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Siebentes Kapitel.

Es war auch nur verständig von der alten Frau Butler, auf den guten Rat ihres alten Nachbarn zu hören, denn wenn sie auch durch den plötzlichen Tod des Lairds Dumbiedike davor bewahrt blieb, den Fuß von ihrem kleinen Gütchen zu setzen, so fiel es ihr doch nach wie vor recht schwer, allen Pflichten, die ihr aus dem kleinen Besitztum erwuchsen, ohne männliche Hilfe gerecht zu werden, ja es hatte lange Zeit den Anschein, als wenn es ihr kaum gelingen würde, den schweren Kampf zu bestehen, während Deans in verhältnismäßig kurzer Zeit wieder über den Berg war. Er war eben doch ein Mann und noch immer, wenn auch nicht in seinen besten, in guten Jahren, die alte Frau Butler hingegen schon eine betagte Greisin. Freilich wuchs zu ihrer Stütze ihr Enkel heran, während Deans, je älter seine Tochter wurde, mit der Sorge für ihre Aussteuer rechnen mußte. Aber Deans war ein Mann, dem die Verhältnisse so leicht nicht über den Kopf wuchsen, sondern der beizeiten vorsorgte. Drum hielt er seine Tochter von Jugend auf zu einer ihrem Alter angemessenen Arbeit an und sparte den Verdienst, der ihr dafür zukam. Hierdurch gewöhnte sich das Mädchen einen ernsten und festen Sinn an, und da sie kerngesund und frei von nervösen Leiden und anderen Schwächen des weiblichen Organismus war, gewöhnte man sich in der Umgegend daran, sie für eine Art weiblichen Musterwesens anzusehen. Der Enkelsohn der Frau Butler dagegen war ein schwächlicher und wenn auch nicht furchtsamer, so doch schüchterner, zaghafter, unsicherer Junge, er hatte etwas von der Mutter an sich, die im Grunde genommen immer gekränkelt hatte; infolge eines Falles in frühester Jugend lahmte er ein bißchen, und die stetige Fürsorge der Großmutter hatte ihn langsam des Vertrauens in die eigene Kraft entwöhnt, ihm aber anderseits die Neigung eingeimpft, sich für besser zu halten, als er war.

Trotz dieser Verschiedenheit im Wesen waren die beiden Kinder einander zugetan, nicht bloß aus Gewohnheit, sondern aus wirklicher Zuneigung. Sie trieben zusammen die wenigen Schafe und die paar Kühe, die ihren Eltern gehörten, auf die karge Weide; dort saßen sie dann, nebeneinander unter einer blühenden Dornenhecke, guckten einander in die muntern Augen oder krochen, wenn es zu regnen drohte, unter das gleiche grobe Plaid. Auf dem Wege zur Dorfschule mußte das Mädchen, wenn ein Bach zu durchwaten war oder ein Hund oder Ochse ihnen in den Weg lief, oder sonst eine Gefahr drohte, dem Jungen immer erst durch ihr Beispiel Mut machen. Auf der Schulbank aber suchte Reuben seinen Mann und fand sattsam Gelegenheit, dem Mädchen die kleinen Dienste, die sie ihm in physischer Hinsicht leistete, wett zu machen, indem er ihr bei den Schularbeiten half. Reuben Butler war der beste Schüler im Dorfe und der erklärte Liebling nicht nur des Lehrers, sondern auch, und zwar wegen seiner milden Gemütsart, seiner Mitschüler und Mitschülerinnen, aber zufolge seines schüchternen Wesens schloß er sich an niemand weiter als an die Nachbarstochter, dagegen wuchs mit den Jahren seine Neigung zu den Büchern, und wenn er draußen auf dem Felde über Euklids »Eselsbrücke« grübelte, statt die Augen auf seine Schafe zu richten, die sich dann selten lange besannen, auf die bessere Weide des Lairds hinüber zu laufen, dann war es immer die resolute Jeanie, die ihm mit ihrem kleinen Hunde aus solcher Patsche half, die ihn leicht in Verdruß und seine Großmutter in Schaden hätte setzen können. Je weiter Reuben in der Kenntnis der alten Klassiker fortschritt, desto häufiger stellten sich dergleichen Fälle von Achtlosigkeit bei ihm ein, und während er Vergils berühmte Bücher über Landbau studierte, bis er zuletzt Hafer nicht mehr von Gerste unterschied, wäre es ihm fast passiert, daß er auf dem Felde seiner Großmutter das größte Unheil anrichtete, denn es wandelte ihn mehr denn einmal die Lust an, sie nach den Rezepten Columellas und Catos des Zensors zu bebauen.

