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XIX.

Das Geheimnis der Kugel

»Das war eine schöne Fahrt, Aldebaran, gestern zu Astra,« sagte Else am nächsten Tag. »Nie werde ich den Glanz und die Schönheit vergessen, mit der sie uns überschüttet hat. Ich habe auch einiges von den Wundern des Vierecks ganz gut behalten und sie schon heute früh in den Sand gezeichnet, aber was ich ganz und gar nicht verstanden habe, das ist die Geschichte mit dem Geheimnis der Kugel. Darüber mußt du, mein liebes Himmelsschulmeisterlein, mir bald einmal Aufklärung geben. Du hast mich langsam an so schwere und staunenswerte Dinge herangeführt, daß ich keinen Schritt machen möchte, ohne daß du mir die Beinchen hältst, wenn ich die hohen, hohen Leitern hinauf zu den Wolken und hinab zu Erdschächten klettern soll!«

»Ja, mein geliebtes Kind,« sprach lächelnd der Sternenschullehrer. »Das mit der Kugel ist eine wunderliche Sache. Die ganze Natur verhüllt ihre Pläne auf das eifersüchtigste und macht sogar mancherlei Winkelzüge und Kniffe, um den größten Dieb ihrer Gedanken, den Menschen, der ihr überall auf den Fersen ist, irrezuleiten und zu täuschen. Der kommt nicht eher auf den wirklichen Zusammenhang der Dinge, als bis er das allen Gemeinsame herausgefunden hat in der unendlichen Fülle des Erscheinens. Dies überall sich Wiederholende, die Urwurzel, das letzte Gemeinsame und das immer gleiche Häufchen Asche, zu dem alles unter dem Feuer der Forschung und Zerlegung verbrennt und zusammenfällt, – das nackte Urbild jeder Form muß erst der großen Bildhauerin nachgedacht werden, ehe man daran gehen kann, ihre Hüllen zu verstehen, welche oft alles verdecken. Diese Form braucht niemals wirklich bestanden zu haben, gleichsam wie ein Ururgroßvater aller Bildungen. Die Natur ist nach einem eigenen, nur in ihrer Brust geträumten Plane verfahren bei jedem ihrer Werke, von dem sie nicht lassen konnte. Die Urform der Welt und ihrer unzähligen Geschöpfe mag eine fast gleiche gewesen sein, ohne daß man die Wirklichkeit dieses Ahnen aus der Ewigkeit handgreiflich anzunehmen brauchte. Streng nur jetzt dein Köpfchen ein wenig an, ich habe dir genug gesagt; du kannst bald nun schon ein bißchen mit mir philosophieren.«

»Ach! Aldebaran,« sagte Else. »Ich bin nun bald sechzehn Jahre und, was du eben sagst, ist mir ganz einleuchtend. Du meinst, der liebe Gott hat sich die Sache gar nicht so leicht gemacht, einmal nur einen großen Urvaterbrei zurechtzukneten und nun daraus den ganzen Ameisenhaufen des Lebens ausschlüpfen zu lassen. Sondern, er hat bei jedem neu erschaffenen Ding immer nach einem nur ihm bekannten, nirgends ganz preisgegebenen Plane gehandelt, und diesem Plan nachzuspüren und ihn mitzuempfinden bei allem Werdenden und ihn herauszufühlen bei allem Gewordenen, das ist – wie war's doch nur? –«

