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Viertes Kapitel.

Gekommen ist die Stund', doch nicht der Mann.

Kelpie.

An dem Tage, wo Porteous das über ihn gefällte Urtheil erdulden sollte, war der Richtplatz in seiner ganzen Ausdehnung bis zum Ersticken von Zuschauern erfüllt. Kein Fenster in all den hohen Häusern am Krautmarkt, oder in der steilen und krummen Straße, der Bogen genannt, durch die der traurige Zug von der High Street herab sich winden sollte, welches nicht mit Zuschauern angefüllt war. Die ungewöhnliche Höhe und das alterthümliche Ansehen dieser Häuser, von welchen einige als früheres Eigenthum der Tempelritter und Johanniter noch jetzt das eiserne Kreuz dieser Orden auf ihren Giebeln tragen, erhöhten noch die Wirkung der an sich schon so ergreifenden Scene. Der weite Raum des Krautmarkts glich einer großen dunkeln See von Menschenköpfen, in deren Mitte sich hoch, schwarz und unheimlich der Schreckensbaum erhob, von dem der Todesstrick herabhing. Jeder Gegenstand entlehnt sein Interesse von dem Gebrauch, wozu er bestimmt ist, und von den Gedanken, die er anregt, und der aufgerichtete Balken mit der noch leeren Schlinge, an sich sehr einfache Dinge, wurden bei einer solchen Gelegenheit Gegenstände des Entsetzens und der feierlichen Theilnahme.

In einer so zahlreichen Versammlung wurde kaum ein Wort gehört, nur ein leises Flüstern erlaubte man sich. Die Gewißheit der Befriedigung hatte den Rachedurst einigermaßen gemildert; alles lärmende Frohlocken unterdrückend erwartete das Volk still und anständig, obgleich finster und unversöhnlich, die Scene der Vergeltung. Es schien, als ob ihr glühender Haß gegen den unglücklichen Delinquenten es verschmähte, sich durch etwas kund zu geben, was dem lärmenden Ausbruch ihrer gewöhnlichen Gefühle glich. Ein Fremder, nur nach dem urtheilend, was er hörte, hätte glauben können, was alle diese Leute zusammen führe, erfülle sie mit dem tiefsten Kummer, unterdrückte so das lärmende Geräusch, welches großen Versammlungen eigen ist. Allein wer den Ausdruck auf den Gesichtern näher betrachtete, mußte eines Andern belehrt werden. Diese zusammengepreßten Lippen, diese zusammengezogenen Augenbraunen, diese finster glühenden Blicke fast aller, die man sah, verriethen deutlich die begierige Erwartung, sich an dem Anblick mit triumphirendem Rachgefühl zu weiden. Es ist wahrscheinlich, daß das Erscheinen des Verurtheilten die Gesinnung des Volks gegen ihn etwas würde gemildert, und daß sie im Augenblick des Todes dem Manne würden verziehen haben, gegen den ihr Haß so glühend erregt war. Die Wandelbarkeit ihrer Gefühle sollte indeß nicht auf diese Weise versucht werden.

Die gewöhnliche Stunde zum Erscheinen des Delinquenten war bereits einige Minuten vorüber, doch die Zuschauer bemerkten kein Zeichen des erwarteten Zuges. »Sollte man es wagen, die öffentliche Gerechtigkeit zu hintergehen?« war die Frage, welche die Leute mit Besorgniß an einander richteten. Die erste Antwort fiel meistens kühn aus: »Nein, sie wagen es nicht.« – Doch als man die Sache weiter besprach, wurden andere Meinungen laut, und mehrere Zweifelsgründe beigebracht. Porteous war wegen seiner thätigen Dienste bei der Obrigkeit beliebt; viele hatten sich bemüht, sein Verfahren als zu weit getriebenen Amtseifer darzustellen und zu entschuldigen; es ließ sich vermuthen, daß man einen für ihn günstigen Bericht über die Sache an die Regierung nach London gesandt; und diese mochte wohl auch Gründe haben, einer solchen Darstellung ein geneigtes Ohr zu leihen.

