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XIV

Drei Wochen darauf traf Herr Nowowiejski zur Mittagszeit in Chreptiow ein. Sein Rückweg nach Raszkaw hatte deshalb so lange Zeit in Anspruch genommen, weil er stets wieder auf das jenseitige Ufer des Dniestr übergesetzt war, um daselbst die Horden und die Leute aus Perkulab in verschiedenen, längs des Flusses liegenden Standquartieren zu überfallen. Diese meldeten dann den später anrückenden türkischen Kriegsscharen, sie seien nicht nur allenthalben auf polnische Reiterabteilungen gestoßen, sondern hätten auch Kunde von einer bedeutenden feindlichen Heeresmacht erhalten, die sicherlich das Eintreffen der Türken in Kamieniec nicht abwarten werde. Man müsse daher darauf gefaßt sein, unterwegs angegriffen und in eine offene Feldschlacht verwickelt zu werden.

Da dem Sultan von allen Seiten die Versicherung zugekommen war, die Republik sei zu jeder Unternehmung zu schwach, geriet er über diese Nachrichten in immer größeres Staunen und zog, während er die Lipker, die Wallachen und die an der Donau ansässigen Horden als Vorhut voraussandte, mit der Hauptmacht langsam nach, da er trotz seines ungeheuren Kriegsheeres vor einer Schlacht mit den regulären Kriegsscharen der Polen zurückschreckte.

Als Herr Nowowiejski in Chreptiow eintraf, befand sich Wolodyjowski nicht mehr dort, weil er gemeinsam mit Herrn Motowidlo dem Starosten von Podlachien Hilfe gegen die Horden aus der Krim und gegen Doroszenko leistete. Durch zahlreiche Siege erwarb er sich neuen Ruhm. Er schlug den grimmen Korisan aufs Haupt und überließ dessen Leichnam den wilden Tieren in der Wüstenei zur Beute, er brach die Macht des gefürchteten Drozds, er besiegte den tapferen Malyszka, die beiden Brüder Siny, sowie viele kleinere kosakische und tatarische Heerhaufen.

Frau Wolodyjowski traf bei Ankunft von Nowowiejski in Chreptiow gerade die nötigen Vorbereitungen, um mit dem noch zurückgebliebenen Teil der Mannschaft und den Fuhrwerken nach Kamieniec aufzubrechen, da Chreptiow nunmehr angesichts der drohenden feindlichen Invasion aufgegeben werden mußte. Nur schweren Herzens trennte sich Frau Wolodyjowski von diesem aus Holz gebauten Fort, woselbst sie zwar manches Ungemach erlitten, wo sie aber auch an der Seite ihres Gatten inmitten der berühmtesten Kriegshelden und umgeben von liebenden Herzen die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Jetzt sollte sie, auf ihre eigenen Bitten hin, nach Kamieniec übersiedeln und somit einem ungewissen Geschicke, den unbekannten Gefahren entgegengehen, welche die mutmaßliche Belagerung mit sich bringen mußte.

Doch sie war tapferen Herzens. Ohne sich ihren Sorgen hinzugeben, widmete sie sich den Reisevorbereitungen, überwachte sie die Leute, welche die Fuhrwerke in Stand setzten. Herr Zagloba leistete ihr dabei treffliche Hilfe, wußte er doch durch seine große Klugheit stets alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, aber auch Herr Muszalski erwies sich ihr sehr nützlich, dieser unvergleichliche Bogenschütze, dieser ebenso tapfere wie erfahrene Krieger.

Sie alle begrüßten Herrn Nowowiejski mit großer Freude, wenngleich sie sofort an dem Gesichtsausdrucke des Ankömmlings erkannten, daß es ihm weder gelungen war, Ewa, noch die ihm so teure Zosia aus der Sklaverei der Heiden zu befreien. Bitterlich beweinte Basia das Schicksal dieser beiden armen Geschöpfe, die für verloren gelten mußten. Niemand wußte ja, an wen sie verkauft worden waren! Vielleicht hatte man sie von dem Markte in Stambul nach Kleinasien, nach Aegypten oder auf eine der zur Türkei gehörigen Inseln gebracht, wo sie in irgend einem Harem schmachteten, und infolgedessen durfte man sich kaum mehr der Hoffnung hingeben, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln, ihren Loskauf zu ermöglichen.

Doch nicht Basia allein vergoß Thränen des Schmerzes, auch der kluge Herr Zagloba weinte, es weinte Herr Muszalski, der treffliche Bogenschütze, nur Adam Nowowiejskis Augen blieben trocken – er hatte keine Thränen mehr. Als er aber erzählte, wie er in der Ferne gewesen, wie er bis zur Donau, bis in die Nähe von Tykiez gezogen war, wie er die Lipker nicht weit von den Horden, von der Kriegsmacht des Sultans vernichtet und den nichtswürdigen Azya gefangen genommen hatte, da schlugen die beiden alten Ritter kräftig an ihre Säbel und riefen:

»Ueberliefert ihn uns! Hier in Chreptiow soll er gerichtet werden.«

Darauf erwiderte Herr Nowowiejski:

»Nicht in Chreptiow kann er gerichtet werden, denn in Raszkow hat ihn seine Strafe ereilt, an dem Orte, an dem ihm seine Strafe zukommen mußte, und hier, dieser Wachtmeister, ersann die fürwahr nicht leichten Marterqualen für ihn.«

Und wohl mit Grauen, doch mitleidslos lauschten alle der Schilderung von Azyas Ende.

»Daß unser Herrgott jedes Verbrechen bestraft, ist wohl bekannt,« ergriff schließlich Herr Zagloba das Wort, »nur ist's ein Wunder, daß der Teufel so schlecht seine Diener beschützt.«

Basia seufzte nun tief auf, schaute frommen Blickes gen Himmel und meinte nach kurzem Sinnen:

»Ihm gebricht es an Macht dazu, dem Willen Gottes vermag er nicht zu widerstehen.«

»Ihr, liebwerte Frau, habt das richtige getroffen!« rief Herr Muszalski, »denn wenn, was Gott verhüten möge, der Teufel mächtiger als unser Herrgott wäre, dann müßte justitia und mit ihr die Republik zu Grunde gehen.«

»Deshalb empfinde ich auch nicht die geringste Furcht vor den Türken, denn primo sind es Hundeseelen und secundo sind es Söhne des Belials!« ließ sich Herr Zagloba vernehmen.

Daraufhin trat ein längeres Schweigen ein. Die Hände auf die Knie gestützt, saß Nowowiejski auf der Bank und starrte stieren Blickes zu Boden. Endlich wendete sich Herr Muszalski zu ihm und sagte:

»Ist es denn Euer Liebden nicht leichter ums Herz geworden, nachdem Ihr Eure Rache gekühlt habt? Empfindet Ihr keine Spur von Erleichterung?«

»Sprecht, Euer Liebden, fühlt Ihr Euch nicht besser, fühlt Ihr Euch nicht getrösteter?« fragte Basia im Tone des innigsten Mitgefühls.

