Gustav Schwab
Schiller's Leben
Gustav Schwab

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Frau von Staël und andere Gelehrte im Verkehre mit Schiller. Herders Tod.

1803.

Gegen den Schluß des Jahres 1803 kam die geistvolle Kundschafterin deutschen Lebens und deutscher Kunst aus Frankreich auf ihrem Zuge durch Deutschland nach Weimar, von Frankfurt her. »Wenn sie nur deutsch versteht,« schrieb Schiller vor ihrer Ankunft an Göthe (30. Nov.), »so zweifle ich nicht, daß wir über sie Meister werden; aber unsre Religion in französischen Phrasen ihr vorzutragen, und gegen ihre französische Volubilität aufzukommen, ist eine zu harte Aufgabe.«

Göthe war in Jena, wo er anfangs in Geschäften so tief untergesunken wühlte, daß ihm zu Muthe war, wie Schillers Taucher – absichtlich geblieben, um ihr auszuweichen. Er bat seinen Freund dringend, ihn in Weimar zu vertreten. »Will Madame de Staël mich besuchen, so soll sie wohl empfangen seyn. Weiß ich es vier und zwanzig Stunden voraus, so soll ein Theil des Loderischen Quartiers möblirt seyn, sie soll einen bürgerlichen Tisch finden, wir wollen uns wirklichwirklich scheint ein Druckfehler des Briefwechsels. Vielleicht schrieb Göthe: täglich oder weidlich oder dergleichen etwas. sehen und sprechen, und sie soll bleiben, so lange sie will. Was ich hier zu thun habe, ist in einzelnen Viertelstunden gethan, die übrige Zeit soll ihr gehören; aber in diesem Wetter zu fahren, zu kommen, mich anzuziehen, bei Hof und in Societät zu seyn, ist rein unmöglich, so entschieden, als es jemals von Ihnen in ähnlichen Fällen ausgesprochen worden.« (13. Dec.)

Schiller stellte das Alles dem Herzoge vor, machte Göthe's Gründe möglich geltend und meinte, der Frau von Staël selbst müßte es lieber seyn, den großen Mann ohne den Train der Zerstreuungen zu sehen. Die Tochter Necker's kam. »Frau v. Staël,« berichtet Schiller über sie nach Jena an Göthe den 21. Dezember, »wird Ihnen völlig so erscheinen, wie Sie sie sich a priori schon construirt haben werden; es ist alles aus Einem Stück und kein falscher pathologischer Zug an ihr. Dies macht, daß man sich trotz des immensen Abstands der Naturen und Denkweisen vollkommen wohl bei ihr befindet, daß man Alles von ihr hören und ihr Alles sagen mag. Die französische Geistesbildung stellt sie rein und in einem höchst interessanten Lichte dar. In Allem, was wir Philosophie nennen, folglich in allen letzten und höchsten Instanzen, ist man mit ihr im Streit und bleibt es trotz alles Redens. Aber ihr Naturell und Gefühl ist besser als ihre Metaphysik, und ihr schöner Verstand erhebt sich zu einem genialischen Vermögen. Sie will Alles erklären, einsehen, ausmessen; sie statuirt nichts Dunkles, Unzugängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft, wo sie umkommt. Für das, was wir Poesie nennen, ist kein Sinn bei ihr; sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, aber sie wird nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht immer erkennen. Sie ersehen aus diesen paar Worten, daß die Klarheit, Entschiedenheit und geistreiche Lebhaftigkeit ihrer Natur nicht anders als wohlthätig wirken können. Da sogar ich bei meiner wenigen Fertigkeit im Französischreden ganz leidlich mit ihr fortkomme, so werden Sie bei Ihrer größern Uebung eine sehr leichte Communication mit ihr haben.«

Welch ein Prüfer der Geister war unser Schiller! Wer diese Worte gelesen hat, kennt die Staël, und wenn er keine Zeile der Delphine, der Corinne, ihrer Werke über Deutschland und über die Revolution gelesen hätte.Man vergleiche mit Schillers Porträt Rahel über die Staël I, 182 f. und Chamisso's Leben I, 266. 272 f. 274 ff. 323 f. Magers Geschichte der franz. Nationalliteratur II, 1. S. 74–95. Endlich E. M. Arndts Erinnerungen (Leipz. Weidmann 1840) S. 162. »Sie war dem Leibe nach nicht schön gebildet, für ein Weib fast zu stark und männlich gebaut. Aber welch ein Kopf thronte auf diesem Leibe! Stirn, Augen, Nase herrlich und vom Licht und Glanz des Genius funkelnd, Mund und Kinn weniger schön. Bei so vielem Witz und Geist, als aus ihren Augen blitzte und von ihren Lippen sprudelte, ein bezaubernder Ausdruck von Verstand und Güte. Verstand? Jedem Vogel sah sie sogleich an seinem Schnabel an, welchen Ton sie mit ihm zu singen habe.«

1803 bis 1804.

