Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel

Seit dem Einzuge des Königs in Lemberg war diese Stadt die Hauptstadt, der Sammelpunkt der Republik. Mit dem Könige zugleich waren die größte Zahl der Bischöfe des Reiches in Lemberg eingekehrt und alle diejenigen Senatoren, welche nicht zum Feinde hielten. Die ausgegebenen Befehle beriefen ebenfalls den Adel von Reußen und anderer benachbarten Provinzen, der um so ungehinderter und zahlreicher erschien, da jene Gegend ganz frei von Schweden war. Es war wirklich herzerquickend zu sehen, wie freudig alles, was fähig war eine Waffe zu führen, herbeieilte, um sich der allgemeinen Erhebung anzuschließen. Und wie verschieden war diese Erhebung von derjenigen dazumal in Großpolen, die bei Uschtz ein so klägliches Ende fand. Hier sammelte sich um den König ein Heer wackerer, kriegstüchtiger Männer, die von Kindesbeinen an ein Leben im Sattel gewöhnt waren und die im steten Kampfe mit den Horden blutgieriger, brandschatzender Tartaren gelernt hatten mit dem Schwert, statt mit der Zunge zu fechten. Noch waren ihnen die sieben Jahre währenden Metzeleien Chmielnizkis zu frisch im Gedächtnis, als daß sie die Führung der Waffen hätten verlernen sollen; es befand sich kaum ein Mann darunter, der nicht so viele Schlachten und Gefechte mitgemacht hatte, als er Jahre zählte. Die Zuzüge mehrten sich von Tag zu Tag. Sie kamen aus allen Gegenden, von dem zerklüfteten Bieschtschadow die Einen, die Anderen vom Prut, und vom Seret her. Die Ansiedler aus den Niederungen des Dniepr mit seinen reißenden Wassern, diejenigen, die am glatt und breit dahinströmenden Bohem und den lieblichen Ufern der Sieniucha ihre Hütten gebaut hatten, und aus dem Inneren des Landes die Bauern, bis hinein in die tartarischen Gebiete sie Alle, Alle, folgten dem Rufe des Königs, Auch aus Wolhynien und den ferner liegenden Wojewodschaften eilten Adlige und Bauern herbei, denn die Nachricht, daß der Feind Tschenstochau belagert halte und die Klosterschätze mit dem Bilde der Gottesmutter in Gefahr seien, den Schweden in die Hände zu fallen, hatte die ganze Republik bis in die fernsten Winkel mit Entsetzen erfüllt. Von den Kosaken brauchte man nichts zu befürchten, selbst die rohesten Gemüter wurden von dem Elend im Vaterlande erweicht, auch sie lehnten sich gegen die Schwedenherrschaft auf und wer von ihnen nicht freiwillig gegen den Landesfeind auszog, der wurde von den Tartaren gezwungen, dem König Johann Casimir zum so und sovielten Male den Eid der Treue zu leisten.

Unter der Führung Subaghasi-Beis befand sich auch bereits eine tartarische Gesandtschaft in Lemberg, welche dem Könige im Namen des Chan ein Heer von hunderttausend Tartaren zur Vertreibung der Schweden zur Verfügung stellte, von welchem vierzigtausend Mann in Kamienz bereits des Befehls harrten, abzumarschieren.

Außerdem fand sich eine Deputation aus Siedwiogrod ein, zwecks Einleitung der Verhandlungen, betreffend die Feststellung der Thronfolge Rakotschys, Ein Gesandter des Kaisers, ein päpstlicher Nuntius, der zugleich mit dem Könige eingetroffen war, verschiedene Deputationen der litauischen Kronenheere, der verschiedenen Wojewodschaften und Provinzen befanden sich ebenfalls bereits in Lemberg, um dem Könige ihre Gelöbnisse der Treue zu Füßen zu legen.

Das Ansehen des Königs war in stetem Steigen begriffen und die noch vor kurzem tief in den Staub getretene Republik erhob sich langsam, aber stetig, zur Verwunderung der Nationen und Zeitgenossen. Die Herzen der Menschen entbrannten in Kriegs- und Rachelust, trotzdem waren alle frohgemut, denn eine neue Zeit war angebrochen. Wie der laue Frühlingsregen den Winterschnee hinwegtaut, so verdrängte hier die mächtige Hoffnung die Verzweiflung. Man wollte nicht nur siegen, nein, man glaubte auch an den Sieg, Eine gute Nachricht drängte die andere und waren sie auch oft erfunden, oder ihre Wahrheit anzuzweifeln, so erfüllten sie doch die bedrückten Herzen mit Freude und säeten überall die Saat guter Hoffnung. Wie verlautete, erhoben sich ganze Scharen Bauern und Köhler gegen den Feind, den sie von ihren Wäldern aus oft unvermutet überfielen. Der Name Stefan Tscharniezkis wurde immer häufiger genannt und lebte bald in aller Munde.

