Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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IX.

Da der Vater fest schlief, wagte es Traudl, ihn auf kurze Zeit zu verlassen und den Bruder aufzusuchen. Dieser hatte sie schon lange erwartet. Sein erstes war, daß er die Schwester aufforderte, doch ihre Arbeitskleidung mit einer besseren zu vertauschen.

»Is dös alles, was d' mir z' sagen hast?« fragte sie. »Frag 'n Herrn Bergwald, ob den mei' Arbeitsg'wand geniert? Der schaut nöt aufs G'wand –«

»Aber –« wollte Franz einwenden.

»Für jetzt muaßt mi schon nehma, wie i bin,« unterbrach ihn Edeltraud, deren Gefühl sich allmählich gegen den Bruder auflehnte. »Dei' Hochmuat, Franz, glaub mir, kimmt no' vor'n Fall. Hast denn dei' ganzes Herz verlor'n? Nöt gnua, daß d' ohnedem seit fünf Jahr uns vergessen hast, kimmst da plötzli daher und machst uns Vorwürf', daß wir di in d' Schand bringa. Wer giebt dir denn a Recht dazua? Woaßt, i hab' dir bis jetzt d' Stang g'halten, hab' dir alleweil guat g'red't, i und d' Muatta, wir ham 'n Vater, der mit Recht auf di sirri is, besser auf di umstimma woll'n. Aber er kann halt den Brief nöt vergessen, den's d' an d' Muatta g'schrieben hast, und wo's d' ihr den Rat geben hast, wir soll'n uns besser einschränken. No', so was war nöt weni dumm! Wie kann ma' si' denn einschränken, wenn ma' so nix hat! Dös kannst du sagen, weilst im Glück schwimmst.«

119 »Wer sagt dir denn das? Wer sagt dir denn überhaupt, daß ich glücklich bin?« entgegnete Franz, das Gesicht abwendend.

»So wärst es nöt?« rief Traudl überrascht. »Du, der reiche Mann?«

»Ich wollt', ich wüßt' nichts von dem Reichtum,« bekannte Franz. »Mit 'n Reichtum hat mei' Sorg' ang'fangen und war mein Frieden dahin.«

»Wieso dös?«

»Meine Frau ist mit dem, was 's G'schäft abg'worfen hat, nie auskommen, es hat ihr Privatvermögen herhalten müssen. Wir haben zu spekulieren ang'fangen, haben viel Glück g'habt, aber auch wieder Verlust, und wie ich gerad' von einem solchen erfahren und wirklich die letzte Mark zur Deckung hab' hergeben müssen, da kam der Brief von der Mutter. Ich hab' keine Ahnung g'habt, wie 's wirklich um euch steht, und so hab' ich in mein' Verdruß halt die Antwort geben. Freili, wie ich jetzt seh', hätt' die Mahnung besser für mich und meine Frau paßt. Aber du hast kein Begriff, Traudl, wie einen solche Differenzgeschäfte aufregen, wie sie alles G'fühl abtöten, wie man Tag und Nacht an nichts anderes denkt, alles andere vergißt, wie man nur zwei Gedanken hat, wie man gewinnen oder das Verlor'ne zurückerobern kann.«

»Und jetzt – hast jetzt verlor'n?«

»Dir kann ich's ja sagen: ich fürcht', alles. Noch weiß Otto nichts davon, es kann sich ja mit einem Schlag wieder zum Guten wenden – aber wenn mein Geschäftsanteil bei ihm mit Beschlag belegt würde, wenn die Firma Kleinschwert erfährt – ich mag gar nicht daran denken.«

120 »Ja, Franz, da warst ja viel besser dran, so lang's d' arm warst?« rief Traudl.

»Ich hab' schon manchmal den Bettler auf der Straße beneidet, der gewiß weiß, daß er nichts hat, und an den niemand einen Anspruch macht, der nicht Tag und Nacht zu rechnen braucht und nicht von einer Aufregung in die andere kommt. Aber ich seh's ein, ich hab's verdient, hab's verdient an euch –«

Er stützte den Kopf in die Hand, und die Schwester merkte wohl, wie ihm die Thränen über die Wangen herabrollten.