Das bereitete der alten Großmutter manche trübe Stunde und beeinträchtigte auch den alten Deans lebhaft in der guten Meinung, die er von Reuben gefaßt hatte . . . »Was wird Euch schließlich übrig bleiben, Butlern,« sagte er zu seiner Nachbarin, »als aus dem unpraktisch veranlagten Jungen einen Pfaffen zu machen? Den einen Trost dabei habt Ihr ja schließlich, daß in unserer schlimmen Zeit, die das menschliche Herz gegen Gottes Wort immer mehr verhärtet, an guten Pfaffen größerer Mangel herrscht als je, und daß es Euer Reuben, wenn er auch grade kein Gesandter des Herrn wird, doch zu einem würdigen Diener unserer Kirche bringen soll, darüber will ich ja die Augen mit offen halten. Wenn er seine Sache macht, wie es sich gehört, dann versprech ich Euch, daß ich bemüht sein will, ihm die Lizenz zu verschaffen.«

Reuben wurde nun auf das Kolleg von Saint-Andrew gebracht, wo er mit Eifer seinen Studien oblag, und Jeanie Deans büßte ihren langjährigen treuen Kameraden auf Feld und Wiese ein. Leicht wurde die Trennung beiden nicht, aber sie waren ja jung und mithin reich an Hoffnung, und so schieden sie in der Zuversicht auf ein Wiedersehen unter besseren und glücklicheren Umständen.

Die Großmutter sah sich, der Unterstützung ihres Enkels auf diese Weise beraubt, bald außer stande, Beersheba weiter zu bewirtschaften; der junge Laird aber bewies auch jetzt, daß ihm die Worte, die sein Vater auf seinem Sterbebett an ihn gerichtet, heilig seien, und räumte der Witwe das Recht ein, ihre Wohnung in dem Häuschen zu behalten, während er ihr die Arbeiten auf Feld und Wiese abnahm; bloß – und hierin war er wieder der echte Sohn seines Vaters – bedang er sich aus, daß sie ihm niemals mit Ausgaben für die Instandhaltung des Häuschens kommen dürfe.

David Deans brachte es dagegen, weil er alle Vorteile wahrnahm, in der gleichen Zeit zu einigem Wohlstande, und die Verbesserungen, die er im Landbau einführte, verliehen ihm im ganzen Lande ein gewisses Ansehen, ja sie trugen ihm das besondere Wohlwollen des jungen Lairds ein, der sich sogar daran gewöhnte, den täglichen Rundgang durch sein Besitztum mit einem kurzen Besuche beim alten Deans in Woodend zu beschließen.

Der Laird war wohl reich an Geld und Gut, aber nicht reich an Geist, konnte auch mit der Sprache nicht recht fort, brauchte deshalb immer geraume Zeit, bis er sich eine Meinung schuf und äußerte. Er liebte große Einfachheit und war nie anders zu sehen als in seines Vaters altem Tressenhute und mit einer leeren Pfeife im Munde. Während er mit dem alten Deans über Viehzucht und Ackergerät sich unterhielt, oder, richtiger gesagt, den Ansichten, die letzterer auskramte, bereitwillig zuhörte, pflegten seine Augen an der fleißigen Tochter des Pächters, Jeanie, zu hängen, die er nur immer »die Dirne« zu nennen liebte. War Deans mit der Landwirtschaft fertig, schwenkte er immer auf religiöse Dinge über, und auch auf diesem Boden blieb ihm der Laird ein williger Hörer, wenngleich schlimme Zungen behaupteten, Deans hätte gerade so gut von Sonne, Mond und Sternen faseln können, denn verstanden hätte der Laird weder dies noch jenes. Das ließ aber Deans, wenn es ihm zu Ohren kam, unter keinen Umständen gelten, hätte es ihm doch im eignen Ansehen zuviel geschadet; der Laird, sagte er immer, sei eben keiner von den adeligen Laffen, die mit Tressenrock und Schleppdegen mal hoch zu Roß in die Hölle fahren, statt barfuß in den Himmel einzugehen, sondern anders wie sein Vater, ginge nicht mit schlechten Subjekten um, fluche und wettere nicht, trinke auch nicht und drücke sich auch nicht in schlechten Kneipen herum, sondern halte strengen Sabbath und lasse seinen Leuten eine anständige Freiheit, und wenn er auch, wie sein Vater, noch immer zu viel am Irdischen hänge, so lasse sich doch nicht verkennen, daß ein leiser Hauch des Geistes auch über ihn gekommen sei.

