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Zwanzigstes Kapitel.

Unbekannt in dieser Gegend, die ein Fremder
Ohn' Freund und ohne Führer
Rauhe findet und ungastlich.

Zwölfte Nacht.

Die Vorbereitungen zum Mittagsmahle zeigten, daß der gute Ritter durch seinen Wiedereinzug in sein Haus, der Meinung seiner wenigen aber getreuen Diener nach, einen Triumph feiere.

Der große Humpen, welcher in halb erhabener Arbeit den Engel Michael zeigte, wie er den Erzfeind besiegte, stand auf dem Tische, und Joceline und Phöbe warteten pflichtmäßig auf; der Erstere hinter dem Stuhle des Sir Henry, die Zweite um ihre junge Gebieterin zu bedienen, beide aber um durch ihre Aufmerksamkeit den Mangel eines zahlreicheren Gefolges zu ersetzen.

»Es lebe König Carl!« sagte der alte Ritter, indem er den mächtigen silbernen Humpen seiner Tochter darreichte; »trinke auf sein Wohlergehn, meine Liebe, wenn es schon Rebellenbier ist, das sie uns zurückließen. Ich will dir zutrinken; denn der Toast wird das Getränke entschuldigen, hätte auch Noll es selbst gebraut.«

Die junge Dame berührte den Becher mit ihren Lippen, und gab ihn ihrem Vater zurück, der einen gewaltigen Schluck daraus trank.

»Ich will nicht sagen, Gott segne sie,« sagte der Ritter, »aber ich muß gestehen, daß sie gutes Bier trinken.«

»Das ist kein Wunder Herr, sie kommen leicht zum Malz, und brauchen es nicht zu sparen,« sagte Joceline.

»Meinst du?« sagte der Ritter; »und, du sollst auch des Scherzes wegen den Humpen leeren.«

Der Diener zögerte nicht, auf das königliche Wohlsein den Becher zu leeren. Er verbeugte sich, stellte den Humpen wieder hin und sprach, indem er einen triumphirenden Blick auf das Bildwerk warf: »Ich habe eben mit diesem Rothrock einen Streit wegen des heiligen Michaels gehabt.«

»Rothrock – ha! wo ist ein Rothrock?« sagte der heftige Greis. »Streift noch einer von den Schurken um Woodstock herum? – Wirf ihn augenblicklich die Treppe hinab, Joceline. – Kennst du den Galgenstrick nicht?«

»Um Verzeihung, er hat hier Aufträge zu erfüllen, und wird schleunig abreisen. – Es ist der – mit welchem Ew. Gnaden in dem Walde einen Zweikampf hatte.«

»Ja, und den ich ihm in der Halle zurückzahlte, wie du selbst sahst. – Ich war nie in meinem Leben so kampflustig, Joceline. Dieser Bursche ist kein so ganz schwarzherziger Schurke wie die meisten von ihnen, Joceline. Er ficht brav – sehr brav. Du sollst morgen in der Halle einen Gang mit ihm machen. Ich kenne deine Stärke auf ein Haar.«

Er konnte das mit einiger Wahrheit sagen; denn es war Jocelins Art, wenn er aufgefordert ward mit seinem Herrn zu fechten, wie es bisweilen geschah, dem Ritter nur den Sieg zu erschweren, den er ihm aber immer doch zuletzt, wie ein bescheidener Diener, überließ.

»Und was sagte der rundköpfige Soldat von unserem großen Sanct Michaels-Humpen?«

»Alle Welt, er spottete über unseren guten Heiligen, und sagte, er wäre nicht besser als die goldenen Kälber von Bethel. Aber ich sagte ihm, er solle nicht so reden bis einmal einer von seinen rundköpfigen Heiligen dem Teufel einen Tritt versetzt hätte, wie Sanct Michael es gethan, und wie es auf dem Becher zu sehen ist. Das brachte ihn zum Stillschweigen. Ferner wollte er wissen, ob Ew. Gnaden und Fräulein Alexis (die alte Hanne und meine Wenigkeit gar nicht zu erwähnen, da Ew. Gnaden befehlen, daß ich hier schlafen soll) sich nicht fürchteten, in einem so unruhigen Hause zu schlafen. Aber ich sagte ihm, wir fürchteten weder Feinde noch Gespenster, da man uns jeden Abend die Gebete der Kirche vorlese.«