Nach einer Weile sagte sie:

»Jetzt glaub' i, daß i di mit 'n Vater aussöhna kann. D' Muatta war dir trotz alledem eh nöt bös. Und wenn wir dir helfen könnten – dös glaubst, gel? – wie gern g'schehet's!«

»Du kannst mir helfen!« rief jetzt Franz, der Schwester Hand ergreifend. »Du, Traudl, kannst helfen, du ganz allein! Du bist mei' unverhoffte Hilf', die mir der Himmel schickt!«

»I? Wie wär' dös mögli?«

»Wennst 'n Otto sein Antrag annimmst. Er, der bis jetzt nichts von Frauen hat wissen wollen, hat mir vorhin wiederholt g'sagt, wie gern er dich hat, und daß es sein sehnlichster Wunsch wär', daß du sein Weib würdest.«

»Aber Franz,« versetzte Traudl errötend, »i kenn' ja den Herrn Bergwald no' gar nöt näher, nur an' etlimal ham ma uns troffen, und er is wegen meiner in St. Quirin in arge Verlegenheit komma –«

»Ich weiß alles,« unterbrach sie der Bruder.

121 »No', da woaßt g'rad nöt viel. Daß i'n Herrn Bergwald guat leiden kann, dös is wahr. I bin eam guat seit dem Augenblick, wo er unserem Vater sei' Hilf anboten hat. Aber er steht so hoch über mir, i bin nur a arm's Deandl, daß i an a Liab no' gar nöt denkt hab'. Jetzt aber muaß i zum Vater, nachischaug'n, ob eam nix fehlt.«

Sie erhob sich.

»Nun, und was darf ich Otto sagen? Darf ich ihm Hoffnung machen?«

»Sag eam no' nix. I muaß erst mit die Eltern Rücksprach' nehma. Die Sach' kommt mir z'gaach, i bin mir da selm no' nöt im klaren.«

»Vergiß nicht, Traudl, daß 's für dich und für mich ein Glück wär'. Du wirst eine vermögliche Frau und mir hilft er aus der Verlegenheit und rettet so mich und seine Schwester vor dem Ruin, den er jetzt glücklicherweise noch nicht ahnt. Ich erhielt vorhin eine Depesche meiner Frau. Wenn er sein Giro giebt, bin ich gerettet, aber so, wo nehme ich fünfunddreißigtausend Mark her!«

»Weiß er, um wie viel sich's handelt?« fragte Traudl mit stockendem Atem.

»Er braucht's nicht zu wissen, er würde nur erschrecken. Aber es hat keine Gefahr für ihn, wenn er blanko unterschreibt.«

»I woaß guat, denn der Mändl-Fritz hat mi' in der Buchhaltung unterricht', was a Blankogiro is. Der Herr Bergwald soll sei' Unterschrift auf a leeres Papier geben und du setzt die Summe hintnach ein, die 's d'magst. Na', Brüaderl, dös is nöt ehrli.«

»Die Aktien, um die sich's handelt, müssen 122 innerhalb eines Vierteljahres wieder steigen und aller Verlust ist hereingebracht,« beteuerte Franz. »Du hast Einfluß auf Otto. Gieb ihm Hoffnung und verlang' als ersten Beweis seiner Liebe, daß er meinen Wunsch erfülle. Bei dir allein liegt meine ganze Hoffnung!«

