle und zog dann ein mit Nadeln gespicktes Band aus dem Munde. Die übrigen Gegenstände, die Eier, die Küchlein, die Kaninchen, und was sie sonst noch brauchte, trug sie in dem Busen bei sich. Man sah, wie sie in dem Kleide herumtappte, wenn sie etwas zum Zaubern griff. Bellachini war diesen Künsten des Orients entschieden über.

Auch mit abgerichteten Affen wurde man unterhalten. Ein brauner Knabe besaß ein kluges Thier, das tanzte, wenn er sang und Tambourinen dazu schlug. Manchmal aber ward der Affe übermüthig und sprang auf seien Herrn zu und stieß ihn um; ›Chansire‹ schalt der Kleine dann. Das heißt so viel wie Schwein und ist ein beliebtes Schimpfwort. Wenn er dem tanzenden Affen das Wort Kassura zurief, dann hinkte das Thier wie ein Krüppel, denn Kassura bedeutet so viel wie entzwei. Daher ist dies Wort sehr gebräuchlich. Zerfallene Paläste, zerbrochene Töpfe, ein schlimmes Auge, ein gebrochenes Bein, ein zerreißender Stiefel, ein entwurzelter Baum – Alles ist Kassura. Rief er aber ›ya Salahm‹, dann nahm der Affe seine Kappe ab und grüßte, denn dieser Ausdruck gilt als Bewunderung und Anerkennung bei feierlichen und unfeierlichen Gelegenheiten. In das Hütchen mußten wir natürlich etwas Kleingeld legen, da von dem Europäer verlangt wird, daß er sein ›ya Salahm‹ mit klingender Münze bekräftigt.

So kann man durch Gaukler und Affen ebensowohl Sprache erlernen wie durch Professoren, jedoch vernachlässigen die ersteren das Grammatikalische, während die letzteren auf das Sprechen und Verstehen untergeordneten Werth legen, weshalb es gut ist, bei Beiden in die Lehre zu gehen, denn was nützt schließlich die feinste Sprachwissenschaft, wenn man zweifelhaft ist, wie es heißt: ›Wo geht es hier lang?‹ oder: ›Geben Sie mir dies und das!‹ – Auch Schlangenbeschwörer zeigten ihre Künste. Sie hatten die ägyptische Brillenschlange – die Haje – in einem leinenen Sack bei sich und schütteten sie auf die Erde. Das Reptilium that, als wenn ihm das ganz egal sei. Erst wenn der Bändiger den Schwanz der Schlange zwischen beiden Händen heftig ribbelte, ward sie wild, richtete den Vorderkörper auf, blähte den Hals breit wie einen länglichen Löffel und schnellte den kleinen Kopf mit den funkelnden Augen gegen den Peiniger. Dann sah das Thier unheimlich schön aus, gerade so, wie die Schlange, welche die alten Aegypter vielfach abbildeten, denen sie als Sinnbild der Herrschaft über Leben und Tod galt. Der Biß der Haje ist unheilbar, aber die, welche wir sahen, waren alle beim Zahnarzt gewesen und hatten sich die Giftzähne ausziehen lassen. Dies wußten jedoch die Affen nicht, die unschädliche Schlangen und Eidechsen in ihre Pfoten nahmen, die Haje dagegen ängstlich flohen; ohne jegliches Aquarium und sonstigen Unterricht unterschieden sie, ob es eine Anfaßschlange oder eine zuschnappende mit tödtlichem Ausgange. Herr Zwilchhammer sagte, das mache der Instinkt. – »Ganz gut!« erwiderte ich, »aber wo haben sie den her?« – »Allmälige Vererbung der Erkenntniß ist das, was man Instinkt nennt. Die Gebissen erkannten die Wirkung des Giftes – –« – »Und vererbten sie nach ihrem Tode ihren Kindern und Kindeskindern?« fiel ich ihm ins Wort. »Nein, das kann nicht sein. Der Instinkt ist der natürliche Abscheu. Als wir die Stützen hatten, konnte mein Mann die Idiß vom ersten Antritt nicht besehen, das war richtiger Instinkt. Hätte ich der ursprünglichen Eingebung gefolgt, sie wäre nie über unsere Schwelle gekommen. Ganz dasselbe ist mit den Affen.« – »Wilhelmine,« sagte mein Karl, »Du machst Dich ja sehr intim mit dem Gethier.« – »Karl, wer populäre Vorträge besucht, läßt in der Wissenschaft die Grenzen fallen. Ohne Affentheorie ist wahre Aufklärung heutzutage unmöglich. Im Uebrigen will ich mir jedoch jede Anspielung verbeten haben.«

Wie groß die Angst der Affen vor der Brillenschlange war, das erlebten wie an einem bösartigen Pavian, der trotz des Maulkorbes zu beißen suchte und seinem Bändiger die Beine mit den Krallen blutig riß. Erst als der Schlangenbeschwörer mit der Haje den Affen zu Leibe ging, ließ er ab und flüchtete, soweit die Kette gestattete. Wer das rechte Mittel besitzt, kann wilde Wuth zügeln; wo Liebe nicht ausreicht, muß die Furcht herbei. Nicht ohne Bedeutung wählten die alten Aegypter das Bild der Haje zum Zeichen göttlicher Macht.

