Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Fünfzigstes Kapitel

Zawilowski konnte sich jetzt sagen, daß auch den Dichtern zuweilen ein glücklicher Stern leuchte. Seit seiner Verlobung dachte er zwar auch daran, daß er sich die Mittel für die häusliche Einrichtung und die Hochzeitsfeier verschaffen müsse, allein da er von praktischen Dingen überhaupt keinen rechten Begriff hatte, machte er sich vorerst noch keine Sorgen darüber, denn er hatte schon größere Schwierigkeiten in seinem Leben überwunden. Dagegen dachten andere für ihn. Der alte Zawilowski, der bei voller Anerkennung des wahren Genies sich doch niemals den Glauben nehmen ließ, jeder Dichter habe gewisse Flausen im Kopfe, lud Polaniecki zu einer Beratung ein und sagte zu ihm: »Der Junge gefällt mir, ich gestehe es offen. Sein Vater war ein großer Taugenichts, der nur für Karten, Frauen und Pferde Interesse hatte. – Er mußte das auch noch bei Lebzeiten büßen. Aber der Junge gleicht ihm nicht – er macht seinem Namen Ehre. Von andern bin ich in dieser Hinsicht nicht verwöhnt, und deshalb möchte ich jetzt gleich etwas für ihn thun.«

»Wir haben uns die Sache auch schon überlegt, aber ihm zu helfen ist nicht leicht,« erwiderte Polaniecki. »Erwähnt man etwas derartiges, so zeigt er sich so abweisend, daß er den Geduldigsten in Zorn bringen kann.«

»So? – – Er ist also ein stolzer Kauz!« unterbrach ihn Herr Zawilowski mit Befriedigung.

»Jawohl. – Er führt seit kurzem die Korrespondenz und die Bücher in unserem Geschäfte, und wir haben ihn herzlich lieb gewonnen. Mein Kompagnon und ich boten ihm nun Kredit an, wir sagten, er könne einige tausend Rubel für seine Einrichtung haben und sie im Verlauf von drei Jahren mit dem Gelde zurückbezahlen, das ihm seine Gedichte eintragen. Aber er ging nicht auf diesen Vorschlag ein. Er erklärte, er setze das Vertrauen in seine Braut, daß sie sich in seine Verhältnisse schicken werde.«

»Vielleicht besitzt er eigenes Vermögen?«

»Ja, allein er hat keinen Gewinn davon. Erst jetzt erfuhren wir, daß seine Mutter ihm ungefähr zehntausend Rubel hinterlassen hat, doch von den Zinsen muß er den Unterhalt seines Vaters in einem Irrenhaus bestreiten, und das Kapital betrachtet er als unantastbar, denn bevor er zu uns kam, hatte er geradezu Hunger gelitten und doch keinen Groschen davon angerührt. Augenscheinlich schreibt er jetzt etwas und hofft die Kosten seiner Einrichtung von seiner Einnahme bestreiten zu können. Möglich ist's ja auch, da sein Name schon viel genannt wird.«

»Luftschlösser!« sagte Herr Zawilowski. »Sie meinen, sein Name werde schon viel genannt? – – Hm! Hm! das sind ja nur Luftschlösser. Ihnen gegenüber machte er Umstände, denn Sie sind ihm fremd, ich aber bin sein Verwandter.«

Polaniecki schüttelte den Kopf. »Ja, doch kennen wir ihn länger und besser als Sie.«

Herr Zawilowski, der nicht an Widerspruch gewöhnt war, strich erregt seinen Schnurrbart. In seinem ganzen Leben war es ihm noch nicht vorgekommen, daß er sich darüber besinnen mußte, ob jemand, dem er Geld geben wollte, es auch annehmen würde. Er gefiel ihm und ärgerte ihn zugleich. »Nun,« sagte er nach einer Weile, »mit Gottes Hilfe wird die junge Generation vielleicht so tüchtig, daß der Teufel keine Gewalt über sie hat!« Sein Gesicht hellte sich plötzlich auf, der unverwüstliche Optimismus, der ihm eigen war, zauberte ihm heitere Bilder vor die Augen. »Ein begabter Schelm! Und erpicht auf die Arbeit. Ein Charakter!« sagte er. »Bei Gott, das hatte ich nicht erwartet.«

»Es scheint, daß ihm nicht zu helfen ist und Fräulein Castelli sich in seine Verhältnisse schicken muß,« sagte Polaniecki.