Wir wollen nun sehen, wie Frau von Staël Schillers Zuneigung erwiedert, wie sie ihn sich im Geiste zu recht gelegt hat. »Das erstemal,« sagt sie in ihrem Werk über Deutschland,Sur l'Allemagne. Paris 1820. Tom I, p. 244. »sah ich Schillern bei dem Herzog und der Herzogin von Weimar, in einer eben so geistreichen als imponirenden Gesellschaft. Er konnte das Französische sehr gut lesen, aber gesprochen hatte er es nie. Ich nun vertheidigte mit Wärme die Ueberlegenheit unsres dramatischen Systems über alle andern; er verschmähte es nicht, mich zu bekämpfen, und unbekümmert um die Schwierigkeiten und Stockungen, in die er durchs Französischsprechen gerieth, ohne Scheu vor der Meinung der Zuhörer, die der seinigen entgegen war, – fand er Worte in seiner innersten Ueberzeugung. Anfangs bediente ich mich, um ihn zu widerlegen, französischer Waffen, der Lebendigkeit und des Spottes. Bald aber entdeckte ich in dem, was Schiller sagte, mitten durch die Hemmnisse des Wortes so viel Ideen; diese Charaktereinfalt, die einen Mann von Genie einen Kampf unternehmen ließ, in dem es seinen Gedanken an Worten fehlte, machte einen solchen Eindruck auf mich; ich fand ihn so bescheiden und so unbesorgt, was seine eigenen Erfolge betraf, so stolz und erregt in der Verteidigung dessen, was er für Wahrheit hielt: – daß ich ihm von diesem Augenblick an bewunderungsvolle Freundschaft weihte.«

In die Länge wurde die unermüdliche neue Freundin mit ihrem »Ideenhunger« und ihren kalten Deklamationen aus der PhädraFr. v. Wolz. II, 258. denn doch lästig. »Madame v. Staël,« sagt ein Billetchen Schillers an Göthe ohne Datum, »will noch drei Wochen hier bleiben. Trotz aller Ungeduld der Franzosen wird sie, fürchte ich, doch an ihrem eigenen Leib die Erfahrung machen, daß wir Deutsche in Weimar auch ein veränderliches Volk sind, und daß man wissen muß zu rechter Zeit zu gehen.« Ja am Ende fiel ihm bei ihr nicht nur das Danaidenfaß, sondern sogar der Oknos mit seinem Esel ein. Göthe scheint doch erst in Weimar mit ihr bekannt geworden zu seyn, Benjamin Constant war ihr Begleiter; und einmal sagte Schiller boshaft von ihr: »Von Fr. v. St. habe ich nichts gehört, ich hoffe, sie ist mit Herrn B. C. beschäftigt.« Der letztere zeigte übrigens große Achtung vor Schillers Werken und Sinnesart.Seine (spätere) Bearbeitung des Wallenstein ist jetzt vergessen. Man sehe darüber Carlyle S. 221 Note; Rahel I, 417 f. Beide führten interessante Gespräche mit einander.

Jene Aeußerungen augenblicklichen Mißmuths vermochten auch den günstigen Eindruck, den die berühmte Frau im Ganzen auf den Dichter gemacht hatte, nicht zu verwischen. »Frau v. Staël ist eben hier,« schrieb Schiller am 5. Januar 1804 an seine Schwester Reinwald,«Ungedruckter Originalbrief, durch die Güte des Herrn Oberamtsrichters Rooschüz dem Verfasser mitgetheilt. »und belebt durch ihren geistreichen und interessanten Umgang die ganze Societät. Sie ist in der That ein Phänomen in ihrem Geschlecht, an Geist und Beredtsamkeit mögen ihr wenige Männer gleich kommen, und bei allem dem ist keine Spur von Pedanterei und Dünkel. Sie hat alle Feinheiten, welche der Umgang der großen Welt giebt, und dabei einen seltenen Ernst und Tiefe des Geistes, wie man sonst nur in der Einsamkeit ihn erwirbt.«

Gegen den März scheint der fremde Gast, durch welchen Schiller, nach seiner eigenen Versicherung, bei allen Vorzügen ihrer Nation, »in seiner Deutschheit bestärkt worden war, die Residenz Weimar verlassen zu haben.