Das auffallendste Kunststück der Schlangenbändiger bestand jedoch darin, daß sie das Thier am Nacken faßten und ihm in den geöffneten Rachen bliesen, wodurch es starr und regungslos wurde, wie ein Stick. »So thaten die Magier vor Pharao,« erklärte Herr Zwilchhammer, »als Moses seinen Stab in eine Schlange verwandelte, denn wahrscheinlich waren ihre Stäbe solche hypnotisirte Hajes, die beim Hinwerfen aus der Betäubung aufleben.« – In der That ringelte sich die Schlange wieder, wenn der Mann sie heftig erschütterte.

Herr Zwilchhammer erwies sich nach den verschiedensten Seiten hin unterrichtet, daß ich nicht umhin konnte, ihn zu fragen, ob er sich von Jugend auf dem Photographiren gewidmet habe, oder andere Pläne verfolgt hätte.

»Meine verehrte Frau Buchholz,« sagte er, »mein Leben würde eine wenig ergötzliche Historie abgeben, wollte ich es Ihnen bis ins Kleinste erzählen. Ich wurde erzogen, wie leider oft genug der Fall, mit Hintansetzung aller erwerbsmäßigen Dinge, die Aufmerksamkeit nur auf das gerichtet, was als Gelehrsamkeit gilt.«

»Einzig was in Büchern bestätigt ward, durfte als wissenswerth erscheinen. So kam es, daß ich in Asien besser Bescheid wußte, als in der Heimath, die Staatsverfassung der Griechen und Römer genauer kannte, als die unserige, mit dem Perikleischen Zeitalter beschäftigt, dem Schritte unserer Zeit nicht gefolgt war. Als ich mich später in die Nothwendigkeit versetzt sah, mein Wissen zum Unterhalt auszunutzen, da stellte sich heraus, daß die Nachfrage gering war. Als Professor hätte ich meinen Platz ausgefüllt, aber es fehlte mir an Konnexionen, an Fürsprache, mit einem Worte an Glück. Ich schrieb ein gelehrtes Werk »über die taktischen Fehler Cäsars im gallischen Kriege«, aber den Unbekannten mieden die Verleger.« – »Waren Sie denn Militär, daß Sie es Cäsar'n so nachweisen konnten?« – »Aus den Klassikern hatte ich geschöpft.« – »Zu viel Bücher sind doch am Ende ein Mißgriff. Und schließlich, wen gehen die Fehler Cäsars etwas an? Der Mann ist ja schon so lange todt.« – »Die wissenschaftliche Welt,« rief er erregt. Nach einer Weile fuhr er fort: »Vielleicht haben Sie Recht. Ich verlangte, daß man meine Klugheit, meinen Fleiß bewundere, ohne zu bedenken, daß hundert Andere dasselbe für sich fordern, denen ich gleichgültig sein mußte. Ich gab die Konkurrenz im Gelehrtenstaate auf und denke mit Hülfe der Photographie Geschäfte zu machen. Afrika ist das Land der Hoffnungen, das Goldland der Kolonialbestrebungen, Aller Augen sind auf den Erdtheil gerichtet, der unbekannte Reichthümer in Mengen birgt.« – »Erlauben Sie,« warf mein Karl ein, »unbekannt ist im Grunde genommen doch so viel, wie nicht vorhanden.« – »Man vermuthet Bodenschätze aller Art.« – »Für mich ist ›Soll‹ und ›Haben‹ zweierlei.« – »Ich fürchte,« bemerkte ich dazwischen, »es geht mit Afrika, wie mit den Büchern, es ist sehr interessant, was darin steht, aber schlecht für das Praktische zu verwenden. Aegypten jedoch ist eine Gegend mit sehr offenkundigem Reichthum, und die praktischen Engländer haben sich da festgeankert. Ihre Flotte ist die Haje, mit der sie einschüchtern.« – »Wenn sie man feste Zähne hat, sagte mein Karl.

Herr Zwilchhammer rieb sich die Stirn, als wollte er einen Posten unangenehmer Gedanken wegwischen, der sich während des Gesprächs angehäuft hatte, und sagte: »Afrika bleibt dennoch der Platz der Zukunft: es ist schon zu viel darüber geschrieben. Meine Photographieen werden Anerkennung und Absatz finden.«

Wir fragten, ob er gut vorwärts komme. Er klagte, daß es so schwierig sei, die empfindlichen Platten von Deutschland schicken zu lassen, da die Kisten auf dem Zoll nur in seiner Gegenwart im Dunkeln, bei dem Lichte einer rothen Lampe, geöffnet werden dürften, weil jede, auch die geringste Spur Tageslicht sie verdürbe. Eine Sendung sei schon ruinirt, die zweite erwarte er in diesen Tagen. Jetzt wäre sein Vorrath verbraucht, und er habe Zeit, neue Punkte aufzusuchen, von denen er Aufnahmen machen wolle. Ob wir Lust hätten, ihn zu begleiten. Er könne uns auf Mancherlei aufmerksam machen, da er bereits etliche Wochen in Kairo weile. Dankbar nahmen wir den Vorschlag an.

Für gewöhnlich mieten die Reisenden sich einen sogenannten Hotel-Dragoman, einen unbeeidigten Fremdenführer, der Einen durch Dick und Dünn nach den Kaufleuten schleift, von denen er seine Prozente erhält. Die Räubergeschichten, welche er in verschiedenen gebrochenen Dialekten erzählt, bekommt man gratis, was auch noch zu theuer ist, da sie falsch sind. Herr Zwilchhammer war zum mindesten bücherfest.