»Bei mir?« rief jetzt Traudl mit höhnischem Lächeln, »bei der arma Hopfenbrockerin, die dir no' vor etli Stunden so viel Schand g'macht hat! Franz,« fuhr sie dann fort, »dös siehgt ja aus, als ob du verlangest, i soll mi für di opfern? Zu was i mi 'n Herrn Bergwald gegenüber entschließ', woaß i no' nöt, jedenfalls aber, dös mirk dir, bleibst du außer Betracht, du und dei' G'heimnis. I hab's nöt wissen wolln, und jetzt, da i's woaß, kann i 'n Herrn Bergwald nimmer so treuherzi in d' Augen schauen, wie bisher. Woaßt was, Franz, hilf dir selber. Wenn i vor a halben Stund no' wankelmüati war, jetzt bin i mit mir im reinen: i hab' 'n Herrn Bergwald zu gern, als daß i 'n durch mei' Jawort in Schaden bringa wollt. Jetzt laß mi zum Vater.«

Da sie aus der Thür treten wollte, erschien Bergwald in derselben.

»Edeltraud, wie geht es Ihrem Vater?« fragte er.

»Er schlaft,« erwiderte Traudl. »I bin Ihna soviel Dank schuldi, daß Sie sich wiederum so lieb um ihn ang'nomma hab'n.«

»Darf man ihn nicht besuchen? Ich möchte so gern Rücksprache mit ihm nehmen.«

»Heut' nöt!« beeilte sich Traudl zu sagen. »Der Doktor hat strengste Ruh geboten. Ich dank' für den guten Willen.«

»So wollen Sie mich wenigstens anhören. Ich möchte 123 wissen, wie Sie sich zu der Erklärung stellen, welche ich, ich gestehe es, in meiner Erregung vor der Zeit abgegeben. Ich möchte Sie bitten, über jene Erklärung nachzudenken und mir das Ergebnis dieses Nachdenkens dann mitzuteilen. Es braucht nicht heute, nicht morgen zu sein. In einem solchen Fall will sich die Tochter mit Vater und Mutter besprechen, das ist ja selbstverständlich. Ich warte schon, bis Sie wieder zu Hause sind – und dann hole ich mir in Ihrem stillen Waldthal die Antwort. Ist es recht so?«

»Ja, so is's recht, Herr Bergwald,« erwiderte Traudl. »Alles, was Sie thuan, is recht, is guat.«

Sie reichte ihm die Hand, zugleich aber warf sie einen vielsagenden Blick auf den Bruder.

Dieser hatte mit Spannung zugehört. Er meinte jetzt:

»Warum etwas auf unbestimmte Zeit verschieben, was durch ein kurzes »Ja« sofort erledigt werden könnte?«

»Wir sind anderer Ansicht, nicht wahr, liebe Traudl?« sagte der Maler, der wohl merkte, daß das Mädchen noch unschlüssig war. »Sie müssen mich ja auch noch näher kennen lernen.«

»Und Sie mi!« warf Traudl lächelnd ein.

»O, Sie sind leicht erkennbar – ein Blick in Ihre Augen, und alles ist offenbar.«

»Ja, d' Augen könna nöt lügen,« meinte Traudl, diesesmal zärtlich in Bergwalds leuchtende Augen blickend. »Für jetzt – Sie verzeih'n – i muaß zum Vater.«

»Ja, das ist jetzt Ihre Pflicht,« entgegnete Otto. »Auf Wiedersehen, Edeltraud!«

Er drückte ihr die Hand und blickte der sich 124 Entfernenden in glücklichster Stimmung nach. Dann wandte er sich zu dem Schwager.

»Du nennst deine Familie arm? Thörichter, du scheinst blind zu sein, den Schatz nicht zu erkennen, den sie besitzt an diesem herrlichen Mädchen!«

Franz benützte diese glückliche Stimmung, um den Schwager, der wohl ein genialer Künstler, aber durchaus kein Geschäftsmann war, zu überreden, ihm das gewünschte Giro zu geben, um Deckung für einen, wie er sagte, »allenfallsigen« Differenzverlust zu haben, und versprach ihm dafür, die Schwester als Braut zuzuführen. Dem Künstler kam nicht der leiseste Verdacht, daß Franz in seiner verzweiflungsvollen Lage nicht ehrlich mit ihm handle, und nur seine glückliche Zukunft im Auge habend, überdachte er nicht strenge, welche Folgen diese Handlung für ihn haben könne.