Als kluger Vater konnte sich Deans über die eigentümliche Gepflogenheit des Lairds, während seiner Vorträge keinen Blick von seiner Tochter zu lassen, nicht lange im unklaren sein. Mehr aber noch als ihn, beschäftigte die Sache ein anderes Mitglied seiner Familie, die zweite Frau nämlich, die er sich zehn Jahre nach dem Tode seiner ersten genommen hatte. Sie hieß Rebekka, und vielfach herrschte im Lande die Meinung, Deans habe sich mit seiner zweiten Heirat, trotzdem er zehn Jahre damit gewartet, doch übereilt, und diese Meinung stützte sich zumeist darauf, daß Deans im allgemeinen zu fromm sei, um der Ehe hold sein zu können, sondern sie doch nur als ein der Menschheit in ihrem unfertigen Zustande notwendiges Uebel ansehen könne . . .

Rebekka aber war, wenn solche Meinung über ihren Mann vielleicht zutraf, dem Ehestande nichts weniger als abhold, ja sie neigte sogar dazu, sich mit ein bißchen Kuppelei zu befassen, und gleichwie sie schon manches Mädchen in der Gegend unter die Haube gebracht hatte, wäre ihr solche Absicht hinsichtlich des Lairds und ihrer Stieftochter wohl zuzutrauen gewesen, wenigstens ließ sie es hin und wieder an einer Anspielung darauf nicht fehlen. Der alte Deans zog dann aber immer die Stirn in Falten, und das einzige, was er dazu sagte, war ein geringschätziges »Pah!« – wollte aber die Frau gar einmal davon zu reden anfangen, so nahm er still die Mütze und schritt aus dem Hause, den dämmernden Strahl selbstgefälligen Lächelns zu verbergen, der ihm unwillkürlich über das strenge Antlitz huschte.

Der jüngere Leser wird hier sicher fragen, durch welche Vorzüge Jeanie diese Aufmerksamkeit des jungen Lairds erregte? und da muß ich als Erzähler, der es mit der Wahrheit genau nimmt, sagen, daß Jeanie eine hervorragende Schönheit nicht war, denn sie war klein und ihre Figur fast zu stark; ihr Gesicht war zwar von angenehmer Rundung, jedoch durch den ständigen Aufenthalt im Freien stark gebräunt; sie hatte zudem hellbraunes Haar, aber stark ins Graue spielende Augen. Sympathisch aber war ihr Wesen als Abglanz einer unbeschreiblichen Lauterkeit des Gemütes und jener milden Fröhlichkeit, die nur aus einem guten Gewissen und einem zufriedenen Sinne erwächst.

Der Leser wird daraufhin zugeben, daß Jeanie Deans, wenn auch eine ganz passable Dirne, so doch keine Schönheit war; nichtsdestoweniger fand sich Laird Dumbiedike, sei es nun aus Gewohnheit, oder aus Unkenntnis seines Gemütszustandes, oder aus Mangel an Willenskraft, einen Tag wie alle Tage, einen Monat nach dem andern und ein Jahr nach dem andern, in Woodend ein, um sich an dem Blick »der Dirne«, wie er sie nannte, zu weiden, kam aber niemals zu einer noch so schwachen Andeutung, daß es seine Absicht sei, die Anspielungen von Jeanies Stiefmutter wahr zu machen.

Da nun die liebe Frau Rebekka Deans nach einigen Jahren unfruchtbarer Ehe ihren David ebenfalls mit einem Töchterchen beschenkte, dem in der Taufe der Name Euphemia, abgekürzt Effie, gegeben wurde, läßt es sich erklären, daß ihr über diesem ewigen Zaudern des hochadeligen Werbers die Geduld zu reißen drohte. Rebekka sagte sich nämlich, und wohl mit Recht, daß die ältere Tochter, wenn sie zur Lady Dumbiedike erhoben würde, keine Aussteuer mitzubekommen brauche, sondern daß dann das ganze väterliche und mütterliche Erbteil ihrer eigenen Tochter zufallen müsse; darum wandte sie alle mögliche List an, den Laird zu einer Erklärung zu veranlassen, mußte es aber über sich ergehen lassen, daß sie bei all diesen Versuchen Niederlagen erlitt, bis sie sich zuletzt vorkam wie ein täppischer Angler, der die Forelle, statt fängt, scheucht. Einmal vornehmlich, als sie mit dem Laird über die Notwendigkeit scherzte, dem Schlosse Dumbiedike endlich eine Herrin zu schenken, kam dieser in solche Begriffswirrnis, daß er sich volle vierzehn Tage lang in Woodend mit seinem Tressenhut und seiner leeren Pfeife nicht wieder sehen ließ. Rebekka zog hieraus die Lehre, daß es klüger sei, den Laird bei seinem Schneckentempo zu lassen, gemäß der alten Totengräber-Rede, daß kein Esel, man möge ihm noch so derbe Prügel geben, schneller zu Grabe komme, als er es sich in den Kopf gesetzt habe.