Wie ich schon erwähnte, führt vom Nilhotel eine schmale Gasse auf die Muski zu, so daß kein Wagen direkt vorfahren kann. Herr Friedmann, der Hotelbesitzer, hat sich die größte Mühe gegeben, die Baracken zu kaufen und eine Anfahrt herzustellen, allein, da in einigen der Häuser mohammedanische Heilige begraben sind, an deren Katafalken die Frommen beten, bleiben sie bis zum Einsturz stehen. Für den gebotenen Preis wären sie in Berlin längst losgeschlagen, ohne die Knochen der Heiligen extra zu rechnen. Wenn unser Magistrat durchbrechen will, kennt er kein Hinderniß. Am Eingang der Muski ist ein Droschkenhalteplatz, eine Errungenschaft gegen früher, als nur der Vizekönig Kutschen besaß, und die übrige Menschheit entweder Esel reiten oder mit einem Ochsengespann fahren mußte. Auf der Höhe steht das Droschkenwesen noch nicht. Zunächst kümmert sich keiner von den braunen oder schwarzen Kutschern um die Taxe, die sie nur für eine überflüssige Bemühung der Behörde ansehen. Man muß also vorher den Preis der Fuhre abmachen. Zum Zweiten kennen die Kutscher keine Straßennamen, und da Häusernummern überhaupt nicht existiren, muß man sich darauf beschränken, ihnen die Richtung anzugeben, nach welcher sie fahren sollen. Dies geschieht, indem man ein Hauptgebäude nennt, das in der betreffenden Gegend liegt, entweder eine Moschee, einen Palast, ein Hotel oder die Wohnung eines angesehenen Mannes. Wenn der Fahrgast nicht Bescheid weiß, kommt er nie dahin, wohin er wünscht, sondern an einen beliebigen Ort, wo weder er noch der Kutscher sich auskennen. Unterwegs muß man den Kutscher selbst lenken, indem man ihm ›yeminak‹ zuruft, wenn er rechts, ›schemalak‹, wenn er links in eine Straße biegen, und ›durr‹, wenn er halten soll. Mir versicherte Frau Dr. Herzbruch, die wir bei Herrn Kommerzienrath Bosch kennen lernten, daß ihr eigener Kutscher noch immer kein Verständniß für die Straßen habe. Sie müsse ihm z. B. sagen: ›fahre nach der Salatfrau‹, wenn sie nach der einen, und nach der ›Dame mit dem Hut‹, wenn sie nach einer anderen Richtung wolle, denn die Frau, bei der sie einmal Salat gekauft habe, kenne er, und ihre Freundin, deren Federhut ihn geradezu überwältigt, sei ihm unvergeßlich. Einmal in der Fahrt, lenke sie ihn dann mit rechts und links und geradeaus.

Da Herr Zwilchhammer die nöthigen Erfahrungen hierin bereits erworben hatte, kamen wir ohne Festfahrt vorwärts und statteten einigen Moscheen unseren Besuch ab, zu deren Besichtigung wir durch Herrn Franz Pascha eine Erlaubniß vom Wakufministerium erhalten hatten, das die Verwaltung der Moscheengüter unter sich hat.

Moscheen sind von außen an einer großen Mittelkuppel kenntlich, an die sich kleinere Kuppeln wie Erker anlegen und an den Minarehs, die wir Pfeifenröhren schlank in die Höhe gehen. Inwendig theilt sich die Moschee in einen Hof mit Brunnen für die vorgeschriebenen Waschungen und in das Allerheiligste unter der Kuppel. Hier sind Teppiche und Matten gelegt, auf denen der Gläubige niederkniet, das Antlitz der Nische zugewendet, welche die Richtung nach Mekka angiebt. Auch eine schmale aufgetreppte Kanzel ist vorhanden, von der des Freitags eine Predigt geredet wird; ein auf Säulen ruhender Aufbau dient ebenfalls als Sprechtribüne. Von der Decke herab hängen zahlreiche Lampen und Laternen. Im Uebrigen ist der Raum leer. Kein Bild schmückt die Wände, keine Statue erfreut das Auge. Dagegen sind Mosaikinschriften, Arabesken, Blätterwerk in reizvoller Weise angebracht, theils gut erhalten, theils stark ramponirt, je nach dem Alter der Moschee.

Die erste Moschee, welche wir besichtigten, war die altberühmte Dschami Sultan Hasan, ein kolossales Gebäude und ziemlich baufällig. Vor dem Eingange ist ein etwa fußhoher Holzbalken angebracht, über den man erst schreiten darf, nachdem man Lederüberschuhe angezogen hat, denn in das Heiligthum darf kein Staub der Straße getragen werden. Die Moslem ziehen die Schuhe aus, gehen zum Brunnen, waschen Gesicht, Hände und Füße und stellen sich barfuß zum Gebet. In der Wüste, wenn sie kein Wasser haben, dürfen sie sich mit Sand abreiben.