Aber Traudl ließ es keine Ruhe. Sie ahnte und fürchtete, daß Franz die sorglos glückliche Stimmung des Freundes zu einer unehrenhaften Handlung mißbrauchen könnte, und diese Ahnung wurde ihr zur Gewißheit, als sie eine Zimmerglocke ertönen und gleich darauf das Stubenmädchen an Franzens Thür um Begehr fragen hörte. Er verlangte ein Wechselformular. Nachdem aber das Mädchen erklärte, es sei von der Herrschaft niemand zu Hause, versetzte Franz sofort, daß er selbst das Gewünschte beim Buchhändler gegenüber holen wolle. Als dann der Bruder eilig das Zimmer verlassen, um das Wechselformular zu holen, da überfiel sie eine tödliche Angst. Sie fühlte, daß der Freund in Gefahr sei, und wenn sie ihn davor warnte, verhinderte sie zugleich, daß der Bruder eine Schlechtigkeit begehe.

125 Rasch entschlossen, riß sie die leere Seite von dem Brief ihrer Mutter ab und warf folgende Worte darauf:

»Nichts unterschreiben! Ehe alles genau wissen und eingetroffene Depesche von Franzens Frau gelesen.«

Dann eilte sie zur Thüre von Bergwalds Zimmer, klopfte an und drückte dem Oeffnenden den Zettel in die Hand.

»Lesen!« flüsterte sie. »Aber i bitt', haben S' Nachsicht mit 'n Franz.«

Im nächsten Augenblick war sie wieder in ihrem Zimmer.

Als Franz zurückkam, bemerkte er sofort in des Schwagers Gesicht eine Aenderung.

»Du hast heute eine Depesche erhalten?« fragte ihn dieser.

Franz errötete.

»Ja, von Marga,« sagte er dann zögernd.

»Darf ich sie lesen?«

Franz that, als hörte er die Frage nicht.

»Sieh, hier ist ein Formular,« sagte er. »Ich acceptiere obenauf, setze du deinen Namen hier unter den meinigen, das übrige besorge ich selbst. Dann laß uns den Hopfenkauf besorgen, denn mit jeder Stunde kommen mehr Händler hieher. Es ist höchste Zeit. Hast du schon unterschrieben?«

»Nein. Ich habe mir die Sache anders überlegt. Ich werde nicht unterschreiben.«

»Nicht unterschreiben?« fragte Franz. »Warum?«

»Es hat Zeit, bis wir nach Nürnberg zurückkommen. Ich will ohne den alten Lori nichts thun.«

»Aber Schwager!«

126 Otto nahm seinen Hut.

»Gehen wir zum Hopfenkaufen,« sagte er.

»Du unterschreibst wirklich nicht? Du bist gewarnt worden?«

Otto blieb stehen.

»Giebt es dabei etwas zu warnen?« fragte er. »Ah – die Depesche! Warum weigerst du dich, sie mir zu zeigen?«

»Weil – weil – da lies!« sagte er dann, mit einem plötzlichen Entschluß dem Schwager das Papier hinreichend. »Lies und – laß mich bankerott werden, den Mann deiner Schwester, den Bruder Edeltrauds!«

Bergwald las die Depesche, sie lautete: »Bankhaus verlangt Giro von Otto, sonst Vorsichtsverfügung im Geschäft angedroht. Marga.«

Otto heftete einen strengen Blick auf den Schwager.

»Du hast also Pech gehabt mit deinen Spekulationen,« sagte er dann. »Und du wolltest deinen verschobenen Karren auf meine Kosten wieder flott machen? Das war nicht ehrenhaft von dir. Ein Unglück in Vermögenssachen kann jeden treffen, ich mache dir deshalb keinen Vorwurf. Aber deine Handlung mir gegenüber war unstatthaft. Man muß in jedem Fall ehrlich bleiben. Um Edeltrauds willen will ich für jetzt darüber schweigen; doch reise ich sofort nach Nürnberg zurück. Erledige du das Hopfengeschäft hier und folge mir morgen nach. Dann werden wir sehen, was zu thun und was zu unterlassen ist. Also adieu!«

Franz warf sich erschüttert auf das Sofa.