Der riesenhafte Krieger erteilte nicht sogleich Antwort, offenbar war er völlig in seine Gedanken versunken, endlich aber blickte er, wie aus einem Traume erwachend, überrascht empor und sagte leise, fast flüsternd:

»Glaubt mir, wohledle Herrschaften, glaubt mir, ich bin, so wahr mir Gott helfe, der Meinung gewesen, sein Tod werde mir Erleichterung gewähren ... Ich habe ihn auf dem Pfahle gesehen, ich habe mit angesehen, wie ihm das Auge ausgebohrt ward, und ich habe mir eingeredet, es sei mir wohler ums Herz geworden, doch es ist ein Irrtum gewesen, es ist nicht so, es ist nicht so!«

Nach diesen Worten drückte Herr Nowowiejski beide Hände an sein Haupt und stieß durch die zusammengepreßten Zähne hervor:

»Ihm ist's leichter gewesen, als ihn die Spitze des Pfahles traf, ihm ist's leichter gewesen, als der Bohrer sein Auge berührte, als die Flammen seine Arme umzingelten, als mir es ist, mit diesen entsetzlichen Gedanken, mit dieser qualvollen Erinnerung, die mir das Herz zerfleischt. Nur der Tod kann mir Trost bringen, der Tod allein vermag mich von meinem jammervollen Dasein zu erlösen, der Tod ... der Tod ... das ist's, was mir frommt! ...«

Als Basia diese Worte des jungen Kriegers vernommen hatte, erhob sie sich plötzlich, legte ihre Hand auf das Haupt des Bedauernswerten und sprach:

»Möge Gott Euren Wunsch erfüllen, mögt Ihr den Tod vor Kamieniec finden. Euer Ausspruch ist wahr, nur der Tod kann Euch von Euern Qualen erlösen.«

Er aber, die Augen schließend, wiederholte leise:

»So ist es, so ist es! Gott lohne Euch diese Worte.«

Noch an demselben Abend brachen alle nach Kamieniec auf.

Als Basias Wagen durch das Thor des Pallisadenverhaues rollte, da wandte sie immer und immer wieder ihren Blick den im Abendrote erglänzenden Bauten zu, segnete diese mit dem Zeichen des Kreuzes und sagte:

»Gott gebe, daß ich mit Michal nochmals zu Dir, Du liebes Chreptiow, zurückkehren kann! Gott gebe, daß uns kein allzu schlimmes Los zu teil werde.«

Thräne auf Thräne rollte über ihre rosigen Wangen, und ein wundersamer Schmerz bemächtigte sich aller Herzen. In tiefes Schweigen versunken fuhr man dahin.

Allmählich senkte sich die Dämmerung hernieder.

Nur langsam ging die Fahrt nach Kamieniec vor sich, da sich die Wagen, denen ganze Herden von Pferden, Ochsen, Büffeln und Kamelen folgten, nur schwerfällig fortbewegten. Eine beträchtliche Schutzwache fehlte selbstverständlich nicht, es mangelte aber auch nicht an Frauenspersonen, da sich etliche der Bediensteten und einige Soldaten in Chreptiow verheiratet hatten. Die Bedeckung setzte sich aus den unter Nowowiejskis Befehl stehenden Reitern und aus einer gegen zweihundert Mann starken Abteilung ungarischen Fußvolkes zusammen, welche der kleine Ritter auf eigene Kosten errichtet und selbst ausgebildet hatte. Kaluszewski, ein tüchtiger Offizier, befehligte die Abteilung, deren Protektorin Basia war. Dieses Fußvolk wurde indessen nicht von wirklichen Ungarn gebildet, sondern hatte nur deshalb seinen Namen, weil die dabei dienenden Soldaten ungarische Monturen trugen. Die Unteroffiziere waren ergraute Krieger, einstige Dragoner, die Mannschaft aber setzte sich aus früheren Räubern und Wegelagerern zusammen, die in verschiedenen Kämpfen gefangen, zum Tode mit dem Strange verurteilt und unter der Bedingung begnadigt worden waren, daß sie sich verpflichteten, bei dem Fußvolke Dienste leisten und durch besondere Treue und Tapferkeit die begangenen Verbrechen sühnen zu wollen. Eine große Anzahl der zu diesem Fußvolke gehörenden Leute hatte sich aber auch freiwillig gestellt und es vorgezogen, die Schluchten, die Höhlen und die sonstigen Schlupfwinkel zu verlassen, um bei dem »kleinen Falken« in Chreptiow, dessen Schwert sonst beständig über ihrem Haupte schwebte, Dienste zu nehmen. Es war dies zwar keine besonders wohlgeschulte, aber mutige, an Strapazen, Gefahren und Blutvergießen gewöhnte Mannschaft. Basia hegte für sie, als eine Schöpfung Michals, eine große Vorliebe, und in den wilden Herzen dieser Soldaten erwachte gar bald ein Gefühl der Anhänglichkeit für die ebenso schöne wie gnadenvolle Herrin. Jetzt schritten sie, die Musketen auf der Schulter, den Säbel an der Seite, neben der Kalesche her, stolz darauf, bei einem etwaigen Ueberfalle der Horden die Herrin beschützen und verteidigen zu dürfen.

Ungefährdet konnten sie indessen ihren Weg verfolgen, da der umsichtige Herr Wolodyjowski sein Weib zu sehr liebte, als daß er auch nur die kleinste Vorsichtsmaßregel unterlassen hätte. Gegen Abend von Chreptiow aufbrechend, reisten sie bis zum nächsten Abend, dann die ganze Nacht hindurch und erblickten am Abend des zweiten Tages die steilen Felsen von Kamieniec.

Beim Anblick der die Felsenspitzen krönenden Festungswerke belebte frischer Mut aller Herzen, erschien es doch als ein Ding der Unmöglichkeit, daß dieser auf zerklüftetem Felsgestein errichtete Adlerhorst, zu dessen Füßen der Strom rauschte, von anderer wie von Gotteshand zerstört werden könne. Es war ein warmer, herrlicher Sommertag. In dem Glanze der untergehenden Sonne leuchteten die über die Felsen emporragenden Kirchtürme gleich riesenhaften Kerzen. Die ganze Landschaft bot ein heiteres Bild des Friedens, der Ruhe.

»Basia,« meinte Zagloba, »wie oft haben sich schon die Heiden ihre Zähne an diesen Mauern ausgebissen! Ha, gar oft bin ich Zeuge davon gewesen, wie sie Reißaus nahmen und sich dabei die schmerzenden Mäuler hielten! Gott gebe, daß es jetzt auch so kommen wird.«

»Es wird so kommen, ganz gewiß!« erklärte Basia freudestrahlend.