Mittlerweile studierte Reuben in Saint-Andrews weiter und verschaffte sich die Mittel zu seinem Unterhalt durch Unterrichtsstunden, die er solchen erteilte, die das erst lernen wollten, was er schon gelernt hatte. Ja, es gelang ihm aus dieser Tätigkeit soviel zu lösen, daß er der alten Großmutter nicht unerhebliche Unterstützungen zuwenden konnte: eine heilige Pflicht, deren Verletzung er sich, wie jeder Schotte, zum Verbrechen angerechnet hätte. Er erwarb sich tüchtige Kenntnisse in allen Wissensfächern, vornehmlich in demjenigen, welches er zu seinem Beruf erwählt hatte, der Theologie; aber sein überbescheidenes Wesen hinderte ihn, sie richtig zur Geltung zu bringen, und so hätte er, wenn er über Mißgeschick, Ungerechtigkeit und Zurücksetzung hätte klagen wollen, ebensoviel Ursache gehabt wie manch anderer, der vielleicht nicht in so trüben Lebensverhältnissen war wie er.

Die Lizenz als Geistlicher bekam er » summa cum laude« ausgestellt, aber kein Amt, in welchem er sie hätte ausüben können, und so blieb ihm nichts weiter übrig, als nach Beendigung seines Studiums sich wieder nach Beersheba in die Hütte der Großmutter zu flüchten; einige Privatstunden in benachbarten Gutshöfen verschafften ihm dort ein kärgliches, zudem unsicheres Einkommen. Einer seiner ersten Besuche galt dem Pachthofe in Woodend. Jeanie hieß ihn mit warmer Freundschaft willkommen, Frau Rebekka bewies ihm wohlwollende Gastfreundschaft und David Deans begrüßte ihn auf seine Weise: das heißt: er rückte ihm sogleich mit allen möglichen Zeit- und Streitfragen auf den Leib, um zu ermitteln, ob er es verstanden habe, sich von den Irrungen und Wirrungen der Zeit das Herz frei zu halten.

Reuben war nun seiner Gesinnung nach strenger Presbyterianer, aber jederzeit bereit, Dinge aus der Diskussion zu lassen, die seinen alten Freund und Gönner hätten kränken können, und so durfte er füglich erwarten, rein wie geläutertes Gold aus diesem Deansschen »Schmelztiegel von Prüfungsfragen« hervorzugehen. Aber vor solch strengem Examinator wie dem Vater Deans war es nicht so leicht, mit Erfolg zu bestehen.

Die alte Großmutter hatte es sich nicht nehmen lassen, den Enkel nach Woodend zu begleiten, mußte ihr doch daran liegen, mit anzuhören, wie sich »ihr Reuben« dem Nachbar als Gelehrter offenbaren würde . . Da war es ihr nun recht schmerzlich, wahrnehmen zu müssen, daß Nachbar Deans sich ganz anders zeigte, als sie sich gedacht hatte, weder etwas sagte, noch nach etwas fragte, sondern erst, nachdem ihm Frau Buttler wiederholt das Wort vergönnt hatte, sich mürrisch zu einem Gespräche herbeiließ . .

»Ich hab doch aber gedacht, Nachbar,« sagte die Greisin, »Ihr würdet Euch ein bißchen freuen, den Reuben, meinen lieben Jungen, wieder bei uns zu sehen?«

»Na, ich freue mich ja,« versetzte der Nachbar kurz angebunden.