Der alte Mann schnitt eine Grimasse. »Ja, das sagt man so! Hm! Jetzt wird sie zu allem bereit sein, aber wie lange wird dies dauern? Die Tante hat auch ein Wort mitzusprechen und der dienstfertige Verstorbene, welcher zuweilen aus der Unterwelt hervor seine Meinung kund giebt. – Wahrlich, ich schätze die Leute, welche sich emporgearbeitet haben, aber es kommt gar zu häufig vor, daß jemand, der auf einem kleinen Meierhofe aufgewachsen ist, thut, als ob er immer nur Paläste bewohnt hätte. Dies war der Fall bei dem alten Bronicz. An Eitelkeit gab sie ihm nichts nach, und in solcher Schule ist das junge Mädchen groß geworden. Bequemlichkeit und Luxus sind ihr die Hauptsache. Ignaz kennt sie in dieser Hinsicht nicht, und auch Sie kennen sie nicht. Ich weiß eine – hier schaute er auf seine Tochter – die auch in eine Dachstube gehen würde, wenn sie einmal ihr Wort gegeben hätte, allein Fräulein Castelli hat darüber wohl andere Ansichten.«

»Genau kenne ich sie nicht,« erwiderte Polaniecki, »doch habe ich gar manches über sie gehört und möchte gern wissen, was ich von ihr halten soll.«

»Was man von ihr halten soll? Ich kenne sie schon ziemlich lange und weiß es auch nicht . . . Nun, nach dem, was Frau Bronicz selbst sagt, müssen die beiden – sie und Fräulein Castelli – ganz ausgezeichnete, ja herrliche Wesen sein. Und so fromm! Ha! Ha! Noch zu ihren Lebzeiten sollte man sie kanonisieren! Wissen Sie, es giebt Frauen, die Gott und die göttlichen Gebote im Herzen tragen, aber auch solche, die aus der katholischen Religion einen Sport machen, überall davon reden und gern ernten, wo sie nicht säen. So ist es.«

»Jawohl, Sie haben recht,« versetzte Polaniecki lachend.

»Nicht wahr? Ich habe schon manche Erfahrung im Leben gemacht – –. Doch kommen wir zur Sache zurück. Giebt's also kein Mittel, wodurch der Starrkopf bewogen werden kann, etwas anzunehmen?«

»Vielleicht finden wir noch etwas heraus, doch bis jetzt ist mir nichts eingefallen.«

Helene Zawilowski, die bisher ausschließlich mit ihrer Stickerei beschäftigt gewesen war und der Unterhaltung scheinbar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, schlug plötzlich ihre Augen auf und sagte: »Es giebt ein sehr einfaches Mittel.« Der alte Edelmann schaute sie an.

»Was ist das für ein einfaches Mittel?«

»Du brauchst nur eine gewisse Summe für den Vater des Herrn Ignaz auszusetzen.«

»Ein guter Ausweg. Freilich habe ich früher genug für den Vater gethan, auch zu Zeiten, da er mir nicht unter die Augen kommen durfte.«

»Sobald ein Kapital für den Vater sichergestellt ist, wird der Sohn das, was er von der Mutter ererbt hat, selbst benutzen.«

»So wahr ich Gott liebe, sie hat recht,« erklärte Herr Zawilowski. »Sehen Sie, wir beide zerbrechen uns vergeblich den Kopf, und sie weiß sofort, was notthut.«

»Ja, das ist ganz richtig, gnädiges Fräulein,« bemerkte Polaniecki.