»Einer ihrer Kaiser, der Osman, ist ja schon einmal hier gewesen. Im Jahre 1621 war dies – ich entsinne mich dessen noch so genau, als ob es heute gewesen wäre. Der Halunke kam von der andern Seite, von Chocim her. Mund und Augen reißt er auf und stiert und fragt schließlich: ›Wer hat denn diese gewaltige Feste errichtet?‹ ›Gott der Herr!‹ antwortet der Vezier. ›Dann mag Gott der Herr sie auch erstürmen, denn ich bin nicht so thöricht, dies zu thun!‹ Sprach's und zog wieder ab.«

»Traun, und hastig genug sind sie wieder abgezogen,« warf Herr Muszalski ein.

»Das will ich meinen,« ergriff Herr Zagloba aufs neue das Wort, »wir haben ihnen aber auch die Hinterteile gehörig mit den Lanzen bearbeitet, woraufhin mich dann die Ritterschaft auf ihren Händen vor Herrn Lubomirski trug.«

»So sind Euer Liebden auch bei Chocim gewesen?« fragte der treffliche Bogenschütze. »Es ist kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wo Euer Liebden überall gewesen sind, was Ihr alles vollführt habt!«

Herr Zagloba that darob ein wenig gekränkt und erwiderte:

»Nicht allein, daß ich bei Chocim gewesen bin, ich ward dort auch verwundet, was ich Euer Liebden, so Euch die Neugierde plagen sollte, ad oculos führen würde, wenn ich es nicht für ungeziemend erachtete, mich damit in Gegenwart der Frau Wolodyjowski zu brüsten.«

Dem berühmten Bogenschützen ward es nunmehr klar, daß Herr Zagloba seinen Scherz mit ihm trieb, da er aber wußte, daß dieser ihm an Witz weit überlegen war, ließ er sich nicht in weitere Erörterungen ein, sondern suchte dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

»Wahr ist's, was die wohledle Frau Obristin behauptet!« hub er an. »Traun, wenn man so in der Ferne die Menschen reden hört: ›Kamieniec ist nicht stark genug, Kamieniec wird fallen!‹ überkommt einen die Angst, sieht man aber Kamieniec vor sich liegen, dann zieht frischer Mut in die Herzen ein.«

»Und Michal wird ja auch in Kamieniec sein!« rief Basia aus.

»Und Herr Sobieski wird vielleicht Hilfe senden.«

»Gott sei's gedankt, gar so schlecht, gar so schlecht steht es noch nicht mit uns. Ha, wir haben schon viel Schlimmeres über uns ergehen lassen müssen und sind doch nicht unterlegen.«

»Selbst wenn es ganz schlecht stünde, hätte es nichts zu sagen,« erklärte nun Herr Zagloba. »Die Hauptsache ist's, den Mut nicht verlieren. Aufgefressen haben sie uns noch niemals, und auffressen werden sie uns auch niemals, so lange uns ein mutiger Geist beseelt.«

In tiefem Schweigen, aber in gehobener Stimmung zog man weiter.

Da mit einemmale ward die Stille auf schmerzliche Weise gestört – denn plötzlich ritt Herr Nowowiejski ganz nahe an Basias Kalesche heran. Nicht mehr finster und drohend, nein, heiter und lächelnd schaute er darein, während seine starrblickenden Augen unablässig auf Kamieniec hafteten.

Die Ritter und Basia betrachteten ihn voll Verwunderung, da sie es sich nicht zu erklären vermochten, weshalb Herr Adam beim Anblick der Festung in solch frohe Laune gerate. Da sprach dieser:

»Gelobt sei der Name des Herrn! Groß war der Schmerz, doch neu belebt mich nun die Freude. Die beiden befinden sich bei dem polnischen Vogte Tomaszewicz,« erklärte er, zu Basia gewendet, »und wohl daran thaten sie, sich zu diesem zu flüchten, denn in einer solchen Feste kann ihnen jener Mordbube nichts anhaben.«

»Von wem reden Euer Liebden?« fragte Basia angstvoll.

»Von Zosia und Ewa.«

»Gott stehe Dir bei!« rief Zagloba. »Laß den Teufel keine Gewalt über Dich bekommen.«

Nowowiejski aber fuhr fort:

»Und daß Azya meinem Vater den Hals abgeschnitten haben soll, ist auch nicht wahr – nichts ist wahr, was sie sagen.«

»Sein Geist ist gestört!« flüsterte Herr Muszalski.

»Ihr, wohledle Frau, werdet erlauben, daß ich vorauseile!« ließ sich Nowowiejski von neuem vernehmen. »Gar lange, lange hab ich sie ja nicht mehr gesehen, und da sehnt man sich eben doch! O, schlimm ist's einem ums Herz fern von der Liebsten, o, schlimm ist's einem ums Herz.«

Nach diesen Worten wiegte er einigemale sein gewaltiges Haupt hin und her, gab seinem Pferde die Sporen und ritt davon.

Herr Muszalski aber winkte einige Dragoner herbei und setzte mit diesen dem Irrsinnigen nach, den er nicht aus dem Auge verlieren wollte. Laut weinend verbarg Basia ihr rosiges Gesichtchen in den Händen, während Herr Zagloba sagte:

»Ein Mensch war er wie lauteres Gold, doch zu schweres Unglück hat ihn getroffen ... Zudem kann aber auch von der Rache allein der Geist nicht leben!«

In Kamieniec wurden die Vorbereitungen zur Verteidigung in fieberhafter Eile betrieben. Auf den Mauern des alten Schlosses und an den Thoren, vornehmlich aber an dem Reußischen Thore fanden sich Vertreter aller Völkerschaften, von denen die Stadt bewohnt ward, zur gemeinsamen Arbeit unter ihren jeweiligen Vögten zusammen, unter welchen sich besonders der polnische Vogt Tomaszewicz durch seinen kühnen Mut und durch seine hervorragende Kenntnis des Geschützwesens auszeichnete. Man arbeitete mit Spaten, mit dem Schubkarren, und Polen, Reußen, Armenier, Juden und Zigeuner wetteiferten miteinander. Offiziere aus den verschiedensten Abteilungen überwachten die Arbeit, Wachtmeister und Soldaten leisteten den Einwohnern Hilfe, ja, selbst der Adel legte, trotz der Ueberzeugung, Gott habe seine Hände nur zur Führung des Säbels erschaffen, jede andere Beschäftigung aber den Menschen »niederen Standes« zugewiesen, Hand ans Werk. Sogar der polnische Bannerherr, Wojciech Humiecki ging mir gutem Beispiel voran, und fast kein Auge blieb trocken, wenn man ihn den mit Steinen beladenen Schubkarren führen sah. Ueberall, sowohl in der Stadt wie in dem Schlosse herrschte das regste Leben. Inmitten der Menge bewegten sich Dominikaner, Jesuiten, Brüder des heiligen Franziskus-Ordens und Karmeliter, um den angestrengt Arbeitenden den Segen zu spenden. Frauen brachten ihnen Speise und Trank, und die schönen Armenierinnen, die Gattinnen und Töchter reicher Kaufleute, noch mehr aber die schönen Jüdinnen aus Zwaniec, Zinkowiec und Dunojgrod zogen die Blicke der Soldaten auf sich.