Bergwald ging in die Gaststube hinab. Dahin ließ er Edeltraud nochmals bitten. Er sagte ihr herzlichen Dank und Lebewohl und versprach ihr, dem Bruder zu 127 helfen, wenn es in seiner Macht stünde. Daran fügte er die Bitte, seiner freundlich zu gedenken und ihn recht bald in der Heimat zu erwarten. Er verhehlte ihr nicht, daß nur ihr entschlossenes Handeln ihn und den Bruder gerettet, denn Hilfe wäre unmöglich gewesen, wenn er die Thorheit begangen, vor der ihn Traudl glücklicherweise bewahrt; denn dann hätte ihn Franz mit in den Abgrund gerissen, vor dem er ihn jetzt noch zu retten vermöge.

»Guter, edler Mann!« sagte Traudl, mit feuchten Augen ihm die Hand zum Abschied reichend.

»Sie reisen in Gedanken mit mir, Edeltraud,« sagte er lächelnd. »Ich werde Ihrer stets gedenken. Auf frohes Wiedersehen!« – – –

Der alte Schleifer-Toni hatte sich wieder so weit erholt, daß er ohne Beihilfe seine frühere Stube aufsuchen konnte. Er fragte nicht mehr nach dem Sohn, und Traudl vermied es vorerst, das Gespräch auf ihn zu bringen. Doch merkte der Alte wohl, daß das Gemüt des sonst so ruhigen Mädchens in einer gewissen Erregung war.

So fragte er sie einmal ganz unvermittelt: »Woher woaßt denn, daß der Herr von Falkenstoa',« so nannte er Bergwald stets, »der Kleinschwert is?«

»Er selber hat mir's heut' g'sagt.«

»Heut? Is er denn scho' wieder da?«

»Freili is er da gwen. Er war's ja, der di mit 'n Franz in d' Stuben tragen hat. Er hat si um di ang'nomma, wie um sein' leibhaftigen Vater.

»So, so? Merkwürdi, daß der anemal bei der Hand is, wenn i moan, es geht auf d' letzt.«

128 »Und anemal hilft er dir,« warf Traudl ein. »I bin eam scho' recht dankbarli.«

»So, dankbar bist eam? Und Kleinschwert hoaßt er?«

»Und 'n Franz sei' Schwager is er,« setzte Traudl hinzu. »Er is mit eam von Nürnberg komma zum Hopfeneinkauf. D' Hauptsach' aber war, daß er uns 'n Franz wieder zuag'führt hat.«

»Dös hätt' er bleiben lassen könna! Hätt'n nimmer z'sehg'n braucht, mein Herrn Sohn. Schaamt si über uns, weil er im Glück is!«

»Aber Vaterl, der Franz is ja gar nöt glückli. Sorg' und Kummer hat er und die ham sei' Herz auf a Zeit lang abtöt' für alles, selm für uns.«

»Was d' sagst! Dös versteh' i nöt.«

Nun weihte Traudl den Vater in die Verhältnisse des Sohnes ein, soweit sie diese selbst kannte und begriff. Sie verschwieg dabei natürlich Franzens Versuch, den Schwager zu schädigen. Sie erzählte dem Vater nur, wie Franz durch seine verschwenderische Frau so tief herabgekommen sei und nun auf die Hilfe Bergwalds angewiesen wäre. Jetzt, zum erstenmal, teilte sie dem Alten auch mit, daß er Großvater sei, daß sein Enkel bald drei Jahre alt wäre, und sie weinte bei dem Gedanken, daß das Kind auch wieder in Armut aufwachsen sollte.