Der Pöbel von Edinburg ist, wenn er gereizt worden, zu allen Zeiten einer der wildesten in Europa gewesen, und er hatte sich in den letzten Jahren vor jener Begebenheit mehrmals erfolgreich gegen die Regierung aufgelehnt. Die Menge war es sich daher bewußt, daß die Herrscher jener Zeit keine günstige Stimmung für sie hegten, und was ihnen als ein freches, unerhörtes Gemetzel erschien, konnte vielleicht von jenen als nothwendige Strenge und Selbstvertheidigung bei der Ausübung derselben angesehen werden. Ueberdies sagte man sich, daß Porteous viele Freunde unter den Vornehmen habe, denn wenn er gleich die geringsten Vergehungen der Aermeren mit unerbittlicher Strenge rüge, so dulde er nicht allein die Zügellosigkeit der jungen Edelleute, sondern leiste ihnen sogar Vorschub dabei. Ein genügender Grund, ihn dem Volke noch verhaßter zu machen.

Alles dies zusammen genommen ließ die Möglichkeit einer Begnadigung fürchten; es verstrich ein Augenblick nach dem andern, und die bisherige erwartungsvolle Stille ging in ein dumpfes, wogendes Gemurmel über, ähnlich dem dumpfen Brausen der See, ehe der Sturm zu heulen beginnt. Als ob ihre Bewegungen mit dem unruhigen Zustande ihrer Gemüther übereinstimmten, schwankte die gedrängte Menge hin und her, ohne einen sichtbaren Anstoß, gleich den Wellen eines Meerstrudels. Endlich wurde die Nachricht verkündet, vor deren Mittheilung den obrigkeitlichen Personen fast zu bangen schien, und mit Blitzesschnelle verbreitete sie sich in der Versammlung. Ein Begnadigungsschreiben aus der geheimen Staatskanzlei, vom Herzog von Newcastle unterzeichnet, war angelangt, worin der Wille der Königin Caroline (Regentin während der Abwesenheit ihres Gemahls, Georgs des Zweiten) ausgesprochen wurde, daß die Vollstreckung des Urtheils an John Porteous, ehemaligen Capitain der Stadtmiliz von Edinburg, jetzt gefangen in dem Staatsgefängniß daselbst, von dem zu seiner Hinrichtung bestimmten Tage an, auf sechs Wochen solle ausgesetzt werden.

Die versammelten Zuschauer, deren Empfindungen zu einer solchen Höhe gesteigert waren, stießen ein Aechzen aus, oder vielmehr ein Brüllen der Wuth und der getäuschten Rachgier, der des Tigers vergleichbar, wenn die Speise, die er verschlingen wollte, ihm von seinem Wächter fortgerissen wird. Diese Schreckenstöne schienen den augenblicklichen Ausbruch der Volkswuth zu verkünden, und wirklich hatte man in Erwartung dessen bereits die nöthigen Maßregeln dagegen getroffen. Das Brüllen des Ingrimms wurde indeß nicht wiederholt; noch brach der plötzliche Tumult aus, als dessen Vorbedeutung jenes erschienen war. Es schien als schäme sich das Volk, seine getäuschte Erwartung durch ein leeres Geschrei ausgedrückt zu haben; und diesem plötzlichen Ausbruch folgte, anstatt des Schweigens vor der erschütternden Nachricht, ein ersticktes Murren der Einzelnen gegen einander, in ein dumpfes Gesumme vereinigt, welches sich durch die ganze Versammlung verbreitete. Auch jetzt noch, obgleich ihre Erwartung gänzlich vereitelt war, blieb die Menge versammelt, und starrte mit düsterm Groll die jetzt vergeblichen Zurüstungen zur Hinrichtung an. Man reizte sich absichtlich zu noch größerer Erbitterung, indem man einander sagte, wie viel Ansprüche auch Wilson auf die königliche Gnade gehabt, sowohl wegen des Irrthums, der ihn zum Unrecht verleitet, als auch wegen des großherzigen Verfahrens gegen seinen Mitschuldigen. »Dieser kühne, entschlossene, großmüthige Mann,« sagten sie, »wurde ohne Erbarmen hingerichtet, weil er eine Börse voll Gold stahl, die er einigermaßen als wieder erworbenes Eigenthum betrachten konnte; und den zügellosen Trabanten, der einen unbedeutenden, bei solchen Gelegenheiten fast unvermeidlichen Tumult benutzte, um das Blut von zwanzig seiner Mitbürger zu vergießen, hielt man für einen würdigen Gegenstand, das Vorrecht der königlichen Gnade an ihm auszuüben. Ist dies zu ertragen? – Würden unsere Väter es ertragen haben? Sind wir nicht gleich ihnen Schotten und Bürger von Edinburg?«