Das größte Aussehen indessen erregte der Einzug Basias. Zweifelsohne gab es in Kamieniec viel höher gestellte Frauen als sie, allein der Gatte keiner einzigen dieser Frauen genoß einen solch hervorragenden Kriegsruhm wie der kleine Ritter. Aber auch von Frau Wolodyjowski hatte man sich in Kamieniec schon Wunderdinge erzählt. Man wußte, daß sie von einem ganz ungewöhnlichen Mute beseelt war, demzufolge sie mit Vorliebe in einem Standquartiere inmitten der Wüstenei gelebt hatte, man wußte, daß sie ihren Gemahl auf kriegerischen Expeditionen begleitet und den Tataren darniedergeschlagen hatte, der sie gewaltsam entführen wollte, man wußte, daß es ihr durch ihren ungewöhnlichen Mut gelungen war, dessen Händen zu entkommen. Was Wunder also, wenn sie sich einer großen Berühmtheit erfreute! Allein, wiederum waren alle die, welche die Frau Obristin noch nie zuvor gesehen hatten, der Meinung, Basia werde wohl einer Riesin gleichen, die mit Leichtigkeit Hufeisen zu zerbrechen und Stahlpanzer zu zerreißen vermöge. Wie erstaunt waren daher auch sie, als sie nunmehr das rosige Kindergesicht Basias auftauchen sahen. »Ist denn dies Frau Wolodyjowski selbst oder deren Tochter?« hörte man in der Menge fragen. »Das ist sie selbst!« antworteten die, welche sie kannten, worauf stets die Bürger, die Frauen und die Soldaten von dem größten Staunen ergriffen wurden. Unendliche Bewunderung zollte man aber auch der unüberwindlichen Chreptiower Besatzung, den Dragonern, an deren Spitze Herr Nowowiejski mit wirren Augen und stetem Lächeln ritt, sowie den dräuenden Erscheinungen der in ungarisches Fußvolk verwandelten Räubergesellen. Da aber Basia noch von einer besonderen Ehreneskorte von etlichen Hundert Mann – durchwegs kriegstüchtige Soldaten – geleitet wurde, wuchs auch der Mut der Bürger. »Die können sich sehen lassen,« hörte man sagen, »die werden es mit den Türken aufzunehmen wissen.« Etliche der Bürger, ja einige Soldaten von dem Regimente des Fürstbischofs Przebicki, das erst vor ganz kurzem eingerückt war, hegten die Meinung, Herr Wolodyjowski selbst befinde sich in dem Zuge, weshalb man auch von allen Seiten rufen hörte:

»Es lebe Herr Wolodyjowski!«

»Lange lebe unser Schützer, der berühmte Kavalier!«

»Vivat Wolodyjowski! Vivat!«

Wie schwoll Basia das Herz vor Freude bei diesen Rufen, giebt es doch nichts Erhebenderes für eine Frau, als wenn sie ihres Gatten Ruhm, insonderheit aber in einer solchen Feste, von den Massen laut verkünden hört! »Gar viele Ritter giebt es hier!« dachte Basia bei sich, »doch keinem wird so gehuldigt, wie meinem Michal!« Sie verspürte nicht übel Lust, selbst mit einzustimmen in die Rufe: »Vivat Wolodyjowski!« Doch Herr Zagloba hinderte sie daran und stellte ihr vor, sie müsse sich benehmen, wie es einer hochgestellten Dame gezieme, also demnach, sich still verhaltend, nach beiden Seiten grüßen, wie dies Königinnen thun, die feierlich in ihre Residenz einziehen. Er selbst grüßte bald mit der Mütze, bald mit der Hand, und als etliche, die ihn kannten, ihn auch hoch leben ließen, da rief er den Umstehenden zu:

»Wohledle Herren! Wer Zbaraz gehalten hat, der wird auch Kamieniec zu verteidigen wissen.«

Dem Wunsche Wolodyjowskis gemäß wendete sich der Zug zu dem neuerbauten Frauenkloster der Dominikaner. Wohl besaß der kleine Ritter ein eigenes Heim in Kamieniec, da aber das Klostergebäude in einem stillen Winkel lag, wohin die Kanonenkugeln kaum dringen konnten, zog er es vor, seine geliebte Basia hinter diesen schützenden Mauern zu bergen, da er als Wohlthäter des Klosters auf die freundliche Aufnahme seiner Gattin rechnen durfte. Thatsächlich wurde auch Basia von der Aebtissin, Mutter Wiktorya, einer Tochter von Stefan Potocki, dem Wojwoden von Braclaw, mit offenen Armen empfangen. Doch blieb es nicht allein bei dieser Begrüßung, bald lag Basia an der Brust ihrer geliebten Tante Makowiecki, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Beide brachen in Thränen aus, und auch der Herr Truchseß aus Latyczow, dessen Liebling Basia stets gewesen war, weinte mit ihnen. Kaum aber hatten sie ihre Rührung einigermaßen überwunden, als Krzysia Ketling herbeigeeilt kam und Basia um den Hals fiel. Bald stellten sich auch die Ordensschwestern und eine große Anzahl von Edelfrauen ein, die alle Basia umringten, ob sie diese kannten oder nicht, wie Frau Marcin Bogusz, Frau Stanislawski, Frau Kalinawski, Frau Chocimierski, Frau Wojciech Humiecki, die Gemahlin des Bannerherrn von Podolien, eines hochangesehenen Kavaliers. Die einen, darunter Frau Bogusz, erkundigten sich nach dem Befinden ihrer Ehegatten, die andern wollten hören, wie Basia über die türkische Invasion denke und ob sie glaube, daß sich Kamieniec halten werde. Mit unendlicher Freude nahm Basia wahr, welch großes Vertrauen man ihrer Urteilskraft in Kriegsangelegenheiten entgegenbrachte, und wie man hoffte, Trostesworte aus ihrem Munde zu vernehmen. So geizte sie denn auch nicht damit, indem sie erklärte: »Daß wir uns der Türkei nicht erwehren können, davon ist gar nicht die Rede. Michal trifft heute oder morgen, längstens aber in einigen Tagen hier ein, und wenn er einmal die Verteidigung in die Hand genommen hat, dann könnt Ihr, liebwerte Frauen, um so mehr ruhig schlafen, als dies hier eine ganz gewaltige Festung ist, was ich, Gott sei Dank, doch auch ein wenig zu beurteilen verstehe.«

