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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Der Vorschlag.

Ja, ja, du möchtest wohl ein Nönnchen werden,
Die Braut des Himmels! Nicht? – Was gilt die Wette,
Den Vorsatz bring' ich aus dem Köpfchen dir,
Denn sieh, ein Werber naht, mit jeder Würde,
Die Frauen lieben, reichlich ausgeschmückt,
Voll Witz, so jung und schön, als reich und tapfer!

Die Nonne.

Der Morgen nach einer Schwelgerei pflegt gewöhnlich einiges Nachdenken, selbst bei den geübtesten Schlemmern zu erwecken; so fand auch der junge Laird von St. Ronans in der Wiedererinnerung des verflossenen Tages eben nichts Tröstliches, als daß die Ausschweifung dießmal nicht von ihm aufgesucht worden war, sondern den nothwendigen Pflichten eines Wirthes zuzurechnen sei, der den Anforderungen seiner Gäste entspricht.

Allein nicht bloß die verwirrten Rückerinnerungen eines späten Zechgelages drangen sich ihm bei seinem Erwachen auf, ihn beunruhigte noch viel mehr das Dunkel, welches sowohl die Absicht, als das Betragen seines neuen Alliirten, des Grafen von Etherington, zu verhüllen schien.

Dieser junge Lord hatte Miß Mowbray gesehen, die höchste Befriedigung seiner Erwartung ausgesprochen, warm und freiwillig den Antrag erneut, den er schon früher, ehe er sie erblickte, gemacht hatte, und hatte dennoch, weit entfernt, eine Gelegenheit zu suchen, ihr vorgestellt zu werden, die Gesellschaft plötzlich verlassen, gleichsam als wolle er die nothwendige Zusammenkunft vermeiden, die doch zwischen ihnen statt haben mußte. Sr. Herrlichkeit Liebeleien mit Lady Binks waren der Aufmerksamkeit des scharfsinnigen Mowbray nicht entgangen. Auch die Lady war sehr plötzlich von Shaw-Castle aufgebrochen, und Mowbray beschloß, die Art der Verbindung, in welcher sie mit einander standen, durch Mistreß Gingham, der Lady Kammerzofe, oder auf andere Art zu ergründen, indem er es sich zu gleicher Zeit feierlich schwor, kein Pair des Reiches solle es wagen, der Miß Mowbray falsche Huldigungen darzubringen, und sie etwa als Deckmantel einer andern gemeinen Intrigue zu gebrauchen; allein seine Zweifel über diesen Gegenstand wurden durch die Ankunft folgenden Briefes, den ein Reitknecht des Grafen Etherington brachte, größtenteils gehoben.

 

Mein theurer Mowbray!

»Sie werden natürlich über meinen gestrigen schleunigen Aufbruch von der Tafel, ehe Sie zurück gekehrt waren, oder Ihre liebenswürdige Schwester sie mit ihrer Gegenwart verherrlichte, erstaunt gewesen sein. Ich muß meine Thorheit bekennen, und kann es um so kühner wagen, weil die Art, wie ich diese Verhandlung zuerst eingeleitet habe, eben nichts Romantisches an sich hatte, und Sie mich kaum fähig halten möchten, daß ich ihr ein solches Gewand wünschen könnte. Allein ich fühlte in der That während des ganzen gestrigen Tages einen unaussprechlichen Widerwillen, derjenigen, von welcher das ganze zukünftige Glück meines Lebens abhängt, bei einer so öffentlichen Gelegenheit, und in Gegenwart einer so gemischten Gesellschaft vorgestellt zu werden. Ich konnte wohl meine Maske beim Spazierengehen tragen, doch mußte sie natürlich bei Tische abgelegt werden, und ich mich folglich einer förmlichen Präsentation unterwerfen; ein zu wichtiger Augenblick für mich, als daß ich ihn nicht bis zu einer passenderen Zeit zu verschieben wünschte. Ich hoffe, Sie werden mir erlauben, diesen Morgen nach Shaw-Castle zu kommen; – in der Hoffnung – der sehnsüchtigen Hoffnung, daß es mir gestattet sein wird, der Miß Mowbray meine Aufwartung zu machen, und zugleich meine Entschuldigungen darzubringen, ihr gestern nicht meine Ehrfurcht bezeigt zu haben. Ich erwarte Ihre Antwort mit der größten Ungeduld, indem ich immer sein werde Ihr u. s. w. u. s. w.