»Nacha machst glei, daß dös Büawerl zu uns kimmt,« meinte der Alte. »Der soll koa' Not leiden, dem z'lieb bettel' i beim Veteranenverein um a Unterstützung.«

»Es wird ja nöt so weit kömma!« hoffte Traudel. »Der Franz is jung und g'schickt, und wenn sei' Lag' wieder in Ordnung is, wird er a ganz anderer Mensch wer'n. Aber dazua is's nöti, daß eam nix mehr am 129 Herzen frißt, aa nöt die Furcht, daß 'n seine Eltern verstoßen hab'n.«

»Wer hat 'n verstoßen?« rief der Alte.

»Du, Vaterl. Hast nöt g'sagt, du hast koan Sohn mehr.«

»Dös schon. Aber wenn er unglückli is, wenn eam was an uns g'legen is, wenn's 'n reuen sollt', daß er –«

»Ja, ja, es reut 'n so viel,« behauptete Traudl. »Aber du woaßt ja jetzt, wie's mit eam g'standen, und er moant halt, du wirst eam niemals verzeih'n könna.«

»Nöt verzeih'n könna? An' unglücklichen Kind! G'straft is er ja ohnedem gnua. Ja, ja, 's vierte Gebot laßt nöt aus.«

»So magst 'n also no'mal sehgn? Er is ja no' da in Wolnzach, und er wart' drauf, daß i eam guate Botschaft von dir bring'.«

»So soll er halt kömma, i werd' eam 'n Kopf nöt abreißen.«

»Vergelt's Gott, Vaterl!« rief Traudl erfreut. »Er is jetzt aufs Hopfenamt ganga, um 'n Hopfen z' kaufen. Sobald er z'ruck is, werd' i 'n zu dir führ'n.«

»Zum Hopfeneinkauf is er ganga? Ja, hat er denn no' so viel Geld?«

»'s G'schäft scho', nämlich die Firma. Nur 's Privatvermögen, dös sei' Frau mitkriegt hat, ham s' verspekuliert.«

»No', das is ja soweit nöt g'fehlt,« meinte der Alte. »Da is ja nöt alles verlorn. Also bring 'n halt in Gottsnam! Aber nacha müassen ma scho' 's Arbeitsg'wand ausziehgn und uns besser g'wanden. Es is wegen die Leut. Dumm siehgt's grad scho' aus, wenn der Hopfenkäufer seine Leut als Hopfenbrocker sehgn muaß –«

130 »Aber Vaterl! No', i thua nach dein' Will'n. Aber i möcht trotz allem Jammer lachen.«

»So lach halt; is mir lieber als dös G'flenn. Und woaßt was? Nachdem d' Arbeit in der Fabrik bald wieder anfangt, und d' Ruckroas' auf der Bahn nix kost', so mach ma, daß ma hoam kömma. A bißl a Geldei' bring' ma ja dennast der Muatta mit hoam. Und so pack' nur morgen mei' zwilchas Klüftl (Gewand) glei' z'samm, i werd nur mehr 's Feiertagg'wand anlegen, daß i nöt gar so meschant ausschau. Und also moanst, es hat sei' Richtigkeit, daß eam 's G'schäft bleibt?«

»Dös wird der Herr Bergwald scho' richten.«

»So, so, der Herr Bergwald! Aber der scheint mir aa koa' richtiger G'schäftsmann z'sein, wenn er nix thuat, als Bilder malen.«

»Der hat ja an' G'schäftsführer, auf den er si verlassen kann. Und seine Bilder trag'n eam schon aa was ein, denn er is g'schickt. Da will i dir nur a kloans Bildl zoagn, dös er g'macht hat – i hab's in mein' Gebetbüachl, da schau her.«

Sie zeigte dem Vater die Skizze von dem Kinde ihres Bruders, die ihr Bergwald geschenkt.