Frau Polaniecki und Bigiel waren nicht wenig erfreut, als sie Kunde von dieser Abmachung bekamen. Selbstverständlich kam dabei auch die Rede auf Helene Zawilowski, die früher allgemein als eine kalte, unnahbare Natur gegolten hatte.

In neuerer Zeit jedoch ging die Rede, daß durch eine unglückliche leidenschaftliche Liebe das einst lebenslustige Mädchen vollständig verwandelt, wunderlich und weltfremd geworden sei. Manche rühmten ihre Wohlthätigkeit, doch schien sie sehr heimlich dabei zu Werke zu gehen, denn niemand wußte etwas Sicheres darüber zu sagen.

Zawilowski, der in Przytulow gewesen war, erfuhr erst dann von der Unterredung des alten Edelmannes mit Polaniecki, als ihm mitgeteilt wurde, daß ein doppelt so großes Kapital für seinen Vater deponiert worden sei als das, aus dessen Zinsen er selbst bis jetzt die Kosten für das Irrenhaus bestritten hatte. Auf diese Kunde hin beeilte er sich, seinen Dank abzustatten, zeigte sich aber nicht sofort zur Annahme bereit, doch der Alte schalt ihn nur aus: »Sei nicht thöricht und schwatze nicht lange,« sagte er. »Dir habe ich ja nichts gegeben, Du hast also gar kein Recht, von Annehmen oder Nichtannehmen zu sprechen, und einem kranken Verwandten zu Hilfe zu kommen, wird doch jedenfalls erlaubt sein.«

Darauf war in der That nichts einzuwenden, und so endigte die Sache schließlich zu aller Zufriedenheit. Sogar Fräulein Helene legte Herrn Ignaz gegenüber ein gewisses Wohlwollen an den Tag. Der alte Mann aber, der insgeheim stets beklagte, daß er keinen Sohn hatte, gewann seinen jungen Verwandten immer lieber, und als Frau Bronicz, die acht Tage später nach Warschau kam, um sich nach seiner Gesundheit zu erkundigen, wieder einmal das Lob Linetas sang und besonders hervorhob, daß ihre Nichte einen Mann ohne Vermögen heirate, wurde er ärgerlich und sagte: »Was reden Sie denn da? . . . Es fragt sich noch, wer die bessere Partie macht, auch was das Vermögen betrifft, abgesehen von allem andern.«

Frau Bronicz, die sich von jeher alles von Zawilowski gefallen ließ, verschluckte auch jetzt das »Abgesehen von allem andern« und hatte nichts Eiligeres zu thun, als zu Polanieckis zu eilen und diesen zu erzählen, Herr Zawilowski habe ihr in aller Form das Versprechen gegeben, seine in Preußen gelegenen Güter zu Gunsten des geliebten Ignaz in ein Majorat zu verwandeln.

Zawilowski wußte zwar nichts davon, daß er durch die Phantasie der Frau Bronicz zum künftigen Majoratsherrn avanciert war, allein er bemerkte zu seiner Verwunderung, daß seine Stellung in der Welt sich plötzlich geändert hatte. Die Bekannten grüßten ihn anders als sonst, und seine Kollegen im Komptoir, einfache, ehrliche Leute, thaten minder vertraut mit ihm. Nach seiner Rückkehr aus Przytulow mußte er allen, die bei seiner Verlobung gewesen, Besuch abstatten, und die Eile, womit zum Beispiel Maszko ihm den Gegenbesuch machte, zeugte ebenfalls für die Veränderung der Verhältnisse. In der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft hatte ihn der junge Advokat mit einer gewissen Herablassung behandelt. Auch jetzt trug er noch seine Protektormiene zur Schau, doch legte er nicht nur große Herzlichkeit, sondern auch Interesse für die Dichtungen Zawilowskis an den Tag. Noch am nämlichen Tage sprach dieser mit Polaniecki, bei dem er zu Besuch war, darüber.