Etherington.«

 

»Dieß,« sagte St. Ronans zu sich selbst, indem er den Brief, nachdem er ihn zweimal durchgelesen hatte, langsam zusammenfaltete, »scheint Alles schön und unzweideutig; ich kann nichts Deutlicheres verlangen, und überdem gibt er mir nun Schwarz auf Weiß, wie der alte Mick sagen würde, was zuvor nur zwischen uns mündlich im Geheim verabredet war. – Ein solches Billet am frühen Morgen ist das beste Mittel gegen Kopfweh!« Damit setzte er sich nieder, und schrieb eine Antwort, worin er sich bereit erklärte, Se. Herrlichkeit, so früh er es selbst für schicklich hielte, zu erwarten.

Er beobachtete die Abreise des Reitknechts, und sah ihn im Galopp davon eilen, wie Jemand, der es weiß, daß seine schleunige Rückkunft von einem ungeduldigen Herrn erwartet wird.

Mowbray verweilte nachsinnend einige Minuten mit Entzücken bei den zu erwartenden Folgen dieser Heirath. – Die Erhebung seiner Schwester – und vor Allem die vielen Vortheile, die ihm daraus erwachsen müßten, so nahe mit einem Manne verbunden zu sein, von dem er gute Gründe hatte, ihn in gewisse Geheimnisse eingeweiht zu glauben, und der deßhalb um so fähiger war, ihm den wahren materiellen Beistand bei seinen Spekulationen auf der Rennbahn sowohl, als in dem Treiben der spielenden Welt zu leisten. – Er sandte also einen Diener zu Miß Mowbray, ihr wissen zu lassen, daß er bei ihr frühstücken wolle.

»Ich vermuthe, John,« sagte Clara, als ihr Bruder in das Gemach trat, »du bist heute früh mit einem schwächern Getränk zufrieden, als Jene, die in der letzten Nacht deine Becher füllten. – Ihr habt ja bis zum ersten Hahnschrei gezecht.«

»Ja,« versetzte Mowbray, »die dürre Sandwüste, der alte Mac Turk, auf den ein ganzes Oxhoft keinen Eindruck macht, der machte mich gestern zum wilden Burschen, allein der Tag ist vorüber, und sie werden mich schwerlich wieder zu solchem Gelag verleiten. – Wie gefielen dir die Masken?«

»Sie wurden erträglich genug durchgeführt,« versetzte Clara, »wie solche Leute überhaupt, während ihres ganzen Lebens, die Rollen der Lord's und Lady's darstellen. – Nämlich mit vielem Geräusch und wenig Gehalt!«

»Ich sah nur Eine recht schöne Maske hier, und das war ein Spanier,« sagte ihr Bruder.

»O ich sah ihn auch,« entgegnete Clara; »allein er behielt seine Maske vor. – Ein alter Indianer oder Kaufmann – so etwas war es, schien mir seinen Charakter besser durchzuführen. – Der Spanier sprach gar nicht, schritt bloß stolz einher, und klimperte, wie ich glaube, zum Vergnügen der Lady Binks auf seiner Guitarre.«

»Dennoch ist der Spanier ein ganz artiger Bursche,« entgegnete Mowbray. – »Kannst du errathen, wer er ist?«

»In der That, nein, auch gebe ich mir gar nicht die Mühe, es zu versuchen; denn sich in Muthmaßungen darüber verlieren, das wäre eben so schlimm, als die ganze Mummerei noch einmal mit anzusehen.«

»Gut,« entgegnete der Bruder. – »Eine Sache mußt du doch zugeben – Zettel ward schön gespielt, das kannst du nicht läugnen.«

»Ja,« antwortete Clara, »dieser Würdige verdiente wirklich seinen Eselskopf bis zum Ende des Spaßes zu tragen. – Allein was soll er hier?« –

»Denke nur, er könnte vielleicht ein und dieselbe Person mit dem schönen Spanier sein,« versetzte Mowbray.