»Der arme Junge hat doch, seit er den Großvater und den Vater verlor, keinen Menschen mehr in der Welt gehabt, der sich seiner so brav und ehrlich angenommen hätte, wie Ihr, Nachbar!«

»Der einzige wahrhafte Vater der Waisen ist Gott im Himmel,« erwiderte, den Blick aufwärts richtend, Vater Deans . . »Gebt also die Ehre auch Ihm, nicht einem seiner unwürdigen Werkzeuge!«

»Ja doch, Nachbar, so beliebt Ihr immer die Dinge zu drehen, und am besten wißt Ihr ja auch sicher, was recht und in Ordnung ist . . aber ich vergesse es Euch trotzdem nicht, wie Ihr, obgleich in Eurer Mühle selbst kein Stein mehr auf dem andern war, nach Beersheba einen Scheffel Mehl schicktet . .«

»Frau Butlern, laßt das,« fiel Deans ihr ins Wort, »dergleichen Aufhebens um solche Kleinigkeit dient bloß dazu, unsern innern Menschen eitel und hoffärtig zu machen.«

»Nachbar, was wahr ist, muß auch wahr bleiben!« antwortete die Greisin, »Ihr wißt es doch selber, daß Ihr noch mehr getan habt! . . Und daß Ihr Euch über meinen Jungen freut, des bin ich sicher, auch wenn Ihr's nicht frei heraus sagt . . Na, seht, mit seinem Fuße geht's auch besser; er kann meilenweit laufen, ohne müde zu werden, und besser im Gesicht sieht er auch aus . . er hat ja richtig schon rote Backen . . und das, Nachbar, tut meinen alten Augen wohl . . Auch einen ordentlichen Rock hat er auf dem Leibe, Nachbar . . sieht er nicht ganz aus wie ein Geistlicher?«

»Freilich, Butlern, freilich, und daß er so gesund und ordentlich daher kommt, na, das ist mir lieb, sehr lieb, das muß ich sagen,« erwiderte David Deans, aber mit solch gemessenem Tone, daß jeder, bloß nicht eine alte Frau, die sich einmal was vorgenommen hat, gemerkt hätte, daß er die Unterhaltung abbrechen möchte . . .

»Und auf jede Kanzel kann er treten, Nachbar,« fuhr die alte Frau fort, »und wenn ich ihn mir vorstelle, wie er predigt und wie alles mit offnem Munde dasitzt und seinen Reden lauscht, als wäre er der Papst in Person . .«

»Was sind das für Reden, Frau?« rief Deans in strengem Tone . . .

»Ach, lieber Himmel!« rief die Frau, »da ist mir ja ganz aus den Gedanken gekommen, wie ungehalten Ihr grade über den Papst seid . . wie ja mein seliger Mann auch, der Stephan, der von früh bis abends am Tische saß und ein Zeugnis aufsetzte wider die römische Herrschaft und wider die Wiedertaufe, und was nicht alles noch . .«

»Frau, redet, was Ihr verantworten könnt, sonst haltet lieber den Mund!« rief Deans; »ich sage Euch, was sich bei uns zu Lande als unabhängige Richtung ausgibt, ist lauter Ketzerei, und das Widertaufen gar erst ein verderblicher, betrügerischer Irrtum, der mit allem Feuer des Geistes aus den Herzen und mit dem Schwert des Gesetzes aus dem Lande gerissen werden sollte!«

»Ja doch, ja doch, Nachbar,« erwiderte die Frau, »Ihr habt ja ganz gewiß recht, denn wer so klug in allen Wirtschaftsdingen ist, der muß ja auch in kirchlichen Fragen beschlagen sein . . aber was meinen Reuben angeht, so . .«

»Liebe Butlern,« antwortete Deans, »der Reuben ist ein junger Mensch, dem ich von Herzen wohl will, wie meinem eignen Sohne . . aber ich befürchte, sein Geist wird sich übernehmen, wird die rechte Gnade nicht finden; denn er hat der weltlichen Gelehrsamkeit zuviel und sinnt zu sehr, wie er den streitigen Satz darstellen soll in blumenreicher Rede, als daß er den Grund des Heils in seiner Seele fände . . er ist zu stolz darauf, daß er die Gabe hat, was er gelernt im Flitterstaate schöner Worte wiederzugeben; indessen,« lenkte er ein, als er sah, welche Kümmernis sich auf dem Gesichte der Greisin malte, »Trübsal kann ihn ja von diesen Schlacken läutern, Trübsal wird ihn demütiger machen, und dann . . dann werdet Ihr noch Eure helle Freude an dem Jungen haben, denn er wird ein Licht der Kirche werden!«