»Joceline,« unterbrach ihn Alexis, »warst du von Sinnen? Du kennst ja die Gefahr, welche uns und den guten Doctor wegen der Erfüllung dieser Pflicht bedroht.«

»Ach, Fräulein Alexis,« sagte Joceline ein wenig beschämt, »glauben Sie nur, daß ich kein Wörtchen von dem guten Doctor sprach, – nein – nein, ich theilte ihm das Geheimniß nicht mit, daß wir einen so hochwürdigen Caplan haben. – Ich kenne den Mann ganz genau. Wir haben schon mehr als einen Schoppen zusammen getrunken. Er ist ein Herz und eine Seele mit mir, so ein großer Schwärmer er auch ist.«

»Vertrau ihm doch nicht zu viel,« sagte der Ritter. »Ich fürchte, du hast bereits eine Unbesonnenheit begangen, und es dürfte unsicher für den guten Mann sein, beim Anbruch der Nacht hieher zu kommen, wie wir übereinkamen. Diese Independenten haben Nasen wie Spürhunde und können einen getreuen Royalisten unter jeder Verkleidung erkennen.«

»Wenn Ew. Gnaden das glauben,« sagte Joceline, »so will ich gerne auf den Doctor warten und ihn durch das alte verfallene Thor in das Jägerhaus führen und hieher bringen; dann kann der Herr Doctor hier schlafen und Jener wird kein Wort davon erfahren. Glauben aber Ew. Gnaden, daß auch das noch nicht sicher ist, so will ich dem Independenten den Hals abschneiden, und ich werde mich keinen Stecknadelskopf darum kümmern.«

»Gott behüte,« sagte der Ritter. »Er befindet sich unter unserem Dache und ist ein Gast, obgleich kein eingeladener. – Geh Joceline, weil du deiner Zunge zu viel Freiheit gestattet hast, so sollst du zur Strafe auf den guten Doctor warten, und so lang er bei uns ist für seine Sicherheit sorgen. Eine Octobernacht im Walde zugebracht, könnte dem guten Mann den Todesstoß geben.«

»Es ist wahrscheinlicher, daß er unseren October, als daß unser October ihn überleben wird,« sagte der Förster, und zog sich bei einem mutheinflößenden Lächeln seines Herrn zurück. Er pfiff dem Bevis, damit dieser seine Wache theile; und nachdem er genaue Erkundigung eingezogen hatte, wo der Geistliche am wahrscheinlichsten zu finden sei, versicherte er seinen Herrn, er würde für dessen Sicherheit mit pünktlichster Aufmerksamkeit sorgen. Als sich der Diener, nachdem er sorgfältig die Ueberreste des Abendessens aufgehoben hatte, zurückzog, lehnte sich der alte Ritter in seinen Stuhl zurück, und gab sich freudigeren Träumen hin, als in der letztern Zeit seine Einbildungskraft belebt, bis ihn nach und nach der Schlummer überfiel. Die Tochter aber, welche es nicht wagte, sich anders zu bewegen, als auf den Spitzen ihrer Schuhe, nahm irgend eine weibliche Handarbeit, setzte sich nahe an die Seite des alten Mannes, die Finger an ihrem Werke beschäftigt, während ihre Augen von Zeit zu Zeit mit dem liebevollen Eifer, wenn auch nicht mit der wirklichen Gewalt eines Schutzengels auf dem Vater ruhten. Endlich verlöschte die Flamme, und als die Nacht einbrach, wollte sie Lichter bringen lassen. Aber da sie bedachte, welch ein schlechtes Lager Jocelins Hütte dargeboten hatte, so hätte sie nicht um Alles den ersten gesunden erfrischenden Schlaf unterbrochen, welchen ihr Vater nach zwei Tagen und zwei Nächten wahrscheinlich wieder zum erstenmal genoß.