»– Die Künstlerschaft der Seele und des Menschenherzens höchster Rausch!« fiel Aldebaran ein. »Du hast das ganz gut behalten und oft Wiederholtes mir nachgesprochen: Der Mensch sucht mit seiner Phantasie Gott zu kopieren, wie er an seinem Bildnerherde sitzt und meißelt. Ohne diese das Tiefste begreifen wollende Phantasie werden Menschen niemals eine große Tat tun. Der Alte von Weimar – erinnerst du dich noch seiner? – der hatte ganz recht, als er von seinen Urphänomenen sprach. Er bastelte im Geiste immerfort an einer Idee für die Urform des Lebendigen herum und hat sie für die Farben und die Pflanzen ganz artig herausgeschält aus dem ungeheuren Erscheinungschaos. Da gibt es Hunderttausende von Arten nicht verwandter als du und ein Neger, ein Gewimmel von Form und Farbe in unausdenklicher Variation, bei deren Anblick eine Ahnung vom gleichen Vorbild, von Verwandtschaft, von einem inneren Voranschauen eines gemeinsamen Grundrisses doch jeden durchrieselt, der mit Phantasie begabt ist und gern die bunten Falter seiner Gedanken um des Lebens Blütenkelche schnuppern läßt. Nun hat mein unglücklich Schwesterlein Astra dir gesagt, wie für das Reich des Kristallischen der Würfel solch ein letzter Bauplan der Natur sei, so sei es die Kugel für das Lebendige und hat es mir überlassen, dir das klar zu machen.

Ach, Elselein! Wieviel Menschenköpfe haben über die Lebensformen schon gegrübelt, den Kopf auf die Hand gestützt und in Folianten starrend oder träumend unterm Blätterdach, hineinlesend in die Sternenwelt mit ebensoviel Fragezeichen, wie Lichter glühen am Firmament! Wieviel im Todeskampf erlöschende Blicke haben zum kalten, leeren Himmel gestarrt: ›Was war dies Leben?‹, und niemand hat eine Antwort über die Lippen der bei diesen sterbenden Blicken erstarrenden Göttin rieseln hören. So stumm fragend wie das Kindchen in die Welt tritt, so geht der Greis zum Tor hinaus! Das fragt: ›Wo bin ich?‹, jener fragt: ›Wohin?‹ – und kommen und gehen – eine lange, lange Kette schlängelt sich über die Erde, sie geben ihr Fleisch und Gebein zurück wie ein geliehenes Maskenkostüm, die Seele wandelt weiter und weiß nicht wozu, warum sie es getragen! Schau' mich, Else, dessen Seele auch einst menschlich war, der ich vom Staube nach Leid und Freud' der Erde aufgestiegen bin zu den Fluren des Lichts – ich sage dir, solange Menschen die Frage stellen ›was ist das Leben und warum?‹, wird rings die Welt verstummen, die Vöglein singen nicht mehr, der Bäche Rauschen höret auf, sein Wanderlied zu plätschern, Wolken stehen still, farblos wird Himmelsblau und Wiesengrün! Die große Sphinx der Natur, die Züge der alten Rätseldeuterin erstarren wie zu Eis und Stahl – und sie schweigt! Willst du den Grund wissen, Else? Weil diese Frage tödlich ist!