Die Einzelheiten der Begebenheiten beruhten selten auf Wahrheit, aber es genügte, daß sie überhaupt sich begaben, und alles in allem waren sie das beste Spiegelbild dessen, was sich im ganzen Reiche regte und zutrug.

In Lemberg war ständig Feiertag. Als der König einzog, hatte ihn die Stadt feierlich begrüßt. Die Geistlichkeit dreier Glaubensgenossenschaften, die Stadträte, die Handelskammer und Gewerke, sie alle waren zu seinem Empfang ausgezogen. Auf den öffentlichen Plätzen, in den Straßen wehten, so weit das Auge reichte, weiße, blaue, purpurrote und goldgelbe Fahnen. Stolz ließen die Lemberger ihren goldenen Löwen im blauen Felde flattern, während sie selbstgefällig von den Ueberfällen der Kosaken und Tartaren erzählten, die sie ausgehalten und abgewehrt hatten. Ueberall, wo der König sich blicken ließ, wurde er mit Jubel begrüßt.

Die Einwohnerzahl Lembergs hatte sich in den letzten zwei Tagen verdoppelt. Außer den Bischöfen, Senatoren, dem Adel war eine Menge Bauern herzugeströmt. Es hatte sich sehr bald die Nachricht verbreitet, der König wolle das Los der armen Bauern verbessern, und nun kamen sie herbei in Kitteln und langem Tuchrock, die neben den gelben Gehröcken der Städter ein hübsches buntes Bild gaben. Die gewerbetreibenden Armenier mit ihren schmalen Gesichtern schlugen ihre Zelte auf und boten Waren und Waffen feil, die von dem anwesenden Adel gern gekauft wurden.

Bei den Gesandtschaften befanden sich auch eine Menge vornehmer Tartaren, Ungarn, Italiener u. s. w., eine Unzahl Hofbediensteter, Pagen, Heiducken, Janitscharen, Kosaken, Läufer, die in den verschiedensten bunten Trachten und Uniformen in den Straßen umherwandelten.

Vom Morgen bis zum Abend, ja bis spät in die Nacht dauerte das Lärmen in den Straßen. Mit dem Geplauder und den Rufen der Menschen mischte sich das Pferdegetrappel der ankommenden und durchreitenden Schwadronen, das Wiehern der Rosse, das Rasseln der Räder, Kommandorufe, ja sogar Lieder tönten durch die Straßen.

Die Glocken aller Kirchen, der polnischen, reußischen und armenischen, läuteten unaufhörlich, allen verkündend, daß der König in Lemberg sei und daß Lemberg die erste seiner Residenzstädte, in deren Mauern der vertriebene Monarch nach seiner Rückkehr in das Land eingekehrt war.

Man brannte sogar nachts auf den freien Plätzen Holzfeuer, an welchen diejenigen sich wärmen konnten, welche aus Mangel an Quartieren kein Obdach fanden.

Der Monarch brachte ganze Tage mit Beratungen im Kreise der Senatoren zu. Er empfing die auswärtigen Deputationen der Provinzen und des Kronenheeres, um zu beraten, auf welche Weise man die geleerte Reichskasse, die Schatzkammern wieder füllen könnte, und wo der Aufstand gegen den Feind noch nicht entfacht war, dorthin brachten Boten die Kunde von der allgemeinen Erhebung. Bis weit nach dem fernen Preußen, nach Smudz, nach Tyschowietz, zu den Hetmanen wurden Eilboten geschickt, auch zu Sapieha, welcher nach der Zerstörung von Tykozin mit seinem Heere in Eilmärschen dem Süden zuzog, sogar an Herrn Koniezpolski, welcher noch bei den Schweden sich befand. Wo Geld nötig war, mußte die Schatzkammer es hergeben, wo der Nationalgeist noch schlummerte, da wurde er durch Manifeste geweckt.

Die Konföderation von Tyschowietz wurde vom Könige anerkannt und bestätigt. Er trat ihr selbst bei, indem er die Leitung der sämtlichen Geschäfte in die Hand nahm und mit unermüdlichem Fleiße führte. Er arbeitete an dem Wohle und der Wiederherstellung der alten Rechte, ohne seine Gesundheit zu schonen. Aber nicht genug damit! Er beschloß für sich und im Namen aller Stände des Reiches noch einen Bund zu schließen, den keine menschliche Macht zu bewältigen imstande sein würde und der dazu dienen sollte, die Moral aller der Republik angehörenden Unterthanen zu heben.