Basias Zuversicht übte eine beruhigende Wirkung auf die Gemüter der Frauen aus, denen auch die Mitteilung, daß Wolodyjowski bald eintreffen werde, sehr tröstlich war. Dessen Name allein genoß aber auch einer solchen Hochachtung, daß ungeachtet der anbrechenden Dunkelheit die in Kamieniec anwesenden Offiziere vorsprachen, um Basia ehrfurchtsvoll zu begrüßen. Ein jeder der Vorgelassenen fragte auch sofort, wann der kleine Ritter zu erwarten sei, und ob er wirklich die Absicht hege, sich in Kamieniec einschließen zu lassen. Basia empfing nämlich nur den Major Kwasibrocki, der das Fußvolk des Krakauer Fürstbischofs befehligte, den Kronschreiber, Herrn Rzewuski, der als Nachfolger des Herrn Laczynski, oder vielmehr als dessen Stellvertreter ein Regiment anführte, und Ketling. Alle andern wurden abgewiesen, da Basia erstens von der Reise sehr ermüdet war und zweitens sich mit Herrn Nowowiejski befassen mußte. Der unglückliche junge Krieger war just vor dem Kloster vom Pferde gestürzt und bewußtlos in eine Zelle gebracht worden. Der sofort herbeigerufene Medikus, derselbe, der Basia in Chreptiow behandelt hatte, stellte eine schwere Gehirnentzündung fest und gab wenig Hoffnung für das Aufkommen des Kranken. Das traurige Geschick des jungen Offizieres besprechend, saßen Basia, Herr Muszalski und Herr Zagloba bis tief in die Nacht hinein beisammen.

»Der Medikus äußerte sich mir gegenüber,« erklärte Zagloba, »der Unglückliche könne nur dann wieder klaren Geistes werden, wenn er nach wirksamen Aderlässen am Leben bleibe. Er vermöge auch dann leichteren Herzens sein Schicksal zu tragen.«

»Für ihn giebt es keinen Trost mehr!« warf Basia ein.

»Gar häufig wäre es für den Menschen besser, er besäße kein Erinnerungsvermögen,« bemerkte Herr Muszalski, »doch selbst animales sind nicht frei davon.«

Nun erteilte der greise Ritter dem unvergleichlichsten Bogenschützen eine gewaltige Rüge.

»So Euer Liebden kein Erinnerungsvermögen besäßen,« ließ er sich vernehmen, »könntet Ihr auch nicht zur Beichte gehen, sondern glichet den Lutheranern und wäret dem höllischen Feuer verfallen. Euer Gnaden wurden schon von dem Geistlichen Kaminski vor Gotteslästerung gewarnt, doch selbst wenn man dem Wolf ein Vaterunser sagt, zerreißt er das Zicklein!«

»Bin ich vielleicht ein Wolf!« sprach der treffliche Bogenschütze. »Bei meiner Treu, Azya, der war ein Wolf!«

»Habe ich dies denn nicht stets gesagt?« fragte Herr Zagloba. »Wer sagte denn zuerst: das ist ein Wolf?«

»Nowowiejski teilte mir mit,« erzählte Basia, »er höre Tag und Nacht den Jammerruf Ewas und Zosias: »Rette uns!« Aber wie ist hier eine Rettung möglich? Ist's zu verwundern, wenn ihn eine Krankheit überfiel? Einen solchen Schmerz kann kein Mensch ertragen. Den Tod der von ihm so heiß geliebten Wesen würde er vielleicht überlebt haben, deren Schmach kann er aber nicht überwinden.«

»Jetzt liegt er da wie ein Stück Holz und weiß nichts von Gottes Welt,« bemerkte Muszalski. »Schade um ihn, er war ein tüchtiger Krieger.«

Das weitere Gespräch wurde durch den Eintritt eines Bediensteten unterbrochen. Dieser erschien mit der Meldung, es herrsche ein gewaltiges Getriebe in der Stadt, da sich die Leute zusammenschaarten, um den General von Podolien zu sehen, der soeben mit einem zahlreichen Gefolge und mit etwa fünfzig Mann Fußvolk seinen Einzug halte.

»Er hat hier das Kommando zu führen,« sagte Zagloba. »Gar tugendhaft ist es ja von dem Herrn Mikolaj Potocki, daß er den Aufenthalt in Kamieniec jedem andern Orte vorzieht, nichtsdestoweniger wollte ich aber, er wäre nicht hierhergekommen. Ha! er ist auch gegen den Hetman gewesen, er hat auch nicht an den Krieg geglaubt, jetzt aber ist es fraglich, ob es ihm nicht seinen Kopf kostet.«

»Vielleicht folgen ihm die andern Herren Potocki nach,« ließ sich Herr Muszalski vernehmen.

»Offenbar stehen die Türken nicht mehr allzu weit!« erklärte Herr Zagloba. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes! Gott gebe, daß sich der Herr General als ein zweiter Jeremi erweist, das; Kamieniec ein zweites Zbaraz werde.«

»So muß es kommen, wenn wir nicht zu Grunde gehen wollen!« ertönte eine Stimme von der Thüre her.

Beim Klange dieser Stimme sprang Basia wie der Blitz empor und mit dem Aufschrei »Michal« lag sie auch schon in den Armen des kleinen Ritters.

Herr Wolodyjowski brachte wichtige Nachrichten aus dem Felde mit, die er aber zuerst seinem Weibe in stillem Gelasse mitteilte, bevor er sie vor dem Kriegsrate vortrug. Er selbst hatte verschiedene kleinere Horden bis auf den letzten Mann vernichtet und sich auch in der Nähe der Feldlager der Horden aus der Krim und Doroszenkos neuen Ruhm erworben. Gegen vierzig Gefangene führte er mit sich, von denen man Näheres über die Stärke des Khans und Doroszenkos erfahren konnte.

Andere Befehlshaber von Streifzügen hatten aber, wie der kleine Ritter erzählte, weniger Glück gehabt. Der Herr aus Podlasie, der über ganz bedeutende Streitkräfte verfügte, war in einer mörderischen Schlacht geschlagen worden, und über Herrn Motowidlo, der mit seinen Scharen gegen die welschen Grenzen gezogen war, hatte Kryczynski mit Hilfe der Bialogroder Horde und der Lipker, die nach der Katastrophe bei Tykicz noch am Leben geblieben, einen großen Sieg errungen.