Ich will dir das recht klar machen. Weißt du, was du für eine Antwort erhältst, wenn du fragen wolltest: ›Was ist der Vogelsang?‹ – ›Ein in gleichen Zeiten wiederholter Atmungsstoß der Zwerchfellmuskeln des Tieres, der die Luft zu Erschütterungen bewegt, welche dem Ohr als Töne vernehmbar sind.« – Schlägt diese Antwort es nicht tot, das Lied der Nachtigall im Haine? – ›Was ist ein Bach?‹ – ›Ein vom Schmelzwasser der Höhen und des im Erdinnern angestauten Grundwassers gebildetes Rinnsal.‹ – Fühlst du nicht, Else, wie diese dumpfe Anwort des Büchleins Wanderlied erstickt? – ›Was ist die Wolke?‹ – ›Kondensierter Wasserdampf der Atmosphäre.‹ – Stellt sie nicht ihr Flockenschweben ein und stirbt an deiner Frage und löst alsogleich ihren weißen Himmelssammet schnell in ein graues Nichts auf? So ist es stets, wenn wir nach dem ›Was‹ und ›Warum‹ der Dinge fragen! Die Wissenschaft glaubt Antworten geben zu können, aber sie tötet leicht den Zauber; darum schau' ihr immer genau auf die Finger, sie modelt langsam deine Frage um. Sie antwortet, aber mit lauter Scheinwahrheiten! Weiß sie, was Wasser ist? ›Nun gut, ein Teil Feuergas, zwei Teile Wassergas.‹ Aber was ist Wassergas? ›Ein Grundelement, das nicht mehr teilbar ist.‹ Wo ist die Grenze der Teilbarkeit? ›Da, wo wir sie bis jetzt fanden: in den Ur-Teilchen.‹ ›Wenn aber diese Ur-Teilchen Riesenteilchen sind im letzten Sinne? – – Dann fällt ihr Gebäude in sich zusammen! So wollen wir solchem Manne der Tiefgründigkeit sagen, Else: ›Mein Lieber, du bist ein Taschenspieler! Du hast die dir gestellte Frage nach dem ›Was‹ der Dinge, die uns unbekannt sind, verschoben auf ein uns noch dunkleres und dir selbst unerklärbares Gebiet. Du sollst dich nicht höher stellen, weil du ein bißchen mehr in dies oder jenes Buch geguckt hast und besser mit Worten jonglieren kannst; wir stehen Aug' in Auge! Du hast, ohne daß wir es merken sollten, aus dem ›Was‹ ein ›Wie‹ gemacht. Nun können wir uns verständigen! Da kommen wir zusammen. Und nun, Else, was sagt unser Vöglein, das da singt im Garten, wenn wir es fragen: › Wie singst du?‹ Es jauchzt: ›Mit aller Lust, die Gott mir gab, schmettere ich mein Lied! Mein Zünglein trillert Lockung, Preis und frohen Mut trotz aller Not meines winzigen Wesens. Ein ganzer Chor von Brüdern hallt seines fühlenden Herzchens Sonnendank!‹ Und wenn du fragst: › Wie bildet sich die Wolke?‹, so kannst du, Vieles wissend, ein melancholisches Lied singen von Tränen der Erde, die sie zur Himmelswage von Schuld und Sühne trägt.

Das ist es, Else, was ich dir klar heraussagen wollte. Die Frage, mit der wir an das Tor der Wunder pochen, ich und du, darf nicht lauten: Was ist das Leben? – es gibt keine Antwort darauf, weil sie so unmöglich wäre, als wenn ein ganz kleines Kind seine Mutter fragen wollte: ›Zeig' mir die Liebesbriefe, die mein Vater schrieb‹ – was nützte es, wenn sie sie zeigte, das Kind kann sie nicht verstehen, und doch waren die darin enthaltenen Zeichen vielleicht der letzte Grund zu seinem ersten Atemzug.

Die Frage muß lauten: › Wie ist das Leben?‹ – Das ist genug gefragt – und siehe, tausend Schlösser springen, viel hundert Tore weichen, und viele Wundergärten laden ein! Denn, von welcher Seite du auch herantrittst mit deiner Wunderfrage: ›Wie?‹ – immer kreisen neue Formen und Flammenbögen, von wo aus du das dir erkennbare Spiel auch betrachtest. So mag sich ruhig unser Mann der naseweisen Frage nach dem ›Was‹ sein Leben lang Mückenbeine oder Wespenstachel mit nach Hause nehmen, er wird, wenn er mir folgt, alle Zeit genug mit dem ›Wie‹ zu fragen haben und vor Lust ob all der inneren Schönheit seiner geliebten Gliederchen immer wieder neu erstaunen und nicht mehr, statt zu bewundern, über das ›Was und Warum‹ grübeln! Wem die Natur nicht immer neue Wunder schenkt, wenn er sich müht, ihre Weisen nachzudenken, der gleicht einem Bettler, der Stroh zerpflückt und merkt nicht, daß es goldene Spänglein sind.«