»Dann war also ein Narr weniger hier, als ich glaubte,« entgegnete Clara mit der größten Gleichgiltigkeit.

Der Bruder biß sich auf die Lippen.

»Clara,« sagte er, »du bist ein vortreffliches Mädchen, und hübsch dazu, allein ich bitte dich, strebe nicht so sehr nach Witz und Sonderbarkeiten. – Nichts im Leben wird so schwer von Andern verziehen, als eine eigne den andern entgegengesetzte Meinung zu behaupten. Jener Gentleman war der Graf Etherington.«

Diese Erklärung, so viel Nachdruck ihr der gebietende Ton derselben verleihen sollte, schien Clara wenig zu rühren.

»Ich hoffe, er spielt den Pair besser, als den spanischen Ritter,« entgegnete sie sorglos.

»Ja wohl,« versetzte Mowbray. – »Er ist einer der schönsten Männer seiner Zeit, ein ganz vollkommener Weltmann. – Er wird dir sehr gefallen, wenn du ihn in kleinern Kreisen siehst.«

»Es ist wohl sehr unbedeutend, ob er mir gefällt oder nicht,« antwortete Clara.

»Du mißverstehst meine Absicht,« sagte Mowbray ernst. »Es könnte sogar sehr bedeutend sein.«

»Wahrhaftig!« sagte Clara, »ich muß mir wirklich einige Bedeutung zutrauen, wenn mein Beifall einem Eurer ersten Elegants nothwendig ist. Ja freilich ohne ihn kann er zu St. Ronans die Revue nicht passiren. – Gut, ich will diese meine neue Macht der Lady Binks übertragen, sie kann statt meiner Euren neuen Rekruten mustern.«

»Das ist Alles Unsinn, Clara,« rief Mowbray. – »Lord Etherington wird diesen Morgen noch hier erscheinen, und wünscht dir vorgestellt zu werden. Ich hoffe, du wirst ihn als einen meiner besten Freunde empfangen.«

»Von ganzem Herzen, wenn du dich nämlich verpflichten willst, ihn nachher mit deinen andern Busenfreunden unten auf dem Gesundbrunnen zu behalten. – Du weißt, es ist unser altes Uebereinkommen, daß du in mein Zimmer weder einen Windbeutel, noch einen Windhund bringst, den Einen beißt meine Katze, der Andere ist meiner Natur zuwider.«

»Du mißverstehest mich gänzlich, Clara, dieß ist ein ganz anderer Besuch, als ich dir noch je zugeführt habe – ich denke ihn oft hier zu sehen, und hoffe, du und er werden bessere Freunde werden, als du es dir jetzt denkst. Ich habe mehr Gründe, diesen Wunsch zu nähren, als Zeit, sie jetzt dir vorzulegen.«

Clara schwieg einen Augenblick, dann beobachtete sie ihren Bruder mit einem angstvollen und forschenden Blicke, als wünschte sie seine geheimsten Gedanken zu durchdringen.