Sie selbst hatte keinen andern Zeitvertreib, als sich an das große Gitterfenster zu setzen (dasselbe, durch welches bei einer früheren Gelegenheit unser Freund Wildrake Tomkins und Joceline beim Abendessen erblickt hatte) und die Wolken zu beobachten, welche ein leichter Wind zuweilen von der breiten Scheibe des herbstlichen Mondes verscheuchte, während er ihnen dann wieder erlaubte, sich zu häufen und seinen Strahlenglanz zu verdunkeln. Es liegt für die Einbildungskraft, ich weiß zwar nicht warum, irgend etwas besonders Liebliches darin, die Königin der Nacht zu betrachten, wenn sie zwischen den Dünsten schwebt, welche sie zu zertheilen nicht die Macht hat, und welche dagegen ihrer Seits außer Stande sind, ihren Glanz zu verlöschen. Es ist das deutliche Bild der leidenden Tugend, welche ruhig ihren Weg geht, bei gutem und üblem Ruf, da sie sich jener inneren Vortrefflichkeit bewußt ist, welche allgemeine Achtung erregen sollte, die aber in den Augen der Welt durch Leiden, durch Unglück und durch Verläumdung umnebelt wird. Als Alexis' Einbildungskraft wahrscheinlich von diesen Betrachtungen durchdrungen war, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen und Erschrecken, daß Jemand bis an das Fenster heraufgeklettert sei, und in die Stube sehe. Furcht vor übernatürlichen Dingen bewegte Alexis nicht im Geringsten. Sie war zu sehr an Ort und Lage gewöhnt; denn man sieht an den Orten keine Gespenster, welche man von Jugend auf kennt. Aber in einem unruhigen Lande war Gefahr vor Räubern ein viel größerer Gegenstand der Furcht; und dieser Gedanke verlieh der von Natur hochstrebenden Alexis einen so verzweifelnden Muth, daß sie von der Wand, an welcher mehrere Feuerwaffen hingen, eine Pistole wegnahm, und indem sie ihrem Vater zurief, aufzuwachen, hatte sie Gegenwart des Geistes genug, sich dem aufdringlichen Gaste entgegen zu stellen. Sie that es um so eifriger, weil sie in dem Gesichte, das sie zum Theile sah, die Züge der Frau wieder zu erkennen glaubte, welcher sie am Rosamunden-Brunnen begegnet war, und die ihr gleich rauh und verdächtig schien. Zugleich ergriff ihr Vater sein Schwert und nahte sich dem Fenster; die Person im Finstern aber, welche dadurch beunruhigt ward, versuchte es hinabzusteigen, that (wie früher Wildrake) einen Fehltritt und fiel mit nicht geringem Lärmen zur Erde. Auch war der Empfang an dem Busen unserer gemeinschaftlichen Mutter weder sanft noch sicher; denn sie hörten Bevis, welcher mit einem entsetzlichen Gebell und Geheul hinzusprang und die Person ergriff, ehe sie sich wieder aufrichten konnte.

»Halt ihn fest, aber erwürge ihn nicht,« sagte der alte Ritter. – »Alexis, du bist die Königin aller Dirnen! Bleib nur da, bis ich hinablaufe, und den Schurken in Sicherheit bringe.«

»Um Gotteswillen nein, mein theuerster Vater!« rief Alexis aus; »Joceline wird gleich bei der Hand sein. – Horch', ich höre ihn.«

Wirklich bemerkte man unten eine gewisse Geschäftigkeit, und mehrere Lichter tanzten verwirrt nach allen Gegenden hin, während diejenigen, welche sie trugen, sich einander zuriefen, doch während sie sprachen, ihre Stimmen unterdrückten, wie Leute, die nur von denen gehört sein wollen, welche sie anredeten. Die Person aber, welche in die Gewalt des Bevis gefallen war, wurde höchst ungeduldig in ihrer Lage, und rief mit geringerer Vorsicht aus: »He da Lee – Forstmeister, – nimm deinen Hund weg, sonst muß ich ihn erschießen.«

»Wenn du das thust,« schrie Sir Henry zum Fenster hinaus, »so will ich dir augenblicklich deinen Geist ausblasen. Diebe, Joceline, Diebe, komm her und packe den Schurken. – Bevis halt fest!«

»Zurück Bevis! Laßt's nur sein, Sir,« schrie Joceline. – »Ich komme, ich komme, Sir Henry – St. Michael, ich stürze mich in's Unglück!«

Ein furchtbarer Gedanke kam plötzlich der Alexis ein – konnte Joceline treulos geworden sein, daß er den Bevis von dem Elenden wegrief, statt den treuen Hund aufzumuntern, ihn fest zu halten? Ihr Vater, den vielleicht ein ähnlicher Verdacht ergriffen haben mochte, zog sich schnell aus dem Mondscheine zurück, zog Alexis nahe an sich, so daß man sie von außen nicht sehen, sie aber alles hören konnten, was vorging. Der Kampf zwischen Bevis und seinem Gefangenen schien durch Jocelins Dazwischenkunft geendigt, und man hörte einen Augenblick ein leises Lispeln, als wenn sich Leute beriethen.