Wenn auch die alte Frau nicht alles richtig verstand, was Deans vorbrachte, so beunruhigte sie doch manches Wort aus dem Munde des alten Freundes, so daß die Freude, die sie erst über die Wiederkunft ihres Enkels empfunden, einen starken Dämpfer erhielt. So ganz unrecht hatte Deans zudem nicht, denn Reuben litt halb und halb an der Schwäche, mehr Wissen auszukramen, als sich bei mancher Gelegenheit für nötig erwiesen hätte; und daß es den alten Mann, der sich in geistlichen Streitfragen für ein Orakel dünkte, unangenehm berührte, hin und wieder bei dem jungen Menschen auf begründeten Widerspruch zu stoßen, ist auch begreiflich.

Dagegen fand Jeanie Deans weniger Ursache, Reuben wegen dieser ihrem Vater anstößigen Schwäche zu grollen, im Gegenteil freute sie sich darüber, vielleicht aus dem gleichen Grunde, wie sich Weiber über Mut bei Männern freuen: weil ihnen selbst nämlich diese Eigenschaft abgeht . . . Da die Verhältnisse sich auf beiden Pachtgütern während Reubens Abwesenheit wenig verändert hatten, die Beziehungen also dieselben waren wie früher, kamen die beiden jungen Leute auch wie früher oft zusammen, und das alte Verhältnis zwischen ihnen lebte wieder auf; jedoch in einer ihrem fortgeschrittnen Alter gemäßen Weise; sie gewannen nicht bloß wieder Zuneigung zueinander, sondern versprachen sich sogar, ein Paar zu werden, sobald es Reuben geglückt sei, ein sicheres, wenn auch nur mäßiges Einkommen zu erlangen. Das war indessen keine so leichte und einfache Sache, wenn auch mancher Plan dazu geschmiedet wurde. Jeanies Wangen verloren ihre erste Frische, und auf Reubens Stirn zeigten sich die ersten Falten, aber noch immer schien die Möglichkeit zu einem Bunde ausgeschlossen. Zum Glück waren beide nüchterne Naturen, denen ihr Pflichtgefühl vorschrieb, die Zeit mit Geduld abzuwarten, bis ihre Hoffnungen sich erfüllen würden . . .

Aber, wie immer, führte nun auch in ihren Verhältnissen die Zeit Veränderungen herbei. Stephan Butlers Witwe wurde von hinnen gerufen, und ihr bald hinterher auch Rebekka, David Deans' fürsorgliche Hausfrau. Am Morgen nach Rebekkas Ableben begab sich Reuben zu dem alten Freunde und Wohltäter, um ihm ein paar Worte des Trostes zu sagen. Da sollte er nun Zeuge eines wunderlichen Kampfes werden zwischen menschlichen Regungen und religiösem Starrsinn, alles Irdische dem Ausblick auf Gott und Ewigkeit unterzuordnen.

Kaum war er in das kleine Pachthäuschen getreten, so wies ihn Jeanie in den Gemüsegarten, »wo Vater,« wie sie mit gebrochener Stimme sagte, »sich seit dem schrecklichen Unglücke aufhielte, das über ihn hereingebrochen sei.«

Reuben ging erschreckt in den Garten. Sein alter Freund saß in einer Laube, in tiefen Schmerz versunken. Als er des jungen Mannes ansichtig wurde, verfinsterte sich sein Gesicht, wie wenn ihm die Störung zuwider sei; als aber Reuben unschlüssig wurde, ob er weiter auf Deans zugehen oder sich wieder entfernen solle, erhob sich Deans und trat ihm mit Selbstbeherrschung und Würde entgegen.

»Junger Mann, wir sollen es uns nicht zu Herzen gehen lassen, wenn Gerechte von hinnen gerufen werden. Besser, zu sagen: Siehe! sie sind den Mühsalen dieses Lebens enthoben. Wehe über mich, wenn ich eine Träne über meines Herzens Weib vergösse, da ich Ströme weinen sollte über den Verfall der Kirche, die immer tiefer in den Pfuhl der Sünde sinkt.«

»Es ist mir eine Freude, lieber Herr Deans, zu hören,« erwiderte Butler, »daß die Sorge für das Wohl der Kirche Euch den eignen Kummer vergessen läßt.«