Der Augenblick war jetzt gekommen, wo das Geheimnis dieses Bundes offenbar werden sollte. Von den Senatoren zum Adel, vom Adel zum Volk drang die Kunde, daß während des heutigen Gottesdienstes etwas Außergewöhnliches sich zutragen werde. Es hieß, der König wolle ein feierliches Gelübde ablegen. Man sprach von der Aufbesserung der Verhältnisse der leibeigenen Bauern und einem Bündnis mit dem Himmel. Andere meinten, das wären Dinge, die in der Weltgeschichte noch nie dagewesen wären und auch nie vorkommen könnten. Dennoch war die allgemeine Neugier erweckt und aufs höchste gesteigert.

Der Tag war frostig und klar. Kleine Schneeflitterchen flogen umher und blitzten wie Funken im Sonnenlicht. Die Lemberger Fußsoldaten und diejenigen aus dem Kreise Sydatschkow in goldverbrämten Pelzjacken und ein halbes Regiment Ungarn bildeten vor der Kathedrale Spalier mit den Musketen bei Fuß. Offiziere mit Rohrstöcken in der Hand schritten die Reihen entlang. Zwischen diesen beiden Spalierreihen strömte eine buntfarbige Menge in die Kirche. Zuerst kam der königliche Zug, voran die Adligen und die Ritter, dann die Herren vom städtischen Rat mit goldenen Ketten auf der Brust. Sie trugen brennende Wachskerzen und wurden vom Bürgermeister angeführt, der ein weithin berühmter Medikus war; er war mit einer schwarzen Toga bekleidet, auf dem Kopfe trug er ein schwarzes Barett. Hinter den Stadträten schritten die Kaufleute, darunter viele Armenier mit grünen, goldgestickten Mützen und weiten morgenländischen Gewändern. Wenngleich die Letzteren nicht eigentlich zur Gemeinschaft gehörten, so gingen sie doch mit, um den Stand zu repräsentieren. Ihnen folgten die Innungen mit Fahnen: die Fleischer, Bäcker, Schuhmacher, Goldarbeiter, Tuchmacher, Teppichknüpfer, Honigküchler u. a. Jeder Innung voran schritt der stattlichste Mann derselben mit der Fahne. Dann erst kamen die verschiedenen Orden, Bruderschaften und zuletzt die große Menge.

Endlich fuhren auch die Kutschwagen heran, doch diese fuhren an dem Haupteingange vorüber und lenkten einem Seitenthor zu, durch welches der König, die Geistlichkeit und Würdenträger sogleich in die Nähe des Hochaltares gelangten. Das Militär präsentierte das Gewehr, so oft einer der hohen Herren vorüber fuhr; oft stellten sie die Musketen wieder an Fuß, nur um schnell einmal in die erstarrten Hände zu hauchen.

Der Monarch kam zusammen mit dem Nuntins Widon in einem Wagen. Dann folgte der Erzbischof von Gnesen mit dem Bischof Tschartoryski, dann die Bischöfe von Krakau und Lemberg, der Kronenkanzler, viele Wojewoden und Kastellane. Sie alle traten durch die Seitenthüre in die Kathedrale, während ihre Wagen, Karossen und Kutschen vor derselben einen dichten Wall bildeten.

Der päpstliche Nuntius las die heilige Messe in purpurroter Soutane, über welche er ein weißes, reich mit Gold und Perlen gesticktes Ornat trug.

Für den König war zwischen dem Hochaltar und der Stalla ein Betstuhl aufgestellt, vor welchem ein türkischer Teppich ausgebreitet lag. Die Sitzplätze der Domherren wurden von den Bischöfen und den hohen Würdenträgern eingenommen.

Durch die buntgemalten Fenster fielen farbige Lichtstreifen herein und vermischten sich mit dem Strahle der Kerzen; sie ergossen sich über die Gesichter der in den Stühlen Sitzenden und beleuchteten dieselben mit magischem Schimmer, sie flammten auf in den goldenen, mit Edelsteinen besetzten Ketten, fielen auf die bunten Sammetrocke und schienen ihre Leuchtkraft zu verdoppeln. Ernst und majestätisch saßen die greisen Herren mit den weißen Bärten, die Augen fest auf den Altar gerichtet. Von der anderen Seite der Stalla war die Kathedrale vollgepfropft mit Menschen, eine Kopf an Kopf gedrängte Menge, und über allem eine Wolke von Weihrauch.

Der Monarch war niedergekniet und lag nun, seiner Gewohnheit gemäß, demütig zu Kreuze. Während der Messe entnahm der Nuntius dem Ciborium den Kelch und schritt mit demselben dem Betstuhl des Königs zu. Der König richtete sich heiteren Antlitzes auf, der Nuntius sprach laut die Worte: » Ecce Agnus dei« und der König empfing die Kommunion.