»Bevor ich mich hierher nach Kamieniec wendete,« sagte Wolodyjowski, »bin ich noch einmal in Chreptiow gewesen, um noch einmal die Stätte meines Glückes zu sehen. Es war ganz kurz nach Eurer Abreise, noch war das Nest ganz warm, wo Du geruht hast. Leicht hätte ich Euch einholen können, allein ich setzte bei Uszyc auf das Moldauische Ufer über, um mir dort Kunde aus den Steppen zu verschaffen. Einige der Horden haben schon den Uebergang bewerkstelligt, fürchten aber, so sie in Pokucie vorrücken, »unvermutet« aus den Feind zu stoßen. Andere wieder bilden die Vorhut des türkischen Heeres und werden in Bälde hier eintreffen. Zu einer Belagerung kommt es sicherlich, mein süßes Täubchen – dagegen giebt es kein Mittel. Doch wir werden uns halten, denn hier verteidigt ein jeder nicht nur das Vaterland, sondern auch sein Privateigentum.«

Bei diesen Worten schlang Wolodyjowski, dessen Schnurrbärtchen sichtlich zitterte, beide Arme um sein junges Weib und bedeckte dessen Antlitz mit Küssen. Gesprochen aber wurde nichts mehr. Am folgenden Morgen teilte Wolodyjowski alles, was er wußte, dem Fürstbischof Lanckoronski mit, ehe der Kriegsrat sich versammelte, zu dem außer dem Bischof noch gehörten: der General von Podolien, der podolische Unterkämmerer, Herr Lanckowonski, der Kronschreiber von Podolien, Herr Rzewuski, der Bannerherr Humiecki, Ketling, Herr Makowiecki, Major Kwasibrocki und mehrere andere Krieger. Vor allem wollte es dem Herrn Wolodyjowski nicht gefallen, daß der Herr General von Podolien die Aeußerung that, er wolle nicht das Oberkommando übernehmen, sondern beabsichtige, es dem Kriegsrat abzutreten. »In einer drangvollen Lage bedarf es eines Kopfes und eines Willens!« erklärte der kleine Ritter. »Bei Zbaraz gab es drei Stellvertreter des kommandierenden Feldherrn, die berechtigt gewesen wären, die Oberleitung für sich in Anspruch zu nehmen, trotzdem vertraute man aber die Führung dem Fürsten Jeremi Wisniowiecki an, von dem richtigen Gesichtspunkt ausgehend, daß es besser sei, in Stunden der Gefahr sich einem Willen unterzuordnen.«

Diese Worte blieben jedoch ohne Wirkung. Vergebens führte auch der gelehrte Ketling die Römer als Vorbild an, indem er darlegte, wie sie, die als die hervorragendsten Krieger der Welt gelten, doch die Diktatur ersonnen hatten. Der Fürstbischof, der Ketling nicht leiden mochte, weil er sich aus irgend welchen Gründen einbildete, jener müsse als Schotte von Geburt im Grunde seiner Seele ein Ketzer sein, erklärte sofort, die Polen hätten es ebenso wenig nötig, von den Ausländern Geschichte zu lernen, wie den Römern nachzuahmen, denen sie übrigens an Mannhaftigkeit und Beredsamkeit durchaus nicht oder kaum nachstünden. »Gleichwie ein Arm voll Holz,« fügte er noch hinzu, »eine stärkere Flamme giebt als ein einzelnes Scheit Holz, ebenso sind auch viele Köpfe achtsamer als ein einzelner Kopf.« Hierauf verfehlte er auch nicht, die Bescheidenheit des Herrn Generals von Podolien zu preisen, in der andere zwar ein Zeichen der Furcht vor Verantwortlichkeit zu erblicken beliebten und riet seinerseits, Unterhandlungen anzuknüpfen. Kaum aber war dieses Wort gefallen, so sprangen Wolodyjowski, Ketling, Makowiecki, Kwasibrocki, Humiecki und Rzewuski blitzesschnell von ihren Sitzen empor und schlugen zähneknirschend an ihre Säbel. »Traun,« hörte man etliche Stimmen rufen, »traun, nicht um Unterhandlungen zu führen, sind wir hierhergekommen. Nur durch sein Gewand wird der geschützt, der hier das Vermittleramt übernehmen will.« Kwasibrocki ließ sich sogar zu dem Ausruf hinreißen: »In die Kirche gehört er, nicht in den Kriegsrat!« Doch der Lärm und der Tumult wurde von der mächtigen Stimme des Bischofs übertönt, der sich nun auch von seinem Sitze erhob und also sprach: »Ich bin gewiß als Erster bereit, mein Leben der Kirche und meinen Schäflein zu opfern, und wenn ich auf Unterhandlungen hinwies, wenn ich gern dämpfend einwirken möchte, dann geschieht es, Gott ist mein Zeuge, nicht deshalb, weil ich an die Uebergabe der Feste denke, sondern in der Voraussetzung, daß der Hetman dadurch die nötige Zeit gewinnt, um Verstärkungen an sich zu ziehen. Gefürchtet ist der Name des Herrn Sobieski bei den Heiden sehr, und selbst wenn er auch nicht über große Streitkräfte verfügt, wird doch allein schon das Gerücht von seinem Anrücken genügen, um die Ungläubigen zum Abzuge von Kamieniec zu bewegen.«

Auf diese Rede hin verstummten alle, die meisten freuten sich darob, daß der Fürstbischof an eine Kapitulation gar nicht zu denken schien.

Schließlich ergriff aber Wolodyjowski wieder das Wort.

»Ehe der Feind zur Belagerung von Kamieniec schreitet,« erklärte er, »muß er zuvor Zwaniec erobern, weil er doch keinesfalls ein befestigtes Schloß in seinem Rücken dulden kann. Nun denn, mit Zustimmung des Herrn Unterkämmerers von Podolien unternehme ich es, mich in Zwaniec einschließen zu lassen und mich daselbst so lange zu halten, daß für den Herrn Hetman die gleiche Zeit gewonnen wird, wie dies bei Unterhandlungen der Fall wäre, für die der Herr Fürstbischof eintritt. Treu ergebene Leute will ich mit mir nehmen, und so lange ich am Leben bin, wird Zwaniec nicht fallen.«

Doch nun riefen alle:

»Das kann nicht sein. Du bist hier unentbehrlich! Du verstehst es, den Mut der Bürger zu heben, Deine Anwesenheit allein genügt, die Soldaten zur höchsten Ausdauer anzufeuern. Das ist ganz unmöglich! Wer von uns hier besitzt eine solche Erfahrung wie Du? Wer von uns hat bei Zbaraz gekämpft? Und wenn es zu einem Ausfall kommen sollte, wer kann dann die Führung übernehmen? In Zwaniec würdest Du zu Grunde gehen, wir aber gehen hier zu Grunde ohne Dich.«

»Der Kommandant hat über mich zu verfügen!« antwortete Herr Wolodyjowski.