Nach einem minutenlangen Nachdenken begann sie mit unruhiger, bewegter Stimme: »Wenn ich dächte, – aber nein – ich will nicht glauben, daß der Himmel mir mit diesem Schlage droht, am wenigsten, daß er mich von deiner Hand treffen könnte.« Hastig trat sie zum Fenster, riß es auf, dann schloß sie es wieder, und mit gezwungenem Lächeln zu ihrem Sitz zurückkehrend, sagte sie: »Der Himmel mag es dir vergeben, Bruder, aber du hast mich sehr erschreckt!«

»Das war nicht mein Wille, Clara,« entgegnete Mowbray, der die Nothwendigkeit einsah, sie zu besänftigen. »Ich bezog mich bloß im Scherz auf solche Glücksfälle, welche stets in anderer Mädchen Kopf umher spuken, obgleich du zwar niemals darauf zu achten schienst.«

»Ich wollte, du, mein theurer John!« rief Clara, nach vollkommener Fassung strebend, »ich wollte, du folgtest meinem Beispiele und gäbest das Ergrübeln und Hoffen auf Glücksfälle ebenfalls auf, es wird dir zu nichts helfen.«

»Woher weißt du das? – Ich will dir das Gegentheil beweisen, du einfältiges Mädchen,« antwortete Mowbray. – »Hier ist ein auf deine Ordre zahlbarer Wechsel des Bankkommissärs über die Summe, welche du mir geliehen hast, und noch Etwas darüber. Laß es nicht dem alten Mick in die Finger gerathen, sondern Bindloose mag es dir unterbringen, er ist der ehrlichste von den beiden Spitzbuben.«

»Bruder, willst du es nicht selbst dem Herrn Bindloose senden?«

»Nein, nein!« – entgegnete Mowbray. – »Er könnte es mit meinen eigenen Angelegenheiten mischen, und so dich um dein Geld bringen.«

»Gut. – Ich bin erfreut, daß du Zahlung leisten konntest; denn ich wollte gern Campbells neues Werk kaufen.«

»Ich wünsche dir viel Freude daran, aber schmähle mich nicht aus, daß ich mir nichts daraus mache. – Ich liebe so wenig die Bücher, als du einen langen Streit. – Und nun sei ernsthaft, und versprich mir ein gutes Mädchen zu sein, setze deine Grillen bei Seite, und empfange den jungen Lord, wie es einer solchen Dame als du bist geziemt.«

»Das wäre leicht,« sagte Clara. – »Aber – aber – ich bitte, verlange weiter nichts von mir, als daß ich ihn nur dieß einzige Mal sehe. – Sage ihm gerade heraus, ich sei an Geist, Körper, Gemüth, Laune ein gar unbedeutendes Wesen. – Vor Allem aber sage ihm, mehr als Einmal würde ich ihn nicht empfangen.«

»Solche Dinge werde ich nicht sagen,« rief Mowbray heftig. »Es ist am besten, offen mit dir zu handeln. – Ich wünschte diesen Streit zu vermeiden – allein da er doch kommen muß, so sei es je eher je besser. – So sollst du wissen, Clara Mowbray, daß der Lord Etherington bei seinem Besuche allerdings eine persönliche Absicht hat, und eben diese Absicht meinen vollen Beifall und Einstimmung genießt.«

»So dacht' ich's wohl!« sagte Clara mit heftig bewegter Stimme. – »Mein Geist weissagte mir dieß letzte gräßlichste Unglück! Aber Mowbray, du hast kein Kind vor dir – nie will, noch kann ich diesen Lord sehen.«

»Wie?« rief Mowbray stolz aus. – »Wagst du es, mir eine gebieterisch absprechende Antwort zu geben? – Denke besser darüber nach, denn wenn wir in Streit gerathen sollten, möchtest du leicht das schlimmste Spiel haben.«

»Verlaß dich darauf,« fuhr sie mit größerer Heftigkeit fort, – »ich will weder ihn, noch irgend einen Mann auf diesem Fuße sehen. – Mein Entschluß ist gefaßt, weder Drohungen noch Bitten werden ihn zu erschüttern vermögen.«