Die Gerichtsdiener begannen nun das Schaffot und alle andern Vorrichtungen hinwegzuschaffen, in der Voraussetzung, die Menge werde sich dann schneller zerstreuen. Diese Maßregel hatte die gewünschte Wirkung, denn kaum hatte man die Unglücksstange ihrem großen steinernen Fußgestell enthoben, und sie langsam auf den zur Fortschaffung bestimmten Karren herabgesenkt, als das Volk, nachdem es seinen Gefühlen durch ein zweites Geschrei der Wuth und Kränkung Luft gemacht hatte, sich allmählig zerstreute, um zu seinen Wohnungen und Geschäften zurückzukehren.

Die Fenster wurden gleichfalls nach und nach leer; nur Gruppen einer anständigern Bürgerclasse bildeten sich hier und da, als erwarteten sie, daß der Pöbel erst die Straßen räumen solle. Aber auch die Gesinnungen dieser Leute, sonst oft von denen des gemeinen Haufens verschieden, stimmten im gegenwärtigen Falle fast ganz mit den ihrigen überein. Denn auch aus ihrer Mitte hatten bei jener frühern Veranlassung durch Porteous' Schuld mehrere das Leben verloren. Ja, dies Loos traf sogar einige, die an den Fenstern zuschauten, und folglich nicht zu den Ruhestörern gehören konnten, Leute von Gewicht und Ansehen. Die Bürger Edinburgs, von jeher eifersüchtig auf ihre Rechte, waren daher aufs Höchste entrüstet über die unerwartete Begnadigung des Capitain Porteous.

Man bemerkte zu der Zeit und erinnerte sich später noch genauer, daß, während die Menge aus einander strömte, einige Menschen geschäftig hin und her liefen, bald bei dieser, bald bei jener Gruppe stehen blieben, und auf wenige Augenblicke mit denen flüsterten, welche am heftigsten gegen die Handlungsweise der Regierung zu eifern schienen. Diese thätigen Agenten hatten das Ansehen von Landleuten und man hielt sie allgemein für alte Freunde und Kameraden Wilsons, welche natürlich heftig gegen Porteous aufgebracht sein mußten.

War es jedoch die Absicht dieser Bemühungen, zu irgend einer plötzlichen Gewaltthat aufzuwiegeln, so schienen dieselben für den Augenblick fruchtlos zu sein. Der Pöbel, so wie der bessere Theil der Versammlung ging ruhig nach Hause; und nur, wer die finstere Unzufriedenheit auf ihren Stirnen sah, oder wer etwas von ihren Gesprächen beim Heimgehen auffing, konnte ein richtiges Urtheil über den Zustand ihrer Gemüther fällen. Um den Leser auf diesen Standpunkt zu setzen, gesellen wir ihn zu einer der zahlreichen Menschengruppen, die mühsam den steilen Abhang von West Bow hinanstiegen, um zu ihren Wohnungen am Linnenmarkte zurückzukehren.