Mir war das Herumschlurren in den gelbledernen Fußpaletots nicht gerade angenehm, denn ich hatte in diesen Kindersärgen noch für ein Paar Füße Platz, aber es ist rathsam, die hergebrachten Gebräuche ohne Widerstreben mitzumachen, denn in ihren Heiligthümern sind die so wie so ziemlich humorlosen Orientalen gänzlich ohne Sinn für komische Auffassung. Es ist noch garnicht lange her, daß den Fremden der Zutritt in die Moscheen gestattet wird. Für mich war in der Sultan Hasan-Moschee das Merkwürdigste ein Blutfleck auf dem Steinfußboden. Leider ließ sich, obgleich wir alle Drei unsere Sprachkenntnisse zusammenlegten, nicht in Erfahrung bringen, wen sie hier einstmals abgeschlachtet hatten. Herr Zwilchhammer sagte, die Geschichte der osmanischen Herrscher sei mit Blut geschrieben. »Das sehe ich,« war meine Bestätigung, »dieser Fleck scheint mir ein redendes Punktum aus ihrer Biographie zu sein.« – Köpfen war dermalen ungefähr so, als wenn bei uns Jemand pensionirt wird, und das Gift saß ungemein flüssig. War ein Mann unbequem, luden sie ihn zum Kaffee ein, und in die Tasse, die man ihm gab, war zufällig Grünspan hineingerathen oder was sonst das Leben plötzlich verkürzt. Dies schlug recht in Herrn Zwilchhammers früheres Studium ein; die Khalifen hatte er genau gehabt mit Jahreszahlen und Datum, wie sie aufeinander folgen, und die Throne gewechselt wurden. Aber wenn man sich überlegt, daß er für den ganzen Brast weiter keine Verwendung fand, als nur Moscheen damit zu erläutern, konnte er Einem leid thun, denn Zahlen halten bei mir nicht lange aus. Das Grausame setzt sich tiefer, und aus diesem Grunde bringen die Zeitungen mit Vorliebe die entlegensten Mordthaten, obgleich man keinen der Betheiligten kennt, z. B. aus Archangel, wo ein betrunkener Mann eine Kuchenfrau erwürgt hat, oder aus Michigan, wo ein Pferdedieb den andern mit dem Revolver erschoß. Und das nennen sie Volksbildung.

Der Sultan Hasan-Moschee gegenüber liegt eine zweite unvollendete, weil die Säulen zu dünn berechnet gewesen waren und der Bau inwendig einstürzte. Sie bildet schöne Umfasssungsmauern mit einem inneren Trümmerhaufen und wird wohl nie wieder zu Stande kommen. Mein Karl wies darauf hin, wie in Deutschland die alten Baudenkmale ausgebessert würden, wie emsig man sich bemühe, das Schöne und Ehrwürdige aus vergangener Zeit zu bewahren, wie das ganze Volk zum Kölner Dom beigesteuert habe und Jeder sein Scherflein gab. – »Du nennst das Scherflein?« fragte ich, »Zehn Loose nahm ich zur Marienburger Lotterie und keins ist herausgekommen.« – »Deine zehn Mark werden verbaut,« lachte er, »und wenn spätere Geschlechter, die Marienburg bewundernd, sich ein Beispiel an dem erhaltenden Sinne ihrer Vorfahren nehmen, erfüllt auch Dein Beitrag seinen Zweck.« – »Ich will Dir nicht widersprechen, aber ich sehe nicht ein, weshalb ich nicht hätte ebenso gut gewinnen können wie beliebig Jemand anders.«

Durch lange und kurze, gerade und krumme Straßen fuhren wir nun einen weiten Weg. Dies war das richtige arabische Kairo, für Herrn Zwilchhammer malerisch, für mich mehr eine Sammlung von Bullenwinkeln.

»Sagen Sie,« fragte ich ihn, »weshalb sind an einzelnen Häusern Löwengethier, Schiffe, Eisenbahnwagen und dergleichen gemalt, als hätte der kleine Moritz aus den fliegenden Blättern karren geholfen?« – »Hadschi« – »Gesundheit!« – »In solchen Häusern wohnen Hadschis.« – »Ach so. Was wollen die denn?« – »Es sind Pilger, die in Mekka waren und ihre heilige Reise in einer naiven Weise schildern.« – »Sind das auch Hadschis mit grünem Turban auf?« – »Nachkommen des Propheten.« – »Also mitten mang dem Islam. Dies paßt mir nicht.« –

Wir waren die einzigen Europäer in dieser Gegend. Meine Stimmung wurde keineswegs lichter, als Herr Zwilchhammer auseinandersetzte, daß wir die Moschee El-Azhar besuchen würden, die Universität des Landes, wo die jungen Leute die Religion Mohammeds studiren und der Fanatismus ihrer Lehre seine Pflanzstätte hat, daß es dringend geboten sei, durch keine Miene die glaubenseifrigen Jünglinge herauszufordern.

Man muß auf Reisen ja leider alles sehen, und da wir den Erlaubnißschein zum Eintritt hatten, fügten wir uns. Im Grunde meines Herzens wäre ich am liebsten umgekehrt, denn jedesmal in einer Moschee überkam es mich mit Angst. Man ist nur geduldet, man weiß nicht, ob man unwissend die Gefühle der Mohammedaner verletzt und irgend einer der wild ausschauenden Kerle wüthend wird. Sie grollen so wie so schon mit heimtückischen Blicken. Und war nicht erst vor wenigen Jahren in Alexandrien der große Christenmord vorgefallen?

Die zwischen Häusern versteckte El-Akzhar macht trotz ihrer Größe einen dürsteren Eindruck, der noch unheimlicher durch das Gelärme wird, das den nichtsahnenden Besucher empfängt. Im Hofe nämlich und in dem großen Hauptraume hocken auf den Matten des Fußbodens die Studenten im Kreise um ihre Lehrer. Hier ein Lehrer, da ein Lehrer, vor der Säule, hinter der Säule, wo ein Fleck ist, wird gelehrt, und zwar laut. Daß Einer den Anderen nicht irre macht, ist mir schleierhaft, aber Gewohnheit thut viel.