»Auf mein Wort, Madame,« rief Mowbray, »Sie haben für ein bescheidenes und zurückgezogenes junges Frauenzimmer einen guten Theil Eigensinn sich angeeignet. – Aber Sie sollen einen würdigen Gegner in mir finden. – Wenn Sie nicht einwilligen, meinen Freund Lord Etherington anzunehmen, und ihn mit der Artigkeit zu empfangen, welche Sie der Achtung schuldig sind, mit welcher ich ihn betrachte, beim Himmel! Clara, so will ich dich nicht länger als meines Vaters Tochter ansehen! – Bedenke, welch' ein Gut du aufgeben willst – die Liebe und den Schutz eines Bruders – und warum? – bloß aus einer thörichten Grille! – du kannst doch nicht, denk' ich, selbst in dem Treiben deines romantischen Gehirnes, dir einbilden, daß die Zeiten der Klarisse Hove und der Harriet Byron zurückgekehrt sind, wo die Weiber durch Gewalt zur Heirath gezwungen wurden; und es ist eine ungeheure Eitelkeit, zu denken, daß der Lord Etherington, wenn er dich überhaupt beehrte, irgend einen Gedanken auf dich zu richten, nicht mit einer höflichen und artigen Abweisung zufrieden sein wird. – Solch' ein Alles überstrahlender Ritterpreis bist du doch nicht, daß die romantischen Zeiten der Vorzeit um deinetwillen zurückkehren werden.«

»Ich kümmere mich nicht, was es für Zeiten sind,« rief Clara; »aber ich erkläre dir, weder Lord Etherington, noch irgend Jemand, den du mir in dieser Beziehung einzuführen denkst, werde ich empfangen. – Ich kann nicht! – ich will nicht! – und ich darf nicht! – Hättest du bloß die Absicht, daß ich ihn auf dem Fuße eines gewöhnlichen Besuches aufnehmen sollte, so hätte gar kein Grund dagegen statt gefunden; – allein so wie jetzt die Sache steht – will ich ihn nicht sehen!«

»Du sollst ihn sehen und hören!« rief Mowbray. – »Du sollst mich so hartnäckig finden, als dich selbst. – Ja eben so bereit, es zu vergessen, daß ich dein Bruder bin – als du es bist, das Dasein desselben zu vergessen.«

»So ist es denn Zeit, daß dieses Haus, einst unsers Vaters Haus, nicht länger uns Beiden zum Aufenthalt dient. – Ich kann für mich sorgen – dich mag Gott segnen.«

»Sie nehmen sehr kaltblütig Ihre Partie, Madame!« rief ihr Bruder, indem er mit Sorge und Angst in Blick und Bewegung das Zimmer durchschritt.

»Ich nehme sie so,« antwortete sie, »weil ich dieß schon oft voraus gesehen habe. – Ja, Bruder, ich habe es schon oft geahnet, daß deine Schwester zuletzt der Gegenstand deiner Pläne und Spekulationen werden würde, wenn dir andere Hülfsquellen versagten. Die Stunde ist gekommen, und du findest mich nun bereit, ihr entgegen zu treten.«

»Und wohin hast du die Absicht, dich zurückzuziehen?« entgegnete Mowbray. – »Ich denke doch, ich als dein einziger Verwandter und Beschützer, habe ein Recht das zu wissen! – Meine Ehre und die meiner Familie ist mit im Spiele.«

»Deine Ehre?« wiederholte sie mit einem schneidenden Blicke. »Dein Vortheil, willst du sagen, erfordert die Kenntniß meines Zufluchtsorts. – Aber beruhige dich, – die Höhle des Felsens – das Bett des Baches – würde ich einem Palaste, der meine Freiheit beschränkt, vorziehen.«

»Sie sind in großem Irrthum,« sagte Mowbray hart, »wenn Sie glauben, mehr Freiheit zu behalten, als ich rathsam für Sie erachte. Die Gesetze berechtigen mich und Neigung gebietet es mir, daß Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit, und in Hinsicht dessen, was Ihrem Stande gebührt, einigem Zwange unterworfen werden müssen. Es will ohnehin verlauten, Sie durchstrichen zu meines Vaters Zeiten die Wälder ein wenig zu viel, wenn jene Sagen wahr sind.«