»Ein wunderlich Ding, fürwahr, Frau Heimlich,« sagte der alte Peter Süßpflaum zu seiner Nachbarin, der Trödlerin, indem er ihr seinen Arm bot, ihr das beschwerliche Steigen zu erleichtern, »sehen zu müssen, wie vornehmes Volk zu London sich gegen Gesetz und heiliges Evangelium stellt, und so einen ruchlosen Kerl, wie den Porteous gegen eine friedliche Stadt loßläßt!«

»Und noch obendrein uns einen so mühsamen Weg machen zu lassen,« antwortete Frau Heimlich stöhnend; »und so ein schönes Fenster wie ich hatte, gerade einen Steinwurf vom Galgen – ich hätte jedes Wort von dem Prediger hören können – und zwei Pence mußte ich für meinen Stand zahlen, und Alles für nichts und wieder nichts!«

»Es will mich bedünken,« sagte Herr Süßpflaum, »der Gnadenbrief hätte schwerlich gegen das altschottische Gesetz Stand gehalten, als das Königreich noch ein Königreich war.«

»Ich kenne just nicht viel von den Gesetzen,« entgegnete Frau Heimlich, »doch so viel weiß ich, als wir einen König und einen Kanzler und Parlamentsherren für uns allein hatten, konnten wir mit Steinen nach ihnen werfen, wenn sie nicht artig waren. – Aber welches Menschenkind kann mit seinen Nägeln nach London hinreichen.«

»Die Pest über London und alle, die je von dorther kommen!« sagte Jungfer Grete Ziegenschrei, eine veraltete Nähterin; »sie haben uns unser Parlament genommen, und unsern Handel unterdrückt. Unser Adelvolk glaubt ja kaum mehr, daß eine schottische Nadel Handkrausen an ein Hemd setzen, oder einen Halskragen ausnähen kann.«

»Sie haben Recht, Jungfer Ziegenschrei, Sie haben Recht, und ich kenne Leute, die die Rosinen scheffelweise von London bekommen,« entgegnete Herr Süßpflaum; »und muß da noch so ein Rudel müßiger englischer Zollaufseher herüberkommen, uns zu hudeln und zu scheeren, daß ein ehrlicher Mann wahrhaftig kein Ankerfäßchen Branntwein von Leith bis zum Linnenmarkt schaffen kann, wo er nicht gleich dabei denken muß, sie werden ihn um das Bischen liebe Gut bringen, wofür er sein eigen baares Geld bezahlt hat. – Nun, ich will just nicht dem Andreas Wilson das Wort reden, daß er sich an fremdem Gelde vergriffen, wenn er aber nicht mehr nahm, als ihm von Rechtswegen gebührte, so ist das ja meiner Treu noch ein himmelweiter Unterschied von dem, was dieser Kerl verbrochen hat.«

»Wenn Sie von Recht und Gesetz reden,« sagte Frau Heimlich, »hier kommt Herr Sattelbaum, der kann so gut darüber Auskunft geben, wie der beste Advocat.«

Der erwähnte, ernst aussehende, ältliche Mann, mit einer gewaltigen Perücke und dunkelfarbigen Kleidern, die von Wohlstand zeugten, kam heran, während jene sprach, und bot Jungfer Grete Ziegenschrei höflichst seinen Arm.