So fragte Else nun: »Wie ist denn das Leben?«

»So ist's recht, meine kleine Gelehrigkeit! In diesem ›Wie‹ steckt: Wie es sich bildete, wie's sich verhält, wie seine Wohnungen sind, wie seine Bedingungen, seine Aufgaben, seine Heimaten, seine Straßen, sein Werden und Vergehen! Und immer wieder wird für jeden Frager die Wundergärtnerin ein Füllhorn voller Antworten bereit halten. Die Frage nach seiner Form ist nur ein Teil der Frage nach dem Gesetz seines Erscheinens. In dem Bau der unendlich vielen seiner Gerüste, um die es sich laubt, der Raupenwägelchen, der Wasserschiffchen und Flattergefährte, mit denen es sich bewegt, ist schwer etwas zu finden, was diesen unendlich vielfachen Gestaltungen der Heimstätten des Lebens etwas Einheitliches gäbe! Der Kohlenstoff, ohne den es scheinbar niemals auftritt, mit dem Stickstoff, dem Schwefel-, dem Sauer-, dem Phosphor- und Wasserstoff gepaart, kann nicht das Gesetz seiner Form enthalten, denn die kommen auch vor im Reiche der Natur mit andern Genossenschaften, ohne daß eine Spur von Leben auftritt. Auch wird der Mensch gewiß einmal lernen, die meisten Rohstoffe des Lebens künstlich genau nachzubilden, und doch wird kein Leben entstehen! Es ist aber ein Gemeinsames in allem Lebendigen: da wir nach seinem Wesen nicht fragen dürfen, halten wir uns an sein Erscheinen und sein Tun. – Unsere Frage heißt: Wie sind seine tausend, abertausend Formen entstanden?

Hier, Elselein, zeichne ich dir in diesen Strandsand, der so glatt wie Piepkorns Wandtafel von den Wellen gehobelt ist, eine ganze Reihe von Tierwesen aus allen Reichen, auch solcher Kleinlebewesen, wie wir sie damals in der Wunde des Knaben fanden, dann noch Weichtiere, Würmer, Insekten, Fische, Schnecken, Vögel, Säugetiere und den Menschen, bunt durcheinander. Wir gehen lang am Strande und ich könnte dir den ganzen festen Trittsand bis rings um die Insel mit solchen Bildern füllen, nur um der Vielzahl der Natur einigermaßen auch an Vielgestaltigkeit mich zu nähern.

So! Else, genug der Malerei. Ein andermal zeichne ich dir alles auf eine große weiße Wand, die der Kalkgrube, mit beweglichen Schattenlinien und in natürlichen Farben!

Was soll all dieses Gewirre und Geschwirre von Formen, deren jede ja nur ein Vertreter für unzählige Arten und Abänderungen einer Grundform sind? Man fühlt es deutlich heraus, daß trotz aller Verschiedenheit hier doch eine Einheit zugrunde liegt, eine innere Formenverwandtschaft. Diese Verwandtschaft aller Lebewesen ist: Ihre Teilbarkeit in nur einer Linie, so daß rechts und links immer zwei gleiche Hälften entstehen. Lege im Geiste durch alle diese Wesen bis zum Menschen einen Achsenschnitt und siehe: rechts und links ist gleich, wie der Mensch ja auch alles doppelt hat: zwei Augen, Arme, Beine, Nasenflügel, Lungen, ja auch das Herz; denn es ist ebenfalls doppelkammerig. Daß es nicht in der Mitte bei euch liegt, ist in einer mechanischen Verschiebung begründet. Die Leber hat es nach links verdrängt, während die Milz Platz machte. Der Grund dieser Teilbarkeit hat nun den Gelehrten aller Zeiten bis auf den heutigen Tag viel Kopfzerbrechen gemacht. Er liegt begraben in dem Geheimnis, daß alles Lebendige in der Kugelform wurzelt. Denke ein dem Menschen irgendwie verwandter Geist, wie unser Feuriger, der die ersten Kügelchen des Lebens aus eingefangenen Sonnenstrahlen und Staubflöckchen schuf, sähe vor sich die erschaffene Urform einer Kugel. Das erste, was er machen könnte, wäre, sie zu teilen durch einen Schnitt, sobald er sie im Künstlerbetrieb zu verändern oder zu zieren gedachte, denn Veränderung ist die Vorstufe der Zierde.