»Für Zwaniec würde sich ein junger, thatkräftiger Offizier eignen, der mich wirksam unterstützen könnte!« ergriff der Unterkämmerer von Podolien das Wort.

»Nowowiejski wäre der richtige hierfür!« ließen sich nun etliche Stimmen vernehmen.

»Nowowiejski kann sich nicht nach Zwaniec begeben,« bemerkte Wolodyjowski, »da er auf dem Krankenlager liegt. Sein Kopf glüht vor Fieberhitze, und er weiß nichts mehr von Gottes Welt.«

»Beraten wir zuvörderst darüber,« ergriff nun der Fürstbischof das Wort, »wer von uns den oder jenen Punkt zu besetzen hat, und welche Thore verteidigt werden müssen.«

Aller Augen richteten sich nun auf den General von Podolien, der also sprach:

»Bevor ich irgendwelche Befehle erteile, möchte ich die Ansicht erfahrener Krieger hören. Da aber in experientia der Kriegführung Herr Wolodyjowski alle andern überragt, fordere ich ihn auf, seine Meinung kund zu thun.«

Wolodyjowski riet, zunächst die vor der Stadt liegenden Schlösser, vorerst aber das neue Schloß gut zu besetzen, da sich sicherlich der Hauptansturm des Feindes gegen dieses richten werde und ihm stimmten die anderen Krieger bei. So einigte man sich denn auch dahin, das eintausendundsechzig Mann zählende Fußvolk derart zu verteilen, daß die rechte Seite des Schlosses von Herrn Mysliszewski, die linke von dem ob seiner vorzüglichen Haltung bei Chocim berühmten Herrn Humiecki besetzt werden solle. Die Verteidigung des gegen Chocim gelegenen und dadurch gefährdetsten Schloßflügels bekam in dem hochaufstrebenden Teile Herr Wolodyjowski übertragen, während zum Schutze für den tiefer gelegenen eine Abteilung Serdiuks bestimmt ward. Major Kwasibrocki bekam die Seite gegen Zinkawic zugewiesen, Herr Wasowicz die gegen Süden, Hauptmann Bukar aber ward dazu ausersehen, mit den Leuten des Herrn Krasinski die den Hofraum umgrenzende Seite zu verteidigen. All diese Soldaten waren aber nicht etwa hergelaufene Leute, die zeitweise freiwillig Kriegsdienste leisteten, sondern tüchtige, ausdauernde Berufssoldaten, denen das Artilleriefeuer etwas so Selbstverständliches war wie andern Menschen die Sonnenhitze. Da sie sich zudem, im Dienste der Republik stehend, von Jugend an daran gewöhnt hatten, gegen einen ihnen oftmals um das zehnfache überlegenen Feind zu kämpfen, betrachteten sie dies als etwas ganz Natürliches. Den Oberbefehl über die gesamte Artillerie des Schlosses führte der schöne Ketling, der sich vor allen andern durch seine Geschicklichkeit beim Richten des Geschützes auszeichnete, das Oberkommando aber über beide Schlösser wurde dem kleinen Ritter übertragen, dem der Herr General von Podolien auch hinsichtlich der Ausfälle freie Hand zuerkannte, indem er erklärte, es bleibe Wolodyjowski überlassen, solche nach eigenem Gutdünken zu unternehmen.

Nachdem nun aber ein jeder der Genannten den Platz angewiesen bekommen hatte, der ihm zu verteidigen oblag, gaben die Krieger ihre Freude durch Säbelgeklirr und laute Ausrufe kund, der Herr General von Podolien jedoch sprach daraufhin zu sich selbst:

»Ich glaubte nicht an die Möglichkeit einer Verteidigung und kam, ohne Vertrauen, lediglich der Stimme des Gewissens folgend, hierher. Doch wer weiß, ob es uns mit solchen Soldaten nicht gelingen wird, den Feind zurückzuschlagen? Ich würde den Ruhm ernten, für einen zweiten Jeremi würde ich gelten, und wenn es so käme, dann wäre es ein glücklicher Stern, der mich hierhergeführt hat.«

Und ebenso wie er früher die Verteidigung angezweifelt hatte, zweifelte er jetzt die Erstürmung von Kamieniec an, so daß er nunmehr, in geradezu erhobener Stimmung, darüber zu beraten begann, wie die Stadt besetzt werden solle.

Man kam zu dem Entschlusse, die Verteidigung des Reußischen Thores dem Herrn Makowiecki zu übergeben, dem etliche Edelleute, eine bestimmte Anzahl polnischer Bürger, die sich stets durch ihre Ausdauer im Kampfe hervorthaten, sowie vierzig bis fünfzig Armenier und Juden zuerteilt wurden. Der Schutz des Lucker Thores ward dem Herrn Grodecki anvertraut, während die Geschützleitung Herr Zuk und Herr Matczynski übertragen erhielten. Die Verteidigung des Rathausplatzes ward dem Herrn Lukasz Dziewanowski zuerkannt, während Herr Chocimirski das lärmende Zigeunervolk vor dem Reußischen Thore befehligen sollte. Die Strecke zwischen der Brücke und der Behausung des Herrn Sinicki bekam der Bruder des tapferen Wojciech, Herr Kasimir Humiecki, zur Aufstellung angewiesen, dem sich Herr Staniszewski anschließen sollte. Für den Posten an dem polnischen Thore bestimmte man den Herrn Marcim Bogusz zum Führer, die Spizowa-Bastei sollte Herr Jerzy Skarzynski und Herr Jakowski bis zu dem Bialoblocker Loch besetzt halten. Herr Dubrawski und Herr Pietraszewski wurden zu Verteidigern der Rzeznika-Bastei aufgestellt, die Verteidigung der großen städtischen Schanze sollte Tomaszewicz, der Vogt der polnischen Gerichtsbarkeit, die Verteidigung der kleineren Schanze Herr Jackowski führen. Am Ende der Beratung ward beschlossen, eine dritte Schanze zu errichten, von welcher aus späterhin ein Jude, als hervorragender Kanonier, den Türken großen Schaden zufügte.

