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5. Die Wirtschaft

Die Daseinsnot des Menschen hat ihre Ursache nicht nur in der Friedlosigkeit, in dem ungenügenden Schutz gegen menschliche Angriffe, sondern auch im Mangel, der fast überall, bald näher, bald ferner, ihn bedroht, Mangel an Mitteln zur Existenz und, ebenso wichtig, Mangel an Mitteln zur Freude. Was ist daran schuld? Was muß geändert werden, um dieser Not Herr zu werden?

Man glaube nicht, daß die Antwort nur durch komplizierte Spezialforschung der Nationalökonomie gegeben werden könnte; sie liegt vielmehr in großen Zügen völlig auf der Hand. Die Schwierigkeiten, die nur mit Hilfe einer vollkommen ausgebildeten Wirtschaftstheorie behoben werden könnten, sind an ganz anderen Stellen zu suchen.

Liegen die Ursachen des Mangels etwa darin, daß die Oberfläche der Erde zu klein ist, daß ihre Schätze und ihre Fruchtbarkeit nicht ausreichen, um die Menschheit zu versorgen? Wir wissen genau, daß dies nicht der Fall ist.

Es folgt also, daß der Fehler in Mängeln der Gewinnung oder Verteilung der Güter zu suchen ist. Fehlt es uns also an Mitteln zur Gewinnung der Güter? Nein, die Technik hat sie längst bereitgestellt. Fehlt es an Kraft dazu? Nein, allein die Existenz der Arbeitslosen beweist, wieviel überschüssige Kraft wir besitzen. Fehlt es uns an Mitteln zur Verteilung der Güter? Nein, auch hier hat die Technik längst alles geschaffen, was nötig ist, um mit einem Bruchteil der vorhandenen Kräfte den Segen der Erde gleichmäßig über die Menschheit auszubreiten.

Die Menschheit ist also zweifellos im Besitz aller Mittel, die erforderlich sind, um die Daseinsnot aus der Welt zu schaffen. Warum wendet sie sie nicht an? Wir alle wissen die Antwort: weil sie nicht will. Weil diejenigen, welche über diese Mittel verfügen (Individuen, Regierungen, Organisationen, Nationen), der Meinung sind, daß es ihnen oder ihren Auftraggebern schaden könnte. Und merkwürdigerweise haben sie sogar oft recht. Es könnte tatsächlich unter den gegenwärtigen Umständen zum Ruin eines Staates führen, wenn er dem freien Fluß der Güter nach allen Richtungen keine Hindernisse in den Weg stellte. Aber woher kommt nun wiederum dies? Daher natürlich, daß es keine überstaatliche Moral gibt, welche dafür sorgen würde, daß der Schaden, der einem Volk aus einer vernünftigen Güterverteilung über die Erde erwachsen würde, sofort durch helfendes Zusammenwirken aller anderen wieder gutgemacht würde. Kein Staat will ein vorübergehendes Opfer auf sich nehmen, keiner ist selbstlos. Der einzige Ausweg besteht darin, daß das »Selbst« der Staaten aufhört zu existieren, daß die Grenzen verschwinden, durch welche die Menschheit in Einheiten zerlegt wird, die zu Trägern des staatlichen Egoismus geworden sind.

Mit anderen Worten: nicht nur an der Friedlosigkeit, der politischen Not, ist der Staat schuld, sondern auch an der Brotlosigkeit, dem wirtschaftlichen Elend. Man muß weder Nationalökonom noch Philosoph sein, um mit voller Deutlichkeit zu sehen, auf welche Weise allein der Not sicher gesteuert werden könnte, die das Maschinenzeitalter über uns gebracht hat: nämlich durch Verkürzung der Arbeitszeit und Erhöhung des Reallohnes. Es ist mit mathematischer Genauigkeit auszurechnen, daß eine gleichmäßige Verteilung der Arbeit unter die Arbeitsfähigen, welche dem einzelnen einen Überfluß an freier Zeit geben und ihn zu einem guten Konsumenten von Nahrungsmitteln wie Kulturgütern machen würde, bei gleichzeitig ungehindertem Transport aller Güter, dem Hunger und Elend ein Ende machen muß. Und das wird im Grunde von niemand bestritten; es gibt keine ernsthaften Gegenargumente. Die Schwierigkeit besteht allein darin, einen Weg zu finden, der von dem jetzigen Zustand zu dem geschilderten hinführt. Jeder solche Weg, das ist klar, erfordert gemeinsame Maßnahmen aller Völker, denn sowie eines allein versuchen würde, nach dem angegebenen Prinzip Reformen einzuführen, würde der Zweck nicht erreicht, ja das Elend würde maßlos vergrößert werden, weil der zwischenstaatliche Austauschapparat, wie er gegenwärtig ist, keine einseitige Belastung verträgt.

Es bedarf also nur einer Verständigung der Völker untereinander, daß alle gleichmäßig und gleichzeitig die zur Überwindung der Not erforderlichen wirtschaftlichen, finanziellen und administrativen Maßnahmen ergreifen. Welcher Art diese Maßnahmen sein müssen, könnte durch Sachverständige mit genügender Leichtigkeit und Sicherheit festgestellt werden, wenn sie nur der Einsicht und des Verständigungswillens der Völker gewiß wären. Einen Plan aber aufstellen zu wollen, der zum Ziel führen, zugleich aber auf den Unverstand der Regierungen, den Egoismus der Staaten und ihre kurzsichtige Abneigung gegen jedes temporäre Opfer Rücksicht nehmen soll – das dürfte allerdings eine unlösbare Aufgabe sein, und hier allein liegt die Schwierigkeit. Diese Hemmnisse müssen zuerst aus der Welt geschafft werden, dann wird die Aufgabe leicht und löst sich gleichsam von selbst. Es sind aber, wie man deutlich sieht, lauter Hindernisse, die nur deshalb wirksam werden können, weil die Aufrichtung räumlicher Grenzen zwischen den Staaten Gelegenheit zur Entfaltung der nationalen Egoismen gibt und den Staatslenkern die Möglichkeit, durch ihren Unverstand und Ehrgeiz die Gegensätze zu schüren und die Menschen vergessen zu machen, daß sie Brüder auf dieser Erde sind.


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