Gleich würde er merken, daß dieser Schnitt zwar zwei Hälften gibt, aber die Kugel als Ganzes zerstört habe. Er verwirft also den Plan, er vereinigt sie wieder, aber in seinem Geiste bleibt diese Scheidewand immer gezogen, es war ein tief in seiner Seele eingezogener Gedanke, der noch seine besondere Bedeutung bekommen sollte. Nun konnte er die wiedergeformte Kugel ferner beliebig verziehen, formen, kneten, einstülpen, mit Franzen und Ausläufen besetzen, lang oder gewunden ausziehen zu Stangen und Stäben, diese Stangen wieder spiralig drehen, furchen, gliedern und dabei doch im Gedächtnis behalten, daß er sie einst durchschnitt. So behielten die Formen immer jene erste Idee der Teilbarkeit in einem größten Kreis, die in allen Lebewesen, Pflanze und Tier, im Ganzen und in den Teilen nachweisbar bleibt. Ich zeichne dir das der Einfachheit wegen als Ableitungsformen des Kreises in den Sand.

Die Formen der Kugel im Oval, im Stab, im Spiral sind leicht verständlich. Es ist das Spiel um ihre verlängerte und hochgezogene Achse. Wird ihr Umfang abgeändert, so entstehen Ausstülpungen, Fransen, Fortsätze, Astbildungen, Zwiebelschalen, Flügelbildung, Füsselung und durch alle Formenentwicklung hindurch auch der Umriß eines Menschenkindes.

In diesen einfachen Strichen hast du das Geheimnis der Form der Lebewesen zugleich mit dem Rätsel der Zweiseitigkeit des Lebendigen gelöst. Des Lebens Grundform ist die Kugel, und sie ist gedacht vom Geist des Lebens, als entstanden aus zwei Hälften, die er einst selbst getrennt und wieder vereint hat. Die alten Indier haben recht in einem ganz andern Sinn, als sie dachten, mit dem Wort: ›Des Menschen beide Hälften entstehen aus des Vaters Hirn und der Mutter Leib!‹ In dem Gedanken der wiedererreichten Kugelteilung liegt Scheidung des Stoffes in Mann und Weib zur Vereinigung. Alles Ursprüngliche war nicht kugelig. Es war quadratisch. Erst war das Chaos; in ihm entstand die Ordnung kristallisch in Form wohlgefügter Raumausnutzung im Quadrat, im Sechseck und so fort. Es gibt gasige wie flüssige und feste Kristalle. Des Schöpfers erste Idee war, starre Harmonie in den gleichmäßigen, allseitigen Druck der Masse zu schaffen. Erst als sich hier das Quadrat zum Kreis, das Würflige zur Kugel preßte und formte, entstanden jene Verdichtungen des großen Weisen von Königsberg, die die erste Bewegung im Weltall schufen, Wirbel, Drehung und Kreisung erzeugten, und der Flügelschlag des Ewigen begann. Indem es den Welten Kugeln formte, bereitete es die Idee des Lebens auf ihnen vor.

Alles frei im Raume Schwebende und tropfbar Flüssige nimmt Kugelform an. Die ersten Sterne sind Kugellinsen, die Regentropfen, das Öl in Lösung, die Seifenblase, das Samenei, die Sonne und selbst die Erde sind kugelig. Und alles rollt um Achsen und schwingt im Gleichtakt um sich her. Und alle Form des sich freiwillig richtenden und bewegenden Lebens war anfangs rollende Kugelform auf seinem ersten Kreise, wie auf seinem Urrad laufend, wie hier bei diesem kleinen Urgebilde, das Räderfüßchen hat und auf dem urgegebenen Radreifen läuft. Alle erdgeborenen Wesen leben unter dem Druck des Weltalles, dessen Gesamtharmonie gleichmäßig zum Mittelpunkt der Erde strebt.