»So war es – so war es wirklich, Mowbray,« sagte Clara weinend. »Gott steh' mir bei, und vergebe es dir, daß du mir meinen Gemüthszustand vorwirfst. – Ich weiß, ich kann mich nicht immer auf mein Urtheil verlassen, – allein, gebührt es dir, mich daran zu mahnen?«

Mowbray fühlte sich jetzt sogleich eben sowohl verlegen als besänftigt. Er sagte: »Welche Thorheit ist dieß nun wieder? – Du sagst mir die bittersten Dinge, bist bereit aus meinem Hause zu entfliehen – und wenn ich so gereizt antworte, brichst du in Thränen aus.«

»Sage, du meinst es nicht, wie du es aussprachest, mein theuerster Bruder!« rief Clara aus. – »O sage, du meinst es nicht so – nimm mir nicht meine Freiheit – es ist Alles, was mir geblieben ist, und Gott weiß, es ist nur ein kleiner Trost in dem Elende, dem ich fast unterliege. Ich will zu Allem ein freundliches Gesicht machen – will nach dem Gesundbrunnen gehen – will tragen und plaudern, was du willst, aber überlaß mich hier meiner unbeschränkten Einsamkeit – laß mich allein im Hause meines Vaters weinen, – und zwinge nicht ein gebrochenes Schwesterherz, dich als ihren Mörder anzuklagen! Ihre Spanne Zeit muß nur noch kurz sein. – Laß deine Hand nicht ihr Stundenglas erschüttern. – Störe mich nicht – Laß mich ruhig enden – ich fordere dieß nicht einmal so dringend für mein eigenes Wohl, als für das deinige. – Wenn ich hinüber gegangen sein werde, Mowbray – dann möchte ich, daß du zuweilen meiner gedenken könntest, ohne die zu bittere Erinnerung, welche ein zu strenges Betragen dann gewiß dir erweckte. – Habe Mitleiden mit mir um deinetwillen – ich habe ja nichts Anderes von dir verdient. – Wir stehen Beide allein auf dieser Erde; warum will Einer den Andern elend machen?«

Sie begleitete diese Worte mit einer Fluth der herzzerreißendsten Thränen und den tiefsten Seufzern. Mowbray wußte nicht, was er beschließen sollte. – Auf einer Seite war er durch sein Versprechen an den Grafen gebunden, auf der andern Seite war seine Schwester jetzt nicht in dem Zustande, solchen Besuch zu empfangen. Es war sogar zu vermuthen, daß, wenn er sie durch strenge Maßregeln dazu zwang, ihr Betragen es höchst wahrscheinlich dahin gebracht haben würde, den ganzen Handel abzubrechen, auf dessen Gelingen er schon so manches Luftschloß gebaut hatte. In dieser Klemme nahm er wieder seine Zuflucht zu Vorstellungen.

»Clara,« sagte er, »ich bin, wie ich es schon wiederholentlich gesagt habe, dein einziger Verwandter und Beschützer. – Wenn du wirkliche Gründe hast, daß du keinen Bewerber empfangen, oder wenigstens eine höfliche Antwort auf das, was der Graf Etherington dir anbieten wollte, geben kannst, theile mir diese Gründe mit. Die Freiheit, die du so hoch stellst, hast du während unsers Vaters Leben viel zu sehr genossen, mindestens in den letzten Jahren. – Hast du vielleicht damals irgend eine thörichte Verbindung geschlossen, die dich nun verhindert, die Bewerbung anzunehmen, mit welcher Lord Etherington dich bedroht?«

»Bedroht? – dieser Ausdruck ist gut gewählt,« sagte Miß Mowbray – »und nichts kann die Furchtbarkeit dieser Drohung übersteigen, als ihre Erfüllung selbst.«

»Ich freue mich, daß dein Witz zurückkehrt,« entgegnete ihr Bruder, »doch das ist keine Antwort auf meine Frage.«