Fast zu gleicher Zeit mit der Staël erschien am Weimaraner Geisterhorizont ein Phänomen, das damals noch lange nicht in seiner Erdnähe angekommen war, aber von den bewaffneten Geistesaugen unsrer beiden Seher sofort in seiner Bahn und Bedeutsamkeit entdeckt und angekündigt wurde. Hegel kam nach Jena. Göthe hatte mit ihm, Fernow und Schelver Ende Novembers 1803 recht angenehme Stunden verlebt und sagt darauf zu Schiller: »Bei Hegeln ist mir der Gedanke gekommen, ob man ihm nicht, durch das Technische der Redekunst, einen großen Vortheil schaffen könnte. Es ist ein ganz vortrefflicher Mensch; aber es steht der Klarheit seiner Aeußerungen gar zu viel entgegen.« Darauf erwiederte Schiller (30. November): »Mit Vergnügen sehe ich, daß Sie mit Hegeln näher bekannt werden. Was ihm fehlt, möchte ihm wohl nun schwerlich gegeben werden können, aber dieser Mangel an Darstellungsgabe ist im Ganzen der deutsche Nationalfehler und compensirt sich, wenigstens einem deutschen Zuhörer gegenüber, durch die deutsche Tugend der Gründlichkeit und des redlichen Ernstes. Suchen Sie doch Hegeln und Fernow einander näher zu bringen; ich denke, es müßte gehen, dem Einen durch den Andern zu helfen. Im Umgang mit Fernow muß Hegel auf eine Lehrmethode denken, um ihm seinen Idealismus zu verständigen, und Fernow muß aus seiner Flachheit herausgehen.« Göthe setzte diesen Vorschlag sofort ins Werk.

Auch Rehberg, der Publicist, aus Hannover, kam um diese Zeit durch Weimar; Schiller rühmte seine Achtung vor dem deutschen Wesen und seine Neigung dazu, wußte aber nicht zu sagen, ob er ein Organ habe, die idealistische Denkungsweise aufzunehmen. Thibaut ging zu gleicher Zeit an Schiller vorüber. In Jena sah Göthe den Ankömmling Voß, muß sich aber erst wieder zu ihm und seinem Kreise gewöhnen und seine Ungeduld an Voßens Sanftmuth (?) bezähmen lernen. »Der arme Vermehren [ein Schlegelianer] ist gestorben,« meldet Göthe am 2. December 1803 dem Freund. »Wahrscheinlich lebte er noch, wenn er fortfuhr mittelmäßige Verse zu machen. Die Postexpedition ist ihm tödtlich geworden.« Im Januar 1804 kam auch Johannes v. Müller nach Weimar; es erhellt nicht, ob er Schillern aufgesucht; mit Göthe war er viel zusammen.

Seinem Freunde v. Hoven, damals Professor in Würzburg, hatte Schiller den Weg zu einer Professur der Medicin in Jena bahnen wollen, an Himly's Stelle. Aber diese scheint nicht wieder besetzt worden zu seyn.Schiller an Hoven Nr. 10–17. (Hovens Leben S. 380–396).

Als die Staël in Weimar kaum eingetroffen und Göthe noch in Jena war, starb Herder, ohne daß Schiller in seinem Briefe vom 18. December an den Freund dieses Todesfalles erwähnte. Daß aber der Tod, wie immer, seine mildernde und versöhnende Gewalt auch über das frühere, doch nicht ohne Leidenschaft gefällte Urtheil ausübte, erhellt aus dem (bisher ungedruckten) Brief an seine Schwester Christophine (vom 5. Jan. 1804): »Hier ist kürzlich auch Herder gestorben, der ein wahrer Verlust nicht nur für uns, sondern für die ganze literarische Welt ist.« Auch der Tod »des guten Herzogs von Meiningen« betrübte ihn nach diesem Briefe herzlich. »Ich hatte ihn in den letzten Zeiten wahrhaft lieb gewonnen, und er verdiente auch als ein guter Mensch Achtung und Liebe . . . Möge nur der Himmel uns und Allen, die uns lieb sind, Leben und Gesundheit fristen. Es giebt noch allerlei in der Welt zu thun, und ich möchte es wenigstens erleben, meine Kinder so weit gebracht zu sehen, daß sie sich gut durch die Welt helfen können.«

So schrieb Schiller sechszehn Monate vor seinem Tode. Es war ihm diesen Winter »leidlich gegangen.« »Aber,« sagt er, »der Winter macht mich immer besorgt, und ich kann mich hier nicht immer so zu Hause halten, wie in Jena.«


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