Robert Falcon Scott
Letzte Fahrt - Auszug
Robert Falcon Scott

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10. Zurück über das Eis nach Kap Evans

Montag, 10. April 1911. Ich wollte heute nach Kap Evans aufbrechen, aber als wir bereit waren, bewölkte sich der Himmel vollständig, und bald schneite es, bis die Sonne unterging. Ein Glück, daß wir nicht schon auf dem Marsch waren! Schlimmeres Wetter für unser an sich schon gefährliches Vorhaben läßt sich gar nicht denken!

13. April. Heute 9 Uhr morgens verließen wir endlich die Hüttenspitze. Wilson blieb als Kommandant mit 6 Gefährten hier; ebenso die Hunde und die Ponys. Die Zurückbleibenden halfen uns den Schneeabhang hinauf, denn wir wollten soweit wie möglich über Land gehen. Wir marschierten bis über die Ostseite des Burgfelsens hinauf, überstiegen den Bergrücken und zogen an seiner Westseite weiter. In der zunächst liegenden Bucht schien die Eisfläche noch sehr klein. Also vorwärts am Bergrücken entlang bis an die Hultonfelsen, 14 Kilometer von der Hüttenspitze!

Zwischen Hultonfelsen und Erebus war der ganze Abhang voller Spalten und Risse; wir schlugen daher einen deutlich erkennbaren Pfad nach dem Rande der Klippen ein. Tief hinunter kamen wir aber nicht; der niedrigste Teil war immer noch ein Meter hoher, jäher Absturz. Unterdes war der eisige Wind zum Sturm geworden, Schnee wirbelte in mächtigen Wolken von der Höhe herab – wir mußten einen schnellen Entschluß fassen.

Ich kroch nach dem Rand hin und hieb feste Stufen ein, um von ihnen aus das Seil handhaben zu können; dann ließ ich 3 Leute daran hinunter und schickte ihnen die Schlitten nach, die voll beladen ganz großartig unten ankamen. Ihnen folgte der Rest der Gesellschaft; für die letzten trieb ich eine Stange fest in den Schnee ein, schlang das Seil darum, und die Untenstehenden ließen uns nun hinunter.

Das Ziehen auf der mit Salzkristallen bedeckten Eisfläche war jedoch viel anstrengender, als ich erwartet hatte. Wir erreichten die Gletscherzunge erst um 1/2 6 und brachten die Schlitten glücklich eine 2 Meter hohe Mauer hinauf. Droben auf hartem Eis war das Ziehen leichter, aber es wurde schon dämmerig, und mehrere von uns stürzten in Spalten. Auf der Nordseite ging es besser, und eine niedrige Eisklippe ermöglichte einen leichten Abstieg.

Am 6 Uhr wurde es plötzlich ganz dunkel. Trotzdem marschierten wir noch einige Stunden, bis wir um 10 Uhr dicht an der Kleinen Finnwalinsel kaum mehr die Hand vor den Augen sehen konnten und haltmachen mußten. Um ½ 12 krochen wir in die Zelte.

In der Nacht erhob sich ein Orkan, und am Morgen begann uns das Eis, auf dem unser Zelt stand, zu beunruhigen. Wir verlegten daher unser Lager auf eine haltbarere Eisplattform im Schutz fast senkrecht emporsteigender Felsenklippen. Das Toben in den Klüften über unsern Köpfen war den ganzen Tag über betäubend.

Während der folgenden Nacht legte sich der Wind etwas, und als ich am Morgen um 7 Uhr weckte, konnten wir wenigstens Land vor uns sehen. Es war noch verzweifelt kalt, und das Zeug fror uns am Leibe; länger zu warten aber war unmöglich, denn unsere Lebensmittel waren zu Ende.

Als wir uns dem Vorgebirge langsam näherten, wurden einige tröstliche Lebenszeichen sichtbar: alte Fußstapfen im Schnee und ein langer Seidenfaden vom Ballon des Meteorologen. An den Felsen des Vorgebirges waren zahlreiche Eisberge gestrandet, und zu meiner Überraschung erstreckte sich das feste Eis über das Vorgebirge hinaus, so daß wir um das Kap herum in die Nordbucht hineinmarschieren konnten. Auf einmal erblickten wir den Wetterschirm auf dem Windfahnenhügel; einen Augenblick später trat ein kleines Vorland zurück, und wer beschreibt meine Erleichterung, als jetzt die Hütte völlig unversehrt vor uns lag – Ställe, Nebengebäude, nichts war von der See beschädigt worden.

In der Nähe der Ställe gewahrten wir 2 arbeitende Gestalten. Nach wenigen Augenblicken hatten auch sie uns bemerkt und liefen in die Hütte hinein, um unsere Ankunft zu melden. 3 Minuten später stürmten alle Bewohner mit lautem Willkommgruß über das Eisfeld uns entgegen.

Leider hatten sich während meiner Abwesenheit zwei Unfälle ereignet; ein Pony und ein Hund waren gestorben. Unsere Verluste haben sich also noch vergrößert. Die Einrichtung der Hütte aber ist wunderbar fortgeschritten und die tägliche Erledigung der wissenschaftlichen Arbeiten in vollem Gang.

Erst als ich unsere Winterstation wieder betrat, wurde mir klar, welche Sorge um das Haus ich mit mir herumgetragen hatte. Seit dem Verlust der Ponys wurde ich das Gefühl nicht los, daß Unheil in der Luft laure und eine abnorme Dünung den Strand überschwemmt haben könne. Das späte Zufrieren des Meeres, die schreckliche Hartnäckigkeit des Sturmes und all die Unregelmäßigkeiten des Wetters in diesem Jahr hatten meine Einbildungskraft mit allen möglichen Bildern von Unglück erfüllt, das meine Gefährten betroffen haben könnte. –

Welch ein wunderbarer Gegensatz, nach unserm kümmerlichen Leben auf der Hüttenspitze wieder in unser warmes, trocknes Heim auf Kap Evans einzuziehen! Der kleine Raum, der jedem zur Verfügung stand, weitete sich zu einem Palast, die Beleuchtung erschien über alle Beschreibung glänzend und die Bequemlichkeit luxuriös. Nach drei Monaten konnten wir wieder einmal auf zivilisierte Weise essen, uns den Genuß eines Bades gestalten und in reiner, trockener Kleidung schwelgen. Solche Stunden lassen alle Entbehrungen der Vergangenheit vergessen und sind Lichtpunkte in der Erinnerung jedes Polarfahrers.

22. April. Gestern kehrte ich von einem zweiten, 4tägigen Ausflug nach der Hüttenspitze zurück. Wir haben Hafer- und Weizenmehl, Schweinespeck, Butter und andern Proviant hingebracht, und die dortigen Vorräte an Robbenspeck vermehrt. Meares ließ ich als Kommandanten dort zurück, mit Dimitri als Hilfe bei den Hunden, Lashly und Keohane, zum Besorgen der Ponys, Nelson, Day und Forde, damit sie Erfahrungen über das Leben in der Antarktis sammeln. Wilson und seine Gefährten kehrten mit mir zurück und waren von der behaglichen Einrichtung unseres Winterquartiers eben so freudig überrascht wie ich.

Sonntag, 23. April. Heute nahm die Sonne Abschied und bot uns noch einmal den herrlichen Anblick ihres goldenen Lichtes über dem Barnegletscher. Sie selbst war durch den Gletscher verdeckt, dessen schöne Eisklippen in tiefem Schatten unter den rosigen Strahlen lagen. Nun beginnt das lange, milde Zwielicht, das gleich einer silbernen Spange das Heute mit dem Gestern verbindet.


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