Es mag nöthig sein zu erwähnen, daß Herr Bartel Sattelbaum einen wohl ausgestatteten, in Ruf stehenden Laden hatte, mit Sätteln, Pferdegeschirr und dergleichen, zum goldenen Hengst genannt. Sein Genie wendete sich jedoch – wie er und seine Nachbarn dafür hielten – zu einem wichtigern Gegenstande, zur Rechtsgelehrsamkeit; und er ermangelte nicht, den Verhandlungen im benachbarten Gerichtshofe fleißig beizuwohnen. Fleißiger vielleicht, als es sich mit seinem Vortheil vertragen hätte, wäre nicht seine Frau ein thätiges Weib gewesen, die sich trefflich darauf verstand, während seiner Abwesenheit die Kunden zufrieden zu stellen und die Arbeiter auszuschelten. Sie hatte sich gewöhnt, ihren Mann seinen Weg gehen zu lassen, und seinen Schatz juristischer Kenntnisse ungestört zu vergrößern, dagegen forderte sie aber, daß er ihr in den Wirthschafts- und Gewerbeangelegenheiten, die ihr oblagen, völlig ihren Willen ließ. Da nun Bartel Sattelbaum einen beträchtlichen Redeschwall in seiner Gewalt hatte, den er für Beredsamkeit hielt, und er oft freigebiger damit war, als seine Zuhörer es gerade wünschten, so pflegten Spottvögel den Fluß seiner Worte zuweilen mit der Neckerei zu unterbrechen: er habe einen goldenen Hengst an der Thür und ein stätisch Mutterpferd im Laden. Dieser Vorwurf brachte Herrn Sattelbaum meistens dahin, einen stolzen und vornehmen Ton gegen seine wackere Frau anzunehmen – ein Umstand, auf den sie indeß nicht sonderlich zu achten schien, und nur offene Widersetzlichkeit zeigte, wenn er einen Versuch zu wirklicher Ausübung der häuslichen Gewalt machte. Zu dergleichen zornigen Regungen gab Bartel jedoch selten Anlaß. Er mochte lieber von seinem hausherrlichen Ansehen reden, als es wirklich üben – eine Sinnesart, die viel zu seiner Zufriedenheit beitrug; denn so vermehrte sich sein Vermögen, ohne eine Bemühung von seiner Seite, oder eine Unterbrechung seiner Lieblingsbeschäftigung.

Wir haben dem Leser diese Erklärung gegeben, während Sattelbaum seinen Zuhörern mit großer Genauigkeit den Rechtsfall des Capitain Porteous entwickelte, wobei er zu der Entscheidung gelangte, daß wenn Porteous fünf Minuten früher gefeuert hätte, ehe noch Wilson gerichtet war, er versans in licito, in einer gesetzmäßigen Handlung begriffen gewesen wäre, und nur strafbar propter excessum, oder wegen Mangel geziemenden Betragens, welches die Strafe zur poena ordinaria würde gemildert haben.

»Geziemendes Betragen!« wiederholte Frau Heimlich, an welcher das Feine dieser Unterscheidung wohl ganz verloren gehen mochte; »wann hatte Hans Porteous wohl je geziemendes Betragen, oder Höflichkeit, oder gute Sitten? Ich weiß noch wie sein Vater« –

»Frau Heimlich, ich bitte,« sagte Sattelbaum –

»Und ich erinnere mich,« sprach Jungfer Ziegenschrei, »wie seine Mutter« –

»Jungfer Ziegenschrei,« bat der unterbrochene Redner –

»Und ich,« sagte Süßpflaum, »gedenke wie seine Frau« –

»Herr Süßpflaum, Frau Heimlich, Jungfer Ziegenschrei,« flehte Sattelbaum von Neuem, »merken Sie auf die Unterscheidung, ich bitte, merken Sie darauf. Die Hinrichtung war vorbei, Porteous folglich nicht mehr im Amt, da die Handlung, zu deren Schutz er berufen worden, ihr Ende erreicht hatte, er war also nichts mehr als cuivis ex populo.«

» Quivis, quivis, mit Ihrer Erlaubniß, Herr Sattelbaum,« sagte, mit starker Betonung der ersten Silbe, Herr Butler, Unterlehrer an einer Dorfschule in der Nähe von Edinburg, der in dem Augenblick zu ihnen trat, als das falsche Latein ausgesprochen wurde.

»Wozu nützt diese Unterbrechung, Herr Butler? – Dennoch aber ist es mir lieb Sie zu sehen. – Ich folgte der Autorität des Criminalrichters Blaurücken, und der sagt cuivis.«

»Wenn der Criminalrichter Blaurücken in meiner Gegenwart den Dativ statt den Nominativ gebraucht hätte, so würde ich ihm mit einem ledernen Riemen den Rücken gebläut haben, Herr Sattelbaum,« sagte der Schulfuchs; »es sitzt kein Bube auf der Faulbank, der nicht wegen eines solchen Schnitzers wäre gepeitscht worden.«

»Ich spreche Latein wie ein Rechtsgelehrter, Herr Butler, und nicht wie ein Schulmeister,« entgegnete Sattelbaum.

»Nicht einmal wie ein Schüler,« meinte Butler.