»Jetzt ist alles ruhig,« sagte eine Stimme; »ich will hinaufsteigen und Ihnen den Weg bahnen.« – Augenblicklich stellte sich eine Gestalt an der Außenseite des Fensters dar, stieß die Flügel desselben auf, und sprang in das Zimmer. Aber ehe noch sein Fuß den Boden berührte, wenigstens ehe er fest aufstand, führte der alte Ritter, welcher mit seinem gezogenen Schwerte bereit stand, einen so verzweifelten Stoß, daß der Fremde zu Boden sank. Joceline, welcher gleich darauf mit einer Blendlaterne in der Hand heraufkletterte, stieß ein entsetzliches Geschrei aus, als er sah, was vorgefallen war, und rief: »Gott im Himmel, er hat seinen eigenen Sohn erschlagen!«

»Nein, nein – ich sage Euch, nein,« sagte der gefallene junge Mann, welches wirklich der junge Mann Albert Lee, der einzige Sohn des alten Ritters war – »ich bin nicht verletzt – nur keinen Lärmen bei Eurem Leben – verschafft augenblicklich Lichter.«

Sogleich erhob er sich, so schnell er nur konnte, vom Boden, obgleich ihn sein Mantel und sein Rock, welche durch das Rappier des alten Ritters in Unordnung gekommen waren, verhinderten; der Stoß war zu seinem Glücke durch den Mantel vom Körper abgewandt worden, und die Klinge, die hinter seinem Rücken vorbeifuhr, hatte seine Kleider durchbohrt, der Griff aber mit seiner ganzen Kraft seine Seite getroffen, was ihn zu Boden gestürzt hatte.

Joceline gebot unterdessen mit den größten Beschwörungen Stillschweigen: »Stille, so gern Ihr lange auf Erden leben möchtet – stille, wenn Ihr einen Platz im Himmel zu haben wünscht – seid nur einige Minuten stille, unser aller Leben hängt davon ab.«

Unterdessen schaffte er mit unglaublicher Eile Lichter herbei, und da sahen sie, daß Sir Henry, nachdem er die schrecklichen Worte gehört hatte, in einen Lehnsessel zurückgefallen war, ohne Bewegung, Farbe oder Lebenszeichen.

»Ach Bruder, wie konntest du auch nur auf diese Weise kommen?« sagte Alexis.

»Frage mich nichts – guter Gott! wozu ward ich aufbewahrt?« Während er sprach, betrachtete er seinen Vater, der mit todeskalten, unveränderlich strengen Zügen die Arme in der vollkommensten Hülflosigkeit ausgestreckt, mehr dem Bilde des Todes auf einem Monumente, als einem Wesen glich, dessen Dasein nur aufgeschoben ist. »Ward deßwegen mein Leben geschont,« sagte Albert, indem er mit wilden Geberden seine Hände gen Himmel hob; »ward deßwegen mein Leben geschont, damit ich solch' einen Anblick schaue?«

»Wir dulden, was der Himmel schickt, junger Mann, und müssen es unser Lebenlang tragen, so lange der Himmel es fortzusetzen für gut findet. Laßt mich hinzu.«

Derselbe Geistliche, welcher in Jocelins Hütte die Gebete vorgelesen hatte, trat hervor. »Schafft Wasser,« sagte er, »augenblicklich,« und die hülfreiche Hand und der leichte Fuß der Alexis, mit der bereitwilligen Zärtlichkeit, die sich nie in leeren Klagen ergießt, so lange noch Hoffnung vorhanden ist, verschaffte mit unglaublicher Schnelligkeit Alles, was der Geistliche verlangt hatte.

»Es ist nur eine Ohnmacht,« sagte er, als er Sir Henrys Puls fühlte, »eine Ohnmacht, die der augenblickliche, unerwartete Schrecken hervorbrachte. Erhebe dich, Albert, ich verspreche dir, es ist nichts als eine Ohnmacht – ein Becken, meine theuerste Alexis und ein Band, oder eine Binde – ich muß ihm zu Ader lassen, auch einige wohlriechende Kräuter, wenn sie zu haben sind, meine gute Alexis.«