Gegen fünftausend Studenten mit über zweihundert Professoren kramen hier in der Weisheit des Koran herum. Erst lernen sie Religion und dann die aus ihr hervorgehende Rechtswissenschaft. Etliche der jungen Leute schreiben das Vorgelesene nach, andere reden es laut, andere liegen im Gebet mit der Stirn auf dem Fußboden. Ein besonders frommer Jüngling hatte einen blauen Placken vor der Stirn, wie eine verhärtete Schwiele, die er sich beim Beten mit dem fortwährenden Aufschlagen des Kopfes auf den Fußboden zugezogen hatte. Herr Zwilchhammer äußerte nachher, der würde es noch weit in Ansehen und Stellung bringen.

Aus allen Ländern zieht die Universität Studirende an, aus der Türkei, aus Indien, aus Syrien, Westafrika, Nubien, Arabien, Ostafrika; die Hauptmasse stellt naturgemäß Aegypten selbst. Es war Herrn Zwilchhammers sehnlichster Wunsch, in diesem Lehrinstitut Aufnahmen zu machen, aber die Frömmigkeit gestattet es nicht. Er und sein Apparat würden wohl nur in Stücken wieder herauskommen.

In der frischen Luft ward mir wieder brustfreier zu Muthe, als da drinnen bei dem Mohammedanismus. Der liebe Gott bleibt ja schließlich derselbe, nur die Menschen betrachten, was er geschaffen, durch verschieden gefärbte Gläser und meinen, so sähe er selbst aus. Wie sehr ungleich ist er je nach dem Pastor! Bei dem einen ist er freundlich und nachsichtig, und mag es wohl leiden, wenn die Menschen auch fröhlich sind, bei dem Anderen ist er grimmig und strenge und nur dann zufrieden, wenn die Menschen von dem fortwährenden Sündenessigtrinken sauer sehen. Der englisch-amerikanische liebe Gott kann nicht vertragen, wenn Sonntags gekocht und das Bett gemacht wird, in Deutschland gönnt er Alt und Jung das bischen Pappen in Familien- und Freundeskreisen. Dem Mormonen-Papst gestattet er eine Menge Frauen, der römische Papst darf keine einzige haben. Und was das Schlimmste ist, die eine Partei hält die andere für unrettbar verloren, und sagt: »Ihr kommt in die Hölle, wenn Ihr nicht unserer Ansicht seid. Wir wollen Euch schon den Paß ausstellen.« Könnten die Menschen, wie sie möchten, ich glaube, der Teufel müßte wegen Platzmangel anbauen.

Von El-Azhar fuhren wir durch ein Straßenlabyrinth nach den Windmühlenbergen am Ende der Stadt, zu den Khalifengräbern, einem außerhalbschen Stadtviertel von verfallenen Moscheen, in braungrauem Wüstenstaube. Mir war zu viel Kasssura vorhanden, um Genuß daran zu finden, und die ärmliche Anwohnerschaft erweckte kein Vertrauen zu näherem Umgange. »Herr Zwilchhammer,« sagte ich, »ich bin jetzt vollkommen überzeugt, daß Moscheen nicht ewig halten, sondern recht einsturzlustige Gebäude sind. Mehr mag ich nicht davon.« – Er entgegnete, daß man allerdings offenen Sinn für dergleichen mitbringen müsse, aber wenn Einer sich keine Vorwürfe gefallen läßt, dann braucht man sich nur an mich wenden. »Wie Sie meinen,« erwiderte ich, »allein meine Großmutter pflegte zu sagen, man muß nicht von Allem haben, und wenn schon, nicht zu viel auf einmal. Und das war eine kluge Frau, die es bis hoch in die Achtziger brachte.«

Er mochte wohl einsehen, wie recht ich hatte, und wies dem Kutscher eine Art von Weg an, der auf und ab, über Sandhügel und durch Kuten, nach der Zitadelle führte. Links erhob sich der Bergrand der arabischen Wüste, rechts säumte ein mohammedanischer Friedhof mit tausenden, weißen Grabmalen die Stadt ein, vor uns baute sich die Festung auf mit der Mohammed Ali-Moschee, deren feine Minarehs wie Nadeln in das Blau des Himmels stechen. In diese Betanstalt kriegte Herr Zwilchhammer uns noch hinein, dann machten wir Schicht mit Moscheenbesehen. Es sind genau genommen immer dieselben schwach möblirten Käseglocken mit Dämmerlicht und beginnendem Verfall. Die Mohammed Ali-Moschee wird freilich in einigermaßenem Zustande erhalten, da sie die Leib-Moschee des Khediven ist, aber die Mauerbekleidung aus gelbem Alabaster giebt sich doch dem Verbleichen hin, wodurch die ursprüngliche Schönheit Einbuße erleidet. Das Innere ist glanzvoll. Goldgrund mit schwarzen und farbigen Arabesken, bunte Glasfenster und rothgrundige Smyrnateppiche von riesiger Breite schattiren in dem Halbdunkel prächtig zusammen, und die blauen, gelben und kirschrothen Sonnenstreifen, die scharf, durch die Kuppelfenster einfallend, den weiten Raum durchschneiden, wirken wahrhaft prangend, zumal wenn sie goldenes Gitterwerk treffen oder von dem spiegelglatten Alabaster der Wände zurückgeworfen werden.