Eine Weile verharrte er gebeugt, dann richtete er sich auf, erhob die Augen und streckte beide Arme empor.

Lautlose Stille herrschte in der Kathedrale; nicht ein Atemzug wurde laut. Es ahnte allen, daß jetzt der Augenblick gekommen war, wo der König sein feierliches Gelübde ablegen werde. Die Menge lauschte mit gespanntester Aufmerksamkeit, während der König mit bewegter, aber deutlich vernehmbarer Stimme zu sprechen begann:

»Du große Mutter des Mensch gewordenen Gottes und heilige Jungfrau! Ich, Johann Kasimir, durch deines Sohnes, des Königs der Könige und meines Herrn Gnade und Barmherzigkeit König, nahe den Stufen deines Thrones, um dieses Gelübde vor dir abzulegen.

»Ich nehme dich vom heutigen Tage an zu Meiner und Meines Reiches Schutzpatronin und Königin. Mich, Mein Königreich Polen, die Großfürstentümer Litauen, Reußen, Preußen, Masowien, Smudz, Lievland und Tschernichow, die Heere beider Nationen und Mein gesamtes Volk stelle Ich unter deinen besonderen Schutz. Deine Hilfe und Barmherzigkeit flehe Ich an in der jetzigen kummervollen Lage Meines Reiches ...«

Hier fiel der König auf die Kniee nieder und schwieg eine Weile. Die Totenstille wurde durch nichts unterbrochen. Dann stand er wieder auf und fuhr zu sprechen fort:

»Ueberwältigt von deinen großen Wohlthaten, fühle Ich Mich samt Meinem polnischen Volke gedrungen, in ein neues Dienstverhältnis zu dir zu treten und gelobe dir in Meinem, Meiner Minister, Senatoren, Adligen und allen Volkes Namen, Deines Sohnes Jesu Christi, unseres Heilandes Lob und Ehre zu verbreiten, seinen Willen zu erfüllen, und wenn Ich durch die Barmherzigkeit Deines Sohnes Sieger über die Schweden werde, Mich zu bemühen, daß am Jahrestage dieses Ereignisses in Meinem Reiche ein Dankfest gefeiert werden soll, jedes Jahr, bis an das Ende der Tage, an welchem der Gottesgnade und der deinigen, du reinste Jungfrau, gedacht werden soll!«

Hier hielt der König wieder inne und kniete nieder. Ein leises Gemurmel wollte sich erheben, doch die vor Bewegung zitternde Stimme des Königs übertönte es; er sprach noch lauter als vorher:

»Und da Ich mit tiefster Betrübnis und reuigem Herzen bekenne, daß Ich die während sieben Jahren erlittenen Plagen und Sorgen und die schweren Heimsuchungen, die Mein Reich getroffen, als eine Strafe Gottes ansehe für die Unterdrückung des Ackerbau treibenden Teiles Meiner Unterthanen, so verpflichte ich Mich, daß nach eingetretenem Frieden Ich samt den Ständen der Republik dafür sorgen will, daß der bisher so gequälte Bauernstand fernerhin von jeglicher Bedrückung und Grausamkeit verschont bleibe. Zu diesem Meinem Vorhaben bitte ich dich, Mutter der Barmherzigkeit, Königin und Frau, Mir durch Fürbitte bei deinem Sohne beizustehen, damit Ich erfüllen kann, was Ich jetzt feierlich gelobe.«

Mit Andacht war die Geistlichkeit, der Adel, die Senatoren und das Volk den Worten des Königs gefolgt. Als er geendet, währte die Totenstille noch einen Moment fort, dann ertönte aus der Tiefe der Kathedrale erst ein leises Schluchzen, welches immer lauter wurde und sich zuletzt zu einem allgemeinen lauten Weinen steigerte. Mit hoch zum Himmel erhobenen, gefalteten Händen rief die Gemeine Amen! Amen! Amen! zum Zeichen, daß ihr Fühlen und ihr Denken mit demjenigen des Königs übereinstimmte. Kein Auge war trocken geblieben, die Begeisterung leuchtete aus aller Augen, die Flamme der Liebe zum Vaterlande und der Gottesmutter loderte hoch empor. In dieser erhebenden Stunde war niemand mehr, welcher am Siege über die Schweden gezweifelt hätte.

Nach beendetem Gottesdienste verließ der König unter dem Jubelgeschrei der begeisterten Menge, unter dem Knallen der Musketen und den »Viktoria«-Rufen der Soldaten die Kathedrale und fuhr zum Schloß, wo er einen schriftlichen Akt über die Ablegung des Gelübdes aufnehmen ließ, welchen er dann samt dem Vertrage von Tyschowietz durch seine Unterschrift beglaubigte.


 << zurück weiter >>