»Ist es denn so nothwendig,« sagte Clara, »daß Jemand, der einen Widerwillen gegen das Heirathen hat, durchaus eine Verbindung oder Verirrung zu bekennen haben muß, die ihm das Heirathen selbst oder die Quälerei einer solchen Bewerbung zuwider macht? Viele junge Leute wollen als Junggesellen sterben, warum kann ich mein Leben als alte Jungfer nicht im dreiundzwanzigsten Jahre beginnen? – Sei ein zärtlicher Bruder – gestatte es mir – und nie sollen Neffen oder Nichten von einer unverheiratheten Tante so gepflegt und gescholten, so gefüttert und gepufft worden sein, als deine Kinder, wenn du welche hast, von der Tante Clara.«

»Und warum,« rief Mowbray, »kann man nicht warten, dieß Alles dem Lord Etherington zu sagen, bis er dich mit seiner dir so schauderhaften Bewerbung heimsucht? Wer weiß, ob ihm die Grille, die er ahnen ließ, nicht vergangen ist. – Er war, wie du selbst sagst, um Lady Binks sehr beschäftigt; und es fehlt Ihrer Herrlichkeit, zu dem Behufe ihn festzuhalten, weder an Geschicklichkeit noch Schönheit.«

»Der Himmel verstärke Beide (auf rechtlichem Wege), wenn es dahin führt, ihr den Lord ganz zuzueignen,« sagte Clara.

»Gut denn,« fuhr ihr Bruder fort, »da die Dinge so stehen, sollt' ich meinen, wirst du wenig von Sr. Herrlichkeit beunruhigt werden – wenigstens nicht mehr, als daß es dir Veranlassung gibt, ihm einen höflichen Abschied zu ertheilen. – Nachdem er mit einem Manne, wie ich bin, diesen Gegenstand einmal berührt hat, kann er nicht gut abbrechen, ohne daß du ihm selbst eine Rechtfertigung darbietest.«

»Wenn das Alles ist,« rief Clara, »soll er sobald sich nur eine Gelegenheit zeigt, eine Antwort erhalten, die ihm volle Freiheit gibt, um jede Tochter Eva's zu freien, Clara Mowbray ausgenommen. Glaube mir, ich bin so begierig, den Gefangenen in Freiheit zu setzen, daß ich jetzt, so sehr ich es vorher scheute, nach einer Gelegenheit schmachte, Se. Herrlichkeit zu sehen.«

»Geduld! Geduld! – Aber laß uns billig und recht handeln,« rief ihr Bruder. »Du darfst ihn nicht eher ausschlagen, als er dich fordert.«

»Ganz gewiß,« sagte Clara; »aber ich will es so schlau einrichten, daß er die Frage überall unterlassen soll, ich will der Lady Binks ihren Bewunderer ganz frei heraus geben, ohne selbst nur eine Höflichkeit als Lösegeld anzunehmen.«

»Immer schlimmer, Clara,« antwortete ihr Bruder. »Du mußt dich erinnern, daß er mein Freund und Gast ist, und also in meinem Hause nicht beleidigt werden darf. Ueberlasse die Dinge sich selbst. – Ueberdieß, Clara, betrachte die Sache einen Augenblick – erfordert sie nicht einiges Nachdenken? – Das Anerbieten ist so glänzend – Stand – Vermögen – und was noch mehr ist, ein Vermögen, worüber du vollkommen berechtigt bist, nach Gefallen zu gebieten.«

»Dieß überschreitet unsern geschlossenen Traktat,« – sagte Clara. »Ich habe mehr nachgegeben, als ich eigentlich sollte, da ich einwilligte, den Lord auf dem Fuß eines Bewerbers überhaupt zu sehen, und nun nimmst du gar sein Begehren in Schutz – dieß ist ein Eingriff, Mowbray; und jetzt werde ich in meinen Eigensinn zurückfallen, und durchaus verweigern ihn zu sehen.«