Nach Schluß des Kriegsrates begaben sich alle Teilnehmer zum Abendessen zu dem Herrn General von Podolien, der es sich angelegen sein ließ, während des Mahles Herrn Wolodyjowski in jeder Weise auszuzeichnen, ging er doch von der Voraussetzung aus, die Nachwelt werde dem kleinen Ritter auf die Belagerung von Kamieniec hin den Namen »Hektor von Kamieniec« beilegen. Wolodyjowski erklärte seinerseits, er werde sich mit Leib und Seele seiner Aufgabe widmen und gedenke sich außerdem durch ein in der Kathedrale noch abzulegendes Gelübde zu binden, weshalb er auch den Herrn Fürstbischof bitte, ihm dies für den morgigen Tag zu gestatten. In Erwägung dessen, daß ein solches Gelöbnis dem Gemeinwohl nur nützlich sein könne, gab der Fürstbischof sofort seine Einwilligung. Tags darauf fand denn auch in der Kathedrale ein feierlicher Gottesdienst statt, dem Ritter, Edelleute, Krieger und viel Volk in andächtiger, weihevoller Stimmung anwohnten. Herr Wolodyjowski und Herr Ketling lagen in Kreuzesform vor dem Hochaltare, Krzysia und Basia knieten, in Thränen aufgelöst, hinter der Stalla, wußten sie doch nur zu wohl, daß ein solches Gelöbnis das Leben ihrer Ehegatten aufs höchste gefährde. Nach Beendigung der Messe wandte sich der Bischof mit der Monstranz gegen das Volk, und nun erhob sich der kleine Ritter, kniete auf den Altarstufen nieder und sprach mit bewegter, aber doch weithin vernehmbarer Stimme:

»Für die außerordentlichen Wohlthaten und für die besondere Bevorzugung, deren ich durch Gott den Allmächtigen und dessen eingeborenen Sohn teilhaftig geworden bin, fühle ich mich zu tiefstem Danke verpflichtet. Ich gelobe daher hiermit und leiste den feierlichen Eid, daß ebenso wie Er und Sein Sohn mir beigestanden sind, auch ich bis zum letzten Atemzuge das heilige Kreuz verteidigen will. Und da mir auch der Oberbefehl über das alte Schloß anvertraut worden ist, soll so lange ich lebe, so lange ich meine Glieder gebrauchen kann, kein heidnischer in Unflätigkeit lebender Feind Einlaß in dieses Schloß erhalten, von dessen Mauern ich nicht weichen werde. Nie und nimmermehr aber will ich die weiße Fahne aufstecken, und sollte ich auch unter den Trümmern zu Grunde gehen. So wahr mir Gott helfe und das heilige Kreuz! Amen!«

Geraume Zeit hindurch herrschte tiefe, feierliche Stille in der Kirche, dann aber erscholl Ketlings Stimme:

»Ich gelobe hiermit,« sprach er, »aus tiefer Dankbarkeit für die in diesem meinem Vaterlande empfangenen Wohlthaten, das alte Schloß bis zu meinem letzten Blutstropfen zu verteidigen und mich eher unter den Trümmern desselben begraben zu lassen, als zu gestatten, daß es von einem feindlichen Fuße betreten werde. Und lauteren Herzens und von tiefem Dankgefühl getrieben, leiste ich diesen Schwur, so wahr mir Gott helfe und das heilige Kreuz – Amen!«

Hierauf neigte der Geistliche die Monstranz und reichte sie zuerst dem kleinen Ritter und dann Ketling zum Kusse dar. Bei diesem Anblick entstand eine große Bewegung unter der Ritterschaft und allenthalben wurden Stimmen laut, allenthalben hörte man rufen: »Wir alle beschwören es!« »Bis auf den letzten Mann halten wir uns!« »Die Feste wird nicht fallen!« »Wir schwören es, wir schwören es!« »Amen, Amen, Amen!« Und klirrend flogen Säbel und Rapiere aus den Scheiden, und hell erglänzten die stählernen Klingen in der Kirche. Wohin man auch schaute, überall blickte man in kampfesmutige Gesichter, in blitzende Augen – unaussprechliche Begeisterung hatte den Adel, die Krieger und alles Volk erfaßt. Jetzt erklangen die Glocken, die Orgel erbrauste, der Bischof stimmte das » Sub Tuum praesidium« an, auf das Hunderte von Stimmen in mächtigem Chore antworteten, und alle fanden sich in heißem Gebete um Schutz für diese Feste, welche eine Warte für die Christenheit, der Schlüssel zu der Republik war.

Nach Beendigung des Gottesdienstes verließen Ketling und Wolodyjowski Arm in Arm die Kirche. Laute Zurufe, warme Segenswünsche begleiteten sie auf ihrem ganzen Wege, denn niemand zweifelte daran, daß sie die Feste bis zu ihrem letzten Atemzuge verteidigen würden. Doch nicht der Tod, nein, der Sieges-, der Ruhmeskranz schien ihnen beschieden zu sein, und inmitten der Volksmassen waren sie wohl die einzigen, die wußten, welch furchtbaren Eid sie geleistet hatten. Vielleicht ahnten aber auch zwei liebende Herzen die drohende Gefahr, in die sich die beiden Helden begaben, denn weder Basia noch Krzysia waren im stande, sich zu beruhigen, und als endlich Wolodyjowski sich in dem Kloster mit Basia allein befand, da schmiegte sich diese, weinend und schluchzend wie ein kleines Kind, an seine Brust und stammelte in abgerissenen Worten:

»Bedenke doch ... Michal ... daß ... so Dich Gott nicht vor Unglück schützt ... ich nicht weiß ... was aus mir ... werden soll.«

Und sie schluchzte so heftig, daß ihr ganzer Körper erbebte. Auch der kleine Ritter ward von inniger Rührung erfaßt, und sein Schnurrbärtchen zitterte sichtlich, als er endlich in beruhigendem Tone sagte:

»Nun, nun, Basia ... ich mußte es doch thun ... das wirst Du doch einsehen, Basia!«

»Ich wollte, ich wäre gestorben!« stieß nun Basia hervor.

Als der kleine Ritter diesen Ausspruch hörte, zitterte sein Schnurrbärtchen noch rascher als zuvor, und nachdem er die Worte: »Beruhige Dich, Basia, beruhige Dich, Basia!« mehreremale wiederholt hatte, sagte er schließlich zu dem heißgeliebten Weibe:

»Gedenkst Du noch des Versprechens, das ich ablegte, als Dich Gott wieder zu mir zurückführte? Ich redete also: »Allmächtiger Gott, welches Opfer Du mir auch auferlegen wirst, ich will es gern über mich nehmen, und nach dem Kriege, so ich am Leben bleibe, werde ich Dir eine Kapelle errichten, während des Krieges aber will ich zu Deinem Preise irgend eine bedeutende That vollbringen.« Was will aber die Verteidigung eines Schlosses bedeuten? Eine viel zu geringe That wäre dies für alle die von mir empfangenen Wohlthaten. Jetzt ist die Zeit für mich gekommen! Oder wäre es meiner würdig, wenn sich der Erlöser sagen müßte: »Sein Versprechen war eitel Blendwerk!« Mögen mich doch eher die Trümmer des Schlosses zerschmettern, als daß ich mein Wort als Kavalier breche, als daß ich Gott mein Versprechen nicht halte. Es muß sein, Basia! Das ist die Sache! ... Auf Gott, Basia, wollen wir vertrauen.«


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