Aber während Alexis Becken und Binden verschaffte, den Aermel ihres Vaters aufstreifte, und jeder Anweisung des ehrenwerthen Doctors zuvor zu kommen schien, hörte ihr Bruder, der noch kein tröstliches Zeichen sah, nicht ein einziges Wort, und stand da, beide Hände gefaltet und in der Luft erhoben – wie ein Denkmal sprachloser Verzweiflung. Jeder Zug seines Antlitzes schien den Gedanken auszudrücken: »hier liegt der Leichnam meines Vaters, und ich bin es, dessen Unvorsichtigkeit ihn umbrachte.« Aber als einige wenige Tropfen Blutes der Lanzette folgten, als sie sich zuerst einzeln und dann in freierem Strome ergossen – als in Folge des kalten Wassers, mit welchem man die Schläfe des Ritters rieb, und des riechenden Oels, das man ihm vorhielt, der alte Mann schwach zu seufzen begann, und sich anstrengte seine Glieder zu bewegen, veränderte Albert Lee seine Stellung im Augenblick, warf sich dem Geistlichen zu Füßen, und würde, wenn er es erlaubt hätte, seine Schuhe und den Saum seines Kleides geküßt haben.

»Erhebe dich, thörichter Jüngling,« sagte der gute Mann mit verweisendem Tone; »bist du doch immer derselbe! – Knie vor Gott und nicht vor dem Schwächsten seiner Diener. Du wurdest schon wieder einmal von großer Gefahr gerettet – willst du des Himmels Gnade verdienen, so bedenke, daß du zu anderen Zwecken aufbewahrt worden bist, als dazu, woran du jetzt denkst. Geh', du und Joceline Ihr habt Euch einer Pflicht zu entledigen; und glaube nur, daß sich dein Vater leichter erholen wird, wenn er dich einige Augenblicke nicht sieht – hinab, hinab in die Einöde, und bringe deinen Gefährten her.«

»Dank, Dank, tausend Dank,« antwortete Albert Lee, sprang zum Fenster hinaus, und verschwand ebenso unerwartet, wie er eingetreten war. – Joceline folgte ihm zu gleicher Zeit und auf demselben Wege.

Alexis, deren Angst für das Leben ihres Vaters sich nun ein wenig gelegt hatte, konnte sich bei dieser neuen Bewegung nicht enthalten, den ehrenwerthen Zurückgebliebenen zu fragen. »Mein guter Doctor, beantworten Sie mir nur eine Frage: war mein Bruder Albert eben hier, oder habe ich alles, was in den vergangenen zehn Minuten vorfiel, nur geträumt? Wären Sie nicht gegenwärtig, so würde ich vermuthen, das Ganze wäre nur in meinem Schlafe vorgefallen – der furchtbare Einbruch – der todtenähnliche alte Mann, jener Soldat in stummer Verzweiflung – ich muß gewiß geträumt haben!«

»Wenn du geträumt hast, meine liebe Alexis,« sagte der Doctor, »so wünsche ich jedem Kranken eine solche Pflegerin; denn du hast bei deinem Schlafe unseren Patienten besser bedient, als die alten Wärterinnen die ihrigen, wenn sie auch noch so sehr wachen. – Aber deine Träume kamen durch das beinerne Thor, mein schöner Liebling, du mußt mich erinnern, daß ich dir einmal diesen Ausdruck mit Musse erkläre. Albert war wirklich hier und wird gleich wieder kommen.«

»Albert,« wiederholte Sir Henry, »wer nennt meinen Sohn?«

»Ich bin es, mein gütiger Herr,« sagte der Doctor, »erlauben Sie mir, Ihren Arm zu verbinden.«

»Meine Wunde! – von ganzem Herzen, Doctor,« sagte Sir Henry, indem er sich erhob und sich nach und nach des Vorgefallenen wieder erinnerte. »Ich weiß es schon von lange her, daß du ein Arzt, sowohl des Körpers als der Seele bist, und in meinem Regimente die Stelle des Wundarztes und des Kaplans vertratest. – Aber wo ist der Schurke, den ich umbrachte? – Ich fiel in meinem Leben nicht besser aus. Der Griff meines Degens stieß gegen seine Rippen. Todt muß er sein, oder meine rechte Hand hat verlernt das Schwert zu führen.«