»Thue, wie du willst,« entgegnete Mowbray, es fühlend, daß nur dann, wenn er ihre schwesterliche Liebe in Anspruch nahm, es einigermaßen möglich war, sie zu Etwas gegen ihre Neigung zu vermögen. – »Thue, wie du willst, meine theure Clara; aber um's Himmels willen, trockne deine Augen.«

»Und beherrsche dich selbst,« sagte sie, nach einem Lächeln strebend, um ihm zu gehorchen. »Betrage dich, willst du sagen, wie die andern Leute der heutigen Welt; allein diese Stelle ist für dich verloren, du hast weder Prior noch Shakspeare gelesen.«

»Dafür dank' ich dem Himmel!« rief Mowbray. »Ich habe Dinge genug, die mein Gehirn belasten, ohne es mit den vielen Bruchstücken von Versen zu beschweren, wie du und Lady Penelope. – Komm, so ist's recht, tritt vor den Spiegel und ordne deinen Anzug.«

Ein Frauenzimmer muß gewiß ganz niedergedrückt von Gram und Schmerz sein, wenn sie alle Sorge für ihre äußere Erscheinung verliert. Die Wahnsinnige in Bedlam trägt ihren Strohkranz mit einer gewissen Prätention; und wir haben eine Wittwe gesehen, die, obwohl sie wirklich durch den eben erlittenen Verlust sehr angegriffen war, ihre schwarzen Gewänder dennoch mit einer Art Grazie des Schmerzes angeordnet hatte, die fast an Koketterie gränzte. So besaß Clara Mowbray auch, trotz ihrer anscheinenden Nachlässigkeit, ihre kleinen Toilettenkünste, obgleich gar einfacher, schneller Art. Sie nahm ihren Reithut ab, und indem sie von ihrem Haare eine indische goldene Tresse loswand, ließ sie die Lockenfülle in lieblicher Unordnung um ihr wahrhaft schönes Gesicht herabfallen, und bis über die schlanke Taille niedersinken. Während ihr Bruder sie mit einem Gemische von Stolz, Liebe und Mitleiden betrachtete, ordnete sie die Locken mit einem breiten Kamme, ohne Beistand irgend einer Kammerfrau, und nestelte sie in dem kurzen Zeitraum von wenigen Minuten schnell zu dem Kopfputz der Statue einer griechischen Nymphe zusammen.

»Nun laß mich noch meinen besten Muff nehmen,« sagte sie, »und dann komme Prinz oder Pair, er findet mich bereit, ihn zu empfangen.«

»Pah! Deinen Muff – wer hat von solchen Dingen seit zwanzig Jahren reden hören – Muffe waren aus der Mode, ehe du geboren wurdest.«

»Thut nichts, John,« entgegnete seine Schwester. »Wenn eine Frau einen Muff trägt, besonders eine so entschiedene alte Jungfer, als ich, so ist es ein Zeichen, daß sie keine Absicht hat, den Leuten die Augen auszukratzen. Der Muff leistet also hier die Dienste einer Friedensflagge, und überhebt uns der Nothwendigkeit, die Handschuh anzuziehen, wie es der Wahlspruch unserer Vettern, der M'Intoshes, so vorsichtig empfiehlt.«

»Sei es denn, wie du willst,« sagte Mowbray; »denn du thust doch nichts Anderes, als was dir gefällt. – Allein, was ist dieß? – ein anderes Billet – Wir erhalten ja heute viele Anfragen.«

»O möchte es der Himmel geben, daß Se. Herrlichkeit sich alle die Gefahren vernünftigerweise berechnet hätte, welche er auf diesem bezauberten Boden läuft, und daher beschlossen hätte, dieß Abenteuer nicht zu wagen!« rief Miß Mowbray.

Ihr Bruder warf ihr einen unzufriedenen Blick zu, indem er das Siegel des Briefes erbrach, der mit dem Beisatz: »Eile und Geheimniß« an ihn adressirt war. Den Inhalt, der ihn nicht wenig befremdete, lesen wir im Anfang des folgenden Kapitels. –



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