»Maszko weiß,« bemerkte Polaniecki, »daß Sie mit einem Mädchen verlobt sind, das für vermögend gilt, er weiß ferner, daß der alte Zawilowski Sie liebgewonnen hat, und vielleicht wünscht er durch Ihre Protektion dem alten Herrn näher zu treten . . . Wie ich höre, steht der Erbschaftsprozeß, welcher sehr wichtig für ihn ist, nicht am besten.«

Marynia fragte nun nach den Erlebnissen Zawilowskis auf Przytulow, und dies war ein unerschöpfliches Thema für ihn. In lebhaften Farben schilderte er nun auch das Gut, mit seiner Lindenallee, mit dem schattigen Garten, dem Teiche, dem Erlenhaine und dem in der Ferne sichtbaren Fichtenwalde.

»Diese Landgüter sind beinahe überall gleich,« warf Polaniecki ein. »Bukacki pflegte zu sagen, er würde leidenschaftlich gern auf dem Lande leben, aber unter der Bedingung, daß sich ein guter Koch, eine große Bibliothek, schöne intelligente Frauen im Hause befänden – und daß er nicht länger als zwei Tage im Jahre dort bleiben müsse – und ich begreife dies –«

»Und trotzdem möchtest Du ein Stückchen Erde in der Nähe der Stadt Dein nennen,« erwiderte Marynia.

»Ja, damit wir eine eigene Sommerwohnung haben und nicht zu Bigiels ziehen müssen wie in diesem Jahre.«

»Und in mir erwacht sofort die Vorliebe für das Land, sobald ich mich dort befinde,« bemerkte Zawilowski. »Uebrigens hat auch meine Braut die Stadt nicht gern.«

»Lineta hat die Stadt nicht gern?« fragte Marynia voll Staunen.

»Nein, sie ist die geborene Künstlerin. Ich habe doch auch einen Blick für die Natur, doch . . . sie versteht es, mir die Augen zu öffnen, und wie mit einem Zauberstabe erschließt sie mir neue Welten. Denken Sie nur, ich lerne jetzt Lawn-Tennis spielen, und ich habe schon große Fortschritte gemacht. Die andern spielen alle ausgezeichnet, besonders Kopowski.«

»Ah, Herr Kopowski befindet sich auch in Przytulow?« fragte Polaniecki in einem unwillkürlich spöttischen Tone.

»Ja,« versetzte Zawilowski, indem er ihn forschend anschaute, und ein jeder erriet im nämlichen Augenblicke, daß der andere Mitwisser des Geheimnisses war. Ein langes, etwas verlegenes Schweigen trat ein, denn Zawilowski, welcher bisher geglaubt hatte, außer ihm habe niemand eine Ahnung von den Beziehungen Kopowskis zu Frau Osnowski, gewahrte auch, daß Marynia tief errötete.

»Jawohl, Kopowski befindet sich in Przytulow,« setzte er hastig hinzu. »Herr Osnowski lud ihn ein, weil sein Porträt noch nicht fertig ist. Außerdem befindet sich eine Verwandte von Herrn Osnowski dort, ein Fräulein Ratkowski, um deren Hand sich Kopowski, glaube ich, bewirbt. Es ist ein sehr angenehmes Mädchen. Im August begeben wir uns alle nach Scheveningen . . . Wenn Herr Zawilowski nicht so viel für meinen Vater thun würde, könnte ich diese Reise nicht machen, doch jetzt habe ich freie Hand.«

Ehe der junge Mann sich entfernte, bat er Polaniecki um einige Monate Urlaub. Dann eilte er nach Hause, um an seine Braut zu schreiben.

Polaniecki aber sagte zu Marynia: »Du siehst nun, daß auch Zawilowski etwas bemerkt haben muß. Osnowski ist doch geradezu blind.«

»Seine Blindheit sollte sie rühren und zurückhalten,« antwortete Marynia. »Es ist undankbar und wäre schrecklich!«

»Es ›wäre‹ nicht schrecklich, es ist schrecklich. – Ja, edle Seelen belohnen unser Vertrauen mit Dankbarkeit, gemeine mit Verrat.«


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