»Niemand ward umgebracht,« sagte der Doctor, »und wir müssen Gott danken, da es nur Freunde zu erschlagen gab. Doch wurde ein Mantel und ein Rock so verwundet, daß einige Fertigkeit der Schneiderei nöthig ist, um sie zu heilen. Aber ich war Ihr letzter Gegner, und habe Ihnen ein wenig zu Ader gelassen, bloß um sie auf das Vergnügen und auf die Ueberraschung vorzubereiten, Ihren Sohn wieder zu sehen, welcher, obgleich wie Sie sich vorstellen können, nahe verfolgt, doch von Worcester seinen Weg bis hieher gefunden hat, wo mit Jocelins Beistand für seine Sicherheit gesorgt ist. Eben aus diesem Grunde bestand ich darauf, daß Sie den Vorschlag ihres Neffen, in das alte Jägerhaus zurückzukehren, annehmen sollten, da man hier wohl hundert Mann verbergen kann, und wenn auch tausend suchten, sie zu entdecken. Es gab nie so einen schönen Platz, Verstecken und Suchen zu spielen, wie ich es beweisen will, sobald ich meine Wunder von Woodstock zum Druck befördern kann.«

»Aber mein Sohn, mein theurer Sohn,« sagte der Ritter, »soll ich ihn denn nicht augenblicklich wieder sehen? Und warum sagten Sie mir das freudige Ereigniß nicht voraus?«

»Weil ich seiner Bewegungen nicht gewiß war,« sagte der Doctor, »oder weil ich glaubte, er habe sich der See zugewendet, und es am Besten hielt, Ihnen erst dann Nachrichten von seinem Schicksal zu geben, wenn er sicher an Bord sei, und mit vollen Segeln nach Frankreich schiffe. Wir waren übereingekommen, Ihnen Alles zu sagen, wenn ich heute Nacht hieher käme. Denn es ist ein Rothrock im Hause, in den wir kein größeres Vertrauen setzen wollen, als wir müssen. Wir wagten es also nicht, durch das Thor zu gehen, und indem wir so um das Gebäude herum strichen, sagte uns Albert, daß es als Knabe einer seiner Lieblingsstreiche gewesen wäre, durch dieses Fenster hereinzusteigen. Ein Bursche, der bei uns war, wollte mit aller Gewalt den Versuch machen, da kein Licht im Zimmer war, und wir beim Mondschein keine Entdeckung befürchteten. Er gleitete aus, und unser Freund Bevis faßte ihn.«

»Wahrhaftig Ihr habt thöricht gehandelt,« sagte Sir Henry, »eine Garnison ohne Aufforderung anzugreifen; aber das betrifft Alles meinen Sohn Albert noch nicht. – Wo ist er, laßt mich ihn sehen.«

»Aber Sir Henry warten Sie doch,« sagte der Doctor, »bis Ihre wiederhergestellten Kräfte –«

»Der Teufel hole meine wiederhergestellten Kräfte, Freund!« antwortete der Ritter, als sein alter Geist wieder in ihm rege zu werden begann. – »Erinnerst du dich nicht mehr, daß ich auf dem Schlachtfelde zu Edgehill die ganze Nacht lag, wie ein Ochse von fünf Wunden zugleich blutete und meine Rüstung sechs Wochen lang trug? Und du schwatzest von einigen Tropfen Blutes, die einem Ritze folgten, welchen die Krallen einer Katze hätten machen können!«

»Nun, wenn Sie sich so muthig fühlen,« sagte der Doktor, »so will ich Ihren Sohn holen, er ist nicht fern.«

Indem er das sagte, verließ er das Zimmer, und machte der Alexis ein Zeichen, da zu bleiben, im Fall das Unwohlsein ihres Vaters sich erneuern sollte.

Doch konnte sich Sir Henry glücklicherweise den Verlauf der Sache nicht mehr recht in's Gedächtniß zurückrufen; denn sie hatte ihn wie ein Donnerschlag zu Boden geworfen, und seine Geisteskräfte für einen Augenblick gelähmt. Er wiederholte öfters, daß er mit seinem Ausfall, wie er es nannte, gewiß ein Unheil angerichtet haben müsse, aber er erinnerte sich nicht mehr, daß es sein Sohn war, welcher dieser Gefahr entging.

Froh darüber, daß ihr Vater einen so schrecklichen Umstand vergessen zu haben schien (so wie man oft den Stoß oder die plötzliche Ursache vergißt, welche eine Ohnmacht herbeiführt), entschuldigte sich Alexis leicht mit der allgemeinen Verwirrung, den Verlauf der Sache nicht gehörig darstellen zu können. Einige Augenblicke darauf hörte alles weitere Nachforschen auf, denn der Doctor trat ein, und Albert folgte ihm auf dem Fuße, der sich abwechselnd bald in die Arme seines Vaters und bald in die seiner Schwester warf.



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