»Vergessen, Reuben?« wiederholte der Arme, sich die Augen wischend, »o, vergessen kann ich sie nimmer; Er aber, der die Wunden schlägt, kann auch den Balsam spenden, sie zu heilen, und so bekenne ich, daß ich während der Nacht in so tiefe Betrachtungen versunken war, daß ich meines schweren Verlustes nicht mehr gedachte. An den Ufern des Ulai habe ich in meinen Gedanken geweilt, die köstlichsten Früchte pflückend.«

Und doch ging ihm der Tod seines geliebten Weibes so tief zu Herzen, daß ihm Woodend ganz verhaßt wurde und er sich vornahm, anderswohin zu ziehen. So tat er auch und mietete sich bei den Sankt Leonard-Felsen, zwischen Edinburg und dem als »Sitz Arturs« bekannten Berge, ein einsames Häuschen mit weiten Wiesengründen, knapp eine Meile von der Stadt, um dort Viehzucht zu treiben.

Reuben Butler kam infolgedessen weniger oft mit seiner Jeanie zusammen, die dem Vater wacker an die Hand ging. Er hatte nach mancherlei Enttäuschungen in einem von Edinburg etwas ferner gelegenen Dorfe eine Stelle als Hilfslehrer angenommen, hatte dort eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet und die Schule bald in einen so guten Ruf gebracht, daß verschiedene Bürger sich entschlossen hatten, ihre Söhne dorthin in Erziehung zu geben.

Seine Lebensaussichten schienen sich auf diese Weise günstiger gestalten zu wollen, und jedesmal, wenn er nach Sankt-Leonard kam, ließ er es sich nicht nehmen, seiner Jeanie ein paar hoffnungsreiche Worte zuzuraunen. Aber da ihn sein Beruf jetzt mehr in Anspruch nahm, wurden seine Besuche dort immer seltener; zumal er sich nicht entschließen konnte, alle freie Zeit, die ihm blieb, dort zu verbringen, denn so freundlich ihn auch Deans immer willkommen hieß, so war es ihm doch zumute, als ob derselbe das Geheimnis seines Herzens ahnte, und sprechen darüber wollte er noch nicht, aus Furcht, eine Abweisung zu erhalten. Darum schien es ihm klüger, nur so oft dort vorzusprechen, wie es ihm alte Bekanntschaft und ehemalige Nachbarschaft erlaubte.

Dagegen stellte sich in Sankt-Leonard ein anderer Gast weit öfter ein, und das war kein anderer als der junge Laird Dumbiedike . .

Als David Deans dem Laird von seiner Absicht, Woodend aufzugeben, Kenntnis gab, hatte dieser ihn wortlos angegafft, war aber, ohne des Falles mit einem Worte zu erwähnen, wie immer zur gewohnten Zeit und Stunde gekommen. Als aber der Tag da war, den Deans für den Auszug bestimmt hatte, und als der große Heuwagen aus dem Schuppen geschafft wurde, um das Hausgerät aufzunehmen, da hatte der Laird, ärger als bisher gegafft und schließlich sogar den Mund aufgemacht und die Worte: »Ei, Leute, ei! ei!« hervorgestoßen.

Und als Deans den Pachthof geräumt hatte, da war der Laird noch immer zur gewohnten Zeit und Stunde wieder dort erschienen und war verdutzt vor der versperrten Tür stehen geblieben, als wisse er nicht im geringsten, was das zu bedeuten habe . . »Ach, Gott!« hatte er dann gerufen, und darüber hatte sich alles gewundert, denn jedermann wußte, daß er diesen Ausruf nur tat, wenn er sich in ganz besonders starker Gemütserregung befand.

Seitdem hatte sich sein Wesen vollständig verändert, er war aus seiner gewohnten Regelmäßigkeit herausgekommen, etwa wie ein Uhrwerk, dessen Gang plötzlich gehemmt worden. In alle Hütten lief er, und alle Dirnen gaffte er an. Aber ob es auch bessere Pachthöfe gab als Woodend, und niedlichere Dirnen als Jeanie Deans, war es doch, als wenn sich für die Lücke, die in dem Tageslaufe des Lebens seiner Lairdschaft entstanden war, kein Ersatz, als wenn sich kein Plätzchen finden wolle, wo es sich so nett und bequem und behaglich hätte sitzen lassen wie auf der Fensterbank in Woodend, als wenn es kein Mädchengesicht gäbe, das sich so wohlig angaffen ließe wie das der Jeanie Deans. Endlich, nachdem er eine ganze Woche lang sich gleichsam um sein eigen Werk gedreht und dann eine ganze Weile, als wäre sein eigen Werk abgelaufen, noch stillgestanden hatte, war ihm der Gedanke gekommen, daß er es doch nicht nötig habe, sich ständig auf der gleichen Angel zu drehen wie der Zeiger einer Uhr, sondern seine Kreisbahn auch einmal verändern und erweitern könne. Um von diesem, wie er endlich begriff, ihm gehörigen Rechte den rechten Gebrauch zu machen, erstand er von einem Viehtreiber aus dem Hochlande einen Klepper, und auf ihm ritt oder vielmehr stolperte er nach Sankt-Leonard hinauf.