Alles bewegt sich, auch das festeste, doch noch im Eintakt mit dem Takt der Welt, und der Ausdruck dieses Weltallrhythmus ist die Linie in unser aller Mitte, die uns in zwei Teile teilt. Sie ist die Achse im ewig bewegten Kreise, dem Bild des Lebens. Das, liebes Elselein, wird dir noch klarer werden, wenn ich dir die Durchschnitte der einzelnen Formen zeige, aus denen dann die innere Verwandtschaft erhellt, die eine Rose immer noch mit einer Qualle behält, und der Mensch mit Molch und Schmetterling. Hast du mich verstanden, Elselein?

Hinter allen Formen des Lebendigen ist die Kugelform in allen ihren Variationen, Oval, Stab, Blätterung, Ästelung, Einstülpung, Gliederung, Einschnürung, Abschnürung, Ringelung usw. als Einheit und Idee zu finden. Mit ihr die einfache Teilbarkeit in zwei Hälften, die als Idee der Wiedervereinigung über allem Leben schwebt und der vielgesuchte Grund ist für die zweiseitige Symmetrie alles Lebendigen.

Die Achse dieses Kreises ist bei Mensch und Pflanze zum Mittelpunkt der Erde gerichtet, beim Tier fiel sie senkrecht dazu, nur etwas vom Boden gehoben durch die Gliederfüße, die diese Linie der Symmetrie tragen wie Pfeiler.

Das sagt etwas Wundersames: Die Pflanze war Leben noch ganz im Bann der kosmischen Bewegung, ihre Achsen sind in der Linie des Weltdruckes. Das Tier bewegte sich, ließ seinen Leib zur Erde fallen und klammerte sich mit allen Vieren fest an den Mutterleib, um nicht aus dem Welttakte geschleudert zu werden. Der Mensch wandte sich wieder dem Dienst der Welt zu, wurde wieder kosmisch und erhob den Leib wie die Pflanze zur Sonne.

Das gibt folgende Figur:

Was wird der Schlußstein sein? Die Ruhe, die Menschen Rückenlage, Schlaf und Tod verheißt? Oder bleibt sie in diesem Symbol der Lebensachsen frei für künftige Bewegungsmöglichkeiten, Aufstieg und Auferstehung?

Es führt immer höher, dies jauchzende Leben! Das ist unser Glaube!«

»Jetzt erinnere ich mich, Aldebaran,« sagte die von diesem Schnellmarsch am Strande der Ostsee und am Meer des Lebens gleichzeitig entlang fast ermüdete Else, »was du mir einst in den Tagen meines ersten Glückes von den kleinen Wunderkästchen erzählt hast, in denen jede Zahl und jeder Name war!«

»Gewiß, Else! Damals konnte ich dir an der aufgehobenen kleinen Feldblume noch nicht alle Wunder zeigen, die darin zu lesen sind. Jetzt sind deine Blicke schon besser geschult, tief in den Dingen die glühenden Äuglein der Wunder, die sich verbergen, zu entdecken. Du siehst, wie berechtigt ich war, dir zu sagen, daß die Natur viel erhabener schreibt, sinnt, nach Ideen gestaltet als ihr, und daß es vielleicht eure höchste Aufgabe ist, nicht nur euer, sondern auch ihr Alphabet zu lernen!

Erst dann könnt ihr die Wegweiser entziffern, die an allen Labyrinthen stehen und euch allmählich ahnen lassen, wohin die Millionen Räder rollen, die ›Königin Leben‹ tragen!«


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