Von einem Moscheenlungerer um das Gebäude herumgeleitet, gelangt man an eine Brüstung, von der die Stadt sich am herrlichsten ausnimmt. Der Blick ist demjenigen vom Dache des Nil-Hotels ähnlich, nur umfassender, weil der höhere Standpunkt eine meilenweite Rundschau gewährt. Noch einmal letzte das Auge sich an dem Anblicke Kairos im Farbenzauber des Sonnenunterganges und an der Fernsicht in das Land der Pyramiden. Leider erinnerte unersättliches Bakschischabfordern daran, daß wir nicht träumten.

Im Hotel angelangt, hatten wir vor der abendlichen Hauptmahlzeit einige Aufnahmen zu betrachten, die Herr Zwilchhammer uns zeigte, die jedoch den eigentlichen Effekt erst in einem Stereoskopkuckkasten hervorbringen sollten, den er allerdings noch nicht vollständig erfunden hatte. »Wenn es damit nur etwas wird,« zweifelte ich im Stillen. In Gedanken macht sich vieles außerordentlich, was nachher nicht klappen will. Hätte er erst den Kasten bewerkstelligt und dann die Photographien dazu, wäre er praktischer gewesen, als beim verkehrten Ende anzufangen. Aber das lag nun einmal in seiner Natur. Vielleicht entdeckt später ein Anderer, woran es hapert, und bessert die Idee zu einer brauchbaren und Gewinn einbringenden Sache aus, von der Herrn Zwilchhammer dann nichts weiter bleibt, als das Nachsehen. Mein Karl rieth ihm daher: »Verpatentiren Sie Ihre Aussichten nur feste, dann haben Sie wenigstens die Papiere darüber.«

Wir sahen auf dem Plane nach, welchen Weg wir eigentlich gemacht hatten. »Er lernt es nie,« sagte mein Karl. – »Wer?« – »Herr Zwilchhammer; praktisch sein. Weißt Du, wie wir gefahren sind?« – »Nun?« – »Ungefähr so, als wenn Jemand vom Schloß nach den Zelten über den Bellallianceplatz geht.« – »Er weiß zu viel, was er nicht brauchen kann,« entgegnete ich. »Laß es ihn bei Tisch nur nicht merken, er meint es gefällig. Komm nur, sie klingeln zur Hauptfütterung.«

Nach der Mahlzeit konnte man entweder in dem Garten verweilen oder, wie in europäischen Städten, ganz sinnig zum Biere gehen. Wo Deutsche sind, dauert es nicht lange, dann kommt das Bierfaß nachgerollt und auch die Einheimischen gewöhnen sich bald an das Getränk, für das die germanische Rasse doch allein richtiges Verständniß hat, denn keine kennt das gemüthliche Zusammensein, Plaudern, Scherzen und Streiten am Biertisch, wie sie. Oft genug hatte ich harte Worte für den Stammtisch, aber in der Fremde lernt man ihn achten, da bildet er den Anziehungsmagneten, der Landsleute am Feierabend, als wäre mit ihm ein Stück Heimath herüber verpflanzt. Unser Bierquartier war bei Böhr, nicht weit von der Muski, nahe der Post gelegen. Ehe man hinkommt, geht man gerade auf das Haus zu, worin der erste Napoleon während des ägyptischen Feldzuges wohnte. Er wollte die Welt erobern, brachte es aber nicht zu Stande; das Bier betreibt seinen Eroberungszug im Stillen und kommt weit damit, woraus man abnehmen kann, daß das langsame Gute dauerhaftere Erfolge erringt als aufeinmalige Gewaltsamkeit.

Bei Böhr war es immer sehr nett: das Oesterreichische Bier, kühl vom Faß, wurde freundlich dargereicht, und das arabische Kellnermuffi in seinem weißen Talar war flink bei der Hand, wenn man »Nuß« rief, was so viel als ein halbes Seidelchen bedeutet. Der Biervater Böhr hat es schwer, seinen Gästen einen frischen Trunk vom Faß zu liefern, denn Keller sind in Kairo nicht zum Kühlhalten brauchbar, da sie jahraus jahrein eine Wärme von gegen zwanzig Grad bewahren. Deshalb muß viel Kunsteis herbei und die Tonne in Behältern lagern, die wie Eisspinde eingerichtet sind. Das Münchener Flaschenbier, Pschorr-, Löwen- und Spatenbräu verlangt die gleiche mühsame Behandlung. Doppelt schenkt man daher dem Gebotenen seine Anerkennung und berappt stillschweigend.

Auch treffliche Auskunft wird dem Reisenden dort zu Theil. Herr Böhr ist in Kairo wohl erfahren, und die Herren, welche bei ihm verkehrten, waren mittheilsam. Herr Kauffmann, einer der ältesten ansässigen Deutschen in Kairo, Hofbuchhändler des Khedive, gab uns manche Schilderung von dem, was Kairo war, bevor die abendländische Kultur es zu modernisiren anfing. Herr Dr. von Niemeyer, der die Hieroglyphen liest, wie sonstige Gelehrte Lateinisch, gab sich Mühe, uns das Nothwendigste von den ägyptischen Göttern beizubringen, wobei ich mich jedoch auf meinen Karl und mein Karl sich auf mich verließ, so daß hinterher er meinte, ich hätte es behalten, und ich ihn vergeblich fragte: »wer kriegte nun den Katzenkopf, die Pacht oder die Isis? Eine von beiden hatte ihn.« – Wenn man in Aegypten Skatkarten mit Mythologie einrichtete, würde sie leicht gelernt werden können, selbst von Unbegabteren, die obersten Gottheiten als Wenzel, und so die Bilder herunter; die Däuse natürlich als Pyramiden. Denn nicht blos Skat wird am Nil gespielt, sondern auch Kegel. Eines Abends nämlich – beim Freiherrn von Richthofen war großer Thee gewesen – hörten wir auf dem Nahchausewege es bullern und ballern. »Mein Gott,« fragte ich, »was ist das?« – »Der Kegelklub Osiris,« erklärte Dr. von Niemeyer, »lauter Deutsche und Schweizer.« – Osiris vergesse ich nun nie wieder, der sitzt. Es kommt eben alles darauf an, wie es gelehrt wird.