»Auch liegt wenig daran,« fuhr Bartel fort; »was ich sagen wollte, ist, daß dem Porteous die poena extra ordinem, oder die Todesstrafe, mit deutlichen Worten, der Galgen, zuerkannt worden, blos weil er nicht Feuer gab, so lange er im Amt war, sondern bis nach vollzogenem Urtheil wartete, wo seine Obliegenheit, über die Vollstreckung desselben zu wachen, aufgehört hatte.«

»Sie meinen also wirklich, Nachbar Sattelbaum, John Porteous' Sache stände besser, wenn er geschossen hätte, ehe noch gar Steine nach ihm geworfen wurden?« fragte Süßpflaum.

»Gewiß meine ich das, Nachbar,« versetzte Bartel zuversichtlich, indem er seine früheren Gründe für diese Behauptung nochmals weitläufig aus einander setzte. Zur Unterstützung derselben berief er sich auf die Autorität mehrerer Lords, wie er denn stets, sich seiner hohen Verbindungen rühmend, eine Menge hochtönender Namen im Munde zu führen pflegte. Die Gesellschaft ergoß sich noch in mancherlei, zum Theil sehr eigennützige Klagen über den Verfall des guten alten Schottland, und über die eben erlittene Ungerechtigkeit.

»Nicht allein das vergossene Blut schreit zu uns,« sagte Frau Heimlich, »sondern auch das, welches hätte vergossen werden können. Da hatte mein Tochterkind, die kleine Eppie Daidle – Sie kennen ja das kleine Ding, Jungfer Gretchen – ein wenig die Schule geschwänzt, was Kinder wohl thun, wie Sie wissen, Herr Butler« –

»Wofür sie aber auch,« fiel der Schulpedant ein, »von denen, die ihnen wohl wollen, ernstlich gezüchtigt werden sollten.«

»Und sie war bis ganz dicht unter den Balken gekrochen, um sich das Hängen anzusehen, aus lieber Neugier, wie Kinder nun sind – und hätte sie nicht so gut können erschossen werden, wie ein Anderes? Und, daß Gott erbarm, was wäre dann aus uns allen geworden? Ich möchte doch sehen, wie es der Königin Caroline gefiele, eins von ihren Kindern in solcher Gefahr zu wissen?«

»Das Gerücht sagt,« versetzte Butler, »Ihre Majestät würde sich einen solchen Umstand nicht sehr zu Herzen genommen haben.«

»Das weiß ich,« fuhr Frau Heimlich fort, »wenn ich ein Mann wäre, so sollte es mir der Hans Porteous bezahlen, es möchte auch daraus werden, was wollte, und hätten auch alle Königinnen und Prinzessinnen von England das Gegentheil geschworen.«

»Und ich würde die Kerkerthür mit meinen Nägeln niederreißen,« rief Jungfer Grete, »aber kommen müßt ich an ihn.«

»Sie mögen sehr Recht haben, meine Damen,« sagte Butler, »doch ich möchte Ihnen rathen nicht so laut zu sprechen.«

»Nicht sprechen!« riefen beide Damen zugleich, »von einem Ende der Stadt bis zum andern wird nichts anders gesprochen werden, bis das Ding entweder geendet, oder sich gewendet.«

Die Frauenzimmer gingen jetzt nach Hause. Herr Süßpflaum kam mit den beiden andern Herren darin überein, als sie an die wohlbekannte Bude auf dem Linnenmarkt kamen, dort einzutreten und ein Glas Branntwein zur Erfrischung zu sich zu nehmen. Dann eilte er in seinen Laden, und Butler, der gerade eines alten Zaumriemens bedurfte – zu welchem Gebrauch würden die kleinen Tagediebe aus seiner Schule wohl schon vorausgesagt haben – ging mit Herrn Sattelbaum den Linnenmarkt entlang, indem der Eine von den Gesetzen Schottlands, der Anders von denen der Wortfügung sprach, je nachdem dieser oder jener zu Worte kommen konnte, wobei keiner von Beiden aber das Geringste von dem hörte, was sein Gefährte vorbrachte.


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