Jeanie Deans hatte sich an das Gaffen des Lords freilich schon so gewöhnt, daß sie kaum noch wußte, ob er da sei oder nicht, und doch befiel sie zuweilen Unruhe, daß sich seine Blicke einmal in Worte übersetzen könnten, denn in solchem Falle hätte es geheißen, ade Hoffen und Sehnen nach Reuben! denn so kernfest auch ihr Vater in religiösen und bürgerlichen Dingen war, so wohnte ihm doch, wie damals allen schottischen Pächtern, ein gewisses Untertänigkeitsgefühl gegen seinen Laird im Herzen, während er Reuben noch immer seinen weltlichen Wissenskram, wie er sich ausdrückte, nicht ganz vergessen hatte. Ein bißchen Eitelkeit auf solche Standeserhebung seines Kindes kam auch mit in Betracht bei diesem Eiferer, der sich so oft so bitter beklagte, daß er sich trotz allem manchmal von irdischem Tand angezogen fühle. Aus alledem ergab sich, daß dem Mädchen die täglichen Besuche des Lairds recht unangenehm geworden waren, und daß sie sich verhältnismäßig leicht darüber hinweghob, den Fuß von der Stätte setzen zu müssen, wo sie ihre ganze Jugendzeit verlebt hatte; nahm sie doch den Trost mit hinweg, den Laird mit seinem Tressenhut und seiner Pfeife zum letzten Male vor Augen gehabt zu haben, denn eher hätte sie geglaubt, die Obstbäume und Kohlstrünke aus dem Woodender Gärtchen würden ihr hinterher ziehen, als den Laird solches Entschlusses für fähig zu halten. Daß sie sich also vorkam, als müsse sie in die Erde sinken, wie sie nach vierzehn Tagen den Laird mit Tressenhut und Pfeife wieder, wie ehedem in Woodend, jetzt in Sankt-Leonard einziehen, sich mit dem gleichen Gruße und der gleichen Frage: »Na, Dirne, wie geht's? wo ist denn Vater Deans?« wie dort jetzt hier auf die Fensterbank pflanzen und seine regelmäßige Zeit absitzen sah, das wird der Leser dem wahrhaften Erzähler dieser wahrhaften Geschichte gewiß ohne weitere Beteuerung glauben . . Aber am zweiten Tage hatte der Laird sich kaum auf die Fensterbank niedergelassen, als er eine ganz ungewohnte Redseligkeit entfaltete . . »Jeanie; Du, Jeanie! Dirne Du!« sagte er, mit einer Richtung auf ihre Schulter hin die Finger spreizend, wie wenn er sie dorthin legen wollte, aber die Hand wie eine Vogelklaue steif in der Luft haltend, als Jeanie vor den Fingern schnell zurückwich . . »Jeanie,« sagte er wieder, schwärmerisch angehaucht wie ein verliebter Schäfer, »heut ist's gar schön draußen, und auch mit den Wegen geht's, wenn man Stiefel anhat.«

»In den langweiligen Tobies muß der Böse gefahren sein!« sagte Jeanie in sich hinein, »wer hätte glauben mögen, daß er sich so weit von seinem Dorfe wagen würde?« Ja, sie tat heute recht brummig und ärgerlich, denn Vater Deans war gerade nicht da, und der Laird kam ihr heute so unternehmend vor, daß sie Angst hatte, er möchte es heute mit einer Erklärung versuchen.

Ihre Brummigkeit wirkte auch niederschlagend, wie sie gerechnet hatte. Der Laird verfiel gleich wieder in seine gewohnte Ebenmäßigkeit, kam drei-, viermal in der Woche nach Sankt-Leonard, wie es die Witterung erlaubte, setzte sich wieder, wie ehedem, auf die Fensterbank, gaffte wieder, wie ehedem, Jeanie an und ließ sich wieder, wie ehedem, von Vater Deans Vortrag über die religiösen Streitfragen vom Tage halten.


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