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Dichter und Denker


Über die Herausgabe von Privatbriefen

Ob ich die Herausgabe von Privatbriefen mißbillige?

Du lieber Himmel! Mit grimmiger Wonne ergreife ich die Gelegenheit, endlich auszusprechen, was ich schon hundertmal zu sagen Lust verspürte. Nämlich:

Erstens, daß ich schon das Vorbeischielen vom Werk nach des Verfassers Persönlichkeit für einen Verderb halte, deshalb weil es die Aufmerksamkeit von der Hauptsache auf die Nebensache lenkt und weil es dem literarhistorischen Instinkt Vorschub leistet, welcher ohnehin in Deutschland den poetischen Instinkt zu ersticken droht.

Zweitens, daß ich alle und jede postume Herausgabe von Briefen mißbillige, und wären es selbst Briefe von Goethe und Schiller. Man tue doch andern nicht an, was wir nicht möchten, daß man uns antue; wer von uns ist denn davor sicher, eines Tages berühmt zu werden? Nun, möchten zum Beispiel Sie, Herr Kollege, daß man nach Ihrem Tode Ihre Briefe herausgäbe? Schwerlich. Und was wäre das für eine ekelhafte Nötigung, wenn wir bei jeder Zeile, die wir irgend jemand schreiben, erst überlegen müßten, wie sich das später in der Öffentlichkeit ausnehmen werde. Ich verlange für uns Dichter und Künstler so gut wie für jeden andern Menschen das Recht, unbefangen und harmlos, und falls die Zeit drängt, auch hastig und unüberlegt, und wenn wir in munterer Stimmung sind, sogar Unsinn und Torheiten zu schreiben. Damit wir aber das zu können vermögen, müssen wir davor sicher sein, daß unsere Privatkorrespondenz später einmal von unbeteiligten und nüchternen Menschen unter die kritische Lupe genommen wird. Sonst werden wir vorsichtshalber gezwungen sein, bei jedem Brief, den wir schreiben, einen Pfarrer, einen Ethiker und einen Literaturprofessor zuzuziehen, damit sie uns darüber beruhigen, daß das Schriftstück vor den Augen der Nachwelt bestehe. Man behauptet etwa, gerade in hastig geschriebenen, unbefangenen und unüberlegten Briefen offenbare sich der Charakter des Brief Schreibers am natürlichsten, ungefälschtesten, so in einer Art autopsychischem Seelenfingerabdruck. Warum nicht gar! Im Gegenteil. Wer gezwungen ist, eine Unmenge Briefe in fliegender Hast zu schreiben (und wer ist das nicht?), der schreibt gar oft Sätze, die seine Meinung nicht richtig ausdrücken, weil er in der Eile die richtigen Worte nicht findet, also Sätze, von denen er weiß, daß er sie eigentlich korrigieren sollte, die er aber in Gottes Namen laufen läßt, um nicht den Brief von neuem anfangen zu müssen, mit dem Trost: «Es kommt ja nicht auf das einzelne Wort an, der Adressat versteht mich schon, und es ist ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.» Verhält es sich nicht so, werter Kollege?

Also ich verabscheue jede Herausgabe von Privatbriefen schon darum, damit uns Dichtern und Künstlern das heilige Menschenrecht gewahrt bleibe, gelegentlich auch Unsinn schreiben zu dürfen, wenn es uns beliebt. Wir wollen doch weiß Gott nicht bei lebendigem Leibe Marmor stelzen.

Damit habe ich natürlich auch ausgesprochen, daß niemand von mir ‹interessante› Privatbriefe von berühmten Männern zur Herausgabe bekommt; einzig mit Conrad Ferdinand Meyer habe ich eine Ausnahme gemacht, weil mich der Herausgeber zu überzeugen wußte, daß Conrad Ferdinand Meyer sogar seine Privatbriefe im Hinblick auf die Öffentlichkeit schrieb.

Um aber dieses Kapitel würdig abzuschließen, sage ich noch ein zweites, was ich ebenfalls schon längst hatte sagen wollen, etwas ganz Persönliches: Ich hinterlasse hiemit feierlichst in aller Höflichkeit, aber auch in allem Ernst jedem, der nach meinem Tode einen Privatbrief von mir veröffentlichen sollte, meinen innigsten, tiefgefühlten Fluch. Zugleich mit dem heiligen Versprechen, ihm jede Nacht um zwölf Uhr als Gespenst zu erscheinen und ihm das Leintuch herunterzuzerren.

Und damit «Hu!»


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