»Meiner Seel!« rief der Schleifer-Toni, »dös is ja der Franzl als a junga.«

»Sei' Büawerl is's,« berichtete Traudl. »Gelt, dös g'fallt dir?«

Der Alte betrachtete mit Rührung das Bild.

»Dös, wenn d' Muatta sehget!« wünschte er. »Mei', dös erinnert mi an a schöne Zeit. Da bin i an' anderer Mann gwen, wie jetzt! Nöt oamal sched hab' i den Buam auffitragen auf meiner Achsel auf 'n Arber, wenn z' 131 Bartlmä der Kirta war, und der Bua hat a Freud' g'habt und g'juchezt hat er, daß mir 's Herz im Leib g'lacht hat. Und nacha hab' i halt aa g'juchezt und d' Muatta hat's aa kinna, so frisch und hell, wie halt no'mal a Waldlerskind! Jetzt könnt' i mi alloa' nimmer auffischleppen. Ja. ja, die Zeit liegt weit hinten! Und gar so viel is halt anders worn, so ganz anders, als ma' denkt hat.«

Er blickte wieder lange sinnend auf das Kinderbild.

Traudl hatte inzwischen ihr besseres Gewand angezogen, dann sagte sie:

»I will ge' nachschau'n, Vater, ob der Franz schon da is; unterhalt di nur daweil mit dem Bildl.« Und als sie aus der Thür trat, bat sie nochmals: »Aber gel, nix nachtragen!«

Einige Minuten später traf sie den Bruder. Dieser war, wie sich leicht denken läßt, noch in sehr gedrückter Stimmung. Traudl suchte ihn zu trösten und aufzuheitern.

»Trag' in Gottsnam, was d' verschuld' hast und flenn 'n Verlorna nöt nach,« meinte sie. »Denk vorwärts; mach' guat, was d' g'fehlt hast. D' Hauptsach is, daß d' a guat's G'wissen hast, und daß d' 'n Herrn Bergwald offen in d' Augen schauen kannst.«

»Warum sollt' ich das nicht können?« fragte er.

»Wenn er nach dein' Willen den Wechsel unterschrieben hätt', dann könnt'st es nimmer,« sagte Traudl. »Und daß nix zwischen uns is, so sag i dir's offen, i hab' dös Unglück abg'wend't, i hab's verhindert, daß er unterschrieben hat.«

»Du?« rief Franz, zornig aufbrausend, »du?«

»Ja, i. Und sag' selm, muaßt mir nöt dankbar dafür sein? Durch a Schlechtigkeit hätt'st di für 'n Augenblick 132 retten woll'n, und dein' besten Freund, dein' nächsten Verwandten hätt'st in Schaden bringa und dir zum Feind machen woll'n. Sag', sei ehrli – denk', der Vater will di wieder in Lieb' aufnehma und wart' auf di – sei ehrli: könnt'st dein' alten Vater frei in d' Augen schau'n, wenn di die Schuld am G'wissen drucket?«

»Du hast recht, Traudl,« versetzte jetzt Franz gerührt. »Ich muß dir's wirklich danken mein Leben lang. Ich hab' mich groß verfehlt gegen euch alle. Könnt' ihr mir wieder gut werden?«

»So kimm nur glei zum Vater, der wird dir Antwort geben. Er unterhalt' si g'rad mit dem Bildl von dein' Buam. Kimm und unterhalt di mit eam. Laß uns nöt säuma.«

Es waren ein paar köstliche Stunden, welche den drei Personen beschieden waren. Kein Wort des Vorwurfes ward von seiten des Vaters laut, und Franz sah jetzt wohl ein, wie falsch seine Ansicht war, die er Bergwald gegenüber geäußert, daß die Eltern von ihren erwachsenen Kindern nichts zu fordern hätten. Er fühlte es, in dieser Stunde wenigstens und wenn auch nur vorübergehend, als ein Glück, dieselben lieben und ehren zu dürfen, so lange sie leben, und daß nichts zufriedener machen kann, als die Liebe und der Segen der Eltern. 133


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