Herr Dr. Wild konnte wegen tabüberer Abspannung von Krankenpraxis dem Stammtisch nur selten fröhnen; man war erfreut, wenn er einige »Nusse« lang verweilte. Er ist ein großer Verehrer vom Nordseebar Sylt und läßt sich von Frau Jacobsen dort Strümpfe stricken. »Keine besseren kenne er,« sagte er. Daß mein Karl gerade in Strümpfen groß ist, wußte er wohl nicht. Er fragte auch, ob wir mit Dr. Adler im vorigen Jahr auf Sylt zusammengewesen wären. – »Gewiß,« antwortete ich. »Und wie gut that die Salzluft seinem Tenor. Das Resedalied sang er zum Hinschmachten.« – Wir möchten ihn doch grüßen, er sei ein lieber Freund von ihm. – Das versprachen wir, wobei ich die Nebenabsicht verband, Dr. Adler und seinen Vetter Hans im nächsten Winter für einige Abende zu gewinnen. Das Klavier wird gestimmt und dann los mit Schuberten. Na, der Neid von der Polizeileutnanten.

Die Herren waren einhellig der Meinung, daß wir die verhältnißmäßig kühle Witterung benützen müßten, eine Nilfahrt zu unternehmen. Noch sei es nicht zu spät, den oberen Nil kennen zu lernen, der erst ein richtiges Bild von Aegypten gäbe. Die Reise mit einem der Postdampfer sei bequem und in elf bis zwölf Tagen könnten wir wieder zurück sein, wenn wir uns mit Lugsor und Theben begnügen wollten. Die Fahrt bis zum ersten Katarakt beanspruche allerdings einige Wochen. Wir nahmen uns vor, diesen Fall zu überlegen. Unterbrochen wurde die gemeinsame, anregende Unterhaltung durch fliegende Händler, die uns Stickereien, Fächer, Metallarbeiten und alle möglichen bildschönen orientalischen Waaren anboten, oder auch mit Eßbarem hausirten. Sehr angenehm zum Bier sind in Salzwasser eingeweichte und dann geröstete Pistazien und ein Gebäck, mit Salt und Kümmel bestreut. »Fragen Sie den Araber doch, wie das Backwerk heißt,« munterte Herr Dr. Wild mich an. – »Versteht er Deutsch?« – Sie brauchen nur zu sagen: ›Ismo e‹?« – Ich also gefragt: ›Ismo e‹? – »Stangerle,« antwortete der Araber. Es waren auch richtig vermißquemte Salzstangen.

Brave Araber kehren häufig ein und trinken etliche Töpfchen Bier. Mohammed hat es nicht verboten, weil es zu seiner Zeit noch nicht hinkam, wenn auch die Strenggläubigen Bier als berauschendes Getränk mitsammt dem Weine verdammen. Die Durstigen haben aber einen Ausweg gefunden, indem sie es Medizin nennen, und Medizin können sie nach dem Koran so viel nehmen, wie sie vertragen. Sie verstärken es sogar bisweilen mit einem Schuß Kognak, verlieren jedoch nie ihr würdiges Benehmen. Zum Radau sind sie nicht veranlagt, sondern mehr zum stieren Stillsitzen, mit erzwungener Geradigkeit beim Hinausgehen.

Herrn Böhrs Gartenjardin war auf dem Hofe wie ein Berliner Weißbiergärtchen, nur statt der Epheutöpfe mit einer Palme, in der fliegende Hunde ihr Wesen trieben. Hunde, einerlei, ob sie fliegen oder nicht, gehören auf die Erde, denn daß sie die Staube hatten, laß ich mir nicht ausreden, so wirkte es von oben auf den Tisch und ins Bierglas. Das Ausräuchern mit Schießpulver war erfolglos, sie kamen immer wieder.

In das Hotel zurück konnten wir entweder fahren, Eselreiten oder gehen; wir zogen das Letztere vor, da am späten Abend und in der Nacht das Straßenleben allerlei Neuigkeiten brachte. Man warf einen Blick in die arabischen Kaffeehäuser, wo arabische Sänger und Musikanten auf einer langen Wandbank hockten und eine grauliche Musik veranstalteten, ungefähr so, als wenn nächtliche Kater Noten gelernt hätten. Uns war der Singsang, das Geschnarre der zweisaitigen Geigen, das Gewimmer der Flöte und Klarinette und das Gepauke auf Topftrommel und Tambourin unerträglich, die Eingeborenen hingegen gaben ihrer Bewunderung durch häufiges und lautes »ya Salahm« Ausdruck. Eine Nummer klingt wie die andere, unsereins konnte keinen Unterschied bemerken. Wie die Sänger diese Tonfolgen behalten, ist mir ein unlösliches Räthsel.

Alle Art ihrer Musik geht nach demselben Leisten. Wenn sie in einer Straße den Stiftungstag einer Moschee begehen oder das Andenken eines Heiligen, wird die enge Gasse mit buntem Zeltdach überspannt und Fahnen hängen an den Wänden. Unter diesem Dache sitzen die Feiernden auf Teppichen; Lichter und Lampen erhellen die Stätte, daß der Schein weit hinausdringt, und bei Kaffee, Wasser und Tabak preisen sie Allah mit ziemlich denselben verwuselten Weisen, die auch in den Tingel-Tangels die Ohren orientalischer Kunstfreunde kitzeln. Vielleicht hat die amerikanische Heilsarmee hier gelernt, denn die gröhlt ihre Bußpsalmen nach ›Lott' ist todt‹ und ›Fischerin, Du Kleine‹ und anderen weltlichen Melodien.

Mitunter begegnet man beim Heimgange einem Bräutigam-Geleite, das langsam durch die Straßen zieht, da es Sitte ist, der Sehnsucht des Freiers durch zögerndes Wandeln den Schein der Gleichgültigkeit zu verleihen. Ein langer Zug von Verwandten und Freunden des Bräutigams schreitet daher, in wohlgemessenen Zwischenräumen flache Gestelle tragend, die in der Form von Sternen, Dreiecken und Kreisen, dicht mit brennenden Kerzen besteckt, feuriger Mosaik gleichen. Das Licht dringt nach oben, die braunen Gesichter der Tragenden und Mitziehenden erleuchtend und die farbigen Kopfbedeckungen und Gewänder und die Häuser, deren Fenster sich öffnen, in denen Neugierige erscheinen. Von Zeit zu Zeit wird Halt gemacht und ein Gesang angestimmt. Dann verharrt die große weite Gruppe wie ein lebendes Bild in der Straße unter dem gestirnten Nachthimmel, bis es sich wieder regt und vorwärts wandelt. An den Biegungen der Gassen, durch die der Zug seinen Weg nehmen wird, stehen schweigsame Fackelträger, unbeweglich wie Statuen halten sie doppelarmige eiserne Gestelle, aus deren durchbrochenen Pfannen kleine brennende Scheite flackerndes Licht auf die nächste Umgebung werfen. Barbeinige Gestalten huschen von einem der lebendigen Leuchterpfähle zum andern und versorgen die Pfannen mit kienigem Holz, wenn die Gluth nachläßt.

Immer näher rückt der Zug, man vernimmt den Gesang, der Schein der Kerzen meldet die Kommenden. Nun erfüllt heller Glanz die Straße; die sind da. Jetzt gesellt sich Musik dem Zuge. Trommel und Tambourin, Flöte, Klarinette und Laute fügen sich der Melodie des Gesanges ein, und wie das Bild einer Zauberlaterne verschwindet der phantastische Schwarm, von einer Krümmung der Gasse verdeckt. Das war dann echter Orient, eine Fantasia.

Alles Außergewöhnliche, über das täglich Nothwendige Hinausgehende bezeichnet der Araber mit Fantasia. Ein wenig Feuerwerk, Musik und Tanz, ja das einfache Ringel-Rosenkranz der Kinder ist ihm Fantasia. Unser kleiner Affenbändiger im Garten des Hotels nannte das Spiel mit seinem klugen Thiere Fantasia, und wenn ein arabischer Maler die Wände eines Zimmers mit zierlicher Borte umrändert, macht auch er Fantasia. So genau unterscheidet er zwischen dem unumgänglichen Bedarf und dem Schmucke des Lebens. Wie oft sind wir gleichgültig gegen das, was den Alltag verschönert. Ja, es giebt Leute, die jegliche Phantasie für unnützen Schwindel halten. Was bleibt ihnen? Höchstens Essen und Trinken.

Ganz ruhig wird es in Kairo, glaube ich, zu keiner Stunde, mindestens leeren die Straßen sich nie, denn überall vor den Thüren der größeren Häuser und der Kaufläden liegt der schlafende Wächter, über den hinwegsteigen muß, wer in das Haus will. Ein aus Palmrippen geflochtenes niederes, schmales Gestell bildet das Bett, auf dem er sich ausstreckt, und in eine Decke gewickelt, gleicht er einem Packet, das vergessen worden ist, hinein zu nehmen. »Da ist wieder einer weg,« sagte mein Karl, wenn wir einem Schlafenden ausweichen und von dem schmalen Bürgersteig treten mußten, um nicht über das Nachtquartier zu fallen. Einige mummeln sich in ihren Kaftan ein und schlafen, an eine Mauer gedrückt, auf der blanken Erde. Das sind Arme, die keine Schlafstelle haben und nicht einmal ein Korbgeflecht, das sie vor Skorpionen und sonstigem Kriechgethier schützt. Nur leicht schließt der Schlummer ihre Augen. Erschallt der Ruf des Muezzin vom Minareh durch die Nacht, richten sie sich auf, wenden das Antlitz nach Mekka und preisen Allah, den Allbarmherzigen, den Erbarmungsreichen, der das Geschick aller Gläubigen in seiner Weisheit vorausbeschlossen hat und auch die Armen und Elenden in sein Paradies führen wird, wenn sie bekennen: es ist nur ein Gott und Mohammed ist sein